Jerry Cotton Sonder-Edition 82 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 82 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Als die Explosion den brandroten Sportwagen auf dem Highway zerriss, war es für Peter Holmes zu spät. Er hätte die von seinem Mörder geforderte Million eher zahlen müssen. Holmes war einer der Millionäre vom Klub der 24. Die restlichen dreiundzwanzig wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie ebenfalls auf der Liste des Erpressers standen. Sie sollten es bald erfahren. Das Maskengesicht, die Bestie vom Hudson, schlug erbarmungslos zu - immer wieder ...

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EPUB

Seitenzahl: 181

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Wir jagten das Maskengesicht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Stage Fright«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6621-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Wir jagten das Maskengesicht

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

Die Luft flimmerte vor Hitze. Trotz der späten Nachmittagsstunde zeigte das Thermometer noch 90,2 Grad Fahrenheit. Es war ein Sonntag, ein Bilderbuchsonntag. So schön hatte ich lange keinen erlebt.

Die Sonne stand über dem Atlantik, ungefähr über Breezy Point.

Die Uhr zeigte gerade 18:07.

»Hör mal«, sagte gerade die Blondine, die ich erst seit ein paar Stunden kannte. Sie hatte den Strandkorb neben mir gemietet und mir mindestens eine Stunde lang erzählt, wie kompliziert ihr abendlicher Rückweg nach Brooklyn sei. Erst mit dem Bus, dann mit der Eisenbahn, schließlich mit der Subway und zum Schluss noch mit dem Taxi. Weil sie recht ansehnlich war, hatte ich nach der besagten Stunde das Transportthema beendet, indem ich ihr den Beifahrersitz in meinem Jaguar angeboten hatte.

»Hör mal«, sagte sie jetzt, »eigentlich müsste doch alles frieren …«

Kichernd zeigte sie auf mein Spezialthermometer, auf dem 32,5 Grad angezeigt wurden.

Ich klärte sie auf und erzählte ihr, dass das Celsiusgrade seien.

Sie rümpfte die Nase, berichtete mir, dass Fahrenheit einfacher zu begreifen sei, und schaute sich weiter im Jaguar um.

»Hör mal«, sagte sie wieder und streckte die Hand nach einem Knopf aus, den normale Passagiere bisher nicht entdeckt hatten.

Ich nahm ihr süßes Patschhändchen schnell vom Knopf weg und ermahnte sie, das Ding auch künftig in Ruhe zu lassen.

Das hätte ich nicht sagen dürfen, denn nun wollte sie wissen, wozu der Knopf denn gut sei. Ich wollte es zwar nicht verraten, aber man weiß ja, dass attraktive Blondinen eine besondere Art von Dickkopf haben.

»Das ist eine Sirene«, sagte ich und wollte rasch ein Märchen von einem besonderen Hobby von mir hinzufügen. Doch dazu kam ich nicht mehr.

»Uiiih!«, rief sie und strahlte bezaubernd. »Uiiih, du bist ein G-man!«

Ich schüttelte den Kopf, aber das erhöhte ihre Freude nur weiter.

»Mensch, so was«, jubelte sie, »er hat einen richtigen Jaguar und ist obendrein G-man – und das passiert mir! Die anderen werden es nicht glauben!«

»Hoffentlich«, knurrte ich.

»Hoffentlich«, jubelte sie, »passiert etwas, damit du deine Sirene einschalten kannst. Ich tu es dann für dich, ja?«

»Nichts wird passieren«, versicherte ich ihr und nahm das Gas weg, weil wir uns der verstopften Kreuzung an der Jones Bay näherten.

***

Es war 18:08 Uhr, als sich Patrolman Glenn Parker auf der Kreuzung an der Jones Bay mit der linken Hand über die Stirn wischte und gleichzeitig mit der rechten seinen Kollegen das verabredete Zeichen gab. Der hielt daraufhin den in Ost-West-Richtung über den Ocean Parkway rollenden Autostrom an.

Der Beamte auf der Kreuzung winkte dem an der Spitze einer bislang haltenden Kolonne stehenden Wagen zu. Die setzte sich in Bewegung.

Glenn Parker ließ die Fahrzeuge an sich vorüberrollen. Ihr seid zu bedauern, dachte er angesichts der Menschen in den Fahrzeugen. Jetzt habt ihr den ganzen Tag am Atlantikstrand gelegen und in der Sonne geschmort. Und nun sitzt ihr in euren heißen Blechkisten, steckt in einer Kolonne und rollt langsam zurück in die brütendheiße City. Fünfundzwanzig Meilen. Und von Meile zu Meile wird der Verkehr dichter. Hunderttausende von New Yorkern haben heute hier draußen am Strand von Long Island Erholung gesucht. Millionen vielleicht.

»Pfff«, machte Parker.

Ihn berührten die dichten Kolonnen kaum. Er tat ohnehin so lange Dienst, bis die Kolonnen abgeflossen waren. Danach hatte er nur knapp vier Meilen zu fahren. Bis zur Police Station in Freeport.

Nach mir die Sintflut, dachte er und machte heftige Handbewegungen, um die Fahrer in der Kolonne zum zügigen Fahren anzuspornen.

Doch dann erlahmte seine Hand.

Glenn Parker sah einen Wagen auf sich zurollen, bei dem er wirklich alles vergessen konnte. Ein Traumwagen. Für einen Verkehrscop unerreichbar.

Feuerrot, chromblitzend, geduckt und lang gestreckt. Unverkennbar mit den drei Lufteinlassöffnungen auf der Motorhaube.

»Mann«, flüsterte Glenn Parker ergriffen und betrachtete hingebungsvoll den Shelby GT 500, der lautlos an ihm vorbeifuhr.

Parker blickte ihm nach, bis er auf der Brücke über die Jones Bay war, dann erst hob er wieder die rechte Hand, um seine Kolonne zu stoppen.

***

»Schau mal«, sagte die Blondine neben mir, »siehst du den Roten dort drüben auf der Brücke?«

Ich blickte hinüber. »Shelby Cobra«, erwiderte ich. »Wenn ich mir mal einen Zweitwagen leisten kann, werde ich den in die engere Wahl ziehen.«

»Was ist teurer, dein Jaguar oder dieser …?«

»Shelby Cobra«, wiederholte ich. »Der Jaguar ist vermutlich teurer, weil er aus England kommt. Einfuhrzoll, verstehst du?«

»Nein«, bekannte sie offen und kuschelte sich in den Sitz.

Ich legte den Gang wieder ein, denn unsere Kolonne war an der Reihe, sich in den unendlichen Autostrom in Richtung New York City einzugliedern.

Während wir langsam vorwärts rollten, dachte ich daran, bei nächster Gelegenheit meinen roten Flitzer mal zur passenden Tageszeit wieder für ein paar Meilen auf einem freien Speedway mit hohem Geschwindigkeitslimit auszufahren. In letzter Zeit hatte ich ihn oft schleichen lassen müssen, und das hat die Jaguar-E-Maschine überhaupt nicht gern.

Auch für den Shelby war diese Kolonnenfahrt nicht gerade die größte Wucht. Es ging mich zwar nichts an, aber ich dachte daran. Ich überlegte sogar, ob der Mann im Shelby wohl auch daran denken würde.

Der Mann? Oder?

Plötzlich interessierte es mich, wer hinter dem Steuer des Achtzylinders sitzen würde. Nachschauen konnte ich nicht. Er war gut eine halbe Meile vor uns. Überholen bei diesem Betrieb war vollkommen unmöglich.

»Wenn ich mal heirate«, meinte die Blondine neben mir, »dann nur einen Mann, der sich einen Jaguar leisten kann oder einen …«

»Shelby Cobra GT«, ergänzte ich.

***

18:37 Uhr. Das Thermometer zeigte immer noch diese infernalischen 90,2 Grad Fahrenheit an. Wir befanden uns mittlerweile auf dem Sunrise Highway, westlich von Valley Stream.

Vor uns, etwa dort, wo die südlichste Spitze Manhattans im Glast der flimmernden Hitze dieses Tages lag, hing der Glutball der Sonne am bleigrauen Himmel. Unbarmherzig sengten ihre schrägen, immer noch allzu grellen Strahlen durch die Windschutzscheibe meines Wagens in unsere Gesichter. Trotz Sonnenbrille und heruntergeklappter Sonnenblende sah ich herzlich wenig. Und meiner Begleiterin erging es nicht anders. Ich warf einen Blick nach rechts.

Okay, zugegeben, die blonde Frau plauderte ein wenig viel und nicht sonderlich intelligent. Aber alles auf einmal kann der Mensch nicht haben. Sie war jedenfalls attraktiv und ihre »Architektur« bemerkenswert.

»Hör mal«, sagte ich und benutzte ihre Redensart, was sie mit einem strahlenden Lächeln quittierte. »Wenn du es sehr eilig hast, kannst du vom Kennedy Airport aus mit dem Schnellbus fahren.«

Sie schluckte. »Magst du mich nicht mehr? Ich gehe bestimmt nicht an die Sirene.«

»Ich habe keine Lust, in diesem Trubel weiterzufahren. In Rosedale kenne ich ein Lokal, in dem es einen erstklassigen Lunch gibt. Nach dem Essen kann man in den Keller gehen. Tanzen und so.«

»Und so«, jubelte sie.

»Willst du mitgehen?«

Sie strahlte mit der Sonne um die Wette. Die Frau wollte irgendetwas antworten, kam jedoch nicht mehr dazu.

Ein gleißender Blitz zuckte auf. Grell, feuerrot. Ihm folgte der berstende Knall einer ungeheuren Explosion.

Trümmer wirbelten durch die Luft. Eine dicke Qualmwolke schoss empor und verdunkelte für Sekunden die Sonne.

Bremsende Pneus radierten kreischend über den Asphalt. Wagen krachten aufeinander. Ein gellender Schrei. Dann wurde alles übertönt von einer seltsam heiser brüllenden Hupe.

Es verging eine Weile, ehe ich begriff, dass etwa dreihundert Yards vor uns eine Katastrophe über die Sonntagsausflügler hereingebrochen war.

Die Blondine neben mir hatte ich in diesem Augenblick völlig vergessen. Ich bemerkte ihre Anwesenheit erst wieder, als sich unsere Hände am Sirenenknopf meines Jaguars trafen.

Die junge Frau hatte ebenfalls verstanden, und diesmal ließ ich sie gewähren.

Die Sirene heulte auf. Ich schaltete das Warnlicht ein. Wieder vergingen Sekunden, ehe meine Vorderleute begriffen, dass auch in ihrem Rücken etwas los war. Es grenzte bei diesem Kolonnenverkehr an ein Wunder, dass die Fahrer Platz fanden, um mir auszuweichen. Dann lag eine leere Gasse vor mir.

Sie war etwa hundertfünfzig Yards lang.

Am Ende dieser Strecke herrschte ein Inferno. Ich sah Wagentrümmer und Körper auf der Straße liegen. Ganz in der Mitte schwelten brennende Fetzen, die nicht mehr zu identifizieren waren.

Ich war der einzige Mensch, der sich auf diese Trümmer zubewegte. Die anderen lagen oder saßen wie erstarrt in ihren Fahrzeugen.

Schritt für Schritt ging ich näher heran, bis zu der Stelle, an der die Straßendecke aufgerissen war wie nach einem Bombeneinschlag.

Mein Fuß stieß gegen ein Stück Blech. Unwillkürlich bückte ich mich und sah es mir genauer an. Und dann stutzte ich. Zwischen zwei weißen Rallyestreifen standen im leuchtenden roten Feld fünf Zeichen.

GT 500 konnte ich lesen.

Das Stück Blech gehörte demnach aller Wahrscheinlichkeit zu jenem roten Shelby Cobra GT, auf den mich die Blondine noch vor wenigen Minuten aufmerksam gemacht hatte.

Ich ließ den Blick in die Runde wandern. Die anderen Teile des Wagens waren von der gigantischen Explosion in weitem Umkreis verstreut. Fünf oder sechs andere Fahrzeuge, die sich unmittelbar vor, hinter oder neben dem Shelby befunden hatten, waren ebenfalls weitgehend zerstört.

Die Explosion hatte sie fast genauso getroffen wie den roten Luxuswagen selbst. Dass der Shelby die Quelle der Detonation gewesen war, bezweifelte ich keine Sekunde. Die Trümmer sagten mir alles.

Ich hörte das Schreien und Wimmern ringsumher. Opfer, überall Opfer. Schwerverletzte, Sterbende, Tote.

Ich wandte mich ab und lief zurück zu meinem Wagen.

»… eine Explosion, furchtbar. Sicher ist da etwas in die Luft geflogen. Viele Trümmer und ein paar Tote …«

Die Blondine hatte tatsächlich mein Funkgerät entdeckt und es sogar in Betrieb gesetzt. Ich nahm ihr das Mikrofon aus der Hand und meldete mich. Myrna in unserer Zentrale atmete hörbar auf.

»Wie kommt denn die Märchentante an das Gerät?«, wollte sie wissen.

Es war keine Zeit, eine Erklärung darüber zu geben. Ich gab nur knapp durch, was tatsächlich geschehen war, und löste Katastrophenalarm aus. Damit hatte ich sofort den Fall am Hals, denn dass er in unsere Zuständigkeit gehörte, unterlag keinem Zweifel.

»Benachrichtigt die Kollegen von der Abwehr. Bei der Sachlage, wie ich sie einschätze, ist das hier mehr als ein Kriminalfall«, sagte ich zum Schluss.

***

Sie waren beide Anfang zwanzig, höchstens dreiundzwanzig, hatten fast noch Jungengesichter. Aber diese Gesichter sahen aus, als stammten sie aus einer Eisengießerei. Der eine hieß Harrington. Er war schwarzhaarig. Sein rothaariger Kollege hieß Addis. Beiden sah man die Geheimdienstler aus hundert Yards Entfernung an.

»Sorry«, sagte Harrington, »aber dieser Fall ist allein Ihr Bier. Keine Sache für uns. Kein Hinweis auf geheimdienstliche Tätigkeit. Name des Opfers bei uns nicht verzeichnet. Tatablauf ohne registrierte Merkmale.«

Aus. Das war es. Harrington hatte seine fünf Sätze so hingeschmettert, wie ein Pokerspieler triumphierend die fünf Karten eines Royal Flush auf die Tischplatte donnert. Mr High, unser Chef, nickte in seiner besonnenen Art. Ich nickte ebenfalls, und die beiden Geheimdienstler schauten erst sich und dann uns an. Womit sie sich verabschiedeten.

»Und jetzt?«, fragte Mr High, als wir allein waren.

Es war 21:37 Uhr, die Sonne war untergegangen, der Verkehr in der Schlucht unserer 69th Street flutete wie an jedem Sonntagabend. Ich brauchte nicht auf das Thermometer zu schauen. In unserem Dienstgebäude herrschte wie immer eine Temperatur von genau 66,2 Grad Fahrenheit oder 19 Grad Celsius. Dafür sorgte die Klimaanlage.

Phil, mein Freund und Partner, meckert ständig über die Klimaanlage. Im Winter heizt sie ihm angeblich zu wenig, im Sommer zu viel. Phil war in dieser Stunde nicht anwesend. Trotzdem neigte ich jetzt zum ersten Mal dazu, ihm wegen der Klimaanlage zuzustimmen.

Mir war verteufelt heiß.

Doch das hing nicht mit der Klimaanlage zusammen, sondern allein mit dem Fall, in den ich im wahrsten Sinne des Wortes hineingerollt war. Zusammen mit einer hübschen, attraktiven, ungeheuer geschwätzigen und neugierigen Blondine, für die sich in fataler Weise an diesem Abend ein Wunsch erfüllt hatte. Es war etwas passiert, wie sie es gewollt hatte. Sie hatte den Sirenenknopf in meinem roten Flitzer betätigen dürfen.

Ich wusste inzwischen, dass sie Judy Carr hieß, an jenem Sonntag einundzwanzig Jahre und vierundfünfzig Tage alt war, von Beruf Auskunftshostess in einem Supermarkt und immerhin schon zweimal geschieden. Ihr Job war die Ursache, die zwei Scheidungen offenbar die Wirkung ihrer Geschwätzigkeit.

Wie ich sie jemals wieder loswerden würde, wusste ich nicht.

Vorerst jedenfalls hatte ich sie am Hals, denn sie war eine wichtige Zeugin. Sowohl für die Tat als auch für die Zeit vorher. Judy hatte gesehen, dass der rote Shelby aus Short Beach gekommen war, also von jener lang gestreckten kleinen Badeinsel, die im Atlantik vor Long Island liegt.

Judy gehörte zu einer Reihe Zeugen. Wichtig war einer der Cops, die zur Regelung des starken Rückflutverkehrs an den Kreuzungen rund um die Jones Bay eingesetzt waren. Glenn Parker war sein Name. Seine Aussage war eindeutig. Etwa zehn Minuten nach sechs, so lautete sie, habe der Shelby, aus westlicher Richtung kommend, seine Kreuzung passiert. Einziger Insasse sei ein Mann von etwa vierzig Jahren gewesen. Helle Kleidung, Freizeitdress. Dunkles Haar, graue Schläfen. Schlank, braun gebrannt. Keine besonderen Beobachtungen.

Eine andere Zeugin hieß Barbara Robbins. Besitzerin eines VW-Käfers. Ihr Volkswagen rettete ihr das Leben. Barbara Robbins hatte den Tag an der Seite des Mannes mit dem Shelby verbracht. Sie hatten sich gegen elf Uhr am Strand kennengelernt und heftig geflirtet. Der Flirt sollte abends in New York fortgesetzt werden.

Barbara war mit dem Mann, der sich ihr als Peter Holmes vorgestellt hatte, für neun Uhr verabredet gewesen. Sie wäre gern im Shelby in die City zurückgefahren, aber sie hatte ihren Volkswagen nicht auf dem Parkplatz am Strand stehen lassen können. Kurz nach Holmes war sie weggefahren. Etwa drei oder vier Minuten später. An der Kreuzung an der Jones Bay hatte sie ihn aus den Augen verloren, denn zwischen ihr und dem Shelby hatte der Cop drei Kolonnen aus dem Osten der lang gestreckten Insel vorgelassen.

Die Katastrophe hatte Barbara wie ich aus einer Entfernung von etwa dreihundert Yards beobachtet. Keine Einzelheiten, sondern nur die Explosion.

Dass Barbara Robbins so dicht hinter dem Shelby gewesen war, obwohl sie an der Kreuzung aufgehalten wurde, fand seine Erklärung durch einen weiteren Zeugen. Roger Hicks, Lieutenant bei der New Jersey State Police, vierunddreißig Jahre alt. Er hatte ausgesagt, dass der Shelby vom Strand bis nach Rockville Centre sein unmittelbarer Vordermann gewesen sei. In Rockville sei der Shelby dann zu einer Tankstelle abgebogen. Genau genommen zum Rockville Centre Auto Centre – Tankstelle, Reparaturwerk und Motel.

»Die Tankstelle, Jerry«, sagte jetzt auch Mr High.

»Ja, Chef, überlege ich auch gerade. Lieutenant Hicks sagte aus, die Explosion habe sich etwa eine knappe Meile hinter ihm ereignet. Wenn man die Zeiten berechnet, so scheint festzustehen, dass Peter Holmes dort nur getankt hat. Vier bis höchstens sechs Minuten hat er gegenüber seinem vorherigen Hintermann, also Hicks, verloren. Das ist im Sonntagabendbetrieb die durchschnittliche Tankzeit. Holmes wird kaum seinen Wagen verlassen und damit Gelegenheit zum Einbau einer Sprengladung gegeben haben.«

Peter Holmes, das war der Name des Opfers. Oder vielmehr der Name eines der Opfer. Der Anschlag war zweifellos gegen Holmes gerichtet gewesen, aber er hatte fünf weitere Todesopfer und insgesamt zweiundzwanzig Verletzte – neun Schwerverletzte, vier davon lebensgefährlich – gefordert.

Unsere Experten und die der City Police hatten eindeutig festgestellt, dass Holmes’ Fahrzeug allein der Herd der Explosion war. Ebenso stand fest, dass nicht etwa der Benzintank des Shelby hochgegangen war. Die Explosion war durch eine erhebliche Menge von Plastiksprengstoff hervorgerufen worden.

»Kein erkennbares Motiv«, stellte Mr High abschließend und ohne jedes Fragezeichen hinter dem Satz fest.

Wir nickten nur stumm.

»Trotzdem«, fuhr Mr High gleich darauf fort, »ist das unser Fall. Fassen wir also noch einmal zusammen, was wir über Peter Holmes wissen: Peter Holmes, zweiundvierzig Jahre alt. Wohnhaft in New York eins-null-null-zwei-vier, eins-null-drei-sieben Fifth Avenue. Angesichts dieser Adresse ist eine Berufsangabe schon fast überflüssig. Holmes hatte keinen Beruf. Er war Millionär. Sein Geld steckt zum ganz erheblichen Teil in einem Investmentfonds. Nicht als Anlage, sondern im Stammkapital. Holmes hatte allein in seiner Luxuswohnung gewohnt. Wahrscheinlich keine Angehörigen, wie wir vom Hausmeister in der Fifth Avenue wissen. Offenbar auch keine Freundin oder gar Verlobte. Nichts.«

Mr High machte eine Pause. Wir warteten, dass er weitersprach.

»Vor einer knappen halben Stunde haben wir den Präsidenten der Investmentgesellschaft erreicht. Er konnte uns ebenfalls nicht weiterhelfen, weder hinsichtlich des Kapitals, das Holmes in der Firma stecken hatte, noch in puncto eventueller Angehöriger oder Bekannter. Lediglich den Namen von Holmes’ Anwalt haben wir erfahren, er heißt Waterstone. Leider hatte aber bisher keiner unserer Anrufe Erfolg.«

Mr High gab mir einen Wink, und ich versuchte es noch einmal. Interessiert schaute er mir zu, als ich die Rufnummer wählte. Wie wir alle hatte er wohl auch immer noch die Hoffnung, dass wir wenigstens über Mr Waterstone noch irgendetwas Interessantes über den Toten erfahren konnten.

Mit Schaudern dachte ich an die Montagszeitungen. Die Explosion draußen an der Stadtgrenze im Osten von Queens hatte, bildlich gesehen, ganz New York erschüttert. Der Moloch Masse wartete auf Tatsachen und Hintergründe.

Tatsachen hatten wir. Sechs Tote, zweiundzwanzig Verletzte, unabsehbare Verkehrsstauungen, einen von einer vorausgeplanten Explosion aufgerissenen Highway.

Hintergründe?

»Waterstone. Wer ist denn da?«

Ich zuckte zusammen. Jetzt erst wurde mir bewusst, dass sich der Anwalt schon einmal gemeldet hatte. »Federal Bureau of Investigation, New York Field Division, Special Agent Cotton«, meldete ich mich.

»Um welchen meiner Mandanten geht es denn?«

»Um Holmes«, sagte ich kurz und ließ den Vornamen weg. Vielleicht, dachte ich, fragt er jetzt, und wir finden auf diese Weise einen Angehörigen.

Doch auch das war wieder eine Fehlanzeige.

»Peter Holmes?«, fragte er und lachte. »Hat er etwas ausgefressen? Kidnapping oder so?«

»Ich möchte Sie besuchen, Sir. Jetzt, sofort.«

»Einverstanden«, sagte er nur.

2

»Peter Holmes ist ein sehr reicher Mann?«, stellte ich fragend fest.

Rechtsanwalt Waterstone zündete sich eine winzige helle Zigarre an, die in seinen geradezu riesigen Händen fast verschwand. Auch wenn er zog, waren Glut und Qualm die letzten Erkennungszeichen, denn Waterstone hatte einen riesigen Kopf, dessen Ausmaße durch eine gewaltige Löwenmähne noch betont wurden.

»Peter Holmes gilt als Millionär. Ich schreibe ihm, wenn er meine Dienste in Anspruch nimmt, entsprechende Rechnungen, und er bezahlt sie, ohne dabei bleich zu werden«, berichtete er gemütlich.

»Müssen Sie oft Rechnungen schreiben?«, forschte ich.

Er lehnte sich weit zurück und zog schnaubend eine größere Menge Luft durch die Nase. »Ts, ts, ts«, machte er. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen diese Frage beantworten soll. Doch, meinetwegen: Holmes ist ein sehr angenehmer Klient. Ein paar Zivilprozesse, ein paar Beratungen, sonst nichts. Das heißt, ein paar Strafsachen.«

Ich fuhr hoch. »Strafsachen?«

Er grinste wie ein Faun. »Keine Fälle für Sie, Agent Cotton. Aber es ist halt strafbar, mit hundert Meilen Geschwindigkeit morgens um vier über den Broadway zu rasen und von der Brooklyn Bridge mit allen Kleidern und einem Regenschirm in den East River zu springen. Ich fürchte mich jetzt schon vor seiner nächsten Eskapade.«

»Es wird keine mehr geben«, erwiderte ich.

Er grinste wieder, aber jetzt wirkte es schief. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie ihn einsperren wollen?«

Ich beantwortete diese Frage nicht, sondern wollte seine Unsicherheit ausnutzen. »Sie sind sein Anwalt. Sind Sie auch sein Testamentsvollstrecker?«

»Auf was wollen Sie hinaus?« Jetzt war er nicht mehr der gemütliche Löwenkopf, der sich mit einer winzigen Zigarre beschäftigte. Jetzt war er ein Anwalt, der es in sich hatte. Seine Stimme klang stählern, und er wirkte mit einem Mal drahtig.

»Ich suche Angehörige vom ihm«, meinte ich nur.

Waterstone verwandelte sich zurück. Müde winkte er ab. »Die suche ich auch. Allerdings erst dann, wenn er tot ist, und das werde ich nicht erleben. Es gibt kein Testament, und ich weiß bis heute nicht, wer ihn einmal beerben soll. Wenn es so weit ist, werde ich in der ganzen Welt für etwa zehntausend Dollar Suchanzeigen veröffentlichen lassen. Sie wissen schon: Gesucht werden die Erben des … und so weiter.«

»Eine Anzeigenagentur haben Sie, um diese Inserate aufgeben zu können?«

»Ich bin Vertragsanwalt einer weltweit bekannten Werbeagentur. Die machen das für mich«, antwortete er und fuhr sich durch seine Löwenmähne.

»Dann rufen Sie gleich morgen früh an«, riet ich ihm.

Er brachte es fertig, mich ein weiteres Mal zu verblüffen. Erst streifte er die Asche vom Rest seiner winzigen Zigarre, dann drückte er die ganze Zigarre aus, angelte sich eine Riesenkiste und holte dort eine neue Zigarre heraus. Eine riesige diesmal, die besser zu ihm passte. Außerdem war sie kohlrabenschwarz. Er schnitt ihre Spitze ab, zündete sie sorgfältig an, nahm einen tiefen Zug und lehnte sich weit in seinen Sessel zurück.

»Wer hat denn Peter Holmes umgebracht?«, fragte er.

»Das wissen wir nicht.«

»Wann, wo, wie?«

»Heute Abend, achtzehn Uhr achtunddreißig, Sunrise Highway, genau hundertfünfundachtzig Yards diesseits der Stadtgrenze. Er flog mit seinem Auto in die Luft. Sprengladung. In einer dichten Ausflüglerkolonne. Insgesamt sechs Tote, zweiundzwanzig Verletzte. Einige schweben noch in Lebensgefahr.«