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Cat war schön und reich. Niemand begriff, warum sie sich ausgerechnet mit Martell einließ, einem brutalen Verbrecher. Der Mann bewegte sich wie ein Raubtier. Sie wusste fast nichts von ihm, sondern nur, dass er im Kongo bei einer Söldnerlegion gekämpft hatte. Alles an diesem Mann schien aus Stahl zu sein. Doch bald musste Cat erkennen, dass gegen diesen Teufel in Menschengestalt auch mit den Waffen einer Frau nichts auszurichten war.
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Seitenzahl: 185
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Teufel in Menschengestalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Split«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5059-3
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Teufel in Menschengestalt
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Sie lagen im Gebüsch, eng beieinander. Und sie beobachteten die Arbeiter oben auf der Klippe.
Nur Martell blickte auf die Stoppuhr in seiner Hand. Er trug abgewetzte Fallschirmjägerhosen, halbhohe Schnürstiefel und dazu ein Shirt mit Tarnmuster. Auf Martells Totenkopfgesicht leuchteten tief eingebrannte blaue Narben an der rechten Schläfe. Spuren einer Explosion. Der Mann sah kurz zu seinen Komplizen hinüber. Dann drückte er auf den Knopf der Stoppuhr und feuerte gleichzeitig einen Schuss ab.
Auf dieses Zeichen hin sprangen aus dem Gebüsch drei Gestalten, verließen ihre Deckung. Geduckt, lautlos, geisterhaft schnell rasten sie den Hang zur Klippe hinauf. Sie sprangen die Arbeiter wie Wildkatzen an. Einer der Arbeiter riss eine Pistole aus der Tasche und feuerte. Der Gegner stieß einen schrillen Schrei aus und taumelte.
Trotzdem – in wenigen Sekunden waren die Arbeiter überwältigt.
Martell, der unten geblieben war, feuerte abermals einen Schuss in die Luft und stoppte die Zeit.
»Okay, Jungs«, schrie er den Hang hinauf. »Eure Zeit war gut! Übung beendet!«
Sechs Männer atmeten auf, wischten sich den Schweiß von den Gesichtern und schoben sich den Hang herab. Martell blickte ihnen düster entgegen.
»Wer hat geschossen?«, fragte er scharf.
Jack, einer der Arbeiter, meldete sich.
Martell wandte sich an Pete, der bei dieser Übung Jacks Gegner gewesen war.
»Du hast deinen Gegner zu erledigen, bevor er schießen kann«, fauchte Martell böse. »Wir üben hier unter Einsatzbedingungen. Von Jack verlange ich, dass er dir in einem solchen Falle einen Tritt gibt, damit du wirklich über die Klippen stürzt. Wer versagt, ist unbrauchbar für uns. 50 Bucks Abzug von der nächsten Auszahlung. Noch Fragen?«
Alle schwiegen.
»Ihr könnt verschwinden. Nächste Übung zwei Uhr morgens. Cat kommt mit mir. Vergesst die Parole nicht: Wer sich verrät, der stirbt.«
Die Männer verschwanden. Nur Cat blieb zurück. Martells Gesicht verzog sich zum ersten Male zu einem dünnen Lächeln.
»Deine Leute sind bald perfekt, Cat.«
Cat lächelte nicht. Sie streifte die schwarze Kappe ab und schüttelte ihr kastanienbraunes Haar.
***
Sie betraten ein kleines Jagd-Blockhaus, das mitten im lichten Wald lag. Martell zündete zwei Zigaretten an und gab eine davon der jungen Frau.
»Nur dieser Pete gefällt mir nicht«, sagte Martell. »Bevor er schlappmacht, lasse ich ihn verschwinden.«
Cat sah den Mann nachdenklich an. Martell war nicht sehr groß, und er bewegte sich wie ein Raubtier. Sie wusste fast nichts von ihm. Es hieß, dass er in Afrika bei einer Söldnerlegion gekämpft hatte, im Kongo. Alles an diesem Mann schien aus Stahl zu sein.
»Pete ist schon richtig«, sagte Cat. »Du gehst zu scharf vor. Diese Leute sind an Brooklyn-Methoden gewöhnt, nicht an deine Härte. Gib mir eine Cola.«
»Härte!« Er goss Whisky in zwei Gläser und reichte ihr eines, als ob sie nicht Cola verlangt hätte. Sie nahm es widerspruchslos und trank.
»Härte!«, wiederholte er. »Was du Härte nennst, nenne ich Kaugummi. Sie sollen das Weißbluten lernen. Dafür werden sie bezahlt. Und damit schaffe ich eine Crew, mit der ihr das Fort Knox knacken könntet. Auf jeden Fall das FBI von New York.«
»Wenn du den Bogen überspannst, wird einer ausbrechen und uns alle auffliegen lassen.«
Martell sah Cat einen Moment starr an.
»Du hast recht«, stimmte er zu. »Heute Nacht werde ich Pete über die Klippe gehen lassen. Er wird tatsächlich gefährlich. Es wird außerdem eine gute Warnung für die anderen sein.«
Sie schwieg und stellte das Glas ab. Martell hob ruckhaft den Kopf. Cat hörte erst Sekunden später das Motorengeräusch, das sich den Hügel heraufquälte.
»Das ist Gloster«, sagte Martell lakonisch.
Zwei Minuten später hielt ein bestaubter Lincoln vor der Jagdhütte. Der Mann, der ausstieg und das Blockhaus betrat, hatte nichts mit Martell gemein. Gloster war klein, ein wenig korpulent und trug einen eleganten Anzug. Das leicht gewellte silbergraue Haar gab ihm das Aussehen eines Juweliers aus der Fifth Avenue.
Er nahm die Sonnenbrille ab.
»Affenhitze! Wie läuft der Laden hier oben?«
»Planmäßig«, entgegnete Martell. »Hast du was anderes erwartet?«
Gloster lachte. »Wenn ich mich auf euch nicht verlassen könnte, müsste ich meinen Plan sofort aufgeben. Wo ist denn hier die Quelle, zum Teufel?«
Cat nahm ein drittes Glas vom Bord und füllte es. »Wasser, Boss? Soda haben wir nicht.«
»Willst du mich ersäufen, Kind? Ausgerechnet mit Wasser?«
Gloster trank. Cat beobachtete ihn. Gloster mochte an die Fünfzig sein. Sein braungebranntes Gesicht zeigte erste Spuren eines Genusslebens. Das Einzige, worin Gloster und Martell übereinstimmten, war das Lauernde, stets Wachsame, Berechnende im Blick.
»Was macht Henderson mit seinen Leuten?«, fragte Martell.
»Sie haben heute die Kahnpartie geübt.« Gloster lachte glucksend. »Einer von den Jungs ist aus dem Schlauchboot gefallen. Er hat um sich geschlagen wie eine Fliege im Milchtopf, bis sie ihn herausgezogen haben.«
»Kann der Kerl denn nicht schwimmen?«
»Das ist ja der Witz.«
»Witz?« Auch Martell lachte, aber das klang, als ob Stahlblech knackte. »Wie will Henderson die Flusspolizei mit Leuten angehen, die nicht schwimmen können! Wir müssen den Mann verschwinden lassen.«
»Falsch! Wir können jetzt keine Toten gebrauchen. Sieh zu, dass du den Mann anders einsetzen kannst. Du fährst ja nachher noch rüber zu der Gruppe von Henderson?«
Martell nickte. Gloster zog eine dicke Brieftasche. Er zählte ein Paket Banknoten ab und legte es auf den Tisch.
»Das ist die Wochenauszahlung für deine Leute.« Martell nahm einen Fünfziger ab und reichte ihn Gloster zurück.
»Pete hat einen Fehler gemacht. Ich habe ihm dafür 50 Bucks abgezogen.«
Gloster murrte. »Diese Methoden gefallen mir nicht. Unsere Männer arbeiten nur für uns, weil wir sie dafür regelmäßig bezahlen. Wenn du ihnen Geld nimmst, drehen die Burschen durch.«
»Ich drehe sie dann schon zurück«, sagte Martell.
»Hoffentlich schaffst du das«, sagte Gloster. Er drehte sich zu Cat um. In seinen Augen funkelte etwas.
»Soll ich dich mitnehmen, Cat?«
»Ja, aber nur bis zu meinem Wagen. Augenblick, ich ziehe mich nur noch um.«
Cat streifte ihren grauen Overall ab. Sie trug darunter BH und Slip. Es war ihr gleichgültig, ob die Männer zusahen. Aber nur Gloster beobachtete sie. Cat war prachtvoll gewachsen, sehr schlank, recht groß, sehr trainiert und dennoch elegant, braungebrannt wie nach einem Urlaub in Miami Beach. Sie streifte einen weißen Pulli über einen rot-grünen Schottenrock und ersetzte die kräftigen Bootsschuhe durch Sandalen, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und griff nach einer weißen Handtasche.
»Fertig.«
Gloster sah sie bewundernd an. »Dann los. Was hältst du nach dieser Strapaze von einem Glas eiskalten Champagner im Escorial, Cat?«
»Ich kann mich beherrschen.« Sie lachte. »Wenn ich nachts mit einem Schwips hier raufkomme, zieht mir Martell sofort 50 Bucks ab.«
»Als ob du die nötig hättest«, brummte Martell.
***
Er sah ihnen nach, als sie in Glosters Wagen den Hügel hinabrumpelten.
Ein Gefühl wie Eifersucht kannte Martell nicht. Gloster war für ihn eine Null. Nicht mehr als ein luftgefüllter Reifen, den man zum Autofahren braucht. Wenn der Zeitpunkt gekommen war, würde Martell sich nehmen, was er wollte.
Martell war sicher, dass Cat nur seinetwegen an dieser Aktion teilnahm. Die Gründe, die sie ihm gesagt hatte, glaubte er nicht: Zerwürfnis mit ihrem Vater und seiner Welt, der sie einen Denkzettel verpassen wollte, Sucht zum Abenteuer und so. Das war für ihn Nonsens. Aber er wusste, dass er unter diesen kleinen Memmen und Gangster-Ameisen der einzige Mann war, der sie beeindrucken konnte.
Ein Unsicherheitsfaktor blieb jedoch: Hielt Cat durch? Wenn sie ausbrach, krachte das ganze Unternehmen zusammen. Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Warum hatte Cat für diesen Pete gesprochen? Was steckte dahinter? Nun, er würde sehen. So vieles klärt sich von selbst.
Martell tauchte wenig später in einem Drugstore am Stadtrand auf und verschwand in einer Telefonbox. Er wählte eine New Yorker Nummer.
»Xenophon«, sagte er, als drüben abgehoben wurde.
»Martell, du? Was ist los?«
»Pete, dieser Margarine-Pete, wie sie ihn nennen …«
»Weiß Bescheid. Soll verreisen, wie? Wird erledigt.«
»Moment, Moment, Pete reist von hier aus, kapiert? Nur wenn der Fahrplan nicht stimmt, dann besorgst du ihm die Karte. Du bekommst Nachricht.«
»In Ordnung«, sagte der andere gleichmütig. »Das Reisebüro ist Tag und Nacht geöffnet.«
2
Ich parkte meinen Jaguar in der 68th Street, ging um zwei Ecken und verschwand in der Kneipe Fisherman’s Inn. In den Straßen im südlichen Harlem wabbelte eine stickige Backofenluft. In der Kneipe war es etwas kühler, aber es roch nach Katzen.
Der Keeper hatte einen Schnauzbart, der traurig nach unten hing, und eine Warze auf der Nase. Als er mich sah, kniff er die Augen zusammen und musterte mich misstrauisch.
Ich rutschte auf einen der kunststoffüberzogenen Hocker am Tresen.
»Ein Bier, aber so kalt wie Grönland. Und einen Doppelten, aber noch kälter.«
»Geh zum Kühlhaus«, knurrte der Schnauzbart. »Das Bier ist eingetrocknet.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Ist das hier ’ne Bar oder nicht?«
»Heute geschlossen. Betriebsversammlung. Kein Platz für Plattfüße, kapiert?«
Ich sah mich um. In einer Ecke lümmelten zwei verhauene Gestalten. Ich deutete mit dem Daumen über die Schulter.
»Wenn das Ihre Betriebsversammlung ist, dann kann daraus leicht ein Betriebsausflug werden. Ins Kittchen.«
Der Keeper drehte sich phlegmatisch um. »He, Jungs. Zeigt diesem Mister doch mal den Weg zum nächsten Postamt. Er ist ortsfremd hier.«
Die beiden Figuren näherten sich bedächtig. Der eine war ein Fass mit Blumenkohlrohren, der andere quadratisch wie ein Kleiderschrank. Sie hatten immerhin Technik, denn sie gingen mich von beiden Seiten an, der Dicke stieß mir den Ellenbogen in die Hüfte.
»Komm, Sonnyboy, los geht’s.«
In diesem Moment schlug der Vorhang aus schmutzigen Holzperlen im Eingang auseinander. Der Mann, der hereinkam, trug trotz der Hitze einen Filzhut. Die dicke Sonnenbrille mit Spiegelgläsern konnte mir nichts vormachen. Ich erkannte den Mann auf den ersten Blick. Sie nannten ihn Inkasso-Jep, und der Name bürgte für Qualität. Auf ihn hatte ich eigentlich gewartet.
Dem Keeper mit dem Schnauzbart schien der neue Besucher so wenig zu passen wie ich.
Inkasso-Jep warf mir nur einen flüchtigen Blick zu, dann wandte er sich zur Kasse.
»Der Monatsbeitrag für den Sportclub ist fällig«, sagte er nur.
Im Eingang erschienen zwei weitere Gestalten, vorläufig nur undeutlich hinter dem Vorhang zu erkennen.
Der Keeper machte runde Augen. »Ich hab bezahlt«, sagte er. »Das könnt ihr mit mir nicht machen, Jep. Ich habe vorige Woche bezahlt.«
»Yeah«, kaute Inkasso-Jep. »Stimmt schon. Ich hab das Geld verloren. Transportrisiko zu deinen Lasten, klar? Außerdem hat der Boss Zwillinge bekommen. Da spenden wir alle für die Taufe. Komm schon, raus mit den Piepen.«
Der Keeper warf einen angstvollen Blick zum Eingang. Plötzlich kreiselte er herum und rannte zum Telefon, das am anderen Ende des Tresens stand.
Inkasso-Jep packte eine Flasche und warf. Er war ein beachtlicher Werfer, denn er traf genau das Telefon. Das Plastikgehäuse zerbarst, und der Hörer knallte auf den Boden. Gleichzeitig stieß Jep einen Spezialpfiff aus. Die beiden Figuren vom Vorhang stürmten herein. Schlagartig wurde klar, dass auch die beiden Preisboxer von vorhin zum Rackett gehörten.
Gegen fünf Mann hatte der Keeper keine Chance. Er zeterte. Auf Jep machte das keinen Eindruck. Er und seine Komplizen begannen in aller Gemütsruhe, Flaschen und Gläser in die Spiegel hinter dem Tresen zu schleudern. Scherben segelten durch die Luft, Whisky spritzte umher.
Ein paar Sekunden musste ich sie gewähren lassen. Ich lief zum Ausgang. Damit hatten sie wohl gerechnet. Aber am Vorhang machte ich kehrt und zog den 38er. Gleichzeitig zeigte ich meine Marke.
»So, das wär’s, Freunde. FBI. Jep und Genossen, ihr seid verhaftet.«
Sie drehten sich alle fünf gleichzeitig um. Das gab dem Keeper eine Atempause. Er zupfte sich den Schnauzbart von der Lippe, streifte seine Perücke ab und entpuppte sich als mein Freund Phil Decker.
»Pech gehabt, Jep«, meinte er mit freundlichem Grinsen. »Wir bringen euch jetzt zur Heilsarmee.«
Dabei sprang auch ihm der Dienstrevolver in die Faust.
Der Bursche mit den Blumenkohlrohren stieß ein Ächzen der Überraschung aus. Dem Kleiderschrank entwich zischend Luft wie der alten Dampflok von James Watt. Die beiden schienen aufzugeben.
Aber nicht Inkasso-Jep. Er hatte etwas mehr auf dem Kerbholz als ein paar Rackett-Erpressungen. Und er wusste genau, dass wir nicht schießen würden, solange keiner von ihnen den ersten Schuss abgab. Er versuchte einen Ausfall, ohne die Schusswaffe zu ziehen. Er sprang mich an, wich geschickt wieder zurück, ehe er mich erreichte, ließ meinen ersten Konter leerlaufen, schlug blitzschnell drei Finten und kam dann mit einem gemeinen Tiefschlag.
Ich sprang hoch.
Damit hatte er nicht gerechnet. Sein Tiefschlag ging zwischen meinen Beinen ins Leere.
Im nächsten Moment war die Hölle los.
Auch Jeps Komplizen rechneten sich noch eine Möglichkeit aus, uns zu überwältigen oder wenigstens im allgemeinen Durcheinander zu entwischen.
Einer von ihnen rannte wie eine entfesselte Lokomotive auf die Tür zu den Toiletten los, Phil brauchte seinen umgedrehten 38er bloß hochzuhalten, für die genügende Wucht des Kinntreffers sorgte der Mann.
Die nächsten zwanzig Sekunden war ein Gewühl von Fäusten, Armen, Körpern, hochgeworfenen Füßen, unterbrochen von Ächzen und kurzen Schreien.
Jep erwies sich als ein verschlagener Kämpfer. Er versuchte, mich durch ein unheimlich schnelles Trommelfeuer von Schlägen zum Rückzug aus der Tür zu zwingen, um auf die Straße entfliehen zu können. Der Revolver in meiner Hand war jetzt mein Handikap, denn ich wollte den Mann, der mich mit bloßen Fäusten angriff, nicht ernstlich verletzen. Ein schlecht ankommender Hieb mit der Waffe hätte für ihn Kieferbruch oder Schlimmeres bedeuten können. Ich ließ die Waffe einfach fallen. Aber Jep war aalglatt und beweglich wie eine Eidechse. Es war, als ob man in einen Mückenschwarm hineinstieß. Der Kampf fand eine überraschende Entscheidung. Aus dem Gewühl tauchte plötzlich der Mann mit den Blumenkohlrohren auf. Er legte Jep von hinten die Faust auf den Hut.
Jeps Spiegelbrille, die bis jetzt immer noch fest gesessen hatte, trudelte in einem schönen Bogen durch die Luft und zerschellte an der Music Box. Inkasso-Jep sank langsam in die Knie und streckte sich aus.
Blumenkohlohr grinste mich finster an. »Man muss Schluss machen, wenn es keinen Zweck mehr hat. Hoffe, ihr rechnet mir das an, Agents.«
»Mal sehen«, sagte ich keuchend. Dann holten wir die Handschellen heraus. Es gab keinen Widerstand mehr. Phil brachte sogar das zerschmetterte Telefon in Gang, um das nächste Revier anzurufen.
Als er den Hörer hinlegte – auflegen konnte man das ja nicht mehr nennen –, grinste er mich an. »Überhaupt nichts los in diesen Tagen in New York. Übrigens, hattest du nicht ein Bier bestellt?«
In einer Hintertür tauchte ein Mann auf und steckte furchtsam den Kopf in den Schankraum. Dieser Kopf sah haargenau so aus, wie Phil als Keeper ausgesehen hatte. Mit einem Blick der Erleichterung betrachtete der Wirt die fünf Ganoven, die jetzt mit Polizei-Armbändern in einer Ecke standen. Dann starrte er Phil an und fasste sich an die Nase.
»Mister, die Warze …«
Phil pflückte sich die aufgeklebte Warze von der Nase.
»Mensch, wenn ich die vergessen hätte! Wo ich abends mit Nanja zur Revue gehen will.«
***
Tatsächlich, wir konnten es uns leisten, einmal zur Revue zu gehen. Es war wirklich nichts los in diesen Tagen in New York. Wir hatten eine günstige Gelegenheit benutzt, um Jep und sein Rackett auffliegen zu lassen, denn aus irgendeinem Grund verhielten sich die wirklich gefährlichen Banden zurzeit ruhig.
Wir überließen die Routinearbeit der City Police und arbeiteten endlich mal die aufgesammelten Akten und Berichte auf. Ich kann nicht sagen, dass uns das großen Spaß machte. Und außerdem, es beunruhigte uns. Mein Freund Phil fasste unsere Gefühle in dem salomonischen Satz zusammen:
»Es stinkt. Ich höre es bis hierher.«
»Wie meinst du das?«
»Glaubst du etwa, dass die Ruhe der letzten Woche normal ist?«
»Du hast recht, Phil. Dass da irgendjemand ein Ei ausbrütet, ist klar. Und dein Vorschlag?«
»Vielleicht weiß Inkasso-Jep etwas.«
Wir ließen Inkasso-Jep vorführen. Jep gab einige Auskünfte über die Tätigkeit seines Racketts. Als wir ihn danach fragten, was sich sonst in den einschlägigen Kreisen tat, schwieg Jep wie eine Auster.
Wir schickten ihn wieder weg. Zurück blieb der Verdacht, dass irgendwas im Gange sein musste.
Phil gab von der Zentrale aus eine geheime Weisung an alle V-Männer durch, auch an die von der City Police. Eine Sache, die nur manchmal etwas einbrachte.
Inzwischen bestellte ich in der Kantine Steak für uns.
Wir aßen lustlos, wegen der Hitze. Wir hatten beschlossen, gleich weiterzuarbeiten. Auf diese Weise konnten wir vielleicht um vier Feierabend machen, zum Schwimmen gehen und abends in die Revue.
Fünf Minuten vor vier jedoch tauchte Spotty auf.
***
Spotty war eine Fahnenstange im Alter zwischen achtzehn und zweiundzwanzig. Er hieß eigentlich Robert Sobowsky. Aber weil der sichtbare Teil seiner Haut vorwiegend aus Sommersprossen bestand, hatte Phil ihn schon bei unserer ersten Begegnung spontan mit Spotty angeredet. Und er nahm es nicht übel, im Gegenteil, er schien stolz darauf zu sein, seinen Spitznamen direkt vom FBI erhalten zu haben.
Spotty trug zu jeder Jahreszeit eine Kamera vor dem Bauch. Er war auf dem Wege, der beste Sensationsreporter der Staaten zu werden. Jedenfalls war Spotty davon überzeugt, die Zeitungsredaktionen vorläufig noch nicht.
Wenn Spotty sehr aufgeregt war, stotterte er ein wenig. Und er war aufgeregt. Er ließ sich neben unseren Schreibtischen auf den Besucherstuhl fallen.
»Freunde«, sagte er, »in den Staaten wird in jeder Stunde ein Mensch ermordet. In jeder sechsundzwanzigsten Minute geschieht eine Vergewaltigung, alle dreihundert Sekunden ein bewaffneter Überfall. Neunzehnhundertvierundsechzig ereigneten sich hundertvierundachtzigtausendneunhundertacht Überfälle.«
»Wir kennen diese Zahlen«, sagte ich. »Kommen Sie also zur Sache, Spotty!«
»In der letzten Woche ist die Zahl der Verbrechen um achtundsechzig Prozent gefallen. Sagt Ihnen das etwas?«
Phil und ich wechselten einen Blick.
»Weiter«, drängte ich. »Spuck ihn aus, den Brocken, der dir im Hals steckt. Es ist was los, und du weißt es. Stimmt’s? Du hast eine Freundin, und die hat dir was geflüstert von einem anderen Freund, den sie hat. Packst du jetzt aus, oder sollen wir dich in die Röntgenabteilung überweisen?«
Ich hatte einen Schuss ins Dunkle abgefeuert, aber er traf Spotty ins Herz.
»Eine Runde für Sie, Cotton. Ich habe eine Freundin, ja. Sie ist die Tochter eines Gummi-Scheichs.«
Phil beugte sich vor. »Eines was?«
»Eines Gummi-Scheichs. Es gibt doch Öl-Scheiche, folglich auch Gummi-Scheiche. Der Mann macht auf Gummi, künstlichen Kautschuk, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Bishop?«, fragte Phil gespannt.
»Genau, Sir. Ich kenne die Tochter von Bishop, Cat heißt sie, ich meine Cathleen. Und die fängt jetzt an, krumme Touren zu drehen. Sie war ja immer schon etwas … Na, sagen wir spleenig. Aber das … das geht zu weit.«
Phil drehte etwas zwischen Daumen und Zeigefinger und schnupfte es durch die Nase ein. »Du meinst … Rauschgift?«
Spotty schüttelte den Kopf energisch. »Im Gegenteil. Sie trainieren Tag und Nacht. Aber ich glaube, die Leute, die sie da zum Training zusammenholen, die passen zum Sport wie die Made zum Käse.«
Er zog zwei etwas zerknautschte Fotos aus seiner Windbluse und warf sie auf den Tisch.
Phil ergriff und betrachtete sie. »Hm.«
Dann reichte er mir die beiden Fotos. Darauf waren zwei Männer in einer Art von Kampfanzügen zu sehen, die gerade einen dritten ansprangen. Was mich elektrisierte, war das Profil eines dieser beiden angreifenden Männer. Den hatte ich schon einmal gesehen.
»Und wo trainieren diese Leute?«, fragte ich.
»Auf den Elk Hills.«
»Wann? Wie?«
Es war nicht viel, was Spotty uns sagen konnte. Vielleicht witterte er eine Sensation, wo gar keine war. Er bildete sich ein, in den Elk Hills existiere eine Art Trainingscamp für Supergangster.
»Auf jeden Fall erst mal schönen Dank«, sagte ich. »Bleiben Sie am Ball, und berichten Sie uns weiter.«
»Wenn das ein Knüller wird, beanspruche ich die ersten Informationen exklusiv für mich.«
Phil lächelte dünn. »Bei uns kriegt jeder begabte junge Mann seine Chance, Spotty.«
Er verschwand. Ich nahm die Fotos einen Zoll schneller als Phil an mich.
»Ich gehe mal eben zu Daisy damit.«
Daisy war der große Computer in unserem Archiv.
***
Einer der Männer auf den zerknüllten Fotos von Spotty war ein New Yorker Gewohnheitsverbrecher namens Bill Webster.
Daisy gab Folgendes über ihn preis: Er hatte sage und schreibe vierundzwanzig Vorstrafen. Sie begannen in der Steinzeit mit Taschendiebstählen und endeten mit Sing Sing. Eine lebenslängliche Einkerkerung war ihm beim letzten Urteil für das nächste Mal angedroht worden. Er war kaltgeschmolzen und mit allen Wassern gekocht, allerdings bisher noch nicht zum Mörder geworden.
Eine halbe Stunde später saßen wir bei unserem Chef, Mr High.
3
Nur im Dreißig-Meilen-Tempo ließ Cathleen Bishop ihren grünen Mercury auf der gewundenen Straße rollen. Links lag der Campingplatz mit dreitausend munteren Urlaubern, darunter zwei Gangster ihrer Gruppe. Den Fluss hinter Busch und Schilf konnte man nur ahnen.
Die Dunstglocke der Titanenstadt New York lag längst hinter ihr, und vor ihr, noch wie eine Insel, der Ort, der von den Leuten jetzt Bishopsville genannt wurde.
Sie selbst hieß Bishop, Cathleen Bishop. Ihr Vater war der Boss dieser Stadt, die noch keine zehn Jahre alt war. Werkhallen waren damals entstanden, Schornsteine für die Werkhallen. Arbeiter waren gekommen, Reihenhäuser schossen aus dem Boden für die Arbeiter und andere Reihenhäuser für die Ingenieure. Drugstores für die Bewohner und Kinos. Eines Tages war die erste Kirche gebaut worden. Jetzt hatten sie schon zwei Supermarkets und zwölftausend Einwohner.