Jerry Cotton Sonder-Edition 98 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 98 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Die Gierigen

Sie planten das ganz große Ding. Drei Millionen Dollar waren ihr Einsatz, zwanzig Millionen ihr Gewinn. Jedenfalls glaubten sie das. Aber dann kam die Gier. Und der Tod. Und dann kamen wir, Phil und ich ...

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EPUB

Seitenzahl: 222

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Gierigen

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Lebenszeichen – Proof of Life«/ddp-images

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7656-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Gierigen

Sie planten das ganz große Ding. Drei Millionen Dollar waren ihr Einsatz, zwanzig Millionen ihr Gewinn. Jedenfalls glaubten sie das. Aber dann kam die Gier. Und der Tod. Und dann kamen wir, Phil und ich …

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger bis in das neue Jahrtausend.

1

Schon kurz nach Sonnenaufgang wurde Edmond Bradbeers Leiche auf Governor’s Island südlich der alten Festung an Land gespült, doch erst gegen Mittag wurde sie identifiziert. Danach verbreitete sich die Nachricht von seinem Tod wie ein Lauffeuer und setzte alle Polizeidienststellen des Hudson County in Alarmstimmung. Und nicht nur die. Es war klar, dass die großen New Yorker Gangsterbosse versuchen würden, sein Erbe anzutreten. Bradbeer hatte die Westseite des Hudson beherrscht, und er hatte es verstanden, sich die übermächtigen New Yorker vom Hals zu halten. Der König der Westseite war tot. Das bedeutete Krieg.

Die Nachricht von Bradbeers Tod erreichte uns zu Beginn der Mittagsschicht. Kaum hatte ich meine Beine unter meinem Schreibtisch verstaut, schrillte auch schon das Telefon.

»Sie möchten zum Chef kommen«, sagte Helen, die Sekretärin des Chefs, und sie fügte hinzu: »Es scheint dringend zu sein.«

»Sofort«, grunzte ich und warf meinem Freund und Partner Phil Decker einen Blick aus verdrehten Augen zu. »Auf, auf!«, rief ich munter.

In John D. Highs Vorzimmer duftete es nach Helens Kaffee. Sie lächelte uns zu, Phil und ich grinsten erfreut. Helen kocht den besten Kaffee weit und breit, und es schien, als sollten wir mal wieder etwas davon abbekommen.

»Nehmen Sie bitte Platz«, bat der Chef statt einer Begrüßung. Sein Gesicht war ernst, die Falten traten scharf hervor. Helen zauberte eine Tasse vor jeden von uns und zog sich lautlos zurück. »Wir bekommen Arbeit«, begann er. »Edmond Bradbeer ist tot.«

»Woran ist er gestorben?«, erkundigte sich Phil.

»Nach dem, was ich bisher weiß, an einer Kugel in der Brust und einer im Kopf. Die Leichenschau findet noch heute statt. In Manhattan …«

Ich pfiff leise durch die Zähne. »Also ist er auf der New Yorker Seite umgekommen?«

»Er ist hier an Land gespült worden«, verbesserte der Chef. »Wo er starb, steht damit nicht fest. Wir werden Spezialisten ansetzen, die diese Fakten erhellen müssen. Zusammensetzung des Schmutzes in seiner Kleidung, in den Haaren, Analyse des Wassers in seiner Lunge, falls da überhaupt welches drin ist. Es wird nicht leicht sein.« Er schwieg einen Moment, dann fuhr er fort: »Die Zuständigkeit des FBI ist jedenfalls gegeben. Bradbeer ist Bürger aus Bayonne, und das liegt drüben in New Jersey. Wir haben zwei Aufgaben: Unsere Gangster werden sich auf das Vakuum in Union City, Hoboken, Jersey City und Bayonne stürzen. Keiner wird dem anderen etwas gönnen, es sei denn, das Syndikat schaltet sich ein. Der County Sheriff vom Hudson County wird eine Sonderkommission mit Beamten der betroffenen Städte zusammenstellen und von uns unterstützt werden. Doch das ist nicht Ihre Aufgabe, Jerry und Phil.«

Mein Freund und ich sahen uns überrascht an. Diese Aufgabe hätte uns reizen können. Krieg zwischen den Gangsterbanden …

»Sie werden Bradbeers Tod aufklären. Zuständig ist die Mordkommission Manhattan East, doch die darf nicht drüben in Bayonne ermitteln. Setzen Sie sich mit Harry Easton in Verbindung. Beleuchten Sie die Hintergründe. Ich will wissen, wer von unseren Kunden so versessen darauf ist, drüben Fuß zu fassen. Dieser Weg wird sich irgendwann mit dem anderen kreuzen.« Mr. High lächelte plötzlich. »Sie werden Arbeit bekommen.«

In dem zuletzt genannten Punkt sollte der Chef recht behalten. Zu diesem Zeitpunkt konnten weder John D. High noch Phil oder ich ahnen, dass keiner unserer Kunden hinter Bradbeers Tod steckte.

Ich schlürfte den Rest aus meiner Kaffeetasse. »Gibt es schon irgendwelche Anhaltspunkte?«, fragte ich.

Der Chef schüttelte den Kopf und schob einen dicken Aktenordner zu uns herüber. »Bradbeers Akte. Er hat eine Tochter, zwanzig Jahre alt. Kümmern Sie sich um sie. Sie schwebt vielleicht in Gefahr.«

Phil und ich gingen in unser Office. Mein Freund studierte die Akte, während ich ein Gespräch mit der City Police von Bayonne anmeldete. Es dauerte eine Weile, bis ich den zuständigen Mann am Rohr hatte.

»Lieutenant James Powell«, drang dann eine sympathisch klingende Stimme an mein Ohr. »Sie rufen bestimmt wegen Edmond Bradbeer an.«

»Stimmt, Lieutenant«, bestätigte ich. »In einer Stunde sind wir bei Ihnen. Wir müssen seine Tochter sprechen.«

Powell seufzte. »Ich war gerade in Bradbeers Villa. Claudia Bradbeer ist spurlos verschwunden …«

***

Hammond schaute der jungen Frau zu, das wie eine halb verhungerte Wildkatze den schäbigen Inhalt eines verbeulten Kochtopfes in sich hineinschaufelte. Hin und wieder blickte sie rasch zu ihm hinüber, als befürchtete sie, er könnte seine Großzügigkeit bereuen und ihr den Topf wieder wegnehmen.

Hammond sah heruntergekommen aus, und er war es auch. Vor einigen Wochen war er in dem leer stehenden Lagerhaus auf der Westseite Manhattans gelandet, und er wusste, dass es verdammt schwer sein würde, hier wieder rauszukommen. Wer einmal dort gestrandet war, war am Ende.

Dann war plötzlich diese Kleine da gewesen. Sie war die baufällige Stiege ins Obergeschoss hinaufgekommen, gerade als er, Hammond, sein kärgliches Mittagsmahl kochte. Hammond hatte die junge Frau zunächst für einen Jungen gehalten, und beinahe hätte er sie die Stufen hinuntergeworfen. Doch jetzt war sie da, machte sich über die wenigen Vorräte her, die er nachts aus den Mülleimern der Restaurants klaubte.

Hammond konnte nicht wissen, dass die ganze Stadt hinter dem Girl her war. Nun ja, die ganze Stadt war wohl etwas übertrieben. Das FBI suchte nach ihr, und auch Vernon Di Marcos Gorillas waren schon unterwegs.

Claudias dünner Pullover war bereits getrocknet, doch der Stoff der Hose klebte immer noch unangenehm feucht an ihren Beinen. Am Battery Park an der Südspitze Manhattans war sie zu Tode erschöpft an Land geklettert, hatte sich bis Sonnenaufgang in einem Wetterhäuschen verborgen, und weil sie nicht wusste, wer die Männer waren, die ihren Vater ermordet hatten, und weil sie fürchtete, die Verbrecher könnten auch ihre Spur noch aufnehmen, war sie dann unter den Betonstelzen des West Side Highway nach Norden gewandert. Sie war müde, entsetzlich müde, und sie wusste nicht, wohin. Sollte sie ein Taxi nehmen und einfach nach Hause fahren? Bei dem Gedanken an das große leere Haus in Bayonne schauderte sie. Polizei? Vor der Möglichkeit schreckte sie plötzlich zurück. Was hatte ihr Vater mit den Männern zu schaffen gehabt? Ihr fielen unvermittelt Gerüchte ein, die um ihren Vater kursierten.

Claudia entdeckte ein leer stehendes Lagerhaus, durchstöberte das weitläufige Gebäude nach einem Schlafplatz, bis sie auf diesen Mann stieß …

Während sie aß, betrachtete sie ihn. Normalerweise hätte sie einem derart heruntergekommenen Mann keinen zweiten Blick geschenkt. Doch als sie das breite, verschlossene Gesicht unter dem struppigen hellen Haar genauer studierte, musste sie sich eingestehen, dass er ihr zu gefallen begann.

»Wie alt sind Sie?«, fragte sie unvermittelt. Sie hatte den Topf leergekratzt und wischte jetzt ihre schmierigen Finger an den hellen Jeans ab.

»Vierunddreißig.«

»Wie heißen Sie?« Claudia konnte sehr hartnäckig sein, wenn jemand erst einmal ihr Interesse gefunden hatte.

»Hammond.«

»Haben Sie auch einen Vornamen?«

»David.« Hammond stand auf und sammelte die herumliegenden Sachen zusammen. Seine Bewegungen wirkten abweisend.

Auch Claudia erhob sich, und langsam reckte sie ihren geschmeidigen Körper. Sie fühlte sich satt und einigermaßen zufrieden – den Gedanken an ihren toten Vater hatte sie für einige Zeit verdrängt. Sie spürte die feuchten Geldscheine auf ihrer nackten Haut unter dem Pullover und nahm rasch die Hände herunter, um die verräterischen Abdrücke der dicken Pakete zu verbergen.

Hammond wandte sich um und starrte die junge Frau verdrossen an. Er war ein großer, wuchtig wirkender Mann mit breiten Schultern, doch als er sich jetzt bewegte, war sein Gang flüssig, leicht und elastisch. Etwas Kraftvolles ging von diesem Mann aus, das Claudia beeindruckte, sie sogar irgendwie bannte. Ihre Augen trafen sich unvermittelt. Claudia versuchte, diesem durchdringenden, prüfenden Blick aus hellen, klaren Augen standzuhalten, doch dann drehte sie den Kopf und warf ihr langes dunkles Haar auf den Rücken.

»Wohnen Sie hier?«, fragte Claudia, als das Schweigen unangenehm zu werden drohte. Hammond nickte nur. »Schon lange?«

»Wie man’s nimmt«, antwortete Hammond ausweichend. Wie ein unruhiges Tier begann er, in dem weiten Raum herumzulaufen. Seine großen Füße hinterließen dunkle Spuren im hellen Staub, der auf dem rauen Betonfußboden lag.

Der Raum nahm die ganze erste Etage des alten Lagerhauses ein. Die hohen Fenster waren verdreckt, einige Scheiben fehlten. Hammonds wenige Habseligkeiten, sie bestanden aus einem alten, verbeulten, an manchen Stellen eingerissenen Koffer, einem Pappkarton und zwei schmutzstarrenden Decken, die unordentlich in der hintersten Ecke, einige Schritte von einem gesprungenen Waschbecken entfernt, lagen. Unter dem Waschbecken stand ein neuer Spirituskocher.

Hammond bückte sich zu dem Kocher nieder, schüttete aus einer Bierflasche etwas Spiritus in die Vorwärmpfanne und zündete ihn an. Dann hielt er einen Aluminiumkochtopf unter den Wasserhahn, spülte den Topf notdürftig durch, ließ ihn voll Wasser laufen und stellte ihn auf die Flamme des Kochers, die inzwischen leise fauchend brannte.

»Tee?«, fragte er über die Schulter.

Claudia nickte, doch der Mann sah nicht zu ihr herüber. Deshalb sagte sie: »Ja.« Sie warf einen Blick auf ihre winzige Armbanduhr und stellte fest, dass sie stehen geblieben war. »Haben Sie eine Uhr?«, erkundigte sie sich.

»Es ist kurz nach zwei. Die Sirenen drüben in den Docks haben vor ein paar Minuten geheult. Meine Uhr habe ich eingetauscht. Für Tee und ein paar Zigaretten.«

»Haben Sie noch eine?«, fragte Claudia.

Hammond schüttelte den Kopf. »Das war vor einer Woche.« Er goss das sprudelnde Wasser über die Teeblätter in einem Glasgefäß, das früher einmal als Vase gedient haben mochte. »Aber ich habe noch etwas Tabak und kann Ihnen eine drehen, wenn Sie das Zeug mögen.«

»Hauptsache, es ist Nikotin drin«, stimmte Claudia großmütig zu. Noch vor zehn Stunden hätte sie eine Selbstgedrehte verschmäht. Misstrauisch beobachtete sie Hammond, der aus einer Tüte pechschwarze Tabakkrümel auf das Zigarettenpapier rieseln ließ und dann mit geschickten Bewegungen, die einige Übung verrieten, das dünne Papier um den Tabak rollte. Er befeuchtete den Rand mit der Zunge und drückte das Stäbchen leicht zurecht, ehe er es ihr hinüberreichte.

Hammond goss eine saubere Tasse voll Tee und gab sie Claudia. »Zucker ist nicht mehr da«, brummte er. Er setzte sich auf den Boden und lehnte sich mit dem Rücken gegen die gekalkte Wand, die Teekanne in der Hand. Claudia ließ sich auf ihre Fersen nieder und roch an dem dampfenden Tee. Hammond setzte die Kanne an den Mund und trank, dann zündete er bedächtig die Zigaretten an. Er sog den würzigen Rauch tief in die Lungen und blies ihn langsam in einem dünnen Strahl aus.

Auch Claudia trank. Interessiert betrachtete sie den fremden Mann immer wieder. Erst jetzt bemerkte sie, was sie an dem breiten Gesicht so faszinierte. Hammonds Nase war verbogen und hätte das Gesicht normalerweise hässlich wirken lassen, doch die hellen, ausdrucksvollen Augen lenkten die Blicke auf sich. Die beiden rauchten schweigend.

Claudia hielt die Stille nicht mehr aus. »Wie lange sind Sie schon hier?«, erkundigte sie sich.

»Drei, vier Wochen. Ich zähle die Tage nicht. Warum?«

»Es interessiert mich eben. Haben Sie etwas ausgefressen?«

Hammond verzog die schmalen Lippen zu einem plötzlichen Grinsen. »Noch nicht«, antwortete er.

»Warum leben Sie dann hier?«

»Die Mieten in Manhattan sind zu hoch für mich.«

Claudia schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich nicht. Hier kann man doch nicht leben! Nicht wohnen!«

»So? Wieso sind Sie denn hier gelandet?«

Claudias Gesicht verfinsterte sich, über ihre grauen Augen legte sich ein Schatten, sie schienen plötzlich fast schwarz. »Das ist etwas anderes«, sagte sie kühl. »Sie … Sie können doch arbeiten!«

Hammond lachte bitter auf und nahm noch einen langen Zug von dem winzigen Stummel, ehe er die Kippe auf den Boden warf. »Ich hatte Arbeit, verdammt gute sogar. Einen Hunderttausend-Dollar-Job. Aber plötzlich war ich nicht mehr gefragt, von heute auf morgen lag ich auf der Straße. Das war vor einem Jahr.« Er starrte auf den Boden. Er wollte dieser jungen Frau nicht das Herz ausschütten und presste die Lippen zusammen.

Unvermittelt stiegen die Bilder wieder vor ihm auf. Das kleine Reihenhaus in Great Neck, der solide Betrieb in Flushing, der für die NASA arbeitete, bis der Kongress die Mittel für das Weltraumprogramm zusammenstrich. Und er dachte an die junge, lebenslustige Frau, die sich mit den paar Dollar, die er mit Wagenwaschen und Gartenarbeiten verdiente, nicht mehr zufrieden geben wollte. Als er das Haus verkaufen musste, gab er ihr die zweiundzwanzigtausend Dollar und ließ sie gehen …

»Sie sind arbeitslos?«

»Sie haben es erraten, Kleines«, sagte er rau und stellte die Kanne hart ab.

»Aber es muss doch Möglichkeiten geben!«, rief Claudia.

»Sicher. Hilfsarbeiter in den Docks. Wissen Sie, wie viele dort anstehen, wenn mal zwei oder drei zusätzliche Leute gebraucht werden? Nein? Zwanzig, dreißig, vierzig. Sie nehmen zuerst diejenigen, die in der richtigen Gewerkschaft sind. Ich bin’s nicht.«

»Was sind Sie denn von Beruf?«

»Elektroniker. Spezialist für miniaturisierte Fernsteuerungen. Können Sie sich darunter etwas vorstellen?« Claudia schüttelte den Kopf. »So einen wie mich wollen sie nirgendwo haben. Ich gehöre zum akademischen Proletariat, wie man so schön sagt. Jetzt wissen Sie’s, und nun fragen Sie nicht mehr. Und bleiben Sie mir mit Ihrem Mitleid vom Hals.«

»Ich habe meine eigenen Probleme«, empörte sich Claudia.

»Gewiss, gewiss, Sie stehen vor schweren Entscheidungen. Hasch oder LSD, das ist Ihr Problem. Schuss oder Joint. Ich weiß Bescheid.«

Claudia spürte, wie sie blass wurde. Sie wusste nicht, wieso, aber sie hatte das Gefühl, sich vor diesem heruntergekommenen Mann verteidigen zu müssen. »So etwas habe ich noch nie probiert«, flüsterte sie. »Sie tun mir unrecht! Sie sind verbittert!«

»Natürlich bin ich verbittert. Mit vierunddreißig am Ende. Am Ende!« Wieder starrte Hammond die junge Frau durchdringend an. »Hauen Sie lieber ab. Ich bin nicht die richtige Gesellschaft für Sie. Eines Tages werde ich die Kriminalstatistik bereichern.« Unvermittelt warf er sich herum, riss den Kofferdeckel auf und wühlte in der schmutzigen Wäsche herum. Als er sich wieder aufrichtete, hatte er eine große, stumpf schwarz schimmernde Waffe in der Hand. Es war eine Colt Commander. Claudia starrte ängstlich auf die Pistole.

Hammond lachte freudlos. »Wenn mir der Richtige über den Weg läuft …« Er hob die Waffe und legte den Zeigefinger unter den Fingerbügel. »Nur – es muss schnell passieren, sonst habe ich nicht einmal mehr dazu die Energie.« Claudia blieb stumm. »Was haben Sie da unter Ihrem Pullover?«, fragte er erneut. Seine Augen hingen auf dem leichten Stoff.

Claudia sah Hammond voll an. »Geld.«

Hammond ließ die Pistole sinken. »Sehen Sie?«, sagte er. »Ich bin wie ein zahnloser Tiger. Fertig. Nicht dazu in der Lage, einer jungen Frau ein paar Dollars abzunehmen.« Er warf die Waffe in den Koffer. »Hauen Sie ab!«, schrie er. »Los, machen Sie, dass Sie hier verschwinden!«

»Ich weiß nicht, wohin«, flüsterte Claudia.

»Erzählen Sie keinen Blödsinn! Mit Geld kommen Sie überall hin. Also los, worauf warten Sie noch?«

»Jemand hat meinen Vater ermordet!«

Hammonds Augen wurden schmal. »Dann haben Sie hier doch erst recht nichts zu suchen. Oder haben Sie etwa …?« Seine Augen richteten sich auf die Abdrücke der Geldbündel unter Claudias Pullover.

Claudia schüttelte heftig den Kopf. »Es waren Fremde, Franzosen, glaube ich. Ich war dabei. Sie wollten auch mich umbringen …«

»Gehen Sie zur Polizei.«

»Nein.« Das klang endgültig.

»Warum nicht?«

Claudia zögerte. »Es geschah draußen in der Bucht. Sie haben wahrscheinlich das Schiff versenkt. Die Polizei wird mir nicht glauben.«

»Quatsch.«

»Er … mein Vater … ich glaube, er machte irgendwelche dunklen Geschäfte.«

»Er war Gangster?« Hammond grinste. »Solche Leute soll’s geben. Wie hieß er denn?«

»Bradbeer. Edmond Bradbeer.«

»Der Bradbeer von drüben, New Jersey?« Claudia nickte. Hammond lachte jetzt laut. »Und Sie sind seine Tochter? Junge, Junge, und das muss mir passieren. Wissen Sie, dass er ein berühmter Mann war?«

Claudia reagierte nicht.

»Und dann kam jemand und knallte ihn einfach ab? Wo waren denn seine Gorillas?«

»Gorillas?« Claudia riss die Augen auf. »Sie haben zu viele Krimis gelesen. Natürlich hatte er ein paar Jungs. Einen Chauffeur, und dann waren da noch zwei oder drei …«

»Und? Wo waren die, als er starb?«

»Er wollte irgendetwas erledigen, allein. Nur der alte Joseph war an Bord, außer mir und ihm natürlich.«

»Junge, Junge. Und jetzt? Wollen Sie sich ewig verstecken?«

»Ich weiß es nicht.« Claudia senkte niedergeschlagen den Kopf, sie wirkte plötzlich klein und hilflos.

Hammonds Augen funkelten interessiert. Er beugte sich zurück und angelte nach der Pistole. Er warf die Pistole von einer Hand in die andere. »Erzählen Sie«, forderte er die junge Frau auf.

Claudia begann, zu schluchzen. Hammond stand auf und hockte sich neben ihr nieder. Er legte einen Arm um ihre bebenden Schultern und zog sie sanft an sich. Unter dem dünnen Stoff spürte er ihre glatte Haut. Claudia wehrte sich nicht, als er auch den anderen Arm um sie schlang. Dann legte sie ihren Kopf an seine Brust und weinte hemmungslos.

2

Meine Hand krampfte sich um den Hörer, als Powells Worte in mein Gehirn drangen. Ich verdeckte die Muschel und rief Phil zu: »Bradbeers Tochter ist verschwunden!« Dann sagte ich zu Lieutenant Powell: »Gibt es Anhaltspunkte?«

Powell seufzte wieder. »Da leben ein paar Figuren in einer großen Wohnung am Strand, nicht weit von Bradbeers Villa entfernt. Sie sind als Bradbeers Leute bekannt. Ich habe mit ihnen gesprochen. Bradbeer soll gestern Abend an Bord seiner Jacht gegangen sein. Nur er, seine Tochter und ein Mann namens Joseph Baird. Mehr wissen sie nicht – angeblich.«

»Wir kommen trotzdem rüber, Lieutenant. Lassen Sie nach der Jacht fahnden …«

»Schon geschehen. Die Coast Guard sucht nach ihr mit Booten und Hubschraubern. Nach der Jacht und den beiden Vermissten.«

»Fein. In einer Stunde sind wir bei Ihnen.«

Durch den Holland Tunnel fuhren wir nach New Jersey rüber, kämpften uns durch Jersey City, bis wir den Highway erreichten, der in einem Bogen den nördlichen Teil der Stadt Bayonne berührt. Die Polizeibehörde mit dem Büro des Sheriffs und den Abteilungen der Kriminalpolizei waren in einem weitläufigen Gebäude aus braunem Sandstein in der Second Street West nahe der Bayonne Bridge untergebracht. Von der Newark Bay her wehte eine frische Brise herüber, Möwen kreisten lärmend über den Landungsstegen. Die Sonne schien und verlieh der kleinen Stadt einen freundlichen Glanz.

Phil und ich kletterten aus meinem roten Jaguar. Mein Freund reckte sich und blinzelte in die Sonne. »Ich möchte ein Boot mieten und einfach rausfahren. Fischen, schwimmen, faulenzen …«

»Erst wenn wir den gefunden haben, der Bradbeer in den Bach geworfen hat«, entschied ich und ging auf die Eingangsstufen zu.

Phil folgte notgedrungen. Ich fragte mich zum Büro Lieutenant Powells durch und klopfte dann an die Glasscheibe in der Tür zu seinem Office.

James Powell mochte so um die Mitte dreißig sein. Er war schlank, fast mager und wirkte dadurch riesengroß, als er sich aus seinem Sessel stemmte, um uns zu begrüßen. Er reichte mir eine knochige Hand und verzog das hagere Gesicht zu einem freundlichen Grinsen. »Nennen Sie mich einfach Jim.«

»Okay, ich heiße Jerry, mein Kollege Phil. Gibt’s was Neues?«

Powell schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich habe vor drei Minuten noch mit der Zentrale der Küstenwache gesprochen. Die Streifenbeamten klappern sämtliche Jachthäfen ab. Wenn Sie mich fragen, die Jacht ist abgesoffen, und seine Tochter und dieser Joseph Baird sind auch tot. Bradbeers Leiche ist an Land geschwommen, die anderen beiden sind vielleicht unter Deck eingeschlossen.«

Ich nickte zögernd, der Gedanke lag natürlich nahe. Irgendjemand von Bradbeers Konkurrenten hatte die günstige Gelegenheit ergriffen, als Bradbeer ohne seine Leibwache unterwegs war. Sie hatten die Jacht geentert, die Besatzung und seine Tochter umgebracht und das Boot versenkt.

»Aber es muss eine Spur geben«, meinte Phil. »Bradbeer wird nicht ohne Grund allein – das heißt ohne seine Jungs – abends ausgelaufen sein.«

»Das glaube ich auch nicht«, stimmte Powell zu. »Wir müssen seine Gorillas noch einmal vernehmen.«

Ich nickte. »Okay, brechen wir auf.«

Wir fuhren in Powells geräumiger Polizeilimousine nach Westen. Powell verließ die Hauptstraße und bog in einen schmalen Weg ein, der an flachen Bungalows und weißen Villen in weitläufigen Parks vorüberführte. Links öffnete sich die Newark Bay.

»Diese Gegend hier heißt Robbins Reef. Hier wohnen nur Leute, die mehr als zweihunderttausend im Jahr verdienen. Sehen Sie dort«, er wies mit ausgestrecktem Arm aus dem Fenster, »hier besitzt jeder mindestens eine Jacht, viele sogar zwei oder drei.«

Hinter schützenden Wällen aus Holzplanken lagen Hunderte von Booten aller Größen vertäut. Segeljachten, offene Motorboote, schwere Kreuzer. Auf dem glitzernden Wasser der Bucht zogen weiße Segel dahin.

»Das ist Bradbeers Villa«, sagte Powell plötzlich und wies auf eine breite Auffahrt. Er fuhr vorbei. Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf ein schneeweißes, zweistöckiges Gebäude mit umlaufendem Balkon. »Wir fahren zuerst zu Bradbeers Leuten.«

Zweihundert Yards weiter stoppte der Lieutenant vor einem neuen Hochhaus, einem dieser typischen Paläste aus Glas und Beton, wie sie reihenweise überall dort entstehen, wo Wasser und frische Luft zu verkaufen sind. Die Mieten in diesen Hütten können sich mit denen am New Yorker Central Park durchaus messen.

Wir stiegen aus und betraten die kühle Empfangshalle. Powell steuerte zielsicher auf einen der Fahrstühle zu, der uns in wenigen Augenblicken in den elften Stock hinaufbeförderte. Er presste seinen Daumen auf den Klingelknopf neben der Tür, die in Messingziffern die Zahl 1107 trug.

Wir warteten. Nichts rührte sich. Powell schellte Sturm, dünn hörten wir das Läuten auf dem Gang. Mir schwante etwas.

»Die Burschen sind weg«, sagte ich. »Was sollen sie auch noch hier? Sie suchen sich einen neuen Boss oder machen sich selbstständig.«

Powell nickte grimmig. »Ich habe einen Fehler gemacht«, bekannte er.

»Sie hätten nichts machen können«, tröstete ich ihn. »Kennen Sie die Namen der Männer?«

»Zwei kenne ich. Kommen Sie bitte mit.« Wir fuhren wieder in die Halle hinunter. Powell führte uns eine halbe Treppe tiefer ins Tiefparterre, stieß eine Eisentür auf, blieb vor einer anderen Tür stehen und klopfte. Die Tür flog auf, ein älterer Mann, unrasiert und mit wirren grauen Haaren, steckte seinen Kopf heraus.

»Was wollen Sie?«, fragte er unfreundlich.

»Sie sind der Hausverwalter?« Powell zeigte ihm seine Dienstmarke. »Die Bewohner aus Apartment elf-null-sieben sind nicht da. Haben Sie die Männer gesehen?«

»Sicher. Die sind vor einer Stunde abgefahren, ziemlich eilig sogar. Die kommen nicht wieder.«

»Woraus schließen Sie das?«, fragte Powell weiter.

»Jeder schleppte einen Koffer, deshalb.«

»Wie viele waren es?«

»Vier.«

»Wer hatte das Apartment gemietet?«

»Mister Bradbeer. Die Leute waren bei ihm angestellt. Fragen Sie bei Mister Bradbeer. Ich weiß von nichts.« Er wollte uns die Tür vor der Nase zuschlagen.

»Stopp!«, zischte Powell scharf. Der Verwalter erstarrte. »Die Männer hatten Wagen? Wie viele? Zulassungsnummern, Fabrikate, los, los, strengen Sie Ihr Gedächtnis etwas an!«

»Mein Kopf ist kein Computer. Da waren zwei Schlitten in der Tiefgarage. Schwarz, lang, in Bayonne zugelassen. Einer war ein Cadillac. Mit dem fuhr Mister Bradbeer. Den anderen Wagen benutzten die Männer.« Powell starrte den Verwalter finster an, doch es nutzte nichts. »Bestimmt, Officer, mehr weiß ich nicht.«

Ohne ein weiteres Wort wandte sich Powell ab. »Ich frage bei der Zulassungsstelle nach«, verkündete er gelassen.

Mit Powells Dienstwagen fuhren wir zu Bradbeers Villa. Langsam rollte die Limousine mit knirschenden Reifen über den weißen Kies auf das weiße Haus zu. Powell stoppte genau vorm Eingang, und wir stiegen aus. Powell ging auf die Haustür zu, während ich zur Ecke schlenderte, um einen Blick auf den hinteren Teil des Grundstücks zu werfen. Überrascht blieb ich stehen, als ich den Wagen entdeckte. Es war ein kompakter Ford Falcon, grau, zweitürig. Meine Augen fielen auf das Nummernschild – der Wagen kam aus New York. Interessiert trat ich näher und legte meine Hand auf die Motorhaube. Sie war noch warm.

Und dann hörte ich das Peitschen eines Schusses, hell und klar. Das Geräusch musste aus dem Haus gekommen sein. Ich entdeckte ein offenes Fenster im Erdgeschoss, nur wenige Schritte von mir entfernt. Ich spurtete los, erreichte das Fenster, packte das Fensterbrett und wollte, das Überraschungsmoment ausnutzend, über die Brüstung flanken. Ich sah die Bewegung, die Umrisse einer Gestalt, die unwahrscheinlich schnell reagierte. Dann dröhnte ein Schuss, die Kugel schlug neben meinem Kopf in den Rahmen, riss Splitter aus dem Holz, die über mein Gesicht fetzten.

Ich bremste den Schwung meines Körpers und ließ mich einfach rückwärts fallen. Ich schlug hart mit dem Rücken auf den Boden, Dornen eines Rosenstrauches stachen durch meinen Anzug.

Elegant wie ein Raubtier erschien plötzlich ein Mann über mir, sprang über die Fensterbrüstung und landete auf mir. Bevor ich auch nur meine Arme zur Abwehr erheben konnte, landete eine steinharte Faust an meinem Kinn. Mein Kopf ruckte zurück, und tausend Sterne tanzten vor meinen Augen. Ein zweiter Hieb explodierte auf meiner Nase, der Schmerz drang bis ins Gehirn, dann ebbte er plötzlich ab, als ich in Finsternis versank.

***

Claudia beruhigte sich langsam unter Hammonds sanften Händen. Sie lag immer noch an seiner Brust, ihre Schultern zuckten hin und wieder. Hammond drückte die junge Frau behutsam nieder und bettete sie auf die Decken. Sie öffnete die Augen, die rot und verweint aussahen, und blickte den Mann ernst an. Hammond beugte sich herab, berührte mit seinen Lippen flüchtig ihren Mund. Sie schloss die Augen und schien zu warten.

Hammond küsste sie, zart zuerst, dann härter und fordernd. Claudia wehrte sich nicht, wie er zunächst erwartet hatte. Nach einigen Sekunden erwiderte sie den Kuss. Hammond atmete heftiger. Er hatte seine Finger in ihre Schulter gegraben, und die Kleine wand sich wohlig unter dem Griff. Hammonds Hand glitt herab, seine Finger tasteten unter den Pullover, strichen über glatte Haut, bis sie gegen die Geldbündel stießen, die Claudia unter ihrem Pullover verborgen hatte. Ihr Körper wurde plötzlich steif, sie drehte den Kopf zur Seite.

»Ich will dein Geld nicht«, flüsterte Hammond heiser. »Ich will dich …«

Claudia vergrub den Kopf in den Armen. »Es ist nicht deshalb«, sagte sie undeutlich.

»Weshalb denn?«

»Ich weiß es nicht. Mein Vater … es ist alles so unwahrscheinlich, ich kann einfach nicht.«

Hammond richtete sich auf. Er suchte den Tabaksbeutel und das Zigarettenpapier und begann, zwei Zigaretten zu rollen. Er zündete beide an und blies den Rauch in Claudias Haare. »Hier«, sagte er nur.