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Pamela Nurvell, eine berühmte Ballerina, wurde vor meinen Augen ermordet. Und die Auftraggeber, die kurz darauf in ihrem Apartment auftauchten, hielten mich für ihren Killer und zahlten mich aus. Als ich auf Pamelas Schreibtisch ein Foto von Mr High mit einem Liebesgruß von ihm entdeckte, stritt er ab, die Frau persönlich gekannt zu haben. Und das konnte nur eines bedeuten: Die Tänzerin hatte gewusst, dass sie bald sterben würde!
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Seitenzahl: 202
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Blutiges Pflaster
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Devil Winds«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4716-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Blutiges Pflaster
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Sie war tot.
Ich stand eine ganze Weile da und starrte die Frau an. Das hässliche kleine Loch mit den schwarzen Pulverrändern befand sich genau in der Höhe ihres Herzens.
Ich wusste nicht viel von ihr: dass sie Pamela Nurvell hieß und Tänzerin gewesen war. Vor etwa zwei Monaten hatte sie begonnen, die Stadt im Sturm zu erobern. Jetzt war sie ein Opfer dieser Stadt geworden.
Ich fühlte mich elend. Pamela Nurvell sah selbst im Tod noch schön aus. Sie war berühmt gewesen und hatte mit ihrer Kunst, ihrem Charme und ihrer Persönlichkeit jedermann nur Sympathie und Bewunderung abgenötigt.
Ausgenommen ihrem Mörder.
Ich gab mir einen Ruck, trat ans Telefon, nahm den Hörer ab und wählte die Nummer der Mordkommission. Dabei hatte ich einen bitteren Geschmack im Mund. Es passierte viel zu häufig, dass ich diese Nummer wählen musste.
»Legen Sie den Hörer aus der Hand!«, kommandierte eine scharfe männliche Stimme hinter mir.
Ich ließ die Hand sinken und wirbelte herum.
Der Mann, zu dem die Stimme gehörte, stand auf der Türschwelle. Er war mittelgroß und etwa fünfunddreißig Jahre alt. Seine hellwachen, misstrauischen Augen beherrschten ein osteuropäisch anmutendes Gesicht mit hervorstehenden Jochbeinen und vollen Lippen. In der rechten Hand hielt er eine großkalibrige Pistole, die aussah, als sei sie für Elefantenjagden bestimmt.
Der Mann war nicht allein. Neben ihm stand ein elegant gekleideter Mittfünfziger. Er trug einen dunklen Abendanzug, in dessen Revers eine rote Nelke steckte. Auch er war gut gekleidet. Sein Anzug aus mattschimmerndem Mohair hatte den typischen Fifth Avenue Look.
Ich konnte mich nicht erinnern, jemals elegantere Gangster gesehen zu haben.
Der Mann mit der Elefantenbüchse im Taschenformat zog hörbar die Luft durch die Nase.
»Wo wollen Sie das Zeug denn einpacken?«, fragte er mich. »Haben Sie keine Tasche mitgebracht?«
Ich starrte ihn an. Offenbar verwechselte er mich mit jemandem.
»Wen wollten Sie übrigens anrufen?«, erkundigte sich der Mann im dunklen Abendanzug. Er lächelte dabei und entblößte ein vorzüglich gearbeitetes Gebiss von künstlicher Weiße.
Ich schwieg, weil ich hoffte, dass die Männer durch ein paar weitere Worte die Situation erhellen würden, aber sie taten mir den Gefallen nicht. Der dunkle Abendanzug trat vor, ließ sich neben der Tänzerin auf die Knie fallen und hielt einen Taschenspiegel an Pamela Nurvells leicht geöffnete Lippen.
»Gute Arbeit«, lobte er.
Er erhob sich mit dem zufriedenen Gesichtsausdruck eines Mannes, der soeben ein handwerkliches Meisterstück hatte begutachten dürfen. Dann verschwand er in der Diele und kam Sekunden später mit einem eleganten schwarzen Handkoffer zurück.
Er stieg über die Tote hinweg und trat an den niedrigen Couchtisch. Ich beobachtete schweigend, wie er den Koffer öffnete. Er zögerte, dann kippte er den Inhalt auf die Tischplatte.
»Stimmt genau«, sagte er und wies mit seiner behandschuhten Rechten auf den Geldberg. »Wollen Sie nachzählen?«
Meine Augen wurden groß. Ich sah, dass es sich ausschließlich um gebündelte 5- und 10-Dollarnoten handelte, meiner Schätzung nach waren es mindestens 10.000 Dollar.
Ich schwieg immer noch. Ich hatte meinen Dienstrevolver nicht bei mir. Angesichts der großkalibrigen Artillerie, die der Mann an der Tür auf mich gerichtet hielt, war es sicherlich das Klügste, in meiner passiven Rolle zu verharren.
»Ein schweigsamer Gentleman, unser Killer«, sagte der Mann im Abendanzug lächelnd. Er schloss den Koffer und zog sich zur Tür zurück.
Aus irgendeinem Grund hielten sie mich für den Mörder der Frau. Die 10.000 Dollar sollten meine Bezahlung sein.
»Wohin werden Sie Pamela bringen?«, erkundigte sich der Mann.
»Ins Leichenschauhaus«, sagte ich.
Die beiden lachten.
Ich verspürte das brennende Verlangen, ihnen diese boshafte Heiterkeit mit ein paar gezielten Boxhieben auszutreiben, aber diesem Wunsch standen einige Vernunftgründe entgegen.
Sollten sie mich ruhig für den Mörder halten!
Ich hatte mir ihre Gesichter eingeprägt. Ich wusste, dass ich sie wiederfinden würde, wo immer sie auch lebten und wer immer sie waren.
Der jüngere Mann mit der Pistole grinste. »Würden Sie mir bitte folgen?« Er zog sich in die Diele zurück.
Zögernd verließ ich das Zimmer. Der andere Gangster hatte die Tür zum Bad geöffnet.
»Wir möchten Ihre Neugierde nicht über Gebühr erregen«, sagte der Jüngere spöttisch. »Damit Sie nicht auf die Idee verfallen, uns nachzufahren, sperren wir Sie ins Bad. Sie werden keine Mühe haben, sich in wenigen Minuten zu befreien. Die Zeit genügt uns, den notwendigen Vorsprung zu gewinnen.«
Ich betrat das Bad. Sie schlossen hinter mir ab. Kurz darauf fiel die Wohnungstür ins Schloss. Ich trat sofort gegen die Tür. Das Holz ächzte, krachte und splitterte, aber ich brauchte eine volle Minute, ehe ich in die Diele schoss. Ich rappelte mich hoch und betrat das Wohnzimmer. Natürlich waren die beiden Gangster längst über alle Berge.
Das Geld lag nach wie vor auf dem Tisch.
Ich schaute mich im Zimmer um. Das Fenster stand offen. Die Gardine bauschte sich träge im Nachtwind. Es war kurz vor Mitternacht.
Ich nahm den Telefonhörer ab und wählte zum zweiten Mal die Nummer der Mordkommission.
Und ich kam zum zweiten Mal nicht dazu, mit dem Lieutenant vom Dienst zu sprechen.
***
Ich spürte hinter mir einen Luftzug und achtete kaum darauf, weil ich dem geöffneten Fenster die Schuld gab. Aber dann war da plötzlich etwas anderes, das fast greifbare Empfinden einer nahenden Gefahr. Ich drehte den Kopf in dem Augenblick herum, als sich der Teilnehmer meldete.
Den Mann mit dem grünen Schal vor dem Gesicht sah ich nur flüchtig. Etwas kam auf mich zu, blitzschnell und brutal. Ich versuchte, mich zur Seite zu werfen, aber der Maskierte schien meine Reaktion vorausberechnet zu haben. Er traf mich voll auf die Schläfe.
Der Hörer entglitt meiner Hand.
Ich sackte zusammen und merkte, dass mir die Sinne schwanden. Noch ehe ich ohnmächtig war, erwischte mich ein zweiter Treffer am Kopf, hart, gezielt und hochwirksam. Mein Bewusstsein schaltete ab.
Als es sich zaghaft wieder meldete, streckte ich benommen und mit noch geschlossenen Augen die Hand aus. Sie zuckte zurück, als sie den kalten Körper der Toten berührte. Ich war sofort hellwach und wusste, was passiert war und wo ich mich befand. Ich stand auf. Das Geld war verschwunden und mit ihm der Mann, dem ich die Kopftreffer verdankte. Mein Schädel brummte.
Es war trotz dieses Handikaps nicht schwer, die Zusammenhänge zu begreifen.
Der Mann mit der grünen Maske war Pamela Nurvells Mörder. Mein überraschendes Auftauchen in der Wohnung hatte ihn zunächst verscheucht. Er hatte sich auf dem Balkon versteckt, weil er auf die Auftraggeber mit dem Geld warten musste. Als sie eingetroffen waren, hatte der Unbekannte beobachtet, wie sich die Dinge zwischen den beiden Männern und mir entwickelten. Der Mörder war dann durchs Fenster ins Zimmer gekommen, als ich am Telefon gestanden und ihm den Rücken zugekehrt hatte.
Ich näherte mich abermals dem Apparat. Als ich die Hand ausstreckte, um endlich die Mordkommission zu verständigen, fiel mein Arm zum dritten Mal zurück.
***
Ich stand wie erstarrt. Mein Blick hatte die vielen gerahmten Fotos erfasst, die auf dem Schreibtisch standen. Ich glaubte zu träumen. Dann trat ich näher.
In der Mitte der Bildersammlung stand, als hätte es dort einen zentralen Ehrenplatz, das silbergerahmte Foto meines Chefs High!
Mir war bekannt, dass er Theater und Ballett liebte, aber ich erfuhr zum ersten Mal, dass sich diese Begeisterung auch persönlich auf die Künstler erstreckte. Die Widmung auf dem Bild stammte fraglos von Mr Highs Hand: Für siebenunddreißig unvergessliche Stunden. In Liebe John D. IX. 66.
Das haute mich um. Im nächsten Moment wusste ich jedoch, dass mit dem Bild etwas nicht stimmen konnte. Irgendetwas war faul daran. Oberfaul sogar.
Da war zunächst einmal das Foto. Soviel ich wusste, war Mr High seit Jahren nicht mehr bei einem Fotografen gewesen. Ich zog das Bild aus dem Rahmen. Auf der Rückseite fand sich ein ovaler Gummistempel des Fotografen. James Caldwell, Fotoatelier, New York, N. Y. Fulton Street 17.
Ich wurde unsicher. Es war ein Brustbild meines Chefs. Es zeigte seine unverwechselbaren Augen, deren durchdringende Klarheit sich so leicht aus menschlicher Anteilnahme in harte berufliche Entschlossenheit verwandeln konnte. Es zeigte das dünne, für ihn so typische Lächeln und die scharfen Kerben an seinen Mundwinkeln: deutliche Spuren vieler schwerer, von lastender Verantwortung geprägter Stunden.
Mr High sollte mit Pamela Nurvell befreundet gewesen sein?
Warum eigentlich nicht? Die Frau war schön, begabt und kultiviert gewesen.
Gewesen! Mich fröstelte es. Ich schob das Bild in den Rahmen zurück.
Was war es, was mir daran nicht gefiel?
Das Foto hatte etwas Amateurhaftes. Es wirkte wie die schlecht gemachte Vergrößerung eines Laien. Es fehlte ihm an Schärfe und professionellem Schliff. Ich vermisste vor allem die üblichen Lichteffekte, auf die kein Fotoatelier verzichtete.
Ich wählte abermals die Nummer der Mordkommission. Eine halbe Minute später sprach ich mit Lieutenant French vom Morddezernat. Ich sagte ihm, wo ich mich befand und wen ich gefunden hatte. Dann legte ich auf. Anschließend wählte ich Mr Highs Nummer. Als ich den Finger aus der Wählscheibe zog, schlug die antike Bronzeuhr auf dem Kaminsims die zwölfte Stunde.
»High«, ertönte es sonor am anderen Ende der Leitung.
»Cotton«, meldete ich mich. »Ich habe schlechte Nachrichten für Sie, Sir.«
Mr High schwieg.
Es kostete mich eine Überwindung fortzufahren. »Sir … Miss Nurvell … ist erschossen worden! Es tut mir leid, Ihnen eine so schreckliche Nachricht überbringen zu müssen. Sie waren mit der Toten befreundet … Es tut mir leid, Sir.«
»Pamela Nurvell, die Tänzerin?«, fragte der Chef. Seine Stimme klang eher erstaunt als erschüttert.
»Ja. Ich habe sie in ihrer Wohnung gefunden. Miss Nurvell rief mich vor etwa einer Stunde zu Hause an. Sie bat mich um einen Besuch. Ich fragte, ob sie sich nicht lieber an das zuständige Polizeirevier wenden wolle. Sie verneinte. Offen gestanden nahm ich das Ganze nicht sehr ernst … Trotz der Angst, die in ihrer Stimme bebte. Künstler haben zuweilen seltsame Anwandlungen. Das dachte ich jedenfalls. Trotzdem fuhr ich sofort zu ihr. Die Wohnungstür stand offen. Ich klingelte einige Male, dann trat ich ein. Ich entdeckte die Tote auf dem Teppich im Wohnzimmer …«
»Sie sind sicher, dass es Pamela Nurvell ist?«
»Natürlich muss sie erst identifiziert werden. Aber das Aussehen der Toten deckt sich mit den Bildern, die ich von ihr gesehen habe.«
»Warum behaupten Sie, dass Miss Nurvell mit mir befreundet gewesen sei?«, wollte Mr High wissen.
»Ich fand auf Miss Nurvells Schreibsekretär Ihr Foto mit Ihrer Widmung.«
»Mein Foto? Mit meiner Widmung?«
»Ja, Sir.«
Ein paar Sekunden lang war es am anderen Ende der Leitung völlig still. Ich hätte viel darum gegeben, in diesem Moment Mr Highs Gedanken lesen zu können.
Dann sagte er ruhig: »Wenn ich nicht wüsste, mit wem ich spreche, würde ich jetzt an einen billigen, geschmacklosen Scherz glauben. Ich kenne Miss Nurvell vom Theater und halte sie für eine bedeutende Künstlerin. Privat habe ich sie niemals gesehen oder gesprochen.«
Ich war erleichtert, ohne recht sagen zu können, weshalb. Im Grunde wurde damit aber alles komplizierter.
»Und das Bild mit der Widmung?«, fragte ich und las ihm vor, was auf dem Foto stand.
»Fantastisch«, meinte Mr High. »Sie kennen doch meine Schrift, Jerry.«
»Es ist Ihre Schrift, Sir!«
»Unsinn. Eine solche Formulierung würde mir niemals einfallen. So etwas würde ich niemals sagen oder schreiben. Es handelt sich eindeutig um eine Fälschung. Das steht fest. Ich frage mich nur, welchen Sinn diese Fälschung haben könnte.«
»Sind Sie jemals bei einem Fotografen in der Fulton Street gewesen, Sir?«
»Nein. Gibt es dort überhaupt Fotoateliers?«, fragte Mr High.
»Moment, bitte, Sir.« Ich durchblätterte rasch das Telefonbuch. Der Name Caldwell war Legion, aber es gab keinen James Caldwell darunter, der in der Fulton Street als Fotograf tätig war. Ich sagte Mr High, was ich festgestellt hatte.
»Es gibt nur eine Erklärung für die Existenz des Bildes«, meinte Mr High nach kurzem Nachdenken. »Die Frau fühlte sich bedroht. Sie muss gewusst oder gefürchtet haben, was sie erwartete. Das Foto ist als Hinweis für uns gedacht, als eine Botschaft, ein Fingerzeig …«
»Die Widmung ergibt keinen Sinn. Wir könnten das Foto im Labor untersuchen lassen. Vielleicht findet sich da etwas, was weiß ich, eine geheime Eintragung oder Ähnliches.«
»Natürlich, Jerry, wir werden uns um den Fall kümmern. Das Bild lässt uns keine andere Wahl. Woher hatte die Tänzerin übrigens Ihre Telefonnummer? Sie steht nicht im Telefonbuch.«
»Ich wollte Miss Nurvell persönlich fragen, aber dazu hatte ich leider keine Gelegenheit mehr. Wann sind Sie nach Hause gekommen, Sir?«
»Vor rund zwanzig Minuten. Warum?«
»Ich halte es für denkbar, dass die Frau zuerst Sie zu erreichen versuchte. Als sie das nicht schaffte, rief sie mich an.«
»Da gibt es für Sie eine harte Nuss zu knacken, Jerry!«, sagte Mr High.
Ich lächelte. »Es ist nun mal meine Aufgabe, der Nussknacker vom Dienst zu sein.«
2
»Wir werden verfolgt!«, zischte Hugh Leicester und stellte den Spiegel am Armaturenbrett nach. »Kannst du nicht schneller fahren?« Leicester war der Mann im dunklen Abendanzug, der mit dem weißen Gebiss.
»Quatsch«, meinte Bud Mansfield, sein Komplize, der den sandfarbenen Plymouth umsichtig durch den Verkehr steuerte. »Du bist nervös, Hugh. Der Kerl fährt wahrscheinlich rein zufällig in dieselbe Richtung.«
»Es ist kein Kerl«, sagte Leicester. »Es ist eine Frau. Die Puppe sitzt allein in ihrem Wagen.«
Mansfield lachte plötzlich leise.
»Was ist daran so lustig?«, fragte Leicester.
»Ich glaube zu wissen, wer sie ist«, meinte Mansfield. »Denk doch mal nach! Es kann nur die Biene unseres Killers sein. Wetten? Er möchte rausfinden, wer wir sind. 15.000 Dollar hat er von uns kassiert. Leute seines Schlags kriegen den Hals niemals voll. Vielleicht denkt er an eine kleine Erpressung. Um nicht aufzufallen, hat er seine Freundin damit beauftragt, unsere Namen und Adressen ausfindig zu machen.«
»Wir müssen sie abschütteln.«
»Einverstanden«, nickte Mansfield. »Aber ich kann nicht schneller fahren. Der Plymouth ist gestohlen. Wir können nicht riskieren, wegen überhöhter Geschwindigkeit von der Polizei gestoppt zu werden. Wenn das passiert, sind wir geliefert.«
Leicester nahm die rote Nelke aus dem Revers seines Anzugs und roch daran. »Wenn die Frau rauskriegt, wer wir sind und für wen wir arbeiten, sind wir ebenfalls geliefert.«
»Was schlägst du vor?«
»Wir müssen sie abhängen, so oder so«, sagte Leicester und schob die Nelke zurück ins Knopfloch. »Für einen solchen Fall hat uns der Professor ganz klare Instruktionen erteilt, nicht wahr?«
Mansfield nickte düster. »Ich weiß, aber sie gefallen mir nicht. Ich habe nichts gegen Mord … Vorausgesetzt, dass diese schmutzige Arbeit von einem anderen erledigt wird.«
»Wir brauchen die Kleine nicht gleich umzubringen«, sagte Leicester mürrisch. Er starrte unablässig in den Rückspiegel. »Ich kann ihr Gesicht nicht erkennen. Es liegt im Schatten.«
»Wie willst du sie dann zum Schweigen bringen?«, fragte Mansfield.
Leicester zuckte mit den Schultern. »Das wird sich zeigen. Wir müssen sie in eine Falle locken, um von ihr zu erfahren, ob sie tatsächlich die Freundin des Killers ist oder ob sie für einen anderen arbeitet.«
»Ich hab eine Idee«, sagte Mansfield. »Ganz in der Nähe kenne ich ein Lokal, das einen Hinterausgang hat. Das ist die Lösung.«
»Der Wirt kennt dich?«
»Klar. Er …« Mansfield unterbrach sich. »Ich verstehe«, sagte er dann resignierend. »Wir können es nicht gebrauchen, dass sich die Puppe beim Wirt nach uns erkundigt.«
»Genau«, meinte Leicester. »Jetzt sag ich dir, was wir mit der Kleinen machen …«
Kurz darauf lenkte Mansfield den Wagen in eine schmale, dunkle Seitenstraße. Der Verfolgungswagen, eine dunkelblaue Ford Limousine, nahm denselben Weg. Die Fahrerin hielt es allerdings für geboten, den Abstand beträchtlich zu vergrößern.
Mansfield entdeckte eine Parklücke. Er setzte den Plymouth im Rückwärtsgang hinein. Der Ford rollte mit mäßiger Geschwindigkeit an ihnen vorbei. Mansfield wandte den Kopf. Er sah, dass die Frau am Steuer weißblondes Haar und ein hübsches Profil hatte.
Leicester blickte auf der anderen Seite durch die Wagenfenster. Die Straße führte hauptsächlich zwischen Lager- und Bürohäusern hindurch. Etwa fünfzig Yards hinter den Gebäuden befand sich eine beleuchtete Großbaustelle. Die im Nachtwind schwankenden Lampen erhellten die Rohbauskelette hoher Stahlbetonbauten.
Mansfield kurbelte das Fenster hinunter und steckte den Kopf ins Freie. Nicht weit vor ihm leuchteten die roten Bremslichter des Ford auf.
»Aussteigen!«, befahl Leicester. »Aber sieh nicht zu der Frau hinüber!«
Sie stiegen aus. Leicester zündete sich eine Zigarette an. Er nahm sich Zeit dabei. Vergeblich wartete er auf das Klicken näherkommender Damenabsätze. Er hörte nur das monotone Rauschen des nahen Cityverkehrs.
»Wahrscheinlich trägt sie flache Schuhe mit Gummisohlen«, sagte Leicester mit gedämpfter Stimme.
Die Männer setzten sich in Bewegung und gingen auf die Baustelle zu. Dann überquerten sie die Straße. Als sie im Schutz eines abgestellten Lieferwagens waren, wagte Leicester einen Blick durch die Fenster des Autos. Er stellte fest, dass die Frau ihnen folgte. Sie blieb jedoch auf der anderen Straßenseite.
Die beiden Männer gingen weiter und erreichten ein hohes, düster wirkendes Bürogebäude. Die schmale Hofdurchfahrt war unverschlossen. Die Gangster huschten hinein und stoppten erst, als sie den unbeleuchteten Hof erreicht hatten. Die Lichtglocke, die über der großen Stadt lag, ließ sie die Einzelheiten ihrer Umgebung deutlich erkennen. An der Rückseite des Gebäudes befand sich eine überdachte Laderampe mit vielen Toren.
Die Fenster oberhalb des Rampendachs waren vergittert. In einer Ecke des Hofes parkten drei Sattelschlepper.
»Meinst du, die Kleine wäre so blöd, uns hierher zu folgen?«, fragte Mansfield.
Leicester peilte vorsichtig um die Ecke. Die hufeisenförmige Ausfahrt zeichnete sich klar vor dem Licht der Straßenlaternen ab. Die Frau war nicht zu sehen.
»Bleib hier!«, entschied Leicester. Er verließ den Hof und ging durch die Ausfahrt auf die Straße. Dort prallte er förmlich mit der Frau zusammen.
»Passen Sie doch auf!«, sagte sie ärgerlich. Sie hatte sich fabelhaft in der Gewalt.
Leicester blickte rasch die Straße hinauf und hinab. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Die Frau war bereits an ihm vorbeigegangen. Mit zwei Schritten war er bei ihr. Er packte sie am Arm und riss sie zu sich herum.
»Lassen Sie mich los!«, keuchte sie. »Loslassen, oder ich schreie!«
Leicester grinste. »Versuchen Sie’s doch! In dieser Straße hört Sie kein Mensch.«
Mansfield tauchte plötzlich auf. Er ergriff die Frau am anderen Arm. Sie wehrte sich verzweifelt, aber gegen die kräftigen Männer hatte sie keine Chance.
Entgegen ihrer Drohung verzichtete sie darauf, um Hilfe zu rufen. Die Männer zerrten und stießen sie durch die Einfahrt auf den Hof. Mansfield wandte einen Polizeigriff an. Er drehte der Frau den Arm auf den Rücken, sodass sie sich nicht rühren konnte.
»Was wollen Sie von mir?«, fragte sie schwer atmend.
Leicester ließ sie los. Er sah, dass sie in Mansfields Händen gut aufgehoben war.
»Wer schickt Sie?«, fragte er barsch.
Die Frau schluckte. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen!« Sie drehte den Kopf halb zur Seite.
»Können Sie nicht etwas deutlicher werden?«, fragte Leicester. »Ich habe gefragt, wer Sie schickt, und ich will eine genaue Antwort darauf haben.«
»Von mir erfahren Sie nichts.«
Leicester lächelte verächtlich. Er schlug plötzlich zu. Die Wange der Frau färbte sich rot.
»Das wird Ihrer Erinnerung auf die Sprünge helfen!«, sagte er.
Die Frau spie ihn an. Leicester fluchte. Er wischte sich mit dem Jackenärmel das Gesicht trocken. Dann riss er ihr mit einem Ruck die Handtasche vom Arm. Im Inneren der entdeckte er eine geladene kleine Damenpistole, ein Feuerzeug und eine Schachtel Zigaretten. Leicester stieß einen Pfiff aus. Er nahm die Pistole und das Feuerzeug an sich und warf der Frau die Handtasche vor die Füße.
»Beginnen wir noch mal von vorn«, sagte er scharf. »Wie heißt du?«
Die Frau schwieg. Mansfields Griff wurde fester. Sie stöhnte leise auf.
»Mein Freund bringt Sie garantiert zum Sprechen«, meinte Leicester verächtlich. »Soll er’s mal versuchen?«
»Bitte … Ich habe Ihnen doch nichts getan«, würgte die Frau hervor.
»Du bist uns gefolgt, Püppchen«, sagte Leicester. »Wir möchten hören, warum. Wer ist dein Auftraggeber?«
»Gefolgt? Ich Ihnen? Das ist doch verrückt!«, behauptete die Frau. Ihre Stimme klang rau.
»Was treibst du um diese Zeit in dieser verlassenen Gegend?«, wollte Leicester wissen.
»Ich gehe spazieren.«
»Mit einer Pistole in der Handtasche?«, kam es von Mansfield.
»Die trage ich immer bei mir«, sagte die Frau. »Ihr gemeiner Überfall beweist, wie wichtig es ist, bewaffnet zu sein.«
»Kirby ist dein Freund, nicht wahr?«, fragte Leicester lauernd. »Du kannst es uns ruhig sagen.«
»Ich kenne keinen Kirby«, erklärte sie schroff und trat plötzlich nach hinten aus.
Der Fuß traf das Schienbein von Mansfield, der zusammenzuckte. Sein Griff lockerte sich für den Bruchteil einer Sekunde. Die Frau nutzte die Chance. Sie machte sich los und rannte durch die Einfahrt auf die Straße. Leicester jagte hinterher.
Die Frau war leichtfüßig und schnell, aber der enge Rock behinderte sie. Auf der Straße konnte sie keinen Vorsprung gewinnen. Im Gegenteil. Der kleine, aber agile Leicester schloss rasch zu ihr auf. Ihn trennten nur noch wenige Schritte von der Fliehenden. Da hetzte sie quer über die Fahrbahn auf die Baustelle zu. Der Bretterzaun hatte viele Lücken. Die Frau schlüpfte hindurch, noch ehe Leicester bei ihr war.
Der Boden der Baustelle war weich und sandig. Rohbaustellen, Bretterbuden, Baumaschinen und hohe Materialstapel boten eine Fülle von Versteckmöglichkeiten.
Die Frau hetzte weiter. Sie trug flache Sportschuhe mit Kreppsohlen und konnte sich auf dem weichen, welligen Boden gut behaupten. Trotzdem musste sie höllisch aufpassen. Die Licht- und Bodenverhältnisse waren miserabel. Stromkabel, herumliegende Bretter und tiefe Ausschachtungen erschwerten das Vorwärtskommen und bildeten tückische Fallen.
Leicester musste mit denselben Schwierigkeiten fertigwerden. Er hatte es jedoch leichter, da ihm die Frau als Schrittmacher diente. Aber Leicester war immerhin schon fünfzig. Luftmangel quälte ihn. Für diese Art von Sport war er einfach zu alt. Wenn er es nicht schaffte, die Kleine innerhalb der nächsten zwei oder drei Minuten zu schnappen, musste er die Jagd aufgeben.
Wo, zum Teufel, blieb Mansfield? Leicester stolperte über einen Eimer und ging zu Boden. Der Gangster rappelte sich zwar schnell wieder hoch, aber er blieb dabei an dem Nagel eines Lichtmastes hängen. Leicester fluchte, als er das Reißen des Anzugstoffs hörte. In aller Eile zerrte er sich los und rannte weiter. Etwa zehn Yards vor sich sah er die Frau über die große Baustelle geistern.
Leicester nahm die Pistole aus der Tasche. Es widerstrebte ihm, die Waffe zu benutzen. Er wollte die Kleine weder verletzen noch töten. Er wollte nur erfahren, wer sie war und für wen sie arbeitete. Sie rannte jetzt über eine quadratische Betonfläche hinweg, aus der die stählernen Krummstäbe der Stahlgeflechte ragten.
Plötzlich blieb sie stehen. Sie hatte einen breiten, tiefen Graben erreicht, den sie nicht durch einen Sprung überbrücken konnte. Sie lief am Rand entlang und erreichte endlich zwei Bretter, die die Grube als provisorische Brücke überspannten. Die Frau balancierte hinüber.
Leicester war indessen bis auf wenige Yards an sie herangekommen.
Da stoppte sie ab, machte kehrt und bückte sich. Mit beiden Händen riss sie die Bretter genau in dem Moment hoch, als Leicester gerade die Grube überqueren wollte.
Leicester machte einen grotesken Sprung, stieß einen schrillen Schrei aus und versuchte, sich an den Brettern festzuhalten, die die Grubenwände abstützten. Doch seine Hände griffen ins Leere. Er stürzte in die Tiefe und landete auf dem lehmigen, von Wasserpfützen bedeckten Grund.
Das jäh aufsteigende Triumphgefühl der Frau fiel rasch in sich zusammen, als sie den zweiten Gangster auftauchen sah.