Jerry Cotton Sonder-Edition 80 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 80 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Als mich das silberblonde Girl aus dem Wasser zog, hielt ich es fast für eine Göttin. Als es später jedoch zur Sache ging und der erbarmungslose Kampf um das weiße Gold begann, wusste ich es besser. An der Alligatorengrube ließ die Göttin ihre Maske fallen, und eine Teufelsfratze kam zum Vorschein ...

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EPUB

Seitenzahl: 213

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Der silberblonde Teufel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Freeway II: Confessions of a trick baby«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6619-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der silberblonde Teufel

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

Piiihhh …

Der Querschläger pfiff höhnisch durch die Nacht. Der Teufel mochte wissen, wie er zustande gekommen war. In dieser öden Landschaft gab es kaum ein Hindernis, an dem eine Kugel abprallen konnte. Ich rannte weiter. Das Stechen in meinen Seiten wurde unerträglich.

Ich stolperte und brach in die Knie. Mein Oberkörper kippte nach vorne, und mein Gesicht berührte den feuchten Dünenboden. Die feinen Sandkörner blieben an meinem Mund haften. Ich hatte nicht die Kraft, sie wegzuspucken. Das stetige heftige Brüllen der kochenden Brandung übertönte meinen keuchenden Atem.

Feierabend, dachte ich. Warum gibst du nicht auf? Du hattest von Anbeginn keine Chance, Jerry … Und du hättest dir nicht die Lunge aus dem Leib zu laufen brauchen, um das zu erkennen.

Ich hob den Kopf. Der Mond hatte Urlaub. Weit draußen auf dem Meer zwinkerten die Positionslampen eines Boots, aber ich brauchte sie nicht, um rotzusehen.

Das Bellen der Hunde kam näher, laut, hysterisch, blutrünstig. Sie hatten mich eingekreist. Meine Verfolger kannten offenbar jeden Yard der Umgebung. Es war ein Glück, dass sie die Bestien an ihren langen Leinen hielten.

Glück?

Vielleicht war es nur ein Aufschub. Ich blickte über meine Schulter und sah das Aufblitzen der Taschenlampen. Die Lichtkegel glitten hell und gierig suchend über die grasbewachsenen Dünenhänge.

Meine Schuhe hatte ich längst abgestreift. Schwer atmend richtete ich mich auf. Ich riss mir das Jackett vom Leib und warf es zur Seite. Ich musste ein Stück ins Meer hinauswaten, wenn ich ihnen entkommen wollte, und hoffte, dass das Ufer an dieser Stelle nicht zu steil abfiel. Für eine längere Schwimmübung fehlten mir der Atem und die Kraft.

Sie hatten mich mit ihren Buggys gejagt, mit drei von diesen offenen, flinken Spezialfahrzeugen, die sich auf fast jedem Boden bewegen konnten. Ich war von ihren Scheinwerfern eingefangen worden, egal, wie schnell ich lief und welche Hakentricks ich praktizierte.

Sie hatten auf mich geschossen, mit Pistolen und Gewehren. Ich konnte nicht sagen, wie viele Verfolger es waren, aber ihr Lachen hatte mir gezeigt, wie sehr sie das Schauspiel meiner sinnlosen Flucht genossen. Jetzt hatten sie einen großen Halbkreis gebildet, um für sich und für mich das Halali einzuleiten.

Sie hatten ihre Buggys verlassen. Der tiefe Dünensand hatte sie doch zum Aussteigen gezwungen. Ich war ebenfalls drauf und dran, auszusteigen, aber die Situation ließ es nicht zu, dass ich kapitulierte. Wenn ich nicht wollte, dass die Dünen zu meinem Grab wurden, musste ich meine Flucht fortsetzen.

Eine Flucht ins Meer? Ich wusste nicht, wie ich mich gegen seine Brecher behaupten sollte. Ich war so schlapp wie ein ausrangierter Fahrradschlauch. Meine Finger tasteten über den Sandboden. Einen Moment lang erwog ich, den weichen Sand mit den Händen aufzuwühlen und mich damit zu bedecken. Aber die Hunde machten den Einfall sinnlos. Die Hunde würden mich aufspüren und in Stücke reißen.

Ich begriff nach der vorangegangenen Schießerei nicht, warum die Hunde an den Leinen gehalten wurden. Dann dämmerte mir, dass man mich lebend haben wollte. Die Schüsse sprachen nicht dagegen, sondern dafür. Man hätte mich mühelos abschießen können, wenn man das gewollt hätte. Es sah fast so aus, als hätte das Feuerwerk nur dem Zweck gedient, mich ins Meer zu jagen.

Ich stemmte mich hoch und torkelte weiter. Sobald mich der Lichtkegel einer Lampe einzufangen drohte, warf ich mich in einer Dünensenke flach auf den Boden. Ich verlor kostbare Zeit dabei. Mein geringer Vorsprung schrumpfte immer weiter zusammen. Tief atmete ich durch, als ich den salzigen Wassernebel auf meinen sandverkrusteten Lippen schmeckte.

Ich hatte nur noch den Wunsch, unterzutauchen und die Frische des Wassers zu spüren. Meine Füße waren bleischwer. Ich erreichte das Meer. Der Grund senkte sich nach wenigen Schritten. Ein Brecher donnerte über mich hinweg. Er raubte mir den letzten Atem.

Ich spürte mehr, als ich es sah, wie mich ein Lichtkegel einzufangen drohte. Kopfüber warf ich mich in die Flut. Ganz mechanisch tat ich alle Dinge, die ich im Umgang mit dem Meer gelernt hatte. Die Unterströmung war so kräftig, dass ich Mühe hatte, mit ihr fertigzuwerden. Ich wusste, dass ich versagen würde, wenn ich weiter hinausschwamm.

Ein paar Sekunden lang führte mich meine körperliche Schwäche in jenes seltsame Reich zwischen Traum und Wirklichkeit, wo alle Grenzen aufgehoben sind. Dorthin, wo man glaubt, sich völlig fallen lassen zu können. Als ich Wasser schluckte und von dem rauen, an meinen Atemwegen zerrenden Salz aufgeschreckt wurde, war ich wieder da. Nur zeigten sich meine Kräfte außerstande, mit dem plötzlich neu erwachten Überlebenswillen Schritt zu halten.

Die Wolkendecke brach auf, für wenige Sekunden. Ich starrte nach vorne und schoss durch einen auf mich zurollenden Brecher hindurch. Im nächsten Augenblick sah ich vor mir ein Boot schaukeln, eine Jacht … Groß, unbeleuchtet. Ich konnte nicht sagen, wie weit ich von dem Boot entfernt war. Aber ich hatte jetzt ein Ziel, das ich unter Aufbietung meiner letzten Reserven zu erreichen hoffte.

Hinter mir knallte es. Einmal, zweimal. Die Lichtkegel huschten an mir vorbei. Mein Weg führte hinaus ins Meer. Es gab kein Zurück.

Ich hatte keine Ahnung, wer sie waren, die Männer, die mich jagten. Mir war nur bewusst, dass sie kein Menschenleben respektierten.

Das Boot wurde größer. Wie sollte ich es schaffen, an Bord zu gelangen? Die Leute, die den Kasten in der Nähe des Ufers geankert hatten, mussten schon aus Sicherheitsgründen darauf bedacht gewesen sein, ein Betreten der Jacht für Fremde unmöglich zu machen. Aber vielleicht hing am Heck der Jacht ein Beiboot. Vielleicht fand ich dort, was ich suchte. Im äußersten Fall musste es mir gelingen, mich an der Ankerkette festzuhalten.

Die Konturen der Jacht waren trotz der Dunkelheit zu erkennen. Aber warum kam ich dem verdammten Ding nicht näher?

Sekundenlang überfiel mich die panische Furcht, dass die Jacht nur Teil des grausamen Spiels war und dass sie sich immer mehr von mir entfernte. Hatte sie die Aufgabe, mich weiter aufs Meer hinauszulocken? Dann würde ich nicht die Kraft aufbringen können, an Land zurückzuschwimmen.

Ich kämpfte.

Ich schwamm wie nie zuvor in meinem Leben und registrierte endlich, dass ich vorankam. Unendlich langsam zwar, aber doch mit Erfolg. Ich hatte die Jacht erreicht. Hinter dem Schiff schaukelte kein Beiboot. Mein Herz war zu aufgeputscht, um auf diese schockierende Feststellung reagieren zu können.

War alles umsonst gewesen?

Neben meinem Kopf klatschte etwas ins Wasser. Ich traute meinen Augen nicht. Ein Rettungsring! Wieder erfasste mich der merkwürdige Schwebezustand zwischen Traum und Wirklichkeit. Wer mich beobachtet und den Ring ins Wasser geworfen hatte, musste die Sehfähigkeit einer Katze besitzen.

Ich griff nach dem Ring und hielt mich daran fest. Ich wusste, dass ich hineinschlüpfen musste, aber es dauerte Minuten, bis ich die Kraft dazu fand.

Man hievte mich nach oben. Meine nassen Füße berührten die Planken der Jacht. Ich brach zusammen und blieb keuchend liegen. Mir war hundeelend zumute.

Ich drehte meinen Kopf zur Seite und blickte an Land. Auf dem Highway, der eine halbe Meile von der Küste entfernt war, entdeckte ich die Scheinwerfer vorüberfahrender Wagen. In den Häusern, die in Strandnähe lagen, brannte Licht. Hatten ihre Bewohner nicht die Schüsse gehört? Wie hatten sie darauf reagiert?

Am Strand selbst herrschte Ruhe. Aber ich bezweifelte nicht, dass die Männer noch dort waren.

Ich richtete den Oberkörper auf. Vor mir stand ein Mann, breitbeinig und mit an der Seite herabhängenden Armen. Sein Gesicht war ein blasses Oval in der Nacht. Er trug Shorts, ein T-Shirt und weiße Segeltuchschuhe.

»Wie fühlen Sie sich?«, fragte er.

»Es geht«, krächzte ich.

Das Sprechen bereitete mir Mühe. Als ich auf die Beine kam, traf der Mann keine Anstalten, mir zu helfen. Ich musste mich an der Reling festhalten und registrierte dabei, dass mich mein Retter fast um Haupteslänge überragte.

»Kommen Sie mit«, sagte er.

Als ich seine Aufforderung langsam befolgte, wäre ich um ein Haar gestürzt. Die Jacht rollte und schlingerte stark. Die Anstrengung minderte meine Reaktionsfähigkeit. Ich fragte mich, warum die Positionslampen der Jacht nicht brannten und woran es lag, dass nirgendwo an Bord ein Lichtschimmer zu bemerken war.

Befand ich mich auf einem Schmugglerboot, dessen Besatzung Gründe hatte, sich nicht zu zeigen? Ich schüttelte den Gedanken ab.

Ich war nicht in der Lage, Überlegungen und Hypothesen aufzustellen. Ich war froh, dass mich der Mann aus dem Wasser gefischt hatte.

»Achtung«, brummte er. »Es geht nach unten.«

Trotz seiner Warnung stieß ich mit dem Kopf gegen den Querbalken des Einstiegs. Ich fand die Metallstangen der senkrecht in die Tiefe führenden Leiter. Nach acht Sprossen bekam ich festen Boden unter die Füße. Eine Tür öffnete sich vor mir. Ich schloss geblendet die Augen, als mich das helle Licht einiger Lampen traf.

»Ziehen Sie das nasse Zeug aus«, forderte mich der Mann auf, der neben der offenen Tür stehen geblieben war.

Er hatte eine dunkle, aber unpersönlich wirkende Stimme. Blinzelnd hob ich die Lider. Ich blickte in eine kleine, luxuriös ausgestattete Kabine mit zwei übereinander angeordneten Mahagonibetten.

»Wer sind Sie?«, fragte ich den Mann. »Wo bin ich hier?«

»Später«, meinte er. »Ich hole Ihnen trockene Sachen.«

Ich betrat die Kabine. Der Mann schloss die Tür hinter mir. Ich blickte auf meine Füße. Das Wasser, das aus meiner Kleidung tropfte, bildete am Boden eine Lache.

Am hinteren Ende der Kabine befand sich ein Plastikvorhang. Ich zog ihn beiseite und entdeckte dahinter einen Duschraum. Ich zog mich aus und probierte, ob die Brause funktionierte. Als mich der heiße Wasserstrahl traf, spürte ich sofort, wie ich wiederaufzuleben begann.

Auf einer Messingstange hing ein Frottierhandtuch. Ich rieb mich damit ab. Die Kabinentür öffnete sich. Ich schlang das Tuch um meine Hüften und verließ den Duschraum.

»Ich habe mir erlaubt …«, begann ich.

Er winkte ab und fiel mir ins Wort. »Schon gut«, erwiderte er und warf ein paar Kleidungsstücke auf das untere Bett. »Ich hoffe, dass Ihnen das passt. Was Sie jetzt brauchen, ist ein kräftiger Schluck aus der Pulle.«

Ich fand zum ersten Mal Gelegenheit, die Gesichtszüge des Hünen genau zu betrachten. Er hatte eine Halbglatze und tiefblaue Augen mit auffallend kurzen, fast weißblonden Wimpern. Sein braun gebrannter, sehniger Körper ließ vermuten, dass ich den Skipper vor mir hatte. Er machte jedenfalls den Eindruck, als hätte er die letzten Wochen und Monate an Bord verbracht.

Der Mann wirkte intelligent, verschlossen und spröde. Er sprach ohne Akzent, aber eine gewisse Tönung seiner Stimme ließ den Schluss zu, dass er aus den Südstaaten kam. Ich schätzte sein Alter auf vierzig.

Er ging hinaus, ohne meine Antwort abzuwarten. Ich zog mir die frische Unterwäsche, eine blaue Leinenhose und ein gelbes Polohemd an. Der Mann hatte mir keine Schuhe mitgebracht, aber das war unwichtig.

Ich setzte mich auf das untere Bett und schaute mich um. Die Kabine hatte nur ein Bullauge. Im Inneren des Messingrahmens befand sich eine Plastikscheibe, die dafür sorgte, dass kein Lichtstrahl nach außen dringen konnte.

Ich wartete.

Dabei dachte ich an meine Verfolger am Strand und wünschte erneut, zu wissen, warum sie wohl hinter meinem Skalp her gewesen waren. Der Skipper kam nicht zurück.

Ich wurde ungeduldig und erhob mich. Ich trat an die Tür und öffnete sie.

In dem Lichtschein, der aus der Kabine auf den schmalen Gang fiel, erkannte ich fünf Türen. Sie waren nicht besonders breit und mit glänzenden Leichtmetallrahmen eingefasst. Ich ging auf eine zu und drückte sie auf.

In der vor mir liegenden Wohnkabine brannte Licht. Stil und Qualität der Einrichtung passten zu der Vorstellung, die man sich vom Inneren einer Luxusjacht machte.

Auch hier hatten die Bullaugen diese dunklen Plastikscheiben, die für eine völlige Abdichtung der Fenster sorgten. An der Schmalseite der Kabine befand sich eine gut bestückte Bootsbar. Die leise klirrenden Flaschen steckten in Metallhalterungen, sodass selbst bei heftigstem Seegang kein Bruch entstehen konnte. Vor dem kupferbeschlagenen Bartresen waren drei Hocker am Boden festgeschraubt.

Eine Tür, die in die Nebenkabine führte, stand halb offen. Ich ging darauf zu.

»Hallo?«, rief ich.

Niemand antwortete. Zögernd trat ich an die Schwelle. Mein Herz machte einen jähen, fast schmerzhaften Sprung, als ich ins Innere des Raums blickte.

In seiner Mitte stand ein flacher Klubtisch. Auf ihm lag ein Toter.

Der Tote war ich.

2

Ich hielt mich mit einer Hand am Türrahmen fest. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich überzeugt, den Verstand verloren zu haben.

Ich spürte das Schlingern der Jacht und hörte plötzlich, wie die Maschine angeworfen wurde. Im nächsten Moment ertönte das Klirren der Ankerkette.

Ich holte tief Luft und näherte mich dem Klubtisch. Breitbeinig blieb ich davor stehen. Mein Blick saugte sich am Gesicht des Mannes fest, der auf der Palisanderholzplatte lag. Seine starren Augen waren ohne Leben. Der halb offene Mund hatte die kalten Linien des Todes.

Es war mein Gesicht. Es waren meine Nase, mein Mund, meine Kinnpartie.

Aber es war nur die verblüffend echt wirkende Nachformung meiner Züge. Bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass das Wachs, aus dem der Kopf geformt worden war, nicht den Charakter menschlicher Haut widerzuspiegeln vermochte. Daran konnte auch eine hervorragende Pudertechnik nichts ändern.

Ich berührte den Arm der Puppe und spürte unter dem dünnen Stoff des weißen Hemds den hohlen, leichten Plastikarm. Eine einfache Schaufensterpuppe, nichts weiter, aber sie trug ganz unverkennbar meine Züge.

Ich machte kehrt. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, mich an der Bar mit einem doppelten Schluck zu stärken. Auf der Türschwelle stoppte ich. Die Bar hatte inzwischen einen Gast bekommen.

Die junge Frau, die auf dem mittleren Barhocker saß, wandte mir den Rücken zu. Das plötzliche Auftauchen der Frau passte zu dem unwirklichen, traumhaften Gesamterleben dieser Nacht. Sie trug ein Abendkleid aus grünem Chiffon mit tiefem Rückenausschnitt. Die Linie des leicht gewölbten Rückens war vollkommen.

Ich näherte mich dem Tresen. Die silberblonde Frau wandte ihren Kopf und schaute mich an. Ich schluckte, gleich zweimal hintereinander. Ich war wütend über die unbeholfene Reaktion, aber ich konnte nichts dagegen ausrichten. Die Züge der jungen Frau ließen sogar ihren makellos modellierten Rücken vergessen. Sie war von einer Klasse, die noch einige Etagen über dem Standard dieser Jacht lagen.

»Sie haben ihn also gefunden«, sagte sie.

Die Frau hatte graugrüne Augen. Ihr Schnitt war aufregend genug, um jedes Männerherz einem augenblicklichen Schrumpfungsprozess zu unterwerfen. Ihre Lippen hielten damit Schritt. Sie waren von kindfraulicher Wölbung, fordernd und spröde zugleich, eine rotschillernde Symbolik der Sinnlichkeit.

Ich hielt mich an der Schmalseite des Bartresens fest. Ich brauchte nicht nur wegen der ständigen Schlingerbewegungen der Jacht festen Halt.

»Ihn? Mich!«

»Sie haben recht«, meinte sie lächelnd. »Die Ähnlichkeit ist frappierend.«

Ich schätzte die junge Frau auf zweiundzwanzig. Sie hatte eine dunkle, spöttisch und amüsiert klingende Stimme. Sie wirkte absolut selbstsicher. Das war kein Wunder, denn sicher hatte sie sich seit mindestens acht Jahren von ihren Bewunderern anhören müssen, wie schön sie war, wie aufregend und begehrenswert.

»Was trinken Sie?«, fragte sie.

Ich sah erst jetzt, dass sie ein Glas in der Hand hielt.

Das Glas enthielt einen purpurroten Drink. Die Finger, die das Glas umspannten, trugen einige raffiniert gearbeitete Ringe mit Smaragden und Brillanten.

»Irgendetwas«, antwortete ich. »Irgendetwas, das mich munter macht.«

Die junge Frau glitt von ihrem Hocker. Sie war nur wenig kleiner als ich. Als sie an mir vorbeiging, um an das Flaschenregal zu treten, streifte mich der knisternde Chiffon ihres Abendkleids.

»Sie enttäuschen mich«, spottete sie und griff nach einer Whiskyflasche. »Ich war immer der Meinung, dass mein Anblick genügte, um Männer munter zu machen.«

Ich schob mich auf einen Hocker und sah zu, wie die junge Frau das Glas füllte. »Auf mich wirken Sie eher betäubend.«

Sie lachte. Ich hatte keinen Grund, in ihr Lachen einzustimmen. Ich war in eine verdammte Falle gelaufen. Man hatte mich über den Strand ins Meer gejagt und dabei genau gewusst, dass mir keine andere Wahl bleiben würde, als auf die Jacht zuzuschwimmen.

Ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund, als mir klar wurde, dass es keinen Grund gab, von einer Rettung zu sprechen. Meine Gegner hatten mir nur einen Aufschub zugebilligt, mehr nicht.

»Wer sind Sie?«, wollte ich wissen.

Die junge Frau stellte ein Glas mit Bourbon und Eis vor mich hin. Dann kam sie um den Tresen herum und nahm neben mir Platz. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich dabei absichtlich mit ihrer schmalen Hüfte berührte.

»Ich heiße Irene«, sagte sie. »Irene Carmody.«

»Wer ich bin, wissen Sie natürlich.«

»O ja«, antwortete sie. »Schließlich haben wir Ihren Besuch erwartet. Sie sind der G-man Jerry Cotton.«

»Wollen Sie mir bitte erklären, wozu diese Komödie inszeniert wurde – und von wem?«

»Es ist etwas kompliziert«, erwiderte sie langsam. »Lassen Sie uns lieber einen trinken.«

Ich nippte an dem Bourbon. Er war ausgezeichnet und gehörte zu den Sorten, die ich mir aus Kostengründen bestenfalls einmal zu Weihnachten leistete. Ich ließ zwei größere Schlucke folgen. Irene beobachtete mich mit milder Neugierde. Sie verlor auch bei genauerem Hinsehen nichts von ihrem außergewöhnlichen Reiz.

»Ich muss sagen, dass Randy ausgezeichnete Arbeit geleistet hat«, sagte sie.

»Ist das der Mann, der mich aus dem Meer gefischt hat?«, wollte ich wissen.

Irene nickte. »Ja, aber davon spreche ich nicht. Ich beziehe mich auf seine künstlerische Leistung. Er hat ihren Kopf nach Fotos gearbeitet. Erst der neunte Versuch ist ihm geglückt.«

»Was haben Sie mit der Puppe vor?«

»Wir werden sie fotografieren und die Bilder dann als Beweis für Ihren Tod liefern.«

Ich grinste unlustig. »Da kann ich ja beruhigt sein, oder?«

»Das ist Auffassungssache«, meinte Irene.

»Wer ist denn so scharf auf einen Beweis meines Todes?«

»Das werden Sie zur gegebenen Stunde erfahren«, erwiderte die junge Frau.

Ich nahm einen weiteren großen Schluck aus dem Glas. »Es gibt keinen Grund für mich, beruhigt zu sein. Wenn Sie jemandem meinen Tod zu suggerieren wünschen, können Sie es sich nicht leisten, mich wiederauftauchen zu lassen.«

»Das«, meinte die junge Frau lächelnd, »ist tatsächlich die Schwierigkeit des Unternehmens.«

»Als ich an Bord der Jacht gehievt wurde, hatte ich das Gefühl, mich bei meinem Retter dafür bedanken zu müssen«, gab ich zurück. »Ich bin verdammt froh, dass ich’s nicht getan habe. Ich war einfach zu groggy für große Worte.«

Irene drehte das Glas zwischen ihren schlanken Fingern mit den perlmuttfarben lackierten Nägeln. Die Länge dieser Nägel bewies, dass Irene an Bord nicht mit harten Arbeiten beschäftigt wurde.

»Sie werden bald entscheiden müssen, ob wir die notwendigen Leichenfotos von der Puppe oder von Ihnen anfertigen«, sagte sie.

»Soll das ein Witz sein?«

Irene schaute mich an. »Meinen Sie, wir hätten diese Arbeit mit all ihren Risiken auf uns genommen, um witzig zu sein?«

Die Tür öffnete sich. Mein »Retter« betrat die Kabine. Er trug jetzt eine gelbe Seglermütze auf dem Kopf. »Sie werden sich jetzt hinlegen, Cotton«, sagte er.

»Ich bin nicht müde«, erwiderte ich. »Die Maschine läuft. Wohin geht die Fahrt?«

Randy trat an den Bartresen. Er parkte seine kräftigen, leicht behaarten Unterarme auf der Kupferplatte und schaute die junge Frau an. »Hast du schon die Details mit ihm besprochen?«

»Nein«, antwortete Irene. »Was ist mit dem Funkspruch?«

»Fehlanzeige.«

»Glaubst du, dass die Aktion klappen wird?«

»Ganz sicher«, meinte Randy und stieß sich vom Tresen ab. »Ich komme in fünf Minuten wieder. Bis dahin dürfte es wohl so weit sein.«

»Ist er der Boss?«. fragte ich, als Randy die Kabine verlassen hatte.

»Nein.«

»Was meinte er damit, als er sagte ›bis dahin wird es wohl so weit sein‹?«

»Sie fragen zu viel.«

»Haben Sie auf diesem Kahn das Kommando?«, wollte ich wissen.

»Vielleicht.«

»Warum, zum Teufel, sagen Sie mir nicht endlich, was hier gespielt wird?«

»Sie würden es nicht kapieren«, meinte Irene und schüttelte die Eiswürfel in ihrem Glas. »Ich fürchte, das Zeug beginnt bereits, zu wirken.«

»Sie machen keinen angetrunkenen Eindruck.«

»Ich spreche von Ihnen.«

»Von diesem Bourbon trinke ich mühelos sechs Gläser hintereinander gegen den Durst.«

Irene lächelte. »Der Whisky enthält ein starkes Schlafmittel«, belehrte sie mich im Plauderton. »Es handelt sich dabei um den letzten Triumph der Wissenschaft. Das Mittel ist absolut geruchs- und geschmacklos.«

»Geschmacklos? Das will ich gern unterstreichen«, spottete ich sauer und schob das Glas weit von mir weg. »Was soll der Quatsch? Ich befinde mich doch sowieso in Ihrer Gewalt.«

Irene nickte mechanisch. »Stimmt, aber Randy war trotzdem dafür, das Mittel zu benutzen. Er fürchtet keine körperlichen Auseinandersetzungen, aber er zieht die bequeme Lösung jedem anderen Weg vor.«

»Der Bursche muss mal für ein Wachsfigurenkabinett gearbeitet haben«, knurrte ich und wies mit dem Kopf auf die halb offene Tür hinter uns. »Sein Talent zeigt die Erfahrung eines alten Routiniers.«

»Lassen Sie ihn das lieber nicht hören.«

»Haben Sie Angst vor ihm?«

»Nein.«

Mir schien es plötzlich so, als würde meine Zunge spürbar schwerer werden. Ich hob das Kinn und gab mir Mühe, die in mir aufsteigende Schläfrigkeit zu unterdrücken.

»Sagen Sie mir endlich, was Sie von mir erwarten«, stieß ich hervor und blickte in die mir zugewandten grünschillernden Augen der jungen Frau.

Irenes voller, weicher Mund zuckte. »Sie werden einen Mord begehen, Jerry«, sagte sie leise.

»Sie haben es fertiggebracht, meinen Kopf nachzuformen«, stellte ich fest, »aber Sie wissen nichts von dem, was darin vorgeht. Ich bin kein Mörder.«

»Wir machen Sie dazu«, meinte Irene mit sanfter Stimme. »Ich schwöre Ihnen, dass der Job Ihnen eine Menge Spaß machen wird.«

Ich hätte ihr erklären können, dass sie mit ihrer Ansicht falsch gepolt war, hielt es jedoch für wichtiger, an den Kern der mysteriösen Geschichte heranzukommen.

»Um wen geht es?«, fragte ich.

»Das ist es ja gerade, was Ihnen zweifellos sehr viel Spaß machen wird«, erwiderte Irene. »Sie sollen Donally umbringen.«

Ich stellte meine Lauscher auf. »Hugh Donally?« Es hörte sich an, als hätte ich »Donanny« gesagt. Meine Sprachschwierigkeiten nahmen zu.

»Genau den«, antwortete Irene.

Ich fuhr mir mit der Hand über die Augen und war bemüht, meine Gedanken nicht in dieses laue Öl absinken zu lassen, das mein Bewusstsein plötzlich zu ertränken drohte. Jedes Kind kannte Hugh Donally. In gewisser Hinsicht war er so legendär wie Al Capone. Wahrscheinlich war es diesem Umstand zuzuschreiben, dass viele Leute Donally für tot hielten. Aber er lebte, und er lebte immer noch, um andere töten zu können. Natürlich besorgten andere die Drecksarbeit für ihn. Seine Killerperiode war schon vor mehr als dreißig Jahren zu Ende gegangen. Hugh Donally war jetzt fünfundsechzig. Er sah nach wie vor gut aus und galt als Frauenheld.

Er hatte erstaunlicherweise nur zwei kurze und eine längere Zuchthausstrafe verbüßt. Die große Zuchthausstrafe verdankte er mir. Sie lag nur zwei Jahre zurück.

Hugh Donally lebte in Chicago. Das New Yorker District Office, meine Dienststelle, musste sich nur dann mit Donally befassen, wenn er seine Netze bis nach New York auswarf. Das geschah freilich selten, da sich Donally seit einiger Zeit damit beschied, die Stadt am Lake Michigan zu kontrollieren.

Ich wollte etwas sagen, brachte aber keinen Laut heraus. Ich glitt von meinem Hocker und versuchte, mich am Tresen festzuhalten, aber meine Hände waren ohne Kraft. Als ich auf den Fußboden stürzte, durchzuckte mich ein kurzer, heftiger Schmerz.

Die junge Frau lachte spöttisch. Mich überwältigte endlich die Ruhe, von der ich während meiner Flucht geträumt hatte. Dass diese Ruhe Schönheitsfehler hatte, störte mich im Augenblick nicht.

3

Ich erwachte in dem schmalen, unteren Bett der Gästekabine und hatte einige Mühe, mich an die Vorgänge der Nacht zu erinnern. Durch das Bullauge, von dem der Plastikeinsatz entfernt worden war, flutete helles Sonnenlicht in die Kabine. Auf der Mahagonitäfelung tanzten freundliche Sonnenkringel. Langsam richtete ich meinen Oberkörper auf.

Mir schien es, als hörte ich das Ticken einer Uhr, aber im nächsten Moment vergaß ich das Geräusch. Ich merkte, dass die Jacht normale Fahrt machte. Ich schwang die Füße aus dem Bett und wurde vollends munter, als ich mit dem Kopf an die Unterkante des oberen Betts stieß.

Ich war nackt. Ich eilte unter die Dusche und fragte mich, wer mich ausgezogen und zu Bett gebracht hatte. Ich drehte die Brause von heiß auf kalt und wieder zurück. Nach ein paar Minuten fühlte ich mich bedeutend wohler. Meine Erinnerung kehrte zurück.

Ich frottierte mich und trat ans Bullauge. Soweit ich es beurteilen konnte, bewegte sich die Jacht parallel zur Küste. Wir waren etwa fünf Seemeilen vom Land entfernt.

Ich fand meine Kleidung auf einem Stuhl und zog mich an. Meine Armbanduhr unterrichtete mich davon, dass ich mindestens zehn Stunden geschlafen hatte. Jetzt war es elf Uhr.

Ich fragte mich, ob Randy und Irene Carmody allein mit der Jacht fertigzuwerden vermochten. Die Größe des Boots ließ vermuten, dass es zwei oder drei weitere Besatzungsmitglieder geben musste. Dass ich sie bisher nicht gesehen hatte, sprach nicht gegen diese Theorie.