Jerry Cotton Sonder-Edition 45 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 45 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Matthew Crump war ein kaltblütiger Berufskiller, doch dann lief bei einem Auftrag etwas gehörig schief. Er wurde Zeuge, wie der Gangsterboss Marcus Range einen Menschen tötete. Damit war Crump auf einmal selbst ganz oben auf der Todesliste, denn Range konnte keine lästigen Zeugen für den Mord gebrauchen. Für uns begann ein Wettlauf gegen die Zeit: Wir mussten Matthew Crump vor dem Gangsterboss finden ...

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Seitenzahl: 175

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Kein Pardon für einen Killer

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Film: »Die lebenden Leichen des Dr. Mabuse«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4297-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Kein Pardon für einen Killer

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

Die Mäim blauen Ford rauchten und warteten, seit fast einer Stunde. Von Zeit zu Zeit wandte einer den Kopf und blickte zu dem Haus auf der anderen Straßenseite hinüber. Über dem längst geschlossenen Eingang brannte noch immer die Leuchtreklame. Moonshine Club.

»Jeder hat seine Gewohnheiten«, sagte der Mann hinter dem Steuer. »Die Leuchtreklame schaltet er jede Nacht zuletzt aus.«

Er schnippte die Zigarette aus dem Seitenfenster. »Mal ’ne Frage, Marc. Warum kommst du mit, wenn du willst, dass ich es ihm besorge?«

»Ich will sehen, wie er stirbt.« Die Stimme war leise, ihr Klang gleichgültig.

In diesem Augenblick erlosch die Leuchtreklame der gegenüberliegenden Bar.

Der Mann hinter dem Steuer verließ den Wagen als Erster. Er lief über die Fahrbahn. Der andere folgte ihm langsam.

Vor der Gittertür zog der Fahrer des Wagens einen Schlüssel aus der Tasche. Knirschend öffnete sich die breite Eingangstür. Der Mann besaß zu jeder Tür dieses Hauses einen Schlüssel. Der Moonshine Club gehörte ihm. Er war der Besitzer, und er kam zur Abrechnung.

***

Ernest Muller hatte in den letzten zwei Jahren Speck angesetzt. Er kannte den Grund, aber er fühlte sich unfähig, etwas dagegen zu tun. Da er in ständiger Anspannung lebte, trank er, um seine Angst zu betäuben, um schlafen zu können. Er trank nie im Club – einzelne Drinks, zu denen die Gäste ihn einluden, ausgenommen –, aber sobald er seine Wohnung betreten und die Tür hinter sich verriegelt hatte, griff er zur Flasche, die in seinem Schlafzimmer bereitstand.

Muller kam von der Schalttafel zurück, wo er den Hebel auf Aus gestellt hatte. Im großen Clubraum brannten nur noch die Notbeleuchtung an der Türöffnung zum Vorraum und zwei Lampen der Deckenbeleuchtung.

Muller trug bereits einen Trenchcoat über dem Smoking, zu dem er als Geschäftsführer des Moonshine Club verpflichtet war. Er überquerte die Tanzfläche. Seine Schritte hallten in dem menschenleeren Raum unheimlich von den Wänden wider.

Vor der Bühne machte er mit einem Ruck Halt, aber obwohl er sich nicht bewegte, blieb das Geräusch menschlicher Schritte.

Muller öffnete den Mund und riss die Augen auf. Sein Herz hämmerte in rasenden Schlägen. Für Sekunden rang er nach Luft und presste beide Hände gegen die Brust wie ein alter asthmatischer Mann.

Merkwürdigerweise verschwand seine Angst, als die Männer in der Tür zur Garderobe erschienen. Er hatte immer damit gerechnet, dass Marcus Range ihm eines Tages auf diese Weise gegenübertreten würde. Jetzt, da es geschah, verflog das Entsetzen und wich einer verbissenen Wut.

Wie immer trug Marcus Range einen schwarzen Mantel mit einem weißen Seidentuch um den Hals, dazu einen schwarzen Hut.

Ungefähr in der Mitte der Tanzfläche blieb er stehen. »Hallo, Ernie!«, sagte er. »Lange nicht gesehen.«

Muller zog die Lippen von den Zähnen. Seine Gesichtsmuskeln waren so steif, als wären sie von einem Krampf befallen. Zu seiner Überraschung gehorchte ihm die Stimme. Sie klang nicht anders als sonst, zu hoch und ein wenig gequetscht.

»Hallo, Marc. Warum hast du nicht angerufen? Ich schätze, dass du mindestens fünf Monate fort warst.«

»Sechs Monate und acht Tage. So lange brauchten die Anwälte, um mich aus der Untersuchungshaft zu pauken. Ein halbes Jahr Haft, Ernie, weil jemand unvorsichtig war.«

»Ich glaube nicht, dass du mir Vorwürfe machen kannst, Marc«, antwortete Muller. »Ich bin überzeugt, dass die Schnüffler den Tipp von einem der Leute erhalten haben, die das Zeug transportiert haben.«

Range zuckte mit den Schultern. »Wer soll das noch feststellen? Die Jungs ließen sich auf ’ne Schießerei ein und wurden von den G-men abgeknallt.« Sein weicher Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Mein Glück! Wären Cassano und Dorion den Leuten von der Narcotic Squad lebend in die Finger gefallen, hätten sie früher oder später gesungen. Eine Armee Anwälte hätte mich dann nicht vor einem Gerichtsverfahren bewahren können.«

Muller sah ihn unverwandt an.

»Wolltest du das, Ernie?«, fuhr Range fort, ohne den Tonfall zu ändern.

»Du verdächtigst mich zu unrecht.« Muller war einen Kopf größer als Range, und dieses Größenverhältnis verlieh ihm ein Gefühl der Überlegenheit. Außerdem fürchtete er sich nicht, solange Range beim Cassano- und Dorion-Fall blieb. »Ich bin dreimal vernommen worden. Ich habe eisern geschwiegen. Wenn ich gegen dich spielen würde, Marc, so hätte ich vor den Agents die Karten aufdecken können.«

Range schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht, denn dann hättest du auch von dir selbst sprechen müssen.«

»Ich habe geschwiegen«, beharrte Muller. »Du hast keinen Grund, mir zu misstrauen. Willst du die Abrechnungen sehen?«

»Welche Abrechnungen?«

»Über den Umsatz des Clubs. Du hast sie ein halbes Jahr lang nicht geprüft.«

»Und die Abrechnungen über den Stoff?«

»Selbstverständlich auch.«

»Während ich im Gefängnis saß, fuhr einer meiner Leute nach Europa, um zu verhindern, dass die Schnüffler dort etwas herausfinden. Er entdeckte, dass für Marcus Range mehr Sendungen abgefertigt worden sind, als ich bezahlt habe.«

Angst brach erneut wie eine aufgestaute Welle über Ernest Muller herein. »Ich verstehe nicht, Marc«, stammelte er.

»Das ist einfach zu verstehen. Jemand, der meine Bezugsquelle kannte, hat Stoff auf meinen Namen bezogen. Er hat das Zeug bezahlt und es auf eigene Rechnung über meine Organisation verkauft, Muller, aber auf eigene Rechnung.«

»Marc, lass dir erklären!«, stöhnte der andere.

Ranges Lächeln vertiefte sich. Er machte eine Kopfbewegung in Richtung seines Begleiters. »Du kennst Matthew Crump nicht?«

Muller, der stark schwitzte, drehte den Kopf. Er sah einen mageren Mann mit einem hässlichen, sommersprossigen Gesicht. Seine Zähne standen so stark vor, dass er die Lippen nicht vollständig schließen konnte. Aus diesem Grund lag auf seinem Gesicht der Ausdruck eines ständigen Grinsens. Muller musste dreimal schlucken, bevor er »Hallo« sagen konnte. Crump reagierte nicht.

»Matt kostet mich fünftausend Dollar«, sagte Marcus Range. »Ich habe ihn engagiert, um dich zu töten, Ernie!«

Das Blut schoss in Mullers Gesicht. »Das kannst du nicht tun, Marc.«

Range nahm die Hände aus den Manteltaschen, hob sie und kehrte sie mit den Handflächen nach außen.

»Was sollte mich hindern?«, sagte er. »Niemand wird dein Schreien hören – nur ich.«

***

Die Künstlergarderoben des Clubs waren nummeriert. Sie lagen links und rechts eines langen Flurs, der über eine Holztreppe zur kleinen Bühne vor der Tanzfläche führte. The Moonshine Club bot den Gästen ein Striptease-Programm. Sechs der zehn Garderoben waren für die Stripgirls reserviert. Zwei Garderoben standen den Zigarettenmädchen und Serviererinnen zur Verfügung.

Nummer 9 und 10 wurden von den Musikern und den Kellnern benutzt. Alle Garderoben sahen gleich scheußlich aus. Kahle, getünchte Räume, vollgepfercht mit Stühlen, Kleiderständern, Schminktischen und Sofas, deren Bezugstoffe voller Flecken waren.

Auf der Couch in Nummer 9 öffnete Gladys Porten die Augen. Walt Day saß neben ihr. Sein schmales Jungengesicht schimmerte im Halbdunkel der Garderobe bleich wie das eines Gespensts. Seine Augen lagen so tief in den Höhlen, dass Gladys die Pupillen nicht sehen konnte.

»Bist du noch high?«, fragte Day.

Gladys wurde bewusst, dass ihr übel war. »Bitte, Walt, gib mir ein Glas Wasser!«

Er stand auf, ging zum Wasserbehälter und kam mit einem Pappbecher zurück.

Sie trank hastig. »War es wieder eine Reefer?«

»Natürlich, Süße, du würdest dich sonst nicht so großartig fühlen.«

»Oh, Walt, ich fühle mich elend wie noch nie.«

»Jetzt, aber vorher hast du wunderbare Träume gehabt, nicht wahr?«

»Ich weiß nicht.« Sie bemühte sich, sich zu erinnern. »Es war … irgendwie war es schrecklich. Walt, warum willst du, dass ich diese Zigaretten rauche?«

»Ich habe es dir oft genug erklärt. Man lebt intensiver, wenn man ein wenig Marihuana qualmt. Bei dir scheint jede Mühe vergeblich zu sein. Du gehörst zu diesen stumpfsinnigen Typen, die einschlafen, bevor sie richtig high geworden sind. Steh jetzt auf!«

Gehorsam erhob sich Gladys. Sie arbeitete als Zigarettenmädchen in der Bar. Day gehörte als Saxofonist zur großen Besetzung der Band, die aber nur bis zum Ende des Programms spielte. Danach versorgte eine Zwei-Mann-Gruppe die Gäste des Clubs mit Musik. Irgendwann zwischen drei und vier Uhr hatte Walt Gladys in die Musikergarderobe geholt und hatte sie überredet, mit ihm Marihuana­zigaretten zu rauchen.

Sie trug den kurzen Rock und die rote Korsage, die Muller den Zigarettenmädchen verordnet hatte, um den Clubgästen auch den Kauf von Zigaretten zu einem Erlebnis zu machen. Zurzeit sah Gladys Porten ziemlich abschreckend aus. Das Haar hing ihr strähnig ins Gesicht. Schminke und Wimperntusche waren verlaufen. Ihre Haut glänzte schweißig.

»Wie viel Uhr ist es?«, fragte sie.

»Halb sechs.«

»Wenn Muller uns erwischt, fliegen wir raus.«

»Er kommt nie in die Garderoben. Komm! Du weiß doch, dass ich einen Schlüssel für den Lieferanteneingang habe.«

»Ich muss mich noch umziehen.«

»Quatsch! Der Mantel genügt, ich hole ihn.« Er drückte sich aus der Tür und ließ die junge Frau für wenige Minuten allein. Gladys ging zum Wasserbehälter und trank noch einmal.

Als Walt zurückkam, blieb er im Türrahmen stehen. »Komm jetzt!« Er warf ihr den Mantel zu, half ihr aber nicht, ihn anzuziehen.

»Ist Muller schon gegangen?«

»Natürlich. Warum sollte er sich unnötig lange hier aufhalten? Sei trotzdem leise!« Er löschte das Licht, fasste Gladys’ Hand und zog sie mit durch den Korridor zur Treppe.

Sie stieß mit dem Fuß gegen die unterste Stufe. Wütend zischte er sie an. Sie gab sich Mühe, leise aufzutreten. Es gelang ihr leidlich.

Gladys’ Kopfschmerzen lähmten ihre Sinne. Als Walter Day stehen blieb, rannte sie gegen ihn. Er presste ihr die Hand auf den Mund. Jetzt erst hörte sie die Stimmen. Day beugte sich zu ihr hinunter.

»Ich bring dich um, wenn du einen Laut von dir gibst«, raunte er ihr ins Ohr.

Er ließ sie los und verschwand in der Dunkelheit. Sie fürchtete sich in der Dunkelheit. Langsam folgte sie dem Mann. Sie sah einen Lichtschimmer jenseits der Bühne. Das Licht musste durch einen Spalt des Vorhangs dringen. Sie hielt darauf zu, berührte den Vorhangstoff und gleichzeitig Days Schulter. Der Mann wagte nicht, sich zu rühren. Der Vorhangspalt erlaubte es Gladys, die gesamte Tanzfläche zu überblicken.

Sie sah Muller, den Geschäftsführer, und zwei Männer. Sie hielt den Atem an. Obwohl sie jedes Wort verstand, begriff sie den Sinn nicht. Sie hörte das Wort »töten«. In ihrer Verfassung hatte es keine Bedeutung für sie.

***

Für einen Geldschrankknacker ist ein Smoking eine ungewöhnliche Arbeitskleidung. Aber Harold Frisbie hielt es für richtig, sich so unauffällig wie möglich anzuziehen. In einem Nightclub fällt ein Mann im Smoking nicht auf.

Von zwei bis vier Uhr hatte Frisbie an der Bar des Moonshine Club getrunken und mit einer der Animierdamen geflirtet. Um vier Uhr hatte er allen weiteren Augenaufschlägen, mit denen die Frau ihn an die Bar hatte fesseln wollen, lächelnden Widerstand entgegengesetzt, hatte gezahlt und war gegangen.

Im Vorraum ließ er sich seinen Hut und den schmalen Koffer aushändigen.

Er gab der Frau an der Garderobe ein großzügiges Trinkgeld und ging, statt den Club zu verlassen, in den Waschraum für Gentlemen. Frisbie, der seine Informationen von einem ehemaligen Kellner bezogen hatte, wusste, dass sich in der Stirnwand des Waschraums eine Stahltür befand, hinter der eine Treppe in den Heizungskeller führte. Diese Stahltür besaß nur ein simples Schloss. Frisbie öffnete sie mit einem Nachschlüssel, verschloss sie von innen, setzte den Koffer auf eine Treppenstufe und richtete sich auf eine längere Wartezeit ein.

Harold Frisbie war zweiunddreißig Jahre alt. Seit zehn Jahren betätigte er sich als Hochstapler, Einbrecher und Geldschrankknacker.

Der Gewährsmann hatte Frisbie informiert, dass der Geschäftsführer gewöhnlich als letzter den Club verließ, und zwar immer gegen halb sechs morgens. Der Geldschrank stand im Geschäftsführerbüro und enthielt mindestens die Einnahme der Nacht. Frisbie rechnete sich aus, dass er sechs- oder siebentausend Dollar erbeuten konnte, einschließlich der Dollars, die er selbst heute Abend investiert hatte.

Er behielt seine Armbanduhr im Auge. Um zwanzig vor sechs stand er auf und öffnete die Stahltür. Selbstverständlich brannte im Waschraum kein Licht. Frisbie tastete sich zur Tür des Garderobenzimmers. Er drückte die Klinke lautlos hinunter, öffnete die Tür und hielt den Atem an, denn er hörte deutlich Männerstimmen.

Er bedachte seinen Tipplieferanten mit einigen lautlosen Flüchen. Um neun Uhr kamen die Putzfrauen. Wenn er zu viel Zeit verlor, musste er den Plan für heute aufgeben, denn um den Tresor zu öffnen, brauchte er wenigstens zwei Stunden.

Vorsichtig, Schritt für Schritt, schob er sich weiter in den Garderobenraum hinein. Von einem bestimmten Punkt, der nur wenige Yards vom Waschraum entfernt war, konnte er durch den Eingang in das Clublokal und auf die Tanzfläche blicken. Er sah drei Männer. Ernest Muller, der ihm das Gesicht zuwandte, und die beiden anderen, mit dem Rücken zu ihm. Harold Frisbie kannte die großen Unterweltbosse. Einen Mann wie Marcus Range erkannte er auch, ohne sein Gesicht zu sehen.

***

Range schnippte mit den Fingern. Matthew Crump griff unter die Jacke und zog eine langläufige Rerero-Pistole. Aus der rechten Tasche brachte er einen Schalldämpfer zum Vorschein. Währenddessen starrte Muller mit aufgerissenen Augen auf die Hände des Killers.

Als der Schalldämpfer fest verschraubt war, ging Crump auf sein Opfer zu. Er hielt es für besser, aus möglichst kurzer Entfernung zu schießen. Als nur noch drei Schritte zwischen ihm und Muller lagen, blieb er stehen, hob den Arm und feuerte. Der Bolzen schlug knackend auf. Der Schuss löste sich nicht.

Muller handelte, als habe ihn erst das trockene Knacken des Hahnes aus der Erstarrung geweckt. Er schrie heiser auf, stürzte nach vorne und schlug mit beiden Fäusten auf Crump ein. Sein erster Hieb traf den Arm des Killers. Crump verlor die Pistole, die über das Parkett schlitterte. Der wütende Angriff zwang ihn in die Knie. Er war ein Mörder, aber kein Schläger. Muller wog dreißig Pfund mehr als er. Der dritte Hieb fegte Matthew Crump von den Füßen.

Muller riss seine Smokingjacke auf. Er trug eine kleine Pistole in einer Stofftasche an der Hüfte. Jetzt standen seine Chancen gut, denn jeder wusste, dass Marcus Range nie eine Pistole trug. Aber er reagierte mit der Schnelligkeit einer Katze.

In drei Sprüngen federte er über die Tanzfläche. Muller schlug mit der linken Hand nach ihm, während er mit der rechten noch versuchte, die Pistole zu ziehen. Range tauchte mühelos unter dem ungeschickten Hieb weg.

Dann reckte er sich hoch. Wie eine stählerne Schlangenzunge schnellte die Klinge des Schnappmessers aus dem Griff. Bevor Muller zum zweiten Schlag ausholen konnte, stieß Range zu.

»Nein! Marc, nein!«, schrie der Clubmanager. Er drehte sich zur Seite und wollte fliehen. Er dachte nicht mehr an die Pistole. Ihn beherrschte nur noch der Fluchtinstinkt. Aber er war zu langsam. Die Angst lähmte seine Glieder. »Nein! Marc!«, schrie er wieder. In diesem Augenblick traf ihn das Messer genau ins Herz.

Marcus Range keuchte. Er starrte auf seine Hand, die blutbefleckt war. Das Messer war ihm entglitten …

Mit der Linken zerrte Range das weiße Seidentuch vom Hals und wischte seine Finger ab. Er wandte sich Crump zu.

»Du verdammter, ungeschickter Idiot!«, fauchte er. »Ich dachte, du wärst kein blutiger Anfänger.«

Crump war aufgestanden, während Range den Mann tötete, für dessen Ermordung er bezahlt worden war. Er hatte sich nach der Rerero-Pistole gebückt und sie aufgehoben, ohne den Blick von dem grausigen Schauspiel zu nehmen.

»Die Kanone hat versagt, Marc«, stieß er jetzt heiser hervor. »Tut mir leid.«

Eisiges Schweigen herrschte nach diesen Worten. Range dachte: Ja, ich habe ihn umgebracht, und diese elende Laus hat es gesehen. Diese Null kann mich auf den elektrischen Stuhl bringen.

Crump starrte dem Gangsterboss ins Gesicht und wusste genau, was Range dachte. Trotz des festgefrorenen Grinsens drückte sein Gesicht eine Mischung aus Angst und Verzweiflung aus.

Marcus Range drehte sich mit einem Ruck um, tat zwei Schritte auf Mullers Leiche zu und bückte sich.

»Marc«, sagte Crump.

Range blickte ihn über die Schulter an. Er sah, wie der Killer den Schlitten der Rerero zurückzog, die verklemmte Patrone auswarf und den Schlitten einschnappen ließ. Der Lauf der Waffe war auf Range gerichtet.

»Berühr ihn nicht, Marc! Du könntest Fingerabdrücke hinterlassen«, sagte er leise.

»Kümmere dich nicht darum!«

»Ich will nicht, dass du ihn berührst, Marc.«

Der andere richtete sich auf. »Warum nicht?«

»Du kannst gut mit einem Messer umgehen, Marc. Selbstverständlich werde ich schweigen.«

»Wenn du schweigst, hast du nichts zu befürchten«, stieß Range zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich muss das Messer nehmen. Die Fingerabdrücke darauf sind so deutlich wie eine Visitenkarte.«

Die Pistole zielte nach wie vor auf ihn. »Nimm es, wenn ich gegangen bin, Marc! Kann sein, dass Muller in irgendeiner Tasche ’ne Pistole trägt. Ich will nicht, dass du jetzt eine Kanone in die Finger bekommst.«

Range hielt das weiße, blutbefleckte Seidentuch immer noch in der linken Hand.

»Nun gut«, sagte er ruhig, »dann geh, Matt! Ich habe die Tür nicht verschlossen.« Innerlich kochte er vor Wut und Hass, und ganz tief in ihm begann die Furcht zu keimen. Er wird schießen, dachte er. Wenn er nur einen Fingerhut voll Verstand besitzt, wird er mich abknallen.

Crump ging rückwärts auf den Ausgang zu. Er atmete heftig. Sein Finger lag am Abzug der Waffe. Er dachte: Ich sollte ihn abknallen. Er wird mich so lange hetzen, bis er mich gefasst hat. Er lässt niemand frei herumlaufen, der ihn verpfeifen kann. Zum Teufel, warum knalle ich ihn nicht nieder?

Aber er krümmte den Finger nicht. Er redete sich ein, dass Range ihn schonen würde, wenn er erst einmal erkannte, dass er dichthielt. Und während er sich dieser Hoffnung hingab, dachte er gleichzeitig, dass er sich im schlimmsten Fall in den Schutz der G-men flüchten und Marcus Range wirklich verraten konnte.

Er erreichte den Vorraum. Dort warf er sich herum, hastete zum Ausgang, riss die Tür auf und sprang auf die Straße. Er schob die Rerero unter die Jacke und lief hastig die Straße hinunter. Wieder und wieder sah er sich um. Niemand folgte ihm.

***

Walter Days Hand lag wie ein schwerer Stein auf Gladys’ Mund, nachdem Crump die Pistole gezogen hatte.

Gladys Porten schrie nicht und wehrte sich nicht. Sie atmete kaum. In ihrem Kopf kreisten riesige, flammende Scheiben. Sie wusste nicht, ob das eine Nachwirkung des Marihuanas war oder das Entsetzen über das, was sie sah.

Als Crump verschwunden war, starrte Gladys auf den Mann mit dem weißen Seidentuch in der Hand. Eine Zeit lang, die Gladys ewig zu dauern schien, stand er reglos.

Dann ging er näher an den Toten heran. Er hielt den Blick auf den Boden gerichtet, um nicht in Blut zu treten und Schuhabdrücke zu hinterlassen.

Sie sah, wie er das Messer an sich nahm. Er drückte die Klinge in den Griff, wickelte die Waffe in das Seidentuch und ging, den Kopf immer noch gesenkt, auf den Ausgang zu. Er löschte die Beleuchtung nicht. Der Blick der Frau hing wie gebannt an dem Mann. Erst als er hinter dem Mauervorsprung des Vorraums verschwunden war, sank Gladys ohnmächtig zusammen.

Brennender Schmerz im Gesicht brachte sie wieder zu sich. Day ohrfeigte sie.

»Wach auf!«, zischte er sie an. »Zum Teufel, nimm dich zusammen!«

Sie hob den Arm schützend vors Gesicht. »Schlag mich nicht, Walt!«

Er packte beide Arme, zog sie hoch und schüttelte sie. »Kannst du gehen?«

»Ja, es geht.« Ihr fiel ein, was sie gesehen hatte. »Walt, wir müssen die Polizei benachrichtigen. Mister Muller wurde ermordet!«

Er stieß ein krächzendes Gelächter aus, schob Gladys durch den Vorhang und zerrte sie zur Bar. Durch die Wirtschaftsräume erreichten sie den Lieferanteneingang, zu dessen Tür Day einen Schlüssel besaß. Sie gelangten in eine Sackgasse. Der Musiker hatte noch die Nerven, die Tür von außen zu verschließen.

Gladys lehnte völlig erschöpft an der Hausmauer. »Die Polizei, Walt!«, flüsterte sie.

Er legte ihr beide Hände auf die Schultern und brachte sein Gesicht ganz nah an das ihre. »Hör zu!«, flüsterte er. »Der Mann, der Muller umgebracht hat, war Marcus Range. Ihm gehört der Club. Er kommandiert eine Gang, mit der die Polizei noch nie fertig wurde. Wir würden keine vierundzwanzig Stunden mehr leben, wenn wir zur Polizei liefen und erzählten, was wir gesehen haben. Verstehst du, du Närrin? Niemand weiß, dass wir im Club waren. Wir haben nichts, gar nichts gesehen!«

»Es war Mord, Walt …«, stammelte sie.