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Wir sollten Frank Capello festnehmen, einen seit Monaten gesuchten Verbrecher. Er stand in den Fahndungslisten von acht Staaten und war in einem kleinen Nest am Long Island Sund gesehen worden. Routinefall, dachten wir, mein Freund Phil Decker und ich. Aber wir hatten nicht mit dem Hurrikan gerechnet. Capello allerdings auch nicht. Einer der Meteorologen taufte den Hurrikan auf Agatha. Ein harmloser, etwas altmodisch klingender Name. Doch in diesem Fall bedeutete Agatha Tod ...
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Seitenzahl: 217
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Sein Name war Capello
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: D-Keine/iStockphoto
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6813-0
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Sein Name war Capello
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Die Morgensonne knallte auf das Dach des schwarzen Packard. Die drei Männer in dem Wagen schwitzten. Der Packard stand an der Gabelung der Straße, die von Willow’s Point zur Fischfabrik hinaufführte. Nach links machte die schmale Asphaltstraße einen leichten Bogen und endete etwa zweihundert Yards weiter unten am Hafen. Eine hölzerne Mole aus massiven Stämmen führte weit ins Wasser hinaus. Auf der rechten Seite schaukelten abgedeckte Motorboote und schlanke Segeljachten auf der Innenseite der Wellenbrecherstege in den sanften Wellen. Die Poller auf der linken Seite des Anlegers waren frei. Daran würden am späten Abend die Kutter der Hummerfischer festmachen.
Die drei Männer im Wagen waren Frank Capello, Dave Frazer und Paul »Dix« Hawthorn. Sie starrten zu dem Tor der Fischfabrik hinauf, schätzten die Entfernung zur Gabelung und zum Dorf. Der Weg zu dem kleinen Hafen interessierte sie weniger. Frank Capello umriss mit klaren, präzisen Worten seinen Plan. Die anderen hörten stumm zu. Sie hatten die Seitenfenster des Wagens geöffnet, aber kein Luftzug strich durch den Innenraum.
Dave Frazers mächtige Fäuste lagen auf dem Steuerrad. Der Mann hatte helle Augen, rötliches Haar und farblose Wimpern. Eine Zigarette verglimmte zwischen den schmalen Lippen. Der blaue Rauch stieg kerzengerade auf, zerflatterte und trieb träge in Frazers Auge. Frazer kniff das Auge zu. Aus dem anderen starrte er zu dem geschlossenen Tor der Fabrik hoch.
Neben Frazer saß Frank Capello. Capello hatte ein schmales, fast schön zu nennendes Gesicht mit tief liegenden dunklen Augen unter schmalen, pechschwarzen Brauen. Seine Gesichtshaut war hell und blass, die Nase gerade, das Kinn kantig und tief eingekerbt. Er trug einen eleganten dunkelblauen Anzug, trotz der Hitze zog er das Jackett nicht aus. Die feinen Schweißperlen auf der Oberlippe und der Stirn schienen ihn nicht zu stören. Seine Augen wanderten langsam umher und nahmen die Umgebung auf. Ihnen entging keine Einzelheit, die für seinen Plan wichtig zu sein schien.
Frank Capello war fünfundvierzig Jahre alt. Siebzehn Jahre seines Lebens hatte er bei den Ledernacken verbracht, die letzten neun Jahre als Sergeant. Noch gegen Ende seiner Dienstzeit war er auf die Idee gekommen, für sein Alter vorzusorgen. Er begann, die Tresore der PX-Läden der Army zu plündern. Das war gar nicht so schwer, denn alle Tresore stammten von derselben Lieferfirma, und wer den Dreh erst mal raushatte, knackte die Dinger wie Konservendosen, ob sie nun in Tunis standen oder auf Okinawa. Aber schließlich erwischte ihn die Militärpolizei doch. Nach sieben Jahren Leavenworth, dem Gefängnis der Streitkräfte, besaß Capello immer noch das respekteinflößende Auftreten des berufsmäßigen Schleifers.
Der Mann auf der Rückbank war da ganz anders. Paul Hawthorn, genannt Dix, war ein langer Lümmel mit dümmlichem Gesichtsausdruck und fahrigen Bewegungen.
Dix Hawthorn war vierundzwanzig Jahre alt. Mit neunzehn war er bei der Armee desertiert, hatte auf der Flucht vor der Militärpolizei einige Raubüberfälle verübt und war dann ebenfalls in Leavenworth gelandet. Dort hatte er Frank Capello kennengelernt. Frank hatte einige freundliche Worte mit Dix gewechselt, und seitdem lief Dix dem älteren Sergeant nach wie ein kleiner Hund seinem Herrn.
Frank Capello schnippte eine Zigarette aus der Schachtel, die im Handschuhfach gelegen hatte, und hielt das glühende Ende des elektrischen Anzünders daran. Langsam atmete er den Rauch ein, hielt ihn genussvoll in der Lunge und blies dann einen dünnen blauen Strahl gegen die Windschutzscheibe.
Nichts rührte sich auf der Straße. Capello wusste, dass es gegen drei Uhr lebendig werden würde, wenn die Frühschicht zu Ende sein und die zweite Schicht die Arbeit aufnehmen würde. Aber bis dahin wollte er seinen Job erledigt haben. Der Transporter würde zwischen Viertel vor zwei und zwei eintreffen, wie an jedem Freitag. Wenn Shingler nicht gelogen hatte. Aber das würden sie bald wissen. In spätestens sechs Stunden.
Capello sog noch einmal an seiner Zigarette und warf sie dann aus dem Fenster. »Ab«, sagte er in das Schweigen hinein.
Dave Frazer drehte den Zündschlüssel. Die Maschine sprang sofort an, sie schnurrte leise und gleichmäßig. Als die Kupplung packte, zog der Motor kraftvoll an. Frazer verzog die Lippen zu einem zufriedenen Grinsen. In dieser alten Mühle würde niemand eine liebevoll gepflegte Hochleistungsmaschine vermuten. Autos waren Dave Frazers einzige Leidenschaft.
Frazer wendete und steuerte den großen Wagen nach Willow’s Point hinunter.
Capello sog die Luft ein, schien ihren Geruch schmecken zu wollen und blickte prüfend zum Himmel empor, der ein strahlendes Blau zeigte. Frank Capello fühlte sich etwas unbehaglich. Aber einen Grund für dieses Gefühl hätte er nicht angeben können.
In langen Windungen führte die Straße bergab. In einer Haltebucht stand ein blau-weißer Wagen mit einer dünnen Dachantenne. Dix Hawthorn ließ blitzschnell seinen Colt unter der Jacke verschwinden. Frazer sah starr geradeaus. Capello erspähte den Mann in dem hellen Anzug, der an dem Wagen lehnte und nachdenklich über den Sound blickte. Ein breitrandiger Hut überschattete ein faltiges Gesicht, aus dem eine klobige Nase wie ein Felsbrocken aus dem Sand hervorsprang. Als der Mann den näherkommenden Wagen hörte, drehte er sich langsam um, und Capello bemerkte den hell blinkenden Stern auf der breiten Brust.
»Das ist der Sheriff«, schrie Dix aufgebracht. »Der Sheriff!«
»Halt den Schnabel«, sagte Frazer ruhig.
»Der Sheriff! Er sieht uns! Soll ich ihn umlegen?«
»Schnauze«, zischte Capello nur. Er dachte an die offen stehenden Seitenfenster. Dann waren sie vorbei. »Behalt die Nerven, Kleiner«, fügte Capello gelassen hinzu. »Der wird uns nicht gefährlich.«
»Wie sollte er auch«, bemerkte Frazer. »Ein Dorfpolizist!« Er schnaufte verächtlich.
***
John D. High, Chef des FBI New York, sah von einer Akte auf, als wir sein Office betraten. Phil und ich zogen uns Stühle heran und nahmen Platz.
Es war Freitagvormittag an einem warmen, sonnigen Tag Ende August. Nicht zu warm, die Klimaanlage schaffte es gerade noch, eine angenehme Temperatur im Distriktgebäude zu halten. Man konnte sich wohlfühlen. Nur für das Wochenende sah ich schwarz, wenn der Chef uns zu sich zitierte. Mr High lehnte sich zurück und sah uns nacheinander an.
»Frank Capello ist Ihnen entwischt?«, fragte er. Ohne eine Antwort abzuwarten, denn diese Tatsache war ihm bekannt, fuhr er fort: »Irgendwelche Spuren?«
»Keine«, berichtete ich. »Capello wohnte seit zwei Wochen in dem Apartment. Niemand hat ihn je mit anderen gesehen, er hatte offenbar keinen Wagen in der Nähe, nichts. Wir haben die umliegenden Geschäfte abgeklappert, die Parkhäuser, alles umsonst.«
Mr High nickte bedächtig. »Aber wir müssen ihn haben. Capello läuft lange genug frei herum.«
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie mein Freund resignierend die Augenbrauen hochzog. Auf unserem Dienstplan stand ein freies Wochenende …
Mr High lächelte jetzt. »Was haben Sie sich fürs Wochenende vorgenommen?«
Konnte unser Chef Gedanken lesen? »Ausschlafen«, antwortete ich. »Nur schlafen, sonst nichts.«
»Ich habe eine Hütte am Oriental Beach gemietet«, sagte Phil. »Ein bisschen Schwimmen, zum Fischen rausfahren und so. Aber sonst nichts Besonderes.«
»Da weiß ich ein schöneres Plätzchen für Sie.« Mr High lächelte immer noch. Ich sah meinen Chef misstrauisch an. Er war zwar immer wie ein Vater zu uns, aber um unsere Freizeitgestaltung hatte er sich nie besonders gekümmert. »Ein schönes Wochenende auf Staatskosten am Long Island Sound.«
Das durfte doch nicht wahr sein! Der Haken musste doch kommen. Und er kam prompt.
»Es gibt da ein stilles Nest, einige Meilen südwestlich von New London. Willow’s Point heißt es. Sehen Sie sich dort etwas um. So bis Sonntag oder Montag, von mir aus. Der Sheriff will einen Mann gesehen haben, den wir seit Langem suchen.«
Doch nicht noch einen, dachte ich und hatte dabei Frank Capello im Sinn. Aber ich atmete trotzdem vorsichtig auf. Das hörte sich ja ganz gut an. Phil und ich hatten schwere Tage hinter uns. Im Stillen dankte ich unserem Chef dafür, dass er uns zur Abwechslung einmal einen erholsamen Job verschaffen wollte.
»Und wie soll der Bösewicht heißen, der das Seebad Willow’s Point unsicher macht?«, fragte Phil. Eine gute Frage, dachte ich. In meiner Begeisterung hätte ich sie beinahe vergessen.
»Frank Capello«, antwortete Mr High harmlos.
Ich hätte es ja wissen müssen, aber ich fuhr trotzdem leicht zusammen. Wie ein ahnungsloses Baby war ich meinem Chef in die Falle getappt. Erholsamer Job, dachte ich erbittert. Schönes Wochenende! Wenn Capello in Willow’s Point war, konnte es dort interessant werden, spannend und abwechslungsreich. Aber nicht erholsam.
Phil und ich waren dem Gangster zwar noch nicht begegnet, wir kannten jedoch seine Akte sehr genau. Capellos Name tauchte seit Monaten in den Fahndungslisten mehrerer FBI-Dienststellen auf. Der Gangster plante blitzschnelle Raubüberfälle auf Geldboten, kleine Bankfilialen und die wohlgefüllten Kassen von Supermärkten. Er verstand es meisterhaft, diese Überfälle bei kürzester Vorbereitung mit militärischer Präzision ablaufen zu lassen. Meistens arbeitete er mit einem Komplizen, manchmal auch mit zweien, nie mit mehr Leuten.
Mr High reichte uns die Notiz herüber, auf der der Anruf des Sheriffs von Willow’s Point festgehalten war. »Seien Sie vorsichtig«, mahnte er. »Capello ist rücksichtslos. Er schießt zwar nur, wenn es ihm notwendig erscheint – aber er schießt. Was wir ihm nachweisen können, reicht für zwanzig Jahre. Das sind viele Gründe, zur Waffe zu greifen.«
Mein Freund und ich standen auf.
»Fahren Sie gleich los. Und schönes Wochenende!«
***
Wie meldeten uns bei der Zentrale ab und liefen hinunter in den Hof. Wenig später lenkte ich den Jaguar auf die 3rd Avenue hinaus und steuerte nordwärts, Richtung Bronx. Wir fuhren ein Stück über den Bruckner Expressway und den New England Thruway, bis wir hinter New Rochelle die Interstate 95 erreichten. Die 95 ist eine schöne Straße, die auf Meilen der Küste des Long Island Sound folgt. Ich sah auf die Uhr am Armaturenbrett. Es war kurz nach zehn. Gegen zwölf würden wir in Willow’s Point sein.
»Am Oriental Beach wäre es schöner gewesen«, maulte Phil plötzlich.
»Und langweiliger«, sagte ich. »Oriental Beach, was ist denn da schon los!«
Der rote Jaguar schnurrte brav an der Küste Connecticuts entlang. Hinter New Haven gerieten wir in eine Stauung, und von da an ging es nur noch langsam voran. Die ersten Wochenendausflügler aus Hartford und Waterbury bestimmten das Tempo. Als wir die 95 verließen und in die schmale Asphaltstraße nach Willow’s Point einbogen, war es schon ein Uhr durch. Mein Magen knurrte böse, und unsere Laune war lange nicht mehr so gut wie noch vor zwei Stunden.
Langsam fuhren wir in den Ort ein, der in mittäglicher Ruhe dahindämmerte. Kaum ein Mensch war auf den Straßen zu sehen. Es war fast windstill, und erst jetzt, bei der langsamen Fahrt, merkte ich, wie heiß es plötzlich war. Ich stoppte am Straßenrand, wir stiegen aus und reckten uns.
Ein holperiger Weg führte zu einem schmalen Sandstrand hinunter, der nur wenige Yards breit war und dann von Felsen verdrängt wurde. Wir gingen den Weg schweigend entlang. Einige Strandkörbe standen verlassen da. Ich blickte nach links, zur Spitze der Halbinsel hin. Dort verbreiterte sich der Strand etwas, bunte Fahnen blähten sich träge an hohen Masten und fielen gleich wieder zusammen. Das eigentliche Strandleben schien sich also dort abzuspielen, stellte ich fest. Die See war kaum bewegt, leichter Dunst lag über dem Wasser.
»Komm«, sagte ich zu meinem Freund. »Sheriff suchen, Hotel nehmen, Wasserski fahren. Okay?«
Ich wollte gerade einen Jungen, der mit seinem Fahrrad vorüberfuhr, nach der Station des Sheriffs fragen, als ich das weiße Haus mit der Funkantenne auf dem Dach und dem Streifenwagen vor der Tür bemerkte. Es lag schräg gegenüber von dem Platz, an dem ich meinen Wagen abgestellt hatte. Wir ließen den Jaguar stehen und gingen hinüber.
»Da sind Sie ja«, brummte der Sheriff missmutig, als wir die Tür zu seinem Office aufstießen. Er hatte eine klobige Pfeife zwischen den Zähnen und paffte mächtige Wolken in die Luft. Langsam stand er auf. »Ich heiße Stan Leroy«, sagte er und reichte uns die Hand. »Da sitzt sonst mein Hilfssheriff. Quince heißt der, falls Sie ihm mal begegnen sollten. Setzen Sie sich.« Er wies mit einer großzügigen Geste auf einen Stuhl vor dem Funkgerät und einen niedrigen Hocker, der verstaubt in einer Ecke stand.
Ich schnappte mir den Hocker und blies eine Staubwolke von der Sitzfläche, bevor ich Platz nahm.
»Ich heiße Jerry Cotton, das ist mein Partner Phil Decker. Also, Sheriff, wo steckt Frank Capello?«
Leroy zuckte die breiten Schultern. »Ich habe die Kerle nur im Vorbeifahren gesehen. Sie kamen die Straße von der Fabrik und den Strandhäusern herunter. Aber im Ort sind sie nicht. Ich habe mich umgesehen.«
»Kerle?«, fragte Phil. »Heißt das, dass es mehrere waren?«
Der Sheriff nickte. »Drei. Aber nur der eine fiel mir auf.« Er schob den Steckbrief herüber.
Das Blatt zeigte eine ältere Aufnahme von Capello, die aber immer noch zu stimmen schien. In den FBI-Akten befanden sich neuere Fotos, die Unterschiede fielen jedoch nicht ins Gewicht. Frank Capello hatte sich gut gehalten. Und das Gesicht war keine Dutzendphysiognomie.
»Ich habe nachgedacht«, nahm Leroy den Faden wieder auf. »Vielleicht haben die Brüder in der Nähe ein Ding gedreht und sich hier eine Weile verborgen gehalten. Die meisten Sommerhäuser stehen während der Woche leer. Heute ist Freitag, da kommen viele aus Hartford und den anderen Städten. Deshalb sind die Gangster einfach weitergezogen.«
Diese Überlegung hatte etwas für sich. Aber besser gefiel sie mir auch nicht. Das bedeutete Rückfragen. Und es bedeutete ferner, dass wir hier in Willow’s Point an der falschen Stelle bohrten. Phil sah mich stumm an. Er hatte es auch schon begriffen.
»Gehen wir essen«, sagte er mit gequältem Gesichtsausdruck.
2
Schon die erste Sturmwarnung der Küstenwache erreichte auch die Red Susan, die gerade den Nantucket Sound verließ und auf südwestlichem Kurs in den Long Island Sound einlief.
Die Red Susan war eine hochseetüchtige 60-Tonnen-Jacht mit zwei 320 HP Rolls-Royce-Motoren im Maschinenraum, mit Radar- und Wasseraufbereitungsanlage, vollklimatisierten Luxuskabinen für den Eigner und seine Gäste. Die Red Susan war ein Schiff mit allen Schikanen.
Die Luxuskabinen waren bei dieser Fahrt keineswegs alle belegt, aber immerhin befanden sich außer dem Kapitän, drei weiteren Besatzungsmitgliedern und dem Eigner noch sechs Girls an Bord. Sechs lebenshungrige, gut gebaute junge Frauen, die sich für Mannequins hielten, ja sogar für Schauspielerinnen, obwohl kaum eine von ihnen jemals ein Studio von innen gesehen hatte. Aber gerade das hatte der Besitzer der Jacht den Frauen versprochen: Rollen in verschiedenen Fernsehproduktionen. Und weil McGaw, so hieß der Eigner der Jacht, tatsächlich seine Finger, oder besser gesagt einige seiner Finger, im Fernsehgeschäft hatte, gab es für die jungen Frauen keine Zweifel an der Lauterkeit von McGaws Absichten.
Die Red Susan kam von einer viertägigen Kreuzfahrt zurück, die das Schiff in den Gewässern um Cape Cod verbracht hatte. Während der Reise hatte McGaw die Talente der Girls testen wollen. Und er hatte sie getestet …
Am Abend dieses Tages wurde McGaw in New York erwartet. Geschäfte von der Art, wie sie McGaw betrieb, liefen nicht von allein.
McGaw, in hellgrauer Hose mit scharfer Bügelfalte, blauem Blazer mit dem Klubwappen des exklusivsten Jachtclubs von New York auf der breiten Brust, lehnte am Kartentisch im Steuersalon und spähte gelassen wie ein alter Seebär über das Vorschiff.
Mark Kelly, der Kapitän, war ein Mann in den Fünfzigern mit zerfurchtem Gesicht, borstigem blondem Haar und knappen Bewegungen. Er blickte forschend zum Himmel empor, den kein Wölkchen trübte, und betrachtete dann aus zusammengekniffenen Augen das Wasser, das in langen Wogen unter dem Kiel wegrollte. Er wandte sich an den Steuermann.
»Wir drehen ab«, sagte er ruhig. »Kurs Nordnordost.«
»Nordnordost«, wiederholte der Steuermann.
McGaw blickte nach draußen, nach Steuerbord, wo im langsam zunehmenden Dunst die Küstenlinie auszumachen war. Dann sah er den Kapitän an. »Ich verstehe zwar nichts davon, Mister Kelly, aber wenn mich nicht alles täuscht, würden wir bei diesem Kurs die Küste anlaufen.«
»Stimmt, Mister McGaw. Wir laufen den Hafen von Newport an.«
»Warum?« McGaw zog die dünnen Augenbrauen zusammen.
»Wie Sie wissen, haben wir eben eine Hurrikanwarnung aufgenommen. Darin wurde allen Schiffen unter hundert Tonnen empfohlen, den nächsten Hafen anzulaufen. Die Empfehlung war dringend.«
Die schäumende Bugwelle fiel zusammen, als die Red Susan den Kurs wechselte. Das Schiff beschrieb einen weiten Bogen und glitt anschließend weich auf dem neuen Kurs dahin.
Die Insel Martha’s Vineyard verschwand achteraus aus dem Blickfeld.
»Ich muss heute Abend in New York sein. Also fahren wir nach New York, Mister Kelly.« McGaws Stimme klang eine Spur schärfer und bestimmter als vorher. Jeder, der ihn kannte und von ihm abhängig war, hätte jetzt bedingungslos jede Anweisung McGaws befolgt.
»Das ist zwar Ihr Dampfer, Mister McGaw. Und Sie können damit machen, was Ihnen beliebt. Aber ich bin vor mir und dem Gesetz für die Besatzung und die Passagiere verantwortlich. Ich allein. Diese Verantwortung kann mir niemand abnehmen.«
»Wie Sie gerade richtig bemerkten, ist das mein Schiff. Und ich sage, wir fahren nach New York.«
»Wenn Sie anordnen, ich soll in die Antarktis fahren, dann bringe ich den Kahn in die Antarktis – aber nicht bei einem Hurrikan.« Kapitän Kellys Blick hing starr auf den Kreiselkompass.
»Hurrikan!«, schnaufte McGaw verächtlich. »Wenn Sie Angst vor einem bisschen Wind haben, können Sie abmustern. Abgetakelte Kapitäne wie Sie finde ich in jeder Hafenkneipe in Brooklyn. Wenn ich nicht in zwei Stunden in New York bin, sind Sie entlassen. Ist das klar?«
Mitleidlos beobachtete McGaw die gedrungene Gestalt des Kapitäns. Er sah, wie dessen Nacken rot anlief. Und er bemerkte, dass Kelly die Hände zu Fäusten ballte, bis die Knöchel weiß hervortraten.
McGaw kannte die Schwächen seiner Leute sehr genau. Er wusste, dass Kelly ein hervorragender Kapitän war, der sein halbes Leben in den Küstengewässern des amerikanischen Kontinents verbracht hatte. Aber er wusste auch, dass Kelly in seinem Alter so schnell kein neues Schiff bekommen würde.
Kelly wandte sich nicht um. »Wir gehen auf alten Kurs. Südwest.«
»Südwest«, wiederholte der Steuermann gleichgültig.
»Wir fahren in Sichtweite der Küste, solange es geht. Wenn das Wetter hält, überqueren wir den Sound weiter westlich.« Kellys Stimme klang gepresst.
McGaw nickte zufrieden. »Na also«, sagte er herablassend und verließ den Steuersalon.
Gemessen lief er an der Reling entlang zum Sonnendeck hinüber. Auf dem Achterdeck lagen die Girls in Liegestühlen. Blinzelnd sahen sie McGaw entgegen. Wohlwollend musterte der Mann die jungen Frauen in den knappen Bikinis. Dann ließ er sich langsam neben einer schwarzhaarigen Schönheit nieder und legte seine Hand wie zufällig auf einen braun gebrannten Schenkel. Das Girl lächelte und träumte mit offenen Augen von einer Karriere als Fernsehstar.
***
Phil, der Sheriff und ich saßen beim Essen. Mein Freund und ich hatten ohne viel Appetit irgendetwas heruntergewürgt, das wie Steaks schmeckte. Wir waren die einzigen Gäste in dem kleinen Restaurant, das hoch oben, fast an der Spitze der schlanken Halbinsel lag. Als massives Steinhaus stand es geduckt auf einem Felsen. Die Kiefern und Birken hier oben sahen zerzaust und verbogen von dem dauernden Wind aus, der von der See her fast das ganze Jahr lang an ihnen zerrte.
Wir saßen in der östlichen Ecke und konnten aus zwei Fenstern die Aussicht genießen. Einen Augenblick lang fesselte mich das Bild einer majestätisch dahingleitenden schneeweißen Segeljacht unter voller Leinwand. Das Schiff rauschte an den roten Bojen entlang, die die Fahrrinne zum Anleger in der geschützten Bucht markierten. Die Bucht wurde von dem Winkel der Halbinsel zum Festland gebildet. Unter uns, etwas nach rechts zur offenen See hin, befand sich der Wellenbrecher aus mächtigen Eichenstämmen, der die Landspitze vor dem Anprall der Wogen schützte, wenn im Herbst und Winter die Wellen vom Atlantik her gegen das Land rollten.
Der Sheriff sah unruhig nach draußen. »Die Flut kommt früh«, meinte er dann nachdenklich. »Gefällt mir gar nicht. Ein Sturm um diese Jahreszeit …« Er seufzte schwer.
Ein stärker werdender Ostwind drückte gegen die Scheiben, die Wipfel der Eichen schaukelten gemächlich und ließen die Kraft ahnen, die jetzt schon hinter dem Wind stand. Über der See türmten sich schwere schwarze Wolken auf, die Ränder zeichneten sich gelb gegen die blaugrauen Wolkenmassen ab. Das Wasser wurde dunkel, stählern schimmernd, die Luft grau von Wasserschleiern. Wellen bildeten sich urplötzlich, stiegen hoch. Der Wind pfiff stärker.
Phil nickte missmutig. »In Oriental Beach sieht es garantiert besser aus.«
»Was soll’s«, tröstete ich meinen Freund. »Es hätte immerhin schön werden können.« Ich zündete mir eine Zigarette an und beendete damit meine Mahlzeit. Auch die anderen hatten keinen Appetit mehr. Unsere Teller waren noch halb voll.
Sheriff Leroy bestellte drei Bourbons beim Wirt. »Wer weiß, was uns heute noch blüht«, meinte er wie zur Entschuldigung. »Das sieht übel aus.« Genießerisch schnüffelte er an seinem Glas, nahm einen vorsichtigen Schluck und schloss die faltigen Lider.
Dann drang das Heulen einer Sirene herüber, laut und nah. Das Singen füllte den Raum, legte sich betäubend auf die Ohren. Der schrille Ton hielt an. Unwillkürlich sah ich auf die Uhr. Es war neun Minuten vor zwei.
»Was ist?«, fragte ich den Sheriff. »Sturmwarnung?«
Stan Leroy schüttelte den Kopf und kniff nachdenklich die Lider zusammen. Dann wurde er blass. »Mein Gott«, flüsterte er, »der Geldtransporter!«
***
Die Schüsse verhallten. Der gepanzerte Wagen stand auf vier platten Reifen da und wirkte herrenlos, wie Schrott. Entsetzte Gesichter erschienen in den Bürofenstern, zuckten aber gleich wieder zurück, als Frazer das Schnellfeuergewehr hochriss.
Frank Capello schlug dem einen Mann in der grauen Uniform den Kolben seiner Pistole über den Schädel. Ohne einen Laut brach der Wächter der Transportgesellschaft zusammen. Dix Hawthorn grinste selig. Er hatte die Mündung seiner Colt-Pistole einem anderen Mann in den Nacken gedrückt. Starr stand der Mann vor dem Führerhaus, die Arme hielt er gespreizt.
»Weg da!«, zischte Frazer und packte den Uniformierten an der Krawatte. Roh riss er den Mann zu sich heran und stieß ihn mit voller Wucht gegen die Panzerplatten des Geldtransporters. »Mach auf!«
Capello beobachtete die Fenster. Sie blieben zu, ebenso die kleine Tür, vor der der Wagen stand. Neben der Tür lehnte mit blassem Gesicht der Pförtner, der das Tor geöffnet hatte.
Der Fahrer des Transporters blieb stumm. Ausdruckslos erwiderte er Frazers kalten Blick. Frazer hob das kurzläufige Schnellfeuergewehr und presste die große Mündung unter den Hals des Wehrlosen. Mit aller Kraft drückte er die Waffe hoch.
Der Mann hob sich auf die Zehenspitzen, reckte den Hals, ächzte leise.
»Mach schon!«, rief Capello. Er lief an die Rückseite des Panzerfahrzeugs und rüttelte am Türriegel. Er wusste, dass es sinnlos war. Wütend wartete er. Der Fischgeruch, der über den Hof wehte, ekelte ihn an.
Frazer ließ plötzlich das Gewehr sinken, packte es am Lauf und wirbelte herum. Der hölzerne Kolben knallte in die Seite des Mannes, der sich stöhnend zusammenkrümmte. Frazer fasste das Gewehr mit der anderen Hand am Lauf an und riss es hoch. Krachend schlug es unter die Kinnlade des Wächters. Halb bewusstlos sackte er zusammen.
»Aufmachen!«, schrie Frazer.
»Mach schon!«, keifte Dix.
Capello bückte sich, fasste den Mann an der Jacke und schleifte ihn um den Wagen herum. An der Rückfront zerrte Capello den Mann hoch. »Mach jetzt auf«, sagte er kalt, »oder ich knalle dich ab. Eins, zwei …«
Plötzlich heulte über ihnen die Sirene der Fischfabrik los. Das schrille Geräusch legte sich betäubend über die Männer im Hof.
Dix Hawthorn riss den Mund auf, aber was er schrie, war nicht zu hören. Das runde Oval seines Mundes klaffte scheinbar sinnlos, er hüpfte erregt von einem Bein aufs andere und fuchtelte wild mit seiner Pistole. Capello beachtete ihn nicht.
Frank Capello schüttelte den Wächter. Dessen Kopf pendelte kraftlos hin und her. Aus einer großen Wunde an der Stirn sickerte Blut. Die Hand nestelte an der Uniformjacke, zog einen kleinen Schlüssel, der an einer Stahlkette befestigt war, hervor und suchte mit unsicheren Bewegungen das Schlüsselloch.
Capello riss den Schlüssel an sich und ließ den Fahrer los. Der Mann sackte sofort wieder zusammen, der Schlüssel an der Kette entglitt Capellos Fingern. Fluchend zerrte der Gangster den halb Bewusstlosen wieder hoch. Das schrille Heulen begann, an seinen Nerven zu zerren. Sie hatten nicht mehr viel Zeit.
Capello steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn herum. Die Tür ließ sich öffnen. Der Fahrer hatte die Innenverriegelung offenbar schon geöffnet, als der Transporter in den Hof einfuhr. Capello griff den ersten Sack, warf ihn Dix Hawthorn zu und angelte dann nach den anderen. Es waren insgesamt sechs kleine Leinensäcke.
Mit den Säcken unter den Armen rannten die Männer auf das immer noch offenstehende Tor zu, erreichten den schwarzen Packard, rissen die Türen auf, warfen sich hinein.
Dave Frazer startete. Er rammte den ersten Gang rein und trat das Gaspedal durch. Der Wagen schien sich aufbäumen zu wollen, die Räder packten, der große Wagen schoss davon, auf die Gabelung zu.
Der Packard schlingerte in die Kurve, fing sich, raste geradeaus. Die Bäume am Straßenrand wichen zurück, die Männer im Wagen sahen die See, grau und bewegt. Unvermittelt packte eine heftige Bö von der See her den Wagen. Frazer steuerte gegen, etwas zu heftig, das rechte Vorderrad geriet an den Straßenrand, kam von der glatten Straße ab.