Jerry Cotton Sonder-Edition 95 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 95 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Ihm blieb noch eine Stunde. Sie hatten es ihm telefonisch angekündigt. In diesen sechzig Minuten konnte er alles tun. Beten oder sich besaufen. Oder sich ein Girl kommen lassen. Nur eines konnte er nicht - fliehen. Viermal hatten sie ihn eingekreist, und dreimal war er ihnen entkommen. Aber jetzt war er am Ende, endgültig ...

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Stunde der Mörder

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: conrado/shutterstock

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7460-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Stunde der Mörder

Ihm blieb noch eine Stunde. Sie hatten es ihm telefonisch angekündigt. In diesen sechzig Minuten konnte er alles tun. Beten oder sich besaufen. Oder sich ein Girl kommen lassen. Nur eines konnte er nicht – fliehen. Viermal hatten sie ihn eingekreist, und dreimal war er ihnen entkommen. Aber jetzt war er am Ende, endgültig …

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger Jahre bis in das neue Jahrtausend.

1

Er war ruhig, ganz ruhig. So ruhig, wie man nur sein kann, wenn man sich erst einmal in das Unabänderliche gefügt hat.

Das Unabänderliche war sein Tod.

Ein Tod durch Gewalt, ein Tod, den andere zu vollstrecken beabsichtigten.

Ihm blieb noch eine Stunde Zeit, das wusste er. Genau sechzig Minuten, sie hatten es ihm telefonisch angekündigt.

In dieser letzten Stunde konnte er alles machen. Beten oder sich besaufen. Oder sich ein Girl kommen lassen. Er konnte noch einmal seine Vergangenheit Revue passieren lassen, die Sommertage seiner Jugend in Iowa.

Nur eines konnte er nicht: fliehen.

Sie hatten ihn eingekreist, schon zum vierten Mal. Dreimal war er ihnen entkommen, aber jetzt war er am Ende, jetzt hatten sie ihn. Sein Bein machte nicht mehr mit. Die Schusswunde eiterte, und er hatte weder Geld noch Lust, einen Arzt zu rufen.

Außerdem, das wusste er, würden sie den Doktor nicht zu ihm lassen. Der nächste und letzte Besucher, der die Schwelle seines Zimmers zu überschreiten beabsichtigte, würde der Tod sein.

»Scheiße«, sagte er laut.

Er hatte sich damit schon tausendmal Luft verschaffen können, aber jetzt half nicht einmal mehr das. Seine Stimme war dünn und kraftlos geworden. Sogar das Fluchen war ihm vergangen.

Vor ihm, auf der Tischplatte, lag der Revolver. Seine alte Dienstwaffe. Im Lauf und in der Trommel steckten noch drei Patronen, seine letzten.

Er hatte vorübergehend mit dem Gedanken gespielt, der Quälerei ein Ende zu setzen und sich selbst zu töten, aber er hatte nicht vor, ihm nachzugeben. Nein, so leicht wollte er es ihnen nicht machen. Wer immer auf ihn schoss, sollte wissen, dass er für den Mord zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Falls sie dich nicht verscharren, irgendwo auf dem Land, oder in einen Brückenpfeiler einbetonieren, einfach verschwinden lassen, dachte er bitter.

Kein Hahn würde nach ihm krähen, niemand eine Vermisstenmeldung erstatten. Nur die rothaarige Schlampe, die Pensionswirtin, würde lauthals lamentieren, dass er sie um die Miete betrogen habe.

Er starrte auf die Waffe. Drei Patronen. Wenn er es richtig anstellte, konnte er drei seiner Gegner mit ins Jenseits nehmen, nur so, zur Genugtuung, damit die anderen noch einmal begriffen, worauf man sich eingelassen hatte, als man sich mit Joe Brocker anlegte.

Er verwarf auch diesen Gedanken. Verdammt, er hatte schon genug getötet. Einer mehr, einer weniger, was spielte das jetzt noch für eine Rolle?

Es klopfte. Joe Brocker zuckte zusammen. Nur nicht nervös werden, dachte er. Du hast noch eine Stunde Zeit.

»Ja?«, rief er.

Mrs. Clayton betrat das Zimmer, mit langem tizianrotem Haar, das stumpf und ungepflegt wirkte und an dessen Scheitelansätzen zu erkennen war, dass es dringend einer neuen Tönung bedurfte.

»Das Geld«, sagte sie. »Wann kriege ich es?«

»Hauen Sie ab«, murmelte er. »Raus!«

»He, so können Sie mit mir nicht reden«, schnappte sie und stemmte die kräftigen Arme in die Hüften. »Sie haben mir die Piepen versprochen, für heute. Ich habe keine Lust, mich noch einmal vertrösten zu lassen.«

Bloß das nicht, dachte er müde. Keinen Streit um die verdammte Miete. Das wäre zu blöd, zu schäbig und zu demütigend für diese letzte Stunde meines Lebens.

Aber konnte er etwas anderes erwarten? Er war mitschuldig daran, dass er jetzt in diesem Dreckloch saß und auf seinen Tod wartete. Er hatte getötet, er hatte Gewalt ausgeübt, er war brutal gewesen … Nun zeigte sich, dass dies ein Bumerang war, hart, gnadenlos und unausweichbar.

»He, können Sie mir nicht antworten?«, fauchte die Rothaarige.

»Soll ich damit zahlen?«, fragte er, griff nach der Waffe und richtete sie auf die Frau.

Mrs. Clayton prallte zurück und hob abwehrend beide Hände. »H-haben Sie den V-verstand verloren?«, stotterte sie. »Legen Sie sofort das Ding beiseite!«

»Raus!«, zischte er.

Sie wich zurück, stolperte in den Korridor und schlug die Tür hinter sich zu. Ein Bild fiel von der Wand.

»Ich werde die Cops rufen«, keifte sie. »Das ist ja kriminell! Ich lasse mich von niemandem mit der Kanone bedrohen …« Ihre Schritte entfernten sich.

Joe Brocker legte die Waffe aus der Hand. »Polizei«, murmelte er und schloss die Augen.

Nein, die rothaarige Ziege dachte gar nicht daran, ihre Drohung wahr zu machen. Sie konnte den miserablen Ruf ihrer Pension nicht weiter ruinieren.

»Polizei«, murmelte Joe Brocker noch einmal. Er hob die Lider und starrte ins Leere. Gewiss, er konnte sich unter Polizeischutz begeben – aber ehe es so weit kam, würden sie mit den Fragen beginnen. Nicht nur sie. Auch die alten Kollegen vom FBI würden rasch aufkreuzen. Leute wie Steve Dillaggio, Phil Decker und Jerry Cotton.

Nein, das kam nicht infrage. Ein Mann hat seinen Stolz. Er, Joe Brocker, hatte diesen Weg gewählt und dachte nicht daran, zu kneifen.

Er drehte den Kopf ein wenig zur Seite und fixierte das Telefon. Warum machte er keinen Gebrauch davon? Warum packte er nicht aus und sorgte dafür, dass diese Schweine …?

Nein, er war selbst ein Schwein. Ein Killer. Er hatte getötet. Warum also immer nur an die anderen denken? Es war gut, dass seine Reise zu Ende ging.

Er stand auf und humpelte zum Fenster. Draußen, hinter der halb geschlossenen Jalousie, schien die Sonne. Es war nicht die Sonne von Iowa, nein, es war nicht die Sonne seiner Jugend. Er sah noch einmal die goldgelben, wogenden Kornfelder vor sich, das flimmernde Blau des Sommerhimmels über endlosen Weiten. Warum war er nur damals von zu Hause weggegangen? Er war ein Junge vom Land, er hätte es bleiben sollen.

Noch fünfzig Minuten. Er setzte sich wieder, stand aber sofort wieder auf. Ich werde nervös, dachte er. Es ist nicht jedermann gegeben, auf seinen Tod zu warten.

Er trat an die alte Kommode, öffnete die obere Schublade und holte eine Whiskyflasche heraus. Sie war noch halb voll. Wenn er den Inhalt in sich hineinpumpte, würde der Tod ein rosafarbener Traum sein, eine Absurdität, vor der man sich nicht zu fürchten brauchte. Er entkorkte die Flasche, schnupperte daran. Keine Spitzenqualität, aber auch keine billige Sorte. Er nahm einen Schluck, dann noch einen und merkte, wie sich der Alkohol mit besänftigender Wärme in seinem Inneren ausbreitete.

Weitertrinken? Er schüttelte den Kopf. Nein, das war nicht nach seinem Geschmack. Niemand sollte später behaupten können, dass er besoffen gewesen sei, weil er Angst vor seinem Tod gehabt hätte.

Er warf die Flasche zurück in die Schublade und setzte sich wieder. Das Warten war so sinnlos, so enervierend. Natürlich verbanden seine Feinde damit einen Zweck. Sie wollten, dass er sich fürchtete, dass er Todesängste ausstand. Sorry, damit konnte er nicht dienen. In gewisser Weise war er froh darüber, dass die Jagd ein Ende hatte.

»Ich kapituliere nicht«, sagte er halblaut und trotzig in das Zimmer hinein. »Ich sehe nur ein, dass alles zwecklos geworden ist.«

Dann fiel ihm ein, dass er es damit den anderen zu leicht machte. Er zog das Telefon heran, überlegte lange und wählte dann eine Nummer. Das Waldorf Astoria meldete sich.

»Verbinden Sie mich mit Mister Haggers«, bat er.

»Wen darf ich melden, bitte?«

Er nannte seinen Namen und wartete. Dann fragte eine barsche, männliche Stimme: »Wer ist da?«

»Brocker. Ich will Haggers haben.«

»Der Chef ist nicht zu sprechen. Nicht für Sie, Brocker.«

»Sind Sie’s, Morton?«

»Ja.«

»Ich habe eine Neuigkeit für Sie, Morton.«

»Machen Sie’s kurz.«

»Ich möchte, dass Sie Haggers etwas bestellen. Und zwar sofort. Ich habe eine Biografie abgefasst. Eine Geschichte meines Lebens. Offen gestanden enthält sie mehr Details über …«

Es klickte in der Leitung. Morton hatte einfach aufgelegt. Joe Brocker musterte staunend den Hörer in seiner Hand, dann ließ er ihn sinken. So weit war es mit ihm gekommen. Sie durchschauten seine Bluffs, sie ließen sich nicht davon beeindrucken.

Er griff nach seinem Revolver, schob ihn in den Hosenbund, humpelte zur Tür, öffnete sie und schleppte sich nach draußen. Das verdammte Bein! Nur nicht aufregen. In einer Dreiviertelstunde würden die Schmerzen zur Ruhe kommen, für immer.

Er atmete auf, als er in seinem Wagen saß. Er schob den Zündschlüssel ins Schloss, drehte ihn herum. Die Nadel der Benzinanzeige blieb kurz hinter der roten Markierung stehen. Noch fünfzig Meilen, dachte er, dann ist Sense. Immerhin, der Spritvorrat würde reichen, um ihn aus der Stadt rauszubringen. Er betätigte den Starter.

Draußen sterben, nicht in diesem Rattenloch, das war alles, was er sich noch wünschte.

Er drückte noch einmal auf den Starter und runzelte die Stirn. Verdammt, warum reagierte der Schlitten nicht? Joe Brocker stieg aus, öffnete die Motorhaube, blickte ins Innere.

Der Verteilerkopf fehlte. Brocker schloss die Motorhaube, lehnte sich gegen den Wagen, starrte in den Himmel. Seine Gegner hatten diesmal ganze Arbeit geleistet. Wie viele mochten ihn wohl in diesem Moment beobachten? Drei, vier oder ein ganzes Dutzend?

Er steckte sich eine Zigarette an. Die vorletzte. Er versuchte, sie zu genießen, und das gelang ihm sogar. Es machte ihm Spaß, hier im Freien zu stehen, ungeschützt und ungedeckt, eine Zielscheibe für alle, die ihn hassten und seinen Tod wollten.

Er blies ihnen gleichsam den Qualm ins Gesicht, kalt und verachtungsvoll. Sterben war eine hässliche Sache, aber seit der Geschichte mit Janey erschien ihm das Ganze beinahe logisch, die einzige Konsequenz der bisherigen Geschehnisse.

Ein kleines Männchen trat auf ihn zu, mit runzligem Gesicht und verknautschtem Anzug. »Feuer, Mister?«

Joe Brocker reichte ihm die Zigarette. War das sein Mörder? Nein, die Zeit war noch nicht um.

»Danke, Mister«, sagte das Männchen, blieb stehen und nuckelte an seiner Zigarette, als hätte es Mühe, sie am Brennen zu halten. Wie ein Schüler, dachte Brocker. Benimmt sich, als rauchte er zum ersten Mal.

»Prächtiges Wetter, was?«, fragte das Männchen.

»Wunderbar«, erwiderte Joe mit tonloser Stimme und fragte sich, ob das wohl sein letztes Gespräch auf dieser Erde sein würde.

Wie alt mochte das Männchen wohl sein? Vierzig oder erst dreißig? Der kleine Mann war nur um eine Handbreit am Liliputanerdasein vorbeigegangen.

Das Männchen blinzelte in den Himmel. »Morgen gibt’s Regen.«

»Was morgen ist, interessiert mich nicht«, meinte Joe Brocker.

»Einen Landregen, monoton und anhaltend«, versicherte das Männchen. »Ich mag Regen. Sie auch?«

»Manchmal.«

Natürlich mochte er Regen. In Iowa hatte er das Land verwandelt, er hatte ihm ein anderes Gesicht gegeben, schwermütig und doch schön. In der Stadt war der Regen schmutzig. Ein Heer von Tränen.

»Ich soll Sie grüßen«, murmelte das Männchen.

Joe Brocker starrte dem Männchen in das runzlige Gesicht. Also doch eine Botschaft. Noch ein kleiner Trick seiner Feinde, denen es nicht genug war, ihn zu töten, sondern die Wert darauf legten, ihn vorher zu quälen.

»Ziehen Sie ab«, knurrte Joe Brocker.

Das Männchen blinzelte. »Es ist von Janey.«

Joes Herz machte einen heftigen, schmerzhaften Sprung. Er konnte es nicht ändern. Selbst jetzt, in dieser Stunde der Resignation und des Abschiednehmens, wirkte Janeys Name auf ihn wie ein Elektroschock.

»Janey ist tot, du Zwerg«, presste er zwischen den Zähnen hervor. »Es stand in der Zeitung. Ich habe es doch gelesen! Sogar ihr Bild war dabei …«

»Das war ein schmutziger Trick«, erwiderte das Männchen. »Das mit der Zeitung.«

»Ein Trick?«, murmelte Joe Brocker verständnislos. »Ich habe die Nummer noch, ich habe sie aufbewahrt, sie liegt in meinem Zimmer …«

»Das hat sich der alte Haggers einfallen lassen, um Sie zu stoppen, um Sie fertigzumachen. Er hat eine ganze Seite nur für sich drucken lassen, mit einem fingierten Artikel, für einen einzigen Zweck«, sagte das Männchen. »Gehen Sie mit der Zeitung in die Redaktion. Lassen Sie sich die Originalnummer des betreffenden Tages heraussuchen. Sie werden entdecken, dass man Sie mit einem Sonderexemplar betrogen hat.« Das Männchen holte tief Luft. »Janey liebt Sie, noch immer.« Er starrte schon wieder in den Himmel. »Der Tag wird schön bleiben, aber während der Nacht …«

Joe packte den kleinen Mann am Revers, riss ihn zu sich heran. »Was ist mit Janey?«, stieß er hervor.

Das Männchen begann, zu zittern, seine Augen traten aus den Höhlen, als würde es gewürgt. »Bitte tun Sie mir nicht weh«, flehte es.

»Was ist mit Janey?«, wiederholte Joe, ohne seinen Griff zu lockern.

»Woher soll ich das wissen? Ich erledige nur einen Auftrag …«

»Ich bringe dich um, Zwerg, wenn du mir nicht die Wahrheit sagst!«

»Sie hat mir einen Hunderter gegeben und mich zu Ihnen geschickt. Ich soll Sie grüßen und darum bitten, nicht aufzugeben. Sie sollen weitermachen, ihr zuliebe.«

»Das ist doch Schwindel!«, schrie Joe Brocker und kümmerte sich nicht darum, dass einige Passanten stehen blieben und die Szene verwundert beobachteten. »Verdammte Lüge! Janey ist tot, verunglückt …«

»Hören Sie, Mister«, sagte das Männchen zitternd. »Ich tu nur, worum ich gebeten wurde.«

»Wie und wo haben Sie sie kennengelernt?«, wollte Joe wissen.

»Ich bin ihr Masseur.«

»Wo finde ich sie?«

»Das darf ich Ihnen nicht sagen.«

»Wo?«, fragte Joe Brocker und schüttelte das Männchen wie einen Sack Lumpen.

»Im Aston Place …«

»Aston Place? Ist das nicht die Nobelherberge an der West End Avenue?«

»Ja, Sir.«

»Wohnt sie dort unter ihrem richtigen Namen?«

»Ja, als Janey Shaeffer. Sie hat ja inzwischen geheiratet«, sagte das Männchen.

»Geheiratet«, murmelte Joe Brocker.

Er war wie betäubt und lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen seinen Wagen. Janey lebte. Er war betrogen worden. Aber warum meldete sie sich erst jetzt, und was sollte dieser merkwürdige Kampfaufruf?

Er öffnete die Augen und wollte noch etwas fragen, aber das Männchen hatte sich bereits von ihm abgesetzt und eilte die Straße hinab.

»He!«, brüllte Joe Brocker. »Kommen Sie zurück!«

Das Männchen drehte sich nicht einmal um und beschleunigte seine Schritte. Joe stieß sich vom Wagen ab. Er wollte dem Männchen folgen, es aufhalten, aber der Schmerz in seinem Bein machte ihm rasch bewusst, dass daran nicht zu denken war.

Er schleppte sich zurück, betrat die Pension und suchte in seinem Zimmer die Telefonnummer des Aston Place heraus, eines riesigen Apartmenthauses mit Hotelservice.

»Wohnt bei Ihnen eine Janey Shaeffer?«, fragte er, als er die Rezeption an der Strippe hatte.

»Ja, Sir. Dritte Etage, Suite einundzwanzig.«

Eine Suite, dazu noch im Aston Place, dachte er. Das Ding muss ein Vermögen kosten. Janey lebt im Überfluss, und mir geht es an den Kragen …

Ihm war plötzlich so elend zumute, dass er den Hörer auf die Gabel warf. Er schleppte sich zur Kommode, nahm die Whiskyflasche heraus und genehmigte sich einen ungewöhnlich langen, großen Schluck.

Er holte tief Luft, stellte die Flasche hart auf die Kommode zurück und verzichtete darauf, sie und die Schublade zu schließen. Sein Ende rückte näher. Jetzt war keine Zeit mehr für überflüssige Handgriffe.

Wenn es stimmte, dass Janey noch lebte, musste auch er weiterleben.

»Janey«, murmelte er. »Janey!«

Er hatte sogar ihre Bilder verbrannt. Als hätte das etwas geholfen! Das Bild ihrer rotblonden, fast ätherisch anmutenden Schönheit hatte sich in seine Seele eingebrannt.

»Janey«, wiederholte er noch einmal.

Er gab sich einen Ruck. Er musste zu ihr, sofort! An der Tür blieb er stehen. Nein, das ging nicht. Janey hatte gewiss gute Gründe gehabt, sich auf so spektakuläre Weise von ihm zurückzuziehen.

»Sie hat es meinetwegen getan, ganz bestimmt«, murmelte er halblaut vor sich hin. »Aus Angst vor ihrem Vater. Sie fürchtete, er würde mich umbringen lassen.«

Ich muss sie sehen, dachte er. Sprechen! Ich muss wissen, ob sie mich noch liebt.

Die Sache hatte nur einen Haken. Seine Gegner würden ihm folgen. Sie würden alles tun, um das Zusammentreffen mit Janey zu vereiteln.

Er setzte sich wieder an den Tisch und wählte die Nummer des Aston Place.

»Mrs. Shaeffer«, bat er.

»Moment, bitte«, erwiderte eine kühle Mädchenstimme.

Sein Herz begann, zu hämmern. Was würde Janey ihm raten und sagen? Wie würde ihre Stimme klingen, wenn sie erfuhr, mit wem sie sprach?

Es knackte in der Leitung. Niemand meldete sich. Schließlich ertönte abermals die kühle Mädchenstimme. »Bedaure, Sir, es ist offenbar niemand zu Hause. Darf ich etwas hinterlassen? Wünschen Sie, von Mrs. Shaeffer angerufen zu werden? Ich notiere gerne Ihren Namen und Ihre Telefonnummer.«

»Zum Jenseits gibt es keine Verbindung«, sagte Joe Brocker und legte auf.

Wie und wo konnte er Janey erreichen? Er musste sie erreichen, um jeden Preis.

Vielleicht kaufte sie irgendwo Zigaretten oder Candy, vielleicht unterhielt sie sich vor dem Haus mit einer Nachbarin über völlig belanglose Dinge, über eine neue Theateraufführung, den Hund von Mrs. Miller oder die Wirkung eines neuen Haarwaschmittels. Mein Gott, warum war sie für ihn jetzt in dieser letzten, entscheidenden Stunde nicht zu erreichen?

Sie konnte sich doch nicht damit bescheiden, ihm dieses Männchen zu schicken und ihm neben einigen Grüßen einen Aufruf zum Widerstand und die Nachricht von ihrer Existenz zu übermitteln!

Er schluckte.

»Lass dich nicht verrückt machen!«, sagte er leise und schwer atmend. » Jetzt bist du doch noch auf ihren Trick hereingefallen, jetzt haben sie es geschafft, dich mürbe zu machen. Sie brauchten nur mit Janeys Namen und einer plumpen Lüge zu operieren, und schon zeigt sich, dass du hinüber bist …«

Aber das Männchen! Es hatte nicht so ausgesehen, als sei es von seinen Gegnern bezahlt. Das war keine Gangstertype gewesen, bestimmt nicht.

Ich muss wissen, was los ist, dachte er, und verließ sein Zimmer. Er schleppte sich nach draußen und trat mitten auf die Straße, als ein Wagen angefahren kam. Der Fahrer trat scharf auf die Bremse und brachte seinen leicht schleudernden Ford dicht vor Joe zum Stehen.

»Sind Sie verrückt geworden?«, schrie er Brocker an und steckte den Kopf durch das hinuntergekurbelte Fenster. »Wenn Sie sich umbringen wollen, springen Sie meinetwegen in den Hudson, aber belästigen Sie keine Unbeteiligten.«

Joe Brocker zog seinen Revolver aus dem Hosenbund und richtete die Waffe auf den Fahrer, dessen Gesicht vor Schreck buchstäblich auseinanderfiel.

»Tut mir leid, Mister«, sagte Joe, »aber ich brauche einen fahrbaren Untersatz. Sie werden mich zum Aston Place …«

Mehr vermochte er nicht zu sagen, denn in diesem Moment fiel der Schuss.

Joe Brocker hörte ihn und spürte den leichten Schlag in seinem Rücken. Er wollte sich umdrehen, er wollte etwas sagen, aber er schaffte es nicht. Er brach in die Knie. Vor seinen Blicken löste sich die Umgebung in Wellenlinien auf.

»Janey«, murmelte er mit schwankendem Oberkörper. »O Janey …«

Dann knallte es noch einmal.

Der Fahrer jumpte aus seinem Wagen und jagte mit langen Sätzen in eine Hauseinfahrt, um dort Deckung zu finden.

Joe begann, zu zittern.

So war das also. So war der Tod. Es war besser so. Janey hatte seine Hilfe nicht gebraucht, also wäre es auch zwecklos gewesen, noch einmal mit ihr zu sprechen. Die Würfel waren längst gefallen, was jetzt kam, war nur noch die Abrechnung.

Joe Brocker sank langsam in sich zusammen. Er fand sogar die Kraft, seinen Kopf in einen angewinkelten Ellenbogen zu betten. Ihm schien es, als schliefe er ein. Das Letzte, was er registrierte, war das angenehme Empfinden, keine Schmerzen mehr im Bein zu haben.

2

»Nein«, sagte Mrs. Clayton, als Phil und ich unsere Ausweise präsentierten. »Nicht noch eine Vernehmung! Ich habe mir bei Ihren Kollegen schon den Mund fusselig reden müssen. Ich bleibe dabei. Mister Stantons Tod überrascht mich nicht, er hat ihn sogar, wenn Sie mich fragen, verdient. Ein Mann, der eine unschuldige Frau mit der Waffe bedroht und seine Miete nicht bezahlt …«

»Er hieß in Wahrheit gar nicht Stanton«, informierte ich sie. »Er hieß Brocker. Joe Brocker.«

»Ich weiß, das habe ich inzwischen erfahren. Aber für mich bleibt er Mister Stanton, der Schrecken des Hauses«, erwiderte sie.

»Seit wann wohnte er bei Ihnen?«

»Er hat das Zimmer vor vier Wochen gemietet, Agent Cotton, war aber nicht jeden Tag hier. Er blieb oft nächtelang weg«, antwortete die Frau.

»Empfing er Post?«, fragte Phil. »Besuch?«

»Nein, aber er hat viel telefoniert. In seinem Zimmer steht ein Münzapparat.«

»Mit wem hat er gesprochen?«, erkundigte sich mein Partner.

Mrs. Clayton mimte Entrüstung. »Na, hören Sie mal! Ich lausche doch nicht an fremden Türen.«

»Die Wände sind dünn«, kam Phil ihr entgegen, »da kriegt man ungewollt manches mit.«

»Sorry, Gentlemen, ich habe nie etwas gehört«, behauptete sie.

»Sprach er manchmal mit anderen Mietern?«, fragte ich.

»Mit keinem. Ich hatte den Eindruck, dass er sie mied und kontaktscheu war.«