Jerry Cotton Sonder-Edition 63 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 63 E-Book

Jerry Cotton

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Jerry goes to Hollywood? Nein, so weit war es noch nicht, aber als Produktionsassistent wirkte ich an einem Film mit, der bei uns in New York gedreht wurde. Natürlich war ich nur undercover eingeschleust worden, denn Rauschgiftdealer trieben sich auf dem Filmgelände herum. Star des Streifens war Virginia Appigail, eine Schauspielerin am Anfang einer steilen Karriere. Sie stammte aus dem New Yorker Stadtteil Harlem, war jung, aufregend und temperamentvoll. Und geriet ins Visier brutaler Gangster! Auf einmal hatte ich es nicht nur mit Rauschgift zu tun, sondern auch mit Mord und Entführung!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 190

Veröffentlichungsjahr: 2017

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Wild wie eine Harlemkatze

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Hostel 2«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5329-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Wild wie eine Harlemkatze

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

»Na, haben Sie die bösen Verbrecher schon entdeckt?«, brummte Hank Waldock, der Produzent. Er schob beide Hände in die Hosentaschen.

»Halten Sie den Mund, Waldock!«, erwiderte ich leise. »Keine Anspielungen dieser Art, das wissen Sie verdammt genau! Oder ich verschwinde hier, und das FBI schmuggelt in Ihr Produktionsteam Leute ein, ohne dass Sie es erfahren.«

»Man wird doch mal fragen dürfen.«

»Irrtum«, korrigierte ich. »Man darf nicht.«

Er zuckte mit den Schultern und zog ein Gesicht wie ein beleidigtes kleines Mädchen. Dabei sah er allem anderen eher ähnlich als einem Schulkind. Waldock hatte einen mächtigen Bauch und viel Geld. Der Himmel mochte wissen, warum er es nicht einmal auch dazu verwendete, sich einen Anzug zu kaufen, der ihm passte. Die Hosen waren ihm im Bund zu eng, und so ließ er sie einfach bis zum dritten Knopf offen stehen.

Für die anderen galt ich als sein Produktionsassistent. Ich konnte mich auf dem gesamten Studio-Gelände frei bewegen, weil niemand je richtig wissen kann, mit welch unendlich wichtigen Dingen ein Produktionsassistent gerade beschäftigt ist.

Im Augenblick drehten sie die Szene, wo Burt Alcon, der Hauptdarsteller, in dem weißen Cadillac Eldorado bei Virginia Appigail seine im Drehbuch vorgeschriebenen Annäherungsversuche zu starten hatte. Ebenfalls nach dem Skript musste Virginia ihm eine saftige Ohrfeige verpassen. Und wir hatten alle das Gefühl, dass es der kaffeebraunen Schönheit unheimlich viel Spaß machte.

Ich schob mich leise von Waldock weg zur linken Wand der großen Atelierhalle, wo gerade einer der jungen Statisten aufgetaucht war. Er sah mich kommen, blickte vorsichtig um sich und raunte mir dann zu: »In einer halben Stunde am Tor sieben! Ich glaube, ich hab was entdeckt.«

Meine Antwort war nicht mehr als ein fast unmerkliches Nicken. Aber der Junge hatte nicht aufgepasst und lief mir zwei Schritte nach.

»Haben Sie gehört?«, fragte er halb laut, »in einer halben Stunde am Tor …«

»Okay, okay«, fiel ich ihm ins Wort. »Ist ja gut.«

Hinter einer großen aufgespannten Leinwand ganz in unserer Nähe kam der stämmige Dave Murror hervor. Er war der Boss der Gewerkschaft der Filmtechniker, und er kontrollierte die Arbeitszeit seiner Beleuchter und Hilfskräfte mit der Stoppuhr. Ich fragte mich, ob er meine kurze Unterhaltung mit dem jungen Statisten wohl mitbekommen und wie lange er schon hinter der Leinwand gestanden hatte.

»Hallo, Murror«, sagte ich so leise, wie es angesichts der zwanzig Yards entfernten Aufnahme angebracht war. »Sie haben doch sicher eine Beschwerde bei der Produktion anzubringen, oder?«

Sein Schmiedehammerkinn schob sich angriffslustig vor. »Wieso?«

Ich warf einen kurzen Blick auf meine Uhr. »Schon vier Uhr nachmittags, Murror, und noch immer keine Beschwerde von der lieben Gewerkschaft. Da stimmt doch was nicht.«

»Eines Tages haue ich Ihnen meine gute, alte Gewerkschaftsfaust mitten in Ihre arrogante Fratze«, sagte er liebenswürdig.

Ich lächelte freundlich. »Wie ich mich auf den Tag freue!«

Murror schob sich mit einem unartikulierten Knurren an mir vorbei. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie er den jungen Statisten eine Sekunde lang anblickte. Der junge Mann drehte sich um und tappte auf Zehenspitzen zu den Statisten und Statistinnen, die an der Wand lehnten und mit sehnsüchtigen Augen die Aufnahme der Szene mit den beiden Hauptdarstellern verfolgten.

Ich ging bis auf fünf Schritt von hinten an die Aufnahmekamera heran. Sie war auf einer kleinen, stabilen Holzkarre befestigt, die von zwei starken Männern nach den Wünschen des Kameramanns entsprechend hin und her geschoben wurde.

»So geht das nicht, Burt!«, rief der Regisseur. »Sie sind zu verbindlich! Zu sehr Kavalier! Machen Sie’s mehr von oben herab. In Ihren Augen ist die Kleine da eine dumme Schwarze, ein Mädchen aus Harlem, das zu Ihnen aufschauen müsste wie zum lieben Gott. Erstens, zweitens und drittens gehören Sie zu der gottähnlichen Rasse der Weißen, viertens haben Sie Geld, fünftens einen Cadillac, und sechstens muss sich überhaupt jedes weibliche Wesen höchst geehrt fühlen, wenn Sie es mit Ihrer Aufmerksamkeit beschenken. Noch einmal, ja? Achtung, Drei-sechsundneunzig von vorn! Klappe!«

Die Leiste knallte von unten her gegen die mit Kreide beschriftete Klappe, die Kamera lief wieder, und Burt Alcon begann die dreihundertsechsundneunzigste Einstellung zum zwanzigsten Mal von vorn. Ich kannte den kurzen Dialog bereits auswendig.

»Du hast ein hübsches Kleid an, Kleine«, sagte Alcon herablassend.

Virginia Appigail hatte sich getreu den Regieanweisungen in den luxuriösen Ledersitz gekuschelt, die Beine hochgezogen und ihr unschuldig-schönes Gesicht dem männlichen Hauptdarsteller zugewandt.

»Ich heiß nicht Kleine«, erwiderte sie in etwas verschönertem Harlem-Slang. »Ich heiße Maria, und ich war richtig in ’ner Oberschule und bin jetzt ’ne richtige Miss. Ich bin siebzehn, un’ das is’ erwachsen, Mister.«

»Aber ja«, sagte Alcon gönnerhaft und lehnte sich zu ihr hinüber. »Du bist ganz bestimmt erwachsen, das sieht man doch.«

Seine Hand glitt von ihrem Hals und über ihre Schulter langsam tiefer. Virginia Appigail schloss für einen Moment die schönen dunklen Augen, als wolle sie sich der Liebkosung hingeben. Dann veränderte sich etwas in ihrem engelhaften Gesicht, sie schlug die Augen wieder auf, und es klatschte jäh, als sie Alcon die vorgeschriebene Ohrfeige verpasste.

»Gut, gut!«, rief Frank Ulster, der Regisseur.

»Schlag nicht so verdammt fest zu!«, rief Alcon und rieb sich die Wange. »Wie oft soll ich dir das noch sagen?«

»Waschlappen!«, stellte Virginia Appigail trocken fest.

»Kinder, Kinder«, sagte Waldock begütigend, der herangekommen war, weil er aus Erfahrung wusste, dass er nach solchen Szenen versöhnend eingreifen musste.

»Scheinwerfer aus!«, rief Murror, der Gewerkschaftsboss, als ob er selbst die Stromrechnung bezahlen müsste.

»Wer bestimmt denn das?«, rief der Regisseur. »Die Szene wird wiederholt!«

»Meine Leute haben Anspruch auf zehn Minuten Teepause, wenn bis sieben Uhr abends gedreht werden soll!«, fauchte Murror.

»Ich pfeif auf die Teepause, wenn wir endlich mal um fünf Feierabend machen!«, brüllte irgendein Techniker aus der anonymen Dunkelheit außerhalb des erleuchteten Aufnahmekreises.

»Macht, was ihr wollt!«, sagte Virginia Appigail »Ich hab ’ne Zigarette nötig, und die rauch ich jetzt.«

Sie stieg aus. Ihr Kleid sollte nach einem billigen Fähnchen aussehen, aber es saß ihr auf dem Körper wie eine zweite Haut. Offenbar wollte sie die Atelierhalle verlassen, denn sie ging auf die hohe, doppelflügelige Metalltür zu, die unmittelbar hinaus ins Freie führte. Ich folgte ihr in einem Abstand von höchstens fünf Yards.

Als sie die linke Türhälfte aufstieß, quoll ein breiter Streifen von blendendem Sonnenlicht herein. In der Halle war es verhältnismäßig kühl, aber von draußen kam einem warme Luft entgegen. Als ich noch zwei Schritte von der halb offen stehenden Tür entfernt war, hörte ich Virginias Stimme. Sie klang sanft, fast gurrend, und sie hatte jenes gewisse Etwas, das einem bis in die letzte Nervenfaser dringt: »Was sehen Sie mich so an?«

Ich blieb unwillkürlich stehen. Ich konnte Virginia nicht sehen und auch nicht, mit wem sie sprach. Aber nach einer Sekunde Schweigen hörte ich die Stimme eines Mannes.

»Sie sind die schönste Frau, die ich je gesehen habe.«

Ich blinzelte gegen das grelle Sonnenlicht an und fragte mich, ob ich weitergehen oder mich wenigstens räuspern sollte. Das Letztere kam mir albern vor. Bevor ich zu einem Entschluss kam, kicherte Virginia.

»Was lachen Sie?«, fragte der Mann.

»Ihr Schnurbart«, sagte Virginia. »Machen Sie ihn weg! Er steht Ihnen so gar nicht.«

»Meinen Sie?«

»Bestimmt.«

»Wenn ich ihn wirklich abrasiere …«

Das Gespräch verstummte. Ihre Stimmen waren leiser geworden. Bis zu mir her glaubte ich die erregende Spannung zu spüren, die zwischen Virginia und dem Mann aufgekommen war.

»Wir haben nachher eine Party«, lockte Virginia Appigail leise. »Kommen Sie auch?«

»Bestimmt.«

»Wie heißen Sie?«

»John Slone.«

»Bis nachher, Johnny.«

Ich hörte, wie sich ihre Schritte schnell entfernten. Also setzte auch ich mich wieder in Bewegung.

Auf der Türschwelle stieß ich fast mit John Slone zusammen. Er war fast so groß wie ich und trug einen Schnurrbart. Angeblich gehörte er zur Public-Relations-Abteilung, aber ich hatte noch nie gesehen, dass Slone auch nur mit einem einzigen Journalisten ein Wort gesprochen hätte. Dafür tauchte er immer gerade dort auf, wo man am wenigsten mit ihm rechnen konnte.

Wir bedachten uns gegenseitig nur mit einem flüchtigen Blick, dann ging ich hinaus in den grellen Sonnenschein, während Slone hinter mir im düsteren Zwielicht der riesigen Atelierhalle verschwand. Ich blinzelte etwas, bis sich meine Augen an das helle Tageslicht gewöhnt hatten.

Virginia Appigail lehnte lässig an der Mauer des weißen Studio-Anbaues, kramte in ihrer Handtasche, schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und betrat das kleine Gebäude durch die offen stehende Seitentür. Es sah fast aus, als wolle sie vor mir fliehen. Obgleich das natürlich Unsinn war.

Der ganze weitläufige Studio-Komplex mit seinen vielen Hallen und massiven Gebäuden wurde von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben, in dem es ringsum fast ein Dutzend Tore gab. Sie waren nummeriert, aber eigentlich immer abgeschlossen. Bis auf die beiden Hauptzufahrten im Norden und Nordwesten, wo es Pförtnerhäuschen und Schlagbäume gab.

Tor sieben lag von unserer Halle ungefähr sechzig Yards entfernt. Ich schlenderte langsam darauf zu. Seit neun Tagen trieb ich mich nun schon als angeblicher Assistent des Produzenten hier herum, aber ich war meinem Ziel noch nicht einen einzigen Schritt näher gekommen. Allmählich wurde es wirklich Zeit, dass ich an das FBI-Distriktgebäude einmal etwas anderes melden konnte als das nun schon fast zur Gewohnheit gewordene: »Noch keine Ergebnisse.«

Ich erreichte den rot gestrichenen Eisenrahmen des Tors. Ein kurzes Stück Schotterweg führte hinab zu der tiefer gelegenen Uferstraße. Jenseits des grauen Betonbandes glitzerte der East River im Sonnenlicht. Weit draußen, verschwommen in Dunst und vor Hitze flimmernder Luft, lag Queens mit seinen Fabriken und Häusern.

Steinchen knirschten hinter mir. Ich drehte mich um und sah zu der Halle zurück. Der junge Statist, der mich zu diesem Treffen bestellt hatte, kam herangeschlendert. Er war sicher nicht älter als zwanzig. Seine blassblauen Augen standen ungewöhnlich weit auseinander. Ich hob die Hand. Hatte er wirklich etwas Interessantes für mich?

Er tat die letzten beiden Schritte, die uns noch trennten, und blieb dicht vor mir stehen. Mir fiel erst jetzt auf, dass er anscheinend ein paar Zoll größer war als ich.

Genau in dieser Sekunde krachte der Schuss. Es war das helle, peitschende Knallen eines Karabiners.

Der junge Statist hatte den Mund weit geöffnet. Einen Herzschlag lang glaubte ich, er wolle etwas sagen. Aber dann brach plötzlich ein Blutsturz über seine Lippen. Als ich den Jungen auffing, schob sich schon der glanzlose Schleier des Todes über seine blauen Augen.

***

»Verdammt, verflucht und zugenäht!«, wetterte Marty Squebeck und klatschte die flache Hand auf den Schreibtisch, dass es knallte wie von einem Gewehrschuss. »Ich habe hundertmal gesagt, dass ich hier nicht gestört werden will. Keine Anrufe und schon gar kein persönliches Erscheinen!«

Buck Lester, Squebecks Vertrauter, Sekretär, Vorarbeiter und Mädchen für alles, zuckte mit den massigen Schultern. Er hatte ein vierkantiges Gesicht, buschige Brauen und den leicht schläfrigen Blick des Phlegmatikers.

»Das habe ich ihm auch gesagt, Boss«, entgegnete er mit tiefer Stimme. »Aber er ist nun einmal da. Soll ich ihn wieder wegschicken?«

Squebeck überlegte. Dann machte er eine resignierende Handbewegung. »Wenn er schon da ist, dann lass ihn auch rein! Aber wenn er wegen einer lausigen Kleinigkeit uns alle in Gefahr bringt, stauch ihn zusammen, dass er sich im Spiegel für einen Aussätzigen hält.«

»Gern, Boss«, brummte Lester und grinste dünn. Er watschelte mit seinem Entengang quer durch das geräumige Zimmer bis zu der Wand, wo der große Gobelin hing. Der Wandteppich war an einer Stange befestigt, die sich in den Raum schwenken ließ, und dahinter gab es in der dunklen Holzvertäfelung des Zimmers eine Tür, die man erst entdeckte, wenn sie sich öffnete. Im geschlossenen Zustand fügte sie sich fast nahtlos in die Täfelung ein.

Lester hantierte am geschnitzten Zierrat einer Leiste in der Täfelung, und die geheime Tür schwang lautlos nach innen. Dahinter sah man ein Stück nackten Betonflurs, auf den von links her eine sehr schmale Treppe mündete.

»Komm rein!«, knurrte Lester.

Von der Treppe her erschien ein etwa dreißigjähriger Mann in der offenen Tür. Er war noch immer ein wenig atemlos und machte dazu einen aufgeregten Eindruck. Zu seinem hageren Gesicht wollte der kräftige Körperbau nicht ganz passen.

»Kommen Sie her, los!«, kommandierte Squebeck. »Und erzählen Sie Ihre Geschichte! Und wehe, wenn es in dieser Geschichte keinen Grund dafür gibt, dass Sie unsere Sicherheitsabmachungen verletzt haben!«

Der Mann trat zögernd an Squebecks Schreibtisch heran. Er zupfte nervös an seinen Ärmeln. »Es ist etwas passiert, Boss«, berichtete er kurzatmig. »Ich bin gelaufen wie noch nie im Leben.«

»Was ist passiert?«, fragte Squebeck, während sich seine weißblonden Augenbrauen zu einem geraden Strich zusammenschoben.

»Einer von den Statisten muss was entdeckt haben. Und er wollte plaudern, der Junge.«

»Kam er dazu?«

»Nein.«

»Gut. Wer hat ihn daran gehindert? Und vor allem, wie?«

»Es war nicht mehr anders zu machen als mit ’ner Kugel. Wie gesagt, Boss, es ging nicht anders. Es sah verdammt danach aus, als ob er gerade an die große Glocke hängen wollte, was er entdeckt hatte. Aber der Teufel weiß, was er überhaupt entdeckt hat.«

Squebeck presste die Lippen aufeinander. Es war ihm anzusehen, dass er von solchen Komplikationen nicht erbaut war. Eine Weile starrte er düster vor sich hin. Dann nickte er. »Jetzt ist es nicht mehr zu ändern. Sonst noch was?«

»Ja, Boss. Auf dem Studio-Gelände treibt sich ein Kerl vom FBI herum.«

Squebeck riss den Kopf hoch. »Vom FBI?«, wiederholte er scharf. »Woher weiß man das?«

»Ich hab es von Waldock gehört. Ein gewisser Katten oder Kotten oder so.«

Squebeck runzelte die Stirn. Er stemmte sich hinter dem Schreibtisch hoch und ging zu der Sesselgruppe, die in einer Ecke des Zimmers stand. Dort gab es einen kleinen Zeitschriftenständer. Squebeck begann in den Blättern zu wühlen. Endlich hatte er gefunden, was er suchte. Er kam mit einer Zeitung wieder, die schon ein paar Tage alt war. Es gab ein undeutliches Foto darin von zwei Männern, die gerade einen dritten in Handschellen abführten. Squebeck wies auf den kurzen Text unter dem Bild:

FBI in Aktion: Cotton und Decker, New Yorks bekannteste Gangsterjäger vom FBI, bei der Verhaftung des aus Oklahoma geflohenen Raubmörders Bassing, der bei vier Überfällen auf Tankstellen insgesamt drei Menschen ermordet hat.

»Da«, sagte Squebeck. »Cotton, nicht wahr?«

»Möglich, Boss. Ich hab den Namen nicht genau gehört.«

»Da stimmt doch irgendwas nicht«, schimpfte Squebeck. »Das FBI schnüffelt nicht grundlos herum! Und wenn Cotton im Studio ist, muss auch dieser Decker irgendwo in der Nähe sein. Das FBI schickt seine Leute so gut wie nie allein los. Wo steckt der andere?«

»Ich weiß es nicht, Boss. Es war nur von dem einen die Rede.«

»Verdammt noch mal!«, fluchte Squebeck. »Gerade jetzt können wir keine Schnüffler im Atelier gebrauchen.«

Buck Lester kam heran. Er betrachtete das Bild in der alten Zeitung. Man konnte die Gesichter der drei Männer kaum erkennen.

»Ein FBI-Schnüffler auf dem Gelände kann uns alles zunichtemachen«, brummte Buck Lester. »Wenigstens in den nächsten zwölf bis vierundzwanzig Stunden muss das Gelände für uns sauber sein.«

»Richtig!«, stimmte Squebeck zu. »Und deshalb gibt es nur eine Möglichkeit: Dieser Cotton muss verschwinden. Und zwar noch heute Abend.«

2

Die Kugel war ihm ungefähr eine Handbreit über dem Genick in den Hinterkopf gedrungen. Da es zweifellos ein Gewehrschuss gewesen war, wunderte ich mich, dass die Kugel nicht genug Durchschlagskraft gehabt hatte, um vorn wieder auszutreten. Behutsam ließ ich den Kopf des jungen Mannes in den heißen Sand neben dem Maschendrahtzaun sinken.

Ich suchte den Puls des Jungen und legte mein Ohr an sein Herz. Der Schuss war tödlich gewesen, und es mochten seither vielleicht zwei Minuten vergangen sein. Ich richtete mich auf und sah mich um. Es gab nur eine Richtung, aus der der Schuss gekommen sein konnte. Genau in dieser Richtung lag der kleine weiße Betonanbau der großen Atelierhalle, in der wir drehten.

Ich setzte mich in Trab. Die Seitentür, durch die vor wenigen Minuten erst unsere Hauptdarstellerin verschwunden war, fand ich verschlossen. Daneben gab es ein schmales Milchglasfenster. Es stand halb offen. Genau darüber befand sich ein größeres Fenster. Auch dies stand offen. Bereits zwei Möglichkeiten für den Standort des Schützen.

Ein wenig atemlos erreichte ich das untere Fenster und riss es ganz auf. Ich reckte den Oberkörper vor und sah hinein: ein kleiner Raum mit einem alten Schreibtisch, zwei Aktenschränken und ein paar Stühlen. Hinter dem Schreibtisch richtete sich gerade ein Mann auf, der sich aus irgendeinem Grunde gebückt hatte.

Um ein Gewehr zu verstecken?

»Was tun Sie hier, Murror?«, fragte ich.

Der Gewerkschaftsboss schoss einen wütenden Blick auf mich ab. »Geht das Sie was an?«, rief er. »Dies ist mein Büro, kapiert? Die Gewerkschaft bezahlte Miete dafür. Okay, Freundchen?«

»Wie lange sind Sie schon hier drin?«

Dave Murror schwoll an. Sein Gesicht färbte sich dunkler. »Verschwinden Sie aus meinem Büro!«, brüllte er mich an. »Kümmern Sie sich um Ihren Job und behelligen Sie mich nicht mit Ihren dämlichen Fragen!«

Ich ging hinaus, stellte mich vor den Anbau und schätzte die Entfernung bis zu dem oberen Fenster. Dann trat ich wieder vor und stellte die Füße auf Murrors Fenstersims. Mit den ausgestreckten Armen konnte ich die Kante des darüber gelegenen Fensters erreichen. Ich ließ die Füße baumeln und zog mich mit einem Klimmzug in die Höhe.

Es roch nach Schminke und Puder und anderem süßlichen Zeug. Rechts ragte ein Schminktisch in den Raum hinein, auf dem es von Tuben, Stiften und Dosen wimmelte. Ein dreiteiliger Spiegel warf mein Bild ein Dutzend Mal zurück.

Links stand eine alte, mit dunklem, brüchigem Leder bezogene Couch. Geradeaus gab es einen großen Kleiderschrank. Ein Mann, der mir den Rücken zuwandte, warf gerade die Schranktür zu. Als er sich umdrehte, entdeckte er meinen Kopf in dem offenen Fenster. Er erschrak.

»Hallo, Mister Alcon«, sagte ich, griff mit dem linken Arm vor und zog meinen Oberkörper nach, sodass ich jetzt mit der Brust auf der Fensterbank lag. »Ist das Ihre Garderobe?«

»Was geht Sie das an?«

»Merkwürdige Leute hier«, sagte ich. »Wenn man einen etwas fragt, kriegt man nicht etwa eine Antwort, nein, man hört eine Gegenfrage. Also, es ist nicht Ihre Garderobe?«

»Es ist meine Garderobe, Wolcott. Und wenn Sie was von mir wollen, warum benutzen Sie nicht die Tür?«

»Das ist ein Gedanke«, sagte ich. »Ich werde es mir fürs nächste Mal merken. Wie lange sind Sie jetzt schon hier drin?«

»Ein oder zwei Minuten. Ich bin gerade reingekommen. Warum?«

Das konnte stimmen oder auch nicht.

»Ist Ihnen auf dem Weg hierher jemand begegnet?«

»Frank lief den Gang hinab zum Vorführraum.«

»Frank Ulster, der Regisseur?«

»Ja.«

»Hatte er zufällig ein Gewehr in der Hand?«

»Ein Gewehr?«

»Hatte er oder hatte er nicht?«, fragte ich.

»Natürlich nicht. Was sollte Frank denn mit einem Gewehr? Wir drehen doch keinen Western.«

»Aber vielleicht einen Krimi«, knurrte ich. »Haben Sie einen Schuss gehört?«

»Einen Schuss?«

Ich verdrehte die Augen. »Einen Schuss, ja! Warum geben Sie nicht einfach mal eine klare Antwort auf eine klare Frage?«

Unser hochgeschätzter Hauptdarsteller wich einen Schritt zurück und tastete mit der linken Hand nach dem Türknauf in seinem Rücken. Er starrte auf mich mit dem ängstlichen Misstrauen, das man für gemeingefährliche Irre aufbringt.

Ich seufzte ergeben und schob mich rückwärts wieder zum Fenster hinaus. Als ich mit den Fingern an der Fensterkante hing und mich gerade hinabfallen lassen wollte, ertönte über mir eine gurrende Stimme, die auch noch in dieser Situation den Puls eines normalen Mannes beschleunigen konnte.

»Was machen Sie denn da?«

Ich hob den Kopf.

Anderthalb Yards über mir blickte Virginia Appigail über den Rand der Umfassungsmauer, die um das flache Dach lief. Ihre Schultern waren nackt, und der Himmel mochte wissen, wie viel sie ausgezogen hatte, um sich da oben zu sonnen.

»Das gehört zu meinem Tagespensum«, erwiderte ich. »Gymnastik und so, Sie wissen schon. Nach dem Programm: Halt dich fit, Amerika braucht gesunde Amerikaner!«

Ihre großen rehbraunen Augen blickten auf mich herab. Ihr zierliches Stupsnäschen rümpfte sich. »Wie witzig«, sagte sie.

Ihr Mund war voll und rot und zeigte kleine, regelmäßige, blendend weiße Zähnchen.

»Haben Sie zufällig ein Gewehr da oben?«, fragte ich und hing noch immer wie ein Fassadenkletterer während seiner Verschnaufpause am Fenstersims.

»Ein Gewehr?«, wiederholte sie.

»Ich kann das Wort auch buchstabieren«, knurrte ich gereizt. »War jemand in den letzten vier Minuten bei Ihnen da oben auf dem Dach? Jemand mit einem Gewehr?«

Ihr Blick war unergründlich und blieb es. Nach einem kurzen Nachdenken meinte sie ernsthaft: »Warum versuchen Sie es nicht einmal bei dem Psychiater, zu dem Waldock seine Liebchen schickt, wenn er sie loswerden will? Er soll gar nicht so teuer sein, und vielleicht besteht bei Ihnen noch Hoffnung. Sie machen doch sonst meistens einen ganz normalen Eindruck.«

Mir taten die Arme und die Finger weh, die mein ganzes Körpergewicht halten mussten. Und ich war nicht gerade in der Stimmung, mich verschaukeln zu lassen. »Haben Sie einen Schuss gehört?«, fragte ich.

»Einen Schuss?«

Ich gab’s auf. Mit den Füßen stieß ich mich von der Hauswand ab. Die Hände ließen die Fensterbank los. Ich landete auf allen vieren unten im heißen Sand, der gerade so viel mit scharfkantigen Steinchen durchsetzt war, dass man einen Aufprall auf den nackten Händen richtig genießen konnte.

Natürlich hätte ich erneut das Büro des Gewerkschaftsburschen aufsuchen können. Aber bevor der mir erlaubt hätte, das gewerkschaftseigene Telefon zu benutzen, hätte ich wahrscheinlich erst einen Zwölfrundenkampf mit ihm austragen müssen, und danach stand mir im Augenblick nicht der Sinn.

Also setzte ich mich erneut in Trab und lief an der langen Halle vorbei nach vorn zur Kantine hin. Im vorderen Speisesaal herrschte das übliche Gewimmel. Eine Fernsehgesellschaft produzierte in irgendeiner der anderen Hallen ein Musical, das im Jahre 6000 spielte. Kostümierte Zukunftsmenschen in silbrig glitzernden Raumanzügen, bei der Weiblichkeit schön eng auf die Haut geklebt, saßen schwatzend an den Tischen. Einige Männer hielten Dinger in der Hand, die wohl Strahlenpistolen oder so etwas sein sollten.