Jerry Cotton Sonder-Edition 62 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 62 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Als unser Freund und Kollege Special Agent William T. Bolden nach Hause kam, präsentierte sich ihm ein Bild, dass er für den Rest seines Lebens nicht mehr loswerden sollte: Seine Frau lag im Wohnzimmer, ihr Kleid zerfetzt, ihr erstarrtes Gesichts eine Maske des Schmerzes und der Angst. Gangster hatten sie zu Tode geprügelt wie ein räudiges Tier! Für Bolden zerbrach eine Welt, und er kannte nur noch ein Ziel: Rache an den Mördern zu üben, die ihm das Wertvollste genommen hatten. Er gab Mr High die Marke und den Dienstausweis zurück und machte sich auf die Jagd!

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EPUB

Seitenzahl: 189

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Du musst sterben, Lady!

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Last House on the left«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5328-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Du musst sterben, Lady!

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

»Ja, bitte?«, fragte die junge Frau.

Er vor der Tür gab keine Antwort. Er drängte Ann ins Haus und schlug die Tür mit dem Absatz hinter sich zu.

Der Mann war gut sechs Fuß groß, breit und ein Schwergewichtler. Er hatte ein vierkantiges Gesicht, einen schiefstehenden Mund mit einer Narbe auf der rechten Oberlippe und deformierte Ohren.

»Du bist die Frau von FBI Special Agent Bolden, eh?«, fragte der Kerl.

Ann wich ängstlich zurück, hastete dann durch das geräumige Wohnzimmer und riss den Telefonhörer hoch. »Vermittlung!«, rief sie, nachdem sie die Null gewählt hatte. »Hallo, Vermittlung!«

Auf ihrer schlanken Schulter erschien plötzlich eine grobe Hand mit schmutzverkrusteten Fingernägeln. Ann sah die kurzen, klobigen Finger wie in Großaufnahme.

Aus dem Hörer drang eine ferne weibliche Stimme.

Aber Ann konnte die Anfrage der Telefonvermittlung nicht mehr beantworten. Die Hand auf ihrer Schulter griff mit der Gewalt einer stählernen Zange zu. Ann wurde zurückgerissen, verlor das Gleichgewicht und stürzte über den Schaukelstuhl.

Der Mann packte die Zuleitung zum Telefon und riss sie mitsamt der Anschlussdose mit einem einzigen Ruck aus der Wand. Hörer und Apparat polterten vor dem Kamin auf den Boden.

Ann war vor Entsetzen erstarrt. Sie wollte mit der ganzen Kraft ihrer Lungen schreien, aber sie vermochte es nicht.

Die nach hinten gehende Verandatür wurde von außen geöffnet. Im Türrahmen erschien ein noch sehr junger Mann in einem dunkelblauen Anzug. Auf den ersten Blick hin war er so etwas wie eine elegante Erscheinung.

»Oh!«, sagte Ann erleichtert. »Bitte, helfen Sie mir!«

Der Mann im dunkelblauen Anzug gab jedoch keine Antwort. Er lehnte sich gegen den Pfosten der Verandatür und beobachtete die Frau.

Ann Bolden spürte, wie ihr die Kehle trocken wurde. In aufkommender Panik warf sie sich herum. Diese beiden Kerle gehörten zusammen! Ann fühlte einen eisernen Reif von Angst um ihre Brust, der ihr fast den Atem nahm. Ihr Blick irrte umher. Wohin konnte sie fliehen?

»Dein Pech, dass du mit einem verdammten Schnüffler verheiratet bist«, grunzte der große Kerl und packte mit der Linken grob in ihr Haar, während er ihr gleichzeitig den Handrücken der Rechten ins Gesicht schlug.

Blut schoss aus Anns Nase. Angst und Schmerz brachten sie schier um den Verstand. Sie rang um Luft, versuchte zur Treppe zu kommen, die ins obere Stockwerk führte.

Der Gangster erwischte sie mit der Rechten im Genick.

Ann öffnete weit den Mund, um zu schreien. Ein Faustschlag traf sie rechts am Unterkiefer und trieb sie mit mörderischer Wucht quer durch das Zimmer. Als sie an der Wand zusammenbrach, sah sie verschwommen, wie der Kerl mit grinsendem Gesicht erneut auf sie zukam und sich bückte.

Der Junge in der Verandatür sah mit steinernem Gesicht zu. Weder seine lässige Haltung noch sein unbewegter Ausdruck hatten sich verändert. Nur seine Augen verrieten, dass er nicht so gleichmütig war, wie er tat. Die Pupillen hatten sich verengt und glitzerten.

»Du musst sterben, Lady«, sagte er.

Es klang wie ein endgültiges Urteil.

***

FBI Special Agent William T. Bolden sah auf seine Uhr. Es war sechs nach fünf am Nachmittag. Die Sonne stand bereits tief, und nur noch die Spitzen der Wolkenkratzer empfingen ihren rotgoldenen Schein. Spätestens in zwei Stunden musste die Dunkelheit kommen.

Bolden schloss die Tür seines Dienstwagens ab, überquerte den breiten Gehsteig und betrat das Café. An der fünfzehn Yards langen Bar war kein einziger Hocker frei. Angestellte aus den Büros der Nachbarschaft saßen vor den Cocktails, die sie sich nach einem anstrengenden Arbeitstag gönnten, um sich ein paar Minuten zu entspannen oder das Ende der Rushhour abzuwarten. Es war der gleiche Grund, der Bolden veranlasst hatte, aus dem Wagen zu steigen.

Für die unter normalen Umständen keine zwanzig Minuten währende Fahrt bis zum Distriktgebäude hätte er im Augenblick wenigstens vierzig Minuten gebraucht. Außerdem verspürte er das dringende Bedürfnis nach einem starken Kaffee und ein paar Minuten Einsamkeit, in der er sich ein paar Probleme noch einmal in aller Ruhe durch den Kopf gehen lassen konnte.

»Hallo«, sagte eine sonore Männerstimme.

Bolden hatte an einem runden Ecktisch Platz genommen und sah auf. »Sieh mal an!«, sagte er leise.

Der Mann vor ihm war ungefähr zwischen vierzig und fünfzig. Er war mittelgroß und trug einen dunkelgrauen Anzug. Das ovale Gesicht unter dem mausgrauen Haar war sonnengebräunt.

Ohne Boldens Erlaubnis auch nur durch eine Geste einzuholen, zog er sich einen Stuhl zurecht und setzte sich zu ihm.

»Einen Kaffee«, sagte Bolden zu der weißblonden Serviererin, die gleichzeitig mit dem unerwarteten Besucher herangekommen war.

»Mir auch«, sagte der Grauhaarige.

In Boldens Gesicht zuckte kein Muskel, obgleich ihn diese Begegnung wirklich überraschte.

»Sie sind Bolden, nicht wahr?«, fragte ihn der andere.

»Und Sie sind Rickfield«, erwiderte Bolden gelassen.

»Stimmt. Sie sind einer der Special Agents des FBI, habe ich recht?«

»Ja.«

»Sie schleichen seit ein paar Wochen hier durch die Gegend. Warum?«

Bolden schüttelte den Kopf. »Ich schleiche nicht. Ich gehe. Ganz gewöhnlich wie alle normalen Menschen.«

»Streiten wir uns nicht um Worte!«

»Es gibt überhaupt nichts, Rickfield, über das ich mit Ihnen streiten möchte.«

Die Augenbrauen des Grauhaarigen schoben sich über der Nasenwurzel zusammen, sodass sie nur noch von einer steilen Falte getrennt waren. »Wie gut«, sagte er bedeutsam.

Bolden erwiderte nichts. Er zahlte seinen Kaffee, der gerade gebracht wurde. Während er passende Münzen für den Preis und ein kleines Trinkgeld hinlegte, warf der andere achtlos eine Dollarnote hin und deutete mit einer knappen Handbewegung an, dass er auf Wechselgeld verzichtete. Die Serviererin bedankte sich und entfernte sich.

»Nun steigen Sie endlich von Ihrem hohen Ross, verdammt noch mal!«, knurrte Boldens Gegenüber. »Tun Sie nicht so verdammt hochnäsig!«

»Das bin ich nicht.«

»Na schön. Ich will mit Ihnen reden. Wir sind keine kleinen Kinder und sollten doch in der Lage sein, ein vernünftiges Gespräch miteinander zu führen.«

Bill, wie Bolden bei seinem abgekürzten Vornamen genannt wurde, zuckte mit den Schultern. »Dienstlich habe ich Ihnen nichts zu sagen, Mister Rickfield«, stellte er betont fest, »und privat wüsste ich nicht, was ich Ihnen sagen sollte.«

Der Grauhaarige presste einen Augenblick die Lippen aufeinander. Mit der gepflegten Rechten fuhr er sich übers Gesicht, als wollte er etwas wegwischen.

»Sie sind ein harter Bissen, Bolden. Gut, ich akzeptiere das. Nach allem, was ich von Ihnen gehört habe, scheinen Sie etwas von Buchhaltung zu verstehen. Ich dachte, die Special Agents vom FBI wären mehr mit Schießeisen vertraut?«

»Das FBI hat Spezialisten für alles und jedes. Ich gehöre zu den Leuten, die auf wirtschaftlichem Gebiet eine fundierte Vorbildung mitgebracht haben. Ich könnte, glaube ich, jederzeit auch als Wirtschaftsprüfer, Chefbuchhalter oder so etwas mein Geld verdienen.«

Rickfield grinste plötzlich. »So ein Zufall«, sagte er. »Ich suche einen guten Chefbuchhalter. Für ein Jahresgehalt von fünfzigtausend. Kann man das beim FBI verdienen?«

»Natürlich nicht«, erwiderte Bolden kalt.

»Interesse?«

»Fünfzigtausend Mal nein, Mister Rickfield.«

»Warum nicht? Das ist ein schöner Batzen Geld.«

»Ich bin nicht käuflich«, erklärte Bolden.

»Käuflich? Wer spricht denn von so etwas? Sie haben einen Job, und ich biete Ihnen einen besser bezahlten. So etwas passiert jeden Tag überall auf der Welt.«

»Möglich.«

Rickfield atmete tief. »Ihr letztes Wort?«

»Mein letztes«, bestätigte Bolden und nickte.

»Nicht gerade gescheit von Ihnen.«

Bill zuckte mit den Schultern.

»Ist Ihr Beruf eigentlich gefährlich?«, fragte Rickfield halblaut.

Ihre Blicke fraßen sich ineinander. Jeder wusste, was unausgesprochen zwischen ihren Worten zu lesen war, aber keiner gab es zu. Sie führten ihr Gespräch in dem dahinplätschernden Tonfall einer unverbindlichen Konversation.

»Gefährlich?«, wiederholte Bill. »Nun ja, gelegentlich etwas.«

»Aber Sie haben natürlich keine Angst?«

»Angst hat nichts damit zu tun, dass man seine Pflicht tut. Selbstverständlich kann es Situationen geben, wo man die Angst in sich hochklettern fühlt.«

»Aber man tut trotzdem seine … Pflicht?«

»Man versucht es.«

»Aha. Nun ja. Sie müssen es wissen.«

Bolden sah Rickfield aufmerksam an. »Meine Güte«, sagte er amüsiert. »Ich muss Ihnen aber schon ganz schön auf den Pelz gerückt sein.«

»Ich verstehe nicht, wovon Sie sprechen.«

Bill grinste nur.

»Vielleicht sollten Sie sich meinen Vorschlag doch noch einmal überlegen?«, sagte Rickfield. »Wie ich hörte, kann man beim FBI jederzeit seinen Abschied nehmen.«

»Sicher. Wer nicht mehr Agent sein will, wäre sowieso kein guter, also lässt man ihn gehen. Aber ich will Special Agent bleiben.«

»Hoffentlich kommt Ihnen nichts dazwischen«, sagte Rickfield mit einem dünnen Lächeln.

»Neben einer Kindesentführung«, erzählte Bill, als spräche er nur so vor sich hin, »neben einer Kindesentführung gibt es nur noch ein Delikt, bei dem Agents sogar ihre Flitterwochen abbrechen, zur Dienststelle zurückkehren und sich unbeschränkt einsatzfähig melden. Das ist, wenn sie erfahren, dass ein Kollege ermordet wurde. Bis auf den heutigen Tag, seit es das FBI gibt, hat es noch keinen Sterblichen gegeben, der sich rühmen dürfte, einen Agent ermordet zu haben und nicht zur Rechenschaft gezogen worden zu sein. Wer einen FBI-Agent ermordet, wird gehetzt wie ein tollwütiger Hund. Wenn es sein muss, rund um den Erdball. Nicht einmal am Nordpol wäre er sicher, denn wir würden ihn auch dort finden. Guten Abend, Mister Rickfield.«

Bill verließ das Café, stieg in seinen Dienstwagen und griff zum Funkgerät. Er bat um eine Verbindung mit dem Distriktchef.

»Hallo, Mister High. Hier spricht Bill Bolden. Ich habe Einsicht in die Unterlagen der Bellmont Company erhalten. Unser Verdacht scheint sich zu bestätigen. Aber ich musste die Arbeit abbrechen, weil die Firma um fünf schließt. Ich habe mich für morgen früh um neun wieder angekündigt.«

»In Ordnung, Bill. Erzählen Sie mir morgen Mittag, wie Sie vorangekommen sind! Einen schönen Abend noch, Bill. Und grüßen Sie Ihre Frau!«

»Danke, Chef. Also dann bis morgen!«

»Ja, Bill. Bis morgen.«

Bill wartete seufzend auf eine Chance, sich in den Verkehrsstrom einfädeln zu können. Beim FBI herrschen strenge Sitten, und es wäre glatt einem Umsturzversuch gleichgekommen, mit dem Dienstwagen nach Hause zu fahren. Für Privatfahrten durfte ein FBI-Fahrzeug nun einmal nicht verwendet werden, und so musste Bill sich mühsam durch das südliche Manhattan quälen, bis er endlich den Wagen bei der Fahrbereitschaft des FBI zurückgeben, in seinen eigenen, drei Jahre alten Fairlane umsteigen und nach Hause fahren konnte.

Dank einer günstigen Gelegenheit hatte sich Bill kurz vor seiner Hochzeit ein Häuschen am Strand von Long Island mieten können, das mehr einem Landhaus glich als einem Haus in der Großstadt. Unterwegs überlegte er, ob er noch den neuen Kiesweg hinter dem Haus fertig machen konnte, bevor es dunkel wurde.

Wenn Ann das Essen nicht schon fertig hat, dachte er, als er angekommen war und ausstieg, werde ich mich gleich an die Arbeit machen.

Er pfiff leise vor sich hin, während er durch den Vorgarten ging. Die vier Stufen vor der Haustür knarrten, als er sie hinaufstieg. Er schob den Schlüssel ins Schloss und wollte ihn nach links drehen. Da die Tür nicht abgeschlossen war, ging es nicht.

Ann wird es wieder einmal vergessen haben, dachte Bill. Das sollte sie nicht. Hier draußen ist es ein wenig einsam, und Vorsicht kann nicht schaden.

Er stieß die Tür auf und öffnete den Mund, um nach seiner Frau zu rufen. Er rief jeden Abend irgendeinen Kosenamen, wenn er nach Hause kam, damit sie in der Küche seine Stimme erkannte und nicht erschrak, wenn er plötzlich hinter ihr auftauchte.

An diesem Abend brachte er keinen Ton über seine Lippen. Und es hätte auch keinen Sinn gehabt, nach Ann zu rufen.

Denn sie lag in einer Blutlache mitten auf dem Teppich im Wohnzimmer, keine fünf Schritte von der Tür entfernt. Ihr Gesicht war verzerrt, bläulich angelaufen, und die schon glanzlosen Augen verrieten ihm, dass seine Frau seit wenigstens einer Stunde tot sein musste.

2

Phil und ich saßen in einem ungarischen Restaurant. Während wir noch auf das Servieren unserer Bestellung warteten, dösten wir wortlos vor uns hin. Es war wieder einmal der üblich anstrengende Tag gewesen, und man brauchte seine Zeit, bis die Gedanken wirklich aufhörten, sich mit den beruflichen Problemen zu beschäftigen.

Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es erst kurz vor halb neun war. Der Abend lag noch vor uns. Wir konnten uns Zeit lassen für das Essen, anschließend bei mir eine Partie Schach spielen und ein oder zwei Scotch für die Bettschwere trinken, und dann würden wir immer noch verhältnismäßig früh ins Bett kommen. Rosige Aussichten, die man als FBI Special Agent nicht jeden Abend genießen kann.

»Agent Cotton?«

Ich hob den Kopf. Trotz seiner blankgewichsten Reitstiefel, in denen schwarze Pluderhosen steckten, war der ungarisch kostümierte Kellner lautlos herangekommen. Er hatte ein strichdünnes Bärtchen auf der Oberlippe und sah aus, wie Ungarn vielleicht aussehen. Oder wie man sie sich vorstellte. Allerdings wusste ich, dass er ein waschechter Yankee war. So gut wie er wusste, dass Phil und ich zum FBI gehörten. Schließlich lag das Distriktgebäude keinen Steinwurf weit entfernt, und wir kamen öfter zum Essen hierher.

»Ja, Jimmy?«

»Jannosch«, verbesserte er.

Ich winkte lächelnd ab. »Geben Sie’s auf, Jimmy! Wir glauben’s Ihnen nicht, und wenn Sie uns hundertmal einreden wollen, Sie hätten einen ungarischen Namen. Was ist los?«

»Telefon für Sie.«

Ich sah verdutzt zu Phil. Er hob die Schultern und breitete die Hände aus, mit den Handtellern nach oben, wobei er ein unschuldiges Gesicht machte.

»Von mir weiß es niemand, wo wir sind«, sagte mein Freund. »Wir haben Feierabend, und wir stehen nicht auf der Bereitschaftsliste. Also gab es keinen Grund, bei der Zentrale zu hinterlassen, wohin wir essen gehen.«

»Dann möchte ich wissen, wer uns hier ausfindig gemacht hat«, brummte ich und stand auf.

Die Telefonzelle war in der kleinen Vorhalle. Ich nickte der jungen Frau an der Garderobe zu, die mich als alten Stammkunden mit einem freundlichen Lächeln bedachte, während ich die Tür der Telefonzelle zuzog. Aus lauter Gewohnheit lehnte ich mich mit dem Rücken so an die Wand, dass ich durch das Fenster in der Tür die Vorhalle im Auge behalten konnte. Mit der Zeit gehen einem gewisse berufliche Vorsichtsmaßnahmen in Fleisch und Blut über.

»Hallo?«, sagte ich in den Hörer. »Hier ist Agent Cotton.«

»Dave Lester. Entschuldige, dass ich dich beim Essen störe, Jerry! Es ist das vierte Lokal, das ich anrufe. Ist Phil auch da?«

»Ja.«

Dave Lester gehörte in dieser Nacht zu den diensttuenden Agents im Distriktgebäude. Er erzählte, was zu erzählen war. Ich fühlte, wie meine Kehle plötzlich trocken war, als hätte ich einen Marsch durch die Wüste hinter mir. Daves Stimme klang auf einmal fern.

»Großer Gott!«, sagte ich heiser.

Dave sagte noch ein paar Sätze. Die Vorhalle draußen vor der Telefonzelle verschwand vor meinem Blick. Ich sah ein weiß gestrichenes Häuschen mit grünen Fensterläden am Strand von Long Island. Und ich sah eine rothaarige, hübsche junge Frau, wie sie auf der obersten Stufe vor ihrem Hause stand und zum Abschied winkte. Das musste zwei oder drei Monate her gewesen sein, als wir Bill Boldens Geburtstag im Kreise einiger Kollegen gefeiert hatten. Damals hatte ich Ann zum letzten Mal gesehen.

»Wir kommen sofort«, sagte ich und legte auf.

Als ich an unserem Tisch ankam, hob Phil den Kopf. Sein eben noch harmlos fragender Gesichtsausdruck wechselte schlagartig zu einer erschrockenen Miene. Bevor er etwas sagen konnte, brummte ich: »Das Essen fällt aus. Komm!«

Wir marschierten zur Schwingtür. Hinter mir plapperte irgendeine Stimme irgendetwas, das nicht mehr in mein Bewusstsein drang. Doch als ich die Hand schon auf der Messingstange des Türflügels hatte, zupfte mich jemand am Ärmel. Ich drehte mich halb um.

Jannosch-Jimmy mit seiner weißen, bunt bestickten Bluse fragte irgendwas wegen des Essens. Er hörte mitten im Satz auf, als er mein Gesicht sah.

»Sie kennen doch Bill Bolden, unseren Kollegen?«, fragte ich.

»Natürlich! Er ist genauso oft hier wie Sie. In der vorigen Woche war er sogar mit seiner Frau hier, Agent Cotton. Sie ist eine Schönheit, wie sie nur Irland erzeugen kann. Dieses rote Haar und …«

»Sie war eine Schönheit«, sagte ich hart. »Jemand hat sie umgebracht.«

Wir ließen ihn stehen und marschierten quer durch die Vorhalle. Ich legte unsere beiden Garderobenmarken auf den Tisch. Die Frau bekam plötzlich große Augen, und das Lächeln verschwand aus ihrem jungen Gesicht, kaum, dass sie den Kopf gehoben und uns angesehen hatte. Sie streckte die Hand aus und wollte nach den Garderobenmarken greifen. Plötzlich fiel ein glänzender Nerz darauf.

»Haben Sie noch nie gehört, dass man eine Lady vorlässt?«, fragte eine unangenehm plärrende Stimme.

Ich packte den Nerz, legte ihn beiseite und schob die Garderobenmarken näher zu der jungen Frau hin. Sie nickte hastig, ergriff sie und verschwand zwischen den Kleiderhaken. Links von mir plärrte die weibliche Stimme weiter. Ihre Worte drangen nicht in mein Bewusstsein. Wir nickten der jungen Lady dankend zu und liefen zum Ausgang, wobei wir unterwegs in die Mäntel schlüpften.

Der Motor meines roten Jaguars sprang sofort an. Ich beugte mich, betätigte einen Schalter und sah, wie das aufflammende rotierende Rotlicht rote Geisterfinger um den Wagen kreisen ließ.

»Wo denn?«, fragte Phil leise.

»In ihrem Haus, draußen auf Long Island.«

Ich schaltete auch noch die Sirene ein. Um diese Zeit schlief sowieso noch niemand in Manhattan, und die Sirene konnte uns wenigstens erst einmal den Weg bis zu einer der Stadtautobahnen freimachen.

***

Die Fahrt dauerte eine Dreiviertelstunde, und weder Phil noch ich sprachen ein einziges Wort in dieser Zeit. Dann ging ich mit der Geschwindigkeit herunter und bog von der Hauptstraße ab. Nach anderthalb Meilen tauchte schräg vor uns etwas auf, das aussah, als würde dort ein Film gedreht.

Nicht weit vom Strand mit seinen züngelnden, schaumgekrönten Wellen lag ein weißes Häuschen mit grünen Fensterläden auf der halben Höhe des zum Meer hin sinkenden Abhangs. Mehr als ein halbes Dutzend Standscheinwerfer waren aufgebaut und strahlten eine gnadenlose Helligkeit aus. Fast ein Dutzend Wagen reihten sich auf der Straße aneinander. Der schwarze Lincoln unseres Distriktchefs war auch dabei. Und natürlich die Dienstfahrzeuge der Mordkommission.

Ein paar Uniformierte standen herum und musterten uns, als wir ausstiegen. Ein älterer Sergeant mit dem zerfurchten Gesicht eines Mannes, dem nach dreißig Jahren Polizeidienst in New York nichts Menschliches und nichts Unmenschliches mehr fremd war, kam uns ein paar Schritte entgegen. Ich hielt ihm den Dienstausweis wortlos entgegen. Er warf nur einen schnellen Blick darauf, dann trat er zurück und grüßte stumm.

Wir gingen an den Cops vorbei. Der Weg durch den Vorgarten stieg zum Haus hin leicht an. In der Mitte zwischen Gartentor und Haustür stand ein kleiner, schlanker Mann breitbeinig auf dem Weg. Er trug einen dunklen Anzug. Seine Fäuste waren in die Hüften gestemmt, und er stand reglos wie eine Statue, bis er unsere Schritte hörte und sich umdrehte.

Er war sicher kurz vor der Grenze des Pensionsalters. Er hatte schlohweißes Haar, und lichtblaue, fast strahlende Augen musterten uns schnell und wachsam.

»Cotton«, sagte ich, und mit einer Handbewegung zu Phil: »Decker. FBI.«

»Ich bin Ronald Maystone. Lieutenant. Mordkommission.«

Wir nickten uns grüßend zu. Ich zeigte auf das Haus: »Was haben Sie, Lieutenant?«

»Die Leiche der Frau«, erwiderte er. »Offensichtlich schwer misshandelt. Todesursache trotzdem noch unbekannt. Keine Schuss- und Stichwunden. Und keine Schlagwunde, die ihren Tod erklären würde.«

»Ein Täter oder mehrere?«, fragte Phil.

Maystone zuckte die Schultern. »Wissen wir noch nicht.«

»Und wann?«

»Nach vier, vor sechs. Heute Nachmittag. Vielleicht nach vier Uhr dreiundzwanzig. Zu der Zeit ging bei der Telefonvermittlung dieser Gegend ein undefinierbarer Anruf ein, der schon nach dem ersten Wort unterbrochen wurde. Eine weibliche Stimme. Der Ruf könnte von hier gekommen sein.«

»Irgendeine Spur?«

»Hinter der Veranda auf der Rückseite des Hauses ist ein Streifen Erde umgegraben, wo Ihr Kollege einen Kiesweg anlegen wollte. In der weichen Erde haben wir die Spur von einem Schuh ausgegipst. Vielleicht stammt die Spur von dem Kerl, den wir suchen müssen.«

»Ein Sittlichkeitsverbrechen?«, erkundigte sich Phil leise.

Maystone schüttelte den Kopf. »Dafür gibt es keinerlei Anzeichen.«

»Können wir ins Haus?«

Maystone nickte stumm.

Wir gingen an ihm vorbei und stiegen die vier Stufen hinauf. Auf der obersten hatte Ann gestanden und uns nachgewinkt, als wir sie zum letzten Mal gesehen hatten. Eine junge, schöne Frau von der Grünen Insel. Im nächsten Jahr hätten Bill und Ann ihren Urlaub in Anns Heimat verbringen wollen. Nun würde sie ihr geliebtes Irland nie wiedersehen.

Phil hatte die Tür aufgemacht. Die Gesichter einiger Männer wandten sich uns zu. Ich sah Steve Dillaggio und Zeerookah, George Baker, Jimmy Stone und Sam Steinberg, unseren beleibten Fachmann für Spurensicherung. Er gehörte zu den besten Leuten, die es in den ganzen Vereinigten Staaten auf diesem Gebiet gab. Sam verstand die Sprache der toten Dinge wie kaum ein anderer.

Ein paar andere Männer waren uns fremd. Wahrscheinlich gehörten sie zu Maystones Mordkommission. Sie alle waren beschäftigt. Und alle mit derselben Arbeit: Sie pinselten jeden Gegenstand ein, der eine glatte Oberfläche hatte und eine Fingerspur tragen konnte. Natürlich wimmelte es von solchen Fingerspuren, wie jeder Einrichtungsgegenstand in einer benutzten Wohnung von den Fingerspuren der Bewohner wimmelt. Aber vielleicht gab es unter tausend auch einen oder zwei, die der Mörder zurückgelassen hatte …

Ann Bolden lag noch immer so, wie sie gefunden worden war, obgleich inzwischen Stunden vergangen waren. Der Teppich rings um sie wies einen großen, fast schwarzen Fleck auf von halb eingetrocknetem Blut.

Ann hatte in den Minuten vor ihrem Sterben alle Höllenangst dieser Erde ausstehen müssen. Ihr Gesicht hatte es aufgezeichnet wie ein Seismograph die Bewegungen der Erdrinde. Auch der Tod hatte diese grausame Zeichnung nicht verwischt. Ich kniete nieder und betrachtete das Gesicht ein paar Herzschläge lang. Dann wusste ich, dass ich es nie vergessen würde.

***