1,99 €
Die Sache ließ sich eigentlich gut an. Phil und ich führten im Sequoia, einem Skihotel der internationalen Spitzenklasse im Squaw Valley, das Leben amüsierwütiger, sorgenfreier Playboys - undercover selbstverständlich. Doch plötzlich änderte sich alles. Seltsame Gestalten tauchten im Hotel auf. Ein Mann wurde erschossen, eine Gangstertruppe überfiel das Sequoia. Und dann passierte noch etwas. An jenem Donnerstag, dem tödlichen Donnerstag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 209
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Tödlicher Donnerstag
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: RichLegg/iStockphoto
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6847-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Tödlicher Donnerstag
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Wir waren an der Reihe. Er trat in die Spur, sah sich um und machte eine einladende Geste. Ich nahm die Stöcke in die rechte Hand und trat rasch neben ihn. Der Liftwart holte den Bügel herunter. Gleichzeitig griffen wir nach dem Mittelträger. Unsere Hände in den dicken Handschuhen berührten sich. Mit leisem Zischen setzten sich unsere Skier in Bewegung. Der doppelarmige Bügel des Skilifts zog uns nebeneinander nach oben.
»Wunderbares Wetter, nicht wahr?«, meinte er.
»Erstklassig. Sind Sie schon lange hier?«
Ich wusste genau, wie lange er hier war: sieben Tage. Ich kannte seine Zimmernummer. Ich hatte die Zahl seiner Drinks an der Bar mitgezählt. Ich wusste, dass er die dritte und die vierte Nacht seines Aufenthalts mit der rothaarigen Stenotypistin aus Detroit verbracht hatte, die gestern abgereist war. Seinen richtigen Namen kannte ich nicht, aber den kannte wahrscheinlich niemand.
»Seit sieben Tagen«, beantwortete er meine Frage. »Wohnen Sie auch im Sequoia Hotel?«
»Gibt es überhaupt eine andere Möglichkeit hier oben?«
»Nein, aber Sie hätten von unten heraufkommen können.«
Die Liftspur führte an der Squaw-Peak-Hütte vorbei. Auf der Terrasse lagen die Frauen in Doppelreihen in der Sonne, cremeglänzend und zu achtzig Prozent in strandknappen Bikinis, aber alle mit schweren Skistiefeln an den Füßen. Bunte Pullover, Anoraks, Stretchhosen garnierten die Balustrade.
»An Wochenenden kommen sogar die Nightclub Girls aus Reno herauf«, sagte mein Liftpartner. »Skilaufen können die wenigsten. Sie wollen braun werden.«
Über unsere Köpfe glitten die Gondelkabinen der Seilbahn, die die Läufer von der Talstation bis zur Hütte brachten. Von dort aus führten die Schlepplifte zum Gipfel des Peak.
»Laufen Sie gut?«, fragte er.
»Mäßig. New York ist ein schlechtes Pflaster für die Aufzucht von Skiläufern. Ich bin New Yorker.«
Er lachte. »Ich habe es im alten Europa gelernt, in der Schweiz. Man sagt, dort kommen die Kinder mit Skiern an den Füßen zur Welt.«
Er log nicht. In der Schweiz hatte er vor rund zwanzig Jahren die Schmuckschatullen alleinstehender und meistens ältlicher Ladys erleichtert. Vermutlich waren die Damen dutzendweise unter dem Blick seiner schwarzen Augen hingeschmolzen. Er sah immer noch erstklassig aus.
Obwohl er ungefähr fünfundvierzig Jahre alt sein musste, hatte sein Körper nichts an Straffheit verloren. Er war so groß wie ich, hielt sich ein wenig vornübergebeugt und bewegte sich mit nachlässiger Geschmeidigkeit. Sein pechschwarzes Haar zeigte silberne Fäden an den Schläfen. Unter dem linken Wangenknochen zeichnete sich eine zolllange Narbe weißlich in der sonnengebräunten Haut ab.
Ein Skiläufer in rotem Anorak kam in Schussfahrt aus der Einschnürung zwischen zwei Felsblöcken hervor, verfehlte den Abschwung und wurde von der eigenen Geschwindigkeit aus der Piste getragen. Er verlor das Gleichgewicht, überschlug sich und verschwand im tiefen Schnee, der beim Sturz des Mannes aufstäubte wie unter einem Granateinschlag. Wir blickten uns nach dem Gestürzten um.
Er tauchte aus dem lockeren Schnee auf und schickte sich an, sich wieder auf seine Bretter zu kämpfen. Es war nichts passiert.
»Er hat einen Kantenfehler gemacht«, stellte mein Nachbar fest. »Er verkantete seine Skier nach der falschen Seite ungefähr so.« Er zeigte es mir, knickte leicht in den Hüften ein und stellte die schweren Schnallenstiefel schräg.
Vom Skilaufen verstand er zweifellos mehr als ich. Er verstand viel von vielen Dingen. Wer war er? Südamerika, Europa, Afrika und die Staaten waren die Schauplätze seiner immer irgendwie anrüchigen Aktivität. Er hatte ein Dutzend Mal den Namen gewechselt. Jetzt trug er den Pass eines südamerikanischen Staats in der Tasche. Dieser Pass war zweifelsfrei echt, denn es gab viele Möglichkeiten, an einen echten Pass dieses Staats zu gelangen, ohne innerhalb seiner Grenzen geboren zu sein. Bestechung und Erpressung waren zwei dieser Möglichkeiten. Der Mann neben mir beherrschte beide meisterhaft.
Zweihundert Yards voraus wurde die Endstation des Lifts sichtbar. Phil und die Frauen standen links am Rand der Startebene. Pats knallroter Pullover leuchtete wie ein Signal. Sie sah mich, hob den Arm und schwenkte den Skistock.
Der Pass des Mannes lautete auf den Namen Richard Verton. Genau dieser Name stand auf dem Haftbefehl, den Phil und ich im Geheimfach eines Koffers verwahrten. Richard Verton – gesucht wegen ungesetzlicher Handlungen zum Schaden der USA. Und wegen Mord.
Wir erreichten das Liftende und traten aus der Spur. Pat stieß ein paar ziemlich schrille Laute aus.
Verton lächelte. »Ihre Freundin kann jodeln. Ist sie Schweizerin?«
»Nein, aber sie hat irgendein supervornehmes College in Europa besucht.«
»Also ein reiches Mädchen. Schweizer Colleges sind teuer.«
Er war ein schneller Rechner. Er hatte gelernt, den Wert der Geheimnisse, die er verkaufte, rasch und genau zu kalkulieren.
Verton rückte die Schneebrille aus der Stirn vor die Augen. »Danke für die Mitfahrt. Hals- und Beinbruch!« Er stemmte die Stöcke ein und sprang mit einem weiten Satz in die Falllinie. Mehr als hundert Yards ließ er die Skier schießen, bevor er mit kaum merklichem Schwung Geschwindigkeit und Richtung korrigierte.
Ich fuhr zu Phil und den Frauen hinüber. Pat und Barbara blickten Verton nach, dessen Gestalt jetzt zwischen den Felsblöcken am Eingang der Mittelschneise verschwand.
»Ein Ass«, sagte Patricia. »Erstklassiger Stil! Außerdem sah er aus wie ein Supermann. Kennst du ihn?«
»Er wohnt im Sequoia. Ich habe ihn an der Bar getroffen.«
»Richtig. Mit ’ner Rothaarigen«, rief Barbara. »Sie war so verrückt nach ihm, dass sie sich am liebsten auf der Stelle die Kleider vom Leib gerissen hätte.«
»Wahrscheinlich hat sie es getan – später«, sagte Patricia und lachte. Sie trug das lange blonde Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, keine Mütze, einen knallroten Pullover und so enge schwarze Skihosen, dass sie nur hineingelangen konnte, weil es Stretch war. »Gute Startchancen für dich, Barbie.«
Barbara war rothaarig. Sie stand ihrer Freundin in der Größe nur ein oder zwei Zoll nach. Ihre Kurven waren entweder noch ausgeprägter oder ihre Pullover und Hosen noch knapper.
»Los«, rief sie. »Sehen wir uns das Prachtexemplar aus der Nähe an!« Sie stürzte sich auf die Piste.
Pat raste ihr nach. Beide Frauen hielten sich auf einer Höhe. Ihre Hüften schwangen im gleichen Takt der Wedelschwünge. Die Bewegungen wirkten erotischer als das kunstvolle Beben einer Strip-Mieze, aber trotzdem nicht schwül.
»Hat er irgendeinen Verdacht?«, fragte Phil.
Ich schüttelte den Kopf. »Reiner Zufall, dass wir auf denselben Bügel geraten sind.«
»Wie lange geben wir ihm noch?«
»Die CIA wünscht Aufschluss über seine Kontaktmänner, besonders über den Lieferanten. Seit sie Ende Januar seine Fährte fanden, wurde er nicht aus den Augen gelassen. Bis Ende Februar hatte er keinen Kontakt mit fragwürdigen Personen. Jetzt sind wir an der Reihe. Man vermutet, dass er einen Mord in Virginia begangen hat. Anscheinend erschoss er jemanden in Yorktown, der an einem geheimen Marineprojekt gearbeitet hat, und räumte den Tresor aus. Verton wurde zu dieser Zeit in der Gegend gesehen, aber das fanden die CIA und unsere Virginia-Kollegen zu spät heraus.
Phil nickte.
»Für fast zwei Monate geriet er ihnen aus dem Blickfeld, und der Henker mag wissen, was er während dieser Zeit getrieben hat. Die ganze Sache passt auf Richard Verton wie nach Maß gemacht. Die Arbeit, an der in Yorktown gebastelt wurde, ist auch für Industriefirmen wertvoll, und Verton hat niemals im Auftrag einer feindlichen Macht oder einer Spionageorganisation gearbeitet, sondern immer auf eigene Rechnung. Er beschafft und verkauft dann meistbietend. Erinnere dich daran, wie sehr der CIA-Chef betonte, Vertons Beute wäre ihm wichtiger als Verton selbst.«
Phil bückte sich und prüfte die Bindung seiner Skier. »Er hat die Papiere längst zu Geld gemacht. Jetzt erholt er sich, und die einzigen Personen, zu denen er Kontakt aufnimmt, sind Frauen. Was bei solchen Kontakten passiert, sollte nicht einmal die CIA interessieren. Go on, Jerry. Irgendwie bin ich dagegen, dass Mister Verton diese Sorte Kontakt mit Barbie Droth knüpft.«
Wir jagten den Frauen nach, die längst außer Sicht waren. Pat und Barbara fuhren schnell, stilistisch einwandfrei und mit tänzerischer Leichtigkeit. Erst kurz vor der Hütte holten wir sie ein.
»Lahmer New Yorker«, rief Pat. »Nimm die Untergrundbahn.«
»Wo ist euer Opfer?«, fragte Phil.
»An der Schneebar. Barbie schleicht sich schon an.«
Verton stand an der aus Schneeblöcken zusammengebauten Bar, hinter der zwei Keeper mit Shakern hantierten. Barbara stieg aus den Bindungen, rammte die Skier in den Schnee und hängte die Stöcke mit den Schlaufen an die Spitzen. Als Patricia, Phil und ich an die Bar traten, hatten Verton und die junge Frau schon die ersten Worte gewechselt.
Er hob die Hand. »Hallo, Liftpartner. Ihr Mädchen?«
»Die Besitzverhältnisse sind noch völlig ungeklärt«, sagte Patricia.
Verton musterte ihre Gestalt mit einem Blick. Mit einem kleinen Lächeln deutete er Hochachtung und Bewunderung an. »Sollten Sie in einer Kommune leben, würde ich mich um die Mitgliedschaft bewerben.«
»Ihre Rothaarige müssten Sie dann ebenfalls der Allgemeinheit zur Verfügung stellen«, meinte Barbara trocken.
»O, Sie haben mich beobachtet. Das schmeichelt mir. Leider ist meine Rothaarige, wie Sie sie nennen, abgereist.«
»Wie hieß sie?«
»Ich fürchte, daran kann ich mich nicht erinnern«, antwortete er mit genau berechnetem Zynismus. »Der Name ist nicht das Wichtigste, das einem Mann von einer Frau in Erinnerung bleiben sollte.«
»Was sonst?«, fragte Barbara herausfordernd.
»Schwer zu sagen. Es hängt von der Frau ab. Man muss es ausprobieren. Was trinken Sie? Diese Runde geht auf mich.«
Wir nannten nicht unsere Namen. Barbara und Patricia stürzten sich in das uralte und bevorzugte Spiel, jeden Mann in Reichweite in Bann zu schlagen. Sie dehnten ihren Aktionsradius über die ganze Länge der Schneebar aus. Es gab böse Gesichter bei einigen Frauen, die sich plötzlich vernachlässigt fühlten.
Wir kannten Patricia Pollis und Barbara Droth seit drei Tagen und seit der Stunde, in der beide aus einem europäischen Sportwagen vor dem Eingang des Sequoia gestiegen waren. Wir hatten uns die Frauen im Blitzangriff unter den Nagel gerissen. Erst vierundzwanzig Stunden später fanden wir heraus, dass wir zwei Goldvögel gefangen hatten.
Barbara Droth trug den Namen eines berühmt-berüchtigten und auf jeden Fall viele Millionen schweren Wall-Street-Bankiers. Der Finanzhai war ihr Vater. Patricia Pollis war die Tochter einer ebenso millionenschweren Mutter, deren Bild von Zeit zu Zeit als neu geschieden oder frisch verheiratet in den Zeitungen erschien, ohne dass sie durch diesen Sport ärmer geworden wäre.
Barbara und Pat waren Freundinnen seit ihrer gemeinsamen Collegezeit. Sie waren mit einem Unterschied von zwei Monaten gleich alt, dreiundzwanzig Jahre. Seit der Volljährigkeit verfügten sie selbst über einen Vermögensanteil, den Phil und ich uns als Empfänger eines kärglichen Staatsgehalts nicht vorzustellen wagten. Sie reisten durch die Welt, fuhren dorthin, wo sie glaubten, dass etwas los wäre, reisten ab, sobald sie sich langweilten, und schlugen am laufenden Band Heiratsanträge von Männern aus, die sofort zum Friedensrichter gehen wollten, sobald Barbara und Pat den Millionenvater und die Millionenmutter auftischten.
Sie taten es immer, spätestens nach vierundzwanzig Stunden oder der ersten Nacht. Es war ein zwischen ihnen verabredeter Test, und sie beobachteten mit Interesse die Reaktionen ihrer Partner.
Als Phil und ich die Frauen ansprachen, taten wir es, um unsere Tarnung zu verbessern. Männer im Skiurlaub pflegen so lange auf die Jagd zu gehen, bis sie sich stretchverpackte Hasen eingefangen haben.
Dass Barbara eine direkte Verbindung zu Richard Verton knüpfte, war nicht geplant, brachte uns jedoch näher an den Mann heran, dem wir schließlich die Hand auf die Schulter legen mussten.
»Woher stammt die Narbe?«, fragte Pat Verton.
»Von einer eifersüchtigen Frau.«
Pat warf lachend den blonden Pferdeschwanz in den Nacken. »Aus Eifersucht mit einem Messer auf einen Mann losgehen. Welcher Unsinn! Man sucht sich einen anderen, erledigt.«
Verton blickte gegen den Grat des Squaw Peak, der vom unteren Rand der Sonne berührt wurde. »Wir sollten abfahren. In einer halben Stunde wird es unangenehm kalt sein.«
Er hatte recht. Auch die Bikinimädchen auf der Sonnenterrasse der Hütte waren in Hosen, Pullover und Anoraks geschlüpft. Der große Aufbruch begann. Wir stiegen in die Bindungen. Über unseren Köpfen transportierten die kleinen Zweipersonengondeln die skilosen Ausflügler zu Tal.
Wir fuhren ab. Von der Squaw-Peak-Hütte gab es mehrere Abfahrten ins Tal. Verton wählte die schwerste Piste, den Broom-Makers-Hang, dessen Mittelteil steil und vereist war. Er ging den Hang in leicht gebückter Haltung an und mit einer Geschwindigkeit, die sich selbst für Pat und Barbara als zu hoch erwies. Die Frauen verfügten nicht über genug Kraft, die Skier auf der fast schneefreien Eisschräge herumzureißen. Sie stürzten. Sich überschlagend, dann auf dem Rücken und mit ausgebreiteten Armen und Beinen, rutschten sie den Hang unaufhaltsam hinunter, bis sie der tiefe Schnee vor der Einfahrt in die Waldschneise stoppte.
Phil und ich blieben auf den Füßen, denn auf dem eisigen Steilhang nutzte Kraft mehr als Stil. Wir zogen die Skier an den entscheidenden Stellen herum und brachten sie vor der Schneise zum Stehen. Verton half bereits den Frauen aus dem Schnee. Pat fluchte laut. Ihre Stretchhose hatte einen spannenlangen Riss, durch den die schwarze Nylonspitze ihres Höschens schimmerte. Barbara blutete aus einer Schramme am Kinn. Sie blitzte Verton aus wutdunklen Augen an.
»Okay, Sie haben uns reingelegt«, zischte sie. »Wir finden noch ’ne Chance, es Ihnen heimzuzahlen.«
Verton fasste sie unter der Achsel und zog sie hoch. »Schlechte Verliererin?« Geschmeidig ging er in die Hocke und griff nach ihrem linken Ski. »Die Bindungen haben sich geöffnet. Heben Sie den Fuß an.« Er kratzte den Schnee unter der Sohle weg, bevor er den Schuh in die Bindung stellte. Barbara drückte den Fuß nieder. Die Automatik schloss sich. Verton blickte an ihr hoch. Für eine Sekunde umspannten seine Hände ihr Bein über dem Stiefel. »Es ist gut für eine Frau, wenn sie erfährt, dass sie manche Dinge schlechter beherrscht als ein Mann«, sagte er halblaut. Er ließ los und richtete sich auf. »Ich spreche nicht nur vom Skifahren«, setzte er hinzu.
Barbara hielt seinem Blick stand. Sie fürchtete sich nicht vor einem Abenteuer.
Den Rest der Strecke glitten wir in gemütlichem Tempo abwärts. Wir passierten die Talstation der Gondelbahn. Hundert Yards weiter begannen die Bauten, die zum Komplex des Sequoia Hotel gehörten. Wir schnallten ab, schulterten die Skier und trugen sie über den großen Parkplatz zum Eingang des Hauptgebäudes. Vom Parkplatz starteten die ersten Busse, die Sonntagsläufer heraufgebracht hatten, zurück nach Reno oder Nevada City. Die Sonne war hinter dem Peak verschwunden. Auf der anderen Seite des Tals erglühte die schroffe Spitze des KT 22 in Purpurrot.
Ein Mann in einem auf Taille geschnittenen Pelzmantel kreuzte unseren Weg. Die Frauen wechselten einen Blick und feixten. Der Mann merkte es, wandte den Kopf und sah uns an. Er hatte ein langes bleiches Gesicht mit überraschend dichten, sehr schwarzen Augenbrauen. Trotz der Tränensäcke unter den Augen war sein Alter schwer zu schätzen. Er wirkte so gepflegt, als käme er geradewegs aus einem Schönheitssalon. Die Pelzkappe auf seinem sorgsam gebürsteten Haar war aus dem gleichen Material wie der Mantel. Er blieb stehen, zog eine Hand aus der Tasche und winkte einem blonden Jüngling, der von der Talstation kam.
»Hallo! Hier bin ich, Vince!« Er zog den Handschuh ab. Seine Fingernägel waren manikürt. Am Ringfinger trug er einen großen samtblauen Saphir – falls es nicht Glas war. »Gut amüsiert?«, fragte er den Blonden.
»Nichts gebrochen.«
»Der Mantel ist Nerz«, meinte Barbara. »Er ist der erste Mann, den ich in einem Nerzmantel sehe. Wisst ihr, wer er ist?«
»Wollen Sie es wissen? Ich werde es in Erfahrung bringen«, erklärte Verton.
Ein Hausdiener kam uns entgegen und nahm uns die Skier ab. Der Portier setzte für uns die Drehtür in Bewegung.
In der riesigen Haupthalle des Sequoia liefen die ersten Frauen in Après-Ski-Anzügen herum. Aus dem Dancing Salon drangen die Klänge eines Frog. In der Bar klirrten die Eiswürfel. Die Türen zum Bridgeraum standen offen, um den Spielern einen gelegentlichen Blick auf das Treiben in der Halle zu ermöglichen.
Wir ließen uns an der Rezeption die Schlüssel aushändigen.
»Noch einen Drink?«, fragte Verton.
Patricia nahm für einen Augenblick die Hand vom Riss in ihrer Hose. »Damit? Wollen Sie, dass ein paar Leuten die Augen aus dem Kopf fallen?« Sie zog Barbie zum Lift.
»Und wir?« Er sah uns fragend an.
»Nicht jetzt«, antwortete ich. »Ich denke, wir sehen uns später.«
»Warten Sie noch. Ich werde versuchen, herauszubekommen, wer der Bursche im Nerz ist.«
Verton ging zur Rezeption zurück, sprach mit einem der Clerks, schob einen grünen Zwanzigdollarschein über die Theke und ließ sich von dem Clerk ein paar Worte ins Ohr flüstern. Er drehte sich um, kam auf uns zu und lächelte. Plötzlich blieb er stehen. Das Lächeln verschwand. Seine Augen weiteten sich, und er presste die Lippen zusammen. Er starrte irgendetwas oder irgendwen hinter uns an. Unsicher setzte er seinen Weg fort, fasste sich aber schnell genug, um wieder lächeln zu können, als er uns erreichte.
»Der Ring an der Hand des Nerz-Gentleman dürfte echt sein. Der Mann heißt Raymond Gerrity. Er ist einer der führenden Juweliere in San Francisco. Der junge blonde Schönling gilt als sein Sekretär. Sein Name ist Vince Trent, aber Mister Gerrity pflegt ihn von Zeit zu Zeit mit zärtlicheren Bezeichnungen zu rufen. Ich fürchte, Ihre hinreißenden Freundinnen vermöchten Mister Gerrity nicht die geringste Begeisterung zu entlocken. Auf diesem Gebiet ist er taub und entgeht damit allen Schwierigkeiten. Vielleicht sollte man ihn beneiden.« Er hob die Hand. »Bis später!«
Verton lief zum Lift. Auf halbem Weg, unmittelbar vor einem Sessel, in dem ein Mann saß, blieb er stehen und öffnete die Verschlüsse der schweren Schnallenschuhe. Der Mann im Sessel beachtete ihn nicht, sondern blickte einer Gruppe Frauen in Après-Ski-Kleidung nach, die Arm in Arm zum Tea Dancing Room schlenderten.
Verton richtete sich auf und ging weiter. Der Mann im Sessel drehte den Kopf nach links, um die Frauen im Blick zu behalten. Er trug keine Sportkleidung, sondern einen dunkelblauen, fadenscheinigen Straßenanzug und spitze schwarze Halbschuhe an den Füßen. Unvermittelt, den Kopf immer noch in Richtung der Frauen gedreht, stand er auf und folgte Verton zum Lift.
2
Das Wetter in Reno war scheußlich. Ein Mann, der betrunken über den Bürgersteig der schmalen Rust Street torkelte, entdeckte das Werbeschild über der Tür: Maura’s Inn.
Er rüttelte an der Klinke. »He, macht auf! Hier komme ich mit Durst und Dollars.« Niemand reagierte. Mit der Hartnäckigkeit des Betrunkenen mühte sich der Mann mit der Tür ab. Endlich gab er doch auf. »Scheißladen«, lallte er und taumelte weiter.
In der Kneipe kam Maura Grave von der Tür zu dem einzigen Tisch zurück, über dem eine Lampe brannte. »Jetzt ist er gegangen. Ich denke, er war wirklich besoffen.«
»Er wäre nicht der erste Schnüffler, der sich als Betrunkener tarnt«, antwortete Driscoll.
Sie trat hinter seinen Stuhl, legte ihm beide Arme um den Hals und lehnte sich auf seine Schulter. »Wie geht’s weiter, Lee?« Sie rieb die Wange an seinem Ohr. »Bei dem Gedanken an das Geglitzer dieser Kieselsteine spür ich ein Prickeln im Körper wie bei …« Sie zischelte Driscoll zwei Worte ins Ohr.
Driscoll lächelte und griff in ihr braunschwarzes Haar. Er zog ihren Kopf nach vorne und küsste sie. Maura erwiderte den Kuss leidenschaftlich und hemmungslos. Sie presste ihre Brüste gegen seinen Rücken. Es kümmerte sie nicht, dass sich ihr ohnedies knappes Kleid gefährlich verschob.
Vom anderen Ende des Tischs blickte Steven Cole hoch. Sein mageres Gesicht verzog sich zu einer wütenden Grimasse. Er packte das Bierglas so heftig, dass sich die Knöchel weiß unter der Haut abzeichneten.
Jack Irving, der links von ihm saß, beobachtete die Szene zwischen Maura und Driscoll mit breitem, schmierigem Grinsen. Er fingerte eine zerdrückte Zigarette aus einer Tasche seiner verknitterten Lederjacke und klemmte sie zwischen die Lippen.
»Gib mir die Streichhölzer, Paul«, forderte er den jungen Mann auf, der ihm gegenübersaß.
Paul Holgosh schnippte die Schachtel über den Tisch. Er war der Jüngste in der Runde, mit dreiundzwanzig Jahren noch zwei Jahre jünger als Maura. Mit einer Nagelfeile bearbeitete er seine Fingernägel.
Lee Driscoll drückte die Frau zurück. »Willst du mich umbringen?« Er zeigte ein stolzes Besitzerlächeln. »Koch Mokka für alle. Wir brauchen klare Köpfe.« Als sich Maura umdrehte, schlug er ihr auf die ausgeprägte Kehrseite.
Sie jaulte auf und fauchte: »Warte, du wirst sehen, wie ich es dir heimzahle!« Ihr Fauchen erinnerte an eine zärtliche und rauflustige Pantherkatze.
Steven Cole setzte das Bierglas hart auf den Tisch. »Wo liegt dieses verdammte Tal überhaupt? Wie kommen wir hin? Und wie kommen wir weg? Glaubst du, dort oben gibt es keine Cops? Denkst du, du kannst tausend Leute kontrollieren? Deine Idee ist hirnverbrannt, Lee!«
Driscoll beugte sich leicht vor. »Ja, ich denke, dass ich all das tun kann.«
Er war überdurchschnittlich groß. Auch im Sitzen überragte er die anderen. Er trug keine Jacke. Die breiten Schultern füllten das Sporthemd voll aus. Das dunkle Haar trug er kurz geschoren wie ein Marineinfanterist. Sein kantiges Gesicht verriet Energie, Intelligenz und Härte.
Er breitete eine Karte aus. »Das Tal gehört zum Squaw-Valley-Gebiet, aber es liegt noch ein paar Meilen tiefer im Gebirge und noch rund zweitausend Fuß höher als die übrigen Urlaubsorte. Die Sequoia Touristic Company hat das Tal erschlossen und einen exklusiven Wintersportort daraus gemacht. Genau betrachtet besteht der Ort aus dem Komplex des Sequoia Hotel, drei Dutzend Ferienbungalows, die ebenfalls von Gästen des Hotels bewohnt werden, und einigen Häusern für das Personal. Die Straße wird von der Sequoia-Gesellschaft unterhalten, ebenso der Busdienst, soweit es sich nicht um Touristenbusse aus Reno oder Nevada City handelt, die nur an Wochenenden Skifans heraufbringen.
»Und der nächste größere Ort?«, wollte Irving wissen.
»Ist Truckee«, antwortete Driscoll. »Von dort aus fährt der Sequoia-Bus drei- oder viermal am Tag. Niemand kümmert sich groß um diesen Bus, denn die meisten Dauergäste kommen im eigenen Wagen rauf. Wenn er einen Tag nicht fährt, wird man ihn nicht vermissen.«
Von der kleinen Küche hinter der Theke ertönte das hohe Summen der elektrischen Kaffeemühle, die Maura in Gang gesetzt hatte.
»Nächste Frage: Wie kommen wir hin?«, fuhr Driscoll fort. »Genau mit diesem Bus. Was wir brauchen, tragen wir als Handgepäck bei uns.«
»Und was brauchen wir?«, fragte Irving.
»Drei oder vier Kugelspritzen. Nichts schüchtert die Leute mehr ein als der Anblick einer Maschinenpistole. Zur Vorsicht werden wir ein halbes Dutzend Handgranaten einpacken, ein paar Stangen Dynamit und eine Rolle Zündschnur. Das dürfte genügen. Selbstverständlich werden wir uns nicht von den gewohnten Kanonen trennen.«
»Wie viele Leute willst du umlegen?«, schrie Cole. »Ich mache bei ’ner Sache nicht mit, bei der …«
»Niemand wird umgelegt«, unterbrach ihn Driscoll. »Die Leute dort oben reißen die Arme hoch, wenn du nur mit den Fingern schnippst. Sie sind raufgefahren, um Ferien zu machen, und denken nicht daran, auch nur ein Haar zu riskieren.«
»Die Cops werden dir den Gefallen nicht tun, Lee«, knurrte Cole.
»Es gibt einen Hilfssheriff des Sheriffs von Truckee dort oben und zwei Männer unter seinem Kommando. Auch sie werden von der Hotelgesellschaft bezahlt. Ihre Arbeit besteht darin, den Verkehr zu regeln und hin und wieder einen randalierenden Gast zur Vernunft zu bringen. Sie wohnen in einem Haus am Taleingang. Der Hilfssheriff hat eine Frau und zwei Kinder, die mit ihm in einer Wohnung über dem Office und den beiden Gefängnisräumen leben. Wir können alle auf einen Schlag kassieren. Der Hilfssheriff wird nicht den Helden spielen, wenn er sieht, dass seiner Familie etwas zustoßen könnte.«
»Irgendwer wird in Truckee anrufen und …«
»Niemand wird irgendwo anrufen, Steven. Ich sagte dir doch, dass die Hotelgesellschaft die Erschließung des Tals durchgeführt hat. Die Telefonzentrale des Hotels ist gleichzeitig die Vermittlungszentrale für alle Telefonanschlüsse im Tal. Wenn wir die Zentrale des Hotels lahmlegen, kann niemand mit Truckee oder irgendeinem Ort der USA telefonieren.«
»Aber Leute, die das Hotel anrufen wollen, werden Verdacht schöpfen, wenn sie keine Verbindung bekommen.«
»Wer sagt dir, dass sie keine Verbindung bekommen, Steven? Wir werden Maura in die Telefonzentrale setzen, und sie wird jedem Anrufer sagen, wie schrecklich leid es ihr täte, dass die Verbindung vorübergehend gestört sei und sie daher seinen Anruf nicht weitervermitteln könnte.«
Maura brachte die Tassen und den Mokka.
Jack Irving schob seine Tasse ein wenig zurück, lächelte zu ihr hoch und fragte höflich: »Könnte ich einen Schluck Kognak, Whisky oder Gin bekommen? Kaffee allein vertrage ich verdammt schlecht.«
Die junge Frau sah Driscoll an. Der Mann nickte. Irving erhielt den Drink.
Steven Cole gab noch nicht auf. »Wie viele Leute sind dort oben?«