1,99 €
Madame - Ihr Mörder steht zu Diensten
"Meinen Mann umbringen lassen? Ich ...?" Linda Sherwood wich zurück. "Sie sind verrückt, Mister, einfach verrückt!"
Die unheimliche Fremde ließ sich nicht beirren. "Ihre Ehe ist unglücklich. Sie hassen Ihren Mann. Sie wollen Freiheit und Geld. Das Geld Ihres Mannes. Wir werden Ihnen dabei behilflich sein, das ist unsere Spezialität. Gegen zwanzig Prozent des Erbes." Er starrte sie aus seinen dunklen, grausamen Augen an. "Damit wir uns richtig verstehen, wir sind es gewohnt, dass unsere Angebote akzeptiert werden. Gehen wir also ins Detail ..."
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 199
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Madame – Ihr Mörder steht zu Diensten
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: PeopleImages/iStockphoto
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7657-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Madame – Ihr Mörder steht zu Diensten
»Meinen Mann umbringen lassen? Ich …?« Linda Sherwood wich zurück. »Sie sind verrückt, Mister, einfach verrückt!«
Die unheimliche Fremde ließ sich nicht beirren. »Ihre Ehe ist unglücklich. Sie hassen Ihren Mann. Sie wollen Freiheit und Geld. Das Geld Ihres Mannes. Wir werden Ihnen dabei behilflich sein, das ist unsere Spezialität. Gegen zwanzig Prozent des Erbes.« Er starrte sie aus seinen dunklen, grausamen Augen an. »Damit wir uns richtig verstehen, wir sind es gewohnt, dass unsere Angebote akzeptiert werden. Gehen wir also ins Detail …«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger bis in das neue Jahrtausend.
1
Linda Sherwood räkelte sich in der Sonne. Sie ruhte bäuchlings auf der Gummimatratze neben dem Swimmingpool. Nackt. Sie hatte nichts auf dem Leib außer ihrem Ehering. Sie genoss den Gedanken, dass sie den Ring nach all diesen Jahren nicht mehr zu hassen brauchte. Wenn das Telefon läutete, würde James tot sein.
Ermordet.
Es war ein angenehmer Gedanke. Faszinierend. Witwe mit siebenundzwanzig! Erbin von fünfunddreißig oder vierzig Millionen Dollar. Und frei. Endlich frei!
Seufzend drehte sie den Kopf zur Seite. Sie genoss die Wärme auf ihrer glatten Haut und betrachtete das Schwimmbassin durch das Glas neben ihr. Eis, Gin und Champagner. Es war amüsant, die aufsteigenden Luftbläschen zu verfolgen. Die Lichtreflexe. Die glitzernde, heitere Symbolik von Luxus und Reichtum. Vierzig Millionen!
Sie schloss die Augen. Warum läutete das Telefon nicht? Der Mann hatte ihr zugesichert, dass es noch vormittags geschehen würde. Voraussichtlich zwischen elf und zwölf Uhr. Jetzt war es elf Uhr vierzig.
Der Mann! Enrico Czarwatzki. Sein Name war so seltsam und kompliziert wie er selbst. Ein bisschen schmierig vielleicht. Egal! Von einem Mörder konnte man nicht erwarten, dass er gesellschaftliche Normen erfüllte. Es genügte, dass er tötete. Was waren schon zehntausend Dollar Blutgeld, gemessen an einer Ernte von vielen Millionen?
Linda Sherwood verdrängte das Bild des Killers aus ihrer Vorstellung. Es passte nicht hinein. Enrico Czarwatzki war ein hässlicher Schatten, den sie schnell vergessen wollte.
Blinzelnd hob sie die Lider. Das Telefon stand auf der sonnenüberfluteten Terrasse. Es funkelte und strahlte, als sei es sich seiner Bedeutung bewusst.
»Läute, nun läute doch endlich!«, presste Linda durch die Zähne.
Sie merkte, wie ihre gute Laune von wachsender Nervosität abgelöst wurde. War etwas schiefgegangen? Nein, Enrico Czarwatzki war kein Versager. Seine düstere Entschlossenheit hatte ihr imponiert.
Linda Sherwood entspannte sich erneut. Nach fünf Jahren Ehe kam es wahrhaftig nicht auf fünf Minuten an. »Goodbye, James«, sagte sie leise. »Ich habe dir meine besten Jahre geschenkt. Es wird Zeit, dass du dafür bezahlst. Ich hasse dich, du Bastard!«
Du bist ungerecht, meldete sich ihr Gewissen zu Wort. Er hat dich geliebt und bewundert. Was kann er dafür, dass dir seine Eifersucht das Leben zur Hölle machte? Es ist seine Veranlagung, er ist ihr hilflos ausgeliefert.
»Du hättest mich nicht an die Kette legen dürfen«, führte sie ihren Monolog fort. »Das war ein Fehler, James. Ich brauche meine Freiheit. Ich bin schön. Du hattest kein Recht, diese Schönheit zu deinem Privatbesitz zu erklären.«
Das Telefon läutete. Linda schreckte hoch. Ihr Herz hämmerte wild. Es war so weit!
Du musst ruhig bleiben, warnte sie sich. Du darfst nicht zum Telefon rennen. Du musst jetzt und in dieser Sekunde damit beginnen, dich völlig normal zu benehmen. Nur dann hast du eine Chance, mit dem Mord davonzukommen.
Sie streifte ihren Bademantel über und lief barfuß zur Terrasse. Im Gehen verknotete sie den Gürtel. Sie schluckte, als sie nach dem Hörer griff.
»Sherwood«, meldete sie sich.
»Linda, Liebste«, tönte ihr eine helle, etwas überdreht wirkende Mädchenstimme entgegen. »Ich bin so froh, dich anzutreffen. Dreimal darfst du raten, wer hier spricht! Endlich bin ich mal wieder in meinem geliebten New York. O Gott, warum bin ich nur von dort weggegangen? Texas ist bombastisch, scheußlich und herausfordernd provinziell …«
Linda Sherwood biss sich so heftig auf die Unterlippe, dass es schmerzte. Ausgerechnet Myriam Price, diese Nervensäge!
»Es ist eine Ewigkeit her, dass wir voneinander gehört haben, Myriam«, hörte sie sich sagen. »Ich dachte schon, du willst nichts mehr von deinen alten Freunden wissen.«
»Bist du verrückt?« Myriam lachte. »Ich denke täglich an euch. Ich kann gar nicht anders. Lieber Himmel, ich würde alles tun, um wieder in New York leben zu können. Aber du kennst Patrick. Er glaubt, Texas sei der einzige Ort auf der Welt, der sich mit dem Paradies vergleichen kann. Wie geht es dem anbetungswürdigen James?«
»Gut, hoffe ich«, sagte Linda. Sie runzelte die Augenbrauen. Das »hoffe ich« war völlig überflüssig gewesen, aber Myriam Price war keine Frau, die eine Antenne für Nuancen hatte. »Ich fürchte, er arbeitet zu viel.«
»Er tut es für dich, Liebste«, meinte die Anruferin. »Wie oft habe ich dich um den göttlichen James beneidet! Für mich ist er der vollkommene Gatte und Gentleman. Blendend aussehend, charmant und so enorm lebenstüchtig. Er hat sich seine Stellung erarbeitet, er ist dank seiner geistigen Brillanz an die Spitze getragen worden. Mein Patrick ist der Farmer geblieben, der er war, als man auf seinem Land die Ölquellen entdeckte, die ihn zum Millionär machten. Das viele Geld hat ihm keinen Schliff gegeben.«
»Warum hast du ihn geheiratet?«
»Das frage ich mich zuweilen auch. Mir gefiel seine Raubeinigkeit. Ich hielt das für ein Zeichen besonderer Originalität. Jetzt weiß ich, dass es nur ein erschreckender Mangel an Takt und Bildung ist.«
Linda Sherwood zwang sich zu einem kurzen, amüsiert klingenden Lachen. »Du urteilst wirklich sehr hart über den armen Patrick«, meinte sie.
»Er hängt mir meilenweit zum Halse heraus«, sagte Myriam Price mit plötzlicher Schärfe. »Ich weiß, dass das sehr hässlich klingt, aber es ist die Wahrheit. Dir gegenüber darf ich doch offen sein? O, Linda, ich brenne darauf, dich zu sehen und mit dir darüber zu sprechen! Kannst du nicht in die City kommen? Ich bin gerade bei Clermond in der Fifth Avenue …«
»Liebling, im Augenblick kann ich hier nicht weg. Ich erwarte einen Anruf von James.«
»Dann lass uns in der Stadt ein paar Cocktails nehmen und gemeinsam zu Abend essen! Sage James, dass du eine alte Bewunderin seiner Männlichkeit triffst. Er wird dafür Verständnis zeigen.«
»Bestimmt«, sagte Linda Sherwood rasch. »Ich will versuchen, gegen fünf im Tea Room des Waldhof Astoria zu sein. Ist das okay?«
»Aber klar, Liebste. Ich freue mich auf das Wiedersehen!«
Linda stieß die Luft aus und warf den Hörer auf die Gabel. Ausgerechnet Myriam Price!
Sie schob beide Hände in die Taschen ihres weißen, flauschigen Bademantels. Es gab niemanden in ihrer Umgebung, der James nicht verehrte oder bewunderte. James’ Charme war ein Markenzeichen seiner Persönlichkeit. Kein Mensch vermochte sich darin mit ihm zu messen.
War er schon tot?
Linda merkte, wie trotz der Wärme ein Frösteln über ihre Haut kroch. Sie schüttelte sie ab wie ein lästiges Insekt. Hatte Enrico Czarwatzki anzurufen versucht, während Myriam Price mit ihrem Gespräch den Apparat blockiert hatte?
Linda Sherwood machte kehrt und schlenderte zurück an den Swimmingpool. Plötzlich lachte sie halblaut. Ich sollte Myriam diesen Enrico Czarwatzki empfehlen, dachte sie. Er könnte eine Menge für die aufgebrachte Myriam tun.
Linda ließ den Bademantel zu Boden gleiten. Sie wusste, dass nur der Butler im Haus war. Howard konnte mit seiner dicken Brille nicht weiter als fünf Yards sehen. Sie brauchte sich im Garten also keine Zurückhaltung aufzuerlegen. Fast bedauerte sie es, dass in diesem Moment kein Mann in der Nähe war und ihre aufreizende Ebenmäßigkeit bewunderte.
Sie legte sich auf die Matratze und nahm einen Schluck aus dem Glas. Elf Uhr fünfundfünfzig. Fünf Minuten vor zwölf. Sollte diese alberne Phrase auch für ihr Leben eine besondere Bedeutung erhalten?
Sie griff hinter sich und zog ein Frottiertuch über ihr Gesäß, als sie Schritte hörte. Was wollte Howard von ihr? Es war nicht seine Art, sie hier draußen zu stören. Er wusste, dass sie gerne nackt am Bassin lag, und respektierte dieses Steckenpferd seiner Herrin.
Linda Sherwood drehte den Kopf zur Seite, als die Schritte neben ihr stoppten.
»Hallo«, sagte der Mann.
Linda starrte ihm sprachlos in die Augen.
Sie sah den Besucher zum ersten Mal. Er war nicht älter als dreißig und glich in Kleidung und Auftreten einem Mann ihrer Gesellschaftsschicht. Optisch war er ein Typ, den sie mochte: dunkelhaarig und muskulös, mit einem vielleicht zu selbstgefälligen, spöttischen Lächeln, das klarmachte, wie sehr er sich seiner Wirkung bewusst war.
Er hatte dunkle Augen unter buschigen Brauen, ein schmales, tiefbraun getöntes Gesicht, ein markantes, sehr männliches Kinn und einen vollen Mund, von dem man nicht auf Anhieb sagen konnte, ob er lebenslustig oder grausam war oder vielleicht beides zusammen.
»Hallo«, wiederholte er und schob eine Hand in sein großkariertes Glencheck-Sakko.
Linda war sich ihrer Nacktheit bewusst, aber sie litt nicht darunter. Im Gegenteil. In ihrem Wesen lag eine Portion Exhibitionismus, dem sie schon deshalb gerne frönte, weil es so erregend war, Männer damit zu verwirren.
Das spöttische Lächeln des Mannes ließ freilich vermuten, dass Konfrontationen mit weiblichen Reizen zu seinen täglichen Erfahrungen gehörten. Er schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Linda Sherwood wurde von plötzlichem Ärger überschwemmt. Was bildete sich dieser hergelaufene Bursche überhaupt ein? Woher nahm er den Mut, unangemeldet im Garten aufzutauchen?
»Wer sind Sie?«, fuhr sie ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust.
Er schaute sich kurz um und zog sich dann einen Stuhl heran, der nur wenige Schritte von ihm entfernt stand. Er setzte sich ungefragt und legte ein Bein leger über das andere. Linda bemerkte, dass er teure handgearbeitete Schuhe trug. Seine Wollsocken waren farblich auf das Karo seines Sportsakkos abgestimmt.
»Sie sind sehr schön«, sagte er lächelnd.
Seine dunkle, angenehme Stimme hatte die Gabe, Banalitäten aufzuwerten und mit Leben zu erfüllen. Lindas Zorn fiel in sich zusammen, aber sie war nicht gewillt, sich von diesem Schönling verschaukeln zu lassen.
»Ihren Namen!«, forderte sie.
»Nennen Sie mich Lester«, schlug er vor, ohne auch nur eine Sekunde sein selbstgefälliges, spöttisches Lächeln oder seine Haltung zu verlieren.
»Stehen Sie auf und drehen Sie sich um«, verlangte Linda. Er gehorchte. Sie erhob sich und schlüpfte in ihren Bademantel. Als sie ihn verknotet und aus der Tasche ein Päckchen Zigaretten geholt hatte, sagte sie: »Es ist okay.«
Er schwang sich herum und stand auf, um ihr Feuer zu geben, als sie sich eine Zigarette zwischen die Lippen schob. Linda schien es so, als legte er es darauf an, ihr dabei besonders nahezukommen. Sie inhalierte tief und stieß ihm dann den Rauch ins Gesicht.
»Lester – und wie noch?«, fragte sie. Das Spiel fing an, sie zu erheitern. Der Mann war der richtige Typ für einen Flirt. Ob er auch nur ahnte, dass sie vielleicht gerade in diesem Moment zur Witwe wurde?
»Brown«, antwortete er grinsend.
»Wie enttäuschend!«, meinte sie. »Lester Brown ist ein bekannter Name, ein Tanzorchester von Ruf«, erinnerte sie. »Aber das sind Sie nicht, oder?«
»Nein, nein«, erwiderte er und setzte sich wieder. Der Knoten seiner Pop-Krawatte war locker und nachlässig geschlungen. Die Kragenenden seines gelbseidenen Oberhemds waren übermäßig lang. »Das bin ich nicht. Aber ich liebe bestimmte Rhythmen. Und ich verkaufe sie.«
»Wovon reden Sie überhaupt?«, fragte Linda ihn irritiert.
»Vom Tod«, erwiderte er lächelnd. »Ich bin ein Manager des Todes.«
Linda Sherwood starrte ihm in die Augen. »Ein Manager des Todes?«, echote sie. Es erschien ihr seltsam, unwirklich und erschreckend, dass der Fremde in diesem Augenblick davon sprach.
War doch etwas schiefgegangen?
Hatte Enrico Czarwatzki versagt oder gesungen? Gab es in dieser Stunde statt der erhofften und erwarteten Todesmeldung einen raffinierten Erpressungsversuch?
Linda schaute sich nach einem zweiten Stuhl um. Es war keiner in der Nähe.
Lester Brown deutete ihre Hilflosigkeit richtig. Er sprang auf und schob ihr seinen Stuhl zurecht. »Bitte, Madame«, sagte er höflich.
Linda Sherwood nahm Platz. Sie zog ihren Bademantel zurecht, mechanisch, während sie Mühe hatte, das Klopfen ihres Herzens und ihre wachsende Erregung zu meistern.
»Rhythmus und Tod, was hat das miteinander zu tun?«, wollte sie wissen.
»Man spricht so gerne vom Lebensrhythmus«, erwiderte er mit seiner dunklen, klangvollen Stimme, »aber es gibt Leben, die erst dann ihren richtigen Rhythmus finden, wenn ein Todesfall eintritt … Der Tod eines anderen, versteht sich.«
Lindas Mund wurde pulvertrocken. Sie war auf einmal felsenfest davon überzeugt, dass der Besucher sie zu erpressen wünschte. Seine Worte waren unzweideutig. Vermutlich arbeitete er mit Enrico Czarwatzki Hand in Hand!
»Ich … ich verstehe Sie nicht«, meinte sie halblaut.
Sie verspürte den brennenden Wunsch nach einem Schluck aus ihrem Glas, aber sie hatte Angst, sich danach zu bücken. Sie wollte sich nicht durch das Zittern ihrer Hand verraten.
Sie musste Zeit gewinnen! Wenn Czarwatzki mithilfe dieses Lester Brown versucht haben sollte, ohne die Ermordung von James an ihr Geld heranzukommen, würde es ein böses Erwachen für ihn geben! Sie besaß kein eigenes Vermögen. Sie war eine arme Ehefrau, aber wenn alles klappte, würde sie eine reiche Witwe sein.
»Ihre Ehe ist unglücklich«, sagte der Mann. Er lächelte dabei in seiner gleich bleibend selbstsicheren Weise auf sie herab.
»Wie können Sie so etwas behaupten?«, fragte sie ihn erregt.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich beobachte Sie seit acht Wochen«, antwortete er gelassen. »Sie hassen Ihren Mann. Kürzlich haben Sie ihn mit einem Kellner betrogen.«
Linda wusste nicht, ob sie erschrocken oder erleichtert sein sollte. Jetzt hatte Lester Brown die Katze aus dem Sack gelassen. Damit wollte er sie also erpressen? Linda Sherwood lächelte breit. Ihre Sicherheit kehrte zurück. Fast tat ihr der schöne Erpresser leid! Was nützte ihm sein Vorhaben, wenn James Sherwood, den er für seine Drohungen benötigte, in diesem Moment schon tot war?
»Ich verstehe«, sagte Linda. »Sie wollen Geld. Wenn ich es Ihnen nicht zahle, werden Sie meinen Mann informieren.«
»Ich will Geld, stimmt«, er nickte, »aber ich will Ihren Mann nicht informieren, sondern töten.«
Linda Sherwood fragte sich, ob sie wachte oder träumte. Sie hatte James’ Tod lange und sorgfältig vorbereitet. In all diesen Monaten wachsamer Behutsamkeit hatte sie es vermieden, die Dinge beim richtigen Namen zu nennen …Und nun kam dieser Fremde des Weges und redete darüber, als handelte es sich um ein schlichtes Picknick!
»Sie sind verrückt«, murmelte sie schwer atmend. »Einfach verrückt. Es gibt keine andere Erklärung dafür.«
»Doch«, widersprach er und wippte federnd auf seinen Sohlen. »Die gibt es. Unser Team spezialisiert sich auf reiche Frauen, von denen wir aus diesem oder jenem Grund annehmen dürfen, dass sie gerne lustige Witwen sein möchten. Natürlich verfahren wir ebenso oft auch umgekehrt. Wenn es verlangt wird, befreien wir Männer von ihren Frauen. Wir beobachten unsere potenziellen Kunden und vergewissern uns, dass wir mit unseren Vermutungen richtigliegen, und dann unterbreiten wir dem oder der Betreffenden ein konkretes Angebot.«
»Sie sind ein Team?«, murmelte Linda Sherwood.
Sie fühlte sich schwindlig. Ein volles Jahr hatte sie nach einem Killer Ausschau gehalten, und nun stellte sich heraus, dass es eine Organisation gab, die auf diese Dinge spezialisiert war. Welch ein makabrer und absurder Zufall, dass ein Vertreter dieser Organisation sie ausgerechnet heute aufsuchte!
»Ja, wir sind ein Team«, bestätigte Brown kopfnickend. »Es arbeitet fehlerlos. Ganz im Ernst!« Er schaute sie an. »Ich weiß, dass Sie jetzt schockiert tun müssen, aber ich weiß auch, dass das nur gespielt ist. Sie würden viel darum geben, wenn Sie Ihren ungeliebten Mann loswürden. Wir arrangieren das für Sie. Unsere Forderungen sind, gemessen an Ihrem Gewinn, recht bescheiden. Wir erwarten nicht mal einen Vorschuss – aber ein Erfolgshonorar in Höhe von zwanzig Prozent der Erbschaft.«
»Zwanzig Prozent?«, hauchte Linda Sherwood.
Sie ärgerte sich über die Äußerung. Sie hörte sich an, als würde sie den Vorschlag in Erwägung ziehen. Fantastisch, was dieser Bursche und seine Hintermänner von ihr erwarteten – rund acht Millionen Dollar! Ob es dieses Team wirklich gab?
Lester Brown schien ihre Gedanken zu erraten. »Wir arbeiten seit Jahren mit wachsendem Erfolg. Viele prominente trauernde Witwen verdanken ihr neues besseres Leben unserer Organisation.«
»Wenn Sie nicht sofort verschwinden, rufe ich die Polizei«, sagte Linda scharf.
»Wir sind es gewohnt, dass man uns erst einmal hinauswirft«, meinte er. »Es gibt keine sofortigen Abschlüsse oder Kontakte. Aber wir pflegen wiederzukommen, und die Erfahrung zeigt, dass wir in sieben von zehn Fällen unser Ziel erreichen.«
»Das … das glaube ich nicht!«, murmelte Linda Sherwood. »Es würde bedeuten, dass die Spitze unserer Gesellschaft faul und verdorben, brutal und skrupellos, ichsüchtig und mitleidlos ist.«
Er lächelte ihr in die Augen. »Sie haben es erfasst. So ist sie. Oder sind Sie anders?«
»Gehen Sie!«, schrie sie ihm ins Gesicht.
»Wir sehen uns wieder«, meinte er und ging davon.
Sie blickte ihm hinterher. Ihre Erregung verklang. Am liebsten hätte sie ihn ausgelacht. Ich brauche euch nicht, ihr Narren! Ich kriege meine Erbschaft billiger. Zwanzig Prozent? Das ist einfach lächerlich! Ich zahle dafür nur einen Bruchteil eurer Forderungen, ein Trinkgeld!
Das Telefon läutete.
Der Mann blieb mitten auf dem Rasen stehen und blickte über seine Schulter. Linda Sherwood gab sich einen Ruck. Sie hielt sich mit der Linken den Bademantel zu, als sie sich der Terrasse näherte. In ihrer Rechten hielt sie die brennende Zigarette. Sie nahm einen tiefen Zug, ehe sie nach dem Hörer griff und sich meldete.
»Sherwood.«
Sie hörte das Atmen des Teilnehmers. »Mrs. Linda Sherwood?«, fragte eine knarrende Männerstimme.
»Am Apparat«, sagte sie ungeduldig.
Das ist es!, schoss es ihr durch den Sinn. Das ist der Anruf, den ich erwarte.
»Sergeant McKelly vom dreiundvierzigsten Revier«, fuhr der Anrufer fort. Er sprach schleppend, als kostete es ihm unsägliche Mühe, einige Worte miteinander zu verbinden. »Ich … ich habe die betrübliche Aufgabe, Sie von einem Unfall Ihres Mannes in Kenntnis zu setzen.«
»Um Himmels willen!«, stieß Linda hervor und schnippte ihre Zigarette auf die Terrasse. »Ist er verletzt?«
Sie war mit ihrer Reaktion zufrieden. Es hätte nicht echter klingen können, wenn James ihr Geliebter gewesen wäre.
Räuspern. »Er ist tot, Madame.«
»Tot!«, hauchte sie.
»Die Unfallursache ist noch nicht zweifelsfrei geklärt«, meinte der Anrufer. Er sprach jetzt schnell, fast so, als müsste er den Rest seiner Aufgabe in Rekordzeit erledigen. »Wir müssen Sie bitten, sich im Leichenschauhaus einzufinden. Es ist wegen der Identifizierung. Vielleicht kann man Ihnen dort schon Näheres sagen.«
»Und Sie sind – mein Gott! –, Sie sind völlig sicher, dass der Tote mein Mann ist?«
»Er wurde einwandfrei als James L. Sherwood identifiziert, Madame«, antwortete der Anrufer. »Trotzdem benötigen wir Ihre Bestätigung.«
»Ich … ich komme«, murmelte Linda. Ihre Stimme klang gebrochen.
»Was ist passiert?«, fragte Brown.
Lindas Kopf flog herum. Sie hatte sein Herankommen nicht gehört. Er stand so dicht hinter ihr, dass sein warmer Atem ihr Gesicht streifte.
»Ihre Mission hat sich erledigt, Mister Brown«, erklärte sie bitter. »James ist tot. Er wurde das Opfer eines Verkehrsunfalls.«
»Ah«, meinte Lester Brown. »Ich gratuliere! Sie hören noch von mir.«
Linda blickte ihm hinterher. Er bog um die Ecke des weißen Bungalows, ohne noch einmal zurückzublicken. In der Art, wie sich Brown bewegte, lag keine Spur von Resignation. Linda Sherwood holte tief Luft und traf eine Entscheidung.
2
»Ich lasse Ihnen sofort einen starken Kaffee bringen, Madame«, sagte John D. High fürsorglich.
»Danke, es geht schon wieder«, erklärte Linda Sherwood kaum hörbar. Sie war buchstäblich im Besuchersessel des Chefbüros zusammengebrochen. »Es ist einfach zu viel für mich«, murmelte sie. »Dieser Besuch im Leichenschauhaus …« Sie führte den Satz nicht zu Ende.
Wir beobachteten, wie sie mit bebenden Händen ihre Handtasche öffnete. Mein Freund und Partner Phil Decker gab ihr Feuer, als sie eine Zigarette zwischen die Lippen schob. Das schwache Lächeln, mit dem sie sich dafür bei ihm bedankte, war nicht frei von werbender Koketterie.
John D. High, unser Chef, nahm der Frau gegenüber in seinem ledergepolsterten Drehsessel Platz. Phil und ich setzten uns an die Schmalseite seines Schreibtischs. Linda Sherwood inhalierte tief. Sie war sichtlich entschlossen, ihre Schwäche zu meistern und rasch zur Sache zu kommen.
»Es gibt wohl in jedem Leben Augenblicke, die die Grenzen zwischen Realität und Traum zu verwischen scheinen«, meinte sie. »Heute war für mich so ein Tag. Ein Fremder kam zu mir und bot mir an … Nun, er erklärte sich dazu bereit, meinen Mann zu töten. Das allein war schon grotesk genug, einfach monströs, aber einige Minuten später klingelte das Telefon, und ich erfuhr, dass James tot sei.«
Mr. Highs klare, scharfe Züge spiegelten weder Überraschung noch Anteilnahme. Er wirkte auf eine gelassene Weise interessiert und konzentriert. Fast schien es so, als nähme er die Worte der Frau nur als ein Nebenprodukt wahr und als fesselte ihn nur die Art, wie sie dargeboten wurden.
»Der Mann nannte sich Lester Brown«, fuhr Linda Sherwood fort. »Sicherlich ein erfundener Name. Er sah gut aus, sogar blendend. Er behauptete, mich beobachtet zu haben, schon seit Wochen, und er gab vor, zu wissen, dass meine Ehe nicht glücklich sei …«
»Hatte er damit recht?«, wollte Mr. High wissen.
»Nein«, widersprach Linda Sherwood. »James bot mir alles, was sich eine Frau nur wünschen kann. Er trug mich gleichsam auf Händen. Natürlich gab es gelegentliche Differenzen. Nichts Schwerwiegendes. Ich war glücklich mit ihm.«
»Weiter«, bat Mr. High. »Bleiben wir bei Brown. Trug er sein Angebot versteckt vor?«
»Im Gegenteil. Er fiel mit der Tür ins Haus. Er forderte für den geplanten Mord an meinem Mann zwanzig Prozent der Erbschaft. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er Mitglied eines Killerteams ist, das sich darauf spezialisiert, Menschen zu töten … Menschen, die anderen eine große Erbschaft hinterlassen.«
»War Brown über Ihre Vermögensverhältnisse orientiert?«, fragte Mr. High.
»Wahrscheinlich. Allerdings nannte er keine Zahlen außer dieser absurden Zwanzig-Prozent-Forderung. Er ging, als er erfuhr, dass James tödlich verunglückt war, aber er sagte, dass er wiederkommen werde. Warum? Ich habe keine Ahnung. Jedenfalls entschloss ich mich sofort, mit Ihnen zu sprechen. Ich möchte nicht in den Verdacht geraten, an James’ Tod mitschuldig zu sein. Soviel man mir mitteilte, lässt der Unfall erkennen, dass … nun, dass einiges daran nicht stimmt.«
»Mord?«, fragte Mr. High.
Linda Sherwood zuckte zusammen. »Um Himmels willen, nein«, hauchte sie. »Das halte ich für ausgeschlossen. Ich will damit sagen, dass ich es mir nicht vorstellen kann. Ich wüsste kein Tatmotiv. Aber ich weiß jetzt, dass es so etwas gibt. Dieser Lester Brown …«
Wieder führte sie den Satz nicht zu Ende. Sie wirkte blass, erschöpft und verwirrt. Trotzdem schaffte sie es seltsamerweise nicht, unser Mitleid zu wecken. Es war schwer zu sagen, woran das lag.
Vielleicht spürten wir, dass sie einfach zu jung, zu schön und zu vital war, um ernsthaft trauern zu können. Sie hatte schulterlanges, blondes Haar und graugrüne Augen von aufregendem Schnitt. Ihr voller, weicher Mund vermochte sich noch kindlich-naiv zu geben, aber der schlanke, ausgezeichnet proportionierte Körper offenbarte nichts von diesen Eigenschaften. Er verriet das Vollblutweib.
»Dieser Lester Brown?«, erinnerte sie John D. High.
Linda Sherwood blickte Mr. High in die Augen. »Was ist das nur für ein Mensch?«, wollte sie wissen. »Er sprach über Mord, als handelte es sich um ein Gespräch über das Wetter! Was mich schockierte, war seine Sicherheit. Er muss davon überzeugt gewesen sein, dass ich für seinen Plan zu gewinnen war …« Sie hob die Schulter und schüttelte sich. »Das ist es, was ich nicht begreife. Es wirft mich um! Dieser Brown glaubte im Ernst, mich zu seiner Komplizin machen zu können.«
»Ich vermute, Sie haben ihm deutlich gesagt, was Sie von seinem Angebot halten?«, fragte Mr. High höflich.