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Die Lage des Camps war geheim. Hier bildete die Army ihre fähigsten Männer aus. Mit eiserner Härte wurden sie zu Elitesoldaten gedrillt. Phil und ich machten alles mit - vom Nachtmarsch im Dschungel bis zum Manöver mit scharfer Munition. Wir gingen schon auf dem Zahnfleisch. Aber wir gaben nicht auf. Wir hatten einen Job zu erfüllen. Denn es gab Killer im Camp ...
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Seitenzahl: 199
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Killer-Camp
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Biloxi Blues«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5840-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Killer-Camp
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Sie hatten im versumpften Dschungelgelände acht Meilen zurückgelegt mit Sturmgepäck und der übrigen Kampfausrüstung, bei vierunddreißig Grad im Schatten. Sie hatten nicht rauchen und nicht sprechen dürfen, und ihre Stimmung war auf dem Nullpunkt angelangt.
Als Master Sergeant Ray Crowley endlich den Befehl zur Rast gab, ließen sich die Männer fallen, wo sie gerade standen. Sie waren viel zu erschöpft, um sich erst lange umzusehen nach Schlangen, Taranteln oder anderem Viehzeug, von dem es hier wimmeln musste.
»Hinlegen und Schnauze halten!«, krächzte Crowley. »Raucherlaubnis. White: Wache zehn Schritt zurück. Billerman: dasselbe zehn Schritt voraus. In fünf Minuten Ablösung durch Usher und Peerce!«
Usher zerquetschte eine kleine Schlange unter dem Gewicht des Granatwerfers, den er schleppen musste. Jimmy Peerce zupfte an den nassen Sachen, die ihm am Körper klebten. Peerce hatte den Tümpel durchschwommen, damit der Rest der Gruppe das sumpfige Gewässer an einem von ihm gespannten Nylonseil überqueren konnte.
»Gib mir eine Zigarette«, sagte Jimmy zu Vandetta.
Crowleys ohnedies von Hitze und Strapazen gerötetes Gesicht lief noch dunkler an.
»Eines Tages mach ich dich zur Sau, Peerce«, krächzte er wütend. »Ich habe gesagt: Schnauze halten! Keine Redeerlaubnis! Das gilt auch für dich, du verdammtes Muttersöhnchen!«
Corporal Andrew White, auf dem Weg zu seiner Wache, blieb stehen. Er war fahlgelb im Gesicht. Vielleicht würde er bald einen Malariaanfall bekommen. Seine Hände zitterten schon. Trotzdem sprang er dem zweiundzwanzigjährigen Jimmy Peerce bei.
»Hör endlich auf, Peerce zu schikanieren, Crowley!«, krächzte er ebenso heiser. »Erst hetzt du ihn durchs Wasser, ohne dass er sein Gepäck ablegen darf, dann schreist du ihn an, weil er sich ’nen Glimmstängel geben lässt.«
Crowley war größer als jeder andere, er war schwerer als jeder andere, und er war der Sergeant. Er war der Führer dieser Gruppe, und er gedachte nicht, es sich aus der Hand nehmen zu lassen.
»Du hältst die Schnauze, verdammt noch mal!«, brüllte er rau. »Oder ich schlag dir die Fresse mit dem Revolver ein! Niemand hat von diesem Muttersöhnchen verlangt, dass es zu uns kommen soll. Warum ist er nicht bei seinem Daddy in der Wall Street geblieben, hä? Das ist kein Kindergarten für Millionärssöhne. Dies ist ein Camp, in dem die härtesten Männer der Welt ausgebildet werden sollen. Und ich bin immer noch der Sergeant. Wenn ich befehle, dass die Schnauze gehalten wird, dann haltet ihr die Schnauze, und wenn ihr dabei krepiert! Oder gibt’s hier einen, dem das immer noch nicht klar ist?«
Corporal White hob den Lauf seiner Tommy Gun. Es mochte zufällig erscheinen.
Aber er war jetzt blass wie ein vergilbter Fußlappen. Und ebenso fleckig.
»Spiel dich nicht ständig auf, Crowley«, sagte er zornig. »Der Letzte, der hier ein Muttersöhnchen ist, wäre Peerce.«
»Scheinst ihn aber sehr in dein Herz geschlossen zu haben«, krächzte Crowley und vergaß vor Wut sein eigenes Sprechverbot. »Steckt er dir ab und zu von seinem lieben Daddy ’nen Scheck zu? Oder magst du nur ganz einfach Millionärssöhne?«
In Cuttings Gesicht zeigten sich rote Flecken. »Ich mag nur deine verdammten Ungerechtigkeiten nicht«, knurrte er. »Peerce war Lieutenant bei den Marines. Du weißt so gut wie ich, dass bei denen keiner Gefreiter wird, wenn er’s nicht verdammt verdient hat. Er hätte Lieutenant bleiben können, statt hier wieder Schütze Arsch zu spielen. Schreib dir’s endlich mal hinter die Ohren, dass du zwar unser Sergeant, aber nicht der liebe Gott bist! Hier hast du meine Zigaretten, Peerce.«
Jimmy Peerce hatte schweigend zugehört. Seine Lippen waren fest aufeinandergepresst. Seit er denken konnte, hatten sie ihm seinen Vater vorgehalten. Er spuckte aus. Manchmal war es wirklich zum Kotzen.
White begab sich auf seinen Posten, nachdem er ausgesprochen hatte, was ihm seit Langem auf der Seele lag. Crowley knurrte noch etwas, dann ließ er sich wieder neben seinem Sturmgepäck auf den Boden fallen, schob sich den Stahlhelm bis zur Nasenspitze ins Gesicht und fing umgehend an zu schnarchen. Die anderen schliefen längst. Nach fünf Minuten riss Jimmy Peerce all seine Energie zusammen, um auf die Füße zu kommen und Nicky Billerman abzulösen. Natürlich hatte Billerman es sich bequem gemacht. Er lag im Schatten eines Urwaldriesen und schlief.
Peerce stieß ihn mit dem Fuß an. Der kleine Billerman fuhr auf.
»Ach, du bist’s, Peerce«, sagte er leise. »Ich fürchtete schon, es wäre Master Gangster Crowley.«
»Dann könntest du dir gratulieren«, erwiderte Peerce leise, lehnte sich gegen den Baum und fuhr sich mit dem nassen Ärmel über das schweißnasse Gesicht. »Auf Posten schlafen! Du musst verrückt sein.«
»Im Gegenteil«, kicherte Billerman. »Weil ich normal bin, haltet ihr Verrückten mich für verrückt. Redeverbot! Als ob’s außer Schlangen und vielleicht ein paar süßen Alligatoren hier irgendwen gäbe, der uns verstehen könnte.«
»Hau ab zum Haufen, bevor Crowley kommt«, sagte Peerce. Er zog für alle Fälle das Buschmesser und beobachtete gelassen die armdicke Riesenschlange, die sich keine fünf Schritt entfernt langsam durch das Gras und die Farnkräuter schob.
Billerman gab noch schnell einen zotigen Witz von sich, bevor er sich verdrückte. Fünf Minuten lang war Jimmy Peerce allein mit den Geräuschen des Dschungellebens. Dann kam von hinten die Stimme von Crowley. Geräusche des Aufbruchs wurden laut. Peerce kehrte zur Gruppe zurück.
»Herhören!«, befahl der Sergeant. »Vor uns wird es wieder sumpfig werden. Stellenweise ist die begehbare Strecke nicht breiter als einen halben Yard. Der vorderste Mann muss mit einem Stock festen Boden ertasten. Die hinteren treten genau in seine Fußstapfen. Wer vom Weg abkommt, kann leicht einsinken. Also nehmt euch zusammen! Weiterhin Sprechverbot, Rauchverbot! Setzt euch in Trab! Reihenfolge wie bisher. Peerce übernimmt die Nachhut.«
Soll mir recht sein, dachte Jimmy Peerce. Ich marschiere lieber zwanzig Schritte hinter dem Haufen her als ständig unter Crowleys Augen. Er ist und bleibt nun mal der größte Misthund, der mir je bei der Armee zu schaffen gemacht hat.
Eine knappe Viertelstunde später dachte Peerce nichts mehr. Die Erschöpfung hatte sein Hirn in eine heiße, inhaltslose Masse verwandelt, in der jeder Pulsschlag ein schmerzhaftes Echo fand. Keuchend in der Hitze und unter dem lastenden Sturmgepäck taumelte Peerce der Gruppe nach.
Die Spur der Männer war nicht immer leicht zu finden. Manchmal war der schmale Sumpfpfad von brackigem Wasser überspült, sodass man auch die Tritte der Vorangehenden nicht mehr erkennen konnte. Zum Glück tauchte die Spur aber immer wieder auf. Man musste sich nur eine Verbindungslinie zwischen dem letzten und dem nächst sichtbaren Fußstapfen zu denken zu brauchen, um den wahrscheinlichen Verlauf des Pfads zu haben. Und dennoch kam Jimmy Peerce vom Weg ab. Er spürte es in seiner schon an Fieber grenzenden Erschöpfung erst, als er den rechten Fuß nicht mehr freibekam.
Eine Minute kämpfte und zerrte er verzweifelt, nur um schließlich zu entdecken, dass er in der kurzen Zeit bereits bis zu den Knien eingesunken war.
»Sarge«, rief er laut und begann, sein Sturmgepäck fortzuwerfen, um sich leichter zu machen. »Sarge! Ich sacke weg! Hilfe!«
Er zerrte mit aller Kraft, aber er sank nur noch tiefer ein. Seine nächsten Hilferufe waren gellender. Als Sergeant Crowley endlich, nur sechs Schritt entfernt, im Unterholz auftauchte, stand Peerce das Wasser bereits bis an die Brust.
Aber Crowley blieb stehen. »Habe ich Redeverbot gesagt?«, krächzte er.
»Hol mich raus, verdammt noch mal! Leck mich doch am Arsch mit deinem Redeverbot! Siehst du denn nicht, dass ich versaufe?«
Peerce spürte, wie der Schweiß auf seiner Stirn kalt wurde. Es war, als hingen an seinen Füßen Zentnergewichte, die ihn unaufhaltsam in die schwarzbraune, dickflüssige Brühe zogen, die ihm bald schon bis zu den Schultern reichte. Crowley kam zwei kümmerliche Schritte näher. Er stemmte die Fäuste in die Hüften.
»Schnauze!«, brüllte heiser.
»Crowley!«, rief Jimmy Peerce mit einer Stimme, die sich vor Panik überschlug. »Crowley, hol mich raus! Los! Verflucht, du Schwein kannst mich doch nicht hier verrecken lassen!«
Crowley beugte sich vor. Seine Augen hatten sich zusammengezogen. »Du sollst die Schnauze halten!«, brüllte er.
Jimmy Peerce schrie, bis ihm das Wasser in den Mund lief. Eine Minute später tauchte Master Sergeant Ray Crowley im Laufschritt bei der Gruppe auf.
»White, Usher, kommt mit zurück!«, rief er. »Ihr anderen halt! Peerce ist versoffen!«
Sie schufteten eine halbe Stunde lang, bis sie seinen Körper geborgen hatten. Helfen konnte ihm niemand mehr. Jimmy Peerce war tot.
***
»Wo ist die Ehrenkompanie?«, fragte mein Freund und Dienstpartner Phil Decker, als wir in Washington aus dem Flugzeug stiegen. »Wo sind die jubelnden Ehrenjungfrauen? Wo steht der Bürgermeister mit dem Empfangskomitee?«
Ich griff nach Phils linkem Handgelenk und blickte dabei auf meine Armbanduhr. Dann schüttelte ich sehr ernst den Kopf.
»Wenn du noch irgendwelche letzten Wünsche hast, Phil«, sagte ich düster, »sprich sie aus, bevor’s zu spät ist!«
Wir waren die letzten Passagiere, und die Stewardess schien unsere Unterhaltung mitbekommen zu haben. Sie war ein hübscher rothaariger Satan mit grün blitzenden Augen und einer Figur – na ja, eben einer Figur, bei der man nur noch an ihre Figur denken konnte.
»Um Gottes willen, Sir«, sagte sie, »soll ich einen Arzt holen?«
Ich schüttelte todernst den Kopf. »Der kann meinem Freund auch nicht mehr helfen. Komm, Phil, armer Junge! Wir wollen kein Aufsehen erregen.«
Ihn ritt der Teufel. Er wandte sich an die Stewardess und verbeugte sich mit spanischer Grandezza.
»Vielleicht möchten Sie mir Ihre Telefonnummer geben?«, fragte er. »Für den Fall, dass ich ein paar Ölquellen zu vererben habe?«
Die Kleine reichte ihm knapp bis zum Hals. Als sie ihren rassigen Kopf mit dem Stubsnäschen hob, war sie dennoch achtundneunzig Pfund Würde und nichts anderes.
»Ihr Freund scheint recht zu haben«, verkündete sie hoheitsvoll. »Ihnen ist wirklich nicht zu helfen.«
»Au Backe«, sagte ich grinsend. »Noch keine zwei Minuten in unserer lieben Regierungshauptstadt und du hast schon die erste Niederlage einstecken müssen. Wenn das so weitergeht, wird es ja ein kurzweiliger Aufenthalt.«
»Wie soll man bei einer Frau Erfolg haben, wenn du neben einem stehst?«, knurrte Phil. Er griff nach seinem Leichtmetallkoffer und trabte los.
Ich schlenderte hinter ihm her. Es war früher Nachmittag, die Sonne schien, wir hatten erst vorgestern Gehalt bekommen, lauter Gründe, sich die Laune nicht verderben zu lassen.
Wir nahmen ein Taxi.
»Justizministerium«, sagte ich zu dem dunkelhäutigen Fahrer. »FBI-Hauptquartier.«
Anscheinend hatten sie an diesem Tag alle ihre humorvollen Minuten. Der junge Fahrer sah uns flüchtig an, dann schüttelte er den Kopf.
»Zwecklos, Jungs«, sagte er. »Die nehmen beim FBI kein vorgerücktes Mittelalter. Außerdem setzen sie eine gewisse Intelligenz voraus.«
»Mit unsrer Jugend wird’s auch immer schlimmer«, meinte Phil. »Frikassieren wir ihn, oder essen wir ihn roh?«
»Ich gebe ihm noch eine Chance«, erwiderte ich großzügig. »Denk an die Woche der Brüderlichkeit, Phil. Wenn er binnen zwanzig Minuten seine lahme Mühle vors Portal des FBI bringt, lasse ich ihn leben.«
»Na, dann haltet euch mal schön fest«, riet der Fahrer. »Und schreit nicht gleich nach Mummy, wenn mal die Reifen quietschen.«
Die quietschten schon, als er anfuhr.
Nach einer Minute schloss ich die Augen und fragte meinen Freund: »Phil, was steht hier eigentlich auf Doppelmord?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Phil. »Aber viel kann’s nicht sein.«
Der Junge brach sämtliche Rekorde, ohne sich auch nur ein Strafmandat einzuhandeln. Als wir ausstiegen, ging ich zweimal um ihn herum und besah ihn mir gründlich. Er griente stillvergnügt vor sich hin.
»Sieh ihn dir an, Phil«, sagte ich. »Noch ist er am Leben. Der Todesfahrer von Washington.«
Wir entlohnten ihn mit einem angemessenen Trinkgeld, ergriffen unsere Koffer, stiefelten durch das riesige Gebäude, ließen uns von einer Vorzimmerdame anmelden und standen schließlich im Office von Gerald Harriwell.
Harriwell ist einer der sieben Assistant Director des FBI, und man sieht es ihm an. Er trug einen dunkelblauen, einreihigen Anzug mit einer dezent gestreiften Krawatte zu dem blütenweißen Hemd. Sein scharfgeschnittener Kopf wurde von einer dichten, kurz geschorenen eisengrauen Haarpracht gekrönt. Die lichtblauen Augen blickten wachsam.
»Guten Tag«, sagte er, während er nur kurz von der Unterschriftenmappe aufblickte, die er durchblätterte. »Nehmen Sie, bitte, Platz. Ich bin gleich so weit.«
Er überflog die Schreiben, zeichnete sie ab, drückte einen Knopf und gab seiner Sekretärin die Unterschriftenmappe zurück. Wir waren auf seinen eigenen Befehl hin von unserer New Yorker Dienststelle in Marsch gesetzt worden und sahen ihn erwartungsvoll an.
»Wie stehen die Dinge in New York?«, fragte er.
»Alles okay, Sir«, erwiderte Phil.
Harriwell nickte. Plötzlich stand er auf. »Hatten Sie einen guten Flug?«, wollte er wissen.
»Ja, Sir«, sagte ich. Er schmunzelte. »Eure Art zu reden wird euch in den nächsten Tagen vermutlich nützlich sein«, meinte er. »Ich meine dieses militärisch kurze ›Ja, Sir!‹ und ›Alles okay, Sir‹.«
Ich tat, was alle Kriminalbeamten tun, wenn sie überhaupt nichts mehr verstehen. Ich sagte: »Aha.«
»Kommen Sie«, forderte Harriwell. »Wir fahren zusammen hinüber.«
Phil warf mir einen heimlichen Blick zu. Ich zuckte mit den Schultern. Als was auch immer sich dieses Hinüber entpuppen sollte, ich war fest entschlossen, mir nicht die gute Laune verderben zu lassen. Natürlich hatten sie irgendeinen Auftrag für uns, sonst hätten sie uns nicht kommen lassen. Aber schlimmer als in New York konnte es hier auch nicht kommen. Die Gangster bei uns sind so leicht nicht zu überbieten. Dachte ich wenigstens.
Die Organisation des FBI klappte wie gewohnt. Als Harriwell mit uns das Gebäude durch einen Hinterausgang verließ, rollte fast lautlos eine schwarze Limousine heran, und wir kletterten hinein. Unterwegs stellte Harriwell ein paar Fragen über in New York anstehende Kriminalfälle, und wir beantworteten sie ihm, soweit wir die Fakten kannten. Harriwell zeigte wieder einmal, dass die Zentrale überraschend gut auf dem Laufenden ist. Nach einer verhältnismäßig kurzen Fahrt rollten wir auf einen Gebäudekoloss zu, der uns wie allen Zeitungslesern der ganzen Welt ein Begriff ist: Das Fünfeck des Pentagon wuchs vor uns in die Höhe, das Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten.
Den ersten Stopp erlebten wir durch einen stämmigen Corporal der Militärpolizei, der unsere Ausweise zu sehen wünschte. Harriwell zeigte wie wir den Dienstausweis des FBI vor.
Der Corporal war nicht beeindruckt. »Wohin möchten Sie?«
»General Batton erwartet uns«, sagte Harriwell.
»Einen Augenblick, Sir.« Der Corporal verschwand in einer Glaskabine, ließ uns aber nicht eine Sekunde aus den Augen, während er mit irgendwem telefonierte. Als er wieder herauskam, meinte er, dass all in Ordnung sei. Ob wir einen Begleiter wünschten.
»Das ist nicht nötig, danke«, sagte Harriwell. »Ich kenne den Weg.«
»Bitte, Sir!«
Wir nickten zu seinem strammen Gruß und trabten brav hinter Harriwell her. Offenbar gerieten wir in eine zweite Sicherungskette, denn am Eingang zu einem langen Flur wollte plötzlich ein kleiner, drahtiger Lieutenant der Militärpolizei erneut unsere Ausweise sehen. Gehorsam griffen wir wieder in die Jacketts.
Plötzlich runzelte der Lieutenant die Stirn. »Sie sind bewaffnet?«, fragte er mich.
»Denken Sie mal an«, sagte ich und steckte meinen Dienstausweis wieder ein. Offenbar hatte er den 38er Smith & Wesson unter meinem Jackett im Schulterholster bemerkt.
»Tut mir leid«, sagte der Lieutenant. »Ich muss Sie bitten, Ihre Waffen bei mir zu hinterlegen, bis Sie das Haus verlassen.«
Ich warf Harriwell einen fragenden Blick zu. Aber der grinste plötzlich hinterhältig, zuckte mit den Schultern und machte eine Geste, als ob er sagen wollte: Bitte, das sind eure Bohnen.
Ich schüttelte den Kopf. »Wenn Sie einen G-man im Dienst den Revolver abnehmen wollen, Lieutenant, dann müssen Sie ihn schon vorher umbringen«, erwiderte ich. »Pentagon hin, Militärpolizei her.«
Ich weiß nicht, ob er sich aufspielen wollte. Jedenfalls sagte er lauter, als nötig war: »Geben Sie mir sofort Ihren Revolver!«
Ich zeigte mit dem Daumen auf Harriwell: »Sagen Sie ihm, er soll’s uns sagen! Dann kriegen Sie ihn. Vorher nicht.«
Ein paar Schritte entfernt ging eine Tür auf. Ein hagerer Mann von etwa fünfzig Jahren kam heraus. Er trug eine Armyuniform und sah verdammt nach einem General aus. Jedenfalls nach einem hohen Tier in diesem Riesenkasten, in dem es von hohen und höchsten Tieren nur so wimmelte.
»Was ist denn los, Snyder?«, fragte der General und musterte uns interessiert. »Ach, Sie sind’s Harriwell. Das sind dann wohl die beiden Agents, über die wir uns kürzlich unterhalten haben. Angenehm, Gentlemen. Lassen Sie nur, Snyder, es ist schon gut.«
Der Lieutenant bekam einen roten Kopf und grüßte stumm, während uns der General höchstpersönlich die Tür aufhielt. Phil gab mir einen leichten Stoß mit dem Ellenbogen, als ob er sagen wollte: Wie gefällt dir mein Portier?
Das Zimmer war nüchtern eingerichtet. Ein Bild des Präsidenten an einer, die Flagge der USA vor einer anderen Wand. Ein von Akten überladener Schreibtisch, ein niedriger Rauchtisch und drei Sessel, ein Schreibtischstuhl und ein kleiner Stahlschrank mit einem Kombinationsschloss bildeten die ganze Einrichtung.
Neben dem Schreibtisch stand ein dicklicher Offizier mit einem roten Gesicht und schütterem, flachsblondem Haar.
Harriwell übernahm die Vorstellung. Der General hieß Batton, der Dicke war Colonel Scott. Wir setzten uns, während der Colonel neben dem Schreibtisch stehen blieb, als gehörte er zur Einrichtung.
»Tja«, sagte Batton, »ich weiß nicht recht, Agent Cotton und Agent Decker, wie ich anfangen soll. Unser Vorhaben ist … äh … etwas ungewöhnlich.«
Phil hatte seinen mutigen oder vielleicht auch nur kaltschnäuzigen Tag. »Wissen Sie, General«, sagte er, »wir sind schon seit einigen Jahren beim FBI.«
Batton runzelte die Stirn und sah seinen Colonel hilfesuchend an. Offensichtlich hatte er nicht begriffen, was Phil hatte andeuten wollen.
Harriwell kam ihm zu Hilfe. »General Batton«, sagte er betont. »Diese beiden sind die besten G-men, die wir für Ihren Zweck zur Verfügung stellen können. Sie haben sich längst in einer Reihe von Sondereinsätzen hervorragend bewährt. Ich möchte sagen, dass das Ungewöhnliche zu ihrem Alltag und zu ihrem Handwerk gehört.«
»Vielen Dank, Director Harriwell«, sagte Phil und stieß mich an. »Na, habe ich’s dir nicht immer gesagt, dass ich der Größte bin?«
Battons Stirn legte sich noch mehr in Falten. Colonel Scott schluckte krampfhaft, hielt aber die Lippen fest aufeinandergepresst. Vielleicht war er in diesem Raum bisher andere Töne gewohnt.
»Tja, äh«, sagte Batton nach einer Weile. »Also die Sache ist so. Äh, Scott, erklären Sie erst einmal das Allgemeine.«
»Zu Befehl, General«, sagte der gutgenährte Colonel und wandte sich nun unmittelbar an uns. »Jede Army der Welt braucht heutzutage Spezialeinheiten«, fing er an.
»Warum nicht?«, meinte Phil großzügig. »Ich habe nichts dagegen.«
Scott war aus dem Konzept gebracht. Ich fing einen warnenden Blick von Harriwell auf und gab Phil mit dem Ellenbogen einen sanften Stoß, wozu ich mich passend räusperte. Er sah mich mit dem unschuldigsten Gesicht der Welt an.
»Bitte, fahren Sie doch fort«, sagte ich zu dem Colonel.
»Ja, natürlich. Also, wie gesagt, es geht um Spezialeinheiten. Bei uns gibt es mehrere solcher Gruppen. Die Männer, die dort Dienst tun, sind ausnahmslos Freiwillige, die von anderen Truppenteilen gekommen sind. Sie müssen sich vorher bereits als gute Soldaten bewährt haben. Sie müssen körperlich und geistig in Hochform sein. Dann erhalten sie die Spezialausbildung, die aus ihnen die härtesten und besten Soldaten der Welt machen soll. Soldaten, die sich in jeder Lage zu helfen wissen, die im Straßenkampf so gut sind wie im Guerillakrieg, die in der aussichtslosesten Lage zu überleben und anschließend wieder zu kämpfen verstehen.«
Ich nickte.
»Die Ausbildung soll gewissermaßen jeden Muskel an ihnen stärken, ihre Nerven eiskalt machen, ihre Kampfintelligenz so trainieren, dass sie gleichsam mit Reflexen zu handeln verstehen. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
»Ich denke schon«, erwiderte ich. »Sie wollen sagen, dass diese Ausbildung kein Honigschlecken ist.«
»Sehr richtig«, fiel der General ein. »Es ist die härteste Ausbildung, die Sie sich denken können. Aber sie ist ja kein Selbstzweck. Diese Männer werden an den gefährlichsten Brennpunkten der Welt mit den fantastischsten Himmelfahrtskommandos eingesetzt. Solche Aufgaben können sie nur erfüllen, wenn sie eine gnadenlos harte Ausbildung überstehen.«
»Ich verstehe, General«, sagte ich. »Und ich weiß nur, dass ich nicht zu diesen Burschen gehören möchte.«
Batton und Harriwell tauschten einen stummen Blick.
Dann stand der General auf. »Es ist mir peinlich, das sagen zu müssen, aber es bleibt mir keine andere Wahl. Aus einem Ausbildungscamp einer solchen Einheit sind Nachrichten zu uns gedrungen, die uns alarmiert haben. Verstehen Sie unseren Standpunkt recht: Wir haben klargemacht, dass die Ausbildung hart ist und sein muss. Aber Härte ist etwas anderes als Brutalität. Unfälle können vorkommen wie überall auf der Welt, aber es darf keinen Unfall geben, der verdächtig nach einem Mord riecht. Wir decken keine Banditen und keine Mörder.«
Jetzt wurde es interessant.
»Aber wie es scheint, gibt es solche Leute in diesem einen Camp«, fuhr der General fort. »Wir wissen es nicht. Überall, wo Soldaten sind, entstehen Latrinenparolen. Man kann nicht für jedes Gerücht gleich ein Militärgerichtsverfahren einleiten. Außerdem, unter uns, Gentlemen, kommt bei solchen Gerichtsverfahren auch nicht immer die ganze Wahrheit ans Licht. Eine Army ist nun einmal eine besonders strukturierte Gemeinschaft. In ihr gibt es Ehrgeizige, die vorankommen möchten und die schon deshalb manchmal Leute decken, auf deren Wohlwollen sie angewiesen sind. Aus Kameradschaft kann Kameraderie werden. Deshalb versprechen wir uns nichts von einem offiziellen Verfahren. Aber wir wollen, wenn es unsaubere Dinge in diesem Camp gegeben hat, auch nicht, dass sie andauern.«
»Ich verstehe«, sagte ich.
»Die Lage dieses Ausbildungscamps, viele dort vorhandene neuartige Waffen und das Ausbildungsschema sind geheim. Wir haben deshalb im Stab C IV lange gegrübelt, was wir tun sollen. Ich brachte den Vorschlag ein, zwei ausgesuchte Agents als Soldaten in dieses Camp einzuschleusen. Der Vorschlag wurde gebilligt. Director Harriwell hat Sie beide dazu auserwählt, und nach dem, was uns von Ihnen berichtet wurde, können wir frohen Herzens zustimmen.«
Ich tauschte einen Blick mit Phil.
»Verstehen Sie Ihren Auftrag: Sie sollen sehen, ob irgendetwas in diesem Camp nicht sauber und ordentlich zugeht. Wir wollen keine Kritik der harten Ausbildung dort – warum die so hart ist, wissen wir verdammt genau. Aber wir wollen, dass Sie uns helfen, die Army der Vereinigten Staaten von Sadisten oder was weiß ich welchen unangenehmen Zeitgenossen zu säubern, falls es sie in diesem Camp geben sollte. Und deshalb werden Sie nach einigen Vorbereitungen nachts zu diesem Camp geflogen, um dort als gewöhnliche Soldaten in die Spezialeinheiten einzutreten. Tja, äh, das wär’s in groben Zügen, nicht wahr, Scott?«
»Ja, General.«
Batton streckte uns die Hand hin. »Damit wären Sie praktisch also jetzt Soldaten«, sagte er. »Ich gratuliere Ihnen!«
Phil sah mich an wie ein sterbendes Reh. »Warum hat dieser verrückte Rennfahrer mit seinem Taxi nicht einen hübschen, netten kleinen Unfall gebaut?«, murmelte er verzweifelt.
»Die Burschen in diesem Camp«, verriet Batton jetzt leutselig, »bekommen übrigens einen Sondersold, der gar nicht so übel ist.«
»Bitte, kein Pflaster auf die offene Wunde«, sagte ich und seufzte.
»Der Sold wird euch sowieso vom Gehalt abgezogen«, meinte Harriwell trocken.
»Sie werden jetzt«, ergänzte der Colonel diesen liebenswerten Plan, »zur General-Sherman-Kaserne gebracht.«
»Na, den Namen habe ich doch schon mal gehört«, knurrte Phil.
»Klar«, sagte ich mit einem Anflug von Galgenhumor. »Das ist doch der Erfinder des berühmten Panzers.«