Jerry Cotton Sonder-Edition 65 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 65 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Suman Tschan stammte aus Manila, Hongkong oder Japan - weiß der Teufel, woher! Ihre Augen waren unergründlich, ihr Gesicht von maskenhafter Schönheit. Sie war unsere wichtigste Zeugin im Fall der Rauschgiftschmuggler, die Heroin auf nackter Haut transportierten. Als sie mir Kaffee anbot, spürte ich eine seltsame Spannung. Ich beugte mich über die Tasse - und atmete den Geruch von bitteren Mandeln, den Duft von Zyankali ...

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EPUB

Seitenzahl: 193

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Heroin auf nackter Haut

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: pidjoe/iStockphoto

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5432-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Heroin auf nackter Haut

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

»Ich gehe ein paar Minuten an die frische Luft«, hatte sie zu ihrer Freundin gesagt. »Ich bin gleich zurück.«

Und dann war sie hinausgegangen: Eileen Jackson, einundzwanzig Jahre alt, blond, blauäugig und fast eine Schönheit. Jedenfalls schön genug, dass sie als Mannequin für zwei große Warenhäuser arbeiten konnte und manchmal auch noch ein paar Dollars zusätzlich als Fotomodell verdiente. Sie hatte die Verandatür in der Küche benutzt, denn das Apartment der beiden jungen Frauen lag im Hochparterre.

Nach einer Dreiviertelstunde fiel der Freundin auf, dass Eileen immer noch nicht zurückgekehrt war. Dabei war der Tisch gedeckt, die Steaks waren fertig, und der Salat lockte appetitlich hergerichtet in den kleinen weißen Schüsseln. Die Freundin stieß die Verandatür auf.

Draußen herrschte die Schwärze einer Neumondnacht. Weiter unten am Ufer hörte man das Wasser des Hudson River leise plätschern.

»Eileen!«, rief die Freundin.

Sie bekam keine Antwort. Sie rief noch einmal, dann sah sie in dem Viereck aus gelbem Licht, das die offen stehende Verandatür in das Gras auf der Rückfront des Hauses warf, einen gelben Schuh. Eileen hatte gelbe Schuhe getragen, als sie das Apartment verlassen hatte. Die Freundin erschrak und lief hin. Sie bückte sich und stützte sich mit einer Hand in das Gras, um mit der anderen Hand den Schuh aufzuheben. Sie fühlte, dass das Gras zwischen den Fingern nass war. Sie zog die linke Hand zurück und hielt sie in den Lichtschein aus der Verandatür.

Ihre Finger waren rot von Blut.

***

»Kapitän McDouglas?«, fragte ich.

Er sah aus seinem dicken Sessel zu mir herauf. Dass er Kapitän war, verriet seine Kleidung nicht, denn im Augenblick trug er einen ganz gewöhnlichen, ausgebeulten Straßenanzug und eine Krawatte, deren Knoten nicht viel kleiner war als eine mittelgroße Faust.

Nachdem er mich eine ganze Weile angestarrt hatte, fuchtelte er mit beiden Händen vor seinem faltenreichen, wettergegerbten Gesicht herum, wandte sich wieder dem Wasserglas mit dem goldbraunen Inhalt zu und kippte vier Unzen Lemon Hart Rum in seine Kehle, als wäre es Buttermilch. Danach rülpste er zufrieden und wandte sich wieder der rothaarigen Frau zu, die neben ihm auf der Sessellehne hockte und sich alle Mühe gab, ihren beachtlichen Busen mit dem knappen Ding zu bändigen, das sie als einziges Bekleidungsstück um ihren atemberaubenden Oberkörper geschlungen hatte. Die Hüften wurden von einem schwarzen Slip eingeschnürt.

»Gib mir was zu trinken, Liebling«, sagte der Kapitän. Man konnte ihm kaum anhören, dass er betrunken war. Aber er musste betrunken sein. Nach einer Flasche Lemon Hart Rum kann kein Mensch mehr nüchtern sein.

Die dralle Rothaarige rutschte von der Sessellehne und stöckelte auf ihren hochhackigen schwarzen Lackpumps hinaus. Die Bewegungen ihres massiven Hinterteils waren faszinierend. Ich schätzte die Frau auf wenigstens hundertsechzig Pfund ohne Schuhe.

»Kapitän McDouglas?«, wiederholte ich geduldig, denn Geduld gehört zu den Grundtugenden eines geplagten FBI-Beamten.

Er drehte sich wieder langsam in meine Richtung. Sein Gewicht konnte von der Zweihundert-Pfund-Marke nicht weit entfernt sein. Das Alter ließ sich überhaupt nicht schätzen. Entweder war er ein schlecht erhaltener Dreißiger oder ein fabelhaft aussehender Fünfziger. Auch dazwischen gab es noch eine Reihe offener Möglichkeiten. Nachdem er mich angestiert hatte, als wolle er mich hypnotisieren, hob er abermals beide Hände, fuchtelte damit vor seinem Gesicht herum und drehte sich wieder dem Tisch zu, wo eine Rolle Kautabak lag. Er biss herzhaft ein Stück ab und begann, zufrieden zu kauen.

Allmählich wurde ich es leid zu warten.

»He, du englisches Genie«, sagte ich und sah von der Seite her, wie sich seine Stirn runzelte. Dann drehte er sich zum dritten Mal in meine Richtung.

»Da steht tatsächlich einer«, sagte er, legte die beiden Bärenpranken flach auf die Sessellehnen und drückte sich in die Höhe. Er war einen Kopf kleiner als ich, aber er war fast doppelt so breit. Als er den Schädel hob, flog mir eine Rumfahne entgegen, die mich fast von den Füßen riss. Aus seinen kleinen, wasserhellen Augen sah er mich böse an.

»Hast du Engländer zu mir gesagt?«, erkundigte er sich.

»Ja. Sie sind doch Engländer, oder?«

»Ich bin Schotte!«, verkündete er mit einer Stimme, die das Nebelhorn eines Hochseefrachters mühelos übertönt hätte. »Schotte, verstanden? Ich bin kein Engländer, du dummer Schiffsjunge, mieser Leichtmatrose, Schandfleck der christlichen Seefahrt! Bleib stehen, damit ich dir die Landkarte von Schottland in deine dämliche Visage klopfen kann, du … du … du Engländer!«

Er sah mich an, als warte er auf meinen Zusammenbruch. Ich zupfte mir eine Zigarette aus der Schachtel und zündete das Teil an. Danach ging ich um den runden Tisch herum auf die andere Seite, ließ mich in üppigen grünen Sessel fallen und zeigte auf das Sitzmöbel des Kapitäns.

»Warum setzen Sie sich nicht wieder, Kapitän?«

Er runzelte die Stirn und dachte über meinen Vorschlag nach.

»Nur, wenn Sie den verdammten Engländer zurücknehmen, Sie Mistkerl!«, knurrte er schließlich.

»Ich nehme den verdammten Engländer zurück«, sagte ich höflich.

Seine Miene hellte sich auf. »Wer bist du eigentlich?« Er ließ sich in den Sessel plumpsen.

Ich griff in die Rocktasche und holte alles Nötige hervor. Die Dienstplakette und den Dienstausweis.

»Cotton, FBI«, sagte ich lapidar.

»Ach, was du nicht sagst. Und ich bin Seemann, verstanden? Der beste Frachterkapitän zwischen Leeds und Hongkong. In beiden Richtungen. Und du willst bei den Feds sein? Müssen die aber knapp an Mannschaft sein, wenn sie so einen Schwindsüchtigen einstellen. Hier, los, drück zu!«

Er stemmte den rechten Ellenbogen auf den Tisch und hielt mir die ausgestreckte Hand hin. Ich seufzte, setzte meinen Ellenbogen daneben und legte meine Hand in seine Pranke.

»Drücken Sie mal«, sagte ich.

Er bedachte mich mit einem mitleidigen Blick.

»Na, los, doch, Schotte«, forderte ich. »Prahlen und dann kneifen!«

Er schnaufte und fing an. Ich hielt die Luft an. Nach einer Minute hatte ich das Gefühl, als bestünde ich nur aus einem einzigen Arm. Das Blut hämmerte mir im Handgelenk. Dafür war er rot wie eine Tomate kurz vor der Ernte. Als ich wusste, dass ich es keine fünf Sekunden mehr durchstehen konnte, ließ er meine Hand los.

»Verflucht, du Mistkerl, wer hat dir das beigebracht, he?«, keuchte er.

»Zieh die Hand nicht weg, Schotte«, sagte ich. »Jetzt bin ich an der Reihe.«

Nach fünfzehn Sekunden züngelten seine Schläfenadern. Nach weiteren zehn tanzte sein Adamsapfel auf und nieder. Ich riss mit einem schnellen Zug meine Lungen zum Bersten voll frischen Sauerstoff, und dann gab ich meinen Rest her. Sein Arm bog sich nach außen weg, ich hatte Feuerräder vor den Augen, aber dann klatschte sein Handrücken auf den Tisch. Ich ließ los und kämpfte um Atem. Mein Unterhemd klebte mir schweißnass am Körper.

Einige Augenblicke lang hörte man nichts als unseren keuchenden Atem.

»Du bist ein Schotte«, krächzte er dann.

»Nein.«

»Dann waren deine Vorfahren Schotten«, stieß er kurzatmig hervor.

»Nein.«

»Was denn?«

Ich grinste. »Unter meinen Vorfahren waren ein paar Engländer. Aber keine Schotten.«

Er spitzte die Lippen und spie einen Strahl braunschwarzen Speichels in den Spucknapf, der vier Yards von ihm entfernt in der Ecke stand.

»Also schön«, knurrte er. »Du bist ein imponierender Mistkerl. Meinetwegen von den Feds oder nicht von den Feds. Meinetwegen von der Heilsarmee. Ist mir alles schnuppe. Ich habe drei Tage Urlaub, bis mein Kahn aus dem Trockendock kommt. Lass mich gefälligst so lange in Ruhe!«

»Ich will mich ja nur ein paar Minuten mit Ihnen unterhalten, Kapitän.«

»Sag Ian zu mir. Worüber willst du dich unterhalten?«

»Vor allem über Ihr Schiff, Ihre Routen, Ihre Häfen, Ihre Mannschaft.«

»Allmächtiger! Da können wir drei Jahre lang reden.«

»So lange wird es nicht dauern, Kapitän. Wir wollen …«

Ich brach ab, weil die Rothaarige wieder hereinkam. Sie trug in der linken Hand eine neue Flasche Lemon Hart Rum, in der anderen ein zweites Wasserglas. Mir war nicht ganz klar, ob es für mich oder für sie selbst bestimmt war. Sie stellte es einfach auf den Tisch, schenkte beide Gläser halbvoll und zog einen Flunsch, während sie ihre üppigen Hüften am Oberarm des Seebären rieb.

Er klatschte ihr eins aufs Hinterteil und brummte gutmütig: »Lass uns ein paar Minuten allein, Kleine! Der Mistkerl da und ich müssen uns unterhalten. Kapiert?«

»Es kommt noch so weit, dass sich die Leute hier unterhalten wollen«, maulte sie. »Zeiten sind das!« Kopfschüttelnd und mit einigen Körperteilen wippend stöckelte sie wieder hinaus.

Der Kapitän schob mir ein Glas rüber.

Ich ließ es stehen. »Hätten Sie was dagegen, Kapitän, wenn Sie mit mir zu Ihrem Schiff fahren würden? Ich möchte es mir mal ansehen. Außerdem können wir uns dort vielleicht besser unterhalten als hier. Was meinen Sie?«

Er kippte seinen Rum in den unersättlichen Schlund, rülpste selig und dachte über meinen Vorschlag nach. Seine tiefsinnigen Betrachtungen endeten damit, dass er sich sein nicht mehr taufrisches Hemd besah.

»Dann könnte ich mir was Neues anziehen«, brummte er. »Okay, fahren wir zur guten, alten Felicitas. Aber verraten Sie mir vorher, was die Feds eigentlich von der alten Felicitas und mir wollen. Hm?«

Ich sah mich um. Die einzige Tür, die diese alte Bude hatte, war geschlossen. Vielleicht lauschte die Rothaarige draußen. Aber dafür brauchte ich ja nur ein wenig leiser zu sprechen.

Ich beugte mich über den Tisch. »Mit Ihrem Schiff, Kapitän, ist in den letzten zwei Jahren mehr Rauschgift nach New York hereingeschmuggelt worden, als alle unsere Krankenhäuser in zehn Jahren aufbrauchen könnten«, sagte ich ernst.

***

Der kleine Timmy Baldwell erlebte den Traum seines siebenjährigen Lebens: Er sah New York. Zusammen mit seinen Eltern, einem Ehepaar von einer kleinen Farm aus Kansas, stand er an der Reling des Ausflugsdampfers, der seine große Rundfahrt um die Insel Manhattan angetreten hatte. An Bord wimmelte es von Touristen aus aller Welt.

Timmy starrte fasziniert hinab in die glitzernden Wellen. Während die Erwachsenen ihre Aufmerksamkeit der weltberühmten Skyline von Manhattan mit ihren himmelstürmenden Wolkenkratzertürmen zuwandten, betrachtete Timmy das Oberflächenspiel des Flusses. Die Sonne stand fast im Zenit, und die Wellen spiegelten ihr Licht. Vom Heck zog sich die weiße Schaumspur ihres Kielwassers bis fast zu dem Pier hin, wo sie abgelegt hatten. Timmy ließ seinen Blick über den Fluss gleiten. Er hatte mal etwas von fliegenden Fischen gehört und fragte sich, warum es hier keine zu sehen gab.

Bis er plötzlich stutzte, die kleine weiße Stirn runzelte und die Händchen zum Schutz gegen die Sonne über die Augen legte. Seine Zungenspitze wanderte aufgeregt hin und her. Dann suchte er seinen Daddy und zerrte an der schwieligen Hand.

»Daddy, Daddy, Daddy!«, rief aufgeregt.

»Timmy, du siehst doch, dass ich …«

»Daddy, da! Sieh doch! Daddy, da schwimmt jemand! Daddy!«

Der Junge zeigte auf die glitzernde Oberfläche des Hudson. Mr Baldwell wandte den Kopf, schirmte ebenfalls die Augen gegen die blendende Sonne ab und suchte in der Richtung, die Timmys Zeigefinger wies.

»Großer Gott!«, murmelte er erschrocken. »Bleib hier stehen. Ich komme hierher zurück! Lauf nicht weg, ja?«

Hastig kletterte Mr Baldwell die steile Stiege zur Brücke hinauf. Ein blau uniformierter Mann trat ihm in den Weg, als Mr Baldwell in den Kommandostand wollte.

»Ja?«, fragte der Uniformierte.

Baldwell wies hinaus auf den Fluss. »Da!«, sagte er heiser. »Da, sehen Sie? Ich glaube, da treibt eine … eine Leiche! Sehen Sie doch!«

Der Uniformierte suchte, hob das Fernglas vor seiner Brust an die Augen, sah nur flüchtig hindurch und nickte auch schon. »Sie haben recht. Vielen Dank. Machen Sie die anderen Passagiere nicht aufmerksam. So appetitlich sieht das nicht aus.«

Mr Baldwell fragte sich, was der Mann durch sein Fernglas wohl gesehen haben mochte. Mit dem bloßen Auge ließ sich kaum mehr erkennen, als dass höchstwahrscheinlich ein menschlicher Körper mit der Strömung flussabwärts trieb.

Der Uniformierte ließ Mr Baldwell stehen und eilte in eine Kajüte, wo es ein Radiotelefon gab, das Verbindung mit der Reederei hatte. »Hier ist Donnegan. Verbinden Sie mich mit der Flusspolizei, Hudson-Seite. Schnell, bitte!«

***

Die junge Frau in der Telefonzentrale der Reederei warf einen knappen Blick auf die kleine Papptafel, wo alle für sie wichtigen Telefonnummern gesondert aufgeführt waren, und wählte schon. Zehn Sekunden später klingelte es in der Bootsstation der Flusspolizei am Hudson River. Lieutenant Andrews wurde von dem Schiffsoffizier informiert.

»Fahren Sie flussabwärts?«, fragte er.

»Ja, Lieutenant.«

»Gehen Sie mit der Geschwindigkeit so weit runter, dass Sie neben der Leiche bleiben können. Wir kommen mit unserem Polizeikreuzer entgegen. In höchstens fünf Minuten sind wir bei Ihnen. Sobald wir Signal geben, können Sie Ihre Fahrt ungestört fortsetzen.«

»Okay, Lieutenant.«

Andrews sprang auf und drückte einen Alarmknopf. Im Bereitschaftsraum ratterte die große Klingel. Eine halbe Minute später legte der Polizeikreuzer Talkowski mit seinen beiden leistungsstarken Dieselmotoren ab und schob sich mit hochgehender Bugwelle gegen die Strömung flussaufwärts. Andrews stand im Bug und suchte mit dem Glas den Fluss ab.

Der Ausflugsdampfer mit den beiden übereinanderliegenden Decks war leicht zu finden. Andrews gab Kursanweisungen. Schon bald konnten sie erkennen, dass sich der Dampfer ohne Eigengeschwindigkeit von der Strömung flussabwärts bringen ließ. Irgendwo zwischen ihm und dem Westufer der Insel Manhattan musste der gesichtete Körper treiben. Andrews ließ den Polizeikreuzer zunächst genau auf die Mitte zwischen Ausflugsdampfer und Ufer zuhalten, bis er im Glas trotz der spiegelnden Wasserfläche etwas ausmachte.

»Jetzt habe ich ihn«, brummte er, als er den Körper im Glas sehen konnte. Über die Schulter rief er zum Maschinisten zurück: »Langsame Fahrt! Sechs Strich Backbord. Gebt dem Dampfer Signal für Freie Fahrt.«

Geschickt manövrierte Andrews den Polizeikreuzer in die Richtung, aus der ihnen die Strömung den Körper entgegentrieb.

»Eine Frau«, sagte Sergeant McNeal neben dem Lieutenant. »Und ohne Kleider. Das sieht nicht nach einem Unfall aus.«

»Nein«, bestätigte Andrews. »Und nach einem Selbstmord auch nicht.«

»Stimmt. Die wenigsten Selbstmörderinnen machen vorher Striptease«, knurrte der ergraute Sergeant und griff nach einem langen Enterhaken.

Sie bargen den Leichnam. Als er auf dem schweren Gummilaken lag, das sie für solche Zwecke mit sich führten, sahen sich die Männer betroffen an. Es handelte sich um eine junge Frau von höchstens fünfundzwanzig Jahren, und man brauchte kein Arzt zu sein, um feststellen zu können, woran sie gestorben war. Die große, tiefe Schnittwunde am Hals machte es jedem auf Anhieb klar.

***

Seit vier Tagen hatte die Homicide Division Manhattan West einen neuen Leiter. Captain McGreewitt war nach Chicago gegangen, während von dort der Detective Captain Clint Roberts gekommen war, um die Leitung der Mordabteilung Manhattan West zu übernehmen.

Dieser überraschende Austausch von zwei erfahrenen und bekannten Polizeioffizieren hatte nicht nur in den Reihen der beiden City-Police-Einheiten, sondern auch in der lokalen Presse Anlass zu allerlei Vermutungen und Gerüchten gegeben. Aber sowohl die Stadt Chicago als auch die Verwaltung von New York hüllten sich in hartnäckiges Schweigen. Niemand war bereit, Gründe für diesen ungewöhnlichen Austausch anzugeben.

Detective Captain Roberts war neunundvierzig Jahre alt, klein und rund wie eine Tonne und kahlköpfig. Da er auch noch lichtblonde Augenbrauen hatte, sah er von Weitem aus, als gäbe es auf seinem Kopf überhaupt keinen Haarwuchs. Die kleinen mausgrauen Augen, die flink hin und her huschen konnten, verrieten ein wenig von seiner hellwachen Intelligenz. Sein Körper freilich verbarg die schier unerschöpfliche Energie, die in ihm wohnte.

Es war halb elf vormittags, als es an die Bürotür des Captains klopfte, der mit einem Grunzlaut reagierte.

Detective Lieutenant Bartucci trat ein. »Die Kollegen von der Flusspolizei haben eine weibliche Leiche aus dem Hudson gefischt, Captain«, meldete er. »Der Körper ist schon unterwegs zur Rechtsmedizin. Eine junge Frau, zwischen zwanzig und fünfundzwanzig, blond. Unbekleidet. Kehle durchgeschnitten.«

Roberts hatte die Hände vor dem runden Leib gefaltet und sah seinen Stellvertreter gelassen an. »Durchgeschnittene Kehle? Ohne Kleider?«, wiederholte er. »Das sieht nicht nach einem Amateur aus.« Er stemmte sich aus seinem Drehstuhl in die Höhe. »Das will ich mir selbst ansehen.«

»Ja, Detective Captain. Ich lasse den Wagen vorfahren.«

»Ja, Bartucci. Welche unserer Mordkommissionen ist an der Reihe?«

»Die dritte, Captain. Lieutenant Wesley.«

»Ah, ja.«

Roberts watschelte hinaus in den Korridor, nickte zu den Grüßen der Untergebenen und stapfte kurzatmig in den Lift, der ihn hinab ins Erdgeschoss beförderte. Als er auf den Hof hinaustrat, sah er gerade noch die Schlusslichter einer Limousine der dritten Mordkommission. Er lächelte zufrieden. Tempo, das war es, was er liebte und von Männern verlangte, die in einer Mordabteilung arbeiteten. Tempo und Gründlichkeit.

Man braucht heutzutage keine Genies in der City Police, pflegte er immer wieder zu sagen. Die Genies sitzen in den Laboratorien und in der Datenverarbeitung. Was die City Police braucht, sind Arbeitspferde, Männer, die auch noch nach zwölf Stunden harter Tätigkeit in der Lage sind, gründlich und konzentriert weiterzumachen. Nicht alle Spuren halten sich tagelang. Deshalb kam es auf Tempo an. Und nicht jede Spur springt einem gleich in die Augen. Deshalb musste man gründlich sein. Tempo und Gründlichkeit, damit konnte man 95 Prozent aller Fälle aufklären. Und in der Tat waren ja 95 Prozent die durchschnittliche Aufklärungsquote bei Mordfällen.

»Na, Johnny«, brummte Roberts gutmütig, als er in seine Dienstlimousine stieg. »Was sagt das Wetter?«

»Es bleibt schön«, behauptete der uniformierte Sergeant John Fairworth.

Er hatte vor zwei Jahren den linken Fuß verloren, weil ein wild gewordener Jugendlicher ihn mit einer Tommy Gun durchsiebt hatte. Seither war er auf eigenen Wunsch als Fahrer der Mordabteilung zugeteilt worden, nachdem er seine vorzeitige Pensionierung abgelehnt hatte.

Obgleich Roberts seinen Fahrer genau wie alle anderen erst vor vier Tagen kennengelernt hatte, war zwischen ihnen schon etwas wie ein vertrautes Verhältnis aufgekeimt. Roberts hatte längst herausgefunden, dass der linke Beinstumpf seines Fahrers das Wetter besser voraussagte als Rundfunk und Fernsehen. Wenn Fairworth sagte, dass es Regen gebe, dann gab es Regen, und wenn der Himmel im Augenblick noch so wolkenlos war.

»Zum Leichenschauhaus, Johnny«, sagte Roberts und schob sich seinen verbeulten Hut so weit nach vorn, dass er auf der Nase auflag und die Augen verdeckte.

Der Sergeant wiederum hatte diese Geste auf Anhieb verstanden. Sie bedeutete, dass der Captain nachdenken und selbst durch Blicke nicht abgelenkt werden wollte. Also hielt der Sergeant den Mund, während er die schwere Limousine geschickt durch den fließenden Verkehr steuerte.

Vor der Rechtsmedizin fanden sie zwei Wagen der Mordkommission und einen von den Polizeiärzten, die die Stadt New York beschäftigte. Fairworth parkte den Wagen daneben.

»Wir sind da, Captain«, sagte er halblaut.

»Hm«, brummte Roberts, gab seinem Hut einen Stoß und stieg aus. Er watschelte den ihm schon bekannten Weg entlang, durch Schwingtüren hindurch und Treppen hinab, bis er im richtigen Raum angekommen war. Seine Nase schnüffelte. Er war nun seit mehr als fünfundzwanzig Jahren bei der City Police, aber an diesen verdammten Gestank in einem Leichenschauhaus würde er sich wohl nie gewöhnen, an diese ekelhafte Mischung aus süßlichem Verwesungsgeruch, scharfen Desinfektionsmitteln und pharmazeutischen Präparaten zur teilweisen Konservierung von Leichen.

Detective Lieutenant Wesley und Polizeiarzt Humphrey sahen gleichzeitig hoch. Roberts tippte schweigend mit dem Zeigefinger an die Hutkrempe. Die beiden anderen nickten stumm. Der Polizeiarzt zeigte auf die Schnittwunde.

»Pfui Teufel«, knurrte Roberts. »Wann ist die Schweinerei angerichtet worden?«

»Höchstwahrscheinlich in der vergangenen Nacht, Captain.«

»Hm. Sie hatte nichts bei sich?«

»Nichts, Captain«, antwortete der Lieutenant, der die Mordkornmission leitete. »Nicht einmal ein Kettchen oder einen Ring. Dabei hat sie einen Ring getragen, meint der Doc.«

»Ganz bestimmt«, bestätigte der Arzt und griff mit seinen in dünnen Gummihandschuhen steckenden Händen nach der Linken der Toten. »Da!« Er zeigte die deutliche Ringspur am Finger der Leiche.

»Ihre Meinung, Wesley?«, wollte Roberts wissen.

»Ein Profi oder mehrere«, sagte der Lieutenant, ohne zu zögern. »Kein Affekttäter, kein Sexualmörder, sagt der Doc, und kein Amateur. Und an einen Raubmord glaube ich nicht. Der Ring wurde abgezogen, um die Identifizierung zu erschweren. Vermutlich haben die Täter allerdings nicht damit gerechnet, dass die Leiche so schnell gefunden werden würde. Sonst hätten sie wohl auch noch das Gesicht verstümmelt.«

»Wir haben einen Beruf, was?«, brummte Detective Captain Roberts düster. »Draußen scheint die Sonne, Blumen blühen, Frühling allerorten, wie es so schön heißt, und wir stehen in einem kalten Keller und können uns die Leiche von einer hübschen jungen Frau ansehen. Irgendwelche sonstigen Anhaltspunkte, Doc?«

Der Polizeiarzt nickte. »Rauschgiftsüchtig«, sagte er. »Ich weiß noch nicht, was. Vermutlich eines aus der Gruppe der Opiate. Jedenfalls hat sie seit wenigstens drei Monaten fleißig gespritzt. Sie können es hier deutlich sehen … und hier … und da.« Er wies auf die Stichstellen, die von Süchtigen bevorzugt wurden, bevor sie zu anderen Körperteilen übergehen müssen, weil die ersten so zerstochen sind, dass sie keine Nadel mehr vernünftig hineinbekommen.

Roberts betrachtete die Stellen mit gerunzelter Stirn. Dann traf er seine wichtigste Entscheidung. »Wesley, Sie setzen sich mit dem FBI in Verbindung. Nennen Sie es ruhig eine Bitte um Amtshilfe, dann können sie es nicht ablehnen nach ihren ungeschriebenen Gepflogenheiten. Man soll Ihnen bei der Identifizierung der Leiche helfen. Dabei wird ihnen gar nichts anderes übrigbleiben, als Ihnen auch sonst Hilfestellung zu geben. FBI, klar?«

»Ja, Detective Captain«, sagte der Lieutenant gehorsam.

»Halten Sie mich auf dem Laufenden!«, befahl der Captain noch, dann nickte er den beiden Männern zu, drehte sich um und watschelte stumm hinaus. Trotz seiner neunundvierzig Jahre wirkte er von hinten manchmal wie ein Greis. Es schien, als hätten seine hängenden Schultern unsichtbare Lasten mitzuschleppen.

2

Der Lärm im Trockendock war ohrenbetäubend. Die Felicitas hatte einen Maschinenschaden gehabt, der irgendetwas mit einer der beiden Schraubenwellen zu tun hatte, und aus Gründen, die ausschließlich die Fachwelt beurteilen konnte, war die Reparatur nur im Trockendock zu machen. Für mich als Laien sah es imponierend aus, wie der große Schiffsrumpf in dem riesigen Stahlkasten stand.

Über eine Art Brücke gelangten Ian McDouglas und ich an Deck des großen Frachters. Ein Mann mit aufgerollten Hemdsärmeln und ölverschmierten Fäusten lehnte an der Reling, starrte hinab auf die am Heck arbeitenden Leute, die von hier oben wie Spielzeugmännchen aussahen, und bedachte uns dann mit einem forschenden Blick.

»Das ist Pete Swornee«, erklärte McDouglas, »mein Erster Ingenieur. Na, was machen die Arbeiten, Pete?«

»Morgen Abend fertig, glaube ich. Ich habe die Burschen auf Trab gebracht.«