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Er ließ den Revolverschaft in seiner Hosentasche los. Nur für wenige Sekunden. Seine Hand war schweißfeucht. Im Gehen wischte er sie an seinem Jackett ab, dann umfasste er wieder die Waffe. Hart, entschlossen, beinahe brutal.
"Ich werde es dir besorgen", murmelte er. "Und es wird dir schlecht bekommen, Fatso!"
In Gedanken hatte er Ernie Pyle, den Schatzmeister der Cosa Nostra, immer nur Fatso genannt. Schon das grenzte an Selbstmord. Aber heute würde er ihm diesen Namen ins Gesicht schreien - und dann ...
Dann kamen Phil und ich.
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Impressum
Schatzmeister der Cosa Nostra
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »The Newton Boys«/ddp-images
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7343-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Schatzmeister der Cosa Nostra
Er ließ den Revolverschaft in seiner Hosentasche los. Nur für wenige Sekunden. Seine Hand war schweißfeucht. Im Gehen wischte er sie an seinem Jackett ab, dann umfasste er wieder die Waffe. Hart, entschlossen, beinahe brutal.
»Ich werde es dir besorgen«, murmelte er. »Und es wird dir schlecht bekommen, Fatso!«
In Gedanken hatte er Ernie Pyle, den Schatzmeister der Cosa Nostra, immer nur Fatso genannt. Schon das grenzte an Selbstmord. Aber heute würde er ihm diesen Namen ins Gesicht schreien – und dann …
Dann kamen Phil und ich.
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Er ließ den Revolverschaft in seiner Hosentasche los, nur für wenige Sekunden. Seine Hand war schweißfeucht. Im Gehen wischte er sie an seinem Jackett ab, dann umfasste er wieder die Waffe hart, entschlossen, beinahe brutal.
Er war diese Straße schon oft entlanggegangen, er kannte ihre Häuser, ihre Läden, ihre Menschen. Sie führte so steil bergan, dass man meinen konnte, in San Francisco zu sein, aber sie war nur ein Stück New York.
»Hallo, Benny«, rief ihm jemand zu. »Komm rüber. Wir machen ein Spielchen.«
Er wandte nicht einmal den Kopf. Die Zeit der Spielchen war für ihn vorbei. Für immer! Er merkte, dass Tränen in seine Augen traten. Das machte ihn wütend. Er hatte nur selten in seinem Leben geweint. Warum tat er es jetzt? Er umspannte den Revolver noch fester. Nur kein Selbstmitleid vor dem, was ihn erwartete!
Zum Teufel damit, es ging nicht nur um ihn! Er war zweiundzwanzig und ein erwachsener Mann. Er hatte einen Punkt erreicht, wo es zu beweisen galt, wer und was er war.
»Ich werde Farbe bekennen«, murmelte er, »und es wird dir schlecht bekommen, Fatso.«
In Gedanken hatte er Ernie Pyle immer nur Fatso genannt. Es wäre selbstmörderisch gewesen, dem Syndikatsboss so etwas ins Gesicht zu sagen, aber heute würde es Pyle zu hören bekommen … und noch ein paar andere Dinge dazu.
***
Es war zehn Uhr vormittags, ein sonniger, heißer Morgen. Die Kinder tollten um die Hydranten herum. Wenn sie Glück hatten, würde die Polizei in den Mittagsstunden die Hähne öffnen, um den kreischenden, nach Erfrischung lechzenden Bälgern ein kleines Sommervergnügen zu bereiten. Aber vielleicht würde keinem danach zumute sein, vielleicht würden die Cops und selbst die Kinder nur davon sprechen, was an diesem denkwürdigen Vormittag mit Fatso passiert war – mit Fatso, den jeder kannte, Fatso, den jeder fürchtete, mit Fatso, dem König des Bezirks.
Sein Haus thronte wie eine Burg auf der Spitze des Hügels, ein alter viktorianischer Kasten, den man vor einem halben Jahr zitronengelb und weiß gestrichen hatte. Irgendein Sonderling hatte vor Jahrzehnten die Villa in der Hoffnung erbaut, dass er damit das Bild der Umgebung prägen und die Grundstückspreise hochtreiben könnte, aber niemand war seiner Spekulation gefolgt. Die Villa war von armseligen schmalbrüstigen Mietskasernen umschlossen worden, ihre Bewohner hatten häufig gewechselt, bis Fatso vor drei Jahren das Haus übernommen und aufgemöbelt hatte. Seitdem hieß es in der Gegend nur noch das »Hauptquartier«.
Die Polizei wusste, wer Ernie Pyle war, das FBI hatte wiederholt versucht, ihn aufs Kreuz zu legen, aber bis jetzt war es noch niemandem gelungen, ihm ernsthaft etwas am Zeug zu flicken.
Benny Trenton holte tief Luft. Es war fantastisch, zu wissen, dass ausgerechnet er, der kleine Benny aus der Little Neck Road, es fertigbringen würde, den großen Ernie Pyle zu erledigen.
Er schwitzte, als er das alte schmiedeeiserne Portal passierte, das durch den kleinen, gepflegten Vorgarten zu dem von einem Balkon überdachten Hauseingang führte. Die Sonne machte ihm nichts aus. Er schwitzte vor Angst.
Es war nicht die Angst vor dem, was er vorhatte, es war die Furcht, dass in letzter Sekunde etwas schiefgehen könnte. Fatso konnte unterwegs sein, die Waffe konnte versagen …
Benny Trenton schluckte vor Aufregung. Es gab noch andere Punkte, die das Unternehmen gefährdeten. Fatso war immer in Begleitung seiner Gorillas. Er war kein Mann, der Risiken einging. Wenn er erfuhr, dass Benny Trenton gekommen war, würde er es nicht schwer haben, den Grund des Besuchs zu erraten.
Mach dich nicht verrückt damit, beruhigte sich Benny Trenton. Fatso ist kein Hellseher. Für ihn bin ich nur ein kleines Würstchen. Er denkt nicht einmal daran, dass ich wegen Tilly Ernst machen könnte. Ich bin ja nur ihr Bruder, der kleine Benny aus der Little Neck Road, eine Figur, die in Billardsälen und Kneipen herumhängt, ein Junge, den man mit einem gönnerhaften Schulterklaps und ein paar Dollars abspeisen kann.
Er hatte die Tür erreicht und hob den Messingklopfer. Im Inneren ertönte ein melodischer Gong. Die Tür trug kein Namensschild. Schließlich wusste jeder, wer hier wohnte. Nein, das war falsch. Ernie Pyle wohnte nicht in diesem Haus, er residierte hier oben! Die beherrschende Lage des alten Hauses hatte für die Bewohner des Bezirks eine düstere Symbolik.
Ein kahlköpfiger Hüne öffnete die Tür. Benny Trenton kannte den Mann. Es war einer von Fatsos Leibwächtern. Er hatte einen unaussprechbaren polnischen Namen, den man auf die Kurzform Ricz gebracht hatte.
»Ist der Boss da?«, fragte Benny.
Die wasserblauen Augen des Hünen musterten ihn nicht unfreundlich. »Sicher, aber nicht für dich, Kleiner. Kann ich ihm was bestellen?«
Benny Trenton schüttelte den Kopf. »Tilly schickt mich. Es ist eine persönliche Nachricht.«
Der Hüne grinste. »Mach es nicht so spannend. Ich sag’s dem Boss.«
»Sorry, Ricz. Ich habe Tilly versprochen, es dem Boss persönlich auszurichten. Es dauert nur ’ne halbe Minute.«
»Spinner«, meinte der Hüne, aber er lächelte dabei und gab den Weg frei. »Ernie ist oben in seinem Arbeitszimmer. Spute dich, Kleiner. Du weißt, dass Ernie nicht während der Arbeitsstunden gestört werden will.«
Benny Trenton durchquerte die Halle. Hier drin war es angenehm kühl. Das leise Rauschen der Klimaanlage hatte einen beruhigenden Klang. Plötzlich war seine Erregung verflogen. Er wusste, dass es klappen würde. Er war sich seiner Sache völlig sicher.
Er ging die geschwungene, teppichbelegte Holztreppe hinauf. Er passierte eine offene Tür und hörte das Ticken eines Fernschreibers. Ein Mädchen lachte. Irgendwo spielte ein Radio. In Fatsos Hauptquartier ging es lebhaft zu. Lärm und Geschäftigkeit gehörten zu dem Bild, das er von sich und seiner Umgebung geprägt hatte.
Benny öffnete eine Tür. Er war schon ein- oder zweimal hier oben gewesen, er kannte sich aus. Das Vorzimmer war leer. Die gepolsterte Tür zu Ernie Pyles Allerheiligstem stand offen. Benny Trenton trat auf die Schwelle.
Seltsam. Ernie Pyle wandte ihm den Rücken zu. Er hatte sich im Besuchersessel seines Schreibtischs niedergelassen und schien Gefallen daran zu finden, aus dem großen Fenster zu blicken. Im Raum hing der Duft von Ernie Pyles Zigarre, sie lag auf dem Rand eines Aschers und schickte bläuliche Rauchspiralen in die Luft.
Benny wollte den Mund aufmachen und all die Dinge sagen, die ihn seit Stunden marterten, aber seine Kehle war wie ausgedörrt. Es war sinnlos, dem Geschehen eine zusätzliche Dramatik zu geben. Fatso war kein Mann, der mit der Wahrheit etwas anfangen konnte. Er würde nicht einmal begreifen, warum es so weit gekommen war.
Benny Trenton riss den Revolver aus der Hosentasche. Verdammt, schließlich war es ein Glücksfall, dass Fatso in diesem Moment allein war. Diesen Augenblick galt es zu nutzen.
Benny zielte. Seine Hand war völlig ruhig. Dann drückte er ab, gleich dreimal hintereinander.
Die Waffe hatte keinen Schalldämpfer. Die Schüsse weckten in dem großen, hohen Raum ein donnerndes Echo.
Ernie Pyle sackte in sich zusammen. Er rutschte langsam vom Sessel. Mit einem dumpfen Laut schlug sein Körper auf den Boden.
Benny Trenton atmete schwer, spürte, wie er am ganzen Körper zu zittern begann.
»Das ist für das, was du Tilly angetan hast, Fatso«, krächzte Benny. Es klang eher traurig als wütend. Sein Zorn war verflogen. Er hatte getan, was getan werden musste. Jetzt kam für ihn das bittere Ende.
Aber er wollte es nicht in diesem Haus erleben, nicht in Fatsos Hauptquartier. Er hörte Schritte in der Halle, aufgeregte Stimmen.
Benny Trenton machte kehrt. Vor der Tür des Vorzimmers prallte er fast mit dem Hünen zusammen. Benny richtete die Waffe auf Ricz.
»Zur Seite«, befahl er.
Der Hüne nahm die Hände hoch. Benny Trenton ging an ihm vorbei. Im Rahmen der Tür, hinter der der Fernschreiber tickte, erschien ein junges blondes Mädchen mit einem hübschen, aber ziemlich törichten Gesicht. Es riss den Mund auf, als wollte es schreien, brachte aber keinen Laut zustande.
Der Hüne gab sich einen Ruck und stürmte ins Vorzimmer. Es war klar, dass er nach seinem Boss sehen wollte.
Benny Trenton raste die Treppe hinab. Sein Herz klopfte bis zum Hals. Er rechnete mit dem Bellen von Schüssen, mit einem kurzen Schmerz, der ihm das Ende signalisieren würde, aber nichts dergleichen geschah.
Er jagte durch die Halle, riss die Tür auf und torkelte ins Freie. Er hatte immer noch den Revolver in der Hand. Schwer atmend blinzelte er in die grelle Sonne.
Er wusste, dass es idiotisch war, zu sagen, dass er es geschafft hatte, aber er wunderte sich trotzdem, dass er überhaupt so weit gekommen war.
Einige Fußgänger verringerten ihr Tempo, als sie ihn mit dem Revolver vor Pyles Haustür stehen sahen. Sie waren neugierig, sie wünschten, herauszufinden, was es mit ihm und der Waffe für eine Bewandtnis hatte, aber sie hatten nicht einmal den Mut, stehen zu bleiben. Es war nicht gut, sich um die Dinge zu kümmern, die in und vor dem Haus auf dem Hügel geschahen.
Benny Trenton steckte die Waffe in die Hosentasche. Er mischte sich unter die Passanten und ging die Straße hinunter. Langsam entspannte er sich. Was auch geschehen mochte, was sie auch mit ihm anfangen würden – Ernie Pyle war tot.
Fatso hatte bekommen, was er verdiente.
***
»Mach’s gut«, sagte Phil, als er aus meinem Jaguar kletterte.
»Wie gut?«, fragte ich grinsend.
»Besser als die anderen«, erwiderte mein Freund und Kollege. »Das ist doch deine Devise, nicht wahr?«
»Klar«, spottete ich. »Der einzige Weg, um oben zu bleiben. Die Sache hat nur einen Nachteil. Wenn man fällt, bricht man sich leicht das Genick.«
»Nicht du«, sagte Phil. »Deines ist aus Gummi.«
»Das wird auch Ernie Pyle von sich geglaubt haben. Es war ein Irrtum. Gehen wir zu seinem Begräbnis?«
»Mich kannst du von der Kondolenzliste streichen«, sagte Phil kopfschüttelnd. »Ich könnte an Ernie Pyles Grab zu leicht in Versuchung geraten, ein Freudenlied zu trällern. Das wäre ziemlich makaber, was?«
»Nicht, wenn es im Chor erfolgte«, erwiderte ich. »Genau das kann leicht passieren. Ernie Pyle hatte in dieser Stadt nur wenige Freunde. Gute Nacht, Old Chap. Bis morgen!«
Ich lenkte den Wagen in die Tiefgarage. Fünf Minuten später betrat ich mein Apartment. Ich hatte den ganzen Tag an Ernie Pyles Ende gedacht. Jetzt beschäftigte mich nur noch der Gedanke an ein kühles Bier. Ich ging zuerst in die Küche. Als ich den Kühlschrank öffnete, schien es mir so, als hörte ich Musik. Tatsächlich. Im Wohnzimmer spielte das Radio. Anscheinend hatte ich vergessen, den Apparat abzustellen.
Ich holte eine Dose Bier aus dem Kühlschrank und öffnete sie. Leise pfeifend füllte ich ihren Inhalt in ein Glas. Ich genehmigte mir einen Schluck, produzierte ein geradezu werbewirksames »Aaah!« und wanderte mit dem Glas ins Wohnzimmer. Ich stoppte auf der Türschwelle, als sei ich gegen eine Glaswand gelaufen. Auf meiner Couch saß ein Girl.
Es lächelte mir entgegen. Aber das Lächeln war nicht frei von Furcht.
»Wer sind Sie?«, fragte ich.
Das Mädchen erhob sich. Es war mittelgroß, nicht älter als sechzehn oder siebzehn. Ihr lederner Minirock gab ungewöhnlich lange, schlanke Beine frei, und der straff sitzende Pulli bemühte sich mit Erfolg darum, eine aggressive Oberweite herauszustellen.
Das Girl war kräftig geschminkt, aber nicht einmal die dicken Lidstriche vermochten davon abzulenken, dass es noch vor Kurzem geweint hatte.
Der Mund der Kleinen zuckte. Sie schien etwas sagen zu wollen, aber dann ergriff sie nur mit beiden Händen den unteren Rand ihres Pullis und zog ihn sich mit einem Ruck über den Kopf. Sie hatte nichts darunter an.
»Ich bin gut gewachsen, nicht wahr?«, fragte sie.
Ich blinzelte und hatte einige Mühe, meine Stimme sachlich und trocken klingen zu lassen. »Gut genug, um Modell zu stehen«, gab ich zu, »aber ich bin kein Bildhauer. Ziehen Sie sich wieder an.«
»Sie können mich haben«, sagte sie.
»Sie sind eine Perle«, erklärte ich, »aber ich mache mir nichts aus Schmuck.«
Sie lächelte mit halboffenem Mund. Sie kannte die Wirkung, die sie auf Männer hatte, und sie schien entschlossen, davon auch jetzt zu profitieren. Sie hatte schulterlanges blondes Haar und große bernsteinfarbene Augen.
»Ich weiß, was Männer wollen«, meinte sie und öffnete den Bund ihres Rocks. Sie ließ das Kleidungsstück zu Boden gleiten und stieg heraus. Ihre Bewegungen waren graziös, aber nicht völlig natürlich. Sie wirkten berechnend. Der Slip, den sie noch anhatte, war nicht größer als das Unterteil eines Bikinis.
Ich nahm einen Schluck aus dem Glas. Ich gab mich kühl und überlegen, aber im Grund war ich froh, dass ich mich an dem Glas festhalten konnte.
»Beginnen wir noch einmal von vorne«, meinte ich. »Wie heißen Sie?«
Sie stützte eine Hand auf die Hüfte. »Wir machen Fortschritte«, spottete sie. »Vom Anziehen wollen Sie nichts mehr wissen.«
»Sie werden sich erkälten«, sagte ich.
»Keine Gefahr«, erwiderte sie. »Ich verstehe mich aufs Einheizen – jedenfalls bei Männern! Warum überzeugen Sie sich nicht davon?«
»Geschenkt«, brummte ich.
Ich merkte, dass sie unsicher wurde. Sie schürzte die rot schillernde Unterlippe und kämpfte um ihre einstudierte Rolle. Sie wollte es einfach nicht wahrhaben, dass ein Mann nicht so reagierte, wie sie sich das vorstellte.
»Ich bin Tilly Trenton«, erklärte sie und kam auf mich zu. »Sie machen einen Fehler, wenn Sie mich für ein billiges Flittchen halten. Ich kann Dutzende von Männern haben. Hunderte! Aber ich will sie nicht, ich habe sie nie gewollt! Mich interessierte nur einer. Er hat mir gezeigt, wie das Leben ist. Er hat mich gelehrt, die Preise dieser Stadt zu respektieren. Man muss zahlen, wenn man etwas haben will, und wenn man viel haben will, muss man alles geben. Ich bin dazu bereit. Ich habe nur mich anzubieten. Verdammt, worauf warten Sie noch? Soll ich Ihnen die Füße küssen?«
Ihre Stimme begann, zu zittern. Ich hatte das Gefühl, dass sie am Rande eines hysterischen Ausbruchs stand. Hinter der Fassade herausfordernder Erotik wurde plötzlich ein hilfloses Kind sichtbar.
»Ziehen Sie sich an«, wiederholte ich weniger heftig.
Das Mädchen schien nicht zu wissen, ob es zornig oder verwirrt sein sollte. Ich setzte mich. Das Girl schüttelte sein langes Blondhaar zurecht. Dann zog es sich an.
»Sie wollen also Geld«, sagte die Kleine bitter. »Ein korrupter Cop! Ich dachte mir, dass es so sein würde … aber ich hatte gehofft, dass Sie mit mir vorliebnehmen würden.«
»Setzen Sie sich«, bat ich. »Trenton, Trenton! Sind Sie mit dem Mann verwandt, der Ernie Pyle erschossen hat.«
»Er hat ihn nicht erschossen!«, gab sie heftig zurück.
»Ich fragte, ob Sie mit ihm verwandt sind.«
»Benny ist mein Bruder«, erwiderte sie und schloss ihren Rockbund.
»Ich weiß Bescheid«, sagte ich langsam. »Sie waren Ernies kleine Freundin, nicht wahr? Ihr Bruder bekam Wind davon und beschloss, den Verführer seiner Schwester zu töten.«
»Benny kann es gar nicht gewesen sein«, behauptete sie.
»Er hat den Mord gestanden. Außerdem gibt es eine Menge Tatzeugen.«
»In seinem Revolver waren nur Platzpatronen«, sagte Tilly Trenton.
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Ich habe sie gegen die scharfen Patronen ausgewechselt«, erwiderte sie.
»Warum?«
»Weil ich ahnte, was kommen würde. Weil ich befürchtete, dass mein Bruder eines Tages verrücktspielen und Ernie auf die Bude rücken würde.«
»Ihretwegen?«
»Ja, meinetwegen. Ich bin für ihn nie etwas anderes gewesen als die kleine Schwester. Wir haben unsere Eltern bei einem Autounfall verloren. Seitdem fühlt sich Benny für mich verantwortlich. Vielleicht verstehen Sie das besser, wenn ich Ihnen sage, dass wir aus Sizilien stammen …«
»Sie sehen nicht so aus«, stellte ich fest.
»Weil ich blond bin? Meine Mutter war Amerikanerin.«
»Okay.« Ich nickte. »Sie wussten also, dass Ihr Bruder einen Revolver besaß. Sie ahnten, was er eines Tages damit anstellen würde, und tauschten vorsichtshalber die Patronen aus. Aber wer sagt Ihnen, dass Benny den Trick nicht bemerkt und vor seinem Anschlag auf Pyle korrigiert hat?«
»Ich habe zu Hause nachgesehen und die Patronen wieder gefunden. Die echten, meine ich. Es waren nur Platzpatronen in dem Revolver, glauben Sie mir, bitte.«
»Ernie Pyle ist tot«, beharrte ich.
»Ich bestreite ja nicht, dass Benny ihn töten wollte. Sicherlich hat er sogar auf Ernie geschossen. Aber als das geschah, muss Ernie bereits tot gewesen sein.«
»Warum gehen Sie nicht einfach zur Polizei und geben das zu Protokoll?«, fragte ich.
»Das habe ich getan«, antwortete sie. »Es war zwecklos. Die haben alles aufgeschrieben, aber sie glauben mir nicht. Warum sollten sie auch? Benny gibt schließlich zu, den Mord verübt zu haben. Für die Cops liegt der Fall sonnenklar. Aber sie und Benny irren sich! Ein anderer hat Ernie erschossen.«
»Wer?«, wollte ich wissen.
»Ich weiß es nicht«, flüsterte das Mädchen.
»Als es passierte, war das Haus auf dem Hügel voller Leute«, sagte ich. »Aber Ihr Bruder war der einzige Besucher …«
»Schon möglich, aber er war nicht der Mörder«, erklärte Tilly Trenton verbissen. »Ich weiß es! Was soll ich denn tun? Benny glaubt, dass er’s getan hat. Die Polizei glaubt es auch. Deshalb komme ich zu Ihnen. Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Wenn Sie mich enttäuschen, kann ich’s nicht ändern, aber ich musste einfach mit Ihnen sprechen …«
»Sie schulden mir einige Erklärungen«, sagte ich. »Wie sind Sie in mein Apartment gekommen?«
»Ein Schulfreund hat mich hergebracht. Er kennt sich mit komplizierten Wohnungsschlössern aus und hatte keine Mühe, das Ding zu öffnen. Ich kann Ihnen seinen Namen nicht nennen und hoffe, dass Sie das verstehen. Er wollte mir doch nur helfen …«
»Was haben Sie eigentlich erwartet? Glaubten Sie im Ernst, einen G-man mit Ihrer Striptease-Nummer beeindrucken zu können?«, fragte ich.
Tilly Trentons Mund zuckte weinerlich. »G-men sind auch nur Männer, hat mein Freund gesagt. Und da dachte ich mir …« Sie blieb hilflos mitten im Satz stecken.
Ich schaute sie an. Sie hatte zum falschen Zeitpunkt den falschen Mann geliebt. Ernie Pyles Einfluss war mitschuldig daran, dass Tilly Trenton diese Stadt und ihre Menschen mit illusionsloser Härte betrachtete.
»Schon gut«, winkte ich ab. »Vergessen wir den Unsinn. Wie lange kannten Sie Ernie Pyle?«
»Ein paar Monate. Ich … ich habe ihn bewundert und geliebt. Warum konnte Benny das nicht begreifen? Ernie war der Größte! Er war der König des Bezirks. Es war fantastisch, seine Freundin sein zu können. Warum hat Benny sein und mein Lebensglück zerstört?«
»Ich denke, er war es nicht?«
»Er hat auf Ernie geschossen. Er wollte ihn töten. Das ist schlimm genug!«
»Wenn Sie davon überzeugt sind, dass ein anderer Ernie Pyle getötet hat, müssen Sie in der Lage sein, diese Ansicht zu untermauern. Wer waren seine Hauptfeinde?«
»Ernie hat mit mir nie über seine Geschäfte gesprochen. Ich kannte weder seine Freunde noch seine Feinde.«
»Sie waren oft in Pyles Haus, nehme ich an. Sie müssen dort seine Gorillas und Mitarbeiter kennengelernt haben.«
»Die waren stets in der Nähe«, antwortete das Mädchen, »aber ich habe kaum ein Wort mit ihnen gewechselt. Sie interessierten mich nicht.«
»Wie kommt es, dass Ihr Bruder ausgerechnet jetzt Ernie Pyle zu töten versuchte? Ihr Bruder wusste doch schon seit Langem, dass Sie mit Pyle verkehrten. Warum hat er sich nicht früher dagegen aufgelehnt? Warum gab er nur Ernie Pyle die Schuld an der Entwicklung?«
»Er sah in Pyle meinen Verführer. Benny hat oft genug versucht, mich von Ernie zu trennen. Als ich Benny sagen musste, dass ich ein Kind von Ernie erwarte, brannte bei meinem Bruder eine Sicherung durch.«
»Wie alt sind Sie?«
»Sechzehn.«
»Bitte gehen Sie jetzt«, bat ich. »Ich kümmere mich um den Fall.«
»Sie werden mir helfen?«, fragte Tilly Trenton kurzatmig.
»Versprechen kann ich Ihnen nichts«, machte ich ihr klar. »Ich muss mich erst einmal mit Ihrem Bruder unterhalten und die Protokolle einsehen.«
»Bitte finden Sie den wahren Mörder!«, flüsterte das Mädchen. »Er darf nicht frei herumlaufen, während Ernie tot ist und Benny auf seine Verurteilung wartet …«
Ich notierte mir die Adresse des Mädchens, dann brachte ich es zur Tür. Ich hielt das Bierglas immer noch in meiner Hand. Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, wusste ich, dass es wieder einmal keinen Feierabend für mich geben würde. Möglicherweise war Tilly Trenton eine kleine Spinnerin, aber ich hatte das Gefühl, dass sie die Wahrheit sagte. Und damit hatte ich den Schwarzen Peter – so oder so.
2
Ich blickte auf die Uhr. Fünf Minuten nach zehn. Ich wusste, dass Lieutenant Easton den Fall bearbeitete. Vermutlich befand er sich zu dieser Stunde noch im Office. Ich trat ans Telefon und wählte die Nummer der Mordkommission.
In diesem Augenblick fielen die Schüsse.
Ihr Echo kam von der Straße herauf, kurz, bissig und trocken. Ich schmetterte den Hörer auf die Gabel und rannte zum Fenster. Ich riss es auf und beugte mich weit über die Brüstung.
Unter mir sah ich die spiegelnden Wagendächer, diese lange gewohnte Kette parkenden lackierten Bleches. Dazwischen lag das mattgraue Band der asphaltierten Straße. Ich sah weder den Schützen noch sein Opfer.
Ich machte kehrt und jagte aus der Wohnung. Der Lift brachte mich ins Erdgeschoss. Als ich im Freien stand, sah ich den Jungen zwischen zwei Fahrzeugen hocken. Ich lief auf ihn zu. Er blickte mir über die Schulter entgegen.
»Gehen Sie in Deckung, Mann«, warnte er mich. »Da drüben spielt jemand verrückt.«
In diesem Moment sprang auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Wagenmaschine an. Unmittelbar darauf jagte mit aufheulendem Motor ein 69er Chevy aus einer Parklücke. An seinem Steuer saß ein Mann mit grauem Filzhut. Außer ihm war niemand in dem Wagen zu sehen.
Der Junge richtete sich auf und stieß die Luft aus. »Er hat sie richtig fertiggemacht«, sagte er schwer atmend. »Niedergeschossen und in seinen Schlitten geworfen.«
»Steht Ihr Wagen hier?«, fragte ich den jungen Mann. Ich schätzte ihn auf neunzehn.
»Nee«, antwortete er. »Wollen Sie dem Kerl folgen? Das wäre glatter Selbstmord! Er ist bewaffnet.«