Jesus Römer Christentum - Roland Weber - E-Book

Jesus Römer Christentum E-Book

Roland Weber

4,8

Beschreibung

Das Christentum ist von historischem Interesse - doch die Evangelien sind keine Geschichte, sondern eine literarische Fiktion. Die Römer bedienten sich des jüdischen Glaubens nach ihrem Sieg im Jahr 70 und untergruben die jüdischen Hoffnungen auf einen Messias als Befreier. Sie boten stattdessen einen Rom-treuen, steuerzahlenden und Obrigkeit anerkennenden Jesus. Ihr Jesus wurde zu einem scheiternden Erlöser. Seine Mahnungen und Prophezeiungen wurden dazu einfach um biblische 40 Jahre zurück in die Vergangenheit verlegt. Erlöser sollte Titus in der Gestalt eines Christus werden. Zahlreiche Episoden der Evangelien sind dem historischen Kriegsgeschehen entlehnt und wurden zu Glaubensinhalten verfremdet. Die Juden sollten so ruhiggestellt und die Flavier als römische Kaiser legitimiert werden. Titus wurde als ein Christus aufgebaut, der in der Geschichte jedoch zunächst lediglich der Sohn des römischen Gott-Kaisers Vespasian war. Als er nach kurzer Herrschaft starb, übernahmen Anhänger den Staatskult. Sein Nachfolger und Bruder Domitian zeigte kein Interesse am Verehrungskult seines Bruders. Unter Konstantin gelang nach rund 200 Jahren der Durchbruch. Er erntete, was die Flavier mit ihrer Religion gesäht hatten. Der einstige historische Hintergrund wurde vergessen, verdrängt und verschleiert. Das Christentum war schon im Ursprung ein Herrschaftsinstrument, aber es wurde in der Folge darüberhinaus noch missverstanden und nicht zuletzt missbraucht. Bis heute sichert es kirchlichen Einfluss, wirkt in staatliche Bereiche und bestimmt das Denken vieler Menschen. Die Spuren, Motive und Umstände werden aufgeführt, die diese These belegen. Eine besondere Rollen spielten dabei der zu den Römern übergelaufene jüdische Historiker Flavius Josephus, Mitschreiber, sowie Vespasian als Vater, Titus als der Kaisersohn und spätere Herrscher Roms. Und so kann man heute nachvollziehen, wie dieser Glaube zur makabersten Tragödie des Abendlands werden konnte.

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Kritiker sollten sich auf das Wesentliche beziehen und nicht mit Nebensächlichkeiten vom Kern meiner Aussagen und Schlussfolgerungen ablenken wollen.

Roland Weber

Das Titelbild zeigt eine künstlerische Vision (Gouache/Aquarell) des nicht greifbar scheinenden Jesus Christus – nach dem Motiv des sitzenden Jesus in der Görlitzer Dreifaltigkeitskirche.

Inhalt

Einleitung

Warum habe ich dieses Buch geschrieben?

Dokumente und Quellen des Christentums

Christliche Kunst: vom Schein zum Sein

Erklärungsversuche für Unverstandenes

Fazit der unabhängigen Forschung zur Geburt Jesu

Zwischenergebnis

Der historische Rahmen

Entstehungsgeschichte und Funktion der Texte

Der Clou der ganzen Geschichte

Historische Eckdaten

Vorstellung der römischen Schreibstube

Der Plan der römischen Schreibstube

Die Methode der Schreibstube

Die Evangelien

Die wahrhaft „unglaubliche“ Römer-Freundlichkeit

Noch etwas Grundlegendes

Flavius Josephus - Vater und Schöpfer der Texte

Drei Thesen zu seiner Person und literarischen Ausstrahlung

Flavius Josephus und das Neue Testament

Das römische Schnittmuster für die Evangelisten

Die Ankündigung des messianischen Reiches

Die Gottes-Knecht-Vorlage (Jes 52,13ff) für die Passion Jesu

Jesu Sprüche entlarven die Agenten Roms

Perikopen der römischen Schreibstube

Vier Beispiele und eine Zugabe

Alter Wein, neuer Wein; alte Schläuche, neue Schläuche

Die kranke Schwiegermutter

Der helfende Samariter

Jesus und Familie

Zugabe: Die begnadigte Ehebrecherin

Zu all dem Spott – eine Nachbetrachtung

Nachtrag zum Machtträger Petrus und dem Verräter Judas

Nachbetrachtungen zum Ehebruch und auffälligen Namen

Techniken für ein Komplott

Das Bestattungs-Szenario nach den Evangelisten

Vier Möglichkeiten zur Bestimmung des Herrenbruders

Schreibstube: Nur Frauen bezeugen die Bestattung

Geldgeschäfte

Johannes, der Szenen-Verhunzer

Gegendarstellung

Johannes der Täufer

Jakobus der Herrenbruder

Was hat es mit dem Herrenbruder auf sich?

Die dreifache Paulus-Lüge

Anmerkungen zur Apostelgeschichte

Anmerkungen zur Darstellung durch Paulus

Knappe Erläuterung zur bisher bekannten Paulus-Thematik

Übersicht der im NT aufgeführten Paulus-Briefe

Ergänzende Anmerkung

Zum Verständnis der Paulus-Briefe

Zusammenfassung

Das Synoptiker-Paradigma

Was sagt die römische Schreibstube dazu?

Übergreifende Überlegungen

Fazit vom alledem

Die entscheidenden Jahre nach Titus

200 Jahre Christentum im Dornröschenschlaf

Die makaberste Tragödie des Abendlands

Zur Erinnerung

Das gigantische Missverständnis

Tabellarisches zum Nachschlagen

Meine atheistische Botschaft

Anhang

Literatur

Begriffserklärungen

Manche Menschen würden eher sterben als nachzudenken. Und sie tun es auch.

Bertrand Russell, Philosoph

Einleitung

N ach Auffassung der christlichen Kirchen, der Theologie und erst recht vieler Gläubigen gehört es zur gesicherten Glaubensbasis, dass das Christentum aus dem Judentum entstanden sei. Deshalb ist man inzwischen auch bereit, Jesus als Jude zu akzeptieren, auch wenn man diesem Umstand nach wie vor unterschiedliche Bedeutungen beimisst. Doch dieses vermeintliche Wissen steht auf weniger gesichertem Boden als Gläubige ahnen. Die heutzutage präsentierten Texte der Evangelien gaukeln eine Historizität vor, die es schon deshalb nicht geben kann, weil die ältesten Dokumente, die sie enthalten, erst aus dem 4. Jh. stammen. Das gilt auch für die angeblichen Paulus-Briefe.

Nicht nur deshalb könnte die Entstehung des Christentums mit allergrößter Wahrscheinlichkeit eine ganz andere Erklärung haben, als allgemein angenommen wird. Dies soll in diesem Buch dargelegt werden.

Neben zahllosen Widersprüchen, Falschübersetzungen, Fiktionen und Mythen, die in sehr vielen Fachbüchern aufgegriffen werden, stieß ich auf ein Werk des amerikanischen Autors Joseph Atwill: Das Messias-Rätsel. Es bot für alle diese Widersprüche und Erfindungen eine überzeugende Lösung. Atwill geht davon aus, dass die Evangelien nicht von Juden, Judenchristen, Heidenchristen oder Christen geschrieben wurden, sondern von Schreibern im Dienste Roms. Sie entstanden seiner These folgend wegen politischer Interessen des römischen Staates und seiner Kaiser. Atwill sieht in den Evangelien ein römisches Komplott, das zur Desavouierung des jüdischen Messias-Glau-bens geschrieben wurde und zur Abkehr von der Annahme verleiten sollte, dass die Juden ein von Gott selbst auserwähltes Volk seien.

Um diese auf den ersten Blick unglaublich steile These zu verstehen, wollen wir uns zunächst der geschichtlichen Situation zuwenden. Schließlich solle es gerade die Historizität eines Jesus sein, die zur Entstehung des Christentums geführt habe. Die Evangelien entstanden nach herrschender Auffassung erst in den Jahren nach dem Jüdischen Krieg. Dieser dauerte von 66 bis 70 u.Z.1 und endete erst im Jahr 74 mit der Eroberung der Festung Masada. Als ältesten Evangelisten nimmt man inzwischen Markus an. Er soll sein Evangelium nach 70, Matthäus um 80 und Lukas das nach ihm benannte Evangelium sowie die Apostelgeschichte um 90 u.Z. geschrieben haben. Belastbare Begründungen für diese zeitliche Festlegung gibt es nicht. Offensichtlich bedient man sich dieses Synoptiker-Paradigmas2, um so Abweichungen und Widersprüche plausibler erklären zu können. Fest steht, dass alle Verfasser unbekannt sind und deren Namen lediglich auf die kirchliche Tradition zur Unterscheidung der Evangelien zurückgehen. Keiner von ihnen war Augenzeuge der Ereignisse. Die Evangelien wurden schon in ihren Erstfassungen in Griechisch geschrieben. Die Texte insgesamt sind erst im 4. Jh. im Codex Vaticanus und im Codex Sinaiticus nachweisbar. Aus der Zeit davor finden sich lediglich kleinere Fragmente. Das älteste Stück besteht aus einigen Versen des Johannes-Evangeliums, das auf ca. 125 u.Z. datiert wird. Insgesamt wird angenommen, dass dieses vierte Evangelium erst nach 100 u.Z. geschrieben wurde. Es unterscheidet sich deutlich von den drei synoptischen Evangelien.

Methodisch werde ich mich in diesem Buch auf die wesentlichen Aspekte konzentrieren und diese so referieren, damit auch theologisch weniger versierte Leser folgen können. Für weiterführende Nachweise zur hier vorgestellten Kernthese verweise ich auf mein Buch Denken statt glauben – Wie das Christentum wirklich entstanden ist.

Noch ein Wort zur Schreibweise: Je nach Autor und gegebenenfalls Zeitpunkt der Veröffentlichung trifft man oft auf unterschiedliche Schreibweisen (z. B. Nazareth, Thora, Passah – jeweils auch ohne ‚h‘ - Synhedrium, Sanhedrin für den Hohen Rat etc.). Meist folge ich dabei einfach dem Zitierten. Dadurch sollte sich ein Leser jedoch nicht irritieren lassen. Die vermutete ‚römische Schreibstube‘ - der zentrale Gegenstand dieses Buches - hat zu ihrer Zeit gebildeten und denkwilligen Römern ganz bewusst ein kombinatorisches Rätselstück vorgelegt – und das sollten wir nicht aus den Augen verlieren.

Warum habe ich dieses Buch geschrieben?

Vorab: Manche mögen vielleicht fragen, ob man Menschen nicht das glauben lassen sollte, was sie wollen. Dem stimme ich uneingeschränkt zu und bin gerne bereit, den dem Glaube unterstellten Trost und viele sozial wertvolle Taten dessen Institution, der Kirche, positiv anzurechnen. Doch bleibt dieser Glaube nie wirklich privat. Denn die Kirche wird nicht nur aus ihren Mitgliedsbeiträgen (Kirchensteuer genannt) am Leben erhalten, sondern auch mit Milliarden Euros der Öffentlichen Hand, d. h. auch durch Anders- und Nichtgläubige, subventioniert. Darüber hinaus übt die Kirche maßgeblichen Einfluss auf Gesetzgebung, Medien und Gesellschaft - und damit auf das Leben sämtlicher Bürger - aus. Daher fühle ich mich aufgerufen, der Basis dieses Glaubens nachzuforschen. Für mich stellt allein das Wissen um Unkenntnis oder Irreführung von Gläubigen gerade durch die Kirche einen rechtfertigenden Grund dar, aufzuklären. Fast alle klerikalen Annahmen zur Basis ihres Glaubens sind nicht nur falsch, sondern sie werden durch die Verantwortlichen bewusst falsch dargestellt. Aus diesem Grund wollte ich ein Buch über die Entstehung des Christentums schreiben.

Die oben erwähnten realpolitischen Wirkungen und das Finanzgebaren des institutionalisierten Glaubens waren für mich nur der Anlass. Sie sind nicht Gegenstand dieses Buches. Wer sich zum Thema Kirchenfinanzierung und Kirchenpolitik ausführlich informieren möchte, kann dies z. B. in Carsten Frerks Büchern (siehe Literaturliste im Anhang) tun.

Roland Weber Ostern 2017

2 Synoptiker nennt man die ersten drei Evangelisten (Matthäus, Markus und Lukas), weil deren Bücher parallel vergleichbar sind. Zum diesbezüglichen Paradigma siehe Kapitel 22.

Die allgemeine Meinung und was jedermann für ausgemacht hält, verdient oft am meistens untersucht zu werden.

G. Ch. Lichtenberg, Naturforscher

1 Dokumente und Quellen des Christentums

Die meisten Christen vermuten, die ältesten Dokumente und Belege für die Historizität und Wahrheit des Christentums seien die Evangelien oder die Briefe des Paulus. Doch gleichgültig, wen man als Autor dieser Texte ansehen mag, gibt es keinerlei Originaldokumente aus diesen Anfangszeiten. Es gibt lediglich deutlich spätere Kopien von Abschriften. Unbestritten wurden auch unterschiedliche Texte harmonisiert. Deshalb sollten wir uns einmal die zeitliche Zuordnung der noch vorhandenen ältesten Fragmente zu den angeblichen Ereignissen ansehen. Daraus folgt: Die Quellen des Christentums liegen im Dunkeln und sein Anfang ist reine Glaubenssache. Die Dokumente schließen diese Lücken gerade nicht. Wichtig: Es handelt sich selbst bei diesen Schriftstücken immer nur um Abschriften, nie um Originale.

Inhalt des Neuen Testaments und wie es zur Zusammenstellung der Texte kam

Der später als Häretiker verbannte Kirchenlehrer Origines (Δ3 254 u.Z.) hat zum ersten Mal die heute zum Neuen Testament gehörenden 27 Schriften aufgezählt, dazu noch einige weitere.

Als Ausgangspunkt dafür wird im Allgemeinen der 39. Osterbrief des alexandrinischen Bischofs Athanasius im Jahr 367 u.Z. angesehen, der erstmals diese bis heute geltenden 27 Schriften auflistete. Nur diese Texte sollten künftig innerhalb der Kirche Verwendung finden. Diese Auffassung wurde im Folgenden durch Konzile für verbindlich erklärt. 382 u.Z. legte dies zunächst eine Synode in Rom unter Papst Damasus fest, ebenso die Synoden von Hippo Regius (393 u.Z.) und Karthago (397 u.Z.). Am 20. Februar 405 antwortet Papst Innozenz I. auf eine Anfrage des Bischofs von Toulouse, dass 27 Schriften das Neue Testament bilden. 1546 bestätigte das Konzil von Trient den fast eineinhalb Jahrtausende alten Kanon des Neuen Testaments mit 27 Schriften.

Das Neue Testament besteht aus folgenden Texten (Quellen):

Das Evangelium nach Matthäus

Das Evangelium nach Markus

Das Evangelium nach Lukas

Das Evangelium nach Johannes

Die Apostelgeschichte des Lukas

Der Brief des Paulus an die Römer

Der erste Brief des Paulus an die Korinther

Der zweite Brief des Paulus an die Korinther

Der Brief des Paulus an die Galater

Der Brief des Paulus an die Epheser

Der Brief des Paulus an die Philipper

Der Brief des Paulus an die Kolosser

Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher

Der zweite Brief des Paulus an die Thessalonicher

Der erste Brief des Paulus an Timotheus

Der zweite Brief des Paulus an Timotheus

Der Brief des Paulus an Titus

Der Brief des Paulus an Philemon

Der erste Brief des Petrus

Der zweite Brief des Petrus

Der erste Brief des Johannes

Der zweite Brief des Johannes

Der dritte Brief des Johannes

Der Brief an die Hebräer

Der Brief des Jakobus

Der Brief des Judas

Die Offenbarung des Johannes (Apokalypse)

Diese Texte werden alle als göttlich inspiriert angesehen und stehen für kirchentreue Theologen damit außerhalb jeglicher Kritik.

Originale dieser Evangelien oder Briefe sind nicht erhalten. Es gibt nur Abschriften von Abschriften. Die ältesten Dokumente, die die Quellen dokumentieren, werden im Folgenden vorgestellt. Zu beachten ist dabei der zeitliche Abstand und der Umstand, dass damit alle relevanten Fakten, die mit der Entstehung des Christentums verbunden sind, sich dem vierten Jahrhundert zurechnen lassen. Begonnen hatte dieses Jahrhundert mit dem Mailänder Toleranzedikt, an dem auch Konstantin beteiligt war. Doch wird ihm allein die Etablierung des Christentums zugeschrieben. Unbestritten ist, dass er die Kirche maßgeblich förderte, Klerikern Ämter und Aufgaben übertrug, Kirchenbauten förderte und z. B. die Kirche als erbberechtigte Institution anerkannte. Einen gewissen Abschluss gab es in dieser Entwicklung, als ab dem Jahr 380 das Christentum alleinige Staatsreligion wurde und alle anderen Religionen verboten wurden. Die Toleranz, die damit bislang in der Antike allgemein gegolten hatte, wurde unnachgiebig beseitigt. Die Thematik kann hier nicht vertieft werden, weil wir uns ausschließlich mit der Entstehung des Christentums und den hierfür maßgeblichen Texten befassen.

Diese Texte sind die vier Evangelien, die Apostelgeschichte und die Briefe des Paulus (Nr. 1 bis 18). Weder die angeblich von Aposteln geschriebenen Briefe noch gar die apokryphen Texte außerhalb dieses Kanons werden behandelt, da aus ihnen keine für den Untersuchungsgegenstand relevanten Erkenntnisse gewonnen werden können. Die ältesten vorhandenen christlichen Dokumente, die das NT enthalten, sind:

Papyrus 46 enthält fast alle Paulusbriefe, allgemein datiert auf 175-225 u.Z.

Papyrus 66 enthält den größten Teil des Johannes-Evangeliums, allgemein datiert auf 150 - 200 u.Z.

Papyrus 52 ist ein etwa handtellergroßes Fragment und enthält Teile der Verse von Joh 18,31 bis 19,3, allgemein datiert auf 125 u.Z.

Papyrus 75 enthält jeweils die Hälfte des Lukas- und des Johannes-Evangeliums, allgemein datiert auf 200 u.Z.

Papyrus 54 und 67 enthalten einige Verse aus Mt 26, allgemein datiert auf 200 u.Z.

Papyrus 45 enthält alle vier Evangelien und die Apg, datiert auf 250 u.Z.

Codex Sinaiticus

enthält u. a. das gesamte NT, datiert auf 330 - 360 u.Z.

Codex Vaticanus

enthält u. a. weite Teile des NT, datiert auf 325 - 350 u.Z.

Aus diesen allgemein verbreiteten Daten muss man zwangsläufig schließen, dass im Vatikan keine älteren Dokumente aufzufinden sind. Allerdings gibt es selbst für Forscher keinen allgemeinen Zugang zur Bibliothek des Vatikans. Man stützt sich auf diese Dokumente und hält damit die Quellen des Glaubens für ausreichend belegt und damit für „glaubwürdig“. Doch es gibt zahllose Gründe, an den Inhalten dieser überlieferten Dokumente zu zweifeln.

Zum einen wird deutlich, dass die Paulus-Briefe sich erst rund 100 Jahre nach dem Zeitpunkt nachweisen lassen, an dem sie angeblich geschrieben worden sein sollen. Ausgerechnet mit dem nach 100 u.Z. geschriebenen Johannes-Evangelium finden sich überhaupt die ältesten Spuren eines Evangeliums.

Zum anderen wird auch deutlich, dass die ersten vollständigen Evangelien-Texte erst rund 300 Jahre nach den angeblichen Ereignissen nachweisbar sind. Was dazwischen lag, ist offensichtlich nicht mehr aufklärbar. Zudem muss man an dieser Stelle auch wissen, dass dies die Zeit der religiösen Auseinandersetzungen unter Konstantin sowie der Übergang des Christentums zur Staatsreligion war. Das von Konstantin einberufene und geleitete Konzil von Nicäa im Jahr 325 u.Z. bestimmt bis heute die christliche Sichtweise auf die Wesenseigenschaften eines Jesus (Zwei-Naturen-Lehre). Dies war auch die Zeit des kaiserlichen Biographen und christlichen Schönfärbers Eusebius. Das soll zunächst reichen.

Tatsache ist jedenfalls, dass sehr große Zeiträume bei der Entwicklung des Christentums vorliegen und damit auch sehr viel Einfluss auf die Gestaltung der Texte genommen werden konnte und sicherlich auch wurde. Selbst noch 1975 (!) wurde in der Lutherbibel eine judenfeindliche Verfälschung vorgenommen. Der jüdische Religionsphilosoph Pinchas Lapide macht uns in seinem Buch Ist die Bibel richtig übersetzt? (Gütersloh 2004, S. 230 f.) darauf aufmerksam. So wurde im Römerbrief (Rom 11,28) die Textstelle „Im Hinblick auf das Evangelium sind sie [die Juden, Anm.] zwar Feinde um euretwillen; ...“ recht eigenwillig umformuliert: „Im Hinblick auf das Evangelium sind sie zwar Feinde Gottes; ...“. 1984 – bei der nächsten Revision der Bibel – wurde diese „Ungeheuerlichkeit“ (Lapide) zwar revidiert, doch die katholische Bibel hat es bis heute übernommen, auch wenn keine Bibel davor, nicht einmal das älteste Textdokument, Röm 11,28 so darstellt.

Über den Umfang der Überarbeitungen gerade in der Zeit des Urchristentums mag man streiten. Aber allein schon der lange Zeitraum, bis die heute verfügbaren Texte als halbwegs gesichert gelten konnten, sollte zur Skepsis Anlass geben. Am deutlichsten zeigt sich dies bei der Zuordnung der Paulusbriefe. Für die Kirche ging es offensichtlich von Anfang an um Machteroberung und -behauptung und nicht um geschichtliche oder religiöse Wahrheiten.

Wie viel Eitelkeit verbirgt sich hinter dem Anspruch, Gegenstand eines göttlichen Plans zu sein.

Christopher Hitchens, amerik. Autor

2 Christliche Kunst: vom Schein zum Sein

Ein wichtiger Aspekt zur Verbreitung glaubensbedingter Vorstellungen verdient eine gesonderte Betrachtung, weil er nirgends ausdrücklich thematisiert wird: Die christliche Kunst. Wie bei Riten, Zeremonien und Kulten ist zunächst einmal gar nicht ausschlaggebend, was da gezeigt wird, sondern es sind schlichte Denkvorschriften und Hirnprogrammierungen, die auch aus einem Schein allein durch ihre Wirkung zum Sein führen sollen. Nicht nur die ersten Anhänger kamen aus der Unterschicht und waren Analphabeten, sondern auch in den folgenden Jahrhunderten stammte die Mehrzahl ebenfalls aus den unteren Schichten. Man missionierte deshalb mit Bildern und schmückte Kirchen mit diesen aus. Von einem göttlichen Gesetz „Du sollst kein Bild von mir machen“, ließ man sich schon gar nicht abbringen. Auch das Alte Testament lieferte mit seinen Geschichten genug Bilder, die man mit Glaubenseifer ausmalen konnte. So wurde unbemerkt auch eine Scheinwelt zu einer realen Ansichtswelt – trotz des strikten Bilderverbots im Judentum.

Was vielen Menschen selbst bis heute gar nicht bewusst sein wird, ist, wie sehr auch sie durch die christliche Kunst manipuliert werden, die auf dem Formverständnis der römischen (!) Antike basiert. Zum einen scheint die Verbreitung christlicher Kunst durch Gemälde, Skulpturen und nicht zuletzt vor allem durch beeindruckende Bauten (Kirchen, Dome, Klöster, Bischofsresidenzen) und deren Ausstattung an sich schon für den Wert und die Wahrheit des Christentums zu sprechen. Und es fällt wohl auch einem Atheisten zunächst einmal schwer, sich nicht von der baulichen Pracht eines Petersdoms, den Gemälden oder Skulpturen eines Michelangelos oder den Schnitzereien eines Riemenschneiders oder der sonstigen zehntausenden verherrlichenden Werke beeindrucken zu lassen. Doch mit irgendeiner Wahrheit hat dies rein gar nichts zu tun. Wenn wir uns jedoch bewusst machen, dass auch in der Antike die Menschen vom Anblick der Tempel und Kultorte in gleicher Weise beeindruckt gewesen sein werden, dann wird uns bewusst, dass auch deren Existenz und Anblick weder für die Wahrheit noch deren Wert gesprochen haben. Das gleiche gilt für die Ansicht von Kunst- und Kulturobjekten in anderen Kulturen. Den Islam oder andere Religionen halten Christen nicht für wahr, auch wenn diese ebenfalls mit grandiosen Bau- und sonstigen Kunstwerken glänzen. Aufgrund unserer kulturellen Prägung neigen wir sicherlich dazu, die bekannten christlichen Werke für authentische Glaubensbezeugungen zu halten und die Werke anderer Glaubensgemeinschaften als künstlerisch anerkennenswerte, aber surreale Verirrungen (z. B. des Hinduismus) zu verstehen. So führt der psychologische Kurzschluss von Kunst und Können, Pracht und Prunk lediglich zu einer Wahrheit des tradierten Scheins.

Zudem mutmaßen wir dann auch leichtfertig, dass es ja einen Grund haben müsse, wenn sich die maßgeblich und einzig bekannten und allgemein anerkannten Künstler ausschließlich oder überwiegend der Darstellung christlicher Episoden und Personen gewidmet haben. Wie viele Bauwerke und Bildbände bezeugen nicht die „christliche Sicht“? Dabei übersehen wir geflissentlich, wer überhaupt über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügte, um Künstler und damit deren Kunstwerke bezahlen zu können. Das waren nun einmal die Herrschenden, also die weltlichen und vor allem die kirchlichen Machthaber. Das gemeine Volk lebte schon immer mehr oder weniger am Rand des Existenzminimums und merkte nur selten, dass es mit seiner Glaubenstreue nur seine eigene Ausbeutung verherrlichte. Künstlern blieb schlussendlich gar nichts anderes übrig, als ihren Lebensunterhalt mit religiösen Werken auf Bestellung zu bestreiten und so das Christentum zu verherrlichen. Profane Kunst oder Bücher wurden sogar bis zur Renaissance radikal ausgemerzt. Die Herrschenden wussten schon immer, wie man Untertanen am einfachsten beeindrucken konnte.

Im 20. Jh. übernahmen Spielfilme den Transport des Scheins in das Unterbewusstsein. Bilder sind ein „Ist“. Wer sich etwas mit Psychologie beschäftigt hat, der weiß, dass - im Unterschied zum Bewusstsein - das Unterbewusstsein gerade nicht zwischen Wahrheit und Unwahrheit unterscheiden kann. Für das Unterbewusstsein ist jedes „Ist“ einfach ein „Ist“. Ein gemalter Glaube IST - wahrer – Glaube und mutiert damit zum (nach wie vor falschen) Wissen. Das Machtverhältnis zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein gibt letzterem stets den Vorrang – wenn man nicht bewusst die Zusammenhänge reflektiert. Deshalb nimmt man auf die Erziehung von Kindern Einfluss, um möglichst bildhaft zu implantieren, was man möchte, bevor sich ein allzu kritisches Bewusstsein entwickeln kann.

Daneben ist auch ein anderer Aspekt zu beachten: Man kann etwas Falsches darstellen; aber etwas Wahres, das eine Negation darstellt, kann man nicht oder nicht so einfach darstellen. Einen erfundenen Teufel oder eine Hexe kann man problemlos malen, schnitzen oder aus dem Stein hauen. Aber wie kann das aussehen, wenn die Existenz eines Teufels, einer Hexe oder eines historischen Jesu verneint wird? Das „Nicht-Sein“ lässt sich nicht bildhaft darstellen, allenfalls über eine komplexe Umschreibung vergegenwärtigen. Das Gehirn und das Unterbewusstsein reagieren nach bestimmten Gesetzen. Beispiel: Sagen Sie einmal zu jemandem, er solle auf keinen Fall an einen rosa angemalten Elefanten denken; oder bitten Sie ihn, er solle sich jetzt unter keinen Umständen die Kellnerin nackt vorstellen. Egal, was Sie auf diese Frage als Antwort erhalten werden: Der Angesprochene wird sich zunächst genau das vorstellen, was er sich auf keinen Fall vorstellen sollte und vermutlich auch überhaupt nicht wollte. Und so kann ein Gläubiger mit einem umgehängten Kreuz seine Gedankenwelt offenbaren. Aber was hängt sich jemand um, der z.B. das Christentum als Unsinn, Erfindung, Fiktion, Verfälschung oder als irrelevant ansieht? Seine Gedankenwelt kann er durch keine Gegenständlichkeit kundtun. Deshalb dominieren zwangsläufig Vorstellungen, die sich ungeachtet ihres Wahrheitsgehalts gegenständlich zur Schau stellen lassen. Negationen lassen sich indes nicht darstellen. Und so muss man eben feststellen, dass sich das Gegenständliche einfacher und nachträglicher einprägt als alle Wahrheit, die auf abstraktem Wege vermittelt oder gar durch Denken ermittelt werden muss.

Vermutlich wurde und wird bis heute viel mehr mit Bildern und Gegenständen (Reliquien, Monstranzen, Kreuzen, Bildnissen) missioniert und werden so Glaubensvorstellungen geschaffen, als mit Worten, Predigten oder theologischen Traktaten. Das Zeremonielle steht stets im Vordergrund. Altbekanntes in steter Wiederholung. Aber auch Wiederholungen sind kein Beleg für Wahrheit. Wenn Fernsehen, Rundfunk, Tageszeitung und Internet die gleiche Meldung verbreiten, heißt selbst das noch nicht, dass diese Meldung den Fakten entspricht. Die Tendenz zu schlichtem Denken und die Überzeugungskraft von etwas Gesehenem sind für das Unterbewusstsein gegenüber der abstrakten, bewussten Erfassung um ein Vielfaches überlegen. Früher missionierte man schon wegen des Analphabetismus vor allem bildlich. Aber bis heute hat dieser Effekt nichts an Wirksamkeit verloren. Was wäre der Teufels- und Höllenglaube ohne einen Maler wie Hieronymus Bosch? Er zeigte mit seiner ausschweifenden Fantasie, was dann wohl zu einer durchgängigen Vorstellung von Teufel, Hölle und Martern geriet. Massensuggestionen findet man nicht nur in Fußballstadien, sondern in gleicher Weise bei Kirchentagen, Prozessionen, in Wallfahrtsorten oder auf dem Petersplatz.

Die Bedeutung bildlicher und gegenständlicher Darstellungen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Selbst objektiv falschen Vorstellungen, die suggestiv durch Bilder vermittelt werden, kommt man mit dem Verstand nur schwer bei. Selbst wahrscheinlich unähnliche Portraits Heiliger - bei Petrus, Jakobus, Paulus oder sonst wem - führen nicht dazu, sich allein deswegen von einem Bild abzuwenden. Gläubige fühlen sich durch jede Art der Darstellung bestätigt, egal ob eine Figur einen Bart trägt, eine Glatze hat oder mit was sonst sie der Künstler gewandet hat. Alles vollkommen gleichgültig und für das Unterbewusstsein „wahr“.

Ein Jesus hätte aus anatomischen Gründen niemals so am Kreuz hängen können, wie es durchgängig und „durchhängig“ dargestellt wird. Einige Jahrhunderte zuvor wäre meine Sicht der Dinge Grund für eine Hinrichtung wegen Blasphemie gewesen. Blasphemie geht davon aus, dass man einen Gott oder Götter beleidigen kann. Ein merkwürdiger Gedanke, aber der nutzt den Glaubensvertretern, sozialen Druck auszuüben. Der somit blasphemische Film Das Leben des Brian (UK 1979) zeigt auch hier die Wirklichkeit besser, als die üblichen frommen Darstellungen. Bei einer Kreuzigung wurden die Arme über den Querbalken gelegt und mit Stricken festgebunden. Es ging gar nicht um ein Ausbluten des Delinquenten, sondern um dessen qualvollen Erstickungstod. Mit dicken Stricken dürfte nicht einmal ein Verknoten erforderlich gewesen sein, wie auch im Film anschaulich vorgeführt wird. Ein Festnageln durch die Handfläche ist zwar möglich, aber diese Fixierung würde sofort aufreißen, sobald der Delinquent mit seinem eigenen Körpergewicht daran hängt. Von dem dramatischen Effekt ginge viel verloren, weshalb auch noch nie ein Mediziner diese Darstellung allein deshalb als fehlerhaft kritisiert hätte. Das gleiche gilt für die nach einem Lanzenstich blutende Leiche. Auch dies ist anatomisch schlicht unzutreffend. Eine Leiche blutet gerade nicht mehr. Umgekehrt werden Gestalten aus dem Neuen Testament in kostbaren Gewändern dargestellt, was auch jeglichem Realitätssinn widerspricht – von Heiligen scheinen ganz abgesehen. Das muss man nicht ausweiten. Gerade Bilder und Skulpturen sollten sich auch Atheisten und Andersgläubige genau ansehen. Das lohnt sich oft.

Interessant ist in diesem Zusammenhang jedenfalls, dass in vielen frommen Büchern mit Abbildungen geglänzt wird, obwohl jeder Autor weiß, dass der jeweilige Künstler keinerlei Informationen gehabt haben kann, wie denn nun die dargestellte Person in Wirklichkeit ausgesehen haben könnte. Man muss sich nur einmal vorstellen, da malt jemand eine Maria, einen Paulus, einen Johannes den Täufer, einen Jakobus usw. Was sollen uns diese Bilder eigentlich sagen? So sähe diese Person aus? Nein? Wozu also? Das ist letztlich reine Hirnmanipulation und ganz dicht an der jüdisch verbotenen, aber römisch üblichen Götzenverehrung. Wahr ist, was man sieht. Unser Unterbewusstsein kann nicht zwischen Lüge, Phantasie und Wahrheit unterscheiden. Dies ist sogar ein eigener Blickwinkel bei der Kritik am Christentum, dass keine Person in den Evangelien dort tatsächlich ein „Gesicht“ oder eine „Gestalt“ bekommt. Alle Personen, selbst Jesus, bleiben „optisch“ blass und unscheinbar. Keinerlei Beschreibung. Nur Johannes der Täufer habe einen Mantel aus Kamelhaar umgehabt. Es gibt nicht die kleinsten biblischen Hinweise auf das Aussehen der auftretenden Personen. Das passt nur schlecht zu einer echten Historie, aber es passt perfekt zu einer Geschichte, mit der ein Mythos einen anderen Mythos bekämpfen will. Das passt zu einer realitätsfernen und realitätsvermeidenden Strategie.

Besonders amüsant fand ich in diesem Zusammenhang einmal das Titelbild einer Zeitschrift, auf dem ein europäisch anmutender Jesus dargestellt wurde, im Inhaltsteil aber dann ein modelliertes Gesicht, wie Jesus nach der Auffassung forensischer Wissenschaftler wohl ausgesehen haben müsste. Das war dann mehr oder weniger entlarvend, eben ein typisches semitisches Gesicht, wie wir es heute mit Juden und auch Muslimen des Nahen Ostens in Verbindung bringen. Aber diesen Jesus konnte man natürlich unmöglich auf der Titelseite präsentieren. Amüsant ist aber oft auch, wie sich gerade namhafte Künstler immer wieder durch versteckte Symbolik gegen die Vorgaben und Absichten ihrer Auftraggeber zur Wehr setzten. Die dargestellten und in Beziehung zueinander gesetzten Personen oder die Verwendung gewisser Symbole konterkarieren oft geradezu die vorgebliche religiöse Botschaft. Leonardo da Vincis Fresko „Das letztes Abendmahl“ ist wohl die bekannteste Irritation, indem er augenscheinlich eine Frau an die Seite Jesu gesellte. Auch mancher Finger, z. B. bei Jesus- und Johannes-Knaben, könnte möglicherweise ganz anders zu verstehen sein.

Je religiöser ein Mensch ist, desto mehr glaubt er; je mehr er glaubt, desto weniger denkt er; je weniger er denkt, desto dümmer ist er; desto dümmer er ist, desto leichter kann er beherrscht werden. Das gilt für Sektenmitglieder ebenso wie für die Anhänger der großen Weltreligionen mit gewalttätigem „Wahrheits“-Anspruch. Dagegen hilft, auf Dauer, nur Aufklärung.

Adolf Holl, Theologe

3 Erklärungsversuche für Unerklärliches

Glauben bedeutet zunächst einmal nichts anderes, als nichts zu wissen und vielleicht auch wenig oder gar nichts zu verstehen. Das Entscheidende ist aber, dass sich auch jeder Glaube vorrangig an der Realität und Naturgesetzen zu orientieren hat, mittels Erkenntnistheorie oder schlichtem Denken. Erst wenn diese Möglichkeiten ausgeschöpft sind, kann man zum Glauben wechseln. Wenn feststeht, dass ein Papst das Datum von Weihnachten fast willkürlich festgelegt hat, dann sollte das Anlass genug sein, das Datum nicht weiterhin wörtlich zu nehmen. Wenn jemand trotzdem glauben will, dass dies der wahre Tag der Geburt Christi sei, dann hat das mit intellektueller Redlichkeit nichts mehr zu tun und erübrigt jede weitere Diskussion. Aber es gibt auch Menschen, die neugierig werden, wenn sie erst einmal entdecken, dass das Geglaubte einer sachlichen Kritik nicht standhält. Erst dann kann die Suche nach der Wahrheit ernsthaft beginnen.

Manchmal hilft dabei, wenn man zunächst überlegt, auf welche Weise man überhaupt zu seinem Glauben gekommen ist. Dabei zeigt sich das Dilemma, vor dem alle Aufklärungsabsichten stehen: Kann man mit Vernunft gegen etwas angehen, zu dem jemand unvernünftig gebracht wurde? In aller Regel ist der Glaube das Ergebnis einer Sozialisation, das Ergebnis der Erziehung und des sozialen Umfelds. Im Gegensatz zu Kindermärchen oder magischen Überzeugungen werden religiöse Denkmuster sehr häufig gerade nicht mit zunehmendem Alter hinterfragt. Es ist ganz im Gegenteil festzustellen, dass diese Prägung als Teil der eigenen Persönlichkeit empfunden und deshalb bedenkenlos ohne konkretes Wissen vehement und emotional verteidigt wird. Der Glaube wurde erfolgreich implantiert.

Doch glauben dürfen heißt nicht glauben müssen. Zur Selbstprüfung unserer Überzeugungen hat uns die Evolution den Verstand gegeben und dieser sollte in einer zukunftsorientierten Gesellschaft auch genutzt werden. Erkennen und Verstehen an sich ist schon etwas Schönes, es ist aber auch erforderlich, um Ängste abzubauen. Furcht lähmt bekanntlich, vor allem vor dem Unbekannten. Je weniger man versteht und durchschaut, desto bedrohlicher muss demnach jedes sich verändernde Szenario wirken. Nicht zuletzt die Angst vor dem Tod ist es, die Menschen unsicher und zu Anhängern von Religion macht.

Wenn man sich mit christlicher Religion beschäftigt, muss der Blick zwangsläufig rund 2.000 Jahre zu seinen Anfängen zurückschweifen. Auch der folgende Ablauf und die sich kontinuierlich ändernden Bedingung sollten reflektiert werden. Sehr vieles, was heute als Bestandteil des Christentums angesehen wird, hat sich erst im Laufe der Geschichte herauskristallisiert.

Eine unübertroffene Prüfmethode auf der Suche nach besseren Arbeitshypothesen ist das sogenannte „Ockham'sche Rasiermesser“. Dieses Sparsamkeitsprinzip entwickelte der englische Philosoph und Mönch William of Ockham (1288 – 1347), der sich um Rationalität bemühte. Er war überzeugt, dass bei mehreren denkbaren Lösungen immer die These die größte Wahrscheinlichkeit aufweise, die mit den wenigsten Hypothesen auskommt. Das Einfachste, das alles erklärt, ist somit auch immer das Wahrscheinlichste. Ockham lieferte übrigens das Vorbild für William of Baskerville, den von Sean Connery gespielten analytischen Ermittler im Film Im Namen der Rose nach Umberto Ecos berühmtem Roman.

Doch nun zu meinem Untersuchungsgegenstand, der Entstehung des Christentums. Wie hat alles angefangen? Ich will dies hier zunächst so erzählen, wie es nach bisheriger Vorstellung und von vielen Autoren präsentiert wird.

Alle Theologen sind sich dem Grund nach einig, dass vor rund 2.000 Jahren eine Endzeiterwartung unter den Juden in Palästina um sich griff. Nach einer kurzen Zeit der Selbstständigkeit gerieten Judäa, Samarien und Galiläa unter römische Herrschaft. Mit dem Einmarsch des Pompejus und seiner römischen Legionen 63 vor Beginn unserer Zeitrechnung (v. u.Z.) endete die jüdische Selbstständigkeit. Unter dem idumäischen Herrscher Herodes gab es in Palästina mit Judäa als Zentrum zunächst noch weitgehend Frieden, aber die Sehnsucht nach einem Messias, der die Herrschaft Gottes herstellen und die Juden befreien würde, wuchs kontinuierlich. Doch noch entrichteten die Juden ihre Steuern nicht direkt an die römischen Heiden, sondern an Herodes. 4 v. u.Z. folgte ihm dessen Sohn Fürst Archeläus auf den Thron Judäas und Idumäas. Wegen seiner Unfähigkeit fiel er jedoch im Jahr 6 u.Z. in Ungnade und die Römer übernahmen selbst die Verwaltung. Nun forderten die Römer in diesem Gebiet von den Juden direkt den Tribut. Dazu wurde in diesem Herrschaftsgebiet eine Steuerzahlung angeordnet. Das jedoch war mit den religiösen Vorstellungen der Juden unvereinbar, da sie nach ihrer Religion keinem Nichtjuden Steuern zahlen durften. Diese Steuerzahlung war vermutlich das, was bei dem Evangelisten Lukas in die Zeit der Geburt Jesu verlegt wurde. Aber in seiner Geschichte stimmen weder Personen, noch Zeit noch Ort. Diese Steuererfassung galt nur für Judäa und gerade nicht für Galiläa, sodass es auch keinen Grund einer Reise für einen Josef und seine hochschwangere Frau Maria nach Bethlehem geben konnte. Der Herrscher in Galiläa war Herodes Antipas, ein anderer Sohn des verblichenen Herodes des Großen. Für die Juden in seinem Herrschaftsgebiet Galiläa hatte sich durch die Absetzung seines Bruders nichts geändert.

Zudem hätte eine derartige Reisewelle zu Orten, wo vor tausend Jahren einmal ein Vorfahre gelebte hatte, keinerlei Sinn. Die Textkonstruktion dieser Reise diente lediglich dazu, einen Bezug zum angeblichen Vorfahren König David herzustellen. Dies ist allein dem Glauben geschuldet, dass der erwartete Messias aus der Heimatstadt Davids kommen müsse. Die Verfasser des Lukas- und des Matthäus-Evangeliums gestalteten so ihre jeweiligen messianischen Geburtsgeschichten.

Das Geburtsjahr Jesu wird seit längerem unter Bezug auf die Weihnachtsgeschichte und den Tod des Herodes auf ca. 4 v. u.Z. datiert. Das Datum war aber sicherlich nicht der 25. Dezember. Zu dieser Zeit waren weder Hirten auf dem Feld noch gab es Lämmer, wie die Evangelisten behaupten. Lämmer werden im Frühjahr geboren. Wie es zu dieser falschen Datierung kam, ist nicht ganz geklärt. Man nimmt jedoch an, dass Kaiser Aurelian den 25. Dezember 274 u.Z. als reichsweiten Festtag für den Sol Invictus (der unbesiegbare Gott des Mithras-Kultes) festgelegt hatte und dieses Datum erst danach christlich übernommen wurde. Doch dies sollte nur der Anfang von zahllosen Übernahmen heidnischer Gebräuche und Kultstätten sein. Und das geschah alles durchaus nicht immer so friedlich, wie es die klerikale Geschichtsschreibung gerne darstellt.

Zur Manifestation eines Gottes gehörte schon immer auch entsprechendes Anhimmeln. Die Anbetung sogar durch fremde Könige war in der Antike ein beliebtes Motiv, um die Überlegenheit des Angebeteten zu unterstreichen. Anzahl und Namen dieser Könige entnahm man im Fall von Jesu Geburt bezeichnenderweise apokryphen (= verborgenen) und kirchlich gerade nicht anerkannten Quellen. So ist weder von einem Balthasar noch von Myrrhe in den Evangelien die Rede. Das gilt auch für andere Zutaten der Geburtsszene wie Stall und Esel.

Ein Einschub zu meiner Darstellungsweise: Da niemand innerhalb der üblichen Theologie angeben kann, wer sich hinter den Autoren namens Markus, Lukas, Matthäus oder Johannes verbirgt, und da es sich somit um anonyme Autoren handelt, deren Evangelien von der Kirche mit diesen Namen versehen wurden, werde ich, um diesen fiktionalen Charakter deutlich zu machen und dem Leser eine Zuordnung zu ermöglichen, von einem „Markus-Verfasser“ (Abkürzung künftig: Mk-Vf), „Matthäus-Verfasser“ (Mt-Vf), „Lukas- (Lk-Vf) und einem „Johannes-Verfasser“ (Joh-Vf) sprechen. Nach der hier vertretenen These handelt es sich bei den Verfassern der synoptischen Evangelien um Schreiber der von mir so benannten „römischen Schreibstube“. Ich verzichte außerdem bei der Nennung des Namens „Jesus“ auf klarstellende Formulierungen wie „vermeintlich“, „erfunden“ oder „in den Mund gelegte Worte“. Wenn ich von „Jesus“ spreche, dann immer nur in seiner Erscheinung als Mythos und in Bezug auf das Erörterte.

Und noch etwas bedarf dringender Korrektur: Herodes, der angeblich Große, war ein Tyrann, wie es damals eben üblich war. Er ließ zwar den Jerusalemer Tempel wieder aufbauen, der dann aber im Jahr 70 u.Z. von den Römern bei der Eroberung der Stadt zerstört wurde. Dieses Ereignis als Folge des Jüdischen Krieges von 66 – 70 u.Z. wird üblicherweise eher beiläufig erwähnt und damit in seiner Bedeutung vollkommen unterschätzt. Dabei handelt es sich allerdings um den zentralen Ausgangspunkt zur Erschaffung des Christentums wie wir noch sehen werden.

Bei den Juden war Herodes als Idumäer (aus der Gegend südlich von Judäa) kein vollwertiger Jude und schon deshalb als König unbeliebt. Das Ganze wirft auch so nebenbei ein entsprechendes Licht auf die Toleranz und das ethnische Empfinden der damaligen Juden. Auch die nördlichen und zwischen (!) Judäa und Galiläa (auch das sollte man wissen, weil sich daraus manches ergibt) angesiedelten Samariter waren bei ihnen äußerst unbeliebt. Und das vor allem, weil sie eben einen eigenen Tempel in Samaria betrieben und Jerusalem nicht als jüdisches Zentrum anerkannten.

Gegen Ende seines Lebens entwickelte Herodes offensichtlich psychopathische Züge, was dazu führte, dass er auch seine Ehefrau und einige Söhne ermorden ließ. Dies allein bildet die historische Vorlage für den literarisch ausgeschlachteten Kindermord. Sein offensichtlich düsteres Charakterbild rechtfertigt allerdings nicht, ihm deshalb auch den biblischen Kindermord unterzuschieben. Dazu kam eine alttestamentliche Vorlage für die Geschichte um Jesus: Ein bisschen ‚Mose‘ hier (Rettung des einzigen Kindes vor Kindermorden) und ein wenig ‚Haus David‘ (und dessen Stammsitz Bethlehem) da passen gut zum Messias. Abgesehen davon, dass es ein etwas merkwürdiges Bild auf einen Gott wirft, der unschuldige Kinder als Kollateralschaden einfach abschlachten und einzig seinen Sohn bzw. einen Propheten retten lässt, hätte ein derart skandalöser Vorgang auch damals unter Historikern mit Sicherheit seine Runde gemacht und Anekdoten hinterlassen. Doch kein einziger Schriftsteller außer den beiden Evangelisten (Lukas/Matthäus) berichtet davon etwas, sodass heutige Historiker auch diese Geschichte lediglich als schmückende Erfindung einstufen.

Selbst die Kirche brauchte bis zum 4. Jh., um ein mäßiges Interesse an Jesu Geburt zu entwickeln und seinen Geburtstag theologisch festzuschreiben. Erst mit Konstantin wurde das Christentum zu einer bevorzugten Religion und dann nach 380 u.Z. unter Theodosius II. zur alleinigen Staatsreligion. Alle anderen Glaubensrichtungen wurden strikt verboten. In diese Zeit des 4. Jh. fallen also das bis heute maßgebliche Konzil von Nicäa (325 u.Z.), das Auffinden des „wahren Kreuzes“ durch die Kaisermutter Helena (ebenfalls 325 u.Z.) und die ältesten schriftlichen Texte des Neuen Testaments. In dieser Zeit begann auch der bis heute betriebene Reliquienkult. Diese Daten werden so gut wie nie im Zusammenhang genannt. Aber genau dies erfordert eine historische Betrachtung, denn kein Ereignis dürfte als völlig unabhängig von den anderen anzusehen sein. Allein dies macht schon stutzig.

Fazit der unabhängigen Forschung zur Geburt Jesu

nicht in Bethlehem

nicht als Sohn Davids

nicht an diesem Datum (24. Dezember)

kein Kindermord

keine Jungfrauengeburt (Zeugung durch Heiligen Geist ist Glaubenssache)

kein Stern über dem Stall (astronomisch unmöglich)

keine Könige/Sterndeuter

keine Geschenke durch selbige

Wenn man sich diesen Feststellungen anschließt, dann entfällt sehr viel von der Gloria des Christentums bereits mit seinem Beginn in sich zusammen. Wie in der theologischen Praxis ohnehin immer wieder leicht zu erkennen ist, schwankt das Christentum vor allem zwischen den beiden Polen des sprachlosen Säuglings und des stummem Leichnams. Dieses wunderbare und entlarvend zutreffende Bild habe ich von anderen entlehnt. Es sagt mehr als vieles andere. Die Zeit zwischen Geburt und Tod wird weniger mit den Worten dieses Menschen, sondern vor allem mit der Deutung seiner angeblichen Worte und Taten ausgefüllt.

Der Briefe-Paulus bestimmt Gedanken und Vorstellungen von Kirche und Gläubigen weit mehr als die Person, die als ihr Religionsgründer ausgegeben wird. Die Vision eines angeblichen Adepten zählt mehr als das überlieferte Wort des auslösenden Urhebers. Vielleicht, weil dieser Paulus nach seiner Vision, wie sie die Apostelgeschichte schildert, nach eigenem Bekunden (im Brief an die Galater) erst einmal für drei Jahre nach Arabien gegangen sein soll. Erst danach will er zu einem Kurzbesuch nach Jerusalem gereist sein. Es dürfte nicht viele Menschen geben, die sich nach einem derart und gar nicht genug herauszustellendem existentiellen Erlebnis – Ein Gott spricht mit mir! - erst einmal eine mehrjährige Auszeit gönnen. Die dann auch keinen großen Ehrgeiz entwickeln, den Zeugen dieses Ereignisses durch Sammlung von Informationen über den Gepriesenen vor Ort näherkommen zu wollen. Nein! Wahres Interesse sähe gewiss anders aus. Aber wenn man sich stattdessen erst einmal sein eigenes Konzept ausdenkt, dann kann alles Tatsächliche gerne auf sich beruhen bleiben. Erst recht, wenn dieser Paulus seine Erkenntnisse erst zu einem viel späteren Zeitpunkt und mit andersartigen Motiven nachliefert. Den Christus im Fleisch sieht er nur als unnütz an (2.Kor 5,16). Wir werden sehen, wie sich dies alles erklären lässt.

Als Autor ist es schwer, etwas als Tatsache wiedergeben zu wollen, wenn man gleichzeitig weiß, dass und vor allem warum dies alles so und nicht anders erlogen wurde. Ich schreibe bewusst ‚erlogen‘, da die Verfasser nicht etwas Wahres nur ungenau oder falsch wiedergegeben hätten, sondern weil hinter der ganzen Geschichte eine bewusste, gezielte und berechnende Strategie der ‚römischen Schreibstube‘ steht. Mit dieser Aussage greife ich keinen seriösen Christen an, sondern römische Glaubens-Manipulatoren! Das Christentum ist eigentlich eine römische Sabotage-Religion gegen den jüdischen Messias-Glauben und diente der Verherrlichung des römischen Kaisers bzw. des Kaiserhauses.

Aber nicht nur die Geburtsgeschichte ist historisch unzutreffend, sondern selbstverständlich auch die Passion. Auch diese Geschichte dürfte bekannt genug sein, als dass ich sie breit wiederholen müsste. Ich komme aber darauf zurück, um auszuführen, welche Schlüsse sich aus der Darstellung ergeben. Ich gebe hier nur als Sachstand wieder, was in der kritischen Erforschung des Christentums als besonders fragwürdig und unzutreffend aufgezeigt wird.

Es gab

keinen Verrat durch einen Judas (weder Paulus noch Johannes berichten dies)

keine Tagung des Sanhedrins (Hoher Rat) nachts

keinen Prozess vor einem Statthalter Pilatus

keine Hinrichtung auf Betreiben der Juden

keinen Freilassungsanspruch (völlig eindeutig weder nach römischem noch nach jüdischem Recht; zudem in sich unsinnig)

keine leibliche Auferstehung (das ist ausschließlich Glaubenssache)

Die Frage nach dem historischen Jesus, dem Christentum und seiner religiösen Botschaft beschäftigt die historische Wissenschaft und – oft dadurch erst atheistische gewordene – Glaubensinteressierte erkennbar erst seit der Zeit der Aufklärung vor rund 200 Jahren. Davor galt es als selbstverständlich, nicht nur das Alte Testament, sondern auch die Evangelien, die Briefe des Paulus und was an außerchristlichen Zeugnissen aufgeboten wurde als historisch belegt anzusehen. Selbst wenn mehr oder minder große Widersprüche, nachgewiesene Irrtümer und auch Fälschungen bemerkt wurden. Kritische Meinungen wurden nicht geduldet und es war bekanntlich ohnehin über Jahrhunderte wahrlich lebensgefährlich, eine andere als die kirchliche Meinung zu vertreten.

Die Suche seit der Zeit der Aufklärung bis heute galt fortan dem historischen Jesus, seinem wahren Wort usw. Als Beispiele für diese heutige Aufarbeitung seien die Bücher von Gerd Lüdemann (Der erfundene Jesus – Unechte Jesusworte im Neuen Testament), Heinz-Werner Kubitza (Der Jesuswahn – Wie die Christen sich ihren Gott erschufen) oder auch Uta Ranke-Heinemann (Nein und Amen - Mein Abschied vom traditionellen Christentum) genannt. Deren bereits bis an die Grenzen jeglicher Glaubwürdigkeit des Christentums führenden Fragen stellt Harald Specht in Jesus? - Erfindungen und Tatsachen allerdings noch radikaler. Das Fazit dieser Untersuchungen läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass es sich bei Jesus um nichts als einen Mythos handelt. Einen Jesus, so wie er neutestamentlich dargestellt wird, hat es nie gegeben. Etliche Forscher verneinen jegliche Existenz eines Jesus, aber andere sehen in ihm einen ganz anderen Jesus. Sie gehen von einer Umformulierung der Geschichte aus. Erst die Gläubigen hätten aus einem Rädelsführer und Rebellen einen neuen friedfertigen Jesus geformt. Hat nicht auch Karl May einen blutrünstigen und hinterhältigen Winnetou zu einem edlen und ethisch achtenswerten Indianer umgeschrieben? Die Autoren mit dieser Meinung erkennen nicht einmal, welche Hypothesen sie aufbauen müssten (sie versuchen es vorsorglich gar nicht erst), um diese These zu stützen. Mit einigen dieser Autoren, die mit ihren Rettungsversuchen mehr Absurditäten liefern als es jeder Zweifel leisten könnte, habe ich mich in Denken statt glauben auseinander gesetzt. Das Ockham'sche Rasiermesser lässt grüßen.

Keiner dieser Autoren stellt die Frage nach dem Motiv und den Umständen der Entstehung. Nirgends wird die Frage nach der Ursache überhaupt gestellt. Dabei sollte sich jeder, der vor einer ungeklärten Situation steht, zunächst einmal fragen ‚Wem nützt dies?‘ Und dann auch ‚Wem nützt dies auf diese Weise?‘ Man geht stets davon aus, dass das Christentum aus dem Judentum entstanden sei. Dass schon ein derartiger Prozess schwierig zu verstehen und kaum zu erklären ist, übergeht man durchweg leichtfertig angesichts der Tatsache, dass die Geschichte Jesu in Palästina gespielt haben soll, und es nun ein Christentum gibt. Doch auch, dass es ein Christentum gibt, sagt nichts über dessen Wahrheitsgehalt aus - wie bei allen Religionen. Ansonsten müssten auch Islam, Hinduismus und unzählige andere Religionen allein wegen ihrer prächtigen Bauwerke und Kultobjekte wahr sein. Ob eine Ideologie wahr ist, muss an anderen Merkmalen untersucht werden.

Diese scheinstiftenden Belege sind bei gründlicher Betrachtung genauso schlüssig, wie man aus der vermehrten Anwesenheit von Störchen auf eine ansteigende Geburtenrate bei Menschen schließen kann. Wenn sich jedoch keine Spuren mehr finden ließen, so könnte man vor der Frage nach dem Motiv kapitulieren. Doch das wäre leichtfertig. Wir sollten dies alles keinem unerfindlichen Ratschluss eines Gottes zuordnen, sondern können ganz handfeste irdische Interessen aufzeigen, die genau diese Geschichte in einen historisch sinnvollen Zusammenhang stellen. Mit dem Ockham'schen Rasiermesser können wir zu komplexe Überlegungen auch ein wenig stutzen und nach der einfachsten Lösung suchen.

Bislang konnte man sich nicht einmal vorstellen, dass irgendjemand ein Christentum - insbesondere mit diesen Protagonisten - erfunden haben könnte. Doch inzwischen anerkennt man sogar, dass dieses vermeintlich Undenkbare mit wesentlich größerer Plausibilität und vor allem mit wissenschaftlichen Belegen als nachgewiesen angesehen werden muss. Beweisen nicht schon unzählige Heiligenlegenden, dass die menschliche Fantasie hin und wieder jegliche Realität und Naturgesetze weit hinter sich lässt und doch geglaubt wird? Gemäßigte Kritiker des Christentums begnügen sich damit, dass sie beanstanden, dass die Figur eines Jesus quasi als Kleiderständer für die theologischen Aussagen der Evangelisten selbst missbraucht wird. In diesem Zusammenhang hat sich der Sprachgebrauch einer „nachösterlichen Gemeindebildung“ eingebürgert, um die offensichtlichen Merkwürdigkeiten eines wiedergegebenen Textes erklären zu können. Diese Kritiker (Klausner, Crossan, Page, Tabor, Maccoby, selbst Kubitza oder Lüdemann u. v. a. m.) halten dabei jedoch einen Jesus im Kern immer noch für eine historische Person. Selbst wenn aus Sicht einer römischen Schreibstube die Indizienkette gegen diese Annahme erdrückend ist und sich hinter der literarischen Figur weder ein historischer Bezug noch eine reale Geschichte erkennen lassen, steht in Anbetracht der bisherigen Geschichte fest, dass sich aus diesem Umstand keinerlei Konsequenzen für das klerikale Christentum ergeben werden. Es gehört gerade elementar zum Wesen des Glaubens, dass sich seine Repräsentanten und Meinungsführer allenfalls in existenzbedrohenden, prekären oder absolut aussichtslosen Lagen (die Erde musste als kugelähnlich anerkannt werden; die Hölle für ungetaufte Kinder wurde erst vor wenigen Jahren „abgeschafft“) durch Forschungsergebnisse von ihren dogmatisierten Auffassungen abbringen lassen.

Den wahren Sinn hinter dieser ganzen Geschichte erkennt man erst, wenn man sich mit der These auseinandersetzt, dass es sich beim Christentum um eine in Rom im Interesse des Imperiums erfundene Religion handelt, die die aufrührerische Messias-Hoffnung der Juden beenden sollte. Dazu schuf man als literarische Figur einen ‚Messias-Anwärter‘, der absichtlich kläglich scheitert. Er festigt vor allem die Herrschaft Roms, einschließlich seines Rechts, Steuern zu erheben. Die vorhandene Hoffnung auf Befreiung durch einen göttlich Beauftragten sollte für die Juden als erfüllt angesehen werden, um dadurch die Gewaltbereitschaft zur Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Idealfall zu beseitigen. Dies entspricht genau der heutigen Sicht der Kirchen, insbesondere der katholischen: Der friedliche Messias/Christus war da und das Reich Gottes wird durch die Kirche repräsentiert.

Die überzeugendste These für die Entstehung des Christentums ist, dass diese Religion in Rom zur öffentlichen Bloßstellung des jüdischen Messias-Glaubens erfunden wurde. Dafür gibt es vor allem inhaltliche Argumente, wie ich noch darlegen werde. Grund für die zahlreichen Aufstände der Juden gegen die römische Besatzungsmacht war ihr Glaube an den Beistand Gottes und das Erscheinen eines Messias als Anführer und Erlöser. Dieser Messias sollte mit Gewalt die göttliche Ordnung, wie sie die Juden verstanden, für ihr Volk wieder herstellen. Dieser Glaube war auch durch die fürchterliche Niederlage der Juden im Jahr 70 u.Z. mit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem keineswegs erledigt. Dies erkannten auch die Römer. Dass deren Einschätzung und Befürchtung auch nach 70 u.Z. nicht grundlos war, bewies der Aufstand unter Simon Bar Kochba 132 bis 135 u.Z. Dieser führte den Aufstand sogar als angeblicher Messias an. Erst seine Niederlage bewirkte, dass alle Juden aus Jerusalem vertrieben wurden.

So sollte aus dem militärischen Sieg nun auch ein ideologischer werden, der Judäa und dann im gesamten Römischen Imperium Frieden bringen sollte. Der jüdische Messias sollte zum römischen Christus werden. Um das Ganze auf den Punkt zu bringen, zitiere ich zunächst die Einführungen des Verlags zu Atwills Buch Das Messias-Rätsel:

Das Christentum ist nicht in der judäischen Unterschicht entstanden, sondern wurde im Auftrag des römischen Kaiserhauses der Flavier erschaffen.

Die Evangelien wurden nicht von den Anhängern eines jüdischen Messias geschrieben, sondern von Intellektuellen, die im Umkreis der drei flavischen Kaiser, Vespasian und seiner zwei Söhne Titus und Domitian, lebten.

Die Evangelien wurden nach dem Römisch-Jüdischen Krieg geschrieben. Viele Ereignisse aus Jesu Leben sind Parodien auf Begebenheiten aus diesem Krieg.

Der Zweck des Christentums war, die jüdische Religion zu überlagern. Es sollte die nationalistische und militärische Messias-Bewegung in Judäa durch eine pazifistische Religion ersetzen, die der römischen Herrschaft wohlgesinnt war.

Diesen Aussagen habe ich mich angeschlossen. Wer diese These jedoch erstmalig liest, wird fast zwangsläufig denken, dass das nicht wahr sein kann. All die Jahrhunderte, all die Macht, all die grandiosen Bauwerke, all die Personen, die für ein Christentum eingetreten sind - in welcher Form auch immer –, das alles muss doch einen gesicherten und unstrittigen Kern haben. Doch Atwill weist zum einen überzeugend nach, dass viele Perikopen4 der Evangelien mit den Episoden aus dem Jüdischen Krieg übereinstimmen. So erklärt er, wieso der Begriff „Menschenfischer“ auftaucht, wieso sich ein Verrückter als „Legion“ bezeichnet, wieso bei der Verhaftung Jesu ein nackter Jüngling flieht und zum anderen nicht zuletzt, wie die verschiedenen Personen und Tageszeiten beim Besuch am leeren Grab, die von jedem Evangelisten anders überliefert werden, doch zusammenpassen.

Auch wenn ich Atwill in seinem zentralen Punkt folge und seine Sichtweise mit konkreten Textbeispielen aus den Evangelien untermauere, so bin ich jedoch hinsichtlich des Johannes als viertem Evangelisten ganz anderer Meinung. Für mich steht hinter Johannes ein Autor, der die zuvor abgestimmten synoptischen Evangelien in einem unglaublichen Verbesserungswahn verhunzt und damit die Spuren zu deren wahren Verfassern lediglich erschwert. Insofern hat er seinen bevorzugten Platz mit unredlichen Mitteln erhalten. Auf ihn komme ich noch zurück.

In Deutschland rütteln insbesondere Hermann Detering mit Falsche Zeugen – Außerchristliche Jesuszeugnisse auf dem Prüfstand, Rolf Bergmeier mit Konstantin und die wilden Jahre des Christentums und Harald Specht mit Jesus? - Tatsachen und Erfindungen an den Wurzeln des Christentums. Aber noch nicht ausreichend, da sie das Motiv für das Christentum nicht in ihre Untersuchungen einbezogen haben. Andere Kritiker des Christentums, wie Gerd Lüdemann mit seinen zahlreichen Werken oder Uta Ranke-Heinemann, schütteln zwar die Äste, aber deren Untersuchungen reichen nicht, um den Stamm des Glaubens zu gefährden. Im Gegenteil: sie treten bei aller Kritik immer noch selbst als – wie auch immer zu verstehende – Gläubige auf. Lüdemann hält trotz seiner durchgängigen Skepsis gegenüber dem überlieferten Jesus einen Paulus für eine historische Persönlichkeit und so auch die Hälfte der Paulus-Briefe für echt. Ranke-Heinemann sieht nur Teile als äußerst fragwürdig an, aber nicht das gesamte Konstrukt.

Den allermeisten ist eine Kleinigkeit mit großer Wirkung überhaupt nicht klar. Nämlich wie dünn belegt die althergebrachte Geschichte ist, auf die sich der Glaube tatsächlich stützt. Dies gilt für alles, aber fällt dann besonders auf, wenn man sich die Zeugen der Auferstehung ansieht. Der Leichnam ist weg, die Frauen fliehen mit Entsetzen. So berichtet es der älteste Verfasser im Markusevangelium. Sein Werk endet mit Kapitel 16 Vers 8. Punkt. Aus. Ende. Der Rest wurde unstrittig erst viel später angefügt. Im Wesentlichen sollen Petrus und Maria Magdalena als Zeugen für den Auferstandenen fungieren. Selbst bei dessen Erscheinen vor allen Jüngern glaubt man, dass dies nur fiktiv ist. Keiner der Jünger hat eine Auferstehung selbst irgendwo bestätigt. Paulus verwendet dafür den Begriff des „visionären Sehens“. Von einer tatsächlichen Sichtbarkeit des Auferstandenen ist bei ihm nie die Rede.

Zwischenergebnis