Jerry Cotton Sonder-Edition 51 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 51 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sie beherrschten eine ganze Stadt. Sie betrogen, stahlen, erpressten und mordeten skrupellos. Die Bande hatte sogar eine eigene Polizei. Und eigene Richter, die grausame Urteile fällten. Es war ein Skandal, der zum Himmel schrie. Denn dies geschah nicht in Chicago und nicht zu Al Capones Zeiten. Es geschah jetzt - nur eine knappe Autostunde von New York City entfernt.

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Seitenzahl: 202

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Stadt der Mörder

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Die Rum-Straße«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4624-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Stadt der Mörder

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

Die Nacht war stockfinster. Im Dunkeln drückte mir Phil seine Maschinenpistole in die Hand, obwohl ich selbst eine trug. Wahrscheinlich wollte er beide Hände frei haben, wenn er die Tür aufschloss. Es musste geräuschlos vor sich gehen, denn nur acht Schritte entfernt stand das Pförtnerhäuschen.

Ich wartete, während Phil mit dem Schlüssel hantierte. Es war kurz vor drei, und überall hingen Nebelschwaden.

Das Schiebetor war groß genug, um die größten Lastzüge durchzulassen. Als Phil es zur Seite schob, machte es einen Radau, dass ich am liebsten angefangen hätte, laut zu fluchen. Aber dazu war keine Zeit. Jeden Augenblick konnte der Pförtner auftauchen, von dem lauten Quietschen alarmiert.

Wir drückten uns in die lange Halle hinein. Phil schob rasch das Tor hinter uns zu und schloss es von innen wieder ab. Ich leuchtete mit der Taschenlampe die Reihe der abgestellten Fernlastzüge ab.

»Da drüben!«, rief ich leise und zeigte auf das vierte Fahrzeug von rechts, einen knallrot lackierten Sattelschlepper, der wie alle Wagen in großen Lettern den Firmennamen der Spedition zeigte.

Wir rannten geräuschlos auf den Wagen zu, während wir draußen die Schritte des Pförtners hörten. Jetzt musste es schnell gehen. Ich leuchtete Phil mit der Rechten, während ich in der Linken unsere beiden Tommy Guns hielt.

In dieser Firma schien es verdammt ordentlich zuzugehen. Trotz der abgeschlossenen Halle waren die Türen der Lastwagen abgeschlossen. Aber wir hatten den passenden Schlüssel. Phil kletterte als Erster ins Führerhaus. Ich reichte ihm die Maschinenpistolen hinauf und folgte ihm.

Gerade als ich die Tür hinter mir zuzog, fing das Tor an zu quietschen. Wir zogen die Köpfe ein und drückten uns so flach wie möglich auf die Sitzbank. In die nächtliche Stille hinein hallten die Schritte des Pförtners, der es mit seiner Pflicht genau nahm. Er machte einen Rundgang durch die ganze Länge der Halle und ließ sich so viel Zeit dabei, dass er offenbar in jeden Winkel leuchtete. Endlich hörten wir das Tor wieder quietschen, als er verschwand.

Wir richteten uns auf. Ich knipste meine Taschenlampe an und griff in die Innentasche der Lederjacke. Unsere Techniker hatten mir ein Walkie-Talkie in die Hand gedrückt. Ich zog die Antenne aus, drückte die Taste und hielt mir das Kästchen schräg vors Gesicht.

»Hallo«, sagte ich halblaut. »Hier ist Cotton. Hört ihr mich?«

In dem Kasten knisterte es, und dann kam die entfernt klingende Stimme von Steve Dillaggio aus dem Lautsprecher.

»Hier ist Steve«, sagte er. »Was ist los, Jerry?«

»Der erste Teil hat geklappt. Wir sind im Wagen.«

»Irgendwelche Schwierigkeiten?«

»Der Pförtner hat das Quietschen des Tors gehört. Die sollten mal die Schienen und die Rollen ölen. Aber er hat uns nicht gefunden.«

»Ob er was unternimmt?«

»Keine Ahnung. Stellt euch so auf, dass ihr den Eingang beobachten könnt! Sollte in den nächsten fünf Minuten ein Streifenwagen aufkreuzen, müsst ihr uns warnen. Ich lasse das Walkie-Talkie eingeschaltet.«

»Gut. Noch etwas?«

»Wenn ihr euch nicht innerhalb von fünf Minuten meldet, nehmen wir an, dass alles in Ordnung ist. Dann schalte ich ab, um die Batterie zu schonen. Wir melden uns dann erst wieder, wenn es so weit ist.«

»Okay, Jerry. Ende?«

»Ende«, bestätigte ich und legte den Kasten beiseite.

»Fünf nach halb vier«, sagte Phil leise. »Wir haben noch zwanzig Minuten Zeit, bis sie kommen.«

Wir warteten. Fünf Minuten vergingen, und Steve meldete sich nicht wieder. Ich schaltete das Walkie-Talkie aus und sah mich mit der Taschenlampe um. Über der Rückenlehne der Sitzbank gab es eine breite Öffnung. Ich leuchtete hinein: eine Schlafkoje für den Fahrer, nicht viel höher als ein halbes Yard. Das konnte ja heiter werden.

Träge verging die Zeit. Wir dösten vor uns hin, bis Phil wieder einmal die Lampe anknipste, um auf die Uhr zu blicken.

»Zehn vor vier«, sagte er. »Es wird besser sein, wenn ich schon in die Koje krieche.«

Er schob die Maschinenpistolen hinein und kletterte hinterher. Ich reichte ihm das Walkie-Talkie nach, blieb aber auf der Bank sitzen, bis wir draußen näherkommende Schritte hörten. Mir blieb nichts anderes übrig, ich musste mich zu Phil in die Koje zwängen. Es wurde so eng, dass sich eine Sardine über Platzmangel beschwert hätte. Fast wäre es mir nicht möglich gewesen, den Vorhang vor der Koje rechtzeitig zuzuziehen.

Die Fahrer hießen Timothy Collins und Andrew Johnson. Collins war der ältere, genau sechsundvierzig Jahre alt, und seit über zwanzig Jahren in der Firma. Johnson fuhr erst seit knapp drei Jahren für die Spedition, seitdem er die Army hinter sich hatte.

Wir hatten Glück. Keiner der beiden sah hinter den Vorhang in die Koje. Sie kletterten ins Führerhaus. Collins ließ den Motor an. Mit schwerem, dumpfem Brummen rollte der Sattelschlepper zur Halle hinaus. Als sie am Pförtnerhäuschen vorbeikamen, rief Collins dem Pförtner einen burschikosen Abschiedsgruß zu. Der Mann erwiderte irgendetwas.

Johnson spielte am automatischen Sendersucher des Radios, bis er eine Station gefunden hatte, die flotte Musik ausstrahlte. Sie hatten eine Tour von fast dreitausend Meilen vor sich, bis hinüber nach Los Angeles, und dann dieselbe Strecke wieder zurück.

Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir es zwei Stunden in der engen Koje ausgehalten hätten, aber länger als dreißig Minuten war es beim besten Willen nicht zu machen. Einer von uns musste mit auf die Sitzbank, wo für drei genug Platz war. Also schob ich den Vorhang vor meinem Gesicht etwas zur Seite.

Collins saß in der leicht gebeugten, entspannten Haltung des routinierten Fahrers vor dem großen Steuerrad. Johnson hatte den rechten Fuß gegen das Armaturenbrett gestemmt und lag mehr auf der Bank, als dass er saß.

Wir hatten den Holland Tunnel unter dem Hudson River hindurch längst hinter uns und rollten auf einer der mehrspurigen Ausfallstraßen durch Jersey City. Die Scheinwerfer des Sattelschleppers schnitten ein asymmetrisches Lichtband aus der nächtlichen Finsternis. Es war noch nicht viel Betrieb. Nur selten überholte uns ein Personenwagen.

Ich wartete, bis wieder einmal die roten Schlusslichter vor uns in der Nacht verschwunden waren. Dann räusperte ich mich.

»Guten Morgen, Johnson. Hallo, Collins«, sagte ich so freundlich wie möglich. »Bleiben Sie schön mit dem Schlitten auf der Straße! Auch wenn Sie jetzt etwas erschrocken sein sollten, weil da auf einmal eine Stimme in Ihrem Rücken laut wurde. Ich bin kein Gespenst.«

Eben noch hatte Collins leicht vorgebeugt über dem Steuer gesessen. Jetzt versteifte sich sein Rücken. Johnson reagierte viel heftiger. Sein Fuß fuhr vom Armaturenbrett weg. Er rutschte zur Seite, sodass er mit dem Rücken gegen die rechte Tür stieß. Im bläulichen Widerschein der Instrumentenbeleuchtung wirkte sein vor Schreck verzogenes Gesicht bizarr.

Ich schob den Vorhang vor meinem Gesicht weiter zur Seite. In meinem linken Arm kribbelten hunderttausend Ameisen. Zufällig fiel mein Blick auf die Uhr neben dem Autoradio. Die Zeiger standen auf 4:30 Uhr. Ich wollte mit der Rechten den Vorhang endgültig beiseite ziehen, aber ich erstarrte mitten in der Bewegung.

Johnson hatte auf einmal einen großen, schweren Armeecolt in der Hand. Die Mündung war ein finster gähnendes, großes Loch.

»Das ist ein 45er«, sagte er unnötigerweise. »Wenn du auch nur mit einem Ohr wackelst, bleibt von deinem Schädel nicht mehr viel übrig.«

Er hatte den Finger viel zu hart am Abzug, der Sattelschlepper rumpelte beim Fahren sowieso, und wenn es jetzt nur ein einziges, verdammtes Schlagloch auf der Strecke gab, war es passiert.

***

Es war halb fünf in dieser Nacht, als der Patrolman George Kossack die Revierwache betrat. Er spielte lässig mit seinem Knüppel, während er sich mit der anderen Hand die Schirmmütze ins Genick schob und auf das Pult des Desk Sergeants zutrat.

Das Pult stand auf einem Podium, zu dem drei Stufen hinaufführten, und jeder andere Cop hätte zum Sergeant hochblicken müssen. Aber Kossack war ein Bulle von knapp sechseinhalb Fuß, und es machte ihm jedes Mal Spaß, dem wachhabenden Sergeant zu zeigen, dass die herkömmlichen Möbelgrößen nicht für Leute seines Schlages berechnet waren.

Der Sergeant dieser Nachtschicht hieß Day Bewin. Er war länger bei der Polizei als irgendjemand sonst in der Stadt. Niemand hatte ihn je anders als mürrisch erlebt.

»Schon wieder da?«, knurrte er, als er Kossack sah.

Der Riese vor dem Pult nickte. »Klar, Sarge. Meine Runde ist rum. Aber wenn Sie wollen, gehe ich sie auch zweimal hintereinander ab. Mir macht das nichts aus.«

Nein, dachte der Sergeant. Dem Kerl macht nie etwas was aus. Der würde auch jede Nacht zwanzig Meilen herunterstrampeln und kein einziges Mal murren, dass man so eine Tour besser mit einem Streifenwagen machen sollte. Dieser Kossack wird uns eines Tages noch vor lauter Energie explodieren.

»Und was mache ich jetzt?«, fragte Kossack mit der entwaffnenden Unschuld seiner zweiundzwanzig Jahre.

Sergeant Bewin schloss die Augen und atmete tief ein. »Ich trage die Uniform seit neununddreißig Jahren«, verkündete er kopfschüttelnd. »Aber es ist das erste Mal, dass mich ein lausiger Anfänger von einem Cop fragt, was er mit sich anfangen soll. Wenn du nichts zu tun hast, dann sei froh und lies Zeitung, löse Kreuzworträtsel oder rufe meinetwegen deine Großmutter an!«

»Wenn das Gespräch auf Revierkosten geht«, sagte Kossack.

»Halt den Mund!«, fauchte der Sergeant und legte rasch die Hand aufs Telefon. »Du wärst imstande, es zu versuchen.«

Kossack zuckte mit den Schultern. Er sah hinüber zur Wanduhr über der Eingangstür.

»Noch dreieinhalb Stunden bis zum Schichtwechsel«, seufzte er. »Jetzt bin ich seit vier Monaten bei der Polizei, aber richtig was erlebt habe ich immer noch nicht. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich besser zur Marine-Infanterie gegangen.«

»Dich hat uns der liebe Gott im Zorn geschickt«, erklärte Bewin im Brustton der Überzeugung. »Sag mal: Schluckst du irgendwelche Pillen oder so was?«

»Nein. Wieso?«

»Dieser ungeheure Tatendrang! Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.«

Kossack fasste es als Kompliment auf. Er strahlte über sein breites, offenes Jungengesicht.

»Finden Sie, dass ich genug Aktivität entwickle, Sarge?«, fragte er naiv. »Wissen Sie, ich möchte ungern für träge gehalten werden. Wenn man von der Öffentlichkeit bezahlt wird wie wir Cops, dann sollte man, stets sein Bestes geben.«

Bewin starrte ihn mit offenem Mund an. Aber nein, das war keine Ironie gewesen, kein Spott, der Kerl meinte das tatsächlich Wort für Wort so, wie er es gesagt hatte. Schon wollte er etwas Sarkastisches erwidern, da klingelte das Telefon auf dem Schreibtisch des Sergeants. Bewin griff nach dem Hörer.

»Polizei«, sagte er knapp. »Sergeant Bewin. … Ah, guten Morgen, Mister Laurence. Irgendwas nicht in Ordnung? … Oh, das tut mir leid. Selbstverständlich kann er mal bei Ihnen reinschauen. Aber ja. Sofort. Soll er einen Arzt mitbringen? … Sind Sie ganz sicher, dass Sie keinen Arzt brauchen? … Gut. Wie Sie meinen. Ich schicke ihn sofort los. Gute Besserung, Mister Laurence!«

»Laurence?«, fragte Kossack bereits, bevor Bewin aufgelegt hatte. »Etwa mein Onkel?«

»Ja«, bestätigte der Sergeant. »Er fühlt sich nicht wohl. Es ist vielleicht besser, wenn du gleich mal nach ihm siehst. Natürlich will der alte Dickschädel nichts von einem Arzt hören. Sieh ihn dir an, und dann ruf Doc Laine, wenn du es für nötig hältst!«

»Klar, Sarge.« Kossack zögerte.

»Ist noch was?«, fragte der Sergeant.

»Na ja«, brummte Kossack unschlüssig. »Eigentlich bin ich jetzt im Dienst, nicht wahr, und da kann ich doch nicht einfach …«

»Sieh zu, dass du rauskommst!«, knurrte Bewin und verdrehte die Augen. »Es tut mir ja furchtbar leid, dass ich dich so enttäuschen muss, aber für eine Stunde wird der Laden hier auch ohne dich auskommen können. Also hau ab! Und ruf mich an, wenn du außer dem Arzt sonst irgendwas brauchst!«

»Ja, Sarge«, rief Kossack dienstlich, rückte die Mütze zurecht und polterte hinaus.

Durch die schwingenden Türflügel hörte Bewin, wie sich Kossacks wuchtige Schritte im Dauerlauf entfernten. Aufatmend lehnte sich der Sergeant in seinem Drehsessel zurück. Hurra, dachte er, diesen Energieklumpen bin ich erst mal los.

***

Unterdessen trabte Kossack durch die nächtlich verlassenen Straßen. Onkel Tony, dachte er. Lieber Himmel, es wird ihm doch nichts Ernstliches zugestoßen sein?

Tony Laurence war vierundsiebzig, aber das hieß bei ihm gar nichts. Er ging immer noch so kerzengerade wie ein Zwanzigjähriger, und nach allem, was man von ihm sah, musste man ihn für kerngesund und verdammt zäh halten.

Das ging George Kossack flüchtig durch den Kopf, während er im Laufschritt vom Revier durch die Straßen von Hossville hastete. Die Earson Inc. lag im Westen der Stadt auf einem Gebiet, zu dem nur zwei brauchbare Autostraßen führten. Außerdem aber gab es eine Anzahl von Fußwegen und schmalen Vorderstraßen. Kossack kannte sich aus und nahm den kürzesten Weg. Ein wenig atemlos erreichte er schließlich das große, zweiflügelige Metalltor, das den Zugang zur Earson Inc. versperrte.

Der Polizist stemmte die Arme in die Seiten, verschnaufte und sah sich um. Er war noch nie in der Nacht hier gewesen und hatte keine Ahnung, wie er sich bemerkbar machen sollte. Schließlich nahm er seine Taschenlampe und leuchtete erst den rechten, dann den linken Torpfeiler ab. Dort fand er einen Klingelknopf und drückte ihn dreimal kurz hintereinander.

Hinter dem Tor begann eine Fahrstraße, die quer durch das weitläufige Firmengelände lief. Rechts und links erstreckten sich lange Lagerhallen, Speicher, Verwaltungsgebäude, und Verpackungsbetriebe. Hoch über alles andere erhob sich der vierzehnstöckige Turm, der aus der Hauptverwaltung emporwuchs wie ein gewaltiger Finger aus Beton, Glas und Aluminium.

Die letzte Etage dieses Turms war eine Ganzglas-Rundsichtkabine, in der sich der Nachwächter aufhielt, wenn er nicht gerade einen seiner Kontrollgänge machte. Von dort oben musste Tony Laurence herunterkommen, um das Tor aufzuschließen, und Kossack richtete sich auf eine gewisse Wartezeit ein, die sein Onkel für den langen Weg brauchen würde.

Als aber zehn Minuten vergangen waren, ohne dass sich etwas rührte, klingelte Kossack erneut. Nach weiteren fünf Minuten ein drittes Mal. Ungeduldig lief er vor dem Tor auf und ab. Der alte Mann kam nicht. Schließlich wurde dem Polizisten bewusst, dass seit dem Anruf im Revier eine halbe Stunde vergangen war.

Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, zuerst den Sergeant zu verständigen, aber dann gab er den Plan auf.

Die nächste Polizeirufsäule lag ein Stück entfernt. Es hätte ihn noch mehr Zeit gekostet. Kossack trat ein paar Schritte zurück, nahm Anlauf und sprang am Tor in die Höhe. Erst beim zweiten Versuch gelang es ihm, mit den ausgestreckten Händen auf die obere Kante zu kommen.

Er zog sich mit einem Klimmzug hoch, schwang sich über den Torflügel und ließ sich auf der anderen Seite hinabgleiten. Der harte Aufprall seiner Stiefelsohlen hallte laut wie ein Schuss durch die lastende Stille.

Das gesamte Gelände lag im Dunkeln. Nur ganz oben auf dem Turm brannte die große rote Reklame, und darunter leuchteten gelb die Fenster der Rundsichtkabine.

Kossack machte sich auf den Weg. Irgendwas muss passiert sein, dachte er besorgt. Es ist nicht Tonys Art, um Hilfe zu telefonieren. Da muss es ihm schon ziemlich dreckig gegangen sein. Ich Trottel hätte gleich über das Tor klettern sollen, statt zwanzig Minuten herumzustehen, zu klingeln und zu warten. Er mag noch so ein zäher Bursche sein, immerhin ist er vierundsiebzig.

Keuchend erreichte der Patrolman das dreistöckige Gebäude der Hauptverwaltung. Die gläserne Eingangsfront war erleuchtet – und allein das war nicht in Ordnung.

Es gab ein halbes Dutzend gläserner Schwingtüren in einer Reihe, und Kossack probierte sie alle. Wie es das Pech wollte, war es die letzte, die er unverschlossen vorfand. Er drückte sie auf und ging hinein. Seine hellblauen Augen blickten aufmerksam umher.

Leer und ausgestorben lag die große Halle vor ihm, blitzblank von den Putzkommandos am gestrigen Abend zurückgelassen. Bis auf eine Kleinigkeit. Kossack trat näher. Seine Schritte hallten wider. Er beugte sich vor.

»Verdammt«, sagte er plötzlich und kniete nieder.

Vor ihm lag die leere Geschosshülse einer abgefeuerten Pistolenkugel.

2

»Stecken Sie das verdammte Ding weg!«, sagte ich. »Wenn sich ein Schuss löst, Johnson, und wenn die Kugel zufällig Collins trifft, dass der Wagen von der Straße abkommt, brechen Sie Ihr Genick so gut wie ich meins.«

»Das könnte dir so passen, Bruder«, knurrte er. »Ihr Lumpen habt zwei Fahrer von unserer Firma umgelegt, als ihr den Wagen bei der letzten Tour nach Chicago überfallen habt. Jetzt habe ich die Chance, die Mörder auf den elektrischen Stuhl zu bringen. Tim wird bei der nächsten Stadt abbiegen und zur Polizeiwache fahren. Solange wirst du friedlich in die Mündung gucken. Und sollten deine Kumpel vorher aufkreuzen, bist du der Erste, der dran glauben muss!«

Ich war wirklich in einer hübschen Situation. Da lag ich zusammen mit Phil in dieser Sardinenbüchse, die sich Schlafkoje nannte, und Johnson dachte nicht daran, den verdammten Armeecolt wegzulegen. Dabei rumpelte der Sattelschlepper über die Straße, als ob er gerade eine Schlaglöcher-Versuchsstrecke hinter sich zu bringen hätte.

»Sie brauchen an der nächsten Ausfahrt nicht abzubiegen, Collins«, sagte ich, »ich bin selbst von der Polizei. Und mein Kollege auch.«

»Was für ein Kollege?«, fragte Johnson.

»Der, der neben mir liegt. Sehen Sie nach!«

»Sie können mich nicht reinlegen, da passen keine zwei Mann rein!«

»Ich bin völlig Ihrer Meinung«, seufzte ich. »Nur liegen wir nun mal zu zweit drin. Und jetzt werden Sie vernünftig, Johnson! Ich bin ein Agent vom New Yorker FBI District. Mein Name ist Cotton. Mein Kollege heißt Decker. Und wir sind an Bord, weil wir mit einem Überfall auf diesen Transport rechnen. Wir wollen die Täter auf frischer Tat ertappen. Vielleicht haben Sie schon mal davon gehört, dass die Polizei für so was bezahlt wird.«

»Sie und ein Agent«, höhnte er. »Hast du das gehört, Tim?«

Der Fahrer grunzte etwas Verächtliches. Ich versuchte, Johnson dazu zu überreden, mich in die Tasche greifen zu lassen, aber er blieb stur.

»Wenn Sie sich rühren, kracht’s!«, kündigte er an.

Phil hatte den richtigen Einfall. Urplötzlich hörte ich von meinen Füßen her die Stimme meines Freundes.

»Achtung, Achtung! Hier spricht Decker. Steve, bitte melden! Bitte melden!«

Johnsons Gesicht spiegelte Überraschung wider. Sein Mund klappte vollends auf, als aus dem Walkie-Talkie, das Phil eingeschaltet hatte, die ferne Stimme unseres Kollegen Steve Dillaggio drang.

»Hier ist Steve«, sagte er. »Was ist los, Phil? Rechnet ihr schon mit dem Überfall?«

»Nein«, erwiderte Phil. »Im Augenblick sind wir die Überfallenen. Wir liegen eingequetscht in der Schlafkabine im Führerhaus, wir können uns kaum rühren, und der Beifahrer bedroht uns mit einem Revolver. Er will uns nicht glauben, dass wir Agents sind. Kommt näher, stoppt den Wagen und zeigt den Jungs eure Ausweise, sonst fällt unser ganzer Plan ins Wasser.«

Steves Antwort triefte geradezu von Spott. »Ihr seid mir richtige Agents! Wenn ihr nicht mal mit einem Beifahrer fertig werden könnt, was soll das erst geben, wenn die Burschen auftauchen, die den letzten Transport überfallen haben?«

»Rutsch mir den Buckel runter!«, knurrte Phil.

Unterdessen hatte Johnson mit gespanntem Gesicht der Unterhaltung zugehört.

»Ziehen Sie ganz langsam den Vorhang auf!«, befahl er jetzt. »Aber keine Tricks!«

Angesichts eines 45ers wird höchstens ein Selbstmörder Tricks probieren. Ich dachte nicht daran. Johnson reckte den Kopf, bis er hinter mir Phils Gestalt wahrnehmen konnte.

»Es ist nicht zu glauben, Tim«, brummte er. »Da liegen wirklich zwei drin. Sie müssen doch einen Dienstausweis haben, wenn Sie wirklich ein Agent sind. Bewegen Sie sich aber hübsch langsam, Freundchen! Für mich ist noch gar nichts bewiesen.«

Fünf Sekunden später war es bewiesen. Johnson steckte seinen Colt weg. Phil gab Steve Bescheid, dass wir sie nicht mehr brauchten, und rekelte sich allein in der Koje, während ich vorn zwischen Collins und Johnson Platz nahm.

»Warum seid ihr heimlich in den Wagen gekrochen?«, brummte Collins. »Warum habt ihr uns nicht Bescheid gesagt?«

»Jemand aus eurer Firma muss mit den Tätern des letzten Überfalls unter einer Decke stecken«, erklärte ich wahrheitsgetreu. »Woher sollen wir wissen, dass es nicht jemand von euch beiden ist? Oder gar ihr beide? Hätten wir euch gestern Abend davon unterrichtet, dass das FBI eine Falle aufbauen will, hättet ihr eure Kumpel rechtzeitig warnen können.«

»Das ist ein starkes Stück«, fauchte Collins beleidigt. »Ich fahre seit über zwanzig Jahren für die Firma.«

»Wir hatten mal einen, der war sechsunddreißig Jahre lang ein treuer und ehrlicher Buchhalter, bevor er einen Griff in die Kasse tat«, erwiderte ich. »Tut mir leid, Collins. Das war nicht persönlich gemeint. Aber wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, wenn wir uns bei unserer Arbeit nicht laufend aufs Kreuz legen lassen wollen.«

»Der G-man hat recht, Tim«, ließ sich Johnson vernehmen. »Ich habe die ganze Zeit darüber nachgedacht. Beim letzten Transport war die genaue Fahrtroute am Tag vor der Abfahrt nicht ganz klar. Erst ein paar Stunden vor dem Start kam eine Ladung für Rutherford hinzu, sodass die Jungs eine ganz andere Strecke als sonst fahren mussten. Trotzdem wussten die Gangster, wo sie sie abpassen konnten. Irgendjemand von uns hält nicht dicht, das ist amtlich.«

»Wieso kommen Sie auf den Gedanken, dass wir diesmal an der Reihe sein sollen?«, fragte Collins.

»Wir haben unsere Gründe«, sagte ich vage. »Fahren Sie auf den nächsten Parkplatz, Collins! Wir lösen uns ab. Ich übernehme das Steuer, mein Freund spielt den Beifahrer. Ihr beide werdet euch wohl oder übel in die Koje zwängen müssen.«

Natürlich waren die beiden nicht darüber erbaut, nun selbst zu zweit in die Sardinenbüchse zu tauchen, aber es blieb ihnen nicht erspart.

Vorher erklärte Phil Johnson die Handhabung des Funksprechgeräts. »Sobald ich es sage, schalten Sie das Gerät ein, indem Sie diese Taste drücken. Die Antenne lassen Sie gleich draußen. Ein Wagen mit vier Agents folgt uns in einem Abstand von drei bis sechs Meilen. Sobald sie hören, dass es bei uns so weit ist, kommen sie.«

»Warum sind sie nicht näher?«, wollte Collins wissen. »Drei bis sechs Meilen, das ist eine ganz schöne Entfernung.«

»Es könnte auffallen, wenn sie diesem Wagen zu dicht aufgeschlossen folgen. Erst muss der Köder wirken, bevor man die Falle zuschnappen lassen kann. Die Kollegen haben einen guten Wagen und werden nur ein paar Minuten brauchen. So lange müssen wir die Gangster hinhalten.«

»Ihr riskiert euren Kopf«, brummte Collins. »Warum eigentlich?«

Phil grinste breit. »Wenn Gangster auftauchen, die sich einen Dreck um die Bundesgesetze kümmern, dann löst das bei uns eine Art Nervosität aus. Wir beruhigen uns erst wieder, wenn wir die Burschen haben. Und das kriegen wir auch noch bezahlt.«

Johnson lachte leise, wollte aber wissen, was die Bundesgesetze mit der ganzen Überfallgeschichte zu tun hätten.

Phil erklärte es ihm. »Wer Diebesgut im Wert von mindestens 5.000 Dollar über die Grenzen eines amerikanischen Bundesstaates transportiert, verstößt gegen ein Bundesgesetz. Dafür ist das FBI zuständig.«

»Das war mir neu«, gab Johnson zu.

»Da sieht man, dass Sie kein richtiger Gangster sind«, meinte ich. »Gangster kennen sich in solchen Sachen aus.«

Nachdem Phil und ich eigens für diese Aufgabe in einer New Yorker Fahrschule einen halben Tag lang mit einem Riesenbiest von Truck Fahren geübt hatten, fiel es mir nicht allzu schwer, mit dem Sattelschlepper fertigzuwerden. Umso mehr, als wir uns ja auf einem der breiten Highways befanden, wo es weder Ampeln noch Kreuzungen oder enge Kurven gab. Allerdings war es ein seltsames Gefühl, verglichen mit meinem niedrig gebauten Jaguar, jetzt plötzlich so hoch über dem Straßenniveau zu sitzen.

Nach einer Weile stöhnte Johnson aus der Schlafkoje. »Sagen Sie mal, wie lange müssen wir denn hier drin liegen bleiben?«

Mir fiel ein, wie schön es gewesen war, als Phil und ich in der Sardinenbüchse eingepfercht waren.

»Bis die Burschen kommen und uns überfallen«, erwiderte ich.