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Sammelband 8: Drei actiongeladene Fälle und über 250 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!
Die Jerry Cotton Sonder-Edition ist der echte Klassiker. Sie bietet dem Leser die Romane aus der Frühzeit der Serie und schickt ihn auf Zeitreise in die frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
In diesem Sammelband sind 3 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
22: Das Mörder-Spiel
23: Der eiskalte Tod
24: Letzter Ausweg: Mord
Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
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Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2018
Jerry Cotton
Jerry Cotton Sonder-Edition Sammelband 8 - Krimi-Serie
Cover
Impressum
Das Mörder-Spiel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Vorschau
Das Mörder-Spiel
1963 startete der Bastei Verlag die Jerry Cotton Taschenbücher in Ergänzung zu der Heftromanserie, die zu diesem Zeitpunkt schon in der zweiten Auflage war.
Damals fragte der Klappentext der Taschenbücher noch: Wer ist G-man Jerry Cotton? Und gab auch gleich die Antwort:
»Er ist ein breitschultriger, gutaussehender FBI-Beamter, der sein Leben dem Kampf gegen Gangster gewidmet hat. Durch seinen Mut und seine Entschlossenheit hat er die Herzen von Millionen Lesern in mehr als 40 Ländern erobert.«
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer Ausgabe.
Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen 60er Jahre bis in das neue Jahrtausend.
1
Ich war noch keine zehn Minuten im FBI-Gebäude, als mich mein Chef, Mr High, zu sich rief.
Als ich sein Büro betrat, sah ich, dass er Besuch hatte. Es war Lieutenant Fulham von der City Police.
»Hallo, Shorty«, sagte ich, denn Fulham ist nicht allzu groß gewachsen.
»Hallo, Jerry!« Seine Miene blieb so sauer, als habe er in eine Zitrone gebissen.
Mit einem Blick über Mr Highs Schreibtisch stellte ich fest, dass er die Zeitungen vor sich liegen hatte. Anscheinend hatte sich Mr High mit dem Artikel über den Mord an Mary Willard beschäftigt, den ich auch schon gelesen hatte.
»Haben Sie schon die Blätter gelesen, Jerry?«, fragte Mr High.
Ich nickte. »Nicht unser Bier, glaube ich.«
Mr High runzelte die Stirn und meinte: »Am besten, Lieutenant, Sie erzählen Jerry das, was Sie mir bereits auseinander gesetzt haben.«
»Okay, Sir.« Lieutenant Fulham wandte sich an mich.
»Sie haben natürlich recht, Jerry. Wenn der Mord an Mary Willard ein Fall wie jeder andere wäre, hätte ich mir den Weg zum FBI gespart. Aber ich habe einen merkwürdigen Verdacht.«
»Schießen Sie los, Shorty!«
»Sie haben vom Killer gehört?«
»Und ob«, sagte ich. »Der Mann, den die Reporter den Killer nennen, hat in den letzten sechs Wochen in Chicago vier Menschen umgebracht. In einem fünften Fall hat man ihn auch im Verdacht.«
Fulham nickte. »Der Kollege, der die Sache in Chicago bearbeitet«, erklärte er, »ist ein alter Freund von mir. Wir haben ein paar Mal wegen der Fälle telefoniert, und ich habe alles darüber verfolgt, was ich erfahren konnte. Ich hatte so ein komisches Gefühl dabei. Jedenfalls – um es kurz zu machen –, die Ermordung von Mary Willard gleicht den anderen Verbrechen des Killers.«
Ich stieß einen Pfiff aus. »Sie meinen also, dass ihm der Boden in Chicago zu heiß geworden ist und dass er deshalb nach New York gekommen ist?«
»So ungefähr. Den wahren Grund werden wir erst erfahren, wenn wir den Killer geschnappt haben. Aber wenn es stimmen sollte, dass der Mörder von Mary Willard derselbe ist wie der Killer von Chicago, dann …«
Ich nahm ihm den Satz ab: »… dann fällt die Sache in die Zuständigkeit des FBI.«
Lieutenant Fulham fuhr fort. »Mein Freund in Chicago hat mir mitgeteilt, dass die zweite Erdrosselung nur ein Notbehelf war. Der Killer hatte bereits alle Vorbereitungen für einen Sprengstoffanschlag getroffen. Aber er wurde überrascht, und in dieser Situation erwürgte er sein Opfer.«
»Ein ausgekochter Bursche«, sagte ich grimmig.
»Der richtige Fall für Sie, Jerry«, meinte Mr High ermunternd.
»Danke für die Blumen«, murmelte ich und fügte hinzu: »Ich werde jedenfalls alles tun, um dem Killer die Suppe zu versalzen.«
»Stellen Sie sich das nicht zu leicht vor, Jerry«, warnte Lieutenant Fulham.
»Wetten, Shorty«, sagte ich, »dass keine zwei Wochen vergehen, bis ich den Killer gefunden habe?«
»Ich gebe Ihnen sogar noch eine Woche zu, Jerry«, grinste Fulham. »Wenn Sie in drei Wochen den Killer überführt haben, gebe ich drei Flaschen Whisky für Sie aus.«
»Ich halte die Wette«, sagte ich. »Und für jeden Tag, den ich länger brauche, bekomme Sie eine Flasche mehr.«
»Gentlemen«, sagte Mr High nachsichtig. »Sie sind im Dienst.«
***
Ray Conolly war genau das, was man einen Playboy nennt. Er hatte von seinem Vater eine Fabrik geerbt, in der Zahnpasta und Mundwasser hergestellt wurden und die dank eines cleveren Geschäftsführers wie am Schnürchen lief.
Es gab keinen ausgefallenen und kostspieligen Zeitvertreib, an dem Ray nicht teilnahm. Die Girls umschwärmten ihn wie die Bienen die Blüten.
Aber an diesem Morgen wollte Ray das Frühstück nicht schmecken. Das lag daran, dass unter seiner Post ein Brief war, der keinen Absender trug, dessen Inhalt jedoch Dynamit war.
Ohne jede Anrede hieß es da: Wenn Sie nicht wollen, dass die Polizei etwas von der Van Burend Street erfährt, halten Sie 50.000 Dollar bereit! Sie erfahren telefonisch, wo Sie das Geld deponieren müssen.
Die Unterschrift des Briefes war lächerlich, sie lautete: Das unbestechliche Auge.
Ray Conolly war stocksauer und verwünschte, dass er sich je auf dieses Abenteuer eingelassen hatte.
Zwar waren 50.000 Bucks kein nennenswerter Betrag für ihn. Aber dass da einer von einem Geheimnis wusste, das er verborgen glaubte, trieb ihm den Angstschweiß auf die Stirn. Wenn die Polizei Wind davon bekam, dann war er geliefert!
Und dass diese 50.000 Bucks, die er ausspucken sollte, möglicherweise nur der Anfang einer anhaltenden Erpressung war, hielt er für möglich.
Nervös drehte er die Wählscheibe seines weißen Telefons. Die Auskunft, die er nach ein paar Minuten bekommen hatte, setzte ihn schnell in Trab. Er holte seinen Cadillac aus der Garage und ließ sich in den Verkehrsstrom von Chicago gleiten. Eine halbe Stunde später saß er im Büro von Sydney Wells, dem Inhaber einer Privatdetektei.
»Was ich Ihnen zu sagen habe, muss unter uns bleiben«, erklärte Ray dem dürren Wells, dessen Gesicht an den Kopf eines hungrigen Geiers erinnerte. Der Detektiv hatte nichts dagegen.
»Diskretion versteht sich.«
»Well- auch meinen Namen brauchen Sie nicht zu wissen.«
»Wie Sie wollen, Mister Conolly«, sagte das Geiergesicht.
Ray starrte den Detektiv an. »Sie kennen mich?«
»Ihr Bild ist etwas zu oft in den Zeitungen zu finden«, meinte Wells bescheiden.
»Schön. Da ist also nichts zu machen. Hören Sie zu! Ich soll erpresst werden.«
»Von wem?«. wollte der Detektiv wissen.
»Wenn ich das wüsste. Ist Ihnen Das unbestechliche Auge ein Begriff?«
Bedauernd zuckte der Detektiv mit den Schultern.
»So nennt sich der Kerl in seinem Brief jedenfalls.«
»Kann ich mal sehen?«
»Tut mir leid«, wehrte Ray Conolly ab. »Ich erzähle Ihnen, worum es geht.«
»Warum gehen Sie eigentlich nicht zur Polizei, Mister Conolly?«
»Reden Sie keinen Unsinn, Wells!«, blaffte der Playboy. »Könnte mich jemand erpressen, wenn er nicht etwas wüsste, was nicht gerade an die große Glocke kommen soll? Merken Sie sich das eine: Die Polizei darf nichts erfahren, gar nichts. Dafür zahle ich gut.«
»Und was ist das für ein Geheimnis?« Das Geiergesicht legte seine Züge in die freundlichsten Falten, die ihm zu Gebote standen.
Aber Conolly dachte nicht daran, den Kreis der Wissenden zu vergrößern. »Das ist alles nebensächlich, Wells, verstehen Sie! Jemand schreibt mir, dass er 50.000 Dollar von mir haben will. Er deutet an, dass er etwas von mir weiß, das eigentlich top secret ist und das mich ruinieren würde, wenn … Sie verstehen? Und er kündigt an, dass er mich anrufen wird, um mir mitzuteilen, wie ich das Geld loswerden kann. Kapiert?«
»Das ist nicht schwer, Mister Conolly«, sagte Wells würdevoll.
»Okay. Sie oder Ihr bester Mann müssen mich bewachen und feststellen, wer sich hinter diesem unbestechlichen Auge verbirgt. Das ist alles, was ich von Ihnen verlange.«
Wells öffnete seinen verkniffenen Mund. »Das ist gerade genug, Sir. Es wäre einfacher, wenn wir wüssten, worum …«
»Schluss«, fiel Conolly ihm ins Wort. »Sie wissen, was ich von Ihnen will. Entweder Sie übernehmen den Auftrag, oder …« Er zog sein Scheckbuch und blickte Wells fragend an. »Welchen Vorschuss muss ich Ihnen anweisen?«
Wells machte die Sache spannend. »Eigentlich«, orakelte er, »nehme ich nur Aufträge an, in denen mir nicht auch der Kunde noch Rätsel aufgibt. Aber da Sie anscheinend zwingende Gründe haben …«
»Wie viel?«, fragte Conolly ungeduldig.
»Tausend«, antwortete der Privatdetektiv und ärgerte sich sofort, dass er nicht die doppelte Summe verlangt hatte.
»Sie sind nicht billig, Wells«, stellte Conolly fest, während er den Scheck ausfüllte.
»Dafür werde ich die Sache selbst in die Hand nehmen.«
»Das will ich stark hoffen«, bemerkte der Playboy, »und zwar sofort. Es geht für mich um …«
»Leben oder Tod«, ergänzte Wells schlagfertig.
»Ach was«, widersprach Conolly, aber sein Gesicht war bleich geworden. »Zuerst einmal um 50.000 Bucks. Und dann um das, was der verdammte Erpresser weiß. Nehmen Sie die Sache nicht zu leicht! Ich verlasse mich auf Sie. Und ich werde nicht kleinlich sein, wenn Sie dem Burschen das Handwerk gelegt haben!«
Das hoffte Sydney Wells auch. Er rieb sich zufrieden die Hände, nachdem er Conolly verabschiedet hatte.
2
Seit mich Mr High auf die Spur des Killers gesetzt hatte, war ich 48 Stunden nicht aus den Schuhen gekommen und hatte doch keine brauchbare Spur gefunden. Ich kam zu der Überzeugung, dass die Lösung des Falls in Chicago liegen musste.
Drei Stunden später saß ich in der Maschine nach Chicago. Während die Stewardess die Passagiere mit Kaffee versorgte, blickte ich von den Akten auf, die ich mir mitgenommen hatte.
Soviel stand für mich schon fest: Der Killer musste ein Mann sein, der so durchschnittlich und normal aussah, dass er niemandem auffiel.
In Chicago nahm ich mir ein Taxi und fuhr sofort zu Lieutenant Thompson, der die Mordfälle bearbeitete. Fulham hatte ihn über mein Kommen verständigt.
»Ich bin gespannt, Agent«, sagte Thompson, als wir uns in seinem Büro gegenüberstanden, »ob ihr vom FBI mehr findet als wir. Manchmal bin ich ganz schön sauer gewesen, wenn ich einen Fall an den FBI abgeben musste. Aber diesmal bin ich für jede Unterstützung dankbar.«
»Fair von Ihnen, Lieutenant, dass Sie das sagen. Ohne Ihre Hilfe wäre ich aufgeschmissen.«
Er nickte zufrieden. »Sie werden von mir über jeden Fall alles erfahren, was Sie wissen müssen. Hier – das sind die Akten.« Er zeigte auf einen beachtlichen Papierberg, der seinen Schreibtisch zierte.
»Nicht wahr?«, sagte ich ironisch. »Das ist ja eine abendfüllende Lektüre.«
»Ich stelle Ihnen mein Büro zur Verfügung, Agent«, erklärte Thompson. »Sie können hier zu jeder Tages- und Nachtzeit arbeiten. Aber sicher werden Sie erst einmal in Ihr Hotelzimmer wollen.«
»Kommt nicht in Frage«, erwiderte ich. »Ich bleibe gleich hier. Wenn Sie mich mit ein paar Sandwiches und einer Flasche Whisky versorgen, bin ich wunschlos glücklich.«
Thompson gab seiner Sekretärin die nötigen Ausweisungen; ich zog mein Sakko aus und rückte mir den Papierstapel näher.
»Halt«, sagte ich dann. »Bevor ich die gesammelten Werke der Polizei von Chicago lese, geben Sie mir erst zu jedem Fall ein paar Stichworte!«
»Okay«, erklärte Thompson, »nichts leichter als das!«
»Fall eins: Mike Gordon, Anfang sechzig. Liegt genau sechs Wochen zurück. Der Mann war Toilettenwärter in einem Hotel. Begab sich vom Spätdienst gegen zwei Uhr nachts in seine Wohnung. Wurde im Treppenhaus erwürgt aufgefunden. Sah erst nach einem Unfall aus, aber unser Doktor entdeckte die Würgemale am Hals. Keine Spuren zu entdecken.«
»Fall zwei: Demetrios Kolona, Mitte fünfzig, verheiratet. Grieche. Lebte seit zehn Jahren in Chicago. Angestellter bei einem Buchmacher. Wurde nachts auf dem Heimweg von seiner Stammkneipe in einer Nebenstraße erstochen.«
»Mordwaffe vorhanden?«
»Nein, Agent. Der Killer nahm sie mit. Der Verdacht fiel zuerst auf einen Kollegen, mit dem Kolona häufig Streit hatte. Aber der Mann hatte ein einwandfreies Alibi.«
»Dann also Fall drei, Lieutenant«, bat ich.
Thompson holte tief Luft. »Das war eine Frau. Estelle Warner. Seit ein paar Jahren geschieden. Verkäuferin in einem Warenhaus. Mitte Dreißig. Der Killer zertrümmerte ihr mit einem Kaminhaken den Schädel. Es muss geschehen sein, als sie gerade die Wohnung betreten hatte. Der Mörder erwartete sie und schlug von hinten auf sie ein. Den Kaminhaken ließ er zurück – sonst keine Spuren.«
»Was ließ Sie jetzt daran denken, dass diese drei Morde auf den gleichen Täter zurückgingen?«
»Alle drei Taten ließen, so sehr wir auch suchten, kein anderes Motiv erkennen als das: Mord um des Mordens willen.«
»Kann es nicht sein, dass doch ein Motiv dahintersteckt, das nur noch nicht erkennbar ist?«
Thompson legte seine Stirn in Falten. »Was sollte es sein? Welche Vorteile hat der Killer dadurch gewonnen, dass er Gordon, Kolona, Mrs Warner und Lawrence tötete – von Ihrem Fall in New York abgesehen?«
»Bleiben wir bei den Fällen. Was war mit Lawrence?«
»Tja, Lawrence. Das war eigentlich der interessanteste Fall. Der Mann war Busfahrer, wie überhaupt alle Opfer des Killers ganz herkömmliche, durchschnittliche Berufe hatten. Er wohnte in einem Vorort von Chicago, und zwar allein in einem bescheidenen hölzernen Bungalow. Es begann damit, dass die Nachbarn durch eine Explosion, die den Bungalow zu einem Trümmerhaufen machte, erschreckt wurden. Lawrence wurde unter den Trümmern gefunden – tot. Aber nicht etwa als Folge der Explosion, sondern er war vorher erwürgt worden.«
»Was stellten Sie im Einzelnen fest?«
»Lawrence war nach Dienstende gegen Mitternacht nach Hause gekommen. Er hatte sich den Magen verdorben und daher zwei Stunden eher Schluss gemacht. Demgemäß kam er zwei Stunden zu früh. Der Killer hatte offenbar beabsichtigt, Lawrence mit einer Höllenmaschine hochgehen zu lassen. Der Killer stürzte sich auf Lawrence und erdrosselte ihn.«
»Wie erklären Sie sich, dass er die Höllenmaschine trotzdem noch in Gang setzte?«
»Dafür gab es nur Vermutungen. Entweder wollte er den Abbau seiner Apparatur aus Furcht vor Entdeckung vermeiden. Oder er war so in seine Idee verliebt, dass er sich einen solchen Knalleffekt nicht entgehen lassen wollte. Vielleicht hoffte er auch, den Mord durch die Explosion zu verschleiern. Das könnte ihm vielleicht ein Alibi geben. Aber das sind nur Vermutungen.«
»Fulham sprach noch von einem fünften Fall, bei dem Sie nicht sicher sind, ob er auf das Konto des Killers kommt.«
»Richtig. Er unterscheidet sich von den anderen dadurch, dass das Opfer ein Gangster war. Larry Smith hieß der Knabe. Er wurde im Hafengebiet erschossen aufgefunden. Tatwaffe aller Wahrscheinlichkeit nach ein Browning. Wir hätten gar nicht an eine Verbindung mit den Morden des Killers gedacht, wenn es nicht einen merkwürdigen Zufall dabei gäbe.«
»Da bin ich gespannt. Schießen Sie los, Lieutenant!«
»Smith galt unter den Gangstern als Experte für Höllenmaschinen und andere Spielereien mit Sprengstoff. Sein Tod erfolgte vier Tage nach dem Mord an Lawrence. Es ist natürlich möglich, dass Smith einer der üblichen Meinungsverschiedenheiten unter Gangstern zum Opfer fiel. Aber ebenso ist es denkbar, dass er mit dem Killer in Kontakt kam und dieser einen unbequemen Mitwisser, der ihm vielleicht Daumenschrauben setzen wollte, beseitigte.«
»Es wäre jedenfalls ein merkwürdiger Zufall, wenn Smith gerade vier Tage nach Lawrence daran glauben musste.«
»Richtig. Aber wir haben uns gehütet, diese Vermutung an die Presse zu geben. Uns langen vier ungeklärte Morde des Killers. Warum sollten wir uns wegen eines fünften, der nicht sicher einzuordnen war, die Presse auf den Hals laden? Die sind schon sauer genug, dass der Killer immer noch frei herumläuft.«
»Haben Sie schon an einen Zusammenhang zwischen der Ermordung von Larry Smith und dem New Yorker Auftauchen des Killers gedacht?«
Thompson starrte mich an. »Nein. Wieso, Agent?«
»Solche Einzelgänger, wie der Killer vermutlich einer ist, werden von den Gangs nicht gern gesehen. Wenn nun der Killer mit Smith sogar einen aus ihrer Zunft umgebracht hat, sind bestimmt sämtliche organisierten Gangster gegen ihn. Der Killer muss plötzlich nicht nur die Polizei fürchten, sondern auch noch die ganze Verbrecherwelt, mit der er doch wohl oder übel einmal in Kontakt gerät. Was tut er also? Er verlässt die bisherige Stätte seines Wirkens und geht nach New York.«
»Verdammt, Agent«, Thompson schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. »Ich glaube, Sie haben recht.«
»Aber da der Killer das Töten genauso wenig lassen kann wie die Katze das Mausen, setzt er seine Mordserie nun in New York fort. Vielleicht spekuliert er sogar darauf, dass er damit zunächst einmal etwas aus der Schusslinie ist.«
»Klar«, stimmte der Lieutenant zu, »das klingt logisch. Hat den Vorzug, dass wir den Kerl hier erst mal los sind.«
»Und noch einen anderen Vorzug.«
»Der wäre?«
»Dass wir vielleicht in der Unterwelt von Chicago, wenn wir es nur richtig anfangen, ein paar Hinweise bekommen. Sie haben doch bestimmt ein paar Burschen an der Hand, die Ihnen gelegentlich einen Tipp bringen?«
Während wir unser Vorgehen besprachen, läutete das Telefon. Thompson nahm den Hörer ab. »Ja«, sagte er, nachdem er sich gemeldet hatte, »ich werde ihn fragen.«
Er bedeckte die Sprechmuschel mit der Hand und blickte fragend zu mir herüber. »Das Hilton Hotel ist an der Strippe«, berichtete er. »Sie wollen wissen, ob Ihr Zimmer reserviert bleiben soll.«
Ich starrte ihn verblüfft an. »Hören Sie«, sagte ich, »ich habe kein Zimmer bestellt. Weder im Hilton noch in einem anderen Hotel. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich die Nacht durcharbeiten will.«
Thompson zog die Stirn in nachdenkliche Falten. »Vielleicht hat das FBI das Zimmer für Sie bestellt«, meinte er. Er nahm die Hand von der Muschel.
»Hören Sie«, fragte er, »wann ist das Zimmer für Mister Cotton bestellt worden und von wem?«
Während er auf die Antwort wartete, zerbrach ich mir den Kopf, wer da wohl für mich Quartier gemacht hätte. Gespannt blickte ich auf Thompson.
»Moment«, sagte er gerade, um mir dann zu berichten. »Der Anruf ist heute Nachmittag gekommen.«
Ich trat zu Thompson und nahm ihm den Hörer aus der Hand. »Hier Cotton«, sagte ich, »ich habe bei Ihnen kein Zimmer bestellt. Aber ich bin neugierig; wer mich bei Ihnen angekündigt hat.«
»Kann ich verstehen, Agent«, sagte die Stimme am anderen Ende, und ich merkte an der Anrede, dass mein unbekannter Zimmervermittler genau im Bilde war. »Aber der Anrufer hat nur gesagt, er sei ein Freund von Ihnen.«
»Freund ist mächtig übertrieben«, sagte ich. »Verfügen Sie ruhig über das Zimmer! Aber untersuchen Sie es vorher, ob nicht irgendwo eine Höllenmaschine eingebaut ist!«
Ich hörte gerade noch den erschrockenen Aufschrei des Hotelportiers, ehe ich auflegte.
Thompson blickte mich neugierig an.
»Wenn der Killer wirklich ein Einzelgänger ist«, sagte ich, »dann kann er Gedanken lesen, oder er ist Hellseher. Sonst hätte er nicht bereits ein Zimmer für mich reservieren lassen, als ich gerade in die Maschine nach Chicago stieg.«
3
Auch nach seinem Besuch bei dem Privatdetektiv fühlte sich Ray Conolly noch nicht recht wohl in seiner Haut. Aber der eiskalte Schrecken, den ihm der Brief eingeflößt hatte, war geschwunden.
Als er vom Lunch aufstand, überzeugte er sich durch einen Blick, dass Wells in seiner Nähe war. Das beruhigte den Playboy außerordentlich.
Er stattete zunächst einer seiner Freundinnen einen Besuch ab, spielte dann eine Partie Golf und fuhr in seine Wohnung. Vorher ging er noch zu seiner Bank, um die 50.000 Dollar abzuheben. Wells hatte ihm befohlen, sich so zu verhalten, als ginge er auf die Erpressung ein.
Da Conolly nicht kleinlich mit seinen Abhebungen war, erregte auch das kein besonderes Aufsehen beim Bankkassierer.
In seiner Wohnung verschloss der Playboy die Scheine in einem kleinen Safe und goss sich einen Gin ein, einen doppelten, versteht sich. Aber er hatte den Drink kaum heruntergekippt, als schon das Telefon ging.
»Da sind Sie ja, Conolly«, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung, nachdem er sich gemeldet hatte.
»Wer spricht da?«, fragte der Playboy.
»Das wissen Sie sehr gut«, war die Antwort. »Ich sage Ihnen jetzt, wie Sie die 50.000 Bucks loswerden.«
»Was wollen Sie überhaupt von mir?«, wehrte sich Conolly in einem letzten Aufbäumen gegen das Unvermeidliche.
»Machen Sie keine Geschichten, Ray! Und rechnen Sie nicht etwa auf Wells! Für Ihre Unverschämtheit müssten Sie eigentlich l0.000 mehr zahlen.«
»Was ist mit Wells?«, fragte Conolly atemlos.
»Er wird Ihnen nicht mehr helfen können – das genügt. Und jetzt hören Sie gut zu! Fahren Sie mit den 50.000 sofort in den Grant Park, und gehen Sie ins Natural History Museum! Sie müssen sich beeilen, denn es wird um fünf Uhr geschlossen. Stecken Sie das Geld im zweiten Saal bei der Halle der Steinzeit in das Ledersofa, das dort steht! Ich werde in der Nähe sein und Sie beobachten. Stellen Sie es vernünftig an, dass es nicht auffällt! Und hüten Sie sich, der Polizei einen Hinweis zu geben! Denken Sie an die Van Buren Street! Wenn etwas schief geht, sind Sie geliefert. Das wissen Sie. Noch eine Frage?«
Conolly begann zu begreifen, dass alles bitterer Ernst war und nicht ein Traum, aus dem er plötzlich erwachen würde.
***
Ich hatte die ganze Nacht die Akten über die Morde des Killers studiert und nach einem Anhaltspunkt gesucht, der Lieutenant Thompson vielleicht entgangen sein konnte. Aber ich war auch jetzt nicht viel klüger als zuvor.
Ich fühlte mich noch leidlich munter, als Lieutenant Thompson gegen neun wieder in seinem Büro auftauchte. Wir setzten uns in seinen Wagen und klapperten der Reihe nach die Orte ab, an denen der Killer zugeschlagen hatte.
Als wir damit durch waren, ohne dass sich irgendwelche neuen Aufschlüsse ergeben hätten, kam mir eine Idee.
»Macht es Ihnen etwas aus«, fragte ich Thompson, »wenn wir noch einen Umweg über den South Michigan Boulevard machen? Wir können im Hilton einen Kaffee trinken.«
Thompson hatte natürlich nichts dagegen.
Wir setzten uns in die Hotelhalle, und ich bestellte mir einen doppelten Mokka, um mich etwas aufzumöbeln.
Dann stand Thompson auf, um sein Büro anzurufen, und ich schlenderte zum Portier. Ich hatte Glück. Der Mann, mit dem ich gestern telefoniert hatte, war gerade wieder im Dienst.
»Hat jemand nach mir gefragt?«, wollte ich wissen.
Er starrte mich an. »Verzeihung, Sir, aber ich weiß nicht …«
»Jerry Cotton«, stellte ich mich vor. »Ich wollte mir gern einmal das Zimmer ansehen, das mir entgangen ist.«
»Sie sind das also, Agent«, staunte er. Dann warf er einen Blick in die Kartei. »Sie haben Glück, das Zimmer ist noch frei. Der nächste Gast trifft erst am späten Abend ein. Es ist Nr. 621.«
Er legte einen Schlüssel vor mich hin. Ich warf einen raschen Blick in die Runde. Niemand schien mich zu beobachten.
Ich stieg in den nächsten Lift. Er brachte mich ins 6. Stockwerk.
Ich fand mich an der Kreuzung mehrerer Gänge wieder, deren dicke Teppiche jeden Laut dämpften.
Ein Hinweisschild zeigte mir, dass Zimmer 621 rechts liegen musste. Ich gelangte zu dem Zimmer und blickte mich noch einmal um, bevor ich mit dem Schlüssel die Tür öffnete. Nichts Verdächtiges war zu bemerken.
Dann stand ich in dem Zimmer, das mir mein geheimnisvoller Gönner zugedacht hatte. Als ich auf das Bett blickte, konnte ich nach der durcharbeiteten Nacht ein Gähnen nicht unterdrücken.
Ich wusste, dass irgendein Geheimnis hinter dieser Zimmerbestellung stecken musste. Ich kam nur nicht dahinter, was es war.
Ich trat zum Fenster zu, schob den Vorhang beiseite und blickte hinaus. Gegenüber ragte eine breite und scheinbar endlose Front von Wänden mit Tausenden von Fenstern empor, wie es in Citystraßen üblich ist.
Mein Blick flog über diese Fensterfront. Wie ein Angelhaken drang in mein Bewusstsein plötzlich die auffällige Bewegung an einem Fenster auf der gegenüberliegenden Seite. Es war wie ein jäher Lichtstrahl, der mich zusammenzucken ließ.
Mit dem geschärften Instinkt, den mir meine Dienstjahre beim FBI zwangsläufig vermittelt haben, reagierte ich augenblicklich. Sofort ließ ich mich hinter dem Fenster, nun von der Wand gedeckt, zu Boden sinken.
Es war keine Sekunde zu früh. Denn ehe ich noch ganz auf dem Boden angelangt warf splitterte die Fensterscheibe. Ein unheimliches Pfeifen ging in ein hässliches Klatschen über, als sich eine Kugel in die Wand bohrte.
Der Schuss hätte mich ins Herz getroffen, wenn ich am Fenster stehen geblieben wäre.
Ich sprang auf, stürzte an das zweite Fenster des Raumes, das ebenfalls von einer Gardine geschützt war, und spähte hindurch. Irgendwo an einem der zahllosen Fenster auf der anderen Straßenseite musste der Schütze sitzen.
Aber da waren so viele Fenster, so viele Möglichkeiten, einen Gewehrlauf über den Fenstersims zu schieben und das Ziel anzuvisieren, dass ich es aufgab. Es war klar, dass ich keine Chance hatte, den unbekannten Schützen noch zu erwischen, auch wenn die Ausgänge der Gebäude gegenüber sofort gesperrt wurden. Ich warf noch einen Blick auf die Wand, in der die Kugel steckte. Dann verließ ich das Zimmer. Der Lift beförderte mich rasch hinunter.
Beim Portier traf ich Thompson, der bereits besorgt nach mir Ausschau hielt. »Sorry«, sagte ich zum Portier, »aber Sie müssen in 621 ein neues Fenster einsetzen lassen.«
Er starrte mich verständnislos an.
»Die Scheibe hat ein Loch«, fügte ich hinzu.
»Sie haben sie zerbrochen?«, fragte der Portier mit etwas Ärger in der Stimme.
»Nein, jemand hat auf mich von draußen geschossen.«
Die Kinnlade des Portiers klappte herunter, als ob sie keinen Halt mehr hätte. Thompson fuhr auf wie der Blitz. »Ein Schuss auf Sie, Jerry?«
»Ziemlich wahrscheinlich. Ich glaube nicht, dass andere Gäste hier im Haus den Killer interessieren.«
»Von wo kam der Schuss? Haben Sie es gesehen?« Der Lieutenant war sofort dienstlich.
»Irgendwo von gegenüber«, antwortete ich. »Hoffnungslos, den Täter zu suchen. Er wird jedenfalls nicht mit dem Gewehr auf der Schulter das Haus verlassen. Ich weiß nicht mal, in welchem Stockwerk er saß. Aber: er muss mich erwartet haben.«
Thompson riss dem Portier den Schlüssel wieder aus der Hand. »Kommen Sie mit, Jerry! Das muss ich sehen.« Gemeinsam begaben wir uns nach oben. Ich erzählte, wie es geschehen war.
»Was haben Sie für eine Erklärung?«, fragte er mich.
»Ganz einfach«, sagte ich. »Der Killer bekam Wind davon, dass ich auf seine Spur gesetzt wurde. Er suchte nach einer Gelegenheit, wo er mir ohne Gefahr für sich selbst das Lebenslicht auspusten konnte. Dabei hatte er eine brillante Idee.«
»Er bestellte das Zimmer für Sie«, fiel Thompson ein. »Aber Sie konnten doch nicht wissen …«
»Das war auch gar nicht nötig. Hätte ich das Zimmer nach dem Anruf bei Ihnen genommen und wäre irgendwann abends oder nachts bei erleuchtetem Zimmer ans Fenster getreten, dann hätte mich der Schütze von gegenüber sicher weggeputzt. Aber in erster Linie rechnete der Killer mit etwas anderem. Er musste mein Interesse aufs Hilton und dieses Zimmer lenken. Das geschah durch seinen Anruf. Er rechnete damit, dass ich neugierig genug sein würde, mir das Zimmer selbst anzusehen.«
»Sie gingen also absichtlich in die Falle, Jerry?«
»Gewissermaßen ja. Ich hatte natürlich keine Ahnung, wie er zuschlagen wollte. Eigentlich rechnete ich mehr damit, dass im Gang oder im Zimmer eine gefährliche Überraschung auf mich wartete.«
»Verdammt«, knurrte Thompson und versuchte, mit dem Taschenmesser die Kugel aus der Wand zu graben«, »das hätte ins Auge gehen können.«
»Immerhin«, tröstete ich ihn, »gilt sein Interesse jetzt mir und nicht Ihnen. Ich habe das Gefühl, dass es nicht sein letzter Versuch ist.«
»Schön und gut«, brummte er missvergnügt. »Aber dass er so etwas erst versucht, nachdem Sie und das FBI ins Spiel gekommen sind, beweist, dass er Sie erheblich ernster nimmt als mich.«
***
Noch vom Hotel aus ließ ich mir eine Verbindung mit unserem Büro in New York geben.
Ich schilderte Mr High kurz, was hier geschehen war.
»Hören Sie, Jerry«, sagte er ernst, »wenn der Killer in Chicago ebenso wie in New York zuschlägt, brauchen Sie Unterstützung.«
»Das war genau das«, stimmte ich zu, »worum ich Sie bitten wollte. Glauben Sie, dass Phil noch heute nach Chicago kommen könnte?«
»Moment, Jerry«, sagte er. Es knackte ein paar Mal im Telefon, bis nach zwei Minuten Phils Stimme in der Leitung war.
»Habe schon gehört, Jerry, dass es bei dir brennt«, sagte mein Freund.
»Pass auf, Phil! Fahr vom Office gleich zum Flughafen! Eine Zahnbürste kannst du dir hier kaufen. Wenn wir Glück haben, kannst du schon in reichlich drei Stunden hier sein.«
»Okay, Jerry, ich nehme die nächste Maschine, die ich erwischen kann.«
***
In Thompsons Office erwartete uns einer seiner Leute, die der Lieutenant losgeschickt hatte, um mit ein paar Verbindungsmännern der Gangster Kontakt aufzunehmen.
In seiner Begleitung befand sich ein großer Kerl, der auf seinem schrankartigen breiten Körper einen kleinen Kopf trug. Thompson kannte den Mann und begrüßte ihn mit einem freundlichen: »Hallo, Jake Murray.«
»Was wollen Sie von mir, Chef?«, fragte Jake unruhig. Offensichtlich hatte man ihm nichts gesagt.
»Setz dich erst mal, Jake!«, schlug Thompson vor und zeigte dann auf mich: »Ein Kollege aus New York. Er interessiert sich für den Killer.«
Das naive Gesicht des Zweimetermannes erstarrte zu einer Maske. »Ich weiß nichts«, murmelte er.
»Red nicht, mein Sohn!«, sagte Thompson würdig. »Ich weiß, dass du dich immer erst zierst.«
Der Gangster rutschte unruhig hin und her. »Ich weiß nichts, Chef«, wiederholte er. »Ich kenne keinen Killer.«
»Das hatte ich mir beinahe gedacht, dass du den Killer nicht kennst, Jake. Aber du hast doch wohl schon von ihm gehört?«
Thompson warf mir einen Blick zu. Er fand den richtigen Ton, um Jake Murray auszuhorchen. »Was habt ihr über den Killer gesprochen?«
Ein schlaues Grinsen zog über Jake Murrays Kindergesicht. »Es gibt keinen Killer«, sagte er. »Das ist eine Erfindung der Reporter.«
Thompson hob abwehrend die Hände. »Unsinn, Jake«, widersprach er. »Wir haben hier vier, fünf Tote. Ermordete. Das weißt du. Es muss einen Mörder geben. Kapiert?«
»Es gibt Mörder«, räumte Jake ein, »aber keinen Killer.«
»Wo ist der Unterschied?«
Verschlagene Überlegenheit trat in Murrays Gesicht. »Es ist nicht nur ein Mörder, Chef. Bestimmt wusste Larry …« Er stoppte plötzlich, als hätte er schon zuviel verraten.
»Ja, Jake«, ermunterte ihn Thompson. »Was ist mit Larry Smith? Er ist auch ein Opfer des Killers. Wusste er zuviel?«
»Ich kenne Larry nicht, aber ich kenne einen, der mehr weiß.«
Ich spitzte die Ohren. Bei der bescheidenen Intelligenz dieses Riesenbabys glaubte ich nicht, dass wir allzu viel von ihm erfahren würden. Obwohl sein Hinweis, dass nicht ein einziger Mann hinter den Taten des Killers stecke, einer Prüfung wert war. Aber vielleicht konnte uns Jake doch auf eine heiße Spur führen.
»Da sind wir ja, wo wir hinwollen, Jake. Du bist ein braver Boy. Du gibst uns den richtigen Tipp. Wer weiß mehr über den Mord an Larry Smith?«
Der breitschultrige Bursche sah sich vorsichtig um, als ob er einen Lauscher fürchte. Dann hauchte er mit leiser, kaum vernehmlicher Stimme: »Fragen Sie nach Jewel-Joe in der Moonshine Bar! Aber nicht verraten, wer Ihnen den Tipp gab!« Er hob flehend die Hände.
»Keine Sorge, Jake.«
Thompson gab dem Riesenbaby noch einen Klaps auf die Schulter und schob es dann zur Tür hinaus.
»Wer ist dieser Jewel-Joe, Thompson? Hat er mit Juwelen zu tun, wie sein Name sagt?«
»Allerdings. Jewel-Joe steckt hinter ein paar Einbrüchen in die Safes von Juwelengeschäften. Beim letzten Einbruch wurde der Safe durch eine Haftmine geöffnet. Das war sicher das Werk von Larry Smith.«
»Kein Wunder«, stellte ich fest, »dass Jewel-Joe jetzt sauer auf den Killer ist, der ihm seinen besten Mitarbeiter geraubt hat.«
»So ähnlich wird es sein«, stimmte der Lieutenant zu. »Warten Sie, Jerry, ich lasse mir das Album kommen, in dem Sie ein Bild und nähere Angaben über Jewel-Joe finden!«
***
Ich ließ mich in einem Wagen der City Police zum Midway Airport befördern, wo Phil in den nächsten Minuten ankommen musste. Mein Freund Phil staunte nicht schlecht, als ich ihn abholte. Während uns ein Taxi in die Innenstadt brachte, erzählte ich Phil, was hier auf uns wartete.
Als das Taxi in der West Monroe Street vor der Nummer 65 hielt, sagte der Fahrer: »Toffenetti«, und wies auf eine Neonschrift.
Wir stiegen aus und begaben uns in Chicagos bekanntestes italienisches Restaurant. Thompson hatte es mir empfohlen. Wir aßen, während ich Phil mit den Problemen vertraut machte, die hier auf ihn zukamen.
»Ich weiß noch nicht recht«, sagte ich zu Phil, als wir uns nach dem Essen eine Zigarette gönnten, »ob der Killer nun wirklich seine Tätigkeit nach New York verlegt hat. Der Mord an Mary Willard ließ es uns vermuten. Aber der Schuss auf mich …«
»Vielleicht will er verhindern, dass du nach New York zurückkehrst.«
»Auch keine schlechte Idee«, gab ich zu. »Ich habe mir gedacht, Phil, dass du die Stellung hier in Chicago hältst, während ich morgen früh wieder nach New York fahre, um die Ermittlungen dort durchzuführen.«
Ich blickte auf die Uhr. Der Abend war schon ziemlich fortgeschritten. »Es wird Zeit, Phil«, sagte ich, »dass ich dich in dein Hotel bringe und nach Jewel-Joe Ausschau halte.«
»Hotel ist gut«, stimmte Phil zu, »aber Jewel-Joe ist besser. Ich komme natürlich mit.«
»Das wäre unklug, Phil. Je weniger man uns zusammen sieht, umso leichter hast du es in Zukunft bei deinen Nachforschungen.«
»Okay«, stimmte er zu. »Wo hoffst du, Jewel-Joe zu finden?«
»In der Moonshine Bar.«
Wir schwangen uns in ein Taxi; ich setzte Phil vor dem Blackstone Hotel ab und nannte dem Taxifahrer dann den Namen der Bar.
»Feine Gegend«, meinte er spöttisch.
»Viel Krawall?«, fragte ich.
»Halb so schlimm. Die Geschäfte, die sie dort machen, sind so dunkel, dass sie keinen Lärm gebrauchen können.«
***
Die Moonshine Bar hatte sich einen bulligen Kerl in einer goldbetressten Uniform als Türsteher geleistet. Ich peilte vorsichtig die Lage, bis ich feststellte, dass er kein Kennwort oder eine Eintrittskarte von den Besuchern verlangte. Dann schob ich mich heran und nickte ihm ebenso gelassen zu, wie das die anderen Gäste getan hatten. Er musterte mich von oben bis unten, aber er fand nichts an mir zu beanstanden.
Auf den ersten Blick stellte ich fest, dass die Moonshine Bar keine üble Kneipe war, in der sich die vielen kleinen Gauner zu treffen und ihre finstern Geschäfte zu verabreden pflegen. Allerdings auch kein hochgestochener Laden, wie ihn die Gangsterbosse mit ihrem Anhang bevorzugen und wo sie den großen Mann spielen, wenn sie ihren Girls etwas bieten wollen.
Hier in der Moonshine Bar war sozusagen der Mittelstand versammelt.
Ich pflanzte mich auf einen Barhocker, weil ich von da den besten Überblick hatte, und ließ mir einen Bourbon eingießen.
Während ich ihn langsam trank, suchte ich das Lokal nach dem markanten Kopf von Jewel-Joe ab. Aber ich hatte Pech. Es war nichts von ihm zu entdecken. So blieb mir nichts anderes übrig, als mich an den Bourbon zu halten.
»Allein hier?«, fragte plötzlich eine Stimme hinter mir.
Ich fuhr herum. Eine langbeinige Blondine stand neben mir. Ich nickte.
»Gibst du einen aus?«, wollte sie wissen, während sie sich auf den Barhocker neben mich schwang.
Ich bestellte ihr den Old Fashioned, auf den sie Appetit hatte, und beobachtete, während sie allen möglichen Unsinn plapperte, wie sie die Früchte aus dem Cocktail fischte. Aber ich benützte die Tarnung, die sie mir gab, um den Eingang nicht aus den Augen zu lassen.
»Erwartest du jemand?«, fragte sie schließlich beim dritten oder vierten Drink.
Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht.«
»Ein Girl?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Dann ist’s gut«, stellte sie fest und lehnte ihren Kopf an meine Schultern.
»Kennst du die Stammgäste hier?«, fragte ich beiläufig und fasste sie um die Taille. Sie schnurrte wie eine zufriedene Katze. Sicher war sie überzeugt, mit mir einen guten Griff getan zu haben.
»Hm. Die meisten. Wen suchst du?«
»Jewel-Joe«, sagte ich ohne viel Betonung.
Sie richtete sich jäh auf und ließ meinen Arm von ihrer Hüfte gleiten. »Ausgerechnet!«, zischte sie. »Was willst du von dem Stinktier? Geschäfte?«
Ich lachte, weil aus der schnurrenden Katze plötzlich ein Raubtier geworden war. »Was hast du gegen ihn?«, fragte ich. »Magst du ihn nicht?«
Sie spuckte den Kern der Cocktailkirsche auf den Fußboden und presste die Lippen zusammen. »Mit Jewel-Joe bin ich fertig«, sagte sie nachdrücklich. »Ich kratze ihm die Augen aus, wenn er noch einmal in meine Nähe kommt.«
»Pech für dich«, grinste ich, denn genau in diesem Augenblick betrat Jewel-Joe die Bar.
Sie folgte meinem Blick zum Eingang, und selbst unter der Schminke war zu bemerken, wie sich ihr Gesicht rötete. Aber ehe Jewel-Joe sie bemerkt hatte, schmiegte sie sich an mich und begann mit ihren langen Fingern mein Gesicht zu streicheln. Ich wollte ihr das Spiel nicht verderben und ließ meinen Arm wieder um ihre Taille gleiten.
Wir beide sahen in diesem Augenblick wirklich wie das Liebespaar eines Hollywoodfilms aus, und als Juwelen-Joe einige Schritte in die Bar gemacht hatte, musste sein Blick zwangsläufig auf dieses Idyll fallen.
So geschah es auch. Er starrte einen Moment verbissen auf unser Tête-à-tête. Dann brach er seinen Weg ins Lokal ab, schwenkte in Richtung Bartheke und wuchtete sich mit einem Satz auf den Hocker an der anderen Seite der Blondine. Besser konnte ich es mir gar nicht wünschen.
Dann riss er mit einer schnellen Bewegung das Girl zu sich herum und beendete damit unser zärtliches Beieinander. Ich tat erstaunt.
»He, Bud«, rief ich ihm zu, »was willst du von meinem Girl? Ich war zuerst hier.«
»Lass mich los!«, zischte zugleich die Blondine und bemühte sich, ihren Arm aus seiner Umklammerung zu lösen.
Jewel-Joe schleuderte das Girl vom Hocker herunter und fuhr sie an: »Mit dir rede ich später!«
Dann wandte er seine ganze Aufmerksamkeit mir zu. »Lass die Finger von meinem Girl!«, blaffte er mich an.
»Woher soll ich riechen, dass es dein Girl ist? Sie setzte sich zu mir – das genügt mir.«
Ein böses Feuer geriet in seine Augen. Er holte aus, um mich vom Hocker zu fegen, aber ich war schneller als er und packte seinen Arm.
»Lass den Unsinn, Jewel-Joe!«, fuhr ich ihn an. »Wenn du ältere Rechte hast, brauchen wir uns nicht zu schlagen.«
Er zitterte vor Wut und versuchte, sich aus meiner Umklammerung zu lösen. Aber ich griff, ehe er sich frei machen konnte, nach meinem Glas und hielt es ihm hin.
»Da«, sagte ich, »trink lieber einen mit mir. Und was du sonst noch auf dem Herzen hast, mach mit deinem Girl ab! So dufte sie auch ist, ich habe nichts mit ihr im Sinn. Eher mit dir!«
Er starrte mich verständnislos an. Aber dann griff er doch nach dem Whiskyglas und stürzte den Inhalt hastig hinunter.
»Lass doch den Kerl, Joe!«, meldete sich plötzlich mein blondes Herzchen zu Wort.
»Moment mal, Lady«, fuhr ich sie an. »Erst sprechen Joe und ich über das, was zum Geschäft gehört. Und dann können Sie meinetwegen ihren Streit austragen.«
»Woher kennst du mich eigentlich?«, wollte Jewel-Joe wissen und betrachtete mich argwöhnisch. Ich hatte den Eindruck, dass er im Augenblick etwas überfordert war.
»Das tut nichts zur Sache«, wehrte ich ab und hievte mich wieder auf den Barhocker. »Whisky für meinen Freund Joe und mich!«
Das war die Sprache, die Joe genauso wie seine Freundin verstand.
Ohne mit der Wimper zu zucken, stürzte er einen doppelten Straight Bourbon hinunter. Dann meinte der Bursche: »Was willst du von mir? Mir gefällt das alles nicht.«
Viel Taktik war hier nicht am Platze. »Ich bin hinter dem Killer her«, sagte ich beschwörend. »Er hat mich reingelegt. Das muss er mir bezahlen.«
Joes hartes Gesicht wurde misstrauisch. »Lass mich mit dem Killer in Ruhe! Mit dem will ich nichts zu tun haben.«
»Das würde Larry freuen, wenn er’s noch hörte«, warf ich hin. »Feiner Kumpel, der zusieht, wie der andere niedergeschossen wird!«
Jewel-Joe fuhr hoch wie eine Rakete und packte mich am Sakko, dass die Nähte krachten. »Verdammt, wer bist du? Was geht dich das an? Bist du ein Spitzel, den der Killer auf mich gehetzt hat?«
»Spitzel des Killers? Mit dem Kerl verschone mich! Einmal habe ich für ihn gearbeitet – nie wieder!«
»Kann ich dir glauben?«, fragte Joe und lockerte seinen Griff etwas.
»Ich dachte, du bist genauso scharf darauf, dem Killer einen Denkzettel zu verpassen. Aber du bist ja ein Feigling, der kneift, wenn ein Browning knallt.«
»Halt den Mund!«, herrschte mich Joe an. »Wer sagt, dass ich Angst vor dem Killer habe? Er hat mir die ganze Tour mit Larry vermasselt. Und wenn ich ihn erwische …«
»Aber du erwischt ihn nie, Joe, weil du Angst hast, Jagd auf ihn zu machen! Du bist sogar zu feige, mir zu helfen!«
»Noch ein Wort«, drohte er, »und ich breche dir alle Knochen im Leib. Geht es dir nicht in den Kopf, dass die Wände hier Ohren haben? Los, komm mit ins Hinterzimmer!«
Er ließ mir keine Zeit zu einer Erwiderung, sondern zog mich einfach mit sich an der Bar entlang zu einem Hinterausgang. Dort landeten wir in einem kleinen Zimmer, das offensichtlich für die wichtigen Gespräche der Gangster diente. Eine Stehlampe war die einzige Lichtquelle.
Misstrauisch starrte Jewel-Joe mich an. »Nun los«, verlangte er, »was für eine Rechnung hast du mit dem Killer zu begleichen?«
»Ich habe für ihn festgestellt, wie er am besten an Gordon und die Warner herankommen konnte. Er wollte bezahlen. Aber keinen lumpigen Cent habe ich gesehen. Stattdessen versucht er, mir die Morde anzuhängen.«
»Du hast ihn also gesehen?«, fragte Joe lauernd.
»Wenn das der Fall wäre, brauchte ich dich nicht«, gab ich zur Antwort. »Er hat mich reingelegt. Die Aufträge gab er telefonisch. Ich habe keine Ahnung, wer er ist. Los, Joe, gib mir einen Tipp, wie ich an ihn rankomme! Er muss die Bucks ausspucken. Die Hälfte für dich. Ist das ein Wort?«
»Du hast die Bucks noch nicht«, wandte er ein.
»Du bist ein harter Brocken«, lobte ich ihn. »Aber vielleicht weißt du auch nicht mehr als ich. Hat dir Larry nichts gesagt?«
Er blähte sich wie ein Pfau. »Und ob ich weiß, was hinter dem Killer steckt! Dir würden die Augen aufgehen, Mann!«
»Dann pack aus! Denk an Larry! Dem hat er noch übler mitgespielt als mir.«
Joes Augen zuckten. Es war klar, dass er mit sich rang.
Ich gab ihm noch eine Spritze. »Wer weiß«, sagte ich, »vielleicht wird er morgen dich reinlegen. Er ist keiner von uns. Mann, ich will dir die Arbeit abnehmen, und du sollst sogar noch dran verdienen. Los, erzähl mir, wo ich ihn finde und wie ich an ihn herankommen kann!«
Joe schob das Kinn entschlossen vor. »Also gut«, sagte er. »Du musst wissen, was du tust. Aber das Eine sage ich dir: Zieh mich nicht hinein! Ich will nichts damit zu tun haben.«
»Klarer Fall, Joe. Nur einen Tipp. Den Rest übernehme ich auf eigene Faust. Nur herankommen muss ich an den Kerl.«
In diesem Augenblick sah ich an der Tür, die einen Spalt geöffnet war, den Lauf einer Pistole. Die schob sich langsam herein.
Was hinter der Pistole war, blieb im Dunkeln. Jeden Augenblick musste der Schuss krachen.
Was jetzt geschah, folgte in Bruchteilen einer Sekunde aufeinander. Mit einem einzigen heftigen Fußtritt riss ich die Schnur der Stehlampe aus dem Stecker. Zugleich warf ich mich in der Finsternis mit einem Satz in die andere Ecke des Raumes.
Aber ehe ich dort landete, blitzte es auf.
In dem winzigen Raum donnerte der Schuss wie eine Explosion.
Ich huschte an der Wand entlang, um kein Ziel zu bieten. Ehe ich die Tür erreicht hatte, krachten zwei weitere Schüsse.
Der Mann mit der Pistole war offenbar so überrascht, dass er seine einzige Chance darin sah, das Magazin seines Schießeisens leer zu knallen.
Bereits beim ersten Schuss war ein Aufschrei von Joes Lippen gekommen. Joe war offensichtlich das erste Ziel gewesen. Joe hatte keine Gelegenheit mehr gehabt, sich in Sicherheit zu bringen.
Es war genau in dem Augenblick gewesen, in dem er den Mund öffnen wollte, um mir etwas über den Killer zu erzählen. Wer weiß, wie lange der Mann schon vor der Tür unser Gespräch belauscht hatte.
Ich hörte, wie Schritte hinweghuschten. Eine Tür klappte. Wieder Stille. Hörten die Gäste draußen im Lokal nichts? Dort donnerten die wilden Synkopen eines Schlagzeugs über den Lautsprecher und übertönten den Lärm der Schüsse.
Ich wartete noch eine Sekunde, um nicht in eine Falle zu laufen. Joe stöhnte verzweifelt. Ich tastete mich an die Tür. Stieß sie auf.
Der Gang war dunkel. Der Mann mit der Pistole hatte sich den Rückzug gesichert; er war sicherlich längst über die Hinterhöfe davon.
Ich versuchte, die Lampe zu finden. Es war nicht so einfach. Aber dann wurde es hell.
Mein erster Blick galt Joe. Er lag auf dem Rücken, ein Knie wie im Krampf gekrümmt. Aus einer Wunde in der Herzgegend sickerte Blut.
»Joe«, rief ich, »Joe.«
Mit letzter Kraft starrten mich seine Augen an. Ich beugte mich zu ihm. Seine Lippen bewegten sich.
Ich versuchte zu verstehen, was er mühsam und qualvoll zu artikulieren begann. »Der … Kil …«
Er wollte weitersprechen, wollte mir sagen, was er über den Killer wusste.
»Ja, Joe«, sagte ich beschwörend, »ja, wer ist der Killer?«
Ich beugte mich dicht über ihn. Aber sein Kopf sank zur Seite. Jewel-Joe war tot.
Er hatte das Schicksal von Larry Smith geteilt. Der Killer kannte kein Erbarmen, wenn es um seine Sicherheit ging.
Ich stand auf und fühlte mich elend und müde.
Ich ging zur Tür und überlegte, wie ich am besten die Polizei verständigen konnte. In diesem Augenblick vernahm ich ein Geräusch vom Ende des Ganges, durch den der Mörder verschwunden war.
Ich fasste nach meinem Smith & Wesson. Vorsichtig huschte ich hinter einem Schrank in Deckung. Ich brachte den Revolver in Anschlag.
Da, noch einmal das kratzende Geräusch! Was war das? Es war ein Augenblick voll lähmender Spannung.
Und dann – leise, kaum wahrnehmbar, ein Pfiff. Zwei, drei Töne.
Ich kannte sie genau. Es war das Signal, mit dem Phil und ich uns verständigten.
Wie kam mein Freund hierher? Ich pfiff die Antwort. Und schon kam, nun lauter und sicherer, das Echo von Phil.
»Wo bist du?«, rief ich.
»Jerry«, antwortete er erleichtert, »hier.« Er schwang sich durch ein offenes Fenster in den Gang.
»Ich denke, du bist in deinem Hotel«, wunderte ich mich.
»Ich hielt es für besser, auf dich aufzupassen.«
»Zu spät«, stellte ich fest. »Der Kerl ist über alle Berge. Hast du ihn gesehen?«
»Ich hörte Schüsse«, berichtete er, »während ich in der Umgebung der Moonshine Bar nach dir Ausschau hielt. Als ich hier zu dem Fenster kam, hörte ich noch Schritte, die sich hastig entfernten – mehr nicht. Dann entdeckte ich, dass das Fenster offen war. Ich versuchte, mich bemerkbar zu machen.«
»Damned«, sagte ich. »Der Killer hat Jewel-Joe erwischt.« In wenigen Sätzen schilderte ich ihm, was geschehen war. Noch immer tobte in der Bar die Jazzmusik.
Ich drehte den Schlüssel, der in der Tür zum Hinterzimmer steckte, und zog ihn ab. Zusammen mit Phil verließ ich das Gelände auf dem gleichen Weg, den der Mörder genommen hatte.
Von der nächsten Telefonzelle aus riefen wir die City Police an. Ich wusste, wie der Mord geschehen war. Ich ahnte, auf wessen Konto er kam. Ich war dabei gewesen. Aber wieder war der Killer entkommen, ohne dass wir mehr als einen Schatten von ihm erblickt hatten.
4
Als Sydney Wells’ Sekretärin morgens das Büro betrat, fand sie ihren Chef nicht vor. Das war ungewöhnlich, denn der Privatdetektiv war ein Frühaufsteher, der meist schon vor sieben Uhr im Büro war.
Als eine halbe Stunde später Mrs Wells anrief und ihren Mann sprechen wollte, war die Sekretärin alarmiert. Sie hörte nun, dass Wells weder am Abend noch in der Nacht zu Hause gewesen war. Es waren genau zwanzig Stunden vergangen, seit er das Büro verlassen hatte.
Da Wells, um keinen Auftrag zu versäumen, seine Sekretärin sonst laufend über seinen Aufenthaltsort informierte, war sein Verschwinden mehr als ungewöhnlich.
»Geben Sie mir bitte Lieutenant Thompson!«, bat die Sekretärin die Vermittlung der City Police.
Als sich Thompson meldete, schilderte sie ihm, was geschehen war.
»Sie fürchten also, dass Wells etwas zugestoßen ist?«
»Ich bin ziemlich sicher. Bestimmt hängt es mit dem letzten Auftrag zusammen.«
»Wer war der Auftraggeber?«
Die Sekretärin nannte den Namen von Ray Conolly.
»Nanu«, sagte Thompson, »warum hat sich Conolly nicht an uns gewandt?«
»Ich habe keine Ahnung von der Sache«, sagte die Sekretärin. »Conolly tat sehr geheimnisvoll, und Mister Wells hat mir nur gesagt, dass er Conolly überwachen müsse.«
»Okay«, beendete Thompson das Gespräch, »ich werde mit Conolly telefonieren. Vielleicht klärt sich das alles harmlos auf.«
Während Thompson noch bemüht war, den Playboy zu erreichen, betrat Phil sein Büro.
Thompson nötigte ihn in einen Sessel, und während die Telefonate liefen, fragte er: »Jerry abgeflogen?«
»Mit der Morgenmaschine.«
»Hallo«, rief Thompson plötzlich in die Muschel. »Hier City Police, Lieutenant Thompson. Ich muss Mister Conolly sprechen.«
Die andere Seite erzählte etwas. Thompson reagierte sofort. »Nicht da? Wo kann Conolly stecken? Ich habe jetzt mit seiner Wohnung, seinem Büro, seinem Club telefoniert. Schließlich kann er nicht spurlos verschwinden.«
Es gab eine kurze Pause. Dann sagte Thompson: »Verreist? Ziemlich ausgeschlossen. Das Personal in Conollys Wohnung sagte mir, dass er abends immer wie üblich das Haus verlassen habe, um sich in einen Nightclub zu begeben. Keine Spur von Gepäck, Koffern oder dergleichen. Nichts, was auf eine Reise schließen lässt.«
Ohne Ergebnis legte er schließlich den Hörer auf. Dann wandte er sich an Phil. »Hören Sie, Agent, macht es Ihnen etwas aus, ein Stück mit mir zu fahren? Ich habe da eine mysteriöse Sache zu klären. Aber das erzähl ich Ihnen besser im Wagen.«
***
Im Wagen sagte Thompson zu Phil: »Tut mir leid, dass ich Sie auf meiner Tour mitschleppe. Das sind so unsere Fälle. Viel Kleinarbeit und wenig Sensationen. Wenn es Ihnen zu langweilig wird, bringe ich Sie in Ihr Hotel, bevor ich zu Gutman fahre.«
Aber Phil wehrte ab. Er hatte eine ungewisse Ahnung, als ob zwischen dem Killer und dem Verschwinden des Detektivs irgendein Zusammenhang bestehen könne. Aber zu Thompson sagte er lediglich: »Ich komme mit. Wissen Sie, ich lerne so die Atmosphäre von Chicago allmählich kennen. Schließlich ist sie ja der Hintergrund für die Morde des Killers.«
Eine halbe Stunde später saßen sie Gutman gegenüber.
»Wir haben vorhin miteinander telefoniert, Mister Gutman«, leitete Thompson das Gespräch ein. »Ich bin auf der Suche nach Mister Conolly. Haben Sie inzwischen von ihm gehört?«
»Leider nein. Ich fürchte auch, hier werden Sie Conolly nicht treffen. Gewiss, das ist natürlich das Werk, das Mister Conolly gehört. Aber er hat volles Vertrauen zu mir und überlässt mir die ganze Geschäftsführung. Daher weiß ich selten, wo er sich gerade befindet.«
»Wann haben Sie das letzte Mal mit ihm gesprochen?« Gutman dachte nach. »Es ist Wochen her, dass er das letzte Mal hier war.«
»Hat er Sie nicht in den letzten Tagen einmal angerufen?«
»Aber natürlich«, fiel es Gutman plötzlich ein. »Erst gestern Vormittag. Wegen irgendeiner Angelegenheit.«
Thompson beobachtete den Manager aufmerksam. »Was war das?«
»Ach, irgendeine private Angelegenheit«, wich Gutman aus.
Aber Thompson ließ nicht locker. »Haben Sie ihm Sydney Wells empfohlen?«
Gutmans Blick irrte verblüfft zwischen Thompson und Phil hin und her. »Sie wissen es also«, stellte er dann fest. »Nun ja, ich wollte es nicht an die große Glocke hängen. Er fragte mich nach einem guten Privatdetektiv. Da nannte ich ihm den Namen von Wells.«
Thompson nickte zufrieden. »Verriet er Ihnen nicht, wozu er den Detektiv brauchte?«
»Aber ich habe keine Ahnung, wozu Conolly einen Detektiv brauchte. Wissen Sie, er hat so seine Affären, und da ist er vielleicht in irgendeine Schwierigkeit gekommen. Er stellte die Frage, ohne einen Grund anzugeben. Ich nannte ihm Wells. Er bedankte sich. Das war alles.«
»Machte er einen nervösen Eindruck?«
Gutman dachte nach. »Das ist möglich. Ja, ich glaube schon. Aber meine Herren, wollen Sie mir nicht verraten, was der Grund für Ihre Fragen ist?«
»Wells ist spurlos verschwunden, seit er gestern Vormittag den Auftrag von Conolly übernahm. Und ich suche Conolly, damit er mir erzählt, weshalb er Wells beauftragte, ihn zu überwachen. Aber seit gestern Abend ist auch Conolly nicht aufzufinden.«
Gutman schien nicht allzu überrascht. »Cherchez la femme«, sagte er spöttisch. »Es ist ja kein Geheimnis, dass Ray ein ziemlicher Frauenheld ist. Er hat uns deshalb schon bei wichtigen Sitzungen im Stich gelassen. Vielleicht kann ich Ihnen sogar einen Tipp geben.«
»Schießen Sie los!«, bat Thompson.
»Seine augenblickliche Favoritin ist Harriet Maclean. Sie ist Sängerin in einem Nightclub. Der Name des Clubs ist mir entfallen, aber ich habe die Telefonnummer. Ich musste Ray dort einmal anrufen.«
Er blätterte in seinem Notizbuch und nannte Thompson die Nummer.
Phil gab Thompson ein Zeichen, dass er noch eine Frage hatte. Der Lieutenant nickte ihm zu.
»Mister Gutman«, fragte Phil, »was halten Sie vom Killer?«
Die Frage war ein Volltreffer. Gutmans Kopf flog herum, und seine wässrigen Augen starrten Phil verwirrt an. Er brauchte Sekunden, bis er eine Antwort gefunden hatte. »Wie meinen Sie das? Ich verstehe Sie nicht.«
Phil hatte den Fisch an der Angel. »Wollen Sie sagen, dass Sie noch nie vom Killer gehört haben?«
Gutman bekam sich langsam wieder in die Gewalt. »Sie meinen den Kerl, von dem die Zeitungen schreiben?«
Phil nickte. »Was halten Sie von ihm?«
Gutmans Gesicht hatte sich gerötet. »Ihre Frage ist geschmacklos. Ich verabscheue ihn ebenso, wie es alle anständigen Menschen tun. Genügt Ihnen das?«
»Sie haben mir alles gesagt, was ich wissen wollte«, bedankte sich Phil.
Thompson ermahnte den Manager noch, in jedem Fall Bescheid zu sagen, wenn er ein Lebenszeichen von Conolly erhielt. Dann gingen sie.
Bevor sie in den Lift stiegen, blieb Thompson stehen. »Mann«, sagte er, »was sollte Ihre Frage bedeuten? Ich war mindestens ebenso überrascht wie Gutman. Glauben Sie, dass er in irgendeiner Beziehung zum Killer steht?«
»Das wollte ich ja gerade herausfinden«, meinte Phil.
***
Nachdem ich pünktlich in New York gelandet war, fuhr ich zuerst zum FBI um mit Mr High mein weiteres Vorgehen abzusprechen. Ich wollte mich als der Killer ausgegeben und sehen, ob ich auf diese Weise an den unheimlichen Mörder herankam.
Jetzt kurvte ich in meinem roten Jaguar durch den New Yorker Verkehr zu meiner Wohnung. Es war ein herrliches Gefühl, den Motor zu hören.
Zum Nachdenken war nicht lange Zeit.
In meiner Behausung machte ich mich so zurecht, wie es zu meiner Rolle als Killer passte. Ich hatte mich im FBI-Gebäude mit all den Zutaten versehen, die ich brauchte. Nach einigen Veränderungen sah ich mir nicht mehr ähnlich.
Dann passte ich einen Augenblick ab, in dem ich ungesehen aus dem Haus kam. Ich benützte den Hintereingang. Vor dem Haus stand als deutliches Zeichen meiner Anwesenheit, mein Jaguar.
Heute würde sich noch niemand darum kümmern. Aber in ein paar Tagen musste mein Alibi als Jerry Cotton todsicher sein.
Niemand sah mich, als ich mit dem Koffer in der Hand ein paar Straßenkreuzungen weit ging, um mich dann in ein Taxi zu schwingen.
Ich wollte den bevorzugten Gegenden der Gangster nahe sein, um eher die Möglichkeit zu Kontakten zu haben.
Der Taxifahrer musterte mich mit einem merkwürdigen Blick aus Neugier und Geringschätzung, als ich die Kreuzung der Second Avenue mit der Houston Street in unmittelbarer Nähe der Bowery als mein Ziel angab.
Dann lief ich mit dem Koffer in der Hand am Rand der Bowery entlang, um eine Bleibe zu finden, die zwar komfortabel genug für einen Mann war, der zum Zeitvertreib mordet, aber zugleich großzügig genug, um den Umgang mit Gangstern nicht als Grund zur Kündigung anzusehen.
Das Haus sah nicht gerade vornehm aus. Der Putz war abgeblättert. Aber die Zimmer waren mit altertümlichen und behaglichen Möbeln versehen. Sogar sauber schien es zu sein.
Die Inhaberin der Pension empfing mich mit süßlichem Lächeln und singender Stimme. Ich hätte wetten mögen, dass sie ihre lauschigen Apartments mit Vorliebe Pärchen zur Verfügung stellte. Die Alte sah wie die geborene Kupplerin aus. Als ich die Miete für eine Woche im Voraus hinblätterte, war sie zufrieden.
Ich stellte meinen Koffer in eine Ecke und hielt mich nicht länger in meinem Zimmer auf. Ich musterte mich noch einmal im Spiegel und hatte das Gefühl, mir selbst fremd zu sein.
Dann steuerte ich Jim’s Food Shop an, wo ich schon früher einmal ein saftiges Steak zwischen den Zähnen gehabt hatte. Die Kneipe wurde mit Vorliebe von Gangstern aufgesucht, wenn sie gut bei Kasse waren.
Obwohl die eigentliche Zeit fürs Dinner schon vorbei war, saß noch viel Volk herum.
Ich pflanzte mich an einen Tisch zu zwei Figuren, die in mein Programm zu passen schienen. Sie starrten mich sofort an wie der Papagei einen Kanarienvogel, der in seinen Käfig geraten ist.
Als ich mein Essen bestellt hatte und mir vorher noch einen Drink genehmigte, schlug ich ihnen vor, einen Highball auf meine Kosten und mein Wohl zu trinken.
So kamen wir ins Gespräch. Ich ließ meine Platte ablaufen, die ihnen einiges zu raten aufgab. Dass ich aus Chicago käme. Dass ich dort ein paar Dinger gedreht hätte. Ich schnalzte mit der Zunge bei der Erinnerung.
Sie wollten Näheres wissen. Aber ich blieb verschwiegen wie ein Grab, deutete nur an, dass ich vor nichts zurückschrecke. Und dass Chicago ein ideales Pflaster für unsereinen wäre.
Warum ich denn nach New York gekommen wäre?
»Weil mir die Bullen lästig wurden, Gentlemen.«
Das begriffen sie, während sie einen Blick wechselten.
»Muss jetzt ein heißes Pflaster sein, Chicago«, sagte der eine, der sich Chuck nannte. Er dämpfte seine Stimme etwas. »Hast du was vom Killer gehört?«, fragte er.
Besser hätte er mir das Stichwort nicht geben können.
Ich sah ihn vielsagend an. Dann nickte ich düster und geheimnisvoll. »Der Killer!« Ich lachte wieder.
»Wüsste nicht, was daran lächerlich ist«, bemerkte der andere, der Harry hieß.
»Für dich nicht – aber für mich.«
Ich griff nach Messer und Gabel, schleuderte das Messer einmal aus dem Handgelenk durch die Luft, fing es und stach damit mitten in das Steak.
Dabei sah ich sie an wie ein Hypnotiseur.
Ich merkte, wie Chuck seinem Kumpel einen verstohlenen Fußtritt gab. Sie schienen nicht begriffsstutzig zu sein. Sie starrten auf meinen Teller, während ich mein Steak mit rohen Schnitten zerlegte.
»Zerbrecht euch nicht den Kopf über den Killer!«, riet ich ihnen mit vollem Munde. »Das ist nicht eure Kragenweite.« Ich hätte nichts Besseres tun können, um sie vollends in Fahrt zu bringen.
Während ich mein Essen vertilgte, fragte Chuck mit fiebernder Spannung in der Stimme: »Ist es wahr, dass der Killer ein Einzelgänger ist?«
»Das wird er selbst am besten wissen. Warum fragst du mich danach?«
Sie wechselten verstohlene Blicke. Dann ließ Chuck die Katze endgültig aus dem Sack. »Wäre nicht schlecht, für ihn zu arbeiten, wenn er ordentlich bezahlt.«
Ich hob überrascht den Blick. »Das ist gefährlich.«
»Ich denke, es ist der Killer, der das Töten besorgt. Aber er braucht doch Leute, die ihm helfen.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht.«
Jetzt versuchten sie es mit einer anderen Masche. »Warst du in einer Gang?«
»Nein«, gab ich zurück.
»Suchst du hier eine Gang?«
Ich winkte mit einer überlegenen Handbewegung ab. Sie gerieten in sichtliche Unruhe.
»Wo hast du deine Bleibe?«, fragte Chuck.
Ich nannte ihnen meine Pension und beschrieb ihnen, wo sie lag. Dann winkte ich dem Kellner, um zu zahlen. Ich erkundigte mich bei meinen Tischgenossen, welches Lokal sie mir für den Rest des Abends empfehlen könnten.
Sie waren sich zuerst nicht ganz einig, aber dann meinten sie, ich sei im Black Cat am besten aufgehoben.
»Na, mal sehen, ob ich mich dorthin verirre.« Ich erhob mich. »So long, Boys!«
Ich wusste, dass ich ihnen einen mächtigen Knochen zum Knabbern zurückgelassen hatte und dass man im Black Cat bald mit Fingern auf mich zeigen würde.
***
»Kein Wort mehr über Harriet!«, blaffte der dickbäuchige Inhaber des Midnight Crazy