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Sie versteckten sich hinter Kapuzen, wenn sie ihre Anschläge gegen farbige Mitbürger begingen. Denn sie waren ebenso feige wie grausam. Der Südstaaten-Marshal rief das FBI zu Hilfe. Uns als sie Moira, die junge Frau mit den wunderschönen Augen, entführten, nahmen wir den Kampf auf. Den Kampf gegen den brennenden Hass des Ku-Klux-Klans!
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Seitenzahl: 203
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Brennender Hass
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Semana Santa«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5555-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Brennender Hass
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Der Kerl zerrte die dunkelhäutige junge Frau hinter sich her ins Gebüsch hinein. Die junge Farbige wehrte sich aus Leibeskräften und schrie, aber es half ihr alles nichts. Der Mann war kräftig und brutal …
Kino, dachte Billy Rodgers verächtlich, während er sich auf seinem gepolsterten Sessel räkelte und auf die Leinwand starrte. So was gibt’s doch nur im Film. Was die sich alles ausdenken!
Billy legte den Arm um die Schulter seiner Freundin.
Sie war eine junge Farbige – genau wie die junge Frau auf der Leinwand …
***
Am Dienstag beschloss Joe Dillan, US-Marshal für den Gerichtsbezirk Sotherville, nicht mehr länger zu warten. Er bat das Fernamt um die Vermittlung eines dringenden Dienstgesprächs mit dem Justizministerium. Morgens um 9:32 Uhr kam die Verbindung mit Washington zustande. Damit war Dillans Schicksal besiegelt.
Adams von der Bürgerrechtsabteilung des Justizministeriums nahm den Anruf entgegen. Nach seinen stenografischen Notizen hatte das kurze Gespräch folgenden Wortlaut:
»Hallo, Adams. Hier spricht Dillan aus Sotherville. Ich will, weiß Gott, nicht den Teufel an die Wand malen. Aber Sie können meinen Stern als Federal Marshal haben, wenn sich hier nicht eine Hexenküche zusammenbraut. Nun brennen sie wieder. Nacht für Nacht lodert an irgendeiner Ecke dieses schönen, verfluchten Landes das Feuerkreuz in den schwarzen Himmel. Der Klan marschiert, furchtlos wie immer, gefährlicher als je zuvor. In Midstown ist ein vorwitziger farbiger Junge verschwunden. Ich wette, dass wir seine zerschundenen und gefolterten Knochen eines Tages in einem Baggerloch finden werden. In Devensworth und in Malcolm City haben sie die Fenster von katholischen Geschäftsleuten mit brennenden Pechfackeln eingeworfen – und zufällig war gerade das Feuerwehrauto unterwegs.«
»Ich verstehe.«
»Im Appleton haben sie einen alten jüdischen Gemeindevorsteher um ein Haar ertränkt. Die Meldungen dieser Art häufen sich. Täter gibt es nirgends. Die Polizei findet angeblich keine Spuren. Aber wenn sich in einem Gebiet, in dem es tausendzweihundert erwachsene weiße Männer gibt, tausendsiebenhundert mit Fackeln und Kapuzen zum nächtlichen Mummenschanz zusammenfinden, wo kann da schon die Polizei sein? Ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit …«
Weiter kam Joe Dillan nicht. Adams in Washington hörte nur noch ein gewaltiges Krachen in der Leitung. Dann blieb es still. Und Adams fröstelte plötzlich.
***
Sie waren beide nicht älter als fünfundzwanzig. Cameron wog reichlich, Morraine knapp zweihundert Pfund. Da sie nicht übermäßig groß waren, wirkten sie mit ihrem Gewicht stämmig und kräftig. Cameron hatte blondes, Morraine schwarzes Haar, aber sie trugen es beide kurz geschoren. Auf ihren Köpfen saßen die breitkrempigen Hüte, die von der County Police Sotherville allgemein getragen wurden.
»Warum machst du dein Fenster nicht auch noch auf?«, fragte Cameron. »Etwas Durchzug kann nicht schaden.«
Schweigend öffnete Morraine sein Fenster.
»Jetzt möchte ich in Alaska sein«, fuhr Cameron fort. »Wo es Schnee gibt und glasklare, bitterkalte Winterluft.«
»Die in Alaska möchten jetzt bei uns sein«, brummte Morraine und schob seinen Revolver zurück ins Gürtelholster. »Der Mensch ist nie zufrieden mit dem, was er hat.«
Ihr Funksprechgerät gab plötzlich knarrende Töne von sich. Cameron und Morraine waren an das Gerät gewöhnt und verstanden die Stimme des County Sheriffs sofort.
»Wagen sechzehn«, rief es aus dem Lautsprecher. »Wagen sechzehn, melden!«
Morraine griff nach dem Mikrofon mit der Spiralschnur. »Hallo, Sheriff?«, sagte er. »Hier ist Morraine. Ich sitze mit Cameron im Wagen sechzehn. Was gibt’s denn?«
»Wo seid ihr gerade?«, quäkte die undeutliche Stimme aus dem Lautsprecher.
Morraine zögerte einen Augenblick. Nachdem er einen raschen Blick mit seinem Partner getauscht hatte, erwiderte er: »Wir sind auf der vierunddreißig, kurz vor der Kreuzung mit der zweiunddreißig. Warum?«
»Weiß der Teufel, was los ist. Mich hat gerade irgendein Knilch aus Washington angerufen. Vom Justizministerium. Er sagt, er habe gerade mit Dillan telefoniert. Auf einmal mitten im Gespräch habe es gekracht, und seither hat Dillan keinen Ton mehr gesagt. Wir sollen nachsehen, was passiert ist.«
»Was soll schon passiert sein? Die Verbindung wird eben abgerissen sein.«
»Habe ich auch gesagt, Morraine. Aber für die Burschen vom Justizministerium wollen wir uns mal Mühe geben. Niemand soll uns was nachsagen können. Also fahrt hin und seht euch Dillan an. Er soll den Heini in Washington wieder anrufen, damit die dort beruhigt sind.«
»Okay, Sheriff. Wir fahren sofort los.«
Morraine hakte das Mikrofon in den Bügel zurück. »Los, wenden«, befahl er Cameron. »Du hast es gehört.«
»Schön«, brummte Cameron. »Sehen wir eben nach. Wenn’s der Sheriff sagt!« Während er mit dem Wenden beschäftigt war, fragte er gedehnt: »Warum hast du gelogen, als du unseren Standort angegeben hast?«
»Weil wir um die Zeit sonst immer da sind, wo ich gesagt habe. Der Sheriff muss nicht unbedingt wissen, dass wir eine kleine Verzögerung hatten.«
»Nein«, stimmte Cameron zu. »Das muss er nicht unbedingt wissen. Die Vorgesetzten müssen sowieso nicht immer alles wissen.«
Cameron gab Gas. Sie befanden sich auf einem Straßenabschnitt, wo die Geschwindigkeit auf fünfundsiebzig Meilen begrenzt war. Als die Tachonadel an die achtzig heranpendelte, fragte Cameron: »Rotlicht? Sirene?«
Morraine überlegte einen Augenblick, dann schüttelte er den Kopf. »Nein. Wozu? Wir haben nur etwas von einer abgerissenen Telefonverbindung gehört. Da wird’s doch auf eine Minute nicht ankommen. Und wir wollen keinen Verkehrsunfall riskieren.«
»Okay.«
Die Straße zog sich fast schnurgerade durch die sanft gewellte Landschaft. Weiter links tauchten die Häuser von Sotherville auf. Aber die Straße berührte die Stadt nicht, sondern führte südlich an ihr vorbei. Im Grunde war Sotherville eine Kleinstadt, aber da es die einzige Stadt mit mehr als dreitausend Einwohnern in einem Umkreis von sechzig Meilen war, hatten sich County-Verwaltung, Polizei und Gerichtsbarkeit dort niedergelassen. Cameron war hier geboren, während Morraine aus dem zwölf Meilen entfernten Malcolm City stammte, einem Nest, das trotz seines hochtrabenden Namens kaum tausend Einwohner zählte.
Hinter Sotherville beschrieb die Bundesstraße 32 eine weit geschwungene Kurve nach Norden. Im Kurvenbogen lag die Tankstelle von Billy Rodgers.
»Sieh dir das an«, knurrte Morraine.
»Was?«, fragte Cameron und starrte geradeaus.
»Rechts, hinter der Zapfsäule!«
Cameron wandte den Blick. Sechs knallrot gestrichene Zapfsäulen standen in einer Reihe. Davor parkte ein alter gelber Ford, dessen Fahrertür weit offen war. Hinter der letzten Zapfsäule aber stand Billy Rodgers in seinem roten Overall und hielt eine junge Frau an sich gepresst. Er küsste sie.
»Der Saukerl schmust mit einer Niggerhure!«, knurrte Cameron und musste sich zwingen, seine Aufmerksamkeit wieder der Fahrbahn zuzuwenden. »Kennst du das Miststück? Kennst du sie, Mitch?«
»Ich muss sie schon mal gesehen haben«, erwiderte Morraine, kletterte auf den Sitz und starrte durch das Rückfenster.
Das verliebte Pärchen schien den Streifenwagen nicht bemerkt zu haben. Immer noch eng umschlungen stand es im Schatten der Zapfsäulen. Der schlanke Körper des milchkaffeebraunen Mädchens schmiegte sich zärtlich an den jungen Mann.
»Ich schreibe mir das Kennzeichen auf«, sagte Morraine und zog sein Notizbuch. »Das werden wir bald herausgefunden haben, wer die ist. Diese Niggerbande wird immer frecher.«
»Ob der Sheriff weiß, mit wem sein sauberer Herr Sohn da flirtet?«
Morraine zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Kannst ihn ja mal fragen.«
»Na, ich weiß nicht. Vielleicht meint der Sheriff, das gehe uns nichts an.«
»Fahr langsamer! Die Abzweigung kommt gleich.«
Cameron trat gehorsam aufs Bremspedal. Er setzte den Blinker, ordnete sich zur Mitte hin ein und bog schließlich nach links auf einen Weg, der nicht asphaltiert war. Ihr Wagen zog eine lange Staubfahne hinter sich her. Rechts und links reihten sich endlos Ahornbäume aneinander. Hinten am Horizont ragte der breite Buckel des Red Horn Hill empor. Sein Nadelwaldbestand ließ den Berg aus dieser Entfernung blau erscheinen.
Ungefähr eine Meile von der Bundesstraße entfernt lag ein weißes zweistöckiges Holzhaus am Weg. Ein kiesbestreuter Pfad führte vom Weg quer durch einen Garten mit vielen Rosensträuchern zur Veranda. Cameron und Morraine ließen den Streifenwagen stehen und gingen auf das hübsche Gebäude mit seinen grün gestrichenen Fensterläden zu.
Am linken Pfeiler, der das Dach der Veranda trug, hing ein Metallschild mit der Inschrift United States Marshal of Sotherville. Die beiden Polizisten beachteten das Schild nicht, sondern stapften gewichtig die Holzstufen der Veranda hinauf. Vor der Tür verhielten sie ihren Schritt. Cameron hob die Hand und klopfte mit den Knöcheln der Faust gegen den Türrahmen.
Im Garten zwitscherten ein paar Vögel. Ein Eichhörnchen hing plötzlich am rechten Verandapfeiler und lugte neugierig um die Ecke. Ebenso schnell, wie es aufgetaucht war, verschwand es wieder nach oben.
»Niemand da«, sagte Morraine und grinste. »Ein Glück, dass wir zwei Mann sind.«
»Wieso?«
»Weil das bedeutet, dass jeder einen Zeugen hat, du Idiot. Komm, wir gehen hinein. Der Sheriff hat gesagt, wir sollen nachsehen.«
»Meinetwegen«, sagte Cameron.
Sie stießen die Tür auf. Morraine reckte den Kopf hinein. »Marshal? Hallo, Dillan. Wir sind’s, County Police!«
Im Haus herrschte eine unnatürliche Stille. Hinter der Tür gelangte man unmittelbar in den großen Wohnraum mit seinem Kamin aus Naturstein. Die Felle von zwei Silberlöwen lagen auf dem Boden. An der Wand hing das Geweih eines Siebzehnenders. Rechts führte eine Tür ab, geradeaus ging es eine Treppe hinauf. Unter der Treppe ließ sich der Durchgang zur Küche erkennen.
Morraine stieß die nach rechts führende Tür auf.
Ein mittelgroßes Büro lag vor ihnen. An der linken Wand zog sich ein Aktenregal hin, das bis hinauf an die Decke reichte. Es war mit Ordnern, Akten und Zeitschriften vollgestopft. In der Mitte stand ein schwerer Schreibtisch. Ein altmodisches Telefon mit einer Handkurbel war bis an die Ecke des Schreibtischs gezogen und schien jeden Augenblick herunterzufallen.
Cameron und Morraine tauschten einen schnellen Blick.
»Wir können wieder gehen«, meinte Cameron unwillkürlich leise.
»Quatsch«, widersprach Morraine. »Wir sollen uns umsehen, und wir sehen uns um!«
Sie machten ein paar Schritte in den Raum hinein.
Und dann sahen sie ihn.
Federal Marshal Joe Dillan lag mit seinem umgekippten Schreibtischstuhl auf dem abgetretenen Teppich hinter dem Schreibtisch. In der rechten Schläfe war das daumennagelgroße Einschussloch von einer großkalibrigen Waffe zu erkennen. Der Schuss musste ihn mitsamt dem Stuhl umgefegt haben wie ein Wirbelsturm. Morraine bückte sich.
Cameron räusperte sich. Morraine richtete sich wieder auf.
»Wir müssen den Sheriff anrufen, Mitch«, sagte Cameron rau.
Morraine nickte stumm. Cameron griff zu dem altmodischen Telefon, schob es ein wenig von der Kante weg und drehte die Handkurbel.
Eine ältliche männliche Stimme meldete sich. »Vermittlung Sotherville.«
»Cameron von der County Police. Gib mir den Sheriff, Jimmy.«
»Ja. Sofort.«
Das »Sofort« schien sich endlos zu dehnen. Cameron trat von einem Fuß auf den anderen. Er vermied es, hinab auf den Leichnam zu blicken. Bis sich schließlich die sonore Stimme von Sheriff Rodgers vernehmen ließ.
»Ja, Cameron?«
»Hallo, Sheriff. Wir sind bei Dillan. Also … äh … ich meine, da ist eine Schweinerei passiert, Sheriff. Jemand hat Dillan in den Kopf geschossen.«
»Verfluchter Hundsdreck! Und das muss ausgerechnet in unserem County passieren. Verdammt, verflucht und zugenäht! Jetzt haben wir die Bundesbehörden am Hals. Ich könnte die Wand hochgehen!«
»Wieso Bundesbehörden, Sheriff? Das ist doch eine Sache, die das County angeht. Dillan hat hier gewohnt, und er ist hier getötet worden. Das ist ein klarer Fall für die County Police.«
»Sie sollten auch mal was anderes lesen als immer nur diese Magazine mit den halbnackten Weibern, Cameron! Ein Federal Marshal ist ein Ministerialbeamter der Bundesregierung. Er wird unmittelbar vom Präsidenten ernannt. Irgendwo muss es ein Gesetz geben, das besagt, dass die Ermordung eines Bundesbeamten auch Sache des Bundes ist. Natürlich muss ich jetzt Washington verständigen. Ihr beide bleibt, wo ihr seid, bis die Jungs von unserer Kriminalabteilung eingetroffen sind. Verstanden? Dass ihr euch ja nicht von der Stelle rührt!«
»Okay, Sheriff.«
»Ich komme selbstverständlich mit raus. Bis nachher!«
»So long, Sheriff.« Cameron hängte den Hörer zurück und sah Morraine unschlüssig an.
Der zuckte nur mit den Schultern. »Dann bleiben wir eben«, brummte er. »Wenn dir schlecht wird, geh in die Küche und hol dir ein Glas Wasser.«
»Schlecht werden«, maulte Cameron. »Hältst du mich für ein Wickelkind?«
Eine Weile standen sie herum. Dann griff Cameron abermals nach dem Telefon. Er kurbelte, wartete und bat um eine Verbindung mit seiner Frau. Sie meldete sich bald darauf.
»Lizzy?«, sagte Cameron. »Hier ist Dave. Hör mal, ich wollte dir nur vorsichtshalber Bescheid sagen, dass es heute Mittag mit dem Essen etwas später werden kann. Wir sind hier draußen bei Marshal Dillan, und es wird wohl eine Weile dauern, bis wir wieder zurück in die Stadt können.«
»Okay, Dave. Ich warte mit meinem Lunch, bis du da bist.«
»Gut. Gibt’s was Neues? Hast du das Hühnerfutter besorgt?«, wollte er wissen.
»Ja. Gleich heute früh, als du weg warst. Übrigens lag ein Zettel im Briefkasten. Sehr seltsam. Ein Zettel ohne Umschlag, ohne Anrede und ohne Unterschrift.«
»Was steht denn drauf?«
»Ich lese es vor: Morgen Abend, zehn Uhr, Red Horn Hill. Was soll das heißen, Dave? Der … der Zettel ist doch nicht von einer Frau, Dave?«
»Himmel, wie kommst du denn auf so was?«
»Aber was hat er zu bedeuten, Dave?«
»Was soll er schon bedeuten? Morgen Abend um zehn großes Treffen am Red Horn Hill. Steht doch deutlich drauf.«
»Aber wer soll sich dort treffen, Dave? Du? Mit wem?«
»Die weißen protestantischen Amerikaner dieser Gegend, Schatz«, antwortete Cameron und sah hinüber zu seinem Partner.
Aber Mitch Morraine blickte mit gerunzelter Stirn zum Fenster hinaus und schien sich nicht für Camerons Privatgespräche zu interessieren.
Die Stimme der jungen Frau drang schwach aus dem Hörer, und es war offensichtlich, dass sie ängstlich war. »Dave, du meinst … du meinst …?« Sie brach ab, als habe sie Angst, etwas beim Namen zu nennen.
Ein paar Sekunden herrschte eine bedrückende Stille.
»Der Ku-Klux-Klan trifft sich am Red Horn Hill«, sagte Cameron dann. »Damit du’s weißt. Der Ku-Klux-Klan …«
2
Als das Meilenschild mit der fünfundsiebzig auftauchte, trat ich auf die Bremse. Der rote Jaguar verlor allmählich an Geschwindigkeit. Wir hatten fast tausendfünfhundert Meilen in einem Stück zurückgelegt, und allmählich fühlten wir uns beide wie gerädert. Natürlich hatten wir uns unterwegs ein paarmal abgelöst, aber jetzt waren wir trotzdem erschöpft. Phil hing im Beifahrersitz.
»Nimm die Karte«, sagte ich. »Es kann nicht mehr weit sein.«
»Was nennst du weit?«, maulte mein Freund und Partner Phil Decker, während er schon nach der Karte griff und sie auf seinem Schoß ausbreitete. »So eine Schnapsidee«, schimpfte er. »Astronomische Entfernungen mit dem Auto zurückzulegen! Hast du noch nie etwas von Flugzeugen gehört?«
»Kann man das essen oder trinken?«, fragte ich.
Phil seufzte. »Ein Flugzeug«, fing er an, »ist ein meistens aus Leichtmetall hergestellter, zum Transport von Menschen und Fracht durch die Luft geeigneter und bestimmter Gegenstand, der …«
»Ich hab’s geahnt«, unterbrach ich ihn.
»Was?«
»Dass du die Hitze hier im Süden nicht aushalten würdest. Du hast nun mal eine etwas schwächliche Konstitution. Aber mach dir nichts draus. Wir brauchen ja nicht ewig hier zu bleiben. In einer Woche, hoffe ich, sind wir wieder in New York.«
»Wo wir von Anfang an hätten bleiben sollen«, rief Phil wütend. »Warum musst ausgerechnet du dich freiwillig melden, wenn zwei G-men gesucht werden, die die Ermordung eines US-Marshals aufklären sollen? Warum? Warum konnten es nicht zwei Kollegen tun?«
»Natürlich hätten es auch zwei Kollegen tun können.«
»Siehst du!«
»Ich sehe eine Kreuzung auf uns zukommen. Vielleicht bist du jetzt mal so freundlich und wirfst einen Blick auf die Karte. Das werden sie dir doch wenigstens beigebracht haben, oder kannst du das auch nicht?«
»Ja, zum Teufel! Wir sind auf der vierunddreißig und müssen nach links in die zweiunddreißig einbiegen. Nach ungefähr vier Meilen kommt eine Tankstelle mit Raststättenbetrieb.«
»Fein«, sagte ich und fuhr mir mit dem Handrücken über die Bartstoppeln. »Da können wir uns waschen, rasieren und eine Tasse Kaffee trinken, bevor wir den örtlichen Sheriff anrufen.«
»Wenn der überhaupt noch Bürostunden hat. Es ist halb sechs. Mit einem Flugzeug wären wir heute früh schon und völlig ausgeruht hier angekommen.«
»Gewiss«, sagte ich.
Phil seufzte und ließ sich wieder in seinen Sitz zurücksinken. Wir waren die ganze Nacht und den ganzen Tag über gefahren, nachdem uns Mr High gestern in New York erzählt hatte, dass Washington unter den New Yorker Agents zwei Freiwillige für diesen Job suchte. Auf guten Karten hatten wir uns die Gegend um Sotherville eingeprägt, und nun mussten wir einfach sehen, wie sich die Dinge entwickelten.
Ich ließ den Jaguar vor der Reihe der Zapfsäulen ausrollen, stieg aus und reckte mich. Auf der anderen Seite kam Phil heraus. Die Bartstoppeln in seinem Gesicht passten zu dem einreihigen Anzug mit der vornehm-dezenten Krawatte wie die Faust aufs Auge. Nur der Umstand, dass ich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht besser aussah, hielt mich vor einer passenden Bemerkung zurück.
Aus dem Glashäuschen der Tankstelle kam ein breitschultriger junger Mann, der einen Overall von derselben knallroten Farbe wie seine Zapfsäulen trug. Er mochte zwischen fünfundzwanzig und achtundzwanzig sein und hatte ein sonnengebräuntes, sympathisches Männergesicht mit Lachfältchen um die Augen.
»Hallo«, rief er uns grinsend zu, während er den Jaguar bewundernd musterte. »Aus New York? Da haben Sie aber eine hübsche Strecke hinter sich. Was kann ich für Sie tun?«
»Volltanken«, bat ich. »Und das Übrige nachsehen. Können wir uns inzwischen irgendwo waschen und rasieren?«
Er zeigte auf einen flachen Bau, der sich an das Glashäuschen der Tankstelle anschloss. »Da hinten ist ein großer Waschraum mit einem Anschluss für einen Elektrorasierer. Wenn Sie keinen Apparat dabeihaben, kann ich Ihnen einen leihen.«
»Danke, das ist nicht nötig.«
Ich holte unsere Reisetasche aus dem Wagen, und wir stiefelten ein wenig steif vom langen Sitzen an dem flachen Bau entlang. An die Hauswand hatte irgendwann einmal jemand etwas angepinselt, das wieder abgewaschen worden war. Ich trat ein paar Schritte zurück und betrachtete die Flecken kritisch. Die ursprünglichen Buchstaben konnte man nur schwach erkennen, aber immerhin war es noch zu lesen, wenn man sich etwas anstrengte: For a white America – Für ein weißes Amerika.
»Schön«, brummte ich. »Genau, was ich liebe. Grönländer, esst nur Grönland-Orangen!«
Wir gingen in den Waschraum, zogen die Jacketts und die Hemden aus und machten uns an die Verschönerung unseres Aussehens.
Es war ein mehr als warmer Tag gewesen, und ich tauchte meinen Kopf ein paarmal in das Becken mit dem herrlich eiskalten Wasser. Erfrischt und einigermaßen zivilisiert wirkend kamen wir zum Wagen zurück.
»Jetzt hätten wir gern eine Tasse Kaffee und ein Telefon«, sagte ich.
Der junge Mann nickte. »Klar doch. Da ist unser kleiner Erfrischungsraum. Ich mache Ihnen den Kaffee, während Sie telefonieren. Wir haben hier leider immer noch ein vorsintflutliches Telefonsystem. Sie müssen die Kurbel drehen und der Vermittlung die Nummer sagen. Wissen Sie sie auswendig?«
»Nein«, erwiderte ich. »Aber sie muss ja zu finden sein. Wir möchten mit dem County Sheriff sprechen.«
»Das ist mein Vater«, erwiderte der junge Mann. »Die Nummer kenne ich auswendig, das können Sie glauben. Kommen Sie!«
Wir betraten die kleine, hübsch eingerichtete Raststätte. Eine etwa dreißigjährige Serviererin bedachte uns mit dem schnellen, kritischen Blick der erfahrenen Frau, bevor sie sich zu einem freundlichen Lächeln entschloss. Das Telefon stand am Ende der Bartheke.
Der junge Mann nahm den Hörer in die Hand, kurbelte und sagte nach kurzem Warten: »Hier ist Billy Rodgers. Verbinden Sie mich mit meinem Vater, Jimmy. Versuchen Sie’s zuerst im Office und dann, wenn sich dort niemand meldet, zu Hause.«
Wir warteten, bis Sheriff Rodgers an der Strippe war. Der junge Mann gab mir den Hörer.
»Hallo, Sheriff«, sagte ich. »Hier spricht Agent Cotton aus New York. Mein Partner, Agent Decker, und ich sind in der Raststätte bei Ihrem Sohn. Können wir uns heute Abend noch das Haus des Marshals ansehen?«
»Selbstverständlich. Ich komme raus. Lassen Sie sich den Weg von meinem Jungen beschreiben! In ungefähr einer halben Stunde kann ich dort sein.«
»Gut. Also bis dann!«
Wir setzten uns an einen Ecktisch. Billy Rodgers brachte uns zwei große Becher dampfenden Kaffees.
»Wie weit ist es bis zum Haus des Marshals?«, fragte ich.
»Keine zehn Minuten.«
»Gut. Dann haben wir eine Viertelstunde Zeit. Haben Sie eine Kleinigkeit zu essen?«
»Wie wär’s mit ein paar Schinkensandwiches? Hervorragender Schinken, Mister, aus der eigenen Hausschlachtung. Sozusagen Sheriff-Schinken. Mein Vater mästet nämlich jedes Jahr zwei, drei Schweine.«
»Ich habe noch nie Sheriff-Schinken gegessen«, meinte ich und grinste. »Also versuchen wir ihn.«
»Linda, hol die Schinkensandwiches aus der Küche«, rief der junge Mann der Serviererin zu, die sich umdrehte und mit wiegenden Hüften durch eine Schwingtür ging.
Phil sah ihr verzückt nach. Ich gab ihm unter dem Tisch einen sanften Stoß gegen das Schienbein.
»Ich dachte«, sagte er und warf mir einen bösen Blick zu, »ich dachte, im Süden seien die Frauen alle schwarzhaarig und sonnengebräunt.«
Billy Rodgers lachte. »Wie Sie sehen, haben wir auch kühle, blasse Blonde. Na, mit dem kühl, also, das nehme ich zurück. Linda hat ein Temperament wie ein Vulkan. Vorige Woche hatte ein Fernfahrer seine Finger nicht im Zaum. Das hätten Sie erleben sollen! Linda klatschte ihm eine, dass Sie alle fünf Finger noch eine halbe Stunde später auf seinem verdatterten Gesicht erkennen konnten.«
Rodgers stand direkt neben unserem Tisch und schaute zu, wie wir seinen vorzüglichen Kaffee schlückchenweise genossen. Ich sah ihm an, dass er etwas auf dem Herzen hatte. Da wir hier in dieser uns unbekannten Gegend einen Gewährsmann brauchen konnten, der uns wohlgesinnt war, kam ich ihm entgegen.
»Gibt’s was, was wir für Sie tun könnten, Mister Rodgers?«, fragte ich und blickte über den Rand meiner Tasse hinweg zu ihm hinauf.
Er wurde rot, als hätten wir ihn bei etwas Verbotenem ertappt. »Ach, wissen Sie«, brummte er, »hier in der Gegend ist nicht viel los, und wenn dann mal Fremde aus New York auftauchen, da wird man natürlich ein bisschen neugierig. Sie sind wegen Joe Dillan hier, nicht wahr?«
»Wegen des ermordeten Marshals, ja«, bestätigte ich. »Setzen Sie sich doch ein paar Minuten zu uns, wenn Sie gerade nichts Besseres vorhaben.«
»Danke, gern.«
»Haben Sie den Marshal gekannt?«, wollte ich wissen.
»Natürlich. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Hier kennt jeder jeden.«
»Können Sie sich denken, wer Dillan umgebracht haben könnte? Und warum?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemand aus unserer Gegend gewesen sein soll, Agent Cotton. Aber sprechen Sie da besser mit meinem Vater.«
»Was für ein Mann war dieser Marshal?«
Rodgers zuckte mit den Schultern. »Was soll man da sagen?«, murmelte er. »Er hatte Pech mit seiner Frau. Sie starb vor zwei Jahren an Krebs. Seither lebte der Marshal allein in seinem Haus. Zweimal die Woche kam eine ältere Frau aus der Stadt und machte ihm das Haus sauber. Aber sonst kriegte er kaum noch Besuch.«
»Er lebte also sehr zurückgezogen?«, hakte ich nach.
»Ja, soweit es sein Privatleben anging. Dienstlich musste er natürlich immer wieder mit Menschen zusammenkommen. Im vorigen Jahr gab es da mal einen Prozess gegen zwei Farbige, die angeblich eine weiße Frau vergewaltigt hatten. Na, Sie wissen vielleicht, wie das hier im Süden ist. Schon die Auswahl der Geschworenen war meiner Meinung nach eine Verurteilung.«
»Wieso?«, wollte Phil wissen.
»Na, es wurden nur Geschworene vorgeschlagen, von denen jedes Kind weiß, dass sie extreme Rassenfanatiker sind. Und die Verhandlung war auch mehr Theater als Gerichtsverfahren. Aber da hätten Sie Dillan erleben sollen!«
»Wieso? Was hat er getan?«