Jerry Cotton Sonder-Edition 54 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 54 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Eine unheimliche Mordserie versetzte ganz New York in Angst und Schrecken. Die tödliche Waffe verursachte nicht einmal einen Knall, sondern nur ein leises Zischen. Der Täter hinterließ seine Opfer mit verzerrten Gesichtern, nach innen gedrehten Händen und gekrümmten Fingern. Denn sie starben qualvoll an Giftgas!

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EPUB

Seitenzahl: 202

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Giftgas in New York

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: shutterstock/Monkey Business Images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-4900-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Giftgas in New York

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

Er kam durch den Nebeneingang, nachts, als niemand außer dem Chef vom Dienst in der Redaktion saß, und er klopfte nicht an. Er öffnete die Tür, trat an den Schreibtisch, hinter dem Creutz müde hockte, nahm den Hut ab, mit der Linken, und lächelte hässlich.

Creutz erkannte den Mann sofort und fuhr auf.

»Mendoza«, sagte er tonlos. »Seymour Mendoza. Was willst du hier?«

»Ich bin dir noch eine Antwort von damals schuldig«, sagte er nur. Dann zog er eine Gaspistole aus der Manteltasche, richtete sie auf Creutz und drückte ab!

Es gab keinen Knall – nur ein Zischen. Ein feiner Strahl fuhr Creutz ins Gesicht. Mendoza trat sofort drei Schritte zur Tür zurück. Dann ging er, wie er gekommen war.

***

Es waren Polizeifotos, wie sie bei jedem Mord gemacht werden: Format 18 x 24, Hochglanz, ziemlich hart vom Blitzlicht. Wir hatten Hunderte solcher Fotos gesehen. Man gewöhnt sich trotzdem nie daran.

Die Katastrophe eines Menschen, erstarrt in Schwarzweiß wirkt fast noch entsetzlicher als die Wirklichkeit.

Wenn Mr High uns fragte, was wir davon hielten, musste an diesen Fotos etwas Besonderes sein.

Zu sehen war ein Toter, der in verkrümmter Stellung am Boden lag, neben einem umgestürzten Schreibtischstuhl. Seine Hände waren nach innen gedreht, mit gespreizten, gekrümmten Fingern. Sein Gesicht war verzerrt.

»Gift«, sagte Phil sofort.

»Hm«, brummte Mr High, ohne sich umzudrehen. »Gift, ja. Aber was für eins?«

»Ich habe schon einmal eine ähnliche Wirkung gesehen«, sagte ich. »Vor nicht allzu langer Zeit. Wenn ich nur wüsste, wann und wo.«

Wir reichten uns die Fotos. Sie zeigten Haltung und Gesicht des Toten aus verschiedenen Blickwinkeln. Phil sog plötzlich tief Luft ein.

»Der Fall Henson«, sagte er.

»Der Fall Henson in Los Angeles«, stimmte ich zu. »Das ist es!«

Dieser Fall ging uns eigentlich nichts an. Trotzdem erhielten wir damals die Fotos von der Zentrale in Washington, weil dieses Verbrechen ganz außergewöhnlich war.

»Nervengift«, bemerkte Phil.

»Nervengas«, berichtigte ich. »Nervengifte gibt es viele. Nervengase allerdings sind Staatsgeheimnis. Im Falle Henson tippte man auf Tabun.« Ich legte die Fotos auf den Tisch.

Mr High drehte sich um. Er lächelte, aber sein Lächeln war dünn und melancholisch. »Ein Plus für Sie, dass Sie es so schnell von den Bildern herausgefunden haben. Ja, es ist Nervengas.«

»Wo ist der Mord passiert?«, wollte ich wissen.

»Gestern Abend in Elizabeth, in der Redaktion der Zeitung Elizabeth Herald. Der Tote ist der Chef vom Dienst. Sie wissen, was das bedeutet?«

Wer von uns wusste das nicht! Es gibt Nervengase wie Tabun oder die Trilone, von denen ein Fläschchen ausreicht, um eine ganze Stadt zu verseuchen. Ihre Formeln und Herstellungsverfahren gehören zu den bestgehüteten Geheimnissen der Chemie und des Pentagon.

Mr High ließ uns wieder Platz nehmen. »Ein Fotoreporter vom Elizabeth Herald kam gestern Abend um elf Uhr in seine Redaktion. Sonst war niemand in diesem Teil des Gebäudes. Die Mordkommission wusste mit der Sache zuerst nichts anzufangen. Erst dem Arzt sträubten sich die Haare, als er merkte, was passiert war. Obwohl niemand den Toten berührt hatte, schickte der Doc die Beamten ins Hospital und ließ jedem eine Atropinspritze geben, sich selbst auch. Den Toten haben sie nur mit Asbesthandschuhen angefasst. Der Obduktionsbefund liegt noch nicht vor.«

»Wer ist der Tote?«, fragte ich.

»Lucius Creutz, zweiundvierzig, Chef vom Dienst seit drei Jahren. Verheiratet, ein Kind, nichts Nachteiliges bekannt, jedenfalls bis jetzt.«

»Und der Täter?«, wollte Phil wissen.

»Keine Spur. Der Nachtportier hat keinen Besucher registriert, seitdem die beiden Redaktionssekretärinnen das Haus verließen. Das war um neun Uhr.«

»Das Haus hat mehrere Zugänge?«, fragte mein Partner.

Mr High nickte. »Zugänge wie in einem Ameisenhaufen.«

»Der Täter muss sie gekannt haben«, bemerkte ich.

»Es dürfte ein paar Hundert Personen geben, die sie mehr oder weniger kennen.« Mr High seufzte. »Die Sache ist ab sofort Angelegenheit des FBI.«

»Ist das ein Auftrag für uns, Chef?«, fragte ich.

»Es ist ein Auftrag, Jerry, wenn Sie ihn übernehmen wollen. Sie sind keine Giftgas-Experten und dadurch dem Täter in einem Punkt unterlegen. Seine Todesmaschine ist lautlos und furchtbar. Wenn Sie wollen, bilden wir ein Expertenteam.«

Phil grinste. »Unsere Gegner waren uns bisher alle immer in einem Punkt überlegen, Chef, bloß nicht im entscheidenden. Das allein ist wichtig.«

Ich erhob mich. »Wenn Sie nicht noch besondere Anweisungen haben, Chef, fahren wir jetzt sofort nach Elizabeth.«

»Drüben in der Redaktion hat Lieutenant Rott die Sache an sich genommen. Er arbeitet eng mit uns zusammen. Sie erhalten jede Vollmacht und jede Unterstützung. Unnötiges Risiko ist untersagt. Andererseits laufen Sie mit der tickenden Stoppuhr. Sie wissen, was ein Mann anrichten kann, der dieses Gift besitzt.«

»So long, Chef«, sagte ich und war schon aus der Tür.

Als mein roter Jaguar mit uns beiden aus der Basement-Garage tauchte, stöhnte Phil neben mir. »Ausgerechnet der Saure Rott!«

***

Lieutenant Clay Rott, Leiter des Morddezernats der Kriminalpolizei in Elizabeth, der Saure Rott, war in seinem Bereich ein fähiger Mann. In seiner Laufbahn war er an irgendeinem Haken hängen geblieben und nicht mehr weitergekommen. Er fühlte sich in Elizabeth auf dem Abstellgleis, hier aber wollte er wenigstens König sein. Und er war es.

Er empfing uns mit einem tiefsinnigen Blick über seine halben Brillengläser hinweg. Er war grau geworden, seine Nase noch roter als früher. Seine muskulösen, kurzfingrigen Hände gingen mit Papieren und Stiften um wie mit Schild und Keule.

»Das ist doch lächerlich«, begrüßte er uns. »Was wir brauchen, ist ein Chemiker. Ich verstehe nichts von diesem stinkenden Gas. Wollt ihr Anfänger vielleicht behaupten, dass ihr etwas davon versteht?«

»Sie werden uns schlucken müssen, Clay, mitsamt den Gräten«, sagte ich und hielt ihm die Hand hin.

Er grollte. Aber als er hinter seinem Schreibtisch hochkam wie ein Bär hinter dem Felsen und mir die Hand drückte, wusste ich, dass er mit offenen Karten spielen würde. Wahrscheinlich war ihm bei der ungeheuren Verantwortung in diesem einmaligen Fall selbst nicht ganz wohl in seinem Bärenpelz. Er setzte sich mit uns an einen wackligen Besprechungstisch und qualmte aus einer kurzen schwarzen Zigarre.

»Meine Leute haben die ganze Nacht geschuftet«, sagte er. »Was sie herausgefunden haben, wusste ich schon vorher. Ich kannte Lucius Creutz seit Jahren. Ein Schreibtisch-Journalist. Er hätte auch an einem Fahrkartenschalter oder einer Lochmaschine sitzen können. Hatte eine Freundin, war später seine Frau. Drei Bier, ein Schnaps. Kleines Haus, kleine Tochter. Einmal im Jahr Urlaub zum Fischen. Spielte nicht, rauchte wenig, kaufte jedes Jahr einen Anzug. Keine besonderen Vorkommnisse.«

»Mit anderen Worten: Es ist noch kein Motiv für den Mord erkennbar.«

»Sie sagen es, Jerry. Nicht einmal denkbar.«

»Und die Frau?«, fragte ich.

»Treue Gattin, werktags Pfannkuchen und sonntags Steak. Trägt ihren Persianer nur zum Geburtstag und zu Weihnachten. Seht sie euch an!«

»Und im Haus? Ich meine, in der Redaktion?«

Rott hob die Hand und ließ sie auf den Tisch zurückfallen. »Kleine Klitsche, Jerry. Der Elizabeth Herald ist ein Zwergableger von der New York Herald Tribune. Die große Politik kommt von New York. Hier in Elizabeth machen sie nur Bürgermeistertratsch, Baseball, Kanalrohr geplatzt, Oma Smith wird neunzig Jahre, Gemeindechor hat ein Lied gesungen. Vier oder fünf Redakteure, Fotograf, ein paar Mitarbeiter. Der Chef der Zeitung …«

»Wie heißt er?«, fragte Phil.

»Safran. Bob Safran. Komischer Name. So sieht der Kerl auch aus. Lackaffe. Bildet sich ein, etwas zu sein, weil er in unserem Käsenest ein Käseblatt macht. Dabei ist er faul wie die Sünde. Ist nie da. Sitzt nur drüben in Manhattan bei irgendwelchen Presseempfängen herum und schlürft Cocktails. In Elizabeth machte Creutz alles.« Clay paffte. »Das ist vielleicht eine Atmosphäre für kleine Stänkereien, aber keine für spektakuläre Giftgasmorde. Also dann, Blumen auf euren Weg!«

Wir versorgten uns mit einem halben Dutzend Adressen und überließen den Sauren Rott seiner Gedankensäure.

»Er scheint von Elizabeth nicht viel zu halten«, meinte Phil draußen. »Und von diesem Bob Safran noch weniger.«

»Aber nicht wenig genug, um ihm den Mord zuzutrauen.«

»Clay scheint keinen Anhaltspunkt zu haben«, bemerkte Phil.

»Oder er sagt es nicht.«

Wir wollten die Leiche von Lucius Creutz sehen. Aber sie war auf höhere Anweisung bereits zur Spezialuntersuchung nach New York abtransportiert worden.

Aus dem Protokoll der routinemäßigen polizeiärztlichen Obduktion, die hier durchgeführt worden war, erfuhren wir nichts Neues.

Wir trennten uns. Phil fuhr mit einem Taxi zur Redaktion des Elizabeth Herald. Ich stand eine halbe Stunde später Mrs Carola Creutz gegenüber.

2

Der Page klopfte an die Tür. »Die Post, Sir.«

Mendoza stand vom Schreibtisch auf und öffnete. Er nahm Zeitungen und Briefe vom Tablett des Pagen und reichte ihm einen Dollar.

»Danke, Sir.« Der Boy verschwand.

Mendoza blickte auf die Briefe. »Liane!«

Sie kam aus dem Badezimmer, trug einen durchscheinenden Überwurf und bürstete das lange schwarze Haar, das sie in hundert verschiedenen Frisuren zu tragen verstand. Der Mann reichte ihr die Briefe. Ohne einen Blick darauf warf Liane die Umschläge in den Kamin und hielt ein Streichholz daran.

Mendoza sah nachdenklich in die Flammen. »Wir sollten die Briefe aufheben«, sagte er. »Wenn hier jemals eine Hausdurchsuchung stattfindet, werden die Leute fragen, wo unsere Geschäftskorrespondenz geblieben ist.«

Liane fuhr herum und blitzte den Mann an. »Wenn es hier jemals bis zu einer Hausdurchsuchung kommt, ist auch unsere Korrespondenz nicht mehr wichtig.«

Mendoza betrachtete die Frau. Liane hätte jeden Maler und Fotografen magnetisch anziehen müssen. Die eleganten langen Beine und die Figur trafen auf den Punkt das Schönheitsideal der Zeit, und der Elfenbeinschimmer ihrer Schultern traf das Ideal aller Zeiten. Liane verachtete Sport und wusste, dass ihre Alabasterhaut die Pulsschlagzahl viel schneller und nachhaltiger hochgehen ließ als das knusprigste Braun eines Bikini-Strandhühnchens. Und sie dachte nicht daran, dieses Kapital vor der Sonne auf den Grill zu legen.

»Warum bist du eigentlich hier und nicht in Hollywood?«, fragte er.

»Ich würde in Hollywood vor Langeweile sterben.«

»Auch mit einem Zehn-Millionen-Playboy?«

Sie lachte dunkel. »Du hast eine komische Art, deine Sekretärinnen bei der Stange zu halten.«

Vom Schreibtisch nahm er einen Scheck, den er vorhin ausgeschrieben hatte, und gab ihn der Frau. »Wenn du nachher in die Stadt fährst, kannst du den einlösen. Auch zur eigenen Verwendung.«

Sie legte das Papier achtlos auf den Rauchtisch und trat langsam auf Mendoza zu, bis sie ihn berührte. »Wie geht es jetzt weiter, Darling?«

»Wir nehmen uns den nächsten vor«, sagte Mendoza. »Aber wir haben keine Eile. Bevor es so weit ist, ziehen wir nach Jersey City um. Spencer wohnt drüben in Rayonne.«

»Ich verstehe. Du willst Spencer nicht in der Redaktion des Elizabeth Herald überraschen, sondern in seiner Wohnung.«

»Ja. Elizabeth ist zu klein. Wir würden bald auffallen.«

»Für mich«, entgegnete Liane, »wird es aber viel schwerer sein, in Spencers Privatwohnung Kontakt zu bekommen als in der Redaktion.«

Er antwortete leise, aber in seiner Stimme war plötzlich eine schneidende Härte. »Das ist deine Sache. Meine ist die andere.«

Sie senkte den Kopf, und er blickte auf ihr schwarzes Haar. »Also Spencer«, sagte sie dunkel. »Spencer ist der Nächste.«

***

Roy Spencer saß jetzt am Schreibtisch des Chefs vom Dienst, am Tisch seines Freundes Lucius Creutz. Roy war ein Baum von fast sechseinhalb Fuß, blond, mit einer dick eingefassten, dunklen Brille und einer kantigen Stirn. Schon deshalb bestand zwischen ihm und dem Chefredakteur Bob Safran stets ein gespanntes Verhältnis. Safran war klein und zierlich, und neben Spencer sah er wirklich wie eine halbe Portion aus.

Spencer starrte missmutig auf die Fernschreibertexte.

So traf Phil den blonden Riesen.

Spencer war nicht zur Höflichkeit aufgelegt. »Wenn Sie uns bloß Ihr Beileid ausdrücken wollen, dann geben Sie’s beim Portier ab, und trinken Sie in der Kantine einen Trauer-Portwein auf meine Kosten!«

Phil lächelte und zeigte seinen Ausweis.

Jetzt wurde Roy lebendig. »Ah, das ist etwas anderes. Agent Decker? Schon von Ihnen gehört. Bringen Sie mir den Mann, der diese Schweinerei begangen hat! Bringen Sie ihn hierher, und der Staat kann die Stromkosten für den Stuhl sparen!«

»Noch haben wir ihn nicht. Aber vielleicht können Sie uns helfen«, erwiderte Phil.

»Wenn ich nur wüsste, wie, dann säße ich nicht hier.«

»Wie lange kannten Sie Creutz?«, fragte Phil.

»Vor zehn Jahren haben wir zusammen angefangen. Er war mein Freund und etwas schlauer als ich.«

»Es muss einen Grund geben, weshalb Creutz ermordet wurde.«

»Es gibt keinen«, fauchte Roy.

»Das habe ich schon oft genug gehört. Alles Unsinn. Wir sollten gemeinsam versuchen, den Grund in Creutz’ Vergangenheit zu finden.«

Roy Spencer packte das Bündel Fernschreiberblätter und stampfte auf den Korridor hinaus. »Miller!«, brüllte er. Ein junger Redakteur mit einem Bürstenhaarschnitt eilte herbei. Spencer drückte ihm die Blätter in die Hand. »Machen Sie das satzfertig! Ich habe keine Zeit. Ich habe für den gesamten Dreck in diesem Kasten keine Zeit mehr.«

Er knallte die Tür zu und schloss sie von innen ab. Dann legte er den Hörer neben das Telefon. »So. Es kann losgehen.«

***

Lucius Creutz hatte mit Frau und Kind in einem kleinen, rosa gestrichenen Haus am Stadtrand gewohnt. Als ich davorstand, machte ich ein bedenkliches Gesicht. Sämtliche Rollos waren heruntergezogen. Hatte Carola Creutz nach dem Schock Elizabeth verlassen?

Sie hatte nicht. Sie öffnete mir selbst. Ich sagte meinen Namen und drückte mein Beileid aus. Es war nicht sehr angenehm.

»Danke. Das Beileid nutzt mir wenig«, flüsterte Mrs Creutz.

»Kann ich Sie einen Moment sprechen?«

Sie führte mich ins Haus.

Nach den Schilderungen von Rott war ich auf eine ziemlich hausbackene Frau gefasst gewesen. Carola Creutz aber war eine üppige Blondine mit einer hübschen Figur und wundervollem Haar. Und sie hatte die natürliche Grazie einer Tänzerin.

Carolas Augen waren rotgeweint. Sie trug ein knappsitzendes graues Kostüm, und sie war sorgfältig frisiert. Wir traten in das Dämmerlicht eines »von der Stange« gekauften Wohnzimmers. Mir wurde nach und nach klar, warum sie hier verdunkelt hatte: wegen der verweinten Augen. Sie rechnete mit Besuchern, und es war ihr peinlich, ihnen weniger hübsch entgegenzutreten, als sie in Wirklichkeit war. Die Dame hatte Sinn für Koketterie, selbst jetzt. Das war ein Punkt, den ich mir merkte.

Carola Creutz verstand es, uns über den schwierigen Anfang der Unterhaltung hinwegzuhelfen. Sie bot mir, ohne zu fragen, einen Martini an und trank selbst auch einen. Ihre fast harte Stimme stand in einem Gegensatz zu ihrem puppenhaften Gesicht.

»Dieses Unglück ist für mich eine Katastrophe«, sagte sie leise. »Mein Mann war nicht lange genug im Beruf, um eine Pension vom Verlag zu erhalten.«

»Aber er war versichert?«

»Natürlich, Agent Cotton. Doch was nützt es meiner Tochter und mir? Wir können damit das Haus nicht halten, das nicht bezahlt ist. Und ich kann nicht in meinen früheren Beruf zurück.«

»Warum nicht?«, hakte ich nach.

»Ich war Charaktertänzerin an der Metropolitan Opera drüben in New York. Ich bin aus dem Training. Und meine Tochter …«

Ich schwieg. Wir tranken.

Sie seufzte. »Aber deshalb sind Sie nicht hier, Agent. Sie suchen den Täter.«

»Ich frage mich, ob man irgendwo ein Motiv für das Verbrechen sehen kann.«

»Natürlich«, sagte sie.

Um ein Haar hätte ich mich verschluckt. Niemand wusste ein Motiv für den Mord. Und hier saß jemand, der auf diese verzweifelte Frage ganz einfach »natürlich« antwortete.

»Lucius, mein Mann«, fuhr sie fort, »war in den letzten Wochen einer Gang auf die Spur gekommen, die in Elizabeth ihr Hauptquartier einrichtet. Lucius sammelte Material, um es zu veröffentlichen. Er hat mir davon erzählt.«

»Hat er schon etwas darüber gedruckt?«, fragte ich sofort.

»Bisher noch nicht.«

»Sie meinen also, die Absicht Ihres Mannes ist diesen Leuten zu Ohren gekommen, und daher der Mord.«

»Das meine ich nicht, das weiß ich, Agent Cotton.«

»Woher?«

»Einfach deshalb, weil es überhaupt keinen anderen Grund geben kann.«

»Hat Ihr Mann von seiner Absicht zu anderen gesprochen, vielleicht zu Kollegen in der Redaktion? Einer davon könnte nicht dichtgehalten haben, absichtlich oder unabsichtlich. Wissen Sie etwas darüber?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Wie soll ich das beurteilen?«

»Sie selbst haben jedenfalls zu keinem anderen Menschen über die Absicht Ihres Mannes gesprochen?«

Sie lächelte trübe. »Wofür halten Sie mich?«

»Entschuldigen Sie! Sagen Sie mir bitte alles, was Sie über die vermutete Gang wissen! Hat Ihr Mann seine Notizen hier im Haus?«

»Bestimmt nicht. Er hielt Dienst und Privatleben streng auseinander und ließ alle dienstlichen Papiere in der Redaktion. Er erzählte mir …«

In diesem Moment läutete es an der Haustür.

»Bitte, warten Sie eine Minute!«, sagte Carola. »Es wird der Mann mit dem Lesezirkel sein. Er kommt jede Woche um diese Zeit.«

Sie schwebte davon. Inzwischen nippte ich an meinem Martini. Einiges an Carolas Geschichte war nicht ganz stubenrein. Die Sache mit der Pension. Es gibt keinen Verlag, der seinen Redakteuren Pension bezahlt, und wenn sie hundert Jahre lang Mitarbeiter gewesen sind. Nun, das konnte ein Irrtum der Lady sein. Aber was war sie gewesen? Charaktertänzerin bei der Met? Soviel ich wusste, unterhielt die Met kein eigenes Ballett. Sie arbeitete von Saison zu Saison mit Gästen. Carola konnte also in einer Spielzeit dort aufgetreten sein. Wenn es stimmte. Das war auch ein Punkt, den ich mir merkte.

In diesem Moment hörte ich vom Korridor her einen gellenden Schrei. Er war kurz, brach ab und ging in ein Stöhnen über.

Ich war schon an der Tür. Die Garderobe an der Haustür war leer, die Tür schwang langsam zu. Ich riss sie auf.

Carola taumelte auf dem mit Sandstein belegten Weg durch den Vorgarten, und gleich darauf durch das Gartentor auf die Straße. Ein Mann folgte ihr. Er stieß ihr eine Pistole in den Rücken und trieb sie vorwärts.

Ein zweiter Gangster deckte die beiden ab. Er ging rückwärts. Das Gesicht war durch eine Strumpfmaske bis zu den Augen und darüber durch den Hut verdeckt. Sein schwerer Colt Commander war auf mich gerichtet. Ich starrte in die Mündung. Der Bursche zog sofort durch, als er mich sah. Kalk spritzte aus dem rosa gestrichenen Putz der Hausmauer neben mir.

Mit einem Sprung landete ich auf dem Rasen neben dem Steinplattenweg. Noch im Sprung hatte ich gezogen. Ich landete in der Hocke und feuerte. Aber ich traf nicht. Die Kerle stießen Carola bereits in einen Wagen, der vor dem Gitterzaun gehalten hatte. Es krachte wieder. Ich hörte die Kugel summen und spurtete vorwärts.

Als ich am Gartentor war, starteten sie mit offener Tür. Es war ein dunkelgrüner Chevy. Ich hielt auf die Reifen und zog durch, dreimal, und ich hörte einen Peitschenknall. Er sagte mir, dass ich getroffen hatte, die Kugel aber abgeprallt und nach oben ins Blech gegangen war. Sie hatten starkwandige Reifen aufgezogen, die man in Fahrt mit einer Revolverkugel nicht mehr durchschießen kann.

Ich sprintete zu meinem Jaguar. Aber er stand auf der anderen Seite in umgekehrter Fahrtrichtung. Diese Straße war zu schmal, um in einem Ansatz zu wenden. Ich musste einmal zurücksetzen. Dann nahm ich die Verfolgung auf. Aber der grüne Chevy war bereits außer Sicht.

Drei Minuten später wusste ich, dass ich in dem Schachbrettmuster dieses Viertels keine Chance mehr hatte. An jeder Kreuzung hatte ich zwei Möglichkeiten, falsch zu fahren. Nach vier Kreuzungen war nur eine von zwölf Möglichkeiten richtig gewesen, und ich hatte bestimmt eine der elf falschen Richtungen eingeschlagen. Ich gab auf. Ich hielt und riss das Funktelefon aus dem Handschuhkasten.

Es dauerte lange, kostbare Sekunden, bis ich die Verbindung mit Rott hatte. »Hier Cotton. Kidnapping vor vier Minuten.« Ich gab ihm die Adresse. »Carola Creutz entführt von zwei Männern. Bewaffnet. Grüner Chevy, viertürig, Baujahr 64. Kennzeichen mit Schmutz verklebt. Schnellfahndung.«

»Und das vor Ihrer Nase, was?«, fragte Rott wütend.

»Leider«, gestand ich, aber er hatte schon aufgelegt.

Ich fuhr zum Haus von Creutz zurück. Dort fand ich das kleine Arbeitszimmer des Ermordeten. Ich rief den Elizabeth Herald an. Nach zwei Minuten hatte ich Phil an der Strippe. »Phil, wo sitzt du?«

»Im Arbeitszimmer von Creutz. Wir hatten das Telefon abgestellt. Eine Sekretärin musste uns alarmieren.«

»Das Arbeitszimmer von Creutz mit allem, was darin ist, ist sofort beschlagnahmt. Nicht ein Zettel, nicht ein Bleistift kommt mehr raus. Du forderst alle Mitglieder der Redaktion einschließlich der Sekretärinnen auf, Elizabeth nicht zu verlassen und sich zu unserer Verfügung zu halten! Das Zimmer wird versiegelt, und du setzt dich davor!«

»Jerry, was ist los?«

»Sie haben mir Carola Creutz vor der Nase weg gekidnappt.«

»Nein!«, machte Phil. »Ich verstehe.«

»Ende.« Ich legte auf und sah mich um. Es war totenstill in dem kleinen Haus mit den heruntergezogenen Rollos.

***

Als Phil den Hörer auflegte, betrachtete er seinen Gesprächspartner Roy Spencer nachdenklich. Nach Sekunden bat Phil den Redakteur, weiterzuerzählen.

»Es ging um Carola«, fuhr Spencer fort. »Ihr eigentlicher Entdecker war ich. Ich angelte sie aus einer Showgirl-Truppe. Damals war ich Volontär drüben bei der Tribune und vergnügter als heute. Wir machten uns ein paar lustige Wochen. Dann wechselte Carola den Spielplatz und lief zu Dicky Hail über. Ich machte mir nichts daraus. Wir sind heute noch befreundet.«

»Wer ist Dicky Hail? Ein Kollege?«

»Nein, er verkaufte Autos. Aber er gehörte zu unserer Clique. Und den erwischte es schwer mit der Frau. Er kratzte all sein Geld zusammen, fuhr mit Carola nach Florida und feierte so etwas wie Verlobung mit ihr. Als sie zurückkamen, fühlte er sich fest gebunden und ließ sich Möbelprospekte kommen. Da erklärte sie ihm klipp und klar, sie habe es sich anders überlegt. Für Dicky gingen die Lampen aus. Trotzdem hätte er diesen Schlag verkraftet. Doch als sie anfing, systematisch Lucius Creutz einzuwickeln, der gehörte ja auch zu unserem Club, sah Dicky rot. Er fasste es so auf: Der Freund hat ihm die Frau weggeschnappt, und das sei unanständig.«

»Und Creutz?«, fragte Phil.

»Der wusste gar nicht, wie ihm geschah. Er war bestimmt nicht schuld an dieser Entwicklung. Aber Carola war er nicht gewachsen. Ehe er sich richtig besann, waren sie schon verheiratet. Mit Erfolg, denn sie sind es noch, das heißt …« Er biss sich auf die Lippen. »Bis gestern.«

»Was hat Dicky Hail gemacht?«, fragte Phil.

»Er sprach nie mehr ein Wort mit Lucius und verschwand von der Bildfläche. Aber wenn Sie mich jetzt fragen, ob da ein Mordmotiv ist, dann kann ich nur lachen. Der ganze Spuk ist zehn Jahre her. Inzwischen denkt man nur noch mit melancholischem Grinsen an die munteren Zeiten zurück.«

»Was wurde aus Hai?«

»Er hat sich selbstständig gemacht, Agent Decker. Wir können seine Adresse aus dem Telefonbuch …« Er griff zum Schreibtisch.

Phil unterbrach seine Bewegung. »Moment, Spencer! Können wir das drüben in Ihrem Zimmer nachsehen?«

»Warum?«

»Ich habe soeben telefonische Anweisung erhalten, dass in diesem Zimmer nichts mehr berührt werden darf. Ich muss es versiegeln.«

»Aber Rott hat das Zimmer längst freigegeben. Was soll das?«

»Ich bin genauso schlau wie Sie, Spencer. Mein Kollege wird aber bald hier auftauchen.«

»Ihr Kollege?«

»Agent Cotton.«

Spencer stieß einen Pfiff aus. »Cotton! Ihr nehmt die Sache aber ernst.«

»Wundert Sie das?«

»Nein, es freut mich. Gehen wir also!«

Phil ließ sich den Schlüssel geben, schloss das Büro von außen ab und folgte Spencer ins gegenüberliegende Zimmer.

***

Ich rief aus dem Creutz’schen Haus zur City durch, ließ mich mit Mr High verbinden und gab dem Chef einen kurzen Bericht.

»Ich brauche einen Durchsuchungsbeschluss für dieses Haus und für das Redaktionszimmer, Chef«, bat ich.