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"Hallo, Phil", rief Mr High freundlich.
Phil Decker gab keine Antwort. Ich muss ihn töten, dachte er. Noch fünf Schritte. Dann riss Phil den Revolver aus der Manteltasche, legte auf Mr High an und zog durch.
Bei dieser unfassbaren Tat stand mein Freund und Partner unter dem Einfluss einer neuen Droge, die ihm ihr Entdecker injiziert hatte. Er befand sich im Todesrausch ...
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Seitenzahl: 194
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Todesrausch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Welcome to Fear«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-5925-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Todesrausch
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
»Ein Jammer, dass Sie sterben müssen«, sagte die junge Frau zu mir. Sie lächelte dabei. Das Lächeln vertiefte ihre Mundwinkel und legte einen Schleier von düsterer Melancholie in ihre sherryfarbenen Augen. Sie war hübsch. Nur hielt sie eine Pistole in der Rechten, und das gefiel mir nicht so gut.
»Legen Sie das Ding aus der Hand!«, verlangte ich. »Sie sind explosiv genug, um auch ohne Kanone auszukommen.« Ich begriff ihre Drohung nicht, denn ich sah die Frau zum ersten Mal.
Es war ein lohnender Anblick: lange, schlanke Beine mit Rassefesseln, seidenweiches rotblondes Haar, ein lockender Mund und Körperrundungen dort, wo Männer sie zu sehen wünschen.
»Sie können sich trösten«, meinte die Frau spöttisch. »Jedem Tod folgt eine Wiedergeburt.«
Eine Verrückte? Ich wusste nicht, worauf sie hinauswollte. Verwechselte sie mich mit einem anderen? Wenn sie jetzt abdrückte, würde ich vermutlich über die Kühlerhaube meines Jaguars fallen.
»Wissen Sie überhaupt, wer ich bin?«, fragte ich.
»Agent Cotton vom FBI«, antwortete sie. »Das wird bleiben: Ihr Name, Ihr Beruf und Ihre Fähigkeit, mit tödlichen Waffen umzugehen.« Sie hatte eine angenehme Stimme, dunkel und ein wenig traurig.
Im nächsten Moment drückte die junge Frau ohne weitere Vorwarnung ab. Die Waffe bewegte sich in der schmalen Mädchenhand wie etwas Lebendiges, wie ein sich aufbäumendes Tier. Sie schoss noch einmal.
In meinen Augen brannte es. Ich spürte einen widerlichen ätzenden Geruch und hatte plötzlich die Gewalt über meinen Körper verloren. Ich brach zusammen und wurde bewusstlos.
***
Ich öffnete die Augen. Die Zimmerdecke über mir war von leuchtendem Grün. Ich drehte den Kopf zur Seite und entdeckte, dass es in diesem Raum Dinge gab, die sich nicht in das Schema meiner Erinnerungen einfügen ließen.
Die Möbel zum Beispiel. Sie waren so futuristisch wie die Kulisse eines Science-Fiction-Films. Plastik und Stahl, Farben von knalliger Kraft, Kontraste wie auf einem abstrakten Gemälde. Hinter einem gewaltigen Fenster sah ich den tiefblauen, wolkenlosen Himmel. Und dann die junge Frau! Sie saß vor einem chromblitzenden, etwa tischhohen Apparat, der mit vielen Hebeln, Knöpfen und Voltmetern ausgerüstet war.
Die junge Frau war ungefähr zweiundzwanzig Jahre alt. Sie hatte schwarzes, sehr kurz geschnittenes Haar und trug einen silberglänzenden Anzug, der den schlanken, wohlproportionierten Körper wie eine zweite Haut umspannte und am Hals in einem hochgeschlossenen Mao-Kragen endete. Die Frau passte in diese Marsmensch-Atmosphäre. Sie hatte keine Schuhe an den Füßen. Ich sah, wie sich die Zehen unter der dünnen Silberhaut krümmten, als sie einen Fußhebel des Apparats betätigte und damit einen starken Summton erzeugte, der sich sofort in einem Zittern der Voltmeternadeln niederschlug.
Meine Erinnerung kehrte mit einem Schlag zurück. Ich dachte an die rotblonde Frau in der Reparaturwerkstatt, wo ich meinen Jaguar abholen wollte. Sie hatte zweimal auf mich geschossen. Jetzt war es heller Tag. Wie lange war ich ohne Bewusstsein gewesen?
Die Rotblonde hatte von meinem Tod gesprochen. Und von meiner Wiedergeburt. Ich schob diese Gedanken beiseite und stellte fest, dass ich auf einer Pritsche lag, die mit synthetischem grünem Fell bezogen war.
Ich schluckte verblüfft, als ich entdeckte, dass ich keinen Fetzen am Leib hatte. Hilfe suchend schaute ich mich nach etwas um, womit ich meine Blöße bedecken konnte, aber in diesem Raum gab es weder Kissen noch Decken. Ich drehte mich auf den Bauch und kam mir auf komische Weise wie ein Baby vor, das auf einem Fell fotografiert werden sollte. Dabei spürte ich, dass die Situation keineswegs so albern war, wie es den Anschein hatte.
Die Frau wandte den Kopf und musterte mich aus großen veilchenblauen Augen, die ohne Ausdruck waren. Sie erhob sich und ging zu einem Metallschreibtisch, auf dem eine cremefarbene Gegensprechanlage stand. Bei jeder Bewegung schmiegte sich die dünne Silberhaut um den grazilen Körper.
»Es ist so weit«, sagte sie halblaut ins Mikrofon.
Ich beobachtete, wie die Frau zu dem seltsamen Apparat zurückkehrte und wieder davor Platz nahm. Sie legte einen Hebel um und notierte dann mit einem Kugelschreiber auf einem Papierblock die Werte, die die Voltmeter angaben.
»Wo bin ich?«, fragte ich.
Die Frau antwortete nicht.
Die Atmosphäre im Raum war so steril und klinisch-kühl, dass ich wütend aufstand. Ich schwankte ein wenig und lauschte in mich hinein, um festzustellen, welche Nachwirkungen meine lange Ohnmacht erzeugt hatte. Ich spürte, dass einiges nicht in Ordnung war, und entschloss mich, mit der Frau darüber zu sprechen. Ich trat hinter sie und spürte den Duft, der ihrem kurz geschnittenen Haar entströmte. Es war Arpège, ein nicht übertrieben teures Parfüm. Wer so roch, lebte nicht auf dem Mars. Ich tippte der Frau mit einem Finger auf die wohlgerundete Silberschulter. Sie zuckte zusammen und blickte mich an.
»Ich habe Sie etwas gefragt«, sagte ich und schaute gleichzeitig auf den Schreibblock, der auf ihrem Schoß lag. Das Papier enthielt ein paar Ziffernreihen, mit denen ich nichts anfangen konnte.
Die junge Frau wandte sich ab, ohne mir zu antworten. Sie legte einen Hebel um und drehte an einem Skalenknopf. Die Nadeln der Voltmeter begannen, zu tanzen, und kamen schließlich zum Stillstand. Die Frau machte eine weitere Eintragung. Ich hob die Hand, um ihr den Kugelschreiber und den Block aus den Fingern zu nehmen, aber in meiner Rechten war keine Kraft. Die Frau schob mich zur Seite wie einen lästigen Vorhang.
Ich spürte, wie eine fremde Furcht bis in meine Haarwurzeln kroch. Ich blickte an mir hinunter. Mein Körper zeigte keine sichtbaren Verletzungen.
Es gab für mein Hiersein nur eine Erklärung. Die rotblonde Frau hatte am Vorabend mit zwei Gaspatronen meine Entführung vorbereitet. Mit einer Spritze war meine kurze Betäubung in eine langwährende Ohnmacht verwandelt worden.
Möglicherweise hatte man mir in diesem Raum eine zweite Spritze verpasst, die dem Zweck diente, meine Muskelreflexe zu lähmen. Fest stand, dass ich Mühe hatte, meine Bewegungen zu kontrollieren. Zum Glück war mein Kopf völlig klar. Aber was halfen mir die Ideen, die er ausbrüten konnte, wenn mir die Kraft fehlte, sie in die Tat umzusetzen?
»Legen Sie sich wieder hin, bitte«, sagte die Frau kühl. »Er wird gleich kommen und Sie untersuchen.«
»Er?«, fragte ich.
»Mister Zirko«, antwortete sie und befasste sich schon wieder mit dem verdammten Apparat.
»Ist der Name von Zirkus abgeleitet?«, erkundigte ich mich gereizt. »Was soll der ganze Blödsinn? Wo sind meine Sachen?«
»Die erhalten Sie zurück, sobald die Untersuchung beendet ist«, antwortete sie.
Hinter mir öffnete sich die Tür. Ein Mann betrat den Raum. Ich wollte zum Fenster gehen, um einen Blick nach draußen zu werfen, aber der Anblick des Mannes stoppte mich.
Ich schätzte ihn auf vierzig. Seine hausbackene Kleidung bildete einen auffälligen Kontrast zur Modernität der Umgebung. Der verknitterte Anzug sah so aus, als hätte er schon die zehnte Saison hinter sich gebracht. Aus der Brusttasche ragten ein paar Kugelschreiber und Instrumente. Der schlecht gebundene Schlips zeigte ein Schottenkaro. Der markant intellektuelle Kopf des Mannes bot in gewisser Weise eine Erklärung für die allzu saloppe Kleidung. Männer mit wissenschaftlichem Ehrgeiz legen nur selten Wert auf modisches und gepflegtes Aussehen.
»Mister Zirko?«, fragte ich.
Er schaute mich nicht einmal an. Er schien mich gar nicht gehört zu haben. Erst jetzt sah ich die winzigen Schweißperlen auf seiner Stirn. Er atmete mit offenem Mund, als leide er an asthmatischen Beschwerden. Sein Blick klebte an der Frau mit der Silberhaut.
Die junge Frau, die ihm den Rücken zukehrte, setzte die Arbeit gelassen fort. Ich spürte die plötzliche Spannung, die mit dem Mann in den Raum getreten war, und ahnte, dass etwas Ungewöhnliches bevorstand. Der Mann wischte sich mit dem Handrücken über den hässlichen Mund. Am Kinn, das durch ein Grübchen geteilt war, blieb eine mattbraune Spur zurück. Ich sah, dass der Mann schmutzige, braun gefleckte Hände hatte. Sie zitterten stark.
Die Frau hob den Kopf. Sie blickte erst mich an und schaute dann zur Tür.
»Mister Zirko«, flüsterte sie. Ihre Stimme drückte ein deutliches Erschrecken aus.
Der Mann stieß sich vom Türrahmen ab. Er kam langsam auf sie zu, eher gleitend als schreitend, mit stark zur Seite geneigtem Oberkörper. Sein Gesicht war verzerrt. Er atmete jetzt keuchend und wirkte wie eine Frankenstein- Neuauflage.
Ich beobachtete das Geschehen eher amüsiert als engagiert. Ich vergaß sogar meine Nacktheit. Es hatte den Anschein, als sollte die Kette unerklärlicher Verrücktheiten um ein weiteres Glied bereichert werden. Als ich jedoch sah, wie der Mann seine zitternden Hände nach dem Hals der jungen Frau ausstreckte, war es mit meiner Gelassenheit vorbei.
»Mister Zirko!«, wimmerte sie und stand auf. Sie unternahm keinen Versuch, sich zu wehren. Die langbewimperten veilchenblauen Augen drückten Entsetzen und Verständnislosigkeit aus, aber auch eine fügsame Demut, für die ich keine Erklärung fand.
Der Mann legte die braungefleckten, knochigen Finger um den schmalen Frauenhals. Er drückte zu. Die Anstrengung ließ seine Schläfenadern deutlich hervortreten.
Ich schwankte sofort auf die beiden zu und versuchte, den Mann von der Frau wegzuzerren. Er schüttelte mich ab wie einen Regentropfen.
Ich stolperte zurück und hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben. Ich riskierte sofort einen zweiten Angriff. Die junge Frau ächzte hilflos, ihre Augen quollen aus den Höhlen. Sie hatte beide Hände erhoben und versuchte endlich, sich vom Würgegriff zu befreien.
Ich strengte mich so heftig an, die Frau vor dem Schlimmsten zu bewahren, dass meine Knie zu zittern begannen. Das Ergebnis meiner verzweifelten, wütenden Anstrengung war gleich null. Ich war so kraftlos wie ein feuchter Lappen.
Der Mann trat mit dem Fuß nach mir. Ich ging zu Boden. Das Aufstehen fiel mir so schwer, als müsste ich die Nordwand eines Dreitausenders erklimmen. Entsetzt bemerkte ich, wie die junge Frau die Augen schloss und wie der schlanke, silberglänzende Körper schlaff und leblos wurde. Der Mann löste die Hände vom Hals der Frau. Er ließ ihren Körper fallen und schob dann seinen Fuß beinahe zärtlich unter das dem Fußboden zugekehrte Frauengesicht.
Er hob es mit der Fußspitze an. Die Züge mit den geschlossenen Augen waren von unschuldiger, blasser Schönheit, eine makellose, alabasterhafte Maske.
Der Mann zog den Fuß weg. Der Frauenkopf schlug mit der Stirn auf den Boden. Der Laut, der dabei entstand, verursachte mir Übelkeit. Ich hatte keine Ahnung, ob die Frau noch lebte. Wenn sie tot war, war ich Zeuge eines Mordes geworden, den ich nicht hatte verhindern können. Es war kein Trost für mich, dass es dafür eine Entschuldigung gab.
Ich ballte die Hände zu Fäusten und war mir der Ohnmacht dieser Geste bewusst. Der Mann wandte sich mir zu. Er atmete rasch und flach. Seine Augen weiteten sich erstaunt, als er mich sah. Es schien fast so, als bemerke er mich zum ersten Mal.
Er hatte dunkelbraune, nah beieinanderstehende Augen mit grüngesprenkelten Pupillenkränzen. Sie wurden von buschigen Brauen überdacht. Die Nase des Mannes war knollig und passte im Typ zu den wulstigen, hässlichen Lippen. Der Eindruck überragender Intelligenz wurde hauptsächlich von der hohen, weit ausladenden Stirn erzeugt. Zirkos Haar war lang und ungepflegt. Es wuchs ihm bis in den Nacken und kräuselte sich oberhalb des Kragens.
Wieder registrierte ich in mir diese fremde, kalte Furcht. Sie kam aus der Gewissheit, einem zwar hochintelligenten, aber offenbar geistesgestörten Mann hilflos gegenüberzustehen. Was ich in seinen Augen sah, war kein Hass. Es war etwas Schlimmeres: Es war ein elementarer, ungezügelter Rausch am Töten.
»Warum haben Sie das getan?«, stieß ich hervor, obwohl ich wenig Hoffnung hatte, ihn mit Worten oder Argumenten aufhalten zu können.
Seine Lippen bewegten sich, aber er erzeugte damit keinen Laut. Er gab sich einen Ruck und kam auf mich zu. Seine Hände öffneten und schlossen sich. Das kalte, mordgierige Funkeln in seinen Augen verband sich mit einer primitiven animalischen Angriffslust.
Ich wich vor ihm zurück. Ich musste es schaffen, vor ihm die Tür zu erreichen. Dahinter lag mein Fluchtweg, und Flucht war das Einzige, worin ich eine Chance für mich sah.
Meine Füße waren bleischwer. Ich schaffte es auch jetzt nicht, einigermaßen schnell oder geradeaus voranzukommen. Zirko lachte laut, als er mein Torkeln bemerkte. Er erkannte, was ich beabsichtigte, und schnitt mir den Fluchtweg ab.
Ich stützte mich mit beiden Händen auf die Schreibtischplatte und schaute mich nach einer Verteidigungswaffe um. Die wenigen stuhlartigen Sitzgelegenheiten im Raum ruhten auf verchromten Metallspindeln, aber ich bezweifelte, dass ich die Kraft haben würde, einen dieser Stühle anzuheben und als Waffe zu benutzen.
Zirko kam auf mich zu. Er näherte sich mir mit derselben schleichenden Art, wie er die Frau angegriffen hatte. Ich wollte um den Schreibtisch herumgehen, aber der Mann nahm das Hindernis einfach mit einem kurzen federnden Sprung, den ich ihm nicht zugetraut hatte.
Er stand vor mir. Sein Atem schlug mir ins Gesicht. Dann waren seine Hände plötzlich an meinem Hals. Ich versuchte, sie wegzuzerren. Ebenso gut hätte ich mich bemühen können, mit den Fingernägeln eine Betonwand aufzukratzen.
Zirko drückte zu. Ich blickte über seine Schulter und sah eine rothaarige Frau im Türrahmen auftauchen. Sie trug einen weißen Arztkittel und sah ziemlich erschrocken aus. In der rechten Hand hielt sie einen pistolenartigen Gegenstand. Sie kam damit auf uns zu.
Vor meinen Augen begannen sich violett schillernde Kreise zu drehen. Dahinter lösten sich die Konturen des Raums in Wellenlinien auf. Ein harter, dumpfer Knall zerrte an meinen Nerven.
Ich verlor das Bewusstsein.
Als ich wieder zu mir kam, hatte ich einige Mühe, den Oberkörper aufzurichten. Ich schaute mich um. Zirko und die beiden Frauen waren aus dem Raum verschwunden. Ich kniete nur wenige Schritte vom Schreibtisch entfernt am Boden.
Ich quälte mich hoch und blickte zum Fenster. Ich musste endlich feststellen, wo ich mich befand. Vielleicht ließ sich das Fenster öffnen. Wenn ich Glück hatte, würde es mir gelingen, mich durch Hilferufe bemerkbar zu machen.
Langsam ging ich auf das riesige Fenster zu. Mein Herz schlug schwer und schleppend, als ich dicht davor Halt machte. Meine Augen rundeten sich. Der Himmel hinter dem Glas war tiefblau und scheinbar endlos. Er hatte keine sichtbaren Grenzen.
Ich sah hinter der Scheibe weder Straßen noch Häuser oder Menschen. Es gab nichts, woran sich mein Blick festhalten konnte. Nur diese monströse, von nichts unterbrochene Bläue.
Ich begriff, dass das Fenster nichts anderes als eine raffiniert konstruierte Lichtquelle war, ohne sagen zu können, welches technische Prinzip dahintersteckte. Ich machte kehrt und setzte mich an den Schreibtisch. Ich stützte den Kopf in die Hände und überlegte. Wie lange würde dieser Zustand der Kraftlosigkeit bei mir anhalten? Ich fand keine Antwort darauf. Was war aus Zirko und der Frau in der Silberhaut geworden?
Ich öffnete die Schubladen des Schreibtischs. Sie waren leer bis auf den Mittelschub, in dem ein Apfel lag. Ich biss herzhaft hinein und begann, ihn zu essen.
Dann erhob ich mich. Kauend näherte ich mich der Tür. Sie war verschlossen. Ich wandte mich dem chromblitzenden Apparat zu, den die Frau in der Silberhaut bedient hatte.
Das Herstellerschild an der Seite trug den Namen einer bekannten Firma, die Instrumente und Geräte für den medizinwissenschaftlichen Gebrauch produzierte.
Hinter mir öffnete sich die Tür. Ich wandte mich um. Die rotblonde Frau, die am Vorabend auf mich geschossen hatte, betrat den Raum. Sie hatte meine Sachen über dem linken Arm liegen und warf sie mir zu. Ich fing nur die Hose auf. Der Rest fiel zu Boden.
»Ziehen Sie sich an«, befahl sie.
Ich hob die Klamotten auf und zog sie über. Es war klar, dass ich der Frau dabei den Rücken zukehrte.
»Was ist mit der jungen Frau?«, wollte ich wissen.
»Sie ist dabei, sich zu erholen.«
»Es ist ein Wunder, dass sie diese Tortur lebend überstanden hat«, sagte ich.
»Das gilt auch für Sie«, meinte die rotblonde Frau spöttisch. »Sie verdanken mir Ihr Leben. Ihr zweites Leben, wohlgemerkt. Wäre ich nicht rechtzeitig dazugekommen, hätte Branco Sie glatt erwürgt.«
»Branco Zirko?«, fragte ich und warf den Apfelrest in einen Papierkorb.
»Ja«, antwortete die Frau.
Ich schloss meinen Hosenbund und wandte mich ihr zu.
Ihr weißer Arztkittel brachte es nicht fertig, die leuchtende Attraktivität ihrer Erscheinung zu mildem. Im Gegenteil. Er arbeitete die makellosen Gesichtszüge der Frau deutlich heraus.
»Sie schulden mir ein paar Erklärungen«, brummte ich und zog das Oberhemd über.
»Die haben Sie schon bekommen«, meinte sie. »Der alte Jerry Cotton ist tot. Ein neuer wird geboren. Sie behalten Ihren Namen und Ihren Beruf … aber Sie werden ein anderer Mensch sein.«
»Wo sind meine Schuhe?«, fragte ich und knöpfte mir das Hemd zu.
»Die bekommen Sie nach der Behandlung ausgehändigt«, erwiderte die Frau. »Wahrscheinlich schon morgen, wenn Ihr neues Leben beginnt.«
»Ich bin mit dem alten zufrieden«, sagte ich. »Es ist gut und ausgefüllt. Es dient dem Zweck, mit dem Verbrechen aufzuräumen – unter anderem mit Leuten Ihres Kalibers.«
Die rotblonde Frau lächelte matt. »Sie werden das große Aufräumen fortsetzen«, gab sie zurück. »Nur werden Sie dabei die Fronten wechseln.«
Mir dämmerte, worauf sie hinauswollte, doch ich fragte: »Was soll das heißen?«
»Sie werden Ihre Freunde töten.«
»Machen Sie Witze?«
»Keineswegs«, sagte die Frau. »Branco Zirko wird Sie in die Details einweihen. Er wird es auch sein, der Sie in den Todesrausch versetzt … in einen wohldosierten, genau kontrollier- und lenkbaren Todesrausch. Das erste Opfer dieser Behandlung wird Ihr Freund Phil Decker sein.«
2
Ich ließ die Hände sinken und starrte der rotblonden Frau in die Augen. Das Ankleiden hatte mich ziemlich ausgepumpt, aber meine momentane Schwäche wurde von ihren Worten ausgelöst.
»Sagen Sie das noch einmal«, murmelte ich.
Die Frau zeigte ein sphinxhaftes Lächeln. Die tiefblaue Lichtquelle hinter der Fensterscheibe ließ die sherryfarbenen Augen meines Gegenübers noch heller und leuchtender erscheinen, als ich sie in Erinnerung behalten hatte. Der schmale Gürtel, der den weißen Arztkittel zusammenraffte, ließ ihre gertenschlanke Taille ebenso zur Geltung kommen wie die imponierenden Maße ihrer Oberweite.
»Sie werden Phil Decker töten«, sagte sie. »Es wird wie ein Unfall aussehen. Niemand wird auch nur einen Augenblick daran zweifeln, dass es ein tragischer Fehler war, der Ihnen beim Waffenreinigen unterlief. Kein Mensch, der Sie kennt und der weiß, wie sehr Sie an Ihrem Freund und Partner hängen, wird auf den Gedanken kommen, dass es Mord war … kaltblütiger, wohlüberlegter Mord.«
»Sie sind verrückt!«, stieß ich hervor.
»Es wird nur der Auftakt sein«, erwiderte sie kühl. »Später werden Sie auch Mister High, Ihren Chef, erledigen … oder jeden anderen Gegner, der auf unserer Abschussliste steht.«
»Wie wollen Sie das erreichen?«
»Mit ein paar Injektionen, die die Strukturen Ihres Fühlens völlig verändern werden. Es handelt sich um Spezialpräparate, die Mister Zirko entwickelt hat.«
Mir war bekannt, was sich mit Drogen erreichen lässt. Ich weiß, dass es Mittel gibt, die selbst dem Verstocktesten die Zunge lösen, und andere, die das Charakterbild total verändern können. Ich hatte darüber erst kürzlich eine alarmierende Studie gelesen. Sie war vom militärischen Abwehrdienst erarbeitet worden, denn Drogen dieser Art werden vornehmlich von ausländischen Spionen benutzt.
Die Kosten und das wissenschaftliche Know-how, das zur Entwicklung solcher Spezialpräparate gehört, machen es notwendig und erklärlich, dass fast ausschließlich staatliche Forschungsteams mit diesen Problemen beschäftigt sind.
Die Vorstellung, dass ein Krimineller vom Schlag Branco Zirko Zugang zu diesen Drogen gefunden oder sie nach eigenen Formeln entwickelt hatte, jagte mir einen Schauer über den Rücken.
»Ihr Zirko ist ein Verrückter«, knurrte ich. »Ich habe ihn erlebt. Ein Mann mit diesen Reaktionen ist unfähig, verwertbare wissenschaftliche Arbeit zu leisten.«
»Der Mann, den Sie vorhin gesehen haben, war nicht Branco Zirko«, behauptete die Frau. »Wie soll ich Ihnen das erklären? Wenn jemand in einem Atommeiler arbeitet, setzt er sich der Gefahr aus, radioaktiv verseucht zu werden. Zirkos Risiko ist nicht geringer. Er laborierte mit einer neuen Droge und verletzte sich dabei an der Hand. Das Gift drang sofort in seine Blutbahn und versetzte ihn in einen Mordrausch. Er wusste nicht, was er tat, als er Sheila angriff.«
»Wo ist er jetzt?«
»Ich musste ihn in eine Zwangsjacke stecken lassen«, antwortete die Frau. »Sobald er wieder klar denken kann, wird er mir dafür dankbar sein. Sheila, ich und die anderen sind für ihn unersetzlich. Wir helfen ihm im Labor und bei den übrigen Entwicklungsarbeiten.«
»Wann wird er sich erholt haben?«, fragte ich.
»Keine Ahnung. Ich kenne die Wirkung des Giftes nicht, aber ich hoffe, dass Branco in fünf oder sechs Stunden wieder völlig normal sein wird.«
»Wie heißen Sie?«
»Das ist unwichtig. Nennen Sie mich meinetwegen Fay«, sagte sie.
»Hören Sie, Fay. Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen. Einen Hunderttausend-Dollar-Vorschlag!«
»Was ist es?«, fragte sie misstrauisch.
»Genau das, was ich sage. Sie können hunderttausend Dollar kassieren, wenn Sie mich laufen lassen.«
»Sie sind auf dem falschen Dampfer«, meinte sie hart. »Ich bin keine Verräterin.« Ihr Blick huschte unruhig durch den Raum. Mir schien es fast so, als versuchte sie herauszufinden, ob unser Gespräch belauscht wurde. Möglicherweise gab es hier versteckte Mikrofone.
»Sie sind jung und schön«, fuhr ich fort. »Wenn Sie weiter für Branco arbeiten, laufen Sie Gefahr, eines Tages wie Sheila behandelt zu werden – nur ist es dann keineswegs sicher, ob Sie sich wie Ihre Kollegin davon erholen werden. Mit Bucks können Sie verschwinden und irgendwo ein neues Leben beginnen.«
Fays Mundwinkel zuckten. »Sie bluffen, Cotton. Ich weiß genau, was Sie verdienen. Wenn ich mir überlege, dass Sie davon den Unterhalt eines teuren Sportwagens bestreiten, lässt sich leicht errechnen, was Ihnen übrig bleibt. Ich möchte wetten, dass Sie bis zum heutigen Tag nicht viel mehr als tausend Dollar auf die Seite bringen konnten. Oder wollen Sie mir allen Ernstes weismachen, dass das FBI für Sie hunderttausend Bucks Lösegeld zahlen würde?«
Fay hatte leider recht, aber ich durfte es nicht zugeben.
»Sie vergessen meinen Beruf«, sagte ich mit Nachdruck. »Ich jage Verbrecher schon seit Jahren. Viele von ihnen haben irgendwann mal einen großen Fischzug gemacht. Wäre es nicht denkbar und möglich, dass ich in einem Fall vergessen haben könnte, die von mir entdeckte Beute abzuliefern?«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie einen Gangster abserviert und sich sein Geld unter den Nagel gerissen haben?«, fragte Fay halblaut.
»Endlich haben Sie’s kapiert«, erklärte ich.
Was ich da von mir gab, war purer Bluff. Aber mir blieb keine andere Wahl. Ich musste es schaffen, die Frau zu überlisten und hier herauszukommen, ehe Branco Zirko wieder aktionsfähig wurde.
»Wo ist das Geld?«, wollte Fay wissen.
Ich grinste. »Nicht im Sparstrumpf, wie Sie sich leicht denken können. Ich habe es versteckt.«
»Okay«, sagte die Frau gelassen. »Ich bin einverstanden.«
»Fahren wir los«, meinte ich. »Wo sind wir?«
»Langsam, langsam«, bremste sie mich. »Erst werden Sie mir auf der Karte zeigen, wohin uns der Trip führen wird.«