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Das Gesicht des Chefs war aus Stein gemeißelt. Wir hörten seine Stimme wie durch einen Nebel. "Der Jet ist entführt worden!" Mehr brauchte er nicht zu sagen.
Wir wussten, dass das Unfassbare, das Unerwartete geschehen war. Es traf Phil und mich wie ein gemeiner Tiefschlag. Denn unsere Aufgabe war es gewesen, das Flugzeug zu beschützen, den Silver-Jet mit hundertsechsundzwanzig Journalisten, einunddreißig Politikern und einem Mann, auf den wir besonders zu achten hatten.
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Seitenzahl: 215
Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Silver-Jet ins Jenseits
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: den-belitsky; 4x6/shutterstock
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7106-2
www.bastei-entertainment.de
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Silver-Jet ins Jenseits
Das Gesicht des Chefs war aus Stein gemeißelt. Wir hörten seine Stimme wie durch einen Nebel. »Der Jet ist entführt worden!« Mehr brauchte er nicht zu sagen.
Wir wussten, dass das Unfassbare, das Unerwartete geschehen war. Es traf Phil und mich wie ein gemeiner Tiefschlag. Denn unsere Aufgabe war es gewesen, das Flugzeug zu beschützen, den Silver-Jet mit hundertsechsundzwanzig Journalisten, einunddreißig Politikern und einem Mann, auf den wir besonders zu achten hatten.
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Besprechungen sind nicht unbedingt mein Fall. Auch John D. High, Chef des FBI New York, ist nicht gerade ein Freund von langen Reden.
Dennoch ließ sich an diesem Tag eine ausgedehnte Sitzung nicht vermeiden. Der Ernst der Lage, wie man so schön sagt, machte sie dringend notwendig. Hinzu kam, dass wir uns gewissermaßen auf höchste Anordnung den Kopf zu zerbrechen hatten. Es stand einiges auf dem Spiel, wenn man berücksichtigte, was in der vergangenen Woche auf den internationalen Flugverkehrslinien passiert war.
Mr High und Ernest Cochran, einer der führenden Beamten der CIA, leiteten die Zusammenkunft im Tagungsraum des New Yorker FBI-Gebäudes. Mein Freund Phil und ich saßen zusammen mit weiteren Kollegen in der ersten Reihe. Die Klimaanlage lief auf Hochtouren und konnte trotzdem den massierten Zigarettenqualm kaum bewältigen. Außer uns vom FBI waren noch die CIA und die City Police mit ein paar Leuten vertreten.
An der Stirnwand des Raums hing ein riesiger Lageplan des Kennedy Airport. Wir kannten den Plan in- und auswendig.
Mr High legte den Zeigestock beiseite und trat zurück an das kleine Pult, an dem bereits der CIA-Mann Cochran saß. »Die Bilanz, die wir ziehen können, ist also durchaus positiv«, sagte unser Chef und blickte mit ernster Miene in die Reihen der Versammelten. »Für den normalen Flugverkehr haben sich die getroffenen Sicherheitsvorkehrungen bestens bewährt. Das beweisen die Festnahmen, die wir in den vergangenen Tagen durchführen konnten.«
Ich musste an die kleine Araberin denken, die es in ihrem Fanatismus mit der gesamten Flughafenbesatzung hatte aufnehmen wollen. Jetzt saß sie hinter Gittern und wurde in ihrem Heimatland wahrscheinlich als Märtyrerin gefeiert. Ich fragte mich, ob dieser zweideutige Ruhm der Frau so etwas wie eine Befriedigung verschaffte. Sie war nicht die Einzige, die im Rahmen der verschärften Sicherheitsmaßnahmen auf dem Airport in Handschellen abgeführt worden war. Allerdings war sie die einzige weibliche Attentäterin, die uns ins Netz gegangen war. Vielleicht hatte sie auch nur vorgehabt, ein Flugzeug zu entführen. Nur! Diese Art des Massenkidnappings war ja so einfach gewesen. Doch wir hatten den dunkelhäutigen Guerillas aus dem Vorderen Orient einen wirksamen Riegel vor ihre verbrecherischen Machenschaften geschoben.
Mr High hatte eine kurze Pause eingelegt. Er räusperte sich. »Mit den bisherigen Sicherheitsvorkehrungen werden wir jedoch bei dem Ereignis, das uns unmittelbar bevorsteht, nicht mehr auskommen. Zu diesem Zweck haben wir Sie hergebeten, Gentlemen, um eine Sonderkommission zu bilden, die den Spezialeinsatz übernimmt. Agent Cochran wird Ihnen nähere Einzelheiten erläutern.« Er machte eine Handbewegung zu seinem Nebenmann und setzte sich.
Ernest Cochran sah nicht nach einem Spitzenbeamten des politischen Geheimdienstes aus. Er war klein, gedrungen und hatte einen runden Kopf mit Halbglatze. »Sie wissen vermutlich alle, worum es geht«, begann er seine Ansprache. »In drei Tagen soll die Premiere des neuen Flugzeugtyps stattfinden. Es ist bekannt, dass es sich um den zweiten Typ in der neuen Generation der Riesen-Jets handelt. Das Herstellerwerk hat aus diesem Grund insgesamt hundertsechsundzwanzig Journalisten als Vertreter der bedeutendsten Tageszeitungen und Zeitschriften zum ersten offiziellen Flug der Maschine eingeladen. Außerdem werden einunddreißig weitere Passagiere an Bord sein, die von der Regierung der Vereinigten Staaten und vom Herstellerwerk kommen …« Er holte Luft.
Bis jetzt hatte er uns nichts Neues erzählt. »Silver-Jet« nannte sich der neue Riesenvogel, der unter strengster Bewachung in einer Halle von gigantischen Ausmaßen auf dem Kennedy Airport stand.
»Ein weiterer Passagier ist in die Liste aufgenommen worden«, setzte Cochran seine Rede fort. »Ihm gilt unser besonderes Augenmerk. Der Mann heißt …«, er warf einen Blick auf seinen Zettel und las den Namen vor, »Sir Malcolm Bridenpour, UNO-Abgeordneter des Vereinigten Königreiches von Großbritannien. Dieser Sir Malcolm führt für seine Regierung einen Spezialauftrag aus, dessen Inhalt allerdings unter Geheimhaltung steht. Ich kann Ihnen nur so viel sagen, dass es sich um militärische Aspekte handelt, die in Zusammenhang mit der besonderen Konstruktion des Silver-Jet geprüft werden sollen. Es versteht sich von selbst, dass wir dem UNO-Abgeordneten und natürlich auch allen anderen Teilnehmern des Premierenflugs einen besonderen Schutz angedeihen lassen müssen.«
Die geschraubte Redeweise dieses CIA-Mannes ging mir irgendwie auf die Nerven. Ich meldete mich zu Wort. »Meiner Meinung nach wäre es sinnvoller, den Flug des Silver-Jet so lange zu verschieben, bis sich die angespannte Lage beruhigt hat. Angesichts der pausenlosen Flugzeugentführungen ist es doch geradezu unverantwortlich, ein solches Unternehmen, noch dazu mit so vielen Prominenten, zu starten. Es wäre ein gefundenes Fressen für die Jet-Kidnapper. Mit dem Supervogel in ihrer Hand könnten sie alle nur erdenklichen Forderungen durchsetzen.«
Cochran fixierte mich sekundenlang. Mr High schmunzelte kaum merklich.
»Sie sind Cotton, nicht wahr?«, erkundigte sich der CIA-Mann.
»Special Agent Jerry Cotton«, verbesserte ich mit Pedantenmiene.
»Nun«, erklärte Cochran ungerührt, »sicher ist Ihr Einwand nicht ganz unbegründet, Cotton. Aber die Regierung der USA kann es sich nicht leisten, wegen ein paar hitzköpfigen Freischärlern den Kopf in den Sand zu stecken. Der Flug des Silver-Jet ist seit Monaten auf diesen Termin festgesetzt. Die gesamte Weltöffentlichkeit wartet darauf. Wenn wir jetzt einen Rückzieher machen, gestehen wir damit gleichzeitig ein, dass wir nicht in der Lage sind, uns selbst genügend zu schützen.« Er sah mich Beifall heischend an.
Ich verzichtete darauf, etwas zu erwidern. Cochran bekam ohnehin keinen Applaus für seine Worte. Ich wusste, dass ich mit meiner Meinung nicht allein dastand. Okay, wahrscheinlich würde sich kein Entführer an den Silver-Jet heranwagen, wenn eine halbe Armee als Bewachungspersonal aufgeboten wurde. Aber musste man eine Gefahr unnötigerweise heraufbeschwören?
Mr High ergriff das Wort. Sein Blick streifte mich. »Sicher haben Sie vollkommen recht, Jerry«, meinte er, »aber die Würfel sind nun einmal gefallen. Wir haben bereits nach den ersten Entführungen versucht, die zuständigen Stellen von ihrem Entschluss abzubringen. Es ist uns nicht geglückt. Wir müssen uns damit abfinden. Der Silver-Jet wird in drei Tagen fliegen. So oder so.«
Cochran nickte beifällig. »Genau das ist die Lage, Gentlemen. Davon müssen wir ausgehen. Wir können nicht unsere Zeit damit verschwenden, Mutmaßungen darüber anzustellen, wie man es hätte besser machen können. Unsere Aufgabe ist es einzig und allein, mit den gegebenen Voraussetzungen fertig zu werden und die Sicherheitsmaßnahmen auf die Beine zu stellen, die man von uns erwartet.«
»Der Bursche hat gut reden«, flüsterte mir Phil zu. »Ich möchte darum wetten: Wenn die Sache nachher schiefgeht, will er von allem nichts gewusst haben.«
Ich winkte ab. »Du hast es ja gehört. Wir müssen mit den gegebenen Voraussetzungen fertig werden. Also spar dir deine Worte.«
Auch um uns herum hatte allgemeines Gemurmel eingesetzt. Es schien offensichtlich, dass Phil und ich nicht die Einzigen waren, die etwas gegen den vorgesehenen Premierenflug einzuwenden hatten.
»Ich bitte um Ruhe, Gentlemen!« Mr High stand auf. »Sie wissen jetzt, worum es geht. Jeder von Ihnen bekommt nachher eine Liste, in der die Namen aller Passagiere und alle weiteren wichtigen Einzelheiten über den ersten Flug des Silver-Jet aufgeführt sind. Nach den bereits getroffenen Absprachen übernimmt die CIA das Sicherungskommando an Bord der Maschine. Das FBI wird das Flugplatzgelände vor und während des Starts bewachen, und die City Police ist für die Zufahrten zum Kennedy Airport verantwortlich. Die dazu erforderlichen Vorbereitungen werden von den drei Sonderkommissionen getrennt getroffen. Am Tag vor dem Start der Maschine werden die zu ergreifenden Maßnahmen in einer gemeinsamen Besprechung koordiniert.«
Es gab keine weiteren Fragen. Die Sache war klar. Die Kollegen von der CIA und der City Police verließen unser Dienstgebäude. Der Chef rief Phil und mich anschließend in sein Büro.
»Setzen Sie sich«, bat er mit einer einladenden Handbewegung.
Wir folgten seiner Aufforderung und erwarteten die Dinge, die auf uns zukamen.
»Ich will Sie nicht lange auf die Folter spannen«, erklärte Mr High, »ich möchte Sie bitten, die Leitung der FBI-Sonderkommission in Sachen Silver-Jet zu übernehmen. Natürlich können Sie es ablehnen. Ich würde es Ihnen nicht übel nehmen, denn um diesen Job ist niemand zu beneiden. Es ist kein Vergnügen, für die Sicherheit von mehr als zweihundertfünfzig VIP verantwortlich zu sein.«
Phil und ich sahen uns kurz an. Aus dem Blick meines Freunds las ich die gleichen Worte, die mir auf der Zunge lagen. Es gab nichts zu überlegen.
»Wir nehmen den Auftrag an«, sagte ich.
Mr High nickte nur. »Gut. Unsere Sonderkommission wird aus insgesamt dreißig Special Agents bestehen, Sie eingeschlossen. Wer dazugehört, werde ich noch im Einzelnen festlegen. Sie bekommen die Liste heute noch, damit Sie den Einsatz mit den Kollegen vorbereiten können.«
»Wir werden die Zwischenzeit nutzen und uns an Ort und Stelle umsehen«, entschied ich.
Wir standen auf und wandten uns zur Tür.
»Ich werde die Flughafenbehörden verständigen«, erklärte Mr High, bevor wir draußen waren. »Sie haben alle Vollmachten.«
Als wir fünf Minuten später in meinen Jaguar stiegen, verspürte ich ein leichtes Stechen in der Magengegend. Ich wusste nicht, ob ich zu viel oder zu wenig gegessen hatte.
Vielleicht war es aber auch ganz einfach eine düstere Vorahnung, die sich auf diese Weise in mir äußerte.
***
Die Halle übertraf alles Vergleichbare, was ich je in meinem Leben gesehen hatte. Das gigantische Gebäude aus Stahl und Beton war extra für den neuen Riesenvogel gebaut worden.
Staunend blieben Phil und ich im Eingang stehen. Der Anblick war überwältigend.
»Es ist die größte Wartungshalle der Welt«, klärte uns der Techniker im orangefarbenen Overall auf, der uns draußen in Empfang genommen hatte. Er hieß David Malone und gehörte zu der Gruppe von Spitzenkräften, die die Gesamtaufsicht über die technische Wartung hatte.
»In diesem Mammutbau sieht die Maschine direkt winzig aus«, meinte Phil und deutete auf den silberglänzenden Koloss, dessen Leitwerk vor uns in die Höhe wuchs. Mein Freund hatte recht, verglichen mit den Ausmaßen der Halle war der Silver-Jet geradezu zwergenhaft.
»Kein Wunder«, erwiderte Malone lächelnd, »hier drinnen haben insgesamt acht Maschinen dieses Typs Platz. Sie müssen bedenken, dass wir auch auf Zuwachs bauen mussten. Denn der Silver-Jet ist keineswegs schon das letzte und größte Flugzeug in dieser neuen Generation.«
»Unvorstellbar«, musste ich zugeben, »dass sich so ein Riesenkasten selbsttätig in die Lüfte schwingen kann.«
»Die Presse wird erst nach dem ersten offiziellen Flug über den Silver-Jet berichten«, informierte uns Malone. »Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen ein paar technische Daten nennen.«
»Für Informationen aus erster Hand ist unsereins immer dankbar.« Ich nickte.
Wir gingen näher an den Jet heran.
»Das Leitwerk, also die höchste Stelle des Flugzeugs, ist genau sechsundsechzig Komma neun Fuß hoch«, begann Malone mit leuchtenden Augen, »die Spannweite beträgt rund zweihundertvierzig Fuß, die Länge gut zweihundertneunzig Fuß. Mit Fluggewicht, Landegewicht und ähnlichen Daten will ich Sie nicht langweilen, Gentlemen, vielleicht nur so viel: Vollbesetzt mit fünfhundert Fluggästen und dem dazugehörigen Gepäck und allem weiteren Drum und Dran wiegt der Vogel runde dreihundertfünfzig Tonnen.«
»Donnerwetter«, staunte Phil ergriffen, »dann braucht der Kasten sicher eine Landebahn, die ins Unendliche geht.«
»Nicht ganz, Agent Decker. Die Mindestlänge der erforderlichen Landebahn beträgt sechstausendsechshundert Fuß, für die Startbahn werden mindestens zehntausendfünfhundert Fuß benötigt. Diese Voraussetzungen werden auf dem amerikanischen Kontinent zurzeit nur in New York und Chicago erfüllt. Ein neuer Flughafen mit den entsprechenden Ausmaßen wird außerdem in New Orleans gebaut, wie Sie sicher wissen.«
Ich nickte. »Die Besatzung für eine solche Maschine ist wahrscheinlich nicht gerade klein, nicht wahr?«
Malone wiegte den Kopf. »Wie man’s nimmt, Agent Cotton. Wenn man die Größe des Flugzeugs in Relation mit den bisher gebräuchlichen, wesentlich kleineren Jets setzt, ist die Crew sogar kleiner. Die Cockpit-Crew beispielsweise besteht nur noch aus dem Captain, dem Co-Piloten und dem Flugingenieur. Der vierte Mann, der Navigator, wird durch ein neues Trägheitsnavigationssystem ersetzt, das gleich in dreifacher Ausführung in die Maschine eingebaut worden ist.«
»Warum dreifach?«, wollte Phil wissen.
»Aus Sicherheitsgründen.«
»Hm, immerhin tröstlich zu wissen, dass man drei von diesen Apparaten braucht, um einen Menschen zu ersetzen«, brummte mein Freund.
Malone wusste nicht sofort, was er darauf sagen sollte. Er schlug deshalb vor, dass wir uns den Vogel kurz von innen ansehen sollten. An allen möglichen Ecken und Enden der riesigen Maschine waren Techniker in ihren orangefarbenen Overalls fieberhaft an der Arbeit. Wir folgten Malone, der vor uns die schmale Stahltreppe hinaufkletterte. Die Einstiegsluke befand sich in einer Höhe von rund neun Fuß über dem Boden. Insgesamt gab es auf jeder Seite des Rumpfes fünf Türen.
Von innen sah der Silver-Jet nicht minder überwältigend aus als von außen. Die Kabine war rund neun Fuß hoch und etwa doppelt so breit. Das Ganze war unterteilt in ein Compartment der ersten Klasse und vier der Economy-Klasse. Für die Passagiere der ersten Klasse führte außerdem eine Wendeltreppe hinauf zur Oberdeck-Lounge, die – mit bequemen Sesseln und einer Bar ausgestattet – auf der gleichen Höhe lag wie das Cockpit. Außerdem gab es eine Reihe von Waschräumen und Toiletten, eine raffiniert ausgestattete Bordküche und einen Extraraum für Filmvorführungen.
»Insgesamt werden von der Fluggesellschaft später zwanzig Stewardessen und Stewards eingesetzt«, berichtete Malone bei unserem Rundgang durch den Riesenvogel, der Vierer-Sitzreihen in der Mitte und Zweier- und Dreier-Sitzreihen an den beiden Außenwänden hatte.
Beeindruckt verließen wir den Bauch des Silver-Jet und widmeten uns anschließend unserer eigentlichen Aufgabe. Wir ließen uns von Malone eine Skizze der Wartungshalle geben, damit wir uns überlegen konnten, an welchen Stellen wir die einzelnen Beamten unserer Sonderkommission postieren mussten.
Die Premiere für das Superflugzeug, so erfuhren wir, sollte in der Halle beginnen. Die Gäste sollten Gelegenheit bekommen, sowohl die riesige »Garage« des Silver-Jet als auch das Flugzeug selbst zu besichtigen, bevor zum Flug nach Chicago und zurück gestartet wurde.
Auch das Vorfeld der Halle gehörte zu dem Revier, das wir zu bewachen hatten. Ringsherum waren mannshohe stählerne Barrieren aufgebaut worden, die jedem unerwünschten Besucher den Zutritt verwehrten. Seit der Vogel in der Halle stand, patrouillierten die Männer einer Sicherheitsfirma pausenlos an diesen Barrieren entlang. Alle nur erdenklichen Maßnahmen waren ergriffen worden, um die Premiere nicht durch einen unvorhergesehenen Zwischenfall platzen zu lassen.
Wir verabschiedeten uns von David Malone und marschierten zurück zu meinem Jaguar, der in einer Parkbucht vor dem Flughafengebäude auf uns wartete.
»Hast du eigentlich jemals von diesem Sir sowieso gehört?«, meinte Phil, als wir losfuhren.
»Sir Malcolm Bridenpour«, belehrte ich meinen Freund, »ist ein ziemlich hohes Tier in der UNO. Spezialist für Verteidigungsfragen. Er war General in der britischen Luftwaffe und hat sich nach seiner Pensionierung der Politik zugewandt. Seit einem knappen Jahr ist er in New York.«
»Kluges Kerlchen«, lobte mich Phil, »woher hast du dieses immense Wissen?«
»Ganz einfach«, schmunzelte ich, »hin und wieder lese ich mal Zeitung. Da erfährt man solche Dinge.«
»Was du nicht sagst! Und ich habe immer geglaubt, du interessierst dich nur für Comics.«
Ich verzichtete darauf, mir eine schlagfertige Antwort auszudenken. Die Aufgabe, die vor uns lag, nahm meine Gedanken in Anspruch.
***
Aus den Hütten der Indios drang der warme Lichtschein von Kerzen und Petroleumlampen. über der Hornebene am Rand der Anden hing blauschwarze Nacht.
Zwei Doppelstreifen der Uniformierten schlurften mit geschulterten Maschinenpistolen in entgegengesetzter Richtung die Dorfstraße entlang. Ihre Zigaretten bewegten sich als glühende rote Punkte durch die Dunkelheit. Aus einem der drei olivgrünen Militärzelte plärrte ein Kofferradio Folksongs in spanischer Sprache. Von irgendwo aus der Finsternis erklang das lang gezogene Heulen eines Schakals.
»Sie haben den Indio begraben«, sagte Sergio leise, »wir konnten es ihnen nicht verbieten.« Er rückte seinen Segeltuchhocker näher an den Klapptisch heran.
Andres Torrin streifte die Asche seines Zigarillos am Rand des Aschenbechers ab, der aus einer aufgeschnittenen Konservendose bestand. »Egal«, murmelte er wegwerfend, »dieses Miststück hat seine Strafe bekommen. Damit ist der Fall für mich erledigt. Es kommt nur darauf an, dass diese schmierigen Kreaturen ständig vor Augen haben, wer hier den Ton angibt. Denn der wichtigste Teil unseres Jobs kommt erst noch, das weißt du.«
Sergio nickte. »Hast du schon Nachricht bekommen?« Er schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und riss ein Streichholz am Schaft seines Stiefels an.
»Bislang hat sich nichts geändert. Der Kurier ist noch unterwegs. Vielleicht bringt er Neuigkeiten mit. Wer weiß, was sich in New York abspielt.« Er zuckte mit den Schultern.
»Wir sind jedenfalls gerüstet«, meinte Sergio mit hintergründigem Lächeln. »Von uns aus kann es losgehen.«
Torrin blickte auf seine Armbanduhr. »Sie müssten so weit sein. Sehen wir nach, ob die Anlage funktioniert.« Er stand auf und rückte seine Koppel zurecht. Mit einer raschen Handbewegung stülpte er sich die Schirmmütze auf den Kopf.
Sergio folgte ihm ins Freie. Die Nachtluft war kühl. Torrin stapfte auf den Jeep zu, der vor dem Zelt abgestellt war. »Fahr du«, ordnete er an, »der Zündschlüssel steckt.«
Sergio brummte zustimmend und schwang sich hinter das Lenkrad. »Man kommt sich direkt vor wie bei der Army.« Er grinste. »Wenn man nicht wüsste, dass man’s freiwillig tut, wäre es verdammt unangenehm.«
Torrin erwiderte nichts. Er starrte hinaus in die Dunkelheit. Der Motor des Jeeps sprang an. Bockend setzte sich das geländegängige Fahrzeug in Bewegung und rollte in verhaltenem Tempo die Dorfstraße entlang, vorbei an den Doppelstreifen, die neugierig hinter dem roten Schimmer der Rückleuchten herblickten.
Sergio schaltete in den dritten Gang und trat das Gaspedal weiter herunter. Der Jeep durchquerte das hügelige Gelände und erreichte die freie Fläche der Hochebene. Weit entfernt war ein schwacher Lichtschein zu erkennen.
»Scheint so, als wären sie noch an der Arbeit«, murmelte Torrin stirnrunzelnd, »die Burschen sollen sich beeilen, verdammt noch mal!«
Mit hoher Geschwindigkeit steuerte Sergio den Jeep auf den Lichtschein zu. Nach drei Minuten hatten sie den Rand des Rollfelds erreicht. Eine Reihe von Standscheinwerfern erhellte die unmittelbare Umgebung der Betonpiste. Das monotone Dröhnen des Stromaggregats drang überlaut durch die nächtliche Stille.
Andres Torrin und sein Fahrer schwangen sich aus dem Jeep. Sie näherten sich den vier Männern, die im Scheinwerferlicht damit beschäftigt waren, an einem rechteckigen Schaltkasten herumzubasteln. Der Metallkasten war in einer Kiste untergebracht, die auf dem sandigen Boden stand. Von ihr aus führten zahllose Kabel in verschiedene Richtungen.
Einer der Männer richtete sich auf, als Torrin und sein Begleiter näher kamen.
»Wie sieht es aus, Tony?«, erkundigte sich Torrin gespannt und blickte interessiert auf den Kasten mit den zahlreichen Knöpfen und Schaltern.
»Wir sind gleich fertig. Wir müssen nur noch die letzten Verbindungen überprüfen.«
»Okay. Dann möchte ich sehen, ob der Kram funktioniert.«
»Kann gleich losgehen.« Der Mann, den Torrin mit Tony angeredet hatte, wandte sich wieder den anderen zu, die in ihre Arbeit vertieft waren. Es dauerte noch etwa fünf Minuten, dann räumten sie ihr Werkzeug beiseite und verpackten es in den bereitstehenden Taschen. »Schaltet die Scheinwerfer aus«, befahl er, »und dann geht dort rüber zum Jeep.« Er selbst blieb vor dem Metallkasten stehen und beleuchtete das Schaltpult mit einer kleinen Taschenlampe. Sekunden später erlosch das Licht der Standscheinwerfer.
Nur noch Tonys Hand, die im schwachen Schein der Taschenlampe an dem Schaltpult hantierte, war zu sehen. Das Stromaggregat dröhnte mit unverminderter Lautstärke weiter.
Plötzlich flammten die ersten Glühbirnen auf. Ihr Licht war grell. Unwillkürlich hoben die Männer die Hand vor die Augen. Schlag auf Schlag ging es weiter. Zwei endlos scheinende Lichterketten führten vom Beginn der Rollbahn weg in Richtung auf die Bergkette. Dazwischen gab es in bestimmten Abständen mehrere Querverbindungen aus Reihen von Glühbirnen, die die Breite der Betonpiste hatten. Der Anfang der Piste war mit einer Doppelreihe gekennzeichnet.
Tony kam auf Torrin zu. »Es funktioniert«, erklärte er freudestrahlend. »Besser könnte es nicht klappen.«
»Hoffentlich reicht es aus«, meinte Torrin skeptisch, »ich hab keine Ahnung vom Fliegen, aber auch als Laie erscheint mir das Ganze ziemlich primitiv.«
»Das stimmt schon«, gab Tony zu, »aber bessere Mittel hatten wir nicht zur Verfügung. Es wird ein hartes Stück Arbeit für unsere Leute werden, den Vogel hier herunterzubekommen. Vielleicht gibt es auch Bruch, weil die Piste nicht lang genug ist. Aber sie haben gesagt, sie werden es schaffen.«
»Hoffentlich.« Torrin steckte sich einen neuen Zigarillo an. »Wenn die Maschine Feuer fängt, ist alles im Eimer. Wir haben keine Möglichkeit, zu löschen.«
»Es wird schon gut gehen«, mischte sich Sergio ein, »darüber haben sich ja schließlich andere den Kopf zerbrochen. Und die werden schon wissen, was sie sich dabei gedacht haben.«
Torrin hob die Arme und ließ sie wieder fallen. »Packt euren Kram zusammen«, wandte er sich an die Männer, die die Befeuerungsanlage installiert hatten. »Ich schicke euch die Wachen raus, dann könnt ihr ins Dorf kommen.« Er kletterte auf den Beifahrersitz des Jeeps.
Sergio beeilte sich, das Fahrzeug in Gang zu setzen.
Als sie das Dorf erreichten, erkannten sie schon von weitem die Scheinwerfer eines zweiten Jeeps, der in diesem Moment vor den Militärzelten stoppte.
»Tempo«, befahl Torrin, »er ist zurück.«
Noch bevor Sergio das Fahrzeug zum Stehen gebracht hatte, sprang er hinaus und rannte in das Zelt, vor dem der zweite Jeep stand.
Der Kurier kam ihm bereits entgegen. Er wedelte mit einem Briefumschlag. »Da bist du ja«, freute er sich, »ich dachte mir, dass du auf ’ne Nachricht gewartet hast.«
»Gib schon her!« Torrin riss ihm den Umschlag aus der Hand und zerfetzte hastig das Papier des Kuverts. Gespannt zog er den Zettel heraus, der sich darin befand.
Sergio blickte ihm interessiert über die Schulter, als er hastig den knappen Text überflog.
Torrin ließ das Schreiben sinken. »Es geht los«, flüsterte er heiser, »übermorgen. Wie geplant.«
»Mann!« Sergio schlug sich mit der flachen Rechten auf den Oberschenkel. »Das wird das größte Ding des Jahrhunderts!«
2
Ich war ausgeruht und fit wie an einem taufrischen Frühlingsmorgen. Zwar gibt es eine solche Naturerscheinung unter der Dunstglocke New Yorks nicht, aber ich kann mich noch gut an derartige Dinge erinnern, wie es sie in meinem ländlichen Geburtsort Harpersvillage in Connecticut gab.
Ich lenkte also wie gewohnt meinen Jaguar durch den Smog von Manhattan und holte Phil ab. Pünktlich wie immer, trafen wir um halb neun auf dem Hof des FBI-Distriktgebäudes ein.
Ben Harper, der Leiter unserer Fahrbereitschaft, kam uns entgegen. »Eure Autos sind fertig«, teilte er uns mit, »acht neutrale Limousinen, frisch gewaschen und aufgetankt. Ihr braucht nur loszufahren.«
»Schön wär’s«, seufzte Phil, »wenn wir nicht mehr zu tun hätten, als durch die Gegend zu kutschieren, wäre mir erheblich wohler.«
Ich bedankte mich bei Ben. Dann fuhren wir im Lift nach oben, um unserem gemeinsamen Büro eine Stippvisite abzustatten. Eine knappe halbe Stunde hatten wir noch Zeit. Dann rollte der Einsatzplan ab, den Phil und ich gemeinsam mit den Kollegen aufgestellt hatten, die zu unserer Sonderkommission in Sachen Silver-Jet gehörten.
Wir erledigten ein paar Telefongespräche, meldeten uns schließlich bei Mr High ab und sausten dann hinunter in den Hof, wo die Kollegen bereits auf uns warteten. Die acht Limousinen standen in Reih und Glied. Vier Chevys, drei Buicks und ein Pontiac. Alle waren grau und unscheinbar, dafür aber erstklassig gepflegt und mit Sprechfunk ausgestattet.
Sorgsam überprüften wir unsere Ausrüstung. Jeder von uns hatte seinen 38er im Schulterholster und Reservemunition in der Tasche. Unser weiteres Waffenarsenal bestand aus zehn Maschinenpistolen, doppelt so viel gefüllten Magazinen, fünf automatischen Schnellfeuergewehren mit Zielfernrohr, zwanzig Tränengasgranaten, dreißig Gasmasken – eine für jeden – und vier schweren Ferngläsern. Das Ganze war in zwei Kisten verpackt, die wir jeweils in einem Kofferraum unserer Dienstwagen verstauten.
Phil hatte außerdem eine Kleinbildkamera mit Teleobjektiv bei sich, um besondere Ereignisse auf Zelluloid zu bannen. Solche Fotos konnten uns bei eventuellen Zwischenfällen später wertvolle Dienste leisten. Bei Einsätzen ähnlicher Art hatten wir bereits des Öfteren diese Erfahrung gemacht.
Ich trug eine Kunststoffmappe unter dem Arm, in der sich die Liste der Passagiere, der Flugzeugcrew, ein verkleinerter Lageplan des Kennedy Airport und eine Skizze der Wartungshalle des Silver-Jet befanden.
Wir waren also mit allem gerüstet, was man sich für einen solchen Einsatz ausdenken konnte. Wir verteilten uns auf die Dienstwagen und setzten uns in Marsch. Steve Dillaggio, unser blonder Kollege mit dem italienischen Namen, fuhr in dem grauen Buick mit, den Phil und ich benutzten. Ich hatte bewusst darauf verzichtet, meinen Jaguar zu nehmen. Er war mir für diesen Job zu auffällig. Mein roter Flitzer war zu bekannt, und man konnte nicht wissen, wer sich eventuell einen Vers darauf machen würde, wenn er vor dem Flughafengebäude parkte.
Um acht Uhr achtundfünfzig rollte unser Buick als Erster vom Hof des FBI-Gebäudes. Die übrigen sieben Wagen folgten. Wir schalteten das Warnlicht ein, um uns in Kolonnenfahrt den Weg durch Manhattan zu bahnen. Erst auf der Williamsburg Bridge fuhren wir ohne die Flackerbeleuchtung weiter.
Über die Brunswick Avenue und den Southern Parkway erreichten wir das Areal des John F. Kennedy International Airport. Um neun Uhr sechsundzwanzig stellten wir unsere Fahrzeuge auf einem speziell für uns reservierten Parkstreifen ab. Wir befanden uns unmittelbar vor einem Nebentrakt des Flughafengebäudes. Die Halle des Silver-Jet lag etwa hundert Yards weiter rechts. Durch einen speziell für uns geöffneten Seiteneingang schleppten wir unsere Ausrüstung auf das Vorfeld, wo ein Kleinbus wartete, der uns weiter zum Einsatzort transportierte.
Die Kollegen von der CIA waren bereits eingetroffen. Der Einsatz der City Police an den Zufahrten begann eine halbe Stunde später.
Wir vertraten uns vor der Riesen-Flugzeughalle zunächst einmal die Beine und stellten fest, dass die Luft hier auch nicht besser war als in Manhattan.