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Alle nannten James Henry Besemer den "Großen Boss" oder einfach nur "Mr Big". Seit Jahren waren wir hinter dem Verbrecherkönig her, ohne dass wir ihm etwas nachweisen konnten. Dann wurde Mr Big bestohlen, von einem seiner eigenen Männer. Seine Schläger schnappten sich den Dieb, und Besemer selbst verurteilte ihn zum Sterben. Damit jedoch sprach er sein eigenes Todesurteil aus, denn endlich hatten wir etwas gegen ihn in der Hand. Als wir aber seine Villa stürmten, erlebte ich eine böse Überraschung. Und mit der begann der Fall erst richtig!
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Seitenzahl: 203
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Mr Big muss sterben
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Road to Perdition«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5154-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Mr Big muss sterben
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Als Stephen Voe die Stadt Albany erreicht hatte, begann er sich sicherer zu fühlen. Albany und Umgebung gehörten nicht mehr zum Revier des Großen Bosses. Und für Stephen Voe rückten damit 30.000 Dollar in greifbare Nähe, die er sich nur noch abzuholen brauchte. Bei Little-Hunter, dem Juwelier.
Die Schaufenster von Hunters Geschäft waren klein. Die eisernen Rollläden hingen davor, aber durch die Spalten schimmerte gelbliches Licht. Voe klopfte in einem bestimmten Rhythmus gegen die Jalousie. Wenig später setzte sie sich rasselnd nach oben in Bewegung.
Stephen schlüpfte durch den Spalt und musste dann warten, bis Little-Hunter die Jalousie wieder geschlossen hatte. Erst dann öffnete der Juwelier die Glastür.
Voe betrat den Laden und nahm die Hand aus der Tasche. Zwischen seinen Fingern baumelte ein Diamantenkollier. »Habe ich zu viel versprochen?«, fragte er.
Der Juwelier war ein schmächtiger Mann mit einem kleinen, nach französischer Art aufgezwirbelten Schnurrbart. Er sah das Kollier nicht an. Sein Blick war an Voe und dem Schmuck vorbei auf den Boden gerichtet. Angst hatte seine Gesichtsfarbe in ein fahles Graugelb verwandelt und seine Lippen entfärbt.
Voe sah, dass der Mann an allen Gliedern zitterte.
»Irgendwas nicht in Ordnung?«, fragte Voe.
Dröhnendes Gelächter antwortete auf seine Frage. Die Gestalten zweier Männer schoben sich durch die Öffnung der Werkstatt.
Bei ihrem Anblick erstarrte Stephen Voe. Diese Männer hatte Voe nicht erwartet: Chester Dibble und Jules Feranchuk, zwei Gorillas und Killer des Großen Bosses.
Stephen warf sich herum. Er riss die Glastür auf. Der eiserne Rollladen dröhnte wie ein angeschlagener Gong, als er sich dagegen warf, aber sie sprang nicht aus der Führung.
Dibble flankte über den Ladentisch und walzte auf Stephen zu. Voller Verzweiflung griff Voe unter die Jacke. Dibble blieb mit einem Ruck stehen. »Versuch das nicht, mein Junge!«, sagte er ruhig. »Diese Arbeit verstehen wir besser als du. ’ne Kanone gehört nicht in die Hand eines Diebes.«
Hinter dem Ladentisch machte Jules Feranchuk eine Bewegung mit dem linken Arm. Wie hineingezaubert lag eine schwere Pistole in seiner Hand. Dibble schien das alles zu wissen, ohne sich umzusehen. »Jules bläst dir dein Spatzengehirn aus dem Schädel, bevor du an deiner Spielzeugkanone auch nur den Sicherungshebel rumgelegt hast, falls du weißt, wie man das macht.«
Der Hohn in Dibbles Worten lähmte Voe. Er zog die Hand leer unter der Jacke hervor.
»Sehr vernünftig!«, lobte Dibble. Er rollte auf Voe mit der Unerbittlichkeit eines Panzers zu. »Sehr vernünftig!«, wiederholte er. Noch in der Bewegung schmetterte er dem Dieb die Faust ins Gesicht.
Voe brüllte auf und stürzte. Das Kollier fiel zu Boden. Der Dieb rollte über die Dielen, aber er war nicht ausgeknockt. Er presste beide Hände vor das Gesicht.
Die Gorillas beachteten den Dieb nicht länger. Dibble hob das Kollier auf und steckte es in die Tasche, ohne es auch nur anzusehen. Er winkte dem Juwelier, und der Mann taumelte hastig und an allen Gliedern schlotternd aus der Ecke. Dibble zog ihn an der Krawatte ganz nahe zu sich heran. Vor Angst knickten dem Mann die Knie weg.
»Wir räumen jetzt deinen Laden aus, Hunter, aber nicht, weil uns der Schund interessiert, der bei dir herumliegt, sondern damit du etwas hast, was du der Polizei erzählen kannst. Spitz die Ohren! Zwei maskierte Männer sind nach Feierabend bei dir eingedrungen, haben dich niedergeschlagen und dich ausgeraubt.« Dibble zeigte auf den noch immer am Boden liegenden Voe. »Den Jungen hast du nie in deinem Leben gesehen! Denk daran, falls du das Bild seiner Leiche in irgendeiner Zeitung sehen solltest! Wiederhol mal!«
Little-Hunter versagte fast die Stimme. Nur mühsam konnte er die Worte hervorstoßen: »Zwei maskierte Männer … Ich wurde niedergeschlagen … ausgeraubt … ihn nie gesehen!«
Dibble ließ die Krawatte des Juweliers los. »Pack ein, Jules!«, befahl er. Feranchuk steckte seine Waffe weg. Er nahm eine Aktentasche, die hinter der Theke lehnte, und begann sachlich, die Vitrinen. und Schaukästen des Juwelierladens auszuräumen. Es gab in diesem Laden kein Schmuckstück über 500 Dollar. Feranchuk schüttete goldene Eheringe, Armreifen und Anstecknadeln in die Tasche und hatte dabei die angeekelte Miene eines Mannes, der sich gezwungen sieht, Kröten anzufassen.
Als Feranchuk seine Arbeit erledigt hatte, stieß Dibble den Dieb mit dem Fuß an. »Steh auf!«
Schwankend erhob sich Voe. Der Gangster packte seinen Arm und zerrte den Mann in den Werkstattraum, in dem sich ein Waschbecken befand. »Wasch dein Gesicht!«
Voe hielt den Kopf unter das Wasser.
Feranchuk brachte indessen Little-Hunter herein.
Dibble ging zu Feranchuk und dem Juwelenhändler. »Je echter du aussiehst«, sagte Dibble, »desto leichter wird dir die Polizei glauben. Halt still. Es tut nicht weh!«
Er holte aus. Wie von einem Dampfhammer getroffen, brach Hunter zusammen.
Dibble wandte sich an Voe. »Gehen wir! Der Boss wartet auf deine Beichte.«
***
Ich trug die Uniform eines Beamten der New Yorker City Police, und meine Aufgabe bestand darin, den Verkehr an der Kreuzung Hudson und Christopher Street zu regeln, die Ampelanlage zu überwachen und alte Mütterchen und Schulkinder unbeschädigt über die Kreuzung zu geleiten.
In Wahrheit stand ich an dieser Stelle, um ein Haus in der Hudson Street zu beobachten, in dem sich eine Filiale des Syndikats befand. Das FBI war zum Großangriff auf die Organisation des großen Bosses angetreten.
So wie ich in der Tarnung eines Verkehrspolizisten an dieser Kreuzung stand, so arbeiteten andere Agents als Eisverkäufer in einem Drugstore, der einem Nachtclub des großen Bosses gegenüberlag, als Stauer auf dem Pier sechsundvierzig, auf dem sich die Lagerhäuser des Bosses befanden, als Taxifahrer, deren Stand vor dem Bürohaus war, in dem »Mr Big« seine Agentur unterhielt, und weiter in anderen Tarnungen an Dutzend anderer Ecken New Yorks und über die Grenzen der Stadt hinaus. Mein Freund Phil hatte den Postzustelldienst in zwei Straßen übernommen, in denen junge Frauen wohnten, die für die Kasse des Großen der Prostitution nachgingen.
Der große Boss! Die Gangster nannten ihn, wenn sie von ihm sprachen, »Mr Big« oder oft einfach »Big«. Sein wirklicher Name lautete vermutlich James Henry Besemer, denn unter dieser Bezeichnung betrieb er einige seiner legalen Unternehmen. Die Buchstaben JHB galten als Abkürzungen für eine Firma, der die Banken Kredite bis zu mehreren Millionen eingeräumt hätten, doch die hatte er nicht nötig. James Henry Besemer schöpfte Kapital aus vielen illegalen Quellen. Er verdiente an jedem Verbrecher, an jedem Gesetzesverstoß in New York, ausgenommen höchstens die Übertretung von Parkverboten.
Es war höllisch schwierig, Beweise gegen Big zu beschaffen. Seine Macht verschloss jedem möglichen Zeugen den Mund. Unser Chef, John D. High, setzte seine besten Männer an allen Brennpunkten ein, an denen der Boss seine Filialen unterhielt.
In dem Haus in der Hudson Street befand sich eine Bodybuilding-Schule. Diese Schule war nichts anderes als das Trainingscamp für den Schlägernachwuchs der Organisation.
Seit drei Wochen versah ich meinen Verkehrsdienst an dieser Kreuzung. Ich kannte inzwischen drei Dutzend Gesichter mehr oder weniger jugendlicher Ganoven, die Mitglieder dieser Schule waren, und ich kannte fünf bösartige Gorillatypen, die offenbar das Lehrpersonal dieser merkwürdigen Schule darstellten.
An diesem Morgen stand ich um sechs Uhr vor dem Schaltkasten meiner Ampelanlage.
Ich hatte sie auf automatischen Betrieb gestellt, und ich glaube, ich döste ein wenig vor mich hin.
Eine schwarze Ford-Limousine bog aus der Christopher Street in die Hudson Street ein. Sie stoppte vor dem Haus, in dem die Bodybuilding-Schule untergebracht war. Der Mann, der die Fahrertür öffnete und ausstieg, war Jules Feranchuk. Und Feranchuk arbeitete so sicher für Mr Big, wie ich mein Gehalt vom FBI beziehe. Er überquerte den Bürgersteig und schloss den Eingang zur Schule auf. Erst dann machte er eine Kopfbewegung zum Wagen hin.
Auf das Zeichen stiegen zwei Männer aus dem Fond der Limousine. Ich erkannte das quadratische Gesicht von Chester Dibble, von dem wir wussten, dass er einer der führenden Männer in der Gorillagarde des Bosses war. Den anderen Mann kannte ich nicht. Dibble führte ihn am Ärmel.
Das Gesicht des Mannes war sehr blass und um die Nase herum stark geschwollen. Er und Dibble verschwanden gleichzeitig im Eingang zur Schule.
Ich verließ den Platz neben der Ampel, überquerte die Straße und betrat ein Haus auf der anderen Seite der Christopher Street. Ich ging die Treppe bis zur zweiten Etage hinauf. Vom Flurfenster aus konnte ich auf das Haus der Bodybuilding-Schule blicken. Der Bau war dreistöckig. Die Fenster im Parterre und in der ersten Etage, wo sich die Übungs- und Umkleideräume befanden, waren mit weißer Farbe undurchsichtig gemacht worden. Die dritte Etage wurde nicht benutzt. Die Fenster waren dick verstaubt. Einigen fehlte das Glas.
Ich kannte Grundriss und Einrichtung genau, obwohl ich das Haus niemals betreten hatte. Ich hatte gehofft, ich würde feststellen können, in welchen Raum Feranchuk und Dibble ihren Besucher brachten. Selbst in dieser bescheidenen Hoffnung sah ich mich jedoch enttäuscht.
Unter mir glitt ein Wagen die Christopher Street entlang, ein Cadillac-Modell in einer Türkislackierung, mit Stoßstangen, die nicht wie gewöhnlich verchromt waren, sondern in einem Goldton funkelten.
Die Türen öffneten sich. Zwei Männer stiegen aus. Mir blieb der Atem weg, als ich in dem kleineren, untersetzten Mann James Henry Besemer erkannte.
***
»Big, ich halte es für unsinnig, dass du selbst herkommst und dich um diese Laus kümmerst«, sagte Conklin, Besemers Begleiter. Sie überquerten den Bürgersteig.
Besemer wandte Conklin das Gesicht zu und zog die Lippen von den Zähnen, die so makellos waren, dass Conklin bis heute nicht herausgefunden hatte, ob sie falsch oder echt waren. Vieles an dem Boss war nicht eindeutig herauszufinden.
Besemers Alter gehörte zu diesen ungelösten Fragen. Nach Conklins Rechnung musste er die Fünfzig längst überschritten haben, aber sein Gesicht war gebräunt und straff, sein braunes Haar zeigte graue Fäden nur an den Schläfen. Er bewegte sich schnell und geschmeidig. Obwohl er nur mittelgroß war, verliehen seine breiten Schultern und die kräftigen Arme seiner Gestalt Wucht und Stärke.
Erst als die Männer die Tür erreicht hatten, beantwortete Besemer die Frage seines Sekretärs. »Seit drei Jahren hat niemand mehr gewagt, aus der Reihe zu tanzen«, sagte er. »Ich will wissen, ob er aus eigenem Antrieb gehandelt oder ob ihn irgendjemand angestiftet hat.«
»Das kannst du erfahren, ohne dich selbst zu bemühen.«
Der andere schüttelte den Kopf. »Wenn ein Mann sich gegen mich auflehnt, Wallace, dann hat er sich entweder von einer Gegenorganisation einfangen lassen, oder aber mit mir ist etwas nicht in Ordnung.«
Conklin kniff die Augen zusammen. »Wieso mit dir, Big?«
»Der Mann fürchtet mich nicht mehr.« Er stieß einen Seufzer aus. »Vielleicht werde ich alt.«
Wallace Conklin presste die Lippen aufeinander. Nichts anderes als seine verdammte Eitelkeit bringt ihn her, dachte er wütend. Dass einer sich gegen seine Befehle sträubt, schmälert die großartige Meinung, die er von sich selbst hat.
Feranchuk öffnete die Tür. »Guten Morgen, Big. ’n Morgen, Wallace!«, grüßte er. »Wir haben ihn in den Übungssaal der ersten Etage gebracht. Soll ich ihn runterholen?«
»Wir gehen rauf!« Es gehörte zu Besemers Angewohnheiten, Treppen in großen Sprüngen zu nehmen, um sich seine jugendliche Elastizität zu beweisen. Auch diese Angewohnheit seines Bosses hasste Conklin, der möglichst jede überflüssige körperliche Anstrengung vermied.
Stephen Voe saß auf einer Massagebank. Er fühlte sich tödlich erschöpft, aber Dibble hatte ihm nicht erlaubt, sich hinzulegen. Rasende Kopfschmerzen quälten den Dieb. Durch die verletzte Nase konnte er nicht atmen. Er musste den Mund offen halten. Zunge, Kehle und Rachen waren trocken. Das Sprechen fiel ihm schwer.
Als die Männer den Übungssaal betraten, stieß ihn Dibble grob an. »Steh auf, wenn der Boss kommt!«, knurrte er.
Taumelnd erhob sich der Dieb.
Der Boss blieb in zwei Yards Abstand vor ihm stehen. Er musterte Voe neugierig und genau. »Du kennst mich?«, fragte er.
»Ja, Sie sind der Boss.«
»Wo ist das Kollier?«
Dibble fischte den Schmuck aus der Tasche und reichte ihn dem Boss.
Besemer nahm ihn ohne hinzusehen. »Du hast das aus dem Schaufenster von Grewitt & Son in der Fifth Avenue gestohlen?«
»Ja.«
»Wer hat dir den Tipp geliefert?«
»Charles Dancer ließ mich kommen und hat mir gesagt, ich sei der richtige Mann für den Job.«
»Du arbeitest nicht zum ersten Mal für Dancer?«
»Viermal habe ich ’nen Job übernommen, den er mir aufgetragen hat.«
»Du weißt doch, dass Dancer zu meinem Syndikat gehört?«
Voe fuhr mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Ja«, antwortete er rau. »Charles hat es immer wieder selbst betont.«
»Sind irgendwelche Pannen passiert, als du das Kollier kassiert hast?«
»Nein, keine Pannen!«
»Das heißt also, der Nachtwächter war nicht zur Stelle, die Alarmanlage war ausgeschaltet, der Fluchtwagen stand bereit. Was hast du getan?«
»Ich hab die Scheibe zerschlagen und das Kollier aus der Vitrine genommen.«
»Für dich blieb nur ein schneller Griff zu tun, bei dem du höchstens einen Schnitt in deine kostbare Haut riskiertest. Warum hast du dich dann nicht an die Vereinbarung gehalten?«
Voe senkte den Kopf. »Sie müssen das verstehen, Boss«, sagte er leise. »Viermal habe ich für Dancer und damit für Sie ’ne Arbeit gemacht. Ich hab Juwelen aus den Läden rausgeholt, die bei dem schäbigsten Hehler mindestens 100.000 Dollar gebracht hätten. Dancer zahlte mir alles in allem noch nicht einmal 5.000 Bucks.«
Bigs gelbliche Augen verengten sich. »Ah, ich verstehe. Du glaubst, dir stünde mehr zu? Ist es so?« Besemers Stimme hob sich nicht. »Du Null«, sagte er ruhig. »Ohne mich würdest du nicht einmal auf eine Meile an das Zeug herankommen. Die Cops würden dich hochnehmen, wenn du nur an den Schaufenstern der Fifth Avenue vorbeigehst.« Big schob sich einen Schritt näher heran. »Aber ich vermute, dass du nicht von selbst auf den Gedanken gekommen bist, mit meinem Eigentum in der Tasche davonzulaufen. Wer hat dich auf die Idee gebracht?«
Voe verstand ihn nicht. »Hören Sie, Boss!«, sagte erflehend. »Ich wollte auch einmal groß absahnen. Ich hatte einfach genug davon, immer nur Kleingeld zu kassieren und …« Er verstummte unter dem grellen Blick der gelblichen Augen. Er fühlte sich von diesem Blick gelähmt.
»Willst du wirklich behaupten, niemand hat dich angestiftet?«, fragte Besemer.
Voe schüttelte den Kopf.
Besemer stieß ihm mit der flachen Hand vor die Brust. »Rede!«, herrschte er ihn an.
»Ich habe Ihnen alles gesagt, Boss«, antwortete Voe. »Es war ein Fehler. Ich sehe es ein. Wenn Sie mir verzeihen, werde ich mich bemühen, alles in Ordnung zu bringen. Sie können sich von jetzt an auf mich verlassen, Boss!«
Big lachte auf und trat zurück. Er wandte sich ab und schien jedes Interesse an Voe verloren zu haben. Er ging zum Ausgang des Übungssaals und winkte Dibble zu sich heran. »Behandelt ihn! Für den Fall, dass er doch zu irgendeinem Verein gehört, wird er singen. Wenn nichts dabei herauskommt, räumt ihn aus dem Wege! Besser, die Polizei findet keinen Hosenknopf mehr von ihm. Er war öfter mit Charles Dancer zusammen, und Charles könnte in Schwierigkeiten geraten, wenn die Schnüffler die Leiche des Burschen finden.«
»In Ordnung, Boss! Was soll mit dem Zeug aus dem Juwelierladen in Albany geschehen? Es handelt sich nur um Kleinkram.«
»Gib es Dancer! Er wird es verwerten.«
Sie gingen die Treppe hinunter. Dibble begleitete den Boss und Conklin bis vors Haus.
»Hat sich der Weg nun gelohnt?«, fragte Conklin, als Dibble wieder gegangen war.
Big zuckte mit den Schultern. »Jeder Mann an der Spitze muss sich von Zeit zu Zeit davon überzeugen, dass er alle Fäden noch in der Hand hält.« Er ballte die Rechte zur Faust. »Ich glaube, Wallace, ich kann das Steuer der Organisation noch halten.« Er wandte den Kopf nach links und warf seinem Sekretär einen schrägen, blitzenden Blick zu. »Oder bist du anderer Meinung?«
Conklin schrak unter dieser so plötzlich abgefeuerten Frage zusammen. »Wie kommst du auf diesen Gedanken, Big?«, stieß er hastig hervor.
»Manchmal habe ich das Gefühl, du würdest mir gern ein Bein stellen. Ich wittere solche Gedanken, mein Freund. Nimm meinen Rat an: Lass es sein! Nicht ich würde stolpern, sondern du würdest dir das Bein brechen.« Er legte eine kleine Pause ein, bevor er hinzusetzte: »Und auch das Genick!«
Er wandte sich ab und öffnete den Schlag zum Beifahrersitz. Conklin lief er um den Wagen herum und setzte sich hinter das Steuer. Dabei vermied er es, den Boss anzusehen.
Während der Cadillac anrollte, kehrte Dibble in den Übungssaal zurück.
2
Ich sah, wie James Henry Besemer und Wallace Conklin nach einer knappen Viertelstunde die Bodybuilding-Schule verließen. Sie bestiegen den türkisfarbenen Cadillac und fuhren davon. Nichts Auffälliges hatte sich während ihres Besuches ereignet. Ich schickte mich an, zur Kreuzung zurückzugehen, aber ich stoppte, als ich Musik hörte. Obwohl geschlossene Fenster den Geräuschpegel dämpften, konnte ich dem Gedröhn anhören, dass in der Bodybuilding-Schule ein Radio oder ein Plattenspieler mit der größten Lautstärke brüllte.
Ich sauste die Treppe hinunter. Als ich die Straße überquerte, sah ich, dass aus einem schräggestellten Oberlicht Wasserdampf quoll. Hinter diesem Fenster befanden sich der Umkleideraum und die Dusche.
Das gefiel mir nicht. Das war nicht normal. Da ging irgendetwas vor sich, und es hatte mit dem lädierten Burschen zu tun, den Dibble ins Haus geführt hatte, auch da war ich mir sicher.
Das Haus neben der Schule war ein Fünf-Etagen-Bau. Die Fenster der vierten Etage lagen mit dem Dach der Schule auf ungefähr einer Höhe. Ich brauchte drei Minuten, um die Treppe hinaufzurennen, ein Flurfenster an der Rückfront aufzureißen und auf einem Mauersims in Richtung auf das Schuldach hinüberzuturnen. Der Sims war nicht mehr als einen Fuß breit und morsch. Ich klebte mit ausgebreiteten Armen an der Hauswand und wünschte mir Saugnäpfe wie ein Tintenfisch. Die Entfernung bis zur Hausecke betrug eine knappe Körperlänge, aber unter bestimmten Bedingungen besteht zwischen einer Körperlänge und einer Meile überhaupt kein Unterschied. Mir schienen diese anderthalb Yards eine Meile lang.
Ich erreichte die Hausecke. Das Flachdach der Bodybuilding-Schule lag etwas tiefer. Ich sprang und landete hart neben dem Entlüftungsschacht der Klimaanlage. Die Musik röhrte aus dem Schacht hoch. Aber die wimmernden Gitarren übertönten nicht völlig das Geschrei eines Menschen. Es waren Schmerzschreie!
Der Zugang vom Dach zum Haus bestand aus einer massiven Falltür. Ich zerrte vergeblich am Griff. Die Tür war von innen verriegelt.
Ich rannte zum Dachrand der Rückfront. Die Feuerleitern, die ursprünglich vom Dach und von jeder Etage in den Hof geführt hatten, waren entfernt worden, damit kein Neugieriger den umgekehrten Weg gehen konnte. Lediglich auf der Höhe des dritten Stocks war ein schäbiger Rest vergessen worden: vier verrostete Stahlstufen und eine halbe Armlänge verbogenes Geländer. Der Henker mochte wissen, wie viel Belastung die ins Mauerwerk eingelassenen Träger noch aushielten. Mir blieb keine andere Wahl, als es auszuprobieren. Ich kauerte mich auf den Dachrand, holte tief Luft und stieß mich ab. Halb sprang ich, halb ließ ich mich fallen.
Die Feuerleiterstufen federten unter meinem Gewicht wie ein Sprungbrett. Die Träger knirschten im Mauerwerk. Der Mörtel begann zu rieseln. Hastig griff ich nach dem verknautschten Geländer. Es krachte. Die Schweißstellen brachen. Ich behielt ein Stück verrottetes Stahlrohr in der Hand, während der Rest des Geländers abwärts trudelte und zwei Sekunden später scheppernd auf das Pflaster des Hofes schlug.
Eins der blinden und verstaubten Fenster der dritten Etage lag in meiner Reichweite. Ich zerschlug das Glas mit dem Stahlrohr, griff durch die Öffnung und löste den Verschluss. Ich stieß das Fenster mit einem Fußtritt auf und sprang in den Raum.
Staub wirbelte hoch. Eine dicke Ratte verschwand quietschend in ihrem Loch. Die brüllende Musik erfüllte nicht nur das Haus, sie erschütterte geradezu die Wände. Die Verbindungstür von der nicht benutzten Etage zur Treppe war verschlossen, aber es handelte sich um ein normales Schloss. Zwei Fußtritte genügten, es zu sprengen. Ich hetzte in zwei Sprüngen die Treppe hinunter, zog die Kanone und brach in den Übungsraum ein.
Der Lärm aus dem Plattenspieler drohte mein Trommelfell zu sprengen. Durch die Ritzen der Pendeltür zu den Umkleideräumen drangen Wasserdampfschwaden.
Ich stieß einen Flügel auf. Der Wasserdampf füllte den Raum wie weißgrauer Nebel, in dem Dibbles und Feranchuks Gestalten verschwammen. Die Gorillas standen vor der Duschkabine am Fenster. Aus dieser Kabine drang das Geschrei eines Mannes, das die Musik nicht völlig zu übertönen vermochte.
»FBI!«, brüllte ich. »Hände hoch!«
Ich brüllte laut genug. Dibble und Feranchuk fuhren herum.
»Hände hoch!«, schrie ich noch einmal. Gleichzeitig zog ich durch. Ich zielte weit über die Köpfe der Gangster. Ich hoffte, der Schuss werde sie einschüchtern und sie bewegen, die Pfoten von ihren Waffen zu lassen.
Die Rechnung ging nicht auf. Dibble und Feranchuk waren aus zu hartem Holz, um sich vom ersten Schuss eines einsamen Polizisten einschüchtern zu lassen. Trotz des Wasserdampfes sah ich, wie ihre Hände zu den Jackenausschnitten hochflogen.
Als Dibble die Kanone herausriss, zog ich durch. Ich erwischte Dibbles Knie. Er kippte um, als habe ein Fußtritt sein Standbein getroffen.
Der lange Feranchuk brachte sich mit einem Sprung in die Deckung der Trennwände zwischen den Duschen. Seine Kanone spuckte Feuer und Blei.
Ich ließ die Pendeltür los und glitt in die Deckung der Mauer des Übungssaals. Der Plattenspieler stand in wenigen Schritten Abstand. Ich brachte das Ding mit einem Fußtritt zum Schweigen.
In der plötzlich ausgebrochenen Stille war das Rauschen des Wassers zu hören. Auch der Mann unter der Dusche schrie nicht mehr.
Ich rief die Gangster an: »Dibble und Feranchuk! Das Haus ist umstellt. Eure einzige Chance besteht darin, mit erhobenen Händen herauszukommen.«
»Ich lass mich nicht von ’nem lumpigen Cop fassen!«, brüllte Dibble. Dann stöhnte er. »Verdammt! Der Pflastertreter hat mir die Kniescheibe zerschossen! Besorg’s ihm endlich, Jules, damit wir hier verschwinden können, bevor tatsächlich ’ne Kompanie blauröckiger Steuerfresser auftaucht.«
Feranchuk antwortete etwas, dass ich nicht verstand. Dibble, den die Wut schüttelte, schrie: »Unsinn! Er trägt die Uniform! Er ist ein Cop, ein ganz gewöhnlicher Cop!«
»Cops sind ausgezeichnete Leute!«, rief ich. »Trotzdem, ich bin FBI Special Agent! Noch einmal! Nehmt die Hände hoch und raus mit euch!«
Sie kamen, aber nicht mit erhobenen Händen. Genauer gesagt, zunächst kam nur Feranchuk. Es sah merkwürdig und sogar komisch aus, wie der lange Gangster mit den hängenden Schultern, den baumelnden Armen und dem birnenförmigen Bauch durch die Pendeltür brach. Seine Bewegungen wirkten linkisch und ungeschickt, aber sie waren es nicht.
Er verfeuerte ein halbes Dutzend Kugeln, als er in den Übungssaal einbrach. Er nutzte die Sekunden des eigenen Feuerschutzes und tauchte nach rechts weg in den Schutz eines umfangreichen ledernen Sandsacks, der ihm eine nahezu perfekte Deckung bot.
Als Feranchuk hinter dem Sandsack verschwand, musste ich von der Wand weg, um ihm kein Ziel zu bieten. Ich duckte mich hinter die Bespannung des kleinen Boxrings, der etwa in der Mitte des Übungssaals stand. Ich huschte am Ring entlang bis zur anderen Ecke. Feranchuks Sandsackdeckung war auch von diesem Standort aus fast perfekt, allerdings nur fast, denn unter dem Ende des Behälters, der ja an der Decke hing, sah ich seine Füße und seine Hosen bis eine Handbreit unter den Knien.
»Ich geb dir noch einmal ’ne Chance, Feranchuk«, sagte ich, und ich sprach nicht laut. »Wenn du deine Kanone innerhalb der nächsten drei Sekunden fallen lässt, werde ich nicht schießen.«
Vom Duschraum her krachten Schüsse. Die Kugeln fetzten Holzsplitter aus den Ringplanken. Eine Kugel schlug mit dumpfem Plopp in das Lederpolster des Pfostens über meinem Kopf. Ich nahm den Kopf weg, drehte mich nach links und schob die Nase wieder hoch.
Dibble hatte die Schüsse abgefeuert. Er hatte einen Flügel der Pendeltür zurückgezogen. Ich konnte sein schmerzverzerrtes Gesicht in der Öffnung sehen. Er lag flach auf dem Bauch. Die Hand mit der Pistole hatte er aufgestützt.