1,99 €
Sein Auftrag war klar und brutal: Er hatte einen Mann zu ermorden, den die amerikanische Regierung für unersetzlich hielt. Dieser Mann sollte in einem New Yorker Hotel übernachten. Der Killer kannte das Hotel. Er kannte auch den Namen seines Opfers. Er wusste sogar, dass der Mann eine kleine Tätowierung auf dem linken Unterarm trug. Nur eines wusste er nicht: wie der Mann aussah. Phil und mir erging es genauso, doch wir hatten die Aufgabe, den Killer rechtzeitig zu stoppen ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 195
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Im Visier des Killers
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: lassedesignen/shutterstock
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5839-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Im Visier des Killers
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Es war totenstill. Der lange, breite Korridor lag menschenleer vor uns. Ein Läufer bedeckte den Boden von Wand zu Wand. In regelmäßigen Abständen hingen zweiflammige Wandleuchten und verbreiteten mit den Kristallleuchtern an der Decke ein warmes, taghelles Licht.
Mein Freund Phil Decker sprach leise, aber eindringlich mit dem Etagenkellner. Ich hörte ihre beiden Stimmen wie ein fernes, gerade noch verständliches Flüstern.
»Kein Stubenmädchen? Keine Putzfrau? Kein Page, kein Boy?«
Der Etagenkellner strich sich über das dünne Bärtchen, das auf der Oberlippe saß wie hingemalt. Er war bleich und musste sich sichtlich zusammennehmen.
»Nein, Agent. Vom Personal ist bestimmt niemand mehr im Flur.«
»Gut«, sagte Phil und wandte sich mir zu. »Jetzt ist nur noch die deutsche Sängerin in ihrem Apartment, Jerry. Die in der neuen Met singt. Willst du sie herauslotsen?« Er hatte das Personal auf dem Flur in die tieferen Etagen gescheucht.
Irgendetwas musste ich schließlich auch tun. Also nickte ich und schob den Hut ins Genick.
»Nimm deinen Revolver in die Hand«, sagte ich halblaut. »Wenn er zufällig seine Nase zur Tür herausstreckt, während ich daran vorbeigehe, weiß man nicht, was passieren kann.«
Mein Freund nickte, schob die Hand unters Jackett und zog den Smith & Wesson 38 Special aus dem Schulterholster. Die Augen des Etagenkellners wurden groß. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen und drückte sich ängstlich um die Flurecke.
Ich trat aus der Nische hinaus, wo eine kleine Sitzgruppe stand, und ging den Flur hinunter. Wir waren hier in einem der größten New Yorker Hotels und wollten eine Verhaftung vornehmen. So etwas war uns zur Routine geworden. Nur ging es diesmal um einen Mann, der bereits vier Menschenleben auf dem Gewissen hatte. Solche Kerle haben manchmal eine Art Instinkt. Sie wittern förmlich, wenn ein Mann von der Polizei ist.
Ich schlich an seiner Tür vorbei. Es war alles still. Von jetzt ab würde ich ihn im Rücken haben, wenn er herauskam. Irgendetwas strich mir kühl über den Rücken. Ich ging vorwärts, aber all meine Sinne sicherten nach hinten. Die Stille wurde zu einer körperlich spürbaren Last. Wie lang, zum Teufel, war dieser verdammte Korridor eigentlich?
Endlich hatte ich mein Ziel erreicht. Ich blieb stehen und sah zurück. An der Ecke zu der Nische wartete Phil mit dem Revolver. Ich hob die Hand und klopfte zweimal.
»Come in«, sagte eine weibliche Stimme.
Ich zog die Tür auf und trat ein.
Ein großer Salon öffnete sich vor mir, luxuriös ausgestattet und mit einem halben Dutzend großer Blumenvasen bestückt. In jeder befanden sich frisch erblühte schwarzrote Rosen.
Die Sängerin saß auf einer üppig gepolsterten Couch, hatte ein Buch von ungewöhnlich großem Format aufgeschlagen auf den Beinen liegen und sah von den Notenzeilen hoch. Sie mochte etwas über dreißig sein, vielleicht an vierzig, aber sie sah auf eine zeitlose Weise apart und damenhaft aus. Ihre Augen waren groß und blau, und eine starke Ausstrahlung ging von ihr aus. Wenn sie so singt, wie sie stumm auf einen wirkt, dachte ich unwillkürlich, dann ist es kein Wunder, dass man sie von Deutschland nach New York an die Met geholt hat.
Ich hob die rechte Hand und tippte mit dem Zeigefinger an die Hutkrempe. »Guten Morgen, Ma’am. Verzeihen Sie die Störung.«
Sie nickte fast unmerklich. In ihren Mundwinkeln deutete sich ein schwaches Lächeln an. Ich begriff, dass sie auf meinen Hut blickte. Jetzt grinste ich.
»Ich bin Agent Cotton vom New Yorker Büro der Bundespolizei«, sagte ich und ließ meine FBI-Marke sehen. »Kriminalbeamte müssen ihren Hut aufbehalten, Ma’am.«
Ihre Augen funkelten belustigt. Ihr Englisch war klar und hatte nur einen leichten Akzent.
»Das ist interessant«, erwiderte sie. »Ich wunderte mich schon im Kino immer darüber. Warum eigentlich?«
»An einem Tatort darf man nichts verändern, auch nicht dadurch, dass man seinen Hut irgendwo hinlegt und ihn womöglich vom Spurensicherungsdienst fotografieren lässt.«
»Aha. Aber ich bin ziemlich sicher, dass ich nichts verbrochen habe.«
»Wir sind nicht Ihretwegen hier, Ma’am. Wir haben in dieser Etage eine Verhaftung vorzunehmen. Um ehrlich zu sein: Es handelt sich um einen vierfachen Raubmörder. Er wohnt zwei Türen weiter. Wir müssen Sie um eine Gefälligkeit ersuchen, Ma’am.«
Einen Augenblick verdaute sie, was ich ihr erzählt hatte. Dann klappte sie das Buch zu und legte es beiseite. Als sie sich erhob, merkte ich erst, dass sie fast zwei Köpfe kleiner war als ich. Trotzdem verlor sie nicht ein Gran ihrer imponierenden Persönlichkeit.
»Bitte«, gab sie zurück. »Ich bin selbstverständlich bereit, den amerikanischen Behörden zu helfen, soweit ich kann.«
»Räumen Sie für ein paar Minuten Ihr Zimmer«, bat ich. »Alle anderen Gäste in diesem Abschnitt des Flurs sind schon weg. Auch das gesamte Personal. Sie brauchen nur den Flur hinunter bis zur Nische zu gehen. Dort warten Kollegen von mir, und Sie sind in Sicherheit. Es wird nicht lange dauern.«
Sie nickte und lief zur Tür. Auf der Schwelle drehte sie sich noch einmal um und schien überrascht, dass ich keine Anstalten machte, ihr zu folgen.
»In mir könnte der Mörder den Polizisten wittern«, erklärte ich ihr. »Es ist sicherer für Sie, wenn Sie allein durch den Flur gehen.«
»Sie denken an alles, nicht wahr?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wir versuchen es, Ma’am.«
Sie trat hinaus und wollte die Tür hinter sich schließen. Ich gab ihr ein Zeichen, und sie ließ einen winzigen Spalt offen. Mit schön geformten Beinen schritt sie auf hohen Absätzen den Flur hinab, von Kopf bis Fuß eine Lady. Ich sah ihr nach, bis sie die Ecke der Nische erreicht hatte.
Dort ging Phil auf sie zu. Ich musste grinsen, als ich bemerkte, wie er mit dem Zeigefinger an die Krempe seines Huts tippte. Er sprach nur kurz mit ihr, dann geleitete er sie zum nächsten Lift, ließ sie einsteigen und winkte dem Etagenkellner, ebenfalls zu verschwinden. Der Fahrstuhl brachte Gast und Kellner nach unten. Nun waren wir allein in diesem Etagenabschnitt, wir: acht G-men des FBI und der vierfache Raubmörder Anthony Gordon Parker.
Ich trat nun selbst wieder hinaus in den Flur. Von hinten kamen Steve Dillaggio, George Baker, Zeerookah, Dean Collins, Jimmy Stone, Leon Eisner und Phil lautlos auf dem dicken Läufer heran.
Als wir uns trafen, sagte ich leise: »Zeery, du besetzt das Zimmer rechts von ihm. Jimmy, du übernimmst das linke. Schließt euch ein, damit er vom Flur her nicht hineinkann, und dann besetzt die Fenster, damit er nicht draußen auf dem Sims vorbeiklettert.«
Sie nickten. Jimmy Stone ging in das angewiesene Zimmer, grinste uns zu und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Wir hörten das leise Geräusch des Riegels. Zeerookah, ein Agent von echt indianischer Abstammung, der nur diesen einen Namen besitzt, nahm das rechts angrenzende Zimmer. Auch er schloss sich ein, wie ich es ihm geraten hatte. Nun war gewährleistet, dass Parker nicht auf dem Fenstersims entkommen konnte. Eine Feuerleiter führte nicht an seinen Fenstern vorbei, sodass wir nach oben und unten keine Sicherung brauchten.
Ich sah Phil an.
Er straffte sich. »Na, dann wollen wir mal!«
***
Mac Gipson war neunzehn Jahre alt und in Brooklyn groß geworden. In der richtigen Ecke von Brooklyn aufgewachsen: in Spearland. Hier war die Heimat der Mörder-GmbH gewesen, und hier wuchsen die Kinder von Eltern auf, die Marihuana in Blumentöpfen zogen.
Es war halb zehn morgens, als Gibson in der 57th Street ein kleines Lokal betrat. Er sah sich um und entdeckte Stan Mitchinski an einem kleinen Tisch neben der Eingangstür, halb verborgen vom Windfang. Er ging an die Theke, ließ sich ein Käsesandwich und eine Cola geben, bezahlte und nahm alles mit an den Tisch neben der Tür.
»Hallo, Stan«, sagte er. »Wartest du schon lange?«
»Seit Punkt neun, wie abgemacht.«
Stan Mitchinski war ein schlaksiger Junge von achtzehn Jahren. Drei Jahre seines jungen Lebens hatte er bereits in Besserungsheimen zugebracht, aber es war eine Illusion zu glauben, dass damit irgendetwas erreicht worden wäre.
»Also«, sagte Gipson leise. »Heute Nachmittag geht es los.«
Mitchinski hob den Kopf. »Wirklich?«
»Der Boss hat es gesagt.«
»Wurde auch Zeit. Warten macht mich nervös.«
Gipson schielte zu den biertrinkenden Männern an der Theke hinüber. Sie lachten schallend über einen Witz, den der dicke, gemütliche Wirt erzählt hatte. Niemand kümmerte sich um die beiden Jungen.
»Pass auf«, raunte Gipson und faltete ein Blatt Papier auseinander. »Hier ist der Haupteingang. Wir werden uns umziehen müssen, denn in diesen Klamotten kommen wir da niemals rein.«
»Was soll ich anziehen?«, wollte Mitchinski wissen.
»Auf jeden Fall ein weißes Hemd, eine nicht zu grelle Krawatte und einen vernünftigen Anzug. Nimm eine Aktentasche mit. Dann sehen wir wie Geschäftsleute aus, die eine Verabredung haben.«
Mitchinski nickte. »Geht in Ordnung.«
»Hier ist die Halle«, erklärte Gipson leise und deutete auf die Zeichnung. »Da liegt eine Bar, daneben ist ein großer Speiseraum. Hier ist die Anmeldung, dahinter zwei Büros für die Empfangssekretäre. Hier gehen vier Stufen hinauf zu einem Flur. Die erste Tür links führt von der anderen Seite her in die Büros vom Empfang. Die zweite Tür hier – da ist es.«
»Kapiert.«
»Wir kommen einzeln, das ist besser«, fuhr Gipson fort. »Ich betrete die Halle gegen halb vier. In der Halle ist ständig so viel Betrieb, dass es nicht auffallen wird, wenn einer mehr herumsitzt. Du kommst gegen vier und gehst sofort am Empfang vorbei und …«
»Wird mich da niemand aufhalten?«, unterbrach ihn Mitchinski.
»Bestimmt nicht. Ich weiß nicht, wie viele Leute dort wohnen, aber sie müssen Zimmer für mehr als tausend haben, vielleicht sogar zweitausend oder mehr, was weiß ich? Kein Mensch kann da die Gesichter aller Gäste kennen. Du gehst einfach am Empfang vorbei und die vier Stufen hinauf. Das wird aussehen, als wolltest du in die Lesehalle, die liegt am Ende des Korridors.«
»Und du?«, fragte Mitchinski.
»Ich komme nach. Auf der Stelle. Keine Angst, ich passe schon auf. Sobald du hereinkommst, bin ich hinter dir.«
»Gut. Und der Boss?«
»Der wartet auf uns vor der Tür«, antwortete Gipson. »Deswegen muss es mit der Zeit genau klappen, damit niemand lange rumstehen und auf die anderen warten muss. Wenn du um Punkt vier hereinkommst, wäre es am besten.«
»Von mir aus. Dann sollten wir jetzt die Uhren vergleichen.«
»Richtig. Ich habe jetzt 9:52 Uhr.«
Mitchinski stellte seine Armbanduhr auf die genannte Zeit. »Wie ist es mit Waffen?«, fragte er leise.
»Der Boss wird bewaffnet sein. Wir nehmen allenfalls ein Klappmesser mit. Ja keine Pistolen! Es muss ohne Geräusch abgehen. Wenn es in dem Zimmer krachte, würden wir nie durch die Halle wieder rauskommen.«
»Mit Kanone wäre es mir lieber«, maulte Mitchinski.
»Nichts zu machen, Stan. Entweder richtest du dich genau wie ich nach den Anweisungen, die uns der Boss gibt, oder du fliegst aus.«
»Spiel nicht gleich den Beleidigten!«
»Das tut niemand. Aber es muss klar sein, dass alles so abläuft, wie der Boss es geplant hat. Jede Kleinigkeit. Nur so können wir sicher sein, dass es klappt. Wenn wir aus dem Hotel rauskommen, gehst du nach links. Ich wende mich nach rechts. Normales Tempo. Fall ja nicht dadurch auf, dass du plötzlich losrennst wie ein Wilder! Wir treffen uns eine Stunde später im Park an der Stelle, die ich dir gezeigt habe. Wirst du sie wiederfinden?«
Mitchinski nickte. »Aber ja.«
»Sonst irgendeine Frage?«
Mitchinski sah Gipson nachdenklich an. »Ja«, meinte er gedehnt. »Eine Frage hätte ich schon.«
»Nämlich?«
Mitchinski beugte sich vor. »Wer ist der Boss?«, fragte er eindringlich.
Mac Gipson stand auf, um zu gehen. »Wenn ich dir das sagte«, erwiderte er leise, »dann würdest du auf der Stelle in Ohnmacht fallen.«
***
Phil klopfte an die Tür. In der Stille, die in dem menschenleeren Flur herrschte, klang das hölzerne Geräusch doppelt laut. Eine Weile blieb alles still.
Dann ertönte von drinnen eine fragende Männerstimme: »Wer ist da?«
»Hotelservice«, rief Phil.
»Was wollen Sie?«
»Ihr Telefonanschluss ist gestört, Sir. Wir müssen den Apparat prüfen.«
Die Antwort ließ auf sich warten. Es lag auf der Hand, dass Parker jetzt den Telefonhörer abnahm, um Phils Behauptung zu prüfen. Die Vermittlung wusste Bescheid. Sie würde sich nicht melden, selbst wenn Parker die Taste für den dringenden Hilferuf drückte.
Es vergingen fast zwei Minuten, bis die Männerstimme hinter der Tür antwortete. »Okay, kommen Sie rein.«
Phil und ich zogen die Dienstrevolver. Die anderen Kollegen sollten im Gang bleiben, um Parker den Fluchtweg abzuschneiden, falls er irgendwie an uns vorbeikommen sollte. Mit einem stummen Nicken verständigten wir uns. Phil stieß den Türflügel auf, und ich spurtete an ihm vorbei in das große Zimmer hinein. Phil folgte mir sofort, lief aber schräg von mir weg nach rechts. Wir hatten alle beide noch keine vier Schritte getan, als es aus der linken Ecke blitzte und krachte. Ich hechtete vor eine mächtige Couch, die schräg von der Wand weg ragte.
Der Kerl hatte sich richtig verbarrikadiert. In der linken hinteren Zimmerecke hatte er sich aus einer zweiten Couch und einem mächtigen Ohrensessel eine Deckung gebaut.
Ich blickte vorsichtig an dem grün-goldenen Couchbezug vorbei. In der Luft hing Korditgeruch. Von Parker war nicht einmal ein Ohrläppchen zu sehen. Trotzdem musste der Kerl eine Sichtlücke in seiner Barriere haben, denn es krachte schon wieder. Die Kugel ratschte dicht hinter Phils Fuß in den Parkettboden. Phil kroch schnell neben eine breite, reich verschnörkelte Kommode, die ihm etwas Schutz bot.
»Hören Sie mit dem verdammten Feuerzauber auf, Parker!«, rief ich laut. »Wir sind G-men! Sie haben keine Chance, hier lebend hinauszukommen, wenn Sie sich nicht ergeben!«
Statt einer Antwort krachte es wieder, und die Couch, vor der ich lag, bekam von der Rückseite her einen harten Schlag. Aber die Kugel ging nicht durch, und das war immerhin ein Trost. Jetzt wusste ich, dass sie als Kugelfang ausgezeichnete Dienste leistete.
Ich drehte mich um und besah mir die offen stehende Tür. Wenn man die Winkel der Tür und Parkers Versteck zueinander in Beziehung brachte, lag Phil an einer besseren Stelle.
»Nach rechts, Steve«, rief ich zur Tür hin. »Ungefähr vier Yards.«
»Okay, Jerry«, ertönte draußen die Stimme unseres Kollegen Steve Dillaggio.
Ich probierte, ob ich unter der Couch hindurchblicken konnte. Es ging nicht. Der Kasten reichte bis zum Boden. Ich schob mich an die rechte Seitenkante und lugte vorsichtig um die Ecke. Couch und Sessel verbargen Parker in seiner Ecke vollständig. Ich zog den Kopf zurück und sah zur Tür.
Ein Päckchen flog herein und fiel ungefähr in Phils Richtung, aber mehr als eine Armlänge zu kurz. Phil streckte vorsichtig die Hand aus. Parker musste ihn sehen können, denn schon krachte es erneut, und elf Inch vor Phils Finger splitterte der Parkettboden.
»Augenblick, Phil«, rief ich hinüber, nahm den 38er und zielte auf den Spalt zwischen Parkers Couch und seinem Ohrensessel. »Jetzt!«, brüllte ich und drückte dreimal hintereinander ab.
Ich sah, wie die Kugeln Löcher in den Sessel rissen. Aber als ich gleich darauf hinüber zu Phil blickte, winkte er mir grinsend zu. Er hatte die beiden Tränengasbeutel zu sich herangezogen. Wir waren auf diesen Fall vorbereitet.
Ich griff in meine Rocktasche und zog die Gasmaske heraus, um sie mir über den Kopf zu stülpen. Das Atmen darunter war ein wenig mühselig, wie unter jeder Gasmaske. Phil schaute fragend zu mir herüber. Ich zeigte ihm den hochgestreckten Daumen. Er nahm die erste Tränengashandgranate in die Hand, schätzte die Entfernung ab und richtete sich halb auf. Im selben Augenblick nahm ich Parkers Deckung wieder unter Feuer. Von Phil her zischte die kleine Handgranate heran, klatschte gegen die Wand und platschte hinter Parkers Deckung. Ein Zischen kündete an, dass sich das Gas bereits ausbreitete.
»Ihr Schweine!«, krächzte Parkers Stimme hinter der Deckung.
Ich schob blitzschnell neue Patronen in die Trommel des 38ers. Phil warf die zweite Handgranate. Parker fing zu husten an. Ich duckte mich neben meine Couch und wartete. Lange konnte er es nicht aushalten. Niemand hält das aus. Nicht einmal, wenn er weiß, dass der elektrische Stuhl auf ihn wartet.
Das Gas breitete sich in milchig grauen Schwaden aus. Parker hustete jetzt ununterbrochen. Aber er begann plötzlich wieder, zu schießen. Die Kugel schlug in die obere Türleiste. Wahrscheinlich konnte er vor Tränen nichts mehr sehen. Ich lag auf der Lauer.
Er kam. Er wollte über die Couch springen und landete auf der linken Seitenlehne. Hustend, keuchend, mit tränenden Augen rappelte er sich wieder auf, schoss in die völlig falsche Richtung – die Kugel landete in der Wand zwischen den beiden Fenstern – und torkelte ins Zimmer herein. Ich wartete, bis die Entfernung zwischen uns nur noch drei Schritte betrug.
Leise stand ich auf, huschte geduckt zu ihm hin und griff dann mit beiden Händen zu. Ich riss seinen rechten Arm hoch und wieder herab. Sein Handgelenk dröhnte auf meine vorschnellende Kniescheibe. Parker krächzte wie ein Mann, der kurz vor dem Erstickungstod steht. Aber er ließ seinen schweren 45er Revolver nicht los.
Ich riss ihm den Arm herum und bog ihn hoch. Endlich spreizten sich seine Finger. Der Colt polterte schwer auf den Boden.
Die Gläser meiner Gasmaske beschlugen. Trotzdem erkannte ich undeutlich Phil, der von links her aufkreuzte und mit einem geübten Griff die Handschellen an Parkers linkem Handgelenk einschnappen ließ.
Wir schoben ihn vor uns her hinaus in den Flur. Dort übernahm Steve Phils Stelle, während mein Freund zurück ins Zimmer lief, um die Fenster aufzureißen. Parker trat um sich. Ich drückte ihm den rechten Arm auf den Rücken, bis wir die zweite Zange der Handschellen um Parkers Rechte schließen konnten. Ich ließ ihn los und zerrte mir die Gasmaske vom Kopf. Schweiß lief mir über Stirn und Wangen. Schwer atmend sah ich zu, wie Steve Parker mit einer einzigen Hand daran hinderte, trotz allem noch einen Fluchtversuch zu unternehmen.
»Wenn Sie jetzt nicht vernünftig werden, Parker, kriegen Sie die Knebelkette«, knurrte Steve. »Dann werden Sie zahm, verlassen Sie sich drauf!«
Ich wischte mir mit dem Taschentuch übers Gesicht. Parkers Tränenstrom versiegte allmählich, aber seine Augen waren jetzt so stark gerötet und geschwollen, dass man die Pupillen kaum erkennen konnte. Und sein Atem ging nach wie vor heftig und geräuschvoll.
»Anthony Gordon Parker«, sagte ich, um den gesetzlichen Vorschriften Genüge zu tun. »Ich verhafte Sie aufgrund des gegen Sie erlassenen Haftbefehles. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass alles, was Sie von jetzt an tun oder sagen, gegen Sie verwendet werden kann.«
Er gab ein Grunzen von sich, das nichts Besonderes auszudrücken schien. Steve Dillaggio führte ihn zusammen mit den anderen Kollegen, die er aus den Zimmern rechts und links herausgeholt hatte, den Flur entlang zum Lift. Sie würden den Lastenaufzug benutzen, damit sie nicht mit dem gefesselten Mann durch die Hotelhalle mussten. Hotels wissen Diskretion zu schätzen, und wir andrerseits wissen das Wohlwollen von Hotelgeschäftsleitungen zu schätzen.
»Durchsuchen wir sein Zimmer«, schlug ich vor, als die Kollegen mit Parker in den Lastenaufzug stiegen.
Phil nickte, gähnte und schob sich den Hut ins Genick. Auch mich durchflutete eine Woge der Müdigkeit, wie jedes Mal, wenn die Anspannung plötzlich nachlässt. Wir gingen in Parkers Zimmer zurück. Durch die weit aufgerissenen Fenster war das Tränengas längst abgezogen, aber der Geruch von verbranntem Schießpulver hing immer noch in der Luft.
Erst jetzt kamen wir dazu, uns sein Zimmer richtig anzusehen. Es glich in der Möbeleinrichtung ein wenig dem Apartment, aus dem ich die deutsche Sängerin herausgeholt hatte, war aber etwas kleiner.
Phil stieß einen leisen Pfiff aus, während er die Fäuste in die Hüften gestemmt hatte und sich bewundernd umsah. »Parker muss verdammt gut bei Kasse sein, wenn er sich so ein Luxusnest leisten kann.«
»Stimmt«, gab ich zu. »Und wir werden ihn deshalb gründlich vernehmen müssen. So groß war die Beute seiner Überfälle nicht, dass er jetzt noch im Geld schwimmen könnte. Er muss unterwegs irgendwo eine Quelle angebohrt haben, und es wird unsere Aufgabe sein, herauszufinden, welche.«
»Das sollten unsere Vernehmungsspezialisten tun«, brummte Phil und hielt mir seine Zigarettenschachtel hin. »Die haben mehrere Möglichkeiten, einen Mann zum Reden zu bringen. Und ich wette, dass Parker verschlossen sein wird wie eine Auster, wenn wir mit ihm anfangen.«
»Wir werden ja sehen. Ich beginne hier im Wohnzimmer. Nimm du dir die anderen Räumlichkeiten vor.«
»Okay, Jerry.«
Wir machten uns an die Arbeit. Wir hatten bei Parker nichts Bestimmtes zu suchen. Natürlich hätten wir uns gefreut, wenn wir die Mordwaffe entdeckt hätten, jenes Rohr mit der sechskantigen Verdickung am Ende, aber ich rechnete nicht damit, dass Parker dieses verräterische Instrument in sein Hotelzimmer mitgeschleppt hatte. Also galt es, andere Gegenstände in Betracht zu ziehen, ob sie vielleicht ein Beweismittel darstellen konnten. Und aus eben diesem Grund blieb uns nichts anderes übrig, als alles sehr gründlich zu untersuchen.
In einer Reisetasche fand ich einen grünen Augenschirm. Manche Tankwarte tragen solche Dinger, wenn die Sonne draußen zu grell auf die chromblinkenden Wagen scheint. Ich berührte den steifen Zelluloidschirm deshalb nur an den Kanten. Vielleicht hatte er einmal dem Tankstellenpächter gehört, den Parker ermordet hatte.
Die Zeit kroch träge dahin. Ich hörte Phil im Bade- und anschließend im Schlafzimmer kramen. Nachdem ich eine Kommode und ein Schränkchen durchsucht hatte, kippte ich den Papierkorb neben dem Schreibtisch aus. Behutsam zupfte ich jedes zerknüllte Papier auseinander. Eine leere Kekspackung, ein paar zerdrückte Zigarettenschachteln, eine Willkommenskarte des Hotels mit einem Bon für einen Begrüßungscocktail in der Bar und eine Liste von renommierten Nachtlokalen schob ich zur Seite. Für unsere Zwecke waren sie belanglos.
Ein leeres Zündholzheftchen klappte ich auf, wie man es mir in Quantico beigebracht hatte. Und wieder einmal zeigte sich, warum beim FBI pedantischste Gründlichkeit betrieben wird, die sich denken lässt.
Es war ein Zündholzheftchen mit dem Werbeaufdruck des Hotels. Als Beweismittel gegen Parker kam es somit nicht in Frage. Und trotzdem wurde es ein Fund, dessen Bedeutung ich in diesem Augenblick nicht einmal ahnen konnte: Auf der Innenseite des Deckels stand eine New Yorker Telefonnummer: MU 4-0040.
2
Wie schlecht sie lügt, dachte Robert McPherson und sah seiner Frau nach, als sie noch einmal im Badezimmer verschwand, um sich die Hände zu waschen. Freundin in der Stadt besuchen! Und dazu steht sie morgens um sechs auf, damit sie um sieben abfahren kann. Um eine Freundin zu besuchen. Für wie dämlich hält sie mich eigentlich?
Er zündete sich eine Zigarette an und betrachtete das benutzte Frühstücksgeschirr. Sonst gab es immer Rühreier zum Frühstück. Heute natürlich nicht. Seine Frau hatte es eilig.