Jerry Cotton Sonder-Edition 85 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 85 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Der Tod hatte seinen Auftritt. Professor Shaw lächelte verbindlich, als er ihn empfing. Aber ihm sollte das Lächeln vergehen, denn der Tod machte Ernst. Professor Shaw war nur der erste Experte, den der Boss der Bilderfälscher umbringen ließ. Brutal und ohne jegliches Erbarmen. Phil und ich hetzten den Mörder. Als wir ihn endlich hatten, da griff der Tod nach uns ...

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EPUB

Seitenzahl: 209

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Nach all diesen Morden …

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: »South_agency«/iStockphoto

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6812-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Nach all diesen Morden …

1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.

Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:

»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.

Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

Der Tod trug einen gestreiften Anzug.

Professor Shaw lächelte verbindlich, als er ihn empfing. Er versuchte damit die kühle Distanz zu überspielen, die jeder Fremde in ihm auslöste. Professor Shaw war ein Mann der Kunst und Wissenschaft. Er stand der turbulenten Welt, die außerhalb seines Arbeitszimmers einen unerbittlichen Existenzkampf führte, ziemlich hilflos gegenüber.

Die Männer setzten sich. Das knisternde Kaminfeuer und eine Stehlampe mit altmodischem Seidenschirm erhellten nur das Zentrum des Arbeitszimmers. In den Ecken und Winkeln hockte lastendes Dunkel.

»Äh … wie war Ihr Name, bitte?«, fragte Professor Shaw.

»Mein Name tut nichts zur Sache«, erwiderte der Mann im taillierten Zweireiher. Er hatte einen schmallippigen Mund mit stark gesenkten Winkeln, die sein Gesicht zu einem fixierten Ausdruck des Hohns verdammten.

Professor Shaws Lächeln zerfaserte, wurde kraftlos und matt. Er bereute es plötzlich, den Fremden überhaupt eingelassen zu haben. Aber der Mann hatte etwas von einer Expertise gesagt, und das hatte ihn bewogen, den Fremden nicht abzuweisen.

»Aber …«, begann Professor Shaw nervös.

Der Fremde winkte ab und befreite den Gegenstand, den er mitgebracht hatte, von einem Bogen Papier. Ein Ölbild kam zum Vorschein. Es war nicht größer als ein normales Buch und auf Holz gemalt. Der Professor beugte sich interessiert nach vorne. Seine Bedenken waren auf einmal wie weggeblasen. Das Bild zeigte den Kopf einer Bäuerin mit stark geröteten Wangen und schadhaften Zähnen. Professor Shaw sah auf den ersten Blick, dass es sich um ein hochkarätiges Kunstwerk handelte.

»Darf ich es sehen?«, fragte er.

Der Fremde überließ ihm das Bild.

Professor Shaw erhob sich und trat an die Stehlampe heran. »Niederländische Schule, gemalt im Stil von Frans Hals.«

»Es ist ein Frans Hals«, erklärte der Fremde kategorisch. »Und Sie werden es mir bestätigen.«

Die Fingerspitzen des Professors glitten über die dünne, glänzende Farbschicht, unendlich behutsam und beinahe zärtlich. Sie ertasteten jedes Detail der Darstellung und Strichführung.

»Ich muss Sie enttäuschen«, sagte er. »Die handwerklichen Qualitäten des Bildes sind über jeden Zweifel erhaben, aber es ist kein Frans Hals.«

»Sehen Sie sich die Signatur an«, erwiderte der Fremde. Er war nicht älter als vierzig und hatte eine scharfe, mürrisch klingende Stimme. In seinem hässlichen, grob geschnittenen Gesicht waren die Augen wie kleine graue Tümpel.

Professor Shaw widerstrebte es, dieses Gesicht anzusehen. Er war ein Ästhet, der Hässlichkeit nur dann billigte, wenn sie durch Herz und Charakter veredelt wurde.

»Gefälscht«, erklärte der Professor nach kurzer Prüfung. »Natürlich bedarf diese Feststellung auf jeden Fall noch der wissenschaftlichen Untermauerung, aber ich meine …«

Der Fremde fiel ihm abermals ins Wort. »Ich brauche die Expertise, Professor. Jetzt. Sofort!«

»Eine Expertise für eine offenkundige Fälschung?«, fragte Shaw verdutzt. »Das Bild ist auf Holz gemalt, und alles spricht dafür, dass keine synthetischen Farben verwendet wurden, aber trotzdem bin ich davon überzeugt, dass es erst vor vier oder sechs Wochen entstanden ist.«

»Das spielt doch keine Rolle«, zischte der Besucher. »Wenn Sie sagen, der Schinken sei echt, wird jeder Ihr Wort akzeptieren. Sie sind ein Mann, dessen Wort in der Welt der Kunstbesessenen Gewicht hat.«

Professor Shaws Züge vereisten. Er gab dem Fremden das Bild zurück. »Ich darf Sie bitten, meine Wohnung zu verlassen«, entgegnete er frostig. »Ich habe noch zu tun.«

»Sind Sie verheiratet, Professor?«, erkundigte sich der Mann im gestreiften Anzug. Seine Augen schienen sich plötzlich mit einer dünnen Eiskruste zu überziehen.

Shaw war seinem Wesen nach weder grob noch unhöflich. Jetzt jedoch merkte er, wie der in ihm aufsteigende Ärger nach einem Ventil suchte.

»Meine Frau ist vor zwei Jahren gestorben«, erwiderte er schroff. »Was geht Sie das an?«

»Kinder?«

»Einen Sohn.«

»Wie alt ist er?«, bohrte der Fremde weiter.

Auf Professor Shaws Stirn zeigte sich eine Unmutsfalte. »Ich verstehe Ihre Fragen nicht.«

»Sie werden gleich dahinterkommen«, meinte der Fremde. »Also los, wie alt ist Ihr Sohn?«

»Stan wird im nächsten Monat zwanzig.«

»Kostet er Sie viel?«

»Stans Ausbildung als Elektroingenieur ist nicht billig, aber weder er noch ich stellen große Ansprüche an das Leben. Wir kommen gut zurecht.«

»Was denn, hat der Junge keine Hobbys?«

»Er ist leidenschaftlicher Tonbandjäger. Das meiste, was er an technischen Einrichtungen für dieses Steckenpferd benötigt, bastelt er selbst.«

»Vielleicht hat er Wünsche, die er für sich behält, weil er weiß, dass Sie nicht gerade im Geld schwimmen?«

Professor Shaws Stirnfalte vertiefte sich. Er spürte genau, worauf der Fremde hinauswollte. Die Anwesenheit des Mannes im gestreiften Anzug bereitete ihm jetzt ein geradezu physisches Unbehagen.

»Jeder junge Mensch hat Wünsche«, gab er zurück. »Entscheidend ist, dass man sie im Griff behält.«

»Und wie steht es mit Ihnen? Sie sind ein Kunstfan. Hätten Sie nicht Lust, einmal nach Florenz zu reisen? Oder nach Rom und Paris?«

»Kommen Sie endlich zur Sache!«

»Ich zahle Ihnen für die Expertise fünftausend Bucks«, sagte der Mann im gestreiften Anzug. »Das ist vermutlich mehr, als Sie jemals auf der Bank hatten.«

»Bitte … gehen Sie jetzt!«

»Fünftausend für eine Expertise«, wiederholte der Mann. »Wenn Sie uns jährlich zehn ausfertigen, können Sie dabei reich werden. Sie können die Welt sehen und Ihrem Musterknaben von Sohn das Auto kaufen, von dem er vermutlich träumt. Mit einem Schlag können Sie all die Dinge tun, die Ihnen bisher unerreichbar waren.«

»Sie wissen nichts von mir«, meinte der Professor und schüttelte den Kopf. »Ich bin ein zufriedener, vielleicht sogar ein glücklicher Mensch. Es mag banal klingen, aber es trifft zu, dass ich mein Leben der Kunst gewidmet habe. Das verpflichtet.«

Der Fremde erhob sich, zog gleichzeitig ein Schnappmesser aus der Jackentasche und ließ die Klinge einrasten. Der metallische Laut ließ den Professor zusammenzucken.

»Auch ich habe mein Leben der Kunst gewidmet«, höhnte der Fremde. »Der Kunst des Tötens.«

Wie fasziniert starrte Shaw auf die blitzende, mehr als fingerlange Klinge. Das Kaminfeuer zauberte tanzende Lichtreflexe auf den kalten Stahl. Professor Shaw erinnerte sich flüchtig daran, dass er vor einiger Zeit ein Bild gesehen hatte, auf dem der Künstler dieses Wechselspiel von Licht und Schatten meisterhaft eingefangen hatte. Allerdings hatte es sich dabei um einen Degen und nicht um ein Schnappmesser gehandelt, aber der Effekt war der gleiche gewesen. Professor Shaw schob die Erinnerung beiseite. Jetzt zählte nur noch die Gegenwart. Er spürte, dass es um sein Leben ging.

Professor Shaw war kein Kämpfer. Er war ein sensibler, musischer Mensch, der Gewalt verachtete. Er hatte sie niemals kennengelernt und fühlte, wie hilflos ihn die Konfrontation mit ihr machte.

Sein Mund war trocken. Er war unfähig, seinen Blick von dem blitzenden Stahl zu nehmen.

»Sie werden mit uns zusammenarbeiten, nicht wahr, Professor?«, fragte der Fremde spöttisch.

»Nein«, erwiderte Professor Shaw.

Er hatte nicht vor, den Helden zu spielen, aber er war auch nicht bereit, sich dem Schrecken zu beugen.

»Fünfzigtausend im Jahr, vielleicht auch das Doppelte«, insistierte der Fremde. »Überlegen Sie es sich! Reich oder tot. Was gibt es da noch zu zögern?«

»Sie bluffen«, sagte der Professor schwer atmend. »Sie wollen mich einschüchtern. Ich muss Sie enttäuschen. Ich hasse Gewalt. Gerade weil das so ist, werde ich mich ihr niemals beugen. Ich bin kein Mann, der sich zu einem Betrüger degradieren lässt. Stecken Sie das Messer weg, und verlassen Sie sofort mein Haus!«

»Ich bin kein billiger Bluffer, Professorchen«, höhnte der Mann im gestreiften Anzug. Er sprach immer noch wie im Plauderton, aber hinter seinen Worten verbarg sich die eiskalte Entschlossenheit des professionellen Killers. »Ich führe das Messer nicht spazieren, um damit Blumen abzuschneiden.«

Der Professor schluckte. Er begriff, dass es sinnlos war, den Fremden herauszufordern. Aber wie konnte oder sollte er mit ihm fertigwerden? Er war allein im Haus.

Stan hatte gesagt, dass er nicht vor Mitternacht zurückkommen würde.

Shaw löste den Blick mit einiger Anstrengung von der blitzenden Klinge, aber die Betrachtung des brutalen Gesichts seines Besuchers verschaffte keineswegs Erleichterung. Er hielt es für das Klügste, erst einmal Zeit zu gewinnen.

»Was hätten Sie von der gewünschten Expertise?«, fragte er. »Früher oder später käme ein Kollege dahinter, dass ich ein gefälschtes Bild für echt erklärt habe. Ein neu aufgetauchter Frans Hals wäre eine Sensation auf dem Kunstmarkt.«

»Niemand wird es wagen, dem renommierten Professor Shaw zu widersprechen«, antwortete der Mann im gestreiften Anzug. »Und selbst wenn das passierte, brauchten wir uns nicht gleich in die Hosen zu machen. Dann stände eben eine Expertise gegen eine andere. Hauptsache, wir haben die Bucks im Kasten! Sicher ist, dass wir unseren nachgemachten Barock nur dann verkaufen können, wenn ein namhafter Experte die Echtheit bestätigt. Das ist ein Millionengeschäft, Professor. Sie wären blöd, wenn Sie sich daran nicht beteiligten.«

»Sie reden immerfort in der Mehrzahl. Wer sind Ihre Hintermänner?«

Der Mann im gestreiften Anzug warf den Kopf zurück und lachte kurz. Er zeigte dabei zwei Reihen tabakbrauner Zähne. Die oberen Backenzähne beidseits trugen Goldkronen.

Shaw prägte sich diese Kleinigkeit ein. Er war zu einem Entschluss gelangt. Er musste den Besucher bis zum nächsten Tag vertrösten. Wenn ihm das gelang, konnte er die Polizei verständigen und dafür sorgen, dass den Gangster die verdiente Strafe ereilte. Es war dabei fraglos von Vorteil, wenn er den Beamten mit wichtigen Einzelheiten dienen konnte.

»Hintermänner!«, meinte der Fremde grinsend. »Erwarten Sie darauf eine Antwort? Es muss Ihnen genügen, dass wir eine sehr schlagkräftige Organisation sind.«

»Eine Fälscherorganisation?«

»Ja und nein.«

»Was heißt das?«

»Der Handel mit gefälschten Kunstwerken ist nur ein Nebenzweig des Syndikats, aber der Boss ist entschlossen, ihn kräftig auszubauen. Es ist der leichteste Weg, an Millionen zu kommen.«

»Lassen Sie mir vierundzwanzig Stunden Zeit«, bat Professor Shaw. »Ich muss das erst einmal überdenken.«

»Ich pfeife auf Ihre Gedankenakrobatik«, sagte der Gangster scharf. »Ich brauche die Expertise! Los, setzen Sie sich an den Schreibtisch und stellen Sie mir den Wisch aus. Ich erwarte, dass Sie gute Arbeit leisten, sonst muss ich Ihnen mit dem Messer einen zweiten Besuch abstatten.«

»Sie sind offenbar mit den Usancen meines Berufs nicht vertraut«, meinte der Professor schwer atmend. »Eine Expertise besteht aus einem mehrseitigen, sehr detaillierten Gutachten. Das kann man nicht aus dem Ärmel schütteln.«

»Ihnen wird schon etwas einfallen«, erklärte der Gangster. »Schließlich haben Sie Übung darin. Wo steckt übrigens Ihr Sohn?«

»Er ist im Klub.«

»Wann erwarten Sie ihn zurück?«

Ein leichtes Frösteln überkam Professor Shaw. Er dachte an die Möglichkeit, dass die Gangster Stan entführen könnten, um ihren Forderungen auf diese Weise Nachdruck zu verleihen.

»Das wird spät werden«, erwiderte er ausweichend.

»Umso besser für ihn«, knurrte der Gangster. »Söhne spielen gerne verrückt, wenn sie ihre Väter in Gefahr sehen. Ich bin nicht darauf versessen, dem Musterknaben die Vielseitigkeit meines Messers zu demonstrieren, aber wenn Sie nicht rasch die Expertise ausstellen, kann es leicht zu einer solchen Panne kommen. Es liegt an Ihnen, dass der Goldjunge nicht an den falschen Stellen perforiert wird.«

»Falls Sie es wagen sollten, Stan anzurühren …«, begann der Professor kaum hörbar. Ihm fehlte die Kraft, den Satz zu Ende zu führen.

»Wenn Sie für uns arbeiten, tun Sie es auch für Stan«, behauptete der Gangster. »Sie könnten ihm das Taschengeld erhöhen. Ist das nichts?«

»Ich will kein Geld von Ihnen«, sagte Professor Shaw, von plötzlichem Ekel gepackt.

»Das ist Ihre Sache. Ich behalte die Scheinchen gerne für mich. Ich sammle die Dinger nämlich. Geht es nun endlich an die Arbeit? Ich habe keine Lust, mir Ihretwegen die ganze Nacht um die Ohren zu schlagen.«

Der Professor schwieg und blickte wieder das Messer an. Er hasste sich dafür, weil die Blicke seine Furcht verrieten, war jedoch außerstande, diese Schwäche zu verbergen.

»He, ich spreche mit Ihnen, Professorchen!«, blaffte der Gangster. »Kann es losgehen?«

»Nein«, antwortete Professor Shaw. Er war erstaunt, wie klar und fest seine Stimme klang.

»Sie weigern sich?«

»Ja.«

»Sie sind etwas weltfremd, mein Lieber«, sagte der Gangster leise. »Ich könnte Sie quälen. Mit oder ohne Messer. Es gibt Methoden, mit deren Hilfe ich Sie zum eifrigsten Mitarbeiter machen könnte. Ich verzichte darauf, weil ich weiß, wie schlecht es sich mit lädierten Händen schreibt.«

Shaw merkte, dass ihm das Hemd am Rücken klebte. Gleichzeitig fror er. Das Kaminfeuer erzeugte auf den goldgeprägten Buchrücken in den hohen Wandregalen die gewohnten warmen Farbtöne. Er befand sich in seinem Reich, in seinem geliebten Arbeitszimmer, und doch schien es ihm auf einmal so, als könnte darin nie wieder alles so sein, wie es einmal gewesen war.

»Sie werden mich nicht verletzen«, erwiderte er. Seine Stimme hatte an Festigkeit verloren, aber sein Wille war ungebrochen.

»Warum nicht?«, wollte der andere wissen.

»Es … es brächte Ihnen nichts ein. Sie hätten nichts davon«, erklärte der Professor.

»Wetten, dass?«, höhnte der Gangster. »Denken Sie doch einmal nach, Mann! Darin sind Sie doch groß, nicht wahr? Schließlich gehört das zu Ihrem Beruf. Was geschähe wohl, wenn ich Sie mit ein paar Messerstichen ins Jenseits schnippelte? Die Tat würde Schlagzeilen machen. Zumindest in Ihren Kreisen. Und genau darauf kommt es uns an. Wir brauchten nicht zu befürchten, dass einer Ihrer Kollegen, an den wir uns dann wenden würden, unseren Drohungen widerstehen könnte. Der Betreffende würde mir glatt aus der Hand fressen, weil er nicht wie Sie enden möchte. Das, Professorchen, rechtfertigt Ihren Tod.«

Er blufft, redete sich Shaw ein. Niemand wäre so töricht, aus dem von ihm genannten Grund einen Mord zu begehen. Ich muss jetzt stark bleiben. Ich will auch morgen mein Gesicht im Spiegel betrachten können, ohne vor Scham erröten zu müssen! Ein Mann hat seinen Beruf und seine Ehre. Er ist verloren, wenn er diese Dinge aufgibt.

»Sie bekommen von mir keine Expertise«, wiederholte er. »Das ist mein letztes Wort.«

»Das ist es in der Tat«, meinte der Gangster mit kaltem Hohn und stieß zu.

Professor Shaw riss schützend die Arme hoch, aber seine Reaktion kam zu spät. Er öffnete den Mund, um zu schreien. Sein Entsetzen und der jäh aufflammende Schmerz machten es ihm unmöglich, mehr als ein gurgelndes Krächzen über die Lippen zu bringen.

Der Killer trat einen Schritt zurück. Er beobachtete, wie der Professor in die Knie brach und sich vergeblich darum bemühte, wieder auf die Beine zu kommen. Shaw klammerte sich mit den Händen an eine Sessellehne, aber in seinen Armen war keine Kraft. Seine Kinnlade klappte nach unten, im Mund breitete sich süßlicher Geschmack aus.

Blut.

Er dachte an Stan, wollte den Namen seines Sohns rufen, wollte die Angst, den Schmerz und seine Verzweiflung artikulieren, aber auch das schaffte er nicht. Vor seinen Augen wogten rosige Nebel. Die rasch zunehmende Schwäche flocht dunkle Streifen in das pastellfarbige Wogen. Professor Shaw ließ die Sessellehne los und sank langsam zu Boden.

Der Mörder hielt das Messer weit von sich gestreckt. Er schaute prüfend an sich herab und stellte zufrieden fest, dass er den modisch geschnittenen Zweireiher nicht mit Blut befleckt hatte.

Schließlich ging er ins Badezimmer. Er drehte beide Hähne des Waschbeckens auf, um sich und das Messer gründlich zu säubern. Das Eis in seinen Augen war geschmolzen.

2

Wir hörten den Mord vom Band.

Wir, das waren John D. High, mein Freund und Kollege Phil Decker und ich.

Anwesend war außerdem der Mann, der uns die Aufnahme ins District Office gebracht hatte.

Keiner von uns äußerte ein Wort. Was hätten wir auch sagen sollen? Ich spürte, wie sich etwas in mir verkrampfte, als das Röcheln des Sterbenden aus dem Lautsprecher drang. Dann war alles vorüber.

Phil erhob sich und trat ans Fenster. Er hatte die Schultern hochgezogen, als fröre er. Mr High blieb am Schreibtisch sitzen. Er schwieg. Ich vermied es, Stan Shaw anzusehen, aber ich bemerkte aus den Augenwinkeln, wie seine Schultern zuckten. Er stellte das Bandgerät ab.

»Ich hoffe, Sie können etwas damit anfangen«, sagte er mit tränenerstickter Stimme.

Mr High öffnete eine Schreibtischschublade. Er holte einen ledernen Tabaksbeutel und eine Pfeife heraus. Es war nicht seine Gewohnheit, in Anwesenheit eines Besuchers zu rauchen, aber er war ein taktvoller Mann, und das Stopfen der Pfeife gab ihm Gelegenheit, nicht in die tränenfeuchten Augen des jungen Mannes blicken zu müssen.

»Sie … Sie müssen die Stimme des Mörders über alle Stationen senden«, fuhr Stan Shaw fort. »Irgendjemand muss sie doch erkennen …«

»Ich fürchte, das wird uns nicht weiterbringen«, meinte Mr High und schaute mich an. »Wie denken Sie darüber, Jerry?«

»Die Stimme des Täters ist nicht besonders deutlich«, erwiderte ich. »Offenbar saß er mit dem Rücken zum Mikrofon. Sie klingt verfremdet. Der Raum hat außerdem eine gewisse Hallwirkung, die den Verfremdungseffekt erhöht.«

»Ich hatte das Mikrofon mit dem Bandgerät hinter einer Buchreihe versteckt«, erklärte Stan Shaw. »Hätte ich gewusst, was ich damit aufnehmen würde …« Seine Stimme brach. Er war außerstande, den Satz zu Ende zu führen.

Mr High legte den Tabaksbeutel beiseite. Er nahm die Pfeife in den Mund, verzichtete jedoch vorerst darauf, sie anzuzünden. »Warum haben Sie es getan?«

Der junge Shaw zuckte zusammen. »Was getan?«, stieß er hervor.

»Das Gespräch aufgenommen«, antwortete Mr High. »Ihren Vater belauscht.«

»Ich bin das, was man einen Tonbandjäger nennt«, meinte Stan Shaw. »Das Wort ›belauschen‹ hat einen hässlichen Beigeschmack. Es riecht nach penetranter Neugierde und nach Verletzung der Intimsphäre. An diese Dinge habe ich nicht gedacht, als ich das Gerät im Arbeitszimmer meines Vaters aufstellte. Ich wollte meinen Vater erziehen. Ich weiß, das klingt dumm. Vielleicht sollte ich sagen, dass ich ihm helfen wollte. Ja, helfen! Ein Mensch kann sich nur dann ändern und bessern, wenn er mit seinen Fehlern konfrontiert wird.«

Phil wandte sich um und nahm wieder neben mir Platz. Stan Shaws Stimme wurde leiser. Wir mussten uns anstrengen, um ihn verstehen zu können.

»Papa sollte hören, wie ungeschickt und geschnörkelt er spricht, wie weltfremd er sich im Umgang mit Besuchern gibt. Er wollte mir nie glauben, wenn ich ihn darauf ansprach. Ich war so kindisch, ihn formen zu wollen! Als wäre es wirklich wichtig gewesen, wie er sich auszudrücken pflegte. Ich schäme mich …«

Mr High entzündete ein Streichholz und hielt es an die Pfeife. Stan Shaw sank tief im Besuchersessel zusammen. Als er die Augen schloss, bekam ich Gelegenheit, ihn prüfend zu mustern.

Er war leichenblass, wirkte ausgelaugt und verstört, aber ich spürte, dass sich hinter diesen Auswirkungen des Schocks bereits die Kräfte seiner Jugend und seines Vergeltungswillens zu sammeln begannen. Das zeigte sich schon an der Art, wie seine Fäuste auf den Schenkeln ruhten.

Er hatte ein schmales, gut geschnittenes Gesicht mit graublauen Augen, eine hohe Stirn und ein etwas kantig wirkendes Kinn. In diesem sehr sympathischen männlichen Gesicht spielte der feminin anmutende Mund eine beinahe verloren wirkende Rolle. Stan Shaw war hellblond. Im Gegensatz zu den meisten seiner Altersgenossen trug er das Haar ziemlich kurz.

»Ich bringe den Kerl um, wenn ich ihn finde«, flüsterte er. »Ich werde den Tod meines Vaters rächen!«

»Sie werden nichts dergleichen tun«, sagte Mr High ruhig. »Überlassen Sie es bitte uns, den Fall aufzuklären.«

Stan Shaw hob den Blick. Seine Hände entkrampften sich. Er schwieg. Ich hatte das Gefühl, dass er Mr High aus taktischen Gründen nicht zu widersprechen wagte, jedoch keineswegs gewillt war, sich an dessen Worte zu halten.

»Wann kamen Sie nach Hause?«, fragte der Chef.

»Kurz nach Mitternacht, Sir«, erwiderte Stan Shaw.

»Sie gingen sofort in das Arbeitszimmer Ihres Vaters?«

»Ja. Erstens sah ich, dass dort noch Licht brannte, und zweitens wusste ich, dass mein Vater Nachtarbeit liebte und selten vor ein oder zwei Uhr morgens ins Bett zu gehen pflegte. Als ich ihn nicht im Arbeitszimmer fand, schaute ich mich im Schlafzimmer und in den anderen Räumen um. Es irritierte mich, dass ich ihn nirgendwo entdeckte. Es war nicht seine Art, nachts wegzugehen, und wenn er es wirklich einmal tat, hinterließ er mir stets eine Nachricht auf seinem Schreibtisch. Irgendein Gefühl sagte mir, dass ein Besucher in der Wohnung gewesen war. Dann fiel mir das Tonbandgerät ein. Ich hatte es mit einem von mir entwickelten und gebastelten Akustikschalter versehen, der das Gerät einstellte, sobald im Zimmer gesprochen wurde. Ich holte das Gerät hinter der Buchreihe hervor, spulte das Band zurück und hörte mit wachsendem Entsetzen an, was geschehen war.«

»Sie alarmierten sofort die City Police«, rekapitulierte Mr High. »Wann war das?«

»Gegen ein Uhr, nachdem ich mir das Tonband angehört hatte«, erwiderte Stan Shaw. »Die Beamten trafen eine Viertelstunde später ein. Sie fanden Blutflecke auf dem Teppich des Arbeitszimmers und in der Diele, aber keinen brauchbaren Hinweis auf den Täter, die Bandaufnahme ausgenommen. Die Printexperten machten sich an die Arbeit und stellten fest, dass die Klinken der infrage kommenden Türen abgewischt worden waren. Demzufolge konnten sie keine Fingerabdrücke außer meinen eigenen festhalten. Man bat mich, mit dem Band zu Ihnen zu gehen, da Kunstfälschungen in die Zuständigkeit des FBI fallen. Die Polizei hat sich von der Aufnahme eine Kopie angefertigt.«

Mr High schaute mich an. Es war leicht zu erraten, was in ihm vorging. Die Bandaufnahme ließ keinen Zweifel daran, dass die Gangster den Tod des Professors dazu benutzen wollten, um ihr nächstes Opfer einzuschüchtern. Damit stellte sich uns die Frage, wen das FBI vor diesem geplanten Verbrechen beschützen musste.

»Wie viele prominente Kollegen hatte Ihr Vater?«, erkundigte sich Mr High.

»In New York höchstens sieben oder acht«, meinte Stan Shaw, »aber im ganzen Land dürften es immerhin ein paar Dutzend sein.«

»Ich bezweifle, dass dem Syndikat eine Expertise zum Bilderverkauf genügt«, warf ich ein. »Die Gangster brauchen zur erfolgreichen Abwicklung ihres schmutzigen Geschäfts auch eine Galerie. Deren Besitzer muss zumindest ebenso bekannt sein wie der Gutachter.«

»In New York gibt es meines Wissens nur eine Persönlichkeit, die als Kunstsachverständiger den Ruf meines Vaters erreichen konnte«, sagte Stan Shaw. »Das ist Professor Wyndham.«

»Kennen Sie ihn?«, fragte Mr High.

»O ja, mein Vater und der Professor kamen mindestens einmal wöchentlich zusammen, um ihre Erfahrungen auszutauschen«, sagte Stan Shaw. Er stand plötzlich auf. Sein Kinn wirkte noch eckiger, als er es nach vorne schob. »Was war ich doch für ein Narr!«, stieß er hervor. »Ich bildete mir ein, meinem Vater etwas beibringen zu können. Er hat mich mit seiner Haltung beschämt. Ich hielt ihn zuweilen für einen weichlichen Musensohn, aber sein Ende hat bewiesen, dass er wie ein Mann gestorben ist und keinen Zoll von seiner Überzeugung geopfert hat. Ich wünschte, ich hätte Gelegenheit gehabt, ihm meine Bewunderung auszudrücken …« Wieder glitzerten Tränen in den Augen des jungen Mannes. Die Erregung fiel von ihm ab. Er ließ sich in den Sessel fallen und streckte die Beine weit von sich.

»Ist dieser Professor Wyndham verheiratet?«, fragte Mr High.

»Ja.«

»Kinder?«

»Nein.«

»Offenbar versuchen die Gangster, mit alten Niederländern beziehungsweise mit Kopien dieser Schule ins Geschäft zu kommen«, stellte Mr High fest. »Welche Galerien im Land haben sich auf diese Bilder spezialisiert?«

»Im Prinzip bemüht sich jede Galerie – die der Moderne ausgenommen – um den profitablen Handel mit alten Meistern«, antwortete Stan Shaw, »aber natürlich gibt es einige, die auf diesem Gebiet einen besonders guten Ruf genießen. Für fast noch wichtiger halte ich allerdings die großen Auktionshäuser. Sie spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, eine sensationelle Neuentdeckung auf den Markt zu bringen.«

»Kunstauktionen mit spektakulären Neuentdeckungen alter Meister bekommen im allgemeinen eine Publicity, die nicht im Interesse der Fälscher liegen kann«, bemerkte Phil.

Ich nickte zustimmend. »Wir täten gut daran, unsere Aufmerksamkeit erst einmal auf die Galeriebesitzer und Kunsthändler zu konzentrieren, auf Leute mit guten Beziehungen zu zahlungskräftiger Kundschaft also. Allein unter den texanischen Ölmillionären gibt es ein Käuferpotenzial, das jeden Preis zahlt, um einen echten Renoir oder Gauguin erstehen zu können. Alte Kunst wird außerdem als Geldanlage mit raschem Wertzuwachs betrachtet. Es ist klar, dass sich das Syndikat an Kunsthändler mit diesen Beziehungen wenden wird und muss.«

»In New York gibt es nur drei Galerien, die dafür infrage kommen«, erklärte Stan Shaw. »Das sind Gilbey and Frazer, Ibrahim Knox und Logan Laymoore.«

Das Telefon klingelte. Mr High nahm die Pfeife aus dem Mund und griff nach dem Hörer. Ich sah, wie sich seine Wangenmuskeln strafften. Das Gespräch beschränkte sich auf das, was der Anrufer zu sagen hatte. »Danke«, meinte Mr High und legte auf. »Sie haben ihn gefunden«, sagte er leise.

Stan Shaw zuckte zusammen. Er krallte die Finger in die Lehnen seines Sessels. »Tot?«, fragte er heiser.

Mr High nickte. »In einer Baugrube am Bruckner Boulevard in der Bronx. Er wurde von spielenden Kindern entdeckt.«

»Tot«, murmelte Stan Shaw. Er erhob sich. Sein starrer Blick ging ins Leere. Sein weicher Mund zuckte verräterisch.