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Mehrere Kindesentführungen lösten blankes Entsetzen in New York aus. Wir setzten Himmel und Hölle in Bewegung, um den Täter zu ermitteln. Denn der Fall erinnerte uns an die Entführung von Charles III. Lindbergh, dem Sohn des berühmten Piloten, der den Atlantik überquert hatte. Der Junge war kurz nach seiner Entführung ermordet worden. Die Kinder in unserem Fall schien ein ähnliches Schicksal zu erwarten ...
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Seitenzahl: 193
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Das Weinen der Lindbergh-Kinder
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Die Kammer der toten Kinder«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5153-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Das Weinen der Lindbergh-Kinder
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Ich bückte mich und angelte unter dem Armaturenbrett des Trucks das kleine Walkie-Talkie hervor, das wir für unser Unternehmen mitgenommen hatten.
Mit der Linken zog ich die Antenne aus, hielt mir das Ding ans rechte Ohr und rief leise: »Posten eins: Alles ruhig, keine besonderen Vorkommnisse.«
»Okay, Jerry«, erwiderte die Stimme von Steve Dillaggio, der ungefähr achthundert Yards entfernt in einem Hotelzimmer saß und so etwas wie eine Funkzentrale für unsere nächtliche Aktion vor der Silberwarenfabrik bildete. »Wie ist das Wetter?«
Ich blickte durch das offene Seitenfenster in die mondhelle, laue Sommernacht. Besser konnte man sich das Wetter gar nicht wünschen. Man hätte nur nicht im Dienst sein dürfen.
»Bestens, Steve«, erwiderte ich leise. »Warum?«
»Ich habe morgen dienstfrei und will mit jemand an den Strand von Long Island fahren. Wenn sich das Wetter verschlechtert, fällt der ganze Spaß ins Wasser.«
»Die Sonne wird strahlen, verlass dich drauf!«, prophezeite ich und stellte das kleine Sprechfunkgerät wieder zwischen meine Füße. Dann blickte ich zur Silberwarenfabrik hinüber. Dort war alles still.
»Irgendwas ist faul«, brummte Phil dennoch. »Superfaul.«
»Kluges Kind«, spottete ich.
»Der Nachtwächter ist seit vier Minuten überfällig, Jerry.«
»Vielleicht geht deine Uhr falsch.«
»Vielleicht ist zweimal zwei neunzehn. Meine Uhr geht richtig. Und er hätte schon vor vier Minuten aus der Fabrik wieder herauskommen müssen. Ich habe den Rundenplan heute Nachmittag auswendig gelernt.«
»Ich glaube nicht, dass die einen Zeitplan mit der Präzision anfertigen, die beim FBI üblich ist.«
Draußen im Fabrikhof, wo auch der Truck stand, wurde ein metallisches Klirren laut. Ich schob den Kopf ein wenig vor und schielte nach hinten zu der Fabrik. Neben dem Kesselhaus mit dem hochragenden Schornstein quietschte eine Tür. Gleich darauf trat der uniformierte Wächter in das Mondlicht und klapperte mit seinen Schlüsseln.
»Da hast du deinen Nachtwächter«, raunte ich Phil zu. »Zufrieden?«
»Nein«, erwiderte er sehr leise. »Weil etwas faul ist, Jerry, superfaul.«
»Das habe ich doch schon mal gehört«, brummte ich.
Phil schwieg beleidigt. Er hatte ja recht, und ich war seiner Meinung. Aber was half es, immer wieder darauf herumzuhacken? Noch hatten wir nicht den blassesten Schimmer, wo die faule Stelle in dieser Geschichte war.
Der Wächter tappte über den Hof, betrat sein Häuschen und stieß die beiden Fensterflügel auf. In seinem Zimmerchen brannte eine Neonlampe und ließ ein bläuliches Licht auf den kleinen Schreibtisch fallen, der unmittelbar vor dem Fenster stand.
Das Häuschen war ungefähr vierzig Yards von uns entfernt. Als Steves Stimme aus dem Walkie-Talkie drang, sah ich erschrocken hinüber zu dem Wächter. Aber er hatte offenbar nichts gehört.
Ich angelte mir das Mikro und sagte leise: »Ja, Steve?«
»Posten vier hat gerade gemeldet, dass zwei verdächtige Gestalten vorn auf der Straße herumlungern. Bisher haben sie noch keine Anstalten gemacht, auf euer Grundstück vorzudringen.«
»Okay, wir passen auf.«
Das Gerät war so leise eingestellt, wie es nur ging, und auch ich selbst hatte sehr leise gesprochen. Dem Wächter war nichts aufgefallen. Er saß an seinem Schreibtisch und wickelte ein Paket belegter Brote aus. Mit einer Büchse Bier spülte er seine Mahlzeit hinunter.
Während ich ihn und die linke Hälfte des Hofs beobachtete, behielt Phil die rechte Seite im Auge. Plötzlich stieß er mich an und zeigte nach halbrechts.
Ich beugte mich vor. In schattenhaften Umrissen bemerkte ich auf dem Dach der Garagenreihe zwei Gestalten.
Vorsichtig hob ich das Sprechfunkgerät erneut an meine Lippen. Ich sprach so leise, dass ich mich fragte, ob Steve mich überhaupt verstehen würde, als ich ihm die beiden Gestalten meldete.
»Okay«, kam seine Erwiderung. »Es bleibt wie besprochen?«
»Selbstverständlich. Sobald sie den Hof wieder verlassen, melde ich es.«
»Gut.«
Ich beugte mich vor, um das Gerät wieder zwischen meine Füße zu stellen. Dann wandte ich den Kopf nach links.
Der Wächter hatte die angewinkelten Arme auf die Schreibtischplatte gelegt und bettete sein müdes Haupt in der Ellenbogenbeuge zur Ruhe. Ein schöner Nachtwächter! Ich sah hinüber zu den Gestalten auf dem Garagendach. Sie rührten und regten sich nicht.
Zehn Minuten vergingen, ohne dass irgendetwas passierte. Der Wächter schien fest zu schlafen. Auf dem Garagendach wurden sie mobil. Der erste ließ sich vorsichtig in den Hof hinab. Der zweite folgte. Dicht an den Garagen entlang schlichen sie nach hinten zur Fabrik. Wir mussten uns fast die Hälse verrenken, um sie nicht aus den Augen zu verlieren. Bald tauchten sie auf der linken Hofseite wieder auf und hielten sich im Schatten der Mauer.
Als sie das Wächterhäuschen erreicht hatten, blieben sie stehen. Ich sah, dass einer mit irgendetwas hantierte, konnte aber nicht erkennen, was er im Einzelnen tat. Vorsichtshalber holte ich den Smith & Wesson Revolver aus der Schulterhalfter, legte die Linke auf den Fensterrand, um notfalls eine gute Auflage zu haben, und wartete.
Plötzlich löste sich eine der beiden Gestalten aus dem Schatten der Mauer und wuchs vor dem geöffneten Fenster des Wächterhäuschens in die Höhe.
Er streckte den rechten Arm aus. Es wirkte, als hätte er einen superdicken, dreimal verlängerten Zeigefinger.
Eine Waffe mit Schalldämpfer!, schoss es mir durch den Kopf. Der Kerl will den Wächter erschießen!
Das brachte unseren ganzen Plan durcheinander. Aber wir durften nicht zusehen, dass vor unseren Augen ein Mann ermordet wurde. Ich zielte kurz und zog durch. Der Krach meines Schusses hallte in der nächtlichen Stille wider wie die Explosion einer Bombe.
***
Jack the Black bückte sich und zerrte einen zusammengeschobenen Totschläger aus dem Stiefelschaft. Lautlos zog er die biegsamen Stahlteile auseinander und warf einen Blick hinter sich. Slim Morris, Bob Fetherton und Rack De Laine pressten sich genau wie er eng an die Wand des Lagerhauses. Weiter hinten gab es eine Bogenlampe, aber ihr trüber Lichtschein reichte nicht bis zu der Stelle, wo die vier Gangster standen.
Hinter der Ecke des Lagerhauses waren Schritte laut geworden, die näherkamen. Jack hob die Hand mit der fast vierzig Zoll langen Stahlgerte. Seinen Spitznamen »der Schwarze« verdankte er dem Umstand, dass er stets von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet war: schwarze Stiefel, schwarze Kunstlederhose und -jacke, und auch Hemd und Handschuhe waren schwarz.
Während sich die Schritte langsam näherten, verhielten die vier Gangster unwillkürlich den Atem. Von der Kaimauer her drang leise das Glucksen und Plätschern des Brackwassers. Draußen kroch träge der schmutzig graue East River dahin, der im Mondlicht wechselnde Lichtreflexe aussandte.
Jetzt waren die Schritte dicht vor der Ecke angekommen. Jack the Black holte aus. Ein uniformierter Mann bog arglos auf die Rückseite des Lagerhauses ein. Mitten im Schritt verhielt er. Seine Rechte fuhr zur Gürtelhalfter, wo der schwere 45er Colt baumelte.
Aber er brachte ihn nicht mehr in Anschlag. Die Stahlkugel des Totschlägers dröhnte mörderisch hart auf die Mitte seiner Schirmmütze. Die Knie knickten ihm weg, und mit einem leisen Röcheln stürzte er zu Boden.
»Los!«, kommandierte Jack. »Brich das Schloss auf, Slim!«
Slim Morris fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. Er konnte kein Blut sehen, und über das Gesicht des bewusstlosen Wächters lief Blut. Morris schluckte ein paar Mal, während er das kurze Stemmeisen in den Bügel des Vorhängeschlosses schob. Er wuchtete ein paar Mal auf und nieder, aber Jack ging es nicht schnell genug.
»Lass mich, du Schlappschwanz!«, zischte er, schob Morris beiseite und griff zu. Der Krach des gesprengten Schlosses dröhnte in ihren Ohren wie der Lärm eines Schusses. Jack the Black ließ sich nicht beirren. Er riss die Stahlstange zur Seite, feuerte auf das Schloss in die Dunkelheit des nächtlichen Piers und zerrte auch schon an der schweren Tür.
»Verdammt, packt gefälligst mit an!«, rief er.
Sie taten ihr Bestes, aber die schwere Tür bewegte sich dennoch nur zollweise. Als der Spalt endlich breit genug war, dass sie sich hindurchdrücken konnten, lief Jack noch einmal zurück zu dem Wachmann. Um seinen Kopf hatte sich bereits eine kleine Blutlache angesammelt.
Jack bückte sich und zog den schweren Colt aus der Halfter. Einen Augenblick wusste er nicht, wo er die große Waffe lassen sollte. Dann schob er den Lauf in seinen Hosenbund.
Als er den Komplizen ins Lagerhaus folgte, kletterte Morris schon auf einen Kistenstapel, um die oberste aufzureißen. Zwar klebten an den Kisten Zettel mit Angaben über ihren Inhalt, aber keiner der Gangster verstand die Abkürzungen.
»So ein Mist!«, schimpfte Morris, nachdem er Holzwolle beiseitegeschoben und ölgetränktes Pergamentpapier zerfetzt hatte. »Maschinenteile oder so was!«
»Nimm den nächsten Stapel!«, rief Jack the Black und schnitt mit einem Messer einen prall gefüllten Sack auf. Ungeröstete Kaffeebohnen quollen heraus.
Sie ließen keinen Stapel aus, aber sie hatten kein Glück. Es gab nichts, was ihnen ein Hehler auf Anhieb abgenommen hätte und wertvoll genug gewesen wäre, dass sich die Mühe des Transports ausgezahlt hätte.
Dafür gab es plötzlich etwas anderes: Laut und durchdringend hörten sie draußen den Pfiff einer Trillerpfeife.
»Raus hier, aber vorn!«, rief Jack und hetzte zwischen den Stapeln hindurch. Die anderen hasteten hinter ihm her. In der von ihnen aufgebrochenen Tür erschien der Umriss eines Mannes.
»Halt! Stehen bleiben! Ich schieße!«, rief er.
Sie dachten nicht daran, stehen zu bleiben. Jack the Black erreichte als Erster eine kleine Tür, die in ein großes Schiebetor eingelassen war. Er zog den Colt und trat einen Schritt zurück. Slim Morris leuchtete ihm mit der Taschenlampe, die sie mitgebracht hatten. Laut und ohrenbetäubend krachten die Schüsse aus dem 45er. Holz splitterte. Dann trat Jack mit aller Wucht zu, und die kleine Tür flog nach außen.
Draußen zog sich ein Feldbahngleis hin. Rack De Laine, der als Letzter das Lagerhaus verlassen hatte, stolperte über eine Schiene und stürzte.
»Halt!«, schrie er. »Halt! Nehmt mich mit!«
Jack the Black hatte einen Vorsprung von gut zwanzig Yards. Er warf sich herum. De Laine lag im Lichtkreis einer Lampe, die sich über dem Tor des Lagerhauses befand. Jack hob erneut den Colt. Er wusste nicht, dass De Laine ihn ebenso gut sehen konnte wie er ihn.
Als er zielte, hörte er De Laine brüllen: »Nein! Jack! Nein, das kannst du doch …«
Der Lärm des Schusses übertönte sein Geschrei. Aus der Mündung des Colts schoss eine orangerote Stichflamme.
De Laines Körper fuhr zusammen wie unter einem heftigen Stromstoß. Jack the Black drehte sich um und lief weiter. Überall gellten jetzt schon Signalpfiffe. Entfernt waren laute Männerstimmen zu vernehmen.
Der gestohlene Buick stand neben dem Betonsockel eines Drehkrans. Slim Morris warf sich ans Steuer. Jack the Black hechtete durch die offen stehende linke Hintertür auf die Sitzbank. Bob Fetherton kletterte auf den Beifahrersitz.
»Los, hau ab!«, keuchte Jack atemlos.
Slim gab Gas. Mit aufheulendem Motor und kreischenden Reifen riss er den Buick in eine Schleife.
»Verdammt!«, stieß Fetherton kurzatmig hervor. »Das wäre beinahe schiefgegangen!«
»Und für nichts und wieder nichts!«, knurrte Morris, während er in einer halsbrecherischen Verwegenheit den Buick knapp vor einem heranfegenden Cadillac auf die Uferstraße einschwenken ließ.
»Wo steckt Rack?«, wollte Fetherton wissen.
»Der ist liegen geblieben!«, erwiderte Jack, der langsam wieder zu Atem kam.
»Liegen geblieben? Seid ihr denn verrückt? Wenn die Bullen den schnappen, singt er doch! Der verpfeift uns! So ein Kerl ist der nicht, dass er dichthält!«
»Er kann uns nicht verpfeifen«, sagte Jack kalt.
»Wieso kann er nicht?«, rief Fetherton aufgeregt und beugte sich über die Lehne des Beifahrersitzes nach hinten. »Wieso soll er nicht singen können? Ich kenne ihn länger als du, Jack! Er ist ein prima Kerl, nur eben ein bisschen weich! Das muss ich doch wissen!«
»Reg dich ab!«, sagte Jack kühl. »Er kann nicht singen, weil ich ihn erschossen habe. Hast du’s denn nicht gesehen?«
»Ich bin gelaufen. Ich habe mich nicht umgedreht. Und du sagst, du hättest …«
»Ihn erschossen, verdammt noch mal. Nun kapier’s endlich und halt dein Maul! Du gehst mir auf die Nerven mit deinen Ansprachen. Slim, fahr durch bis hinauf zur Triboro Bridge!«
»Okay, Jack.«
»Hör mal!«, fing Fetherton wieder an. »Das war doch ein Witz, oder?«
Jack hielt ihm die Mündung des Colts unter die Nase. »Riech mal!«, sagte er.
Fetherton zuckte zurück. »Das kannst du mit mir nicht machen«, knurrte er. »Da spiele ich nicht mit. Ich will nicht sagen, dass Rack mein Freund gewesen wäre, aber immerhin haben wir ein paar Jahre lang in derselben Zelle gesessen. Ich mache da nicht mit.«
»Da gibt es nichts mehr, wo du mitzumachen hättest, weil es bereits passiert ist. Und damit du klarsiehst: Nach dem Gesetz, das in diesem Bundesstaat gültig ist, hast du dich der Beihilfe zum Mord bereits dadurch schuldig gemacht, dass du mit uns überhaupt losgezogen bist. Wird im Zuge eines Verbrechens ein Mord begangen, haben sich alle Beteiligten wegen Beihilfe zu verantworten, kapiert?«
Fetherton schluckte.
Jack beugte sich vor und starrte ihm aus nächster Nähe in die schreckhaft geweiteten Augen. »Bei deiner Vorstrafenlatte«, fuhr er fort, »genügt unter Umständen schon Beihilfe für ein Todesurteil. Es bleibt dir also gar nichts andres übrig, als schön bei der Stange zu bleiben. Und jetzt halt endgültig dein zerfranstes Maul, du Idiot!«
Jack legte sich auf die Sitzbank und begann nachzudenken. Mit diesen nutzlosen Einbrüchen in den Lagerhäusern musste Schluss sein. Es kam ja doch nichts dabei heraus. Selten genug stießen sie mal auf Waren, die günstig abzusetzen waren.
Jack the Black verschwendete nicht einen Gedanken an den Wächter, den er niedergeschlagen, oder an den Komplizen, auf den er geschossen hatte. Er zerbrach sich den Kopf über etwas, das es gar nicht gab: über ein lohnendes Verbrechen.
Irgendwas ganz Tolles, dachte er. Bei dem wirklich was rausspringt. Wonach man mal für ein paar Jahre ausgesorgt hat.
Slim Morris unterbrach seine Überlegungen: »Allzu lange können wir mit diesem heißen Schlitten nicht auf Achse bleiben«, mahnte er. »Wo soll ich dich absetzen, Jack?«
»Kurz vor der Brücke. An einer Bushaltestelle.«
»Gut. Wann treffen wir uns wieder?«
»Morgen. Wie üblich! Bring die neuesten Zeitungen mit, Bob!«
Fetherton hatte zwar keine Ahnung, was Jack mit neuen Zeitungen anfangen wollte, denn richtiges Lesen war ihrer aller schwache Seite, aber er nickte ergeben und sagte: »Okay, Jack. Ich besorge die wichtigsten Mittagsausgaben.«
Und mit diesem nur scheinbar harmlosen Versprechen hatte er ihr Todesurteil unterschrieben.
2
»Verdammt noch mal«, knurrte ich. »Jetzt erfährt die ganze Nachbarschaft, dass wir hier auf der Lauer lagen. Dabei wollten wir es um jeden Preis geheim halten.«
»Aber wir konnten doch nicht tatenlos zusehen, wie vor unseren Augen der Nachtwächter erschossen wird!«
»Natürlich nicht. Und jetzt ist es zu spät. Los, Phil, kaufen wir uns die Burschen!«
Ich stieß die Tür des Führerhauses auf. Der Mond verbreitete nicht gerade eine Festbeleuchtung. Aber immerhin war sein Licht hell genug, dass uns die beiden Burschen wie auf einem Präsentierteller hatten, während sie im Schatten der Mauer von uns nur sehr undeutlich zu erkennen waren.
Bevor ich hinab in den Hof sprang, warf ich noch rasch einen Blick hinüber zu dem Wächterhäuschen. Der Nachtwächter kam gerade zur Tür und blieb auf der Schwelle stehen, sodass das Licht hinter ihm eine ideale Zielscheibe aus ihm machte.
»Gehen Sie in Ihre Bude zurück!«, rief ich laut über den Hof. »Und suchen Sie sich gute Deckung!«
Offenbar brauchte der Mann seine Zeit, bevor er sich zu etwas entschließen konnte. Statt auf der Stelle zu verschwinden, blieb er erst einmal zögernd stehen. Zu allem Überfluss fing auch noch das Walkie-Talkie zu meinen Füßen an zu quarren. Ich hob es auf.
»Hör zu, Steve!«, fiel ich meinem Kollegen im Hotelzimmer ins Wort. »Die beiden Kerle, die du uns angekündigt hattest, wollten den Nachtwächter erschießen. Ich hatte gar keine Wahl, ich musste schneller sein. Bleibt vorläufig in Deckung! Wir wollen unsere Aktion so lange wie möglich geheim halten. Phil und ich werden mit den beiden schon irgendwie fertig. Außerdem müsste einer verwundet sein. Ich glaube, meine Kugel hat ihn in die Schulter getroffen. Wir melden uns wieder! Ende.«
Ich legte den Kasten neben mich auf den Sitz und sprang hinab in den Hof. Die beiden Männer krochen geduckt an der Mauer entlang.
»Nicht bewegen!«, rief ich laut. »Oder es knallt!«
Phil kam um den Kühler herum. Wir hielten sechs Schritt Abstand zueinander, während wir mit schussbereiten Revolvern über den Hof liefen. Kaum hatten wir die Hälfte der Strecke zurückgelegt, da blitzte es drüben auf. Ein Schuss krachte, und etwas Heißes sirrte knapp an meinem Kopf vorbei.
Wer hat schon Lust, auf einem Fabrikhof abgeknallt zu werden wie ein Kaninchen? Ich riss meinen Smith & Wesson hoch und setzte den Kerlen zwei Kugeln knapp über ihre Köpfe hinweg gegen die Mauer. Funken stoben. Ich lief weiter.
Phil blieb stehen und schoss ebenfalls. Es gehört zu den wichtigsten Verhaltensregeln der Agents, niemals im Laufen zu feuern.
Kaum schlug Phils Geschoss in die Mauer, da rief auch schon einer von ihnen: »Halt! Nicht schießen! Wir stecken auf!«
»Es wird euch auch nichts anderes übrig bleiben«, knurrte ich und verlangsamte mein Tempo. Denn ich war nur noch acht Yards von ihnen entfernt. Wenn jetzt noch einer schießen wollte, konnte er mich kaum verfehlen. Ich strengte mich an, um mit meinen Blicken die Finsternis zu durchdringen, während ich langsam weiter auf sie zuging. Einer hatte die Arme hochgereckt, aber er hielt eine Waffe in der rechten Hand.
»Lass die Kanone fallen!«, befahl ich.
Er zögerte. Der andere neben ihm hockte an der Mauer. Ich konnte überhaupt nicht erkennen, wo er seine Hände hatte. Hier im Schatten war es verdammt dunkel. »Wird’s bald?«, rief ich scharf und reckte die Hand mit dem Revolver vor.
»Nicht schießen!«, stöhnte der Sitzende. »Ich bin verwundet! Helfen Sie mir doch! Ich verblute!«
»Das liegt an euch«, erwiderte ich und schlug einen Bogen, um von links an die beiden heranzukommen, während sich Phil von rechts näherte.
Aus der Rechten des Stehenden löste sich etwas Dunkles und fiel auf den Asphalt des Hofs. Ich machte noch einen Schritt und sah, dass auch Phil inzwischen nahe genug war.
»Stoß die Pistole mit dem Fuß herüber!«, forderte ich. Er tat es.
Ich gab ihr einen weiteren Tritt, sodass sie noch ein Stück über den Hof schlidderte.
»Drei Schritt nach links!«, kommandierte ich für den Gesunden. »Umdrehen! Hände gegen die Mauer! Einen Schritt zurücktreten!«
Er gehorchte. Ich gab Phil ein Zeichen. Er warf mir seinen Revolver herüber und ging unbewaffnet zu dem Verwundeten. Auch das gehört zu unseren Regeln. Wer keine Waffe hat, dem kann man keine abnehmen. Und da man nur ein Leben hat, muss man mit allem rechnen. Phil bückte sich.
»Kommen Sie mit hinüber zu dem Truck!«, sagte er. »Ich stütze Sie! Oder schaffen Sie es bis zur Straße? Wir haben einen Wagen dort und können Sie sofort zu einem Hospital bringen.«
»Ja«, stöhnte der Mann. »Bitte!«
Phil stützte ihn. Langsam entfernten sie sich quer über den Hof hinweg zur Einfahrt. Ich ließ Phils Revolver in meine Jackentasche gleiten, hakte das Handschellenpaar hinten an meinen Hosengürtel los und ließ den Mann an der Mauer sich wieder umdrehen.
»Hände vorstrecken!«, befahl ich. »Wenn Sie einen Trick versuchen, ziehe ich durch.«
Er streckte mir die Arme hin. Mit der Linken hakte ich ihm die eine Zange ums Handgelenk, dann drückte ich die andere zu. Die gefesselten Hände ließ ich ihn noch einmal hochrecken.
Während ich ihm die Mündung meines Revolvers in den Rücken setzte, klopfte ich ihn ab. In der linken Hosentasche stak ein Schlagring, in der rechten ein Schnappmesser, und vorn im Hosenbund hatte er noch eine kleine Pistole vom 32er Kaliber.
»Die Marine-Infanterie ist kaum besser ausgerüstet«, sagte ich. »Sie können sich wieder umdrehen. Die Arme können Sie auch wieder herunternehmen. Und jetzt eine kurze Antwort auf eine kurze Frage: Wo habt ihr das Kind versteckt?«
Seine Antwort ließ eine Sekunde auf sich warten. »Was denn für ein Kind?«
Die Überraschung in seiner Stimme klang echt. Aber auf Klang kann man nichts geben. Auf dieser Welt gibt es mehr schauspielerische Talente, als in den Gagenlisten der Theater aufgeführt sind.
Ich trat dicht an ihn heran.
Den Revolver hatte ich noch in der Hand. »Los, Antwort! Wo ist das Kind?«
»Ich hab verdammt keine Ahnung, wovon Sie reden! Was denn für ein Kind? Wir wollen die Bude da hinten ausnehmen. Das gebe ich zu. Ihr habt uns dabei erwischt. Aber ich weiß verdammt nicht, was Ihr Gerede von einem Kind bedeuten soll!«
Seine Stimme klang noch immer echt. Ich zog meinen Revolver zurück und schob ihn in die Schulterhalfter. Wenn er die Wahrheit sagte, war dies ein ganz dummer Zufall. Wir warteten auf die Kidnapper des Fabrikantensohnes, und zwei im Verhältnis dazu harmlose Einbrecher zwangen uns, unsere Deckung preiszugeben. Es war zum Auswachsen.
»Los«, sagte ich wütend. »Rein in das Wächterhäuschen!«
Er zögerte. Und dann fragte er: »Was – was sollen wir denn da?«
Ich stutzte. In meinem Gehirn begann es zu arbeiten. Es war gar nicht so schwierig, den Grund für sein Zögern zu finden. Ein bisschen Logik und ein paar Jahre Berufserfahrung, und der Zusammenhang lag auf der Hand.
»Die Fragen stellen wir«, sagte ich. »Also los, Bruder!«
Ich hielt es für ratsam, den Dienstrevolver wieder in die Hand zu nehmen, bevor wir das Wächterhäuschen betraten. Ich schob meinen Gefangenen vor mir her. Aber ich sorgte dafür, dass ich den Nachtwächter sofort in mein Blickfeld bekam. Sein Gesicht genügte mir.
»Schnallen Sie Ihren Gürtel ab!«, sagte ich zu ihm. »Legen Sie ihn auf den Tisch, und versuchen Sie ja nicht, an Ihren 45er zu kommen! Ich habe zwar nur einen 38er, aber ich bin garantiert schneller.«
Der Wächter, ein Mann von etwa fünfzig Jahren, sah mich erschrocken an. »Warum?«, stotterte er. »Wa-warum soll ich den Gürtel abschnallen?«
»Weil Sie festgenommen sind«, erwiderte ich. »Und für euch beide gilt: Alles, was ihr von jetzt an tut oder sagt, kann gegen euch verwendet werden.«
Der Wächter schnallte seinen Gürtel ab und ließ ihn polternd mit dem schweren Colt auf den Schreibtisch fallen. Vielleicht achtete ich ein bisschen zu konzentriert auf ihn. Jedenfalls hörte ich trotz des offen stehenden Fensters nicht, dass jemand über den Hof kam.
Aber plötzlich wurde die Tür aufgerissen, ich fuhr herum und starrte genau in die Mündung eines großkalibrigen Gewehrs.
***