Jerry Cotton Sonder-Edition 61 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 61 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Auf dem Raketengelände von Cape Canaveral war der Teufel los. Sabotage! Morde! Astronauten in Gefahr! Der oberste Sicherheitschef rief das FBI zu Hilfe. Wir traten mit großem Aufgebot an. Aber das Morden ging weiter, und immer wieder mussten die Raketenstarts verschoben werden. Der Gegner war im Vorfeld über jeden unserer Schritte unterrichtet, sodass es einen Verräter in unseren Reihen geben musste. Aber wir fanden ihn nicht und schienen machtlos gegen die Florida-Killer ...

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EPUB

Seitenzahl: 196

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Florida-Killer

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Zwei Supertypen in Miami: Tödliches Spiel«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5327-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Florida-Killer

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

Joe Lesly presste die Lippen hart aufeinander. Er sah Schilf, Schilf und noch mal Schilf. Rings um das Boot und so weit man blicken konnte: Schilf. Hier und da eine Pfütze Wasser und dann wieder Schilf, ein ganzes, undurchdringliches Dickicht von Schilf.

Hier findet uns nie einer, dachte Joe.

Er ließ sich erschöpft niedersinken und kramte die Zigarettenpackung aus der Brusttasche seines rot karierten Baumwollhemds. Er hatte Sorgen. Er saß mit dem geliehenen Motorboot mitten im Sumpf fest. Der Motor streikte, ein Funkgerät gab es nicht, und ihr Picknickkoffer enthielt Lebensmittel für einen Tagesausflug. Die Strömung hatte ihn nach dem Ausfall des Motors hier in dieses Buschwerk hineingetrieben, er wusste beim besten Willen nicht, wie er wieder hinauskommen sollte – und er hatte eine junge Frau an Bord.

Irgendwo quakten Enten. Ein Schwarm Wildgänse fiel kreischend in das Dickicht ein. Das Schwirren ihrer kräftigen Schwingen wurde zu einem ohrenbetäubenden Brausen, als sie niedrig über dem Boot dahinstrichen.

Joe drehte den Kopf und blickte an der Kajüte vorbei nach vorn.

Die junge Frau lag auf einem Frottiertuch und sonnte sich. Sie hatte rotes Haar, eine fast weiße Haut und einen Körper, von dem man träumen konnte. Alles in allem ein wahrer Leckerbissen für jeden Mann zwischen sechzehn und sechzig. So verdammt lecker, dass er richtig verrückt nach ihr war. Ihr Bikini ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sie alles hatte, was eine gesunde junge Frau haben sollte.

Er schnipste die Zigarette über Bord, griff nach seinem eigenen Handtuch und kletterte nach vorn. Das Boot begann zu schaukeln.

Die junge Frau blinzelte, deckte die Augen mit einer Hand gegen die Sonne ab und murmelte müde: »Schon fertig?«

Ja, dachte er, total fertig, vor allem mit den Nerven. Aber er zwang sich zu einem gleichmütigen Tonfall.

»Kleine Pause«, brummte er, während er sich neben ihr ausstreckte.

»Gut«, seufzte sie zufrieden und räkelte sich. »Wir haben ja Zeit.«

Er lag reglos auf dem Rücken. Seine Muskeln in den Armen und im Rücken schmerzten. Über zwei Stunden lang hatte er hart gearbeitet, um den Fehler zu finden. Natürlich hatte er ihn nicht gefunden. Es wäre ja ein Wunder gewesen. Er studierte Geschichte, und von Motoren verstand er weiß Gott nicht viel.

»Hör mal«, sagte er.

Sie öffnete nicht einmal die Augen. »Ja?«

Ihre Gleichgültigkeit ging ihm auf die Nerven. Er verzichtete auf jede tröstliche Einleitung. »Wir sitzen hier fest«, sagte er. »Und wenn nicht ein Wunder geschieht, könnten wir hier verrecken.«

»Oh!« Sie richtete sich auf, zog die Knie an, schlang die Arme um die Beine und betrachtete ihn interessiert. Ihre grünen Augen kontrastierten mit dem roten Haar. »Ist der Motor nicht zu reparieren?«, fragte sie so sachlich, als unterhielten sie sich über ein theoretisches Problem, das keinerlei Auswirkungen auf ihr Leben haben konnte.

»Jedenfalls nicht von mir«, gab er zu. »Ich verstehe zu wenig davon. Ich habe es zwei Stunden lang versucht, aber ich weiß noch nicht mal, was eigentlich mit dem verdammten Biest los ist.«

Sie nickte. Ihre Ruhe erstickte seinen aufkommenden Zorn.

Er richtete sich ebenfalls auf. »Es tut mir leid«, sagte er.

Sie legte ihre warme Hand auf seinen Oberarm. »Es ist ja nicht deine Schuld. Wenn man ein Motorboot leiht, darf man wohl annehmen, dass es in Ordnung ist. Was können wir tun?«

»Ich weiß es nicht«, sagte er seufzend. »Ich weiß es wirklich nicht.«

Sie sah sich um. »Wir müssen aus dem Dickicht wieder hinaus ins freie Fahrwasser. Hier kann uns niemand finden.«

»Sehr wahr«, gab er zurück.

»Kann man das Boot nicht irgendwie wieder hinausbringen? Mit Rudern?«

»Es gibt keine Ruder an Bord.«

»Kann man es mit einer Stange hinausstaken?«, wollte sie wissen.

»Dazu müsste man eine Stange haben.«

»Wie tief ist das Wasser? Das Boot hat doch nur einen winzigen Tiefgang. Vielleicht können wir es hinausschieben, wenn wir über Bord springen und noch Grund unter den Füßen hätten.«

Er grinste breit. »Himmel, was bist du für ein Geschöpf?«, rief er. »Auf den Gedanken hätte ich auch kommen können. Hoffentlich klappt es. Ich versuche es mal.«

»Soll ich auch?«, fragte sie entgegenkommend. »Das Boot wird leichter, wenn ich nicht faul an Deck liege.«

Er betrachtete sie bewundernd. »Höchstens hundertzehn Pfund«, sagte er mit einem fröhlichen Grinsen. »Und erst wollen wir mal sehen, ob es überhaupt funktioniert.«

Er schwang sich über Bord und ließ sich mit ausgestreckten Beinen ins lauwarme Wasser gleiten. Er spürte Grund, als ihm das Wasser bis an die Mitte der Brust reichte. Vorsichtig tastete er ihn mit den Füßen ab. Plötzlich stockte er.

»Was ist?«, fragte die junge Frau.

»Eine Kette«, sagte er. »Um meinen linken Fuß hängt auf einmal eine Kette. Ich spüre sie ganz deutlich.«

»Wo soll denn hier eine Kette herkommen?«

»Das mag der Himmel wissen. Ich sehe sie mir mal aus der Nähe an.«

Sie reichte ihm die Taucherbrille. Er zog sie über den Kopf, holte tief Luft und verschwand unter der Oberfläche. Die junge Frau blickte ihm nach. In dem unklaren Wasser lösten sich die Konturen seines Körpers auf, sobald er tiefer als drei Fuß war. Geschickt turnte die junge Frau zur Kajüte und riss die Leine an sich, die dort zusammengerollt an einem Haken hing. Sie sah wieder in das trübe Wasser, bereit, ihm zu Hilfe zu kommen, falls es nötig werden sollte, als er wieder auftauchte.

»Was ist?«, fragte sie.

Er war auf einmal wachsgelb im Gesicht. Er zog sich mit dem Oberkörper aufs Boot und blieb eine Weile keuchend liegen. In seiner Kehle würgte es. Die junge Frau lief zum Heck und riss den Deckel der Sitzbank hoch. In der Truhe darunter stand ihr Picknickkoffer, und sie holte die kleine, flache Reiseflasche mit Rum heraus. Der Schraubbecher fasste nicht viel, aber es reichte, um seinen Brechreiz zu ersticken.

»Großer Gott«, sagte er tonlos und schwang die Beine wieder ins Boot. »Das ist das Entsetzlichste, was ich je gesehen habe …«

Sie sah ihn nur stumm an.

Er wich ihrem Blick aus. »Da unten liegt eine Leiche«, sagte er rau.

***

»Los, Kumpel!«, sagte ich zu dem hageren Männchen neben mir. »Ich spendiere noch einen. Noch zwei, schöne Frau. Oder lieber drei. Sie halten doch mit?«

Die rassige Frau hinter der Bar bedachte mich mit einem prüfenden Blick, bevor sie nickte. Ihr blauschwarzes Haar flutete bis weit über die Schultern herab. Vorn links steckte eine Hibiskusblüte. Die Frau trug ein knallrotes Seidenkleid, unter dem sich die provozierenden Formen ihrer Weiblichkeit abzeichneten.

»Ich heiße Sheila«, sagte sie, »und ich trinke gern einen mit, Mister.«

»Ich heiße Cotton«, sagte ich. »Jerry Cotton.«

Sie hantierte mit der Flasche. »Neu hier?«

Ich nickte, während ich die flache Hand auf die Theke klatschte, dass es knallte wie von einem Gewehrschuss.

»Brandneu«, bestätigte ich. »Am Sonnabend angekommen, am Sonntag ausgeschlafen, gestern zum ersten Mal gearbeitet und heute schon bei Ihnen.«

»Arbeiten Sie auch bei den Mondfahrern?«

»Klar doch. Gibt es hier in der ganzen Gegend einen, der nicht für die Mondfahrer arbeitet?«

»Ich«, sagte Sheila. »Ich arbeite für mich.«

»Kluges Mädchen«, lobte ich. Dann klopfte ich dem Männchen neben mir auf die Schulter. »Wirklich ein kluges Mädchen, was, Sam? Arbeitet für sich. Während wir uns für die NASA die Hacken ablaufen.«

Sam Willbuck starrte düster vor sich hin. Wir hatten Mittagspause, schon sechs Cocktails getrunken, und Sam war offenbar nicht standfest. Trotzdem griff er als Erster zum Glas, als Sheila erneut eingeschenkt hatte.

»Prost, Jerry«, sagte sie. »Auf gute Freundschaft.«

»Das ist ein Wort. Hören Sie, Sheila, ich habe heute meinen sozialen Dienstag. Ich schmeiße eine Lage für alle lieben Menschen, die so vernünftig sind, hier drin zu sitzen statt in dieser dämlichen Kantine drüben auf dem Gelände.«

Das Gelände, wie es hier jedermann nannte, war der ganze riesige Komplex von Cape Canaveral, also der größte Raumflughafen, der auf der Erde existiert. Es lag von Sheilas Bar knapp zwei Meilen entfernt. Und Sheilas Bar wiederum lag mitten in einer der aus dem Boden gestampften Siedlungen, wo die Arbeiter, die Ingenieure, die Ärzte, die Konstrukteure, die Wissenschaftler und Assistenten, die Organisationsfachleute und die Tausende und Abertausende Leute wohnten, die man alle kurzerhand »die Mondfahrer« nannte, seit feststand, dass hier einmal die Saturn V gezündet werden würde, die amerikanische Astronauten zum Mond und zurückbringen sollte.

»Eine Lokalrunde«, bestätigte Sheila und zählte die paar Männer, die nicht an der Theke saßen.

Mir kam es vor allem auf Mac Shinton an, der dicht neben der Tür an einem runden Tisch saß und nervös rauchte. Er konnte von seinem Platz aus die Straße beobachten, und das tat er auch, seit ich kurz nach ihm hereingekommen war. Shinton war ein mittelgroßer Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Er war sonnengebräunt, wie fast alle Leute hier unten im Süden von Florida. Sein leicht gewelltes, schon schütteres Haar von hellbrauner Farbe konnte am Wirbel den Anfang einer Glatze nicht mehr verdecken.

Sheila brachte sechs Gläser zu den Gästen ihrer Bar.

»Mister Cotton möchte seinen Einstand geben«, erklärte sie. »Er ist neu bei uns.«

»Der erste Neuling, der weiß, wie man sich einführt«, grunzte ein dicker Fleischkloß von wenigstens zweieinhalb Zentnern und hob mir sein Glas entgegen, wobei seine drei, vier Kinne in wabbelnde Bewegung gerieten. »Cheers, mein Junge!«

»Prost, Jungs!«, rief ich laut, und alle tranken mir zu. Bis auf Shinton. Der blickte nur flüchtig in meine Richtung, nickte kurz und kippte den Cocktail hinunter, damit er sich gleich wieder auf die Straße konzentrieren konnte.

»Was tun Sie drüben auf dem Gelände?«, fragte Sheila.

»Kurier siebzehn«, sagte ich und zeigte auf die schwarze Siebzehn, die in meinen knallgelben Overall eingestickt war.

»Kurier! Die erfinden da auch immer neue Berufe«, erwiderte sie. »Was tut ein Kurier auf dem Gelände?«

»Was alle Kuriere überall auf der Welt tun: Sie bringen Dinge von einem Ort zum anderen. Das ist doch ganz einfach. Da steht zum Beispiel der Technische Direktor draußen auf dem vierten Prüfstand. Er braucht die Unterlagen über diese oder jene technische Detailfrage. Was tut er? Er nimmt den nächsten Telefonhörer, ruft unsere Kurierzentrale an und bestellt, was er braucht. Einer von uns setzt sich in Trab und bringt es ihm.«

»Aha«, sagte Sheila. »Also ersetzt ihr das Gedächtnis der Leute?«

»So ungefähr«, räumte ich ein. »Aber wir würden auch so gebraucht, wenn es keine Vergesslichkeit gäbe. Was, Sam?«

Das hagere Männchen neben mir nickte düster. »Wir sind die wichtigsten Leute auf dem Gelände«, lallte er mit schwerer Zunge. »Was wollen die denn ohne uns anfangen? Die Ersatzteile würden im Ersatzteillager, die Werkzeuge im Magazin, die Pläne in den Büros bleiben, wenn wir sie ihnen nicht dauernd nachschleppten.«

»Ich habe mir gleich gedacht, dass ihr enorm wichtige Leute seid«, sagte Sheila und lachte.

Es stand ihr entzückend. Sie konnte nicht viel älter als fünfundzwanzig sein, aber wenn sie lachte, sah sie viel jünger aus. Fast mädchenhaft.

Ich bemerkte, dass sie ab und zu einen Blick in die Richtung warf, wo Shinton saß. War ihr seine Nervosität ebenfalls aufgefallen?

»Ich trinke noch einen«, lallte Sam mit schwerer Zunge. »Und einen für meinen Freund Jerry!«

»Jawohl«, stimmte ich zu. »Aber auf meine Rechnung. Keinen Widerspruch, Sam! Das ist mein Einstand, und den gebe ich. Sheila, auch noch einen?«

Sie bedachte mich mit einem seltsamen Blick, aus dem ich nicht schlau wurde. Aber sie zuckte mit den Schultern und mixte die nächsten Cocktails. Sam und ich hatten bei ihr ein paar Sandwiches gegessen. Aus irgendeinem Grund mochte Sam das Kantinenessen nicht. Ich hatte erst einmal, gestern Mittag, dort gegessen, und ich fand es nicht schlecht. Aber Sams Vorschlag, in Sheilas Bar zu fahren, um dort unsere Lunchpause zu verbringen, war mir aus einem anderen Grund angenehm gewesen: Ich wusste, dass Shinton seine Mittagspause oft hier zubrachte.

Shinton gehörte zu den Elektrikern auf dem Gelände. Man konnte es an seinem Overall erkennen, den er während der Arbeit trug. Mit dem praktischen Sinn, den man uns Amerikanern nun einmal nachsagt, liefen auf dem Gelände die Arbeiter und Ingenieure in farbigen Overalls herum, die obendrein durch Buchstaben oder Zahlen gekennzeichnet waren. Man wusste immer gleich, zu welcher Gruppe von Leuten jemand gehörte, wenn man nur seinen Overall ansah. Und die Burschen, die in weißen Hemden und mit Krawatten unterwegs waren, die gehörten zur Spitze des ganzen Ladens. Das waren führende Wissenschaftler oder Abteilungsleiter oder Direktoren oder Ärzte oder sonst etwas in dieser Top-Preislage.

»Prost«, sagte Sheila.

Ich stutzte. Die Cocktails, die wir bisher getrunken hatten, sahen bläulich aus. Jetzt hatten wir eine tomatenrote, dickere Flüssigkeit in den Gläsern.

»Was ist das?«, fragte ich misstrauisch.

»Ein Cocktail auf Rechnung des Hauses«, meinte Sheila.

»Geschenke nehmen wir zu jeder Tageszeit entgegen«, sagte ich grinsend und kippte den roten Brei hinunter. Das Zeug brannte wie der Teufel. Himmel, das musste Raketentreibstoff sein. Ich keuchte. Sam hustete. Sheila verputzte dasselbe Zeug ohne sichtbare Reaktion.

»Damit ihr wieder nüchtern werdet, bevor ihr zum Gelände zurückfahrt«, sagte sie. »Die Jungs feuern euch fristlos, wenn ihr betrunken ans Tor kommt.«

»Dann feuern sie mich eben«, lallte Sam. »Ist mir sowieso schnurzegal.«

»Was hat er denn?«, fragte Sheila.

Ich zuckte mit den Schultern.

»Geht euch einen Dreck an«, knurrte Sam. »Das geht euch einen verdammten Dreck an, verstanden? Kümmert euch um euren Kram! Und lasst mich gefälligst in Ruhe!« Er starrte düster vor sich hin.

Sam war fünfzig Jahre alt, ungefähr, und einer der sechs Leute, die den Einsatz der Kuriere draußen auf dem Gelände einteilten. Er hatte mich gestern freundlich und hilfsbereit in meine neue Arbeit eingeführt, und wir hatten uns auf Anhieb vertragen. Was seit heute Früh mit ihm los war, mochte der Himmel wissen.

Er trank jetzt zwei Tassen starken Kaffee, den uns Sheila brachte. Und wieder bedachte sie mich mit jenem seltsamen Blick, aus dem ich nicht klug wurde. Ich sah sie an und wartete, dass sie etwas sagte, aber sie drehte sich plötzlich um und ging hinter die Bar zurück. Mit blieb nichts als die Bewunderung für ihre schlanken Beine mit den grazilen Fesseln.

Wenn sie so jung war, wie sie aussah, und so allein, wie man vermuten musste, stellte sich die interessante Frage, wer ihr die Einrichtung ihrer hübschen Bar finanziert hatte. Oder war der Laden von ihr nur gepachtet? Ich nahm mir vor, mich einmal um dieses Problem zu kümmern. Nach einem Blick auf die Uhr wurde mir klar, dass es Zeit war, zum Gelände zurückzukehren. Ich ging an die Bar.

»Was habe ich noch zu zahlen?«, erkundigte ich mich. Sheila warf einen Blick auf ihren Block.

»4,80 Dollar«, sagte sie.

Ich suchte die Scheine aus meiner Tasche im Overall. Fünf Einer zählte ich auf die Theke. Von dem Vorschuss, den ich mir gestern im Lohnbüro geholt hatte, blieben mir noch 11 Dollar. Und damit musste ich bis zum Fünfzehnten auskommen, denn hier wurde nur zweimal im Monat entlohnt. Es war kaum zu machen. Wahrscheinlich würde ich jemanden anpumpen müssen. Sam würde mir bestimmt etwas leihen. Aber Sam wollte ich nicht danach fragen. Mac Shinton, dachte ich. Ich werde morgen Mittag Mac Shinton fragen, ob er mir was pumpen kann.

»Komm, Sam!«, sagte ich. Er wirkte frischer als vor einer Viertelstunde. Der Kaffee und das rote Gebräu von Sheila schienen vereint ihre Wirkung zu tun. Ich blieb einen Schritt hinter Sam, um ihn besser im Auge behalten zu können, als wir hinausgingen.

An der Tür stieß ich mit Phil zusammen. Er trug einen schönen hellgrauen Anzug, ein makellos weißes Hemd und eine dezent gemusterte Krawatte. Seine Schuhe waren blitzblank, und er sah alles in allem so peinlich korrekt aus, wie man es in Washington von jedem G-man zu jeder Tageszeit erwartet.

»Hallo«, sagte er.

»Tag«, brummte ich. Und dann gingen wir aneinander vorbei, als hätten wir uns nie zuvor gesehen.

2

Das Boot hatte sich im Schilf verfangen. Joe Lesly bekam es nicht frei.

»Und jetzt?«, fragte die rothaarige junge Frau.

»Wir müssen hier raus«, sagte Joe. »Auf irgendeine Weise.«

»Und die Leiche?«

»Erst müssen wir raus.«

Die junge Frau warf einen Blick zum Himmel. Es gab kein Wölkchen an dem endlos blauen Firmament. »Wie spät ist es?«, fragte sie.

»Kurz nach vier.«

»Das ist die Zeit, zu der draußen ein Boot der Küstenwache vorbeikommen müsste. Ich kenne ihre Fahrtroute nicht genau, aber es könnte sein, dass es nah genug hier vorbeikommt …«

»Nah genug?«, höhnte er. »Sheila, wie stellst du dir das vor? Um uns hier im Dickicht zu entdecken, müsste es ein Ruderboot aussetzen und genau an dieser Stelle ins Schilf fahren lassen! Von draußen können die uns nicht sehen, und wenn sie zehn Yards vor dem Schilf dahindampfen. Was sie sowieso nicht tun werden wegen der Untiefen.«

»Joe, lass mich bitte aussprechen! Ich weiß, dass sie uns hier drin nicht finden können. Nah genug, damit meinte ich, dass wir uns bemerkbar machen müssen.«

»Bemerkbar! Das klingt ja großartig. Aber wie?«

Die junge Frau sah ihn an. »Joe«, sagte sie bittend, »warum bist du so mutlos? Lass doch den Kopf nicht hängen, weil wir mal in der Patsche sitzen! Es gibt nur eine Möglichkeit für uns: Jemand muss ein Stück hinausschwimmen und warten, bis er ein Schiff sieht.«

»Hinausschwimmen?«, wiederholte er ungläubig. »In den offenen Atlantik?«

»Du brauchst ja nicht gleich an eine Überquerung zu denken. Hier verkehren eine Menge Schiffe. Küstenwache, Zoll, Kriegsmarine, Ausflugsdampfer, Sportangler, Fischer – eine Menge! Wenn eines von ihnen nah genug herankommt, kann sich ein Schwimmer bemerkbar machen.«

»Du scheinst dir das aber verdammt einfach vorzustellen.«

»Nein, das tue ich nicht«, widersprach die junge Frau. »Aber ich weigere mich, hier zu verhungern und zu verdursten.«

Er sah sie bewundernd an. »Aus dir werde ich nicht klug«, gestand er. »Du bist aus dem Holz geschnitzt, na, ich weiß nicht. Die Frauen der Pioniere früher können nicht zäher gewesen sein. Also gut. Ich schwimme ein Stück hinaus. Aber was glaubst du, wie nah ein Kahn herankommen müsste, bis sie mich überhaupt entdecken können?«

»Das hängt etwas davon ab, wie wir es anstellen.«

»Lieber Gott!«, stöhnte er. »Was kann man im Wasser anderes tun als schwimmen?«

»Man kann zum Beispiel ein Schilfrohr in einer Hand halten und oben ein weißes Tuch daran binden.«

»He?«

Sie verdrehte die Augen.

»Okay, okay«, sagte er hastig. »Du hast ja recht. Sag mal, hast du so was schon mal mitgemacht?«

»Nein. Die Boote, mit denen ich bisher draußen war, hatten nie eine Panne.«

»Außer diesem verfluchten Kahn hier.«

»Ich habe dir schon ein paarmal gesagt, dass es nicht deine Schuld ist. Ich mache dich nicht dafür verantwortlich. Ich möchte nur, dass du etwas Sinnvolles tust, statt nur zu stöhnen.«

Er schämte sich, weil sie so ruhig blieb und ihm dadurch überlegen war. Aus seiner Scham stieg Wut auf, und aus der Wut wurde sinnlose Eifersucht.

»Du fährst wohl öfters hier draußen herum, was?«, fragte er.

»Wie kommst du darauf?«, wollte sie wissen.

»Wenn du sogar die Fahrpläne der Küstenwache kennst!«

»Ich kenne sie nicht. Ich weiß nur, dass gegen vier ein Küstenwachboot in Daytona Beach ablegt und südlichen Kurs nimmt. Also müsste es eigentlich hier vorbeikommen. Willst du hinausschwimmen, oder soll ich?«

Er spuckte in die schmutzige Brühe, die das Boot umgab. »So eine Frage«, knurrte er böse. »Natürlich schwimme ich.«

»So natürlich ist das doch gar nicht«, widersprach sie. »Ich finde, es sollte der tun, der wirklich Chancen hat, die Sache durchzustehen. Kannst du eine Stunde lang im Wasser bleiben?«

»Ich denke schon.«

Einen Augenblick schwieg sie, dann hob sie den Kopf. »Es kann sein, dass Haie draußen sind.«

Joe schluckte. Er starrte erschrocken auf die junge Frau. »Haie?«, wiederholte er krächzend.

»Es kann sein. Ich weiß es nicht. Und selbst wenn sich draußen einige herumtreiben sollten, ist nicht gesagt, dass sie angreifen. Sollte einer dir bedrohlich nahekommen, dann steck den Kopf unter Wasser und stoß einen lauten Schrei aus! Haie kann man mit Schall erschrecken. Das weiß ich.«

Er fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte er. Haie! Warum begehe ich eigentlich nicht gleich hier im Bord Selbstmord? Haie! Großer Vater, hat man schon je einen Menschen so kaltschnäuzig von Haien reden hören wie die da? Wie konnte ich nur auf den Gedanken kommen, das wäre ein süßes, reizendes, hilfloses Stadtmädchen?

Wortlos kroch er in die Kajüte und kramte in allen Schubladen, bis er ein starkes zweischneidiges Messer gefunden hatte. Er schob es schräg unter den Gürtel seiner Badehose. Was hatte es für einen Zweck, über die Haie zu grübeln? Entweder kamen sie, oder sie kamen nicht. Wenn sie nicht kamen, na, dann kam vielleicht ein Schiff, ein Boot oder wenigstens ein Kahn. An die andere Möglichkeit dachte man besser gar nicht erst.

»Also«, sagte er. »Ich schwimme raus.«

Sie hatte schon ein stabiles Schilfrohr abgebrochen und ihre weiße Nylonbluse daran festgebunden.

»Die ist zwar nicht so groß wie das Handtuch«, erklärte sie, »aber dafür viel leichter. Wenn du wirklich ein Schiff sichtest, Joe, dann vergeude keine Kraft damit, darauf zuzuschwimmen! Das schafft man nicht. Bleib, wo du bist, spar Kräfte, und beschränke dich darauf, mit dem Schilfrohr zu winken!«

Verflucht und zugenäht, dachte er. Die macht mich noch verrückt mit ihrer kühlen Sachlichkeit. Die tut, als ob es um eine Runde im Swimmingpool ginge. Nicht um einen Ausflug, der ihn das Leben kosten konnte. Ich glaube nicht, dachte er, als er sich ins Wasser gleiten ließ, dass ich Lust habe, mich mit der noch einmal zu verabreden.

Er sah sich nicht um, als er sich vom Heck des Bootes abstieß und in der Rinne zurückschwamm, in der das Boot hereingetrieben war. Es war eigentlich keine Rinne, mehr ein geschlängeltes Band von tieferem Wasser zwischen hochragenden Schilfinseln und moorigen Sumpfflächen. Aber das Boot hatte einige Schilfrohre geknickt, und so konnte er die Spur verfolgen. Tatsächlich erreichte er fast mühelos die offene See. Eine Brandung gab es nicht. Sobald er die endlose, bedrückende Weite des Ozeans vor sich hatte, trat er auf der Stelle und überlegte.

Kamen Haie überhaupt bis an die Küste? Sollte er dicht am Schilf bleiben? Aber gegen den Hintergrund des Schilfs sah man vielleicht seine Stange mit dem weißen Fetzen der Bluse nicht. Er schnellte ein wenig aus dem Wasser hoch und hielt blitzschnell Umschau. Gab es irgendwo das furchtbare Dreieck von der Rückenflosse eines Haies?

Er konnte nichts erkennen, was die Nähe eines Haies verraten hätte. Hör auf, an diese Mistviecher zu denken!, sagte er sich. Schwimm ein Stück hinaus und halt nach Schiffen Ausschau! Das ist verdammt wichtiger, als sich selbst in Panik zu versetzen.