Jerry Cotton Sonder-Edition 94 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 94 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Tiger Jones riss den Kopf hoch. Die beiden Flugzeuge kreisten immer noch über ihnen, kamen in einer flachen Kurve heran.
"Deckung!", schrie er seinem Gefährten zu. "Die haben etwas vor ..."
Weiter kam er nicht. Von der linken Maschine löste sich ein dunkler ovaler Gegenstand, der im Sonnenlicht schimmerte.
"Eine Bombe - verdammt, jetzt haben sie uns!" Der Krach der Explosion fetzte den Rest seiner Worte hinweg und sprengte ihm fast die Trommelfelle ...

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Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Flugzeug-Fänger

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Storm«/ddp-images

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7459-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Flugzeug-Fänger

Tiger Jones riss den Kopf hoch. Die beiden Flugzeuge kreisten immer noch über ihnen, kamen in einer flachen Kurve heran.

»Deckung!«, schrie er seinem Gefährten zu. »Die haben etwas vor …«

Weiter kam er nicht. Von der linken Maschine löste sich ein dunkler ovaler Gegenstand, der im Sonnenlicht schimmerte.

»Eine Bombe – verdammt, jetzt haben sie uns!« Der Krach der Explosion fetzte den Rest seiner Worte hinweg und sprengte ihm fast die Trommelfelle …

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

Malcolm Murray schnaubte vor Wut.

Er hatte ein kräftiges, vierkantiges Gesicht mit wuchtiger Kinnpartie und ausgeprägten Stirnhöckern unter dichtem schwarzem Haar, breite Schaufelhände und eine massive, grobknochige Figur, die nicht recht zu dem eleganten maßgeschneiderten Anzug passte. Seine Gesten wirkten hochfahrend und arrogant, seine Ausdrucksweise unverschämt. Mir war er weidlich unsympathisch.

»Ein Skandal ist das«, schimpfte er gerade. »Ein Skandal! Ich habe fünf Maschinen in zwei Monaten verloren. Der ganze Werbefeldzug für die Silverbird war umsonst. Wenn das so weitergeht, bin ich ruiniert.«

»Sie sind versichert, Mister Murray«, sagte ich ruhig.

»Versichert! Versichert!« Er schwenkte seine Havanna durch die Luft. »Fünf ungeklärte Unfälle bei einem neuen Flugzeugtyp ruinieren die Entwicklungsarbeit von Jahren! Jedes Kind muss begreifen, dass Sabotage dahintersteckt. Und was tut das FBI? Dreht Däumchen! Ich verlange …«

»Mister Murray«, meinte ich kühl. »Ich denke, Sie sollten die Polizeiarbeit lieber der Polizei überlassen.«

»Ich höre immer Arbeit«, giftete er. »Was haben Sie denn bis jetzt getan? Was …?«

Mir lief die Galle über.

»Mister Murray«, sagte ich scharf und betont. »Wir erzählen Ihnen nicht, wie Sie die Flugzeuge konstruieren sollen, die Ihre Firma baut. Also halten Sie es umgekehrt genauso. Das ist nämlich für alle Teile das Beste. So long.«

Er schnappte nach Luft. Sein Gesicht lief rot an. Wie von einer Bogensehne geschnellt sprang er auf. »Unverschämtheit!«, brüllte er. »Ich werde mich über Sie beschweren! Jawohl, das werde ich!« Mit langen Schritten verließ er unser Office und knallte die Tür hinter sich zu.

»Peng«, sagte mein Freund und Kollege Phil Decker trocken.

Ich verzog das Gesicht und machte mich wieder über die Akten her, die vor mir auf dem Schreibtisch lagen. Fünf ungeklärte, vermutlich auf Sabotage zurückzuführende Flugzeugabstürze über dem Atlantik. Jedes Mal hatte es sich um Maschinen vom Typ Silverbird gehandelt, die die Firma Murray Incorporated entwickelt und in kleiner Serie gebaut hatte. Sportflugzeuge – gut durchkonstruiert, technisch perfekt, durchaus konkurrenzfähig – aber nicht so sensationell, dass sie die Marktpositionen anderer Firmen bedrohten.

Mir kam die Sache in mehr als einer Beziehung merkwürdig vor. Nie war eine Spur von den abgestürzten Maschinen gefunden worden. Bei den Unglücksflügen hatte immer derselbe Pilot im Cockpit gesessen: Buck Anders, ein alter Hase, der seinen Job verstand und dem es jedes Mal gelungen war, rechtzeitig auszusteigen. Die Protokolle seiner Vernehmungen befanden sich bei den Akten. Sie waren kurz und lapidar: Der Knall einer Explosion, Rauchentwicklung, die Maschine schmiert ab und …

»Klick, klick, klick«, sagte Phil. »Ich höre dein Gehirn arbeiten. Hast du eine Idee?«

»Nein. Aber ich überlege gerade …«

Das Telefon klingelte.

Phil angelte nach dem Hörer und meldete sich. »Ja, Sir«, sagte er nach einer Weile und legte wieder auf. »Der Chef will uns sprechen«, brummte er in meine Richtung.

Wir verließen unser Office. Helen, die Sekretärin in Mr. Highs Vorzimmer, lächelte uns zu. »Steve und Clay sind schon drinnen«, sagte sie, bevor sie den Kopf wieder über die Spalten einer Statistik senkte.

Wir betraten das Chefbüro. Mr. High saß zurückgelehnt hinter seinem Schreibtisch, ruhig und beherrscht wie immer. Steve Dillaggio und Clay Holm, der erst vor zwei Wochen von Chicago nach New York versetzt worden war, hatten in den Besuchersesseln Platz genommen. Wir setzten uns ebenfalls. Ich fühlte mich ein wenig unbehaglich und überlegte, ob es nicht besser gewesen wäre, Malcolm Murrays Wutausbruch etwas diplomatischer zu begegnen.

Aber Mr. High erwähnte den Vorfall mit keinem Wort. »Murray war bei Ihnen«, sagte er in meine Richtung. »Hat er Ihnen erzählt, dass sein Chefpilot verschwunden ist?«

»Buck Anders?«, vergewisserte ich mich.

»Nein. Anders ist zweiter Mann. Der Pilot, um den es geht, heißt Tom Conroy.«

»Murray hat den Namen nicht erwähnt. Vermutlich war er zu wütend, um daran zu denken. Ich … Na ja, ich habe ihn praktisch hinausgeworfen.«

»Ich weiß, Jerry, und ich kann es Ihnen nicht einmal verdenken. Aber darum geht es jetzt nicht. Lesen Sie das hier.«

Er schob mir ein Blatt Papier hinüber – eine der üblichen Meldungen von der City Police, wie sie sich jeden Morgen auf Mr. Highs Schreibtisch stapeln. Ich überflog den Text: 11.15 Uhr, Canal Street, Fund einer männlichen Leiche, die üblichen Angaben über Ursache und Zeitpunkt des Todes … Als ich den Namen des Opfers las, zuckte ich zusammen.

»Thomas Gordon Conroy«, murmelte ich.

»Er wurde erschossen«, bestätigte Mr. High. »Harry Easton bearbeitet den Fall. Aber wir müssen uns in die Ermittlungen einschalten, da der Verdacht besteht, dass der Mord an Conroy mit den Flugzeugabstürzen zusammenhängt. Jerry und Phil, ihr werdet euch um die Sache kümmern. Steve und Clay sehen sich inzwischen auf Murrays Fluggelände um und versuchen, herauszufinden, ob tatsächlich die Möglichkeit zu Sabotageakten besteht.«

Wir nickten und erhoben uns. Phil und ich kehrten noch einmal kurz in unser Office zurück. Durch einen Anruf bei der City Police versicherte ich mich, dass Harry Easton mit seiner Mordkommission noch am Tatort war. Wir stiegen in den Hof des Distriktgebäudes hinunter, schwangen uns in meinen Jaguar und quälten uns durch das Gewühl des Mittagsverkehrs in Downtown.

Auf der Canal Street hätten wir beinahe einen unrasierten Säufer angefahren, der mir genau vor die Stoßstange torkelte. Im letzten Moment riss ich den Wagen herum. Ich fluchte und trat auf die Bremse. Der Unrasierte setzte sich in Trab – offenbar in der Annahme, dass ich ihm ans Leder wollte. Aber ich hielt nur, weil ich den Kastenwagen der Mordkommission am Straßenrand gesehen hatte. Wir stiegen aus. In der Einfahrt stoppte uns ein stämmiger uniformierter Cop. Wir zeigten ihm unsere Dienstmarken. Er tippte grüßend an die Mütze und ließ uns passieren.

In den Hinterhof drang auch um diese Tageszeit kein Sonnenstrahl. Mülltonnen standen herum, eine davon umgekippt, in einer Ecke türmte sich Schrott, an den Rückfronten der Häuser mit ihrem Gewirr eiserner Feuerleitern klebten ein paar verfallene Schuppen.

Tom Conroy lag in der Mitte des Hofes.

Er lag mit dem Gesicht nach unten, ein Bein ausgestreckt, das andere dicht an den Körper gezogen. Seine Arme waren in einer tastenden, Halt suchenden Bewegung erstarrt. Auf dem Rücken seines hellen Trenchcoats gab es in Höhe des Herzens einen großen dunklen Fleck – getrocknetes Blut.

Doc Reiser, der Polizeiarzt, richtete sich auf, als er uns sah. Auch Detective Lieutenant Harry Easton, der Leiter der Mordkommission vier, kam heran. Mit einer müden Bewegung strich er sich über seine blonde Bürstenfrisur.

»Wir haben ihn noch nicht abtransportiert, damit ihr euch ein genaues Bild machen könnt«, sagte er. »Der Tod ist gegen drei Uhr nachts eingetreten. Wieso er erst so spät gefunden wurde, ist mir ein Rätsel. Ed Schulz unterhält sich gerade mit den Hausbewohnern.«

»Wer hat den Toten entdeckt?«, wollte ich wissen.

»Eine Frau, die Kartoffelschalen in den Hof warf. Wir haben seine Taschen durchsucht. Hier!« Er wies auf Tom Conroys Besitztümer, die in einem flachen Pappkarton lagen.

Ich ging in die Hocke und sah mir die Sachen an. Fahrlizenz und Pass lauteten auf den Namen Thomas Gordon Conroy. Ein leeres Blatt mit dem Briefkopf der Firma Murray Incorporated. Zwei abgerissene Kinokarten, Taschentuch, eine Geldbörse mit dreißig Dollar und fünfzehn Cent und ein Schlüsselbund. Nichts, was auch nur den geringsten brauchbaren Hinweis gab.

Als ich mich wieder aufrichtete, tauchte in einer der Hintertüren die Hünengestalt von Ed Schulz auf, dem stellvertretenden Leiter der Mordkommission. Gespannt sahen wir dem langen Detective Sergeant entgegen.

»Irgendwelche Ergebnisse?«, fragte Harry Easton knapp.

»Eine Hausbewohnerin hat den Schuss gehört«, bestätigte Schulz. »Zweiter Stock links. Wollt ihr mit ihr sprechen?«

Wir nickten und folgten ihm durch ein steiles, düsteres Treppenhaus, in dem es nach frischem Bohnerwachs und Küchendünsten roch. Die Frau, mit der Ed Schulz gesprochen hatte, bewohnte ein möbliertes Zimmer mit lieblos zusammengewürfelter Einrichtung, fleckigen Tapeten und beschädigtem Stuck unter der viel zu hohen Decke. Sie hieß Mayella Gerald, war um die dreißig Jahre alt und gehörte zu den knallharten Typen, die sich selbst in dem üblen Viertel um Canal Street und Bowery behaupten können.

Misstrauisch blinzelte sie erst Phil, dann mich an. »Wer ist das?«

Ed Schulz stellte uns vor. »Würden Sie noch einmal erzählen, was Sie beobachtet haben, Miss Gerald?«

»Klar doch.« Sie besann sich auf die Regeln der Gastfreundschaft, bot uns wacklige Stühle an und setzte sich selbst auf die Lehne eines alten Sofas. Während sie sprach, nahm sie mechanisch die Lockenwickler aus ihrem blonden, vom vielen Färben glanzlosen Haar. »Also beobachtet habe ich eigentlich nichts. Aber ich wurde nachts wach, weil das Fenster klapperte. Um zehn vor drei war das.«

»Wissen Sie das genau?«, unterbrach Phil.

»Klar doch. Ich hab auf die Uhr gesehen. Also ich stand auf, um das verdammte Fenster zuzumachen. Da hörte ich Schritte. Einer rennt über den Hof, zwei andere hinterher. Na ja, und dann hat es geknallt.«

»Ein Schuss?«, fragte ich.

Sie zuckte mit den Schultern und machte einen vergeblichen Versuch, ihren giftgrünen Minirock über die Knie zu ziehen. »Im Kino sind die Schüsse immer lauter. Was ich gehört habe, klang mehr wie das Zuschlagen einer Tür oder so ähnlich. Dann kam eine Weile nichts, und bevor ich das Fenster endlich zu hatte, hörte ich noch, wie einer der Burschen im Hof etwas sagte.«

»Können Sie die Worte wiederholen?«

»Klar doch, Agent Cotton!« Sie blieb bei ihrer Standardformulierung. »›Du hast dich ein bisschen zu weit vorgewagt, Tom‹, hat er gesagt, und dann noch: ›Pech für dich, mein Junge.‹ Ich hab mir nichts weiter dabei gedacht und bin wieder ins Bett gegangen.«

»Sind Sie sicher, dass der Name Tom fiel?«, hakte ich nach.

»Klar doch! Schließlich bin ich nicht blöd.«

Wir bedankten und verabschiedeten uns. Im Treppenhaus wechselten Phil und ich einen Blick.

»Damit dürfte feststehen, dass Tom Conroy seine Mörder gekannt hat«, brummte mein Freund.

Ich nickte nur. Eilig verließen wir den muffigen Hausflur. Der Leichnam war inzwischen abtransportiert worden, und die Ermittlungen der Mordkommission liefen im letzten Routinestadium. Harry Easton stand in der Mitte des Hofes, hatte die Hände in den Taschen vergraben und ließ den Blick langsam in die Runde wandern.

Wir kannten ihn lange genug, um zu wissen, dass ihm nicht die geringste Kleinigkeit entging. Er ist für seine Gründlichkeit bekannt, und im Präsidium hat er den Spitznamen »Cleary«, weil die Aufklärungsquote bei seiner Mordkommission ein ganzes Stück über dem Durchschnitt liegt.

»Die Sache ist ein FBI-Fall, Easton«, sagte ich. »Aber nachdem Sie ohnehin schon die Spurensicherung gemacht haben, wären wir froh, wenn Sie auch weiter mit uns zusammenarbeiteten.«

»Sicher. Habt ihr die Adresse des Toten?«

»Zweiundachtzigste Straße West«, bestätigte ich.

»Gut. Ihr bekommt meinen Bericht über die erste Auswertung der Spuren spätestens morgen früh.«

Wir bedankten uns und kletterten wieder in den Jaguar.

***

Das Gewühl des Mittagsverkehrs war abgeflaut. Wir kamen rasch vorwärts und stoppten schon wenige Minuten später vor dem Apartmenthaus an der 82nd Street, in dem Tom Conroy gewohnt hatte.

Der Hausmeister – ein kleiner, dicker Glatzkopf mit gutmütigem Gesicht – wurde kreidebleich, als er den Grund unseres Besuchs erfuhr. Zu unserer Erleichterung war er sofort bereit, Tom Conroys Apartment für uns aufzuschließen. Zwar wäre es kein Problem gewesen, einen Durchsuchungsbefehl zu bekommen – bei einem Mordfall wird die Wohnung des Opfers immer untersucht –, aber wir hätten kostbare Zeit dabei verloren. Während Phil den Hausmeister über Conroys Lebensführung befragte, unterzog ich die Räume einer gründlichen Musterung.

Ich fand nichts, was uns weitergebracht hätte. Das Apartment war modern und behaglich, aber nicht kostspielig eingerichtet, in der Küche herrschte die typische Junggesellen-Unordnung, die bescheidene Hausbar wies nicht auf übermäßigen Alkoholgenuss hin. Auch sonst gab es keine Anzeichen für irgendwelche Laster oder Extravaganzen.

In einem Regal stand das gerahmte Porträt einer hübschen dunkelhaarigen Frau. Ich betrachtete die Rückseite des Bildes. Für Tom von Dorothy, las ich. Wenig später hatte ich auch den Nachnamen der Kleinen. Sie hatte ihn unter den kurzen Text einer Postkarte gekritzelt, die vor drei Tagen in Marseille aufgegeben worden war und aus der hervorging, dass sich Tom Conroys Freundin zurzeit auf einem Europatrip befand.

Die Aussage des Hausmeisters rundete das Bild ab. Conroy war ein ruhiger, freundlicher, völlig normaler Bürger gewesen, der pünktlich seine Miete bezahlte, nicht besonders auffiel und sich mit seinen Nachbarn gut verstand. Wenn es dunkle Punkte in seinem Leben gab, so hatte er es jedenfalls ausgezeichnet verstanden, sie zu verbergen.

Phil und ich verabschiedeten uns und fuhren zurück zum Distriktgebäude.

Wir erstatteten Mr. High Bericht, stiegen ins Archiv hinunter und stellten mithilfe des alten Neville fest, dass Tom Conroy nicht vorbestraft war. Als in unserem Office das Telefon schrillte, hatten wir gerade beschlossen, ein verspätetes Mittagessen einzunehmen.

Ich angelte mir den Hörer und meldete mich.

»Jones«, schlug ein gutturaler Bass an mein Ohr.

Ich musste einen Moment überlegen.

Jones. Jeffrey Jones, der »Tiger«. Wie lange hatten wir uns nicht gesehen? Zwei Jahre war es sicherlich her, denn Jeffrey Jones trieb sich meist in den entferntesten Ecken der Welt herum auf der Jagd nach Sensationen.

Phil und ich waren mit ihm befreundet, seit er in seiner Zeitung trotz Morddrohungen und etlicher handgreiflicher Warnungen einen Feldzug gegen die Mafia in New York gestartet und dabei zwei Bezirksbosse zu Fall gebracht hatte. Wir wussten, dass er nie in die populäre Masche verfiel, ständig und konsequent die Polizei anzugreifen, aber wir wussten auch, dass er ein gefährlicher Gegenspieler sein konnte, wenn er – was oft vorkam – andere Interessen hatte als die zuständigen Behörden.

»Hallo, Tiger«, sagte ich mit etwas gemischten Gefühlen. »Wo brennt es diesmal?«

»In New York«, verkündete er. »Ist euch der Name Malcolm Murray ein Begriff?«

Ich schluckte erst einmal. »Wieso?«, fragte ich vage – und bedeutete Phil durch eine Handbewegung, zur Zweitmuschel zu greifen.

»Wieso nicht?«, fragte Jones zurück. »Hören Sie, Jerry, ich glaube, ich habe einen brandheißen Tipp für euch. Jetzt kann ich noch nichts sagen, ich muss erst noch ein wenig recherchieren. Aber morgen früh weiß ich mehr. Seid ihr interessiert?«

»An einem brandheißen Tipp sind wir immer interessiert«, antwortete ich.

»Okay. Ich bin morgen um acht in Charleys Keller an der Minetta Lane. Einverstanden?«

Ich zögerte. Aber die Gewissheit, dass Tiger Jones nicht ohne stichhaltigen Grund von einem brandheißen Tipp sprechen würde, gab den Ausschlag. »Wir werden dort sein«, versprach ich.

»Okay. So long, Jerry.«

»So long.«

Ich legte auf. Auch Phil warf die Mithörmuschel zurück auf die Gabel. »Hoffentlich bringt uns das weiter«, brummte er.

Ich nickte nur.

Bei jedem anderen wäre ich skeptisch gewesen. Aber Jeffrey Jones, den »Tiger«, kannte ich lange genug, um zu wissen, dass er keine leeren Versprechungen machte.

***

Malcolm Murray, der Flugzeugfabrikant, lief im Büro seines Hauptwerks in New Jersey hin und her. Er hatte sich gerade einen doppelstöckigen Whisky aus der mit Bücherregalen getarnten Bar eingeschenkt, als seine Sekretärin erschien.

»Besuch für Sie, Mister Murray«, meldete sie. »Ein Mister Jones.«

»Jones?« Murray runzelte die Stirn. »Ich kenne niemanden, der so heißt.«

»Jeffrey Jones, Sir.«

»Jeffrey Jones? Dieser Journalist? Tiger Jones?«

»Es scheint so, Sir.«

Murray zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Seine dunklen Augen hatten sich verengt, und seine Finger trommelten einen nervösen Rhythmus auf die Schreibtischkante. »Okay, Marilyn«, sagte er gedehnt. »Führen Sie Mister Jones herein.«

2

Die Sonne versank im Westen wie ein blutiger Ball. Für kurze Zeit färbten ihre letzten Strahlen die kahlen Bergkämme glutrot, dann hoben sich die schroffen Felsformationen schwarz vom helleren Himmel ab. Die Dämmerung warf lange Schatten, verwischte die Konturen der wilden, zerklüfteten Bergwelt und tauchte die Landschaft in ein sanftes malvenfarbenes Zwielicht.

Der Jeep jagte mit unvermindertem Tempo über den unbefestigten Weg.

Die Frau, die am Steuer saß, hatte keinen Blick für die Schönheit dieser Stunde. Ihre schwarzen, dicht bewimperten Augen waren starr geradeaus gerichtet. Das braune, rassig geschnittene Gesicht drückte Konzentration aus: Die Nasenflügel vibrierten, und die vollen, sinnlich geschwungenen Lippen lagen fest aufeinander. Der Fahrtwind zerrte an ihrer Khakibluse, und das lange lackschwarze Haar flatterte wie eine Fahne. Ab und zu wischte sie es mit einer ungeduldigen Geste aus der Stirn.

Sie hätte die Strecke durch die Berge von Tuana im Schlaf finden können. Auch als die Nacht hereinbrach, drosselte sie kaum die Geschwindigkeit. Über ihr funkelten die Sterne wie Brillanten auf schwarzem Samt. Die Hände der Frau lagen fest am Steuerrad. Ein einziges Mal blickte sie hoch, orientierte sich am Kreuz des Südens, bevor sie den Weg verließ und über einen der flach ansteigenden, steinigen Hänge fuhr.

Die Scheinwerfer des Jeeps fraßen sich in die Finsternis, erfassten Felsblöcke und Geröllbrocken. Die Frau fuhr etwas langsamer, steuerte geschickt den Eingang eines Canyons an und stoppte neben einem Stein, der wie eine Nadel in den nächtlichen Himmel ragte.

Ein Schatten tauchte neben ihr auf. »Parole?«, kam es rau.

»Fliegender Tod«, erwiderte die Frau ruhig.

»In Ordnung, Charity.«

Wieder brummte der Motor des Wagens. Charity fuhr ein Stück in den Canyon hinein und hielt neben drei weiteren Jeeps, die am Fuß eines schroffen Steilhangs standen. Sie stieg aus. Mit langen, federnden Schritten lief sie auf eine bestimmte Stelle in der Felswand zu.

Wieder ein Schatten und eine Stimme. »Parole?«

»Fliegender Tod.«

»Charity! Sie haben eine lange Fahrt hinter sich.«

»Que va.«

Eine Taschenlampe blitzte auf, beleuchtete für Sekunden den schwarz und unergründlich gähnenden Eingang einer Höhle und erlosch. Charity tauchte in die Dunkelheit. Sechs, sieben Yards musste sie sich an der Wand entlangtasten. Erst als der Gang einen scharfen Knick machte, schimmerte Licht.

Charity bog um die Ecke.

Vor ihr lag eine niedrige, kreisrunde Grotte, die von flackernden Pechfackeln erleuchtet war. Gestalten kauerten im vagen Halbdämmer, Männer in staubigen Khakiuniformen, bärtig und braun gebrannt. Einer von ihnen erhob sich beim Eintreten der Frau. Er war mittelgroß, hager und drahtig, und seine Augen hatten das gleiche harte Stahlgrau wie das dichte Haar. Auf seiner Uniform gab es keine Rangabzeichen. Aber jede seiner knappen, gezirkelten Gesten strahlte selbstverständliche Autorität aus.

»Alles in Ordnung, Charity?«, fragte er.

»Si, General.«

»Gut. Setz dich.«

Charity durchquerte die Höhle, und die anderen Männer folgten ihr mit den Blicken. Selbst unter ihrer Khakikleidung war zu sehen, dass sie erstklassig gewachsen war. Geschmeidig wie eine Katze ließ sie sich auf den Boden gleiten und warf ihre lange schwarze Mähne zurück.

Der Mann, den sie mit General angesprochen hatte, verschränkte die Arme über der Brust. »Wir haben eine Maschine verloren«, begann er leise, aber mit einer Stimme, in der schneidende Schärfe mitschwang. »Eine weitere ist nach der Notlandung vor drei Tagen unbrauchbar. Die Zahl der einsatzfähigen Flugzeuge, über die wir verfügen, hat sich damit auf drei reduziert.«

»General«, unterbrach ihn einer der Männer.

»Paco?«

»Eine Maschine hat einen Motordefekt, General. Roberto arbeitet daran, aber er braucht ein Ersatzteil, und das kann länger dauern.«

»Also nur zwei Maschinen. Miguel, wie viele unserer Leute hast du zu Piloten ausgebildet?«

Der Angesprochene – ein kleiner, schmal gebauter Bursche mit zerknittertem Fuchsgesicht – hob vielsagend die Schultern. »Zweiundzwanzig, General. Aber nur bei der Hälfte bin ich sicher, dass sie nicht versehentlich in einem Baumwipfel landen, statt den Rio Ariazza anzufliegen.«

»Que va! Wir haben nicht einmal für die Hälfte genug Maschinen.« Der General machte eine Pause, presste die Lippen zusammen. »Das muss sich ändern«, sagte er dann. »Kapitän Costa wird in wenigen Tagen mit dem Flugzeugträger New York erreichen. Er hat den Repräsentationskahn der Regierung schon einmal dazu benutzt, Flugzeuge für uns zu transportieren. Er wird es auch ein zweites Mal schaffen. Wir brauchen fünf weitere Maschinen.«

Für einen Moment herrschte Schweigen.

»Costa wird die Mannschaft kein zweites Mal täuschen können, General«, wandte Paco ein.

»Que va! Costa tanzt ohnehin auf dem Vulkan. Er wird zu uns stoßen, wenn er dieses Unternehmen erfolgreich beendet hat.«

»Und werden wir die Maschinen bekommen?«

»Das ist das Problem, Paco.« Der General wandte sich abrupt um, und seine grauen Augen hefteten sich auf die Frau. »Wir müssen eine kleine Gruppe nach New York schicken. Charity, du übernimmst die Führung. Traust du dir zu, eine der Maschinen zu fliegen?«

»Sicher, General.«

»Paco?«

»Si, General.«

»Gut. Miguel, du bist mit den beiden besten Piloten dabei. Wen schlägst du vor?«

»Santiago und Manolito«, kam die Antwort knapp.

»Gut«, wiederholte der General. »Ihr startet morgen früh. Ich setze mich mit Kapitän Costa in Verbindung. Noch Fragen?«

Niemand sprach ein Wort.

Der General nickte und hob grüßend die Hand. »Danke, Compadres. Wir treffen uns zur üblichen Zeit.« Und mit einem Blick auf die Frau: »Viel Glück, Charity!«

Sie lächelte.

Ein hintergründiges Glitzern stand in ihren Augen. »Danke, General«, murmelte sie.

Und als sie aufsprang, die schwarze Mähne zurückwarf, hatten ihre Bewegungen etwas von der wilden, gefährlichen Grazie einer schönen Raubkatze, die ihre Beute anpirscht.

***

Der Flugzeugträger Juan Caorle stampfte gemächlich durch den mäßigen Seegang des Atlantiks.

Das Schiff stammte aus Beständen der japanischen Marine: ein Vorkriegsungetüm, längst veraltet und untauglich für jeden ernsthaften Einsatz. Aber es schwamm. Es schwamm unter der Flagge der Inselrepublik Tuana – ungeachtet der Tatsache, dass die ganze Luftwaffe dieses Zwergstaates aus drei ausrangierten Noratlas-Maschinen bestand, und zum Gaudium der Besatzungen sämtlicher ernsthafter Kriegsschiffe, deren Kurs es kreuzte.

Kapitän Jerome Costa war der Einzige, der an der Juan Caorle nichts auszusetzen fand – mit Ausnahme des Namens, aber das behielt er tunlichst für sich. Seine kurze, untersetzte Gestalt mit den kleiderschrankbreiten Schultern, den behaarten Pranken und dem breiten, verwitterten Gesicht, dessen untere Hälfte sich im Gestrüpp eines mächtigen Vollbarts verbarg, hätte man sich auf der Brücke eines Piratenschoners vorstellen können oder auf den rutschigen Planken eines verrotteten Walfängers.

Die Uniform passte ihm nicht. Er war kein Befehlsempfänger, sondern eine Kämpfernatur, ein Abenteurer, dessen Revier außerhalb der Legalität lag. Dass er es fertiggebracht hatte, in Präsident Caorles Mini-Marine Karriere zu machen, grenzte an ein Wunder – und hatte nur einen einzigen Grund: den diebischen Spaß, den es Costa machte, unter den Augen der Regierung für die Rebellen zu agieren.

Als der erste Funkoffizier an die Tür der Kapitänskajüte klopfte, hatte Costa gerade hochprozentigen Rum in ein Wasserglas gegossen. Er genehmigte sich einen tiefen Schluck, bevor er »Herein« brummte.

»Eine verschlüsselte Mitteilung, Sir«, meldete der Funker. »Höchste Geheimhaltungsstufe.«