Jerry Cotton Sonder-Edition 68 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 68 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Als Miss Lyon in ihrem Apartment erschlagen aufgefunden wurde, verhaftete man Will Cliburn. Die Last der Indizien war erdrückend. Das Gericht verurteilte ihn als Mörder zum Tod durch den elektrischen Stuhl. Dann kam der Tag der Hinrichtung. Es war ein tödlicher Morgen. Denn man fand abermals eine ermordete junge Frau in Miss Lyons Apartment ...

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EPUB

Seitenzahl: 193

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Henker wartet schon

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Der Gangsterboss von New York«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5838-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Henker wartet schon

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

Er hieß Will Cliburn, und er wurde wegen Mordes an der zweiundzwanzigjährigen Ann Sue Lyon gesucht. Ich erinnere mich noch ganz genau. Es war kein FBI-Fall, und wir hatten offiziell nichts mit der Sache zu tun. Aber jeder G-man in New York kannte aus Dutzenden von Zeitungen sein Gesicht.

Und dann musste er am Broadway ausgerechnet mir über den Weg laufen. Ich sehe noch seinen gehetzten Gesichtsausdruck vor mir, als die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Wagens für einen Augenblick in die Toreinfahrt hineinleuchteten und seine hagere Gestalt jäh aus der schützenden Finsternis rissen.

Ich erkannte ihn auf Anhieb. Und von diesem Augenblick an hatte ich gar keine Wahl mehr. Ich riss meinen Revolver aus dem Schulterholster, preschte in die Einfahrt hinein und rief, dass er aufgeben solle. Er versuchte, davonzukommen. Aber an diesem Abend hatte sich das Schicksal gegen ihn verschworen. In der Dunkelheit und vielleicht geblendet von den Autoscheinwerfern, rannte er gegen eine Mülltonne und stürzte. Dann kam er nicht mehr weit: In einer Toilette eines Nachtlokals stellte ich Cliburn.

Er wurde zum Tode auf dem elektrischen Stuhl verurteilt. Der Verteidiger versuchte es mit einer Revision, kam nicht durch, erhielt aber zweimal vom Gouverneur einen halbjährigen Hinrichtungsaufschub. Schließlich jedoch wurde auch das Gnadengesuch abgelehnt, und damit hatte das juristische Tauziehen ein Ende. Mehr als ein Jahr später, am Abend des 11. März, brachten alle New Yorker Zeitungen die Meldung, dass die Hinrichtung von Will Cliburn auf den nächsten Morgen um halb sechs im Staatszuchthaus festgesetzt sei und erfolgen werde.

Die letzte Nacht im Leben von Will Cliburn war angebrochen. So schien es.

***

Mein Freund und Partner Phil Decker war von Mr High, unserem New Yorker Distriktchef, zur Zentrale nach Washington geschickt worden, um einige wichtige Akten als eine Art Kurier zu bringen. Ich hatte bis gegen neun in der Dienststelle zu tun und fuhr anschließend irgendwo essen. Ich weiß nicht mehr, wo ich war. Ich weiß nur noch, dass mir der freundliche Kellner die Zeit verkürzen wollte, während ich auf meine Mahlzeit warten musste. Er brachte mir ein paar neue Abendzeitungen. Ich las von der Hinrichtung, die am nächsten Morgen um halb sechs stattfinden sollte.

Ich sah plötzlich wieder das gehetzte Gesicht vor mir, das Gesicht eines vierundzwanzigjährigen jungen Mannes, hager, mit großen, dunklen Augen, die manchmal in die Welt blickten, als verstünden sie Gott und die Menschheit nicht mehr.

Gut, okay, ja. Der Mord war ihm nachgewiesen worden. Er hatte schließlich sogar mit tonloser Stimme ein Geständnis abgelegt.

Und trotzdem. Das FBI enthält sich offiziell jeder Stellungnahme. Aber ich war immer gegen die Todesstrafe, und ich bin heute noch dagegen. Wir machen Jahr für Jahr die Kriminalstatistik. Wir wissen wie niemand sonst, dass keine Todesstrafe je eine abschreckende Wirkung ausgeübt hat. Und wir wissen: dass sich Kriminalbeamte irren können, dass sich der Staatsanwalt irren kann, die Geschworenen, der Richter. Es ist ja nicht nur einmal vorgekommen, dass ein Unschuldiger hingerichtet wurde, weil alle, aber auch alle Beweise gegen ihn sprachen. Mitsamt seinem eigenen Geständnis. Es sind auf dieser Erde schon aus den irrsinnigsten Gründen Geständnisse abgelegt worden. Und wie fühlt man sich, wenn man zur Hinrichtung eines unschuldigen Menschen beigetragen hat?

An diesem Abend war ich vielleicht auch in der falschen Stimmung. Mir schmeckte das Essen nicht und nicht der Kaffee. Es war, als brauchte ich einen tüchtigen Schluck Scotch, damit ich schlafen konnte. Also fuhr ich zum Broadway, suchte die erstbeste Bar auf.

Ich hockte auf dem hohen Barstuhl, trank meinen Scotch und bekam nur mehr Durst. Ich bestellte ein deutsches Bier dazu und nahm einen tüchtigen Schluck. Die Bardame hieß Angelique – wenn sie so hieß – und zeigte mir ein ums andere Mal ihren gewagten Ausschnitt. Sie war blutjung, und vielleicht hatte sie sogar ein falsches Alter angegeben, um diesem Job kriegen zu können.

Mir fiel ein, dass Will Cliburn mit einem neunzehnjährigen Mädchen verheiratet war. Irgendwo musste ich es während des Prozesses einmal gelesen haben. Sie neunzehn, er vierundzwanzig. Großer Gott, ist das ein Alter zum Sterben? Ich steckte mir eine neue Zigarette an.

»Darf ich einen Whisky mittrinken?«, fragte die Kleine hinter der Bar und lehnte sich wieder einmal weit vor.

Ich nahm schnell meine Hand weg. »Nein.«

»Aber, Süßer«, gurrte sie.

Ich hob langsam den Kopf und sah sie an.

Sie fuhr zurück. »Entschuldigen Sie«, stieß sie hastig hervor. »Ich wollte Sie nicht stören.«

Von da an ließ sie mich in Ruhe. Ich trank einen zweiten Whisky und das Bier aus, und dann ging ich zur Toilette. Die Gedanken an Will Cliburn ließen mich nicht los. Ich fand mich nach der schummrigen Beleuchtung in der Bar plötzlich in einem strahlend hell beleuchteten und dazu weiß gekachelten Flur wieder.

Diesen Raum kennst du, dachte ich. Genau wie bei Cliburn damals, schoss es mir durch den Kopf. Und im selben Augenblick erkannte ich, dass es die Bar war, in der ich Cliburn vor mehr als einem Jahr gestellt hatte. Aber ich dachte auch daran, dass mir der Fall Cliburn langsam den letzten Nerv raubte, als ich plötzlich aus einer offen stehenden Tür schräg rechts vor mir eine Männerstimme vernahm: »Hast du gelesen? Morgen früh ist es endlich so weit.«

»Es wurde auch Zeit, verdammt noch mal.«

»Wenn die wüssten, dass sie den Falschen schmoren …«

»Halt’s Maul«, unterbrach eine andere Stimme »und scher dich an deine Arbeit!«

Ich schluckte, dann machte ich drei Sprünge vorwärts und riss die Tür auf. Eine große, modern eingerichtete Küche funkelte mich blank und strahlend wie bei einer Möbelausstellung an. Eine ganze Batterie von Elektroherden stand in einer Reihe. Rechts von ihnen gab es eine Schwingtür. Sie pendelte noch hin und her. Aber es war niemand mehr in der Küche zu sehen.

Ich trabte um die Reihe der Herde herum auf die Schwingtür zu, streckte den Arm aus, um sie aufzudrücken. Da flog sie mir entgegen, krachte gegen meine rechte Hand.

Ich stoppte und schüttelte mir den Schmerz aus den Fingern. In der offenen Schwingtür stand ein Mann, der ungefähr einen Kopf kleiner war als ich. Er trug einen eleganten Smoking mit einer roten Schärpe. Sein schwarzes Haar war tadellos nach hinten gekämmt. Er hatte eine kurze, kräftige Nase und ein Kinn mit einem Grübchen. Er konnte fünfunddreißig, auch vierzig Jahre alt sein.

»Wer sind Sie?«, rief er und runzelte die Stirn. »Was tun Sie hier?«

»Ich suche zwei Männer«, sagte ich möglichst freundlich.

»Hier?«

Ich nickte und blickte hinaus. Es gab noch einen halbkreisförmig aufgehängten Vorhang. Ich schob ihn zur Seite. Vor mir ragte ein Gitter aus Bambusstäben hoch, an dem sich irgendwelche Pflanzen emporrankten. Links gab es einen düsteren Gang zu der kleinen Treppe, die hinauf auf die Bühne führte. Rechts war eine Nische, in der niemand saß. Einen Yard weiter rechts hörte der Bambuszaun auf, und man blickte auf die Tanzfläche und die Tische, die sie in einem Dreiviertelkreisbogen umgaben.

Ich drehte mich um. »Sie haben niemand hier herauskommen sehen?«

»Nein. Und darf ich endlich um eine Erklärung bitten? Ich bin der Geschäftsführer.«

Ich angelte meinen Dienstausweis aus der rechten Innentasche meines Jacketts.

»Agent Cotton«, sagte ich. »FBI. So leid es mir tut, ich brauche Ihr Office, wenn Sie eines haben.«

»Ja, natürlich. Und die Erklärung?«

»Ich suche zwei Männer. Es könnte sein, dass sie sich unter Ihrem Personal oder unter den Gästen befinden.«

»Na gut. Kommen Sie!«

Wir gingen wieder um die Reihe der Elektroherde zurück, hinaus in den hell beleuchteten Flur und ein Stück den Gang hinunter. Er zog einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und schloss eine massive Eichentür auf.

Beinahe hätte ich einen Pfiff ausgestoßen. Ich habe viele Büros in vielen Lokalen und Nachtklubs gesehen. Das hier schoss den Vogel ab. Es war mindestens sechs mal sechs Yards im Grundriss. Von einer Wand zur anderen war es mit einem flauschigen roten Teppich ausgelegt. Links stand ein Schreibtisch aus Teakholz. Rechts eine Couch, ein Tisch und zwei Sessel. Gleich links neben der Tür gab es ein Regal, das bis an die Decke reichte. Der blaue Vorhang davor war aus dem gleichen Material, mit dem Couch, Sessel und Schreibtischstuhl bezogen waren. Es gab eine indirekte Beleuchtung, die den Raum in ein angenehmes Licht setzte.

Er marschierte auf den Schreibtisch zu, wie er es wohl gewohnt war. Ich zog mir einen Sessel heran.

»Lassen Sie der Reihe nach jeden Kellner hereinrufen, den Sie haben«, bat ich.

»Wenn man den Feds den kleinen Finger reicht«, sagte der Mann seufzend und griff zum Haustelefon. »Ist es Ihnen recht, wenn wir mit dem Oberkellner anfangen?«

»Mir ist alles recht, wenn hier nur alle aufkreuzen. In welcher Reihenfolge, ist mir gleichgültig.«

Er sagte ein paar Worte am Telefon und legte wieder auf. Eine Minute später erschien ein etwa fünfzigjähriger Kellner im Frack. Er hatte schütteres graues Haar und einen Bauchansatz. Seine rote Gesichtsfarbe stand in einem gewissen Widerspruch zu seiner leidenden Miene.

»Mister Clark«, sagte der Geschäftsführer, indem er auf mich zeigte, »dieser Gentleman möchte Ihnen einige Fragen stellen.«

Ich will es vorwegnehmen: Ich fragte der Reihe nach sieben Kellner. Von den zwei Stimmen, die ich gehört hatte, erkannte ich nicht eine wieder.

Ich klärte anschließend den Geschäftsführer kurz auf, erwog die Möglichkeit, dass er mir absichtlich die beiden Leute unterschlagen hatte. Vielleicht waren die beiden Männer auch längst verschwunden, vielleicht hatten sie sich im Haus irgendwo versteckt. Ich durfte auf jeden Fall nichts unversucht lassen.

»Hören Sie, Mister Fallbon«, sagte ich – seinen Namen hatte ich inzwischen erfahren –, »ich habe natürlich keinen Durchsuchungsbefehl. Trotzdem möchte ich Sie bitten, mit mir eine Runde durch alle Räume zu machen, die zu diesem Lokal gehören oder von hier aus zugänglich sind.«

»Hm«, brummte er und trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. »Ich bin nur der Geschäftsführer. Wie sich der Besitzer dazu stellen würde, kann ich nicht sagen. Vielleicht behagt ihm das gar nicht. Aber ich denke, dass ich es verantworten kann. Also, dann wollen wir mal!«

Er zog den Vorhang vor dem Regal beiseite und nahm zwei Schlüsselbunde von einem Haken. Ich folgte ihm in den Flur. Weit hinten führte eine Treppe abwärts. Er stapfte sie hinab. Unten hantierte er mit einem Schlüssel in einem Schloss herum.

»Seit Jahr und Tag versuche ich, dem Besitzer klarzumachen, dass er mal einen Handwerker kommen lassen soll«, ächzte er mit rotem Kopf. »Diese verdammte Tür klemmt, seitdem ich sie zum ersten Mal öffnen wollte. Na, also!«

Er hatte sie endlich aufbekommen. Ein dunkler Flur erstreckte sich vor uns. Auf der linken Seite gab es keine Türen, sondern nur dicke, quadratische Pfeiler. Zwischen ihnen sah ich Kisten und Kartons stapelweise herumstehen. Sie trugen die Aufschriften bekannter Whiskymarken. Fallbon marschierte vor mir her durch den Gang, nachdem er das Licht eingeschaltet hatte, auf die hinterste rechte Tür zu. Ich folgte ihm.

Es kam so plötzlich wie der berühmte Blitz aus dem heiteren Himmel. Ich weiß bis auf den heutigen Tag nicht, wie sie es fertigbrachten. Auf einmal krachte mir etwas auf den Schädel, vor meinen Augen erschienen Feuerräder, die sich schnell in violettem Nebel auflösten, und dann herrschte absolute Schwärze, und ich stürzte in einen endlosen Abgrund.

***

Captain Hywood saß abends gegen zehn noch hinter seinem Schreibtisch. Er hatte in einem Drehstuhl Platz genommen, der eine Sonderanfertigung war. Nachdem einige andere vorher unter seinem Gewicht zusammengebrochen waren, hatten selbst die Geizhälse von der Rechnungsabteilung allmählich eingesehen, dass man sich mit einer Sonderanfertigung billiger stand.

Hywood hatte in dieser Woche die Abendschicht übernommen, die um vier Uhr nachmittags beginnt und um Mitternacht endet. Im Hauptquartier der City Police von New York City gab es keine Ruhe. In der Kommandozentrale einer Organisation, die über fünfundzwanzigtausend Beschäftigte verfügt, reißen Arbeit und Nachrichtenverbindungen nie ab. Die Fernschreiber tickten, die Telefone klingelten, Streifenwagen fuhren in den Hof ein oder hinaus, Akten wurden angelegt, ergänzt, erweitert und abgeschlossen. Tatverdächtige und Zeugen wurden verhört. Protokolle mussten geschrieben werden. Es waren Fingerabdrücke von Festgenommenen abzunehmen, und es mussten die an einem Tatort vorgefundenen Fingerspuren ausgewertet werden.

Der Polizeiarzt hatte verletzte Beamte zu versorgen, der Polizeigeistliche suchte die Witwe eines getöteten Kameraden zu trösten, der Commissioner stritt sich mit Politikern über notwendige Anschaffungen von Waffen und Gerät. Die Presseabteilung stellte den Polizeibericht zusammen und erbat zwei Minuten Sendezeit bei den Rundfunk- und Fernsehgesellschaften, der Public Relations Officer führte eine Delegation afrikanischer Polizeifachleute durch die riesige Funkleitstelle, weil sie auch den Betrieb bei Nacht kennenlernen wollte. Fünftausend Cops in ihren dunkelblauen Uniformen mit dem blanken Dienstabzeichen fuhren oder ritten oder gingen auf ihre Streife. Das Abzeichen war einmal aus Kupfer gewesen, eine »Copperplate«, wie es im Englischen heißt. Jetzt bestand es längst aus einem billigeren Material, aber die Cops hatten ihren Namen behalten.

Hywood reckte die bärenhafte Gestalt. Bei den meisten Türen musste er den Kopf einziehen, wenn er hindurchgehen wollte. Und dass er seine Uniform im Laden für Polizeiausrüstung hätte von der Stange kaufen können, davon konnte nun schon überhaupt keine Rede sein. Hywood war eine Riese, wog so viel wie ein Riese, bewegte sich wie ein Riese – und brüllte mit einem Organ, dass einem 16-Lautsprecher-Stereogerät mühelos Konkurrenz machen konnte. Als es an seine Tür klopfte, war Hywood der Meinung, dass er ganz normal »Herein« geantwortet hätte.

Die Tür flog auf, und Sergeant Anderson, Hywoods neuer Vorzimmer-Sergeant, stürzte mit gezogenem Revolver herein.

»Was ist los, Anderson? Wollen Sie Amok laufen?«

»Ich habe Sie schreien hören, Sir, und dachte, Sie wären in Gefahr.«

»Wer hat geschrien, Sergeant?«

»Sie, Sir.«

»Wann?«

»Eben, Sir.«

»Vor oder nach Ihrem Klopfen?«

»Gleich nach meinem Klopfen, Sir.«

Hywood nickte. So war das immer. Er begriff es einfach nicht. Alle Leute behaupteten ständig, er brülle. Was musste diese Menschheit nur für empfindliche Ohren haben!

»Okay, Anderson«, sagte er so sanft, wie es ihm gelingen wollte. »Daran werden Sie sich gewöhnen müssen. Ich fürchte, die Leute empfinden mich immer als ein wenig laut. Was ist denn los?«

»Sir, draußen ist ein Gentleman, der unbedingt den Commissioner sprechen möchte.«

»Den Polizeipräsidenten von New York?«

»Ja, Sir.«

Hywood hob die Augenbrauen. Nach kurzem Überlegen meinte er: »Sagen Sie dem Gentleman, wie es ist: Zuerst kommt der liebe Gott und dann der Commissioner. Aber sagen Sie ihm auch, dass es bei uns Leute gebe, die sich nicht darüber im Klaren sind, ob die Reihenfolge nicht vielleicht umgedreht sei. Wenn er allerdings mit einem hundsgemeinen Captain vorliebnehmen will, dann bringen Sie ihn herein!«

»Ja, Sir.«

Anderson machte kehrt, ging hinaus, schloss die schalldichte Doppeltür sorgfältig, die ja doch nichts nutzte, sobald Hywood den Mund aufmachte, und kam fünf Sekunden später wieder, um zu melden: »Mister Meeger, Sir.«

Hywood stand auf. Im Türrahmen erschien ein Mann mit grauem Haar, einem grauen Anzug und einer silbergrauen Krawatte. Die Perle darin war nicht gerade klein. Und der Anzug stammte aus der Fifth Avenue, dessen war Hywood sofort sicher. Ein Mann also, der Geld haben musste. Aber dazu wollten die Blutflecke auf seinem Anzug, die geschwollene Lippe, der Hautriss am linken Unterkiefer und das Veilchen am rechten Auge nicht passen. Trotzdem verzog Hywood keine Miene.

»Nehmen Sie Platz, Mister Meeger«, verkündete er und deutete auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand. »Ich bin Captain Hywood. Danke, Sergeant.«

Anderson verschwand, nicht ohne wieder sorgfältig die Doppeltür zu schließen. Mr Meeger hatte sich behutsam auf dem Stuhl niedergelassen. Er machte den Eindruck eines Mannes, der auch noch an anderen Stellen als nur den sichtbaren Beulen Schmerzen hat.

»Ich bin ja nur ein gewöhnlicher Steuerzahler«, begann er mit einer etwas weinerlichen Stimme. »Trotzdem finde ich, dass die Polizei mal etwas für mich tun könnte, Captain.«

»Wenn es sich einrichten lässt«, versprach Hywood großzügig. »Warum nicht? Verraten Sie mir nur: was?«

Meeger zeigte auf sein verschwollenes Auge. »Die Halunken finden, die mich so zugerichtet haben.«

»Das ist eine Idee«, sagte Hywood begeistert. »Vereinbart sich völlig mit meiner Auffassung von den Pflichten der Polizei. Wo war es denn?«

»In der 76th Street. Gegenüber vom Museum für Naturgeschichte.«

»Das ist dicht am Central Park. Und wann passierte es?«

»Vor einer Dreiviertelstunde ungefähr. Ich brauchte verdammt lange, bis ich ein Taxi fand, das mich hierherbrachte.«

»Darf ich fragen, was Sie in der 76th Street gemacht haben?«

»Ich bin spazieren gegangen.«

»Wir lassen immer wieder davor warnen, in der Dunkelheit den Central Park aufzusuchen«, erwiderte der Captain. »Er ist zu groß, als dass wir ihn genau genug unter Kontrolle halten könnten. Aber es ist natürlich Ihr gutes Recht, spazieren zu gehen, wann und wo Sie wollen. Wie viele waren es denn?«

»Zwei.«

»Kannten Sie die Kerle?«, wollte Hywood wissen.

»Nein. Außerdem war es so dunkel, dass ich kaum etwas von ihnen sehen konnte.«

»Hm. Haben die Burschen etwas von Ihnen verlangt, Mister Meeger?«

»Nein. Sie fielen einfach über mich her, schlugen mich zusammen und verschwanden in der Finsternis.«

»Hm«, brummte Hywood wieder. »Warum sind Sie nicht zum nächsten Revier gegangen? Von da oben bis hier herunter zum Hauptquartier ist es ein weiter Weg.«

»Ich gebe mich nie mit unteren Dienstgraden ab.«

»Ach so«, sagte Hywood. »Ich fürchte nur, das wird Ihnen nicht erspart bleiben. Es sind nämlich diese unteren Dienstgrade, die die Arbeit auf der Straße machen müssen. Die sozusagen in der vordersten Linie stehen. Außerdem ist es das zuständige Revier, das Ihre Anzeige aufnehmen und bearbeiten muss. In dieser riesigen Stadt wäre es doch völlig aussichtslos, wenn ich mich allein auf die Socken machen wollte, nicht wahr? Tun Sie mir doch einen Gefallen, Mister Meeger, ja? Warten Sie mal eine Minute im Vorzimmer, bitte?«

»Bitte«, erwiderte Meeger, sichtlich verstimmt.

Er stand auf. Hywood öffnete ihm höflich die Tür, und gab seinem Vorzimmer-Sergeant einen Wink. Anderson kam schnell herein. Hywood drückte die Doppeltür zu.

»Wieder dieselbe Geschichte«, knurrte er. »Wieder im dreiundzwanzigsten Revier. Der wievielte Fall ist das jetzt?«

»Unbekannte Täter? Kein Raubüberfall? In der Finsternis verschwunden?«

»Ja, das trifft alles zu. Also, der wievielte?«

»Der siebente seit dem ersten Januar, Sir.«

»Okay. Lassen Sie einen Wagen vorfahren. Ich will zum zuständigen Revier. Mister Meeger kommt vielleicht mit. Wenn er Lust dazu hat, mit den unteren Dienstgraden zu sprechen. Wenn nicht, soll er mir den Buckel runterrutschen. Wissen Sie, wer er ist?«

Der Sergeant schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, Sir.«

»Einer unserer reichsten Börsenmakler. Sicher ein paar Millionen schwer. Und wissen Sie auch, wo er wohnt, Anderson?«

»Nein, Sir.«

»Dachgartenapartment auf einem der neuen Wolkenkratzer in der 26th Street. Sündhaft teuer. War mal mit ein paar Fotos in irgendeiner Zeitung abgebildet. Und nun frage ich Sie, Anderson: Geht ein Mann wie Meeger nachts um zehn vor elf Straßen weit spazieren?«

2

»Nun komm schon!«, sagte eine Stimme, die meilenweit entfernt schien. Ich spürte, dass mir jemand im Gesicht herumtätschelte. Ich spürte aber auch, dass ein hartnäckiger Gartenzwerg in meinem Gehirn saß und den Bohrer immer wieder an derselben Stelle ansetzte, fast genau auf dem Wirbel am Hinterkopf.

»He«, grunzte ich. »Lassen Sie das!«

Die leichten, klatschenden Schläge gegen meine Wangen hörten auf. Ich öffnete die Lider. Krankenhaus, dachte ich, und ich machte die Augen wieder zu. Ich hatte nichts als weiße Kacheln gesehen.

»Nun schlaf nicht wieder ein«, befahl jemand scharf. »Oder sollen wir dich zum Revier tragen?«

Zu was für einem Revier?, fragte ich mich. Und wer spricht denn da überhaupt? Ich machte die Augen erneut auf und wälzte mich ein wenig herum. Das spornte den Gartenzwerg zu neuer Aktivität an. Ich stöhnte.

Neben mir gab es zwei schwarze Säulen, die in den Himmel ragten. Ich blinzelte etwas, allmählich konnte ich klarer sehen, und dann entdeckte ich, dass die Säulen nur die Beine eines Polizisten waren. Der Cop stand neben mir und sah auf mich herab.

»Steh auf!«, sagte er.

Das war eine Idee. Ich wollte die Hände rechts und links aufstützen, aber ich bekam sie nicht auseinander. Mühsam reckte ich den Kopf hoch und sah an mir hinab. Vor meinem Bauch hatten sie mir die Hände mit Handschellen gefesselt.

Ich reckte wortlos die Hände empor.

»Meinst du, ich zieh dich hoch?«, knurrte der Cop.

»Na, das ist bei Ihrem Gehalt vielleicht nicht mit inbegriffen«, räumte ich ein. »Aber wie wär’s, wenn Sie mir erst einmal die Armbänder abnähmen?«

»Die bleiben dran, bis wir im Revier sind.«

»Ich will ja gar nicht zum Revier.«

»Du wirst aber wohl müssen.«

Allmählich setzte mein Erinnerungsvermögen wieder ein. Ich war doch mit diesem Fallbon in den Keller gegangen. Jetzt lag ich wieder oben im Flur. Mit Handschellen. Die mussten ja verrückt sein.

Ich raffte meine Energie zusammen und richtete mich mit einem Ruck zu einer sitzenden Stellung auf. Durch meinen Schädel zuckte ein stechender Blitz. Ich holte einmal tief Luft, und dann kam ich auf die Füße. Der Cop neben mir war so groß wie ich, aber noch breiter in den Schultern. Mehr als dreiundzwanzig Jahre konnte der gute Junge noch nicht hinter sich gebracht haben.

»Jetzt hören Sie mal zu, Kollege«, sagte ich zu ihm. Und ich gab mir sogar Mühe, freundlich zu sein.

Er drehte sich mit einem gekonnten Ruck um und stieß mich vor sich her. In dem weiß gekachelten Flur stand eine Tür offen, die hinaus auf einen Hof führte. Und dort stand ein schöner schwarzer Streifenwagen der City Police. Am Steuer saß ein älterer Cop, wie ich an seinem Gesicht erkennen konnte, das von dem bläulichen Licht des Armaturenbretts fahl beleuchtet wurde. Mein Beschützer schob mich auf die hintere Sitzbank und kletterte neben mich.

»Okay, Dick«, meinte er. »Zum Revier.«

»Jetzt reicht mir’s aber langsam!«, knurrte ich und gab mir keine Mühe mehr, freundlich zu sein. »Könnt ihr mir gefälligst mal erklären, was dieses Theater bedeuten soll?«

»Das wirst du alles auf dem Revier erfahren.«

Kein Panzer konnte es mit ihrer Sturheit aufnehmen. Ich hatte Kopfschmerzen, ich hatte Wut im Bauch, und ich musste mir eingestehen, dass man mit einer Mauer leichter diskutieren konnte als mit den beiden. Sie sagten einfach gar nichts mehr, bis wir endlich beim nahe gelegenen Revier aufgekreuzt waren.

Hinter dem Pult in der Wachstube saß ein Sergeant mit einer spiegelblanken Glatze. Er hatte ein rundes Gesicht und einen schön gepflegten rotbraunen Bart auf der Oberlippe.