Navigieren auf Sichtweite - Prozesssteuerung in der Paartherapie - Roland Weber - E-Book

Navigieren auf Sichtweite - Prozesssteuerung in der Paartherapie E-Book

Roland Weber

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Beschreibung

Erstmalig wird für die systemische Paartherapie ein Reflexions- und Handlungsansatz zur Prozesssteuerung vorgestellt, der auf den wichtigsten therapeutischen Wirkfaktoren basiert und das Paarsetting selbst als weiteren Wirkfaktor versteht. Die sich zwischen Planung und Improvisation abspielende Prozesssteuerung basiert auf einer Reihe von Landkarten, die den Prozess des Navigierens aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben. Diese Landkarten sind Aktivierungs- und Navigationssysteme und fungieren als Koordinatensysteme, auf deren Hintergrund der Therapeut Fragen, Kommentare und andere Interventionen auswählt, mit denen er den therapeutischen Prozess steuert und anschlussfähig bleibt. Sie dienen zusätzlich der Reflexion der eigenen Annahmen und Entscheidungen. Darüber hinaus fördern sie die Kreativität des Therapeuten und der Paare, indem sie den Prozess so steuern, dass neue Wege und neue Landkarten entstehen nach dem Motto: Viele Wege führen nach Rom, man muss aber wissen, wo Rom liegt. - Methodenunabhängiges Modell - Paarberatung ist Prozessberatung in der Begegnung - Insiderposition innerhalb der Interaktion - Pendeln zwischen nicht auflösbaren Polen Dieses Buch richtet sich an: - PsychotherapeutInnen aller Schulen, die mit Paaren arbeiten - Systemische FamilientherapeutInnen - Beratende PsychologInnen

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Roland Weber

Navigieren auf Sichtweite - Prozesssteuerung in der Paartherapie

Ein Handbuch für die Praxis

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Besuchen Sie uns im Internet: www.klett-cotta.de

Klett-Cotta

© 2012 by J. G. Cotta’ sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Abbildungen im Buch: Axel Bengsch

Cover: Hemm & Mader, Stuttgart

Titelbild: Raoul Dufy: »Cargo, voilliere, baigneuse et papillons

© VG Bildkunst, Bonn 2011

Datenkonvertierung: Koch, Neff & Volckmar GmbH, KN digital – die digitale Verlagsauslieferung Stuttgart

Printausgabe: ISBN 978-3-608-89125-6

E-Book: ISBN 978-3-608-10306-9

Einleitung: (Kein) Land in Sicht!

»Wie oft verglimmen die gewaltigsten Kräfte, weil kein Wind sie anbläst!«

Jeremias Gotthelf

Stürmische See

Paare können sich heute nur noch in geringem Maße auf Traditionen verlassen, um ihre menschlichen Beziehungen zu gestalten. Sie sind ständig konfrontiert mit den Problemen der Vieldeutigkeit und Komplexität von Optionen, der Ambivalenz von Situationen und Perspektiven sowie dem Zusammenfallen von Chancen und Risiken. Paare sind mehr denn je herausgefordert, Fragen und Probleme in Eigenverantwortung zu lösen und auch die Folgen ihrer Entscheidungen weitgehend selbst zu tragen.

Einigen gelingt diese Gratwanderung gut, andere sind partiell oder dauerhaft überfordert, kommen vom Kurs ab, sehen im wahrsten Sinne des Wortes »kein Land mehr« und treiben ohne Kompass auf offener See. Für die Paartherapie erwächst aus dieser Entwicklung eine neue Aufgabe. Sie besteht kurz gefasst darin, Paare bei der Durchquerung immer wechselhafterer und multioptionaler Abschnitte ihres Liebes- und Beziehungslebens zu begleiten.

Dass Paarberatung und Paartherapie wirken – darüber gibt es heute keine Zweifel mehr. Zahlreiche Untersuchungen der Ergebnisforschung bestätigen dies. Damit brauchen wir nicht mehr allein unserer Erfahrung und unserer Intuition vertrauen, wenn gleich beide weiterhin eine unverzichtbare Rolle spielen.

Die vorliegenden Untersuchungen und Studien belegen sowohl die generelle Wirksamkeit der Paartherapie als auch ihre spezifische Wirksamkeit bei verschiedenen Störungsbildern. Zur Frage, welche Elemente im therapeutischen Prozess wann welche Wirkung erzielen, gibt es bedauerlicherweise nur einige wenige Einzelbefunde.

Welche Rolle die Steuerung des therapeutischen Prozesses spielt, ist bisher kaum untersucht worden. Dort, wo der Versuch unternommen wurde, scheiterte er an der Heterogenität paartherapeutischer Praxis. Es mögen also methodologische Gründe sein – aber nicht nur. Paartherapie führte lange ein Schattendasein neben der Familientherapie, und demzufolge wurde eine unabhängige Konzeptualisierung als überflüssig angesehen. Dies hat sich zwar mittlerweile geändert, aber bisher nicht dazu geführt, sich dem Thema der Prozesssteuerung intensiv zuzuwenden. Dabei ist in den letzten Jahren das Interesse an praxisnahen Konzepten und methodenunabhängigen Ansätzen deutlich gewachsen.

Hinzu kommt eine in breiten Kreisen systemischer Therapeuten vorherrschende kritische Distanz zu dem Thema. So befürchtet man, dass damit einer einseitigen Expertenschaft und kontrollierten Machbarkeit das Wort geredet wird. Zudem scheint das Motto zu gelten: Jeder macht es, aber keiner redet darüber! Beide Haltungen werden dem Thema weder theoretisch noch praktisch gerecht.

Inhalt dieses Praxisbuches ist ein Handlungs- und Reflexionsansatz zur Prozesssteuerung in der Paartherapie. Analog zu Paul Watzlawicks Aussage, dass man »nicht nicht kommunizieren« kann, kann man meiner Meinung nach auch »nicht nicht steuern«. Prozesssteuerung ist allerdings mehr als eine Ansammlung von Methoden, Interventionen und Module. Will man nicht allein durch Methoden und Interventionen steuern, braucht man eine Metamethodologie des therapeutischen Handelns. Dafür plädiert dieses Buch und damit auch für mehr Reflexion und Steuern im komplexen therapeutischen Handeln. Eine solche methodenunabhängige Metamethodologie steckt hinter dem Begriff des Navigierens auf Sichtweite.

Die Metapher des Navigierens auf Sichtweite

Die Kunst der Navigation ist schon viele tausend Jahre alt. Sie wurde ursprünglich in der Seefahrt eingesetzt, später auch für Expeditionen zu Lande. Die Sichtnavigation ist damit die wohl älteste Methode der Ortsbestimmung und Steuerung von Schiffen. Die Metapher des Navigierens auf Sichtweite kommt sowohl meinem persönlichen Verständnis von Paartherapie als auch der heutigen Auffassung von Paartherapie als Prozess- und begegnungsorientiertes Verfahren nahe, bei dem Therapeut und Klient eine kommunikative Subjekt-Subjekt-Beziehung eingehen. Der Therapeut versteht sich als Begleiter, der die Bewältigung partnerschaftlicher Probleme als auch die Entwicklung der Partner und ihrer Beziehung durch ein Fallverstehen in der Begegnung fördert und stützt. Hierbei nimmt er eine Insiderposition innerhalb der Interaktion ein.

Das hier vorgestellte Modell paartherapeutischer Prozesssteuerung grenzt sich einerseits ab von Positionen einseitiger therapeutischer Expertenschaft und kontrollierter Machbarkeit und andererseits von Positionen, die rein aus dem Bauch heraus spontan agieren und reagieren. Paartherapie und Paarberatung allein »aus dem Bauch heraus« ohne explizite Begründung und Evaluation des Vorgehens ist unverantwortlich. Dasselbe gilt für das Aneinanderreihen von Interventionen nach dem Motto »viel gemacht ist auch viel geholfen«.

Zum Verständnis von Prozesssteuerung als Navigieren auf Sichtweite gehört ferner, dass Erkennen und Erleben untrennbar miteinander verknüpft sind. Moderne Prozesssteuerung basiert zudem auf den von der prozess- und ergebnisorientierten Psychotherapieforschung empirisch gut belegten Wirkfaktoren der Ressourcenaktivierung, der Problemaktualisierung und Problembewältigung, der Intentionsveränderung und Intentionsrealisierung sowie der Klärungsorientierung. Dadurch ergänzen sich klärungsorientierte und bewältigungsorientierte Vorgehensweisen optimal.

Landkarten

Therapie und Beratungsgespräche verlaufen ungeordnet und spontan. Gott sei Dank! Hierbei sind insbesondere unsere Intuition und unsere Improvisationsfähigkeit gefragt. Aber Therapie und Beratungsgespräche haben auch einen bestimmten Ablauf und wiederkehrende choreografische Elemente – wie auch der gesamte therapeutische Prozess eine gewisse Struktur aufweist. Auch wenn der Therapeut seine Reaktionen auf die Äußerungen der Paare nicht im Vorhinein festlegen sollte, so können ihm Landkarten dabei helfen, so zu reagieren und zu agieren, dass die Klienten mehr über sich selbst und ihre Partnerschaft erfahren wollen, Ereignisse in ihrem Leben auf neue Art verstehen wollen, neue Möglichkeiten entdecken und Neues ausprobieren möchten, unabänderliche Gegebenheiten akzeptieren und gute und kluge Entscheidungen treffen wollen.

Da bei der Gestaltung von Therapiegesprächen von uns Therapeuten generell auf irgendwelche Leitideen oder Modelle zurückgegriffen wird, besteht die Gefahr, sich diesen nicht bewusst zu sein. Der Vorteil von Landkarten ist demgegenüber, dass ihr Inhalt bekannt ist, transparent gemacht werden und kritisch reflektiert werden kann.

Die in diesem Buch vorgestellten Landkarten sind Aktivierungs- und Navigationssysteme zur Steuerung des therapeutischen Prozesses. Sie fungieren als Koordinatensysteme, auf deren Hintergrund der Therapeut Fragen, Kommentare und andere Interventionen auswählt, mit denen er den therapeutischen Prozess steuert und anschlussfähig bleibt. Sie dienen zusätzlich der Reflexion der eigenen Annahmen und Entscheidungen. Sie beschreiben den Prozess des Navigierens aus unterschiedlichen Perspektiven.

Eine erste Perspektive ist die therapeutische Beziehung, eine zweite der Veränderungsprozess, der damit beginnt auszuloten, »was ist«, dann zu den Möglichkeiten übergeht und wieder zurückführt zu dem, was »dann ist«. Diese beiden Perspektiven gelten für den gesamten therapeutischen Prozess und bilden zusammen mit dem zeitlichen Verlauf die »Horizontachse«. Die anderen Perspektiven bauen darauf auf und rücken in den verschiedenen Phasen in den Mittelpunkt – allerdings nicht im Sinne einer strikten Linearität. Hierzu zählen die Positions-und Zielbestimmung, die Problemaktualisierung der Partner, die aktive Problembewältigung, die Klärung der Beziehung sowie die Prozesssteuerung in der mittleren und späteren Phase der Therapie mit den damit verknüpften Phänomenen von Veränderung und Stagnation.

Insgesamt sind es sieben Landkarten, die der Prozesssteuerung zugrunde liegen. Vergleichbar mit »Landmarken« ergeben sie gut begründbare Leitregeln für die Steuerung und Reflexion des therapeutischen Prozesses mit Paaren. In ihrer Abfolge geben sie die Hauptphasen längerer paartherapeutischer Therapieprozesse wieder.

Pendeln und Driften zwischen Polaritäten

Der Prozess des Steuerns und Beisteuerns ist äußerst komplex und vielschichtig, explizit und implizit zugleich, bewusst und unbewusst, spontan und geplant. Die Kunst des Navigierens hat sowohl linearen als auch zirkulären Charakter: Es wird auf ein Ziel zugegangen, aber diesem Ziel kann sich die Therapie nur in immer wiederkehrenden Schleifen und kreisförmigen Prozessen annähern. Hierbei pendelt und driftet der Therapeut aktiv zwischen widersprüchlichen Polen, wobei er sich mal mehr auf den einen, mal mehr auf den anderen Pol zubewegt. Hierbei steuert er und wird gesteuert. Seine Entscheidungsprozesse laufen sowohl bewusst als auch unbewusst ab.

Eines der wichtigsten Spannungsfelder ist das zwischen Planbarkeit und Unvorhersehbarkeit – mithin auch der Kreativität. Dem sehr nahe liegt das Spannungsfeld zwischen rationalen und intuitiven Entscheidungen – allgemein als Bauchentscheidungen bezeichnet. Andere Spannungsfelder bewegen sich zwischen mitfühlender Verbundenheit und sachlicher Nüchternheit oder zwischen Komplexität und Einfachheit.

Wer diese und andere Pole eher als Gegensätze versteht, wird sich ständig fragen müssen, ob die Erhöhung von Komplexität nicht zu Lasten der Einfachheit geht oder ob mitfühlende Verbundenheit die notwendige Distanz verhindert oder diese umgekehrt der Verbundenheit schadet.

Das Plädoyer dieses Buches ist, dass die Verbindung der jeweiligen Pole möglich – ja sogar erforderlich ist und zu einer höheren Intensität und Effektivität führt. So bedarf es, um überhaupt Planung betreiben zu können, der Kreativität, und um Kreativität an den Tag zu legen, muss ein therapeutisch fester Rahmen geplant werden. Wer Therapieprozesse kreativ steuert, tut dies sowohl geplant als auch spontan.

Gliederung

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil gehe ich der Frage nach der Wirksamkeit von Paartherapie und Paarberatung nach. Hierbei beziehe ich neue Forschungsergebnisse aus dem Bereich der institutionellen Paarberatung ein sowie Ergebnisse einer eigenen Befragung von Klienten einer Paartherapie. Im Anschluss daran beschäftige ich mich mit einigen ausgewählten Prozessmodellen paartherapeutischen Handelns, um so die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu meinem Ansatz deutlich zu machen. Im zweiten und umfangreichsten Teil stelle ich sieben Landkarten der therapeutischen Prozesssteuerung für die Paartherapie vor und erläutere diese anhand von konkreten eigenen Fallbeispielen. Sie basieren sowohl auf meinen eigenen beruflichen Erfahrungen als auch auf bestehenden paartherapeutischen Ansätzen und Modellen.

Der vorliegende Ansatz versteht sich als Weiterentwicklung meines vor einigen Jahren erschienenen Buches »Paare in Therapie«, das insbesondere vom Einsatz erlebnisaktivierender Methoden in der Paartherapie handelt. Mein Interesse gilt in den letzten Jahren verstärkt der metamethodologischen Ebene der Paartherapie.

Ich verwende zwar meist den Begriff Paartherapie, vieles lässt sich auf die Paarberatung übertragen, da die Übergänge ohnehin fließend sind.

Paartherapie findet nicht im luftleeren Raum statt, verändert sich und wird dies hoffentlich weiterhin tun. Im dritten Teil gehe ich auf die Herausforderungen an die Paartherapie ein, wie sie durch die gesellschaftliche Entwicklung der letzten 40 Jahre entstanden sind, und zeige einige Trends auf, wohin die Entwicklung gehen könnte. Damit möchte ich dem gesellschaftlichen Kontext der Paartherapie Rechnung tragen und Therapeuten für diese Herausforderungen sensibilisieren.

Dank

Zahlreiche Segelurlaube mit unseren Kindern haben offensichtlich schon früher unbewusst den Grundstein für mein Interesse an nautischen Metaphern gelegt. Erst beim Schreiben sind mir dieser Zusammenhang und meine Begeisterung für diese Metapher bewusst geworden. Danke, an euch Jungs und an dich, Paula. Mein weiterer Dank geht an meine Sekretärin Christel Baumhauer, die das Manuskript geschrieben und geduldig die Korrekturen eingearbeitet hat, sowie auch an meine Lektorin von Klett-Cotta, Frau Dr. Christine Treml, mit der die Zusammenarbeit wie immer problemlos war. Außerdem danke ich meinem Kollegen Peter Katzenberger für seine kritische Lektüre meines Manuskripts und seine Hinweise und Axel Bengsch für die Illustrationen.

Wenn dieses Buch zum einen dazu beiträgt, dass das Thema der Prozesssteuerung mehr in den Blick rückt, als dies bisher der Fall ist, und zum anderen die Lust und das Interesse an strukturierter und kreativer Paartherapie weckt, hätte es seinen Zweck erfüllt.

Ascona, August 2011

I. TEIL

Paartherapie und Paarberatung sind wirksam

»Der Weg, der zum Wissen führt, ist Tätigkeit«

George Bernard Shaw

1. Stand der Ergebnis- und Prozessforschung zur Paartherapie und Paarberatung

Bis vor wenigen Jahren wurde die Paartherapie meist in Kombination mit der Familientherapie abgehandelt. Autoren wie J. Haley lehnten gar eine eigenständige Behandlung der Paarbeziehung ab. Erst in jüngerer Zeit wurde Paartherapie zu einem eigenständigen Ansatz. Schaut man sich die Metastudien und Primäranalysen an, so zeigt sich, dass die bedeutendsten Übersichtsarbeiten über Effektivität und Effizienz der Paartherapie aus dem angloamerikanischen Sprachraum kommen. An neuen deutschsprachigen Studien ist die Studie von Klann, Hahlweg, Baucom und Kroeger (2011) zu erwähnen. In Anlehnung an den aktuellen und umfassenden Überblick zur systemisch-familientherapeutischen Psychotherapieforschung von Sydow, Beher, Retzlaff und Schweizer (2007) und den von A. Riehl-Emde (2006) zusammengestellten aktuellen Forschungsstand zur Paartherapie lassen sich folgende Aussagen zur Effektivität und Effizienz der Paartherapie machen:

Paartherapie ist global gesehen wirksam. Sie ist sowohl in statistischer als auch in klinischer Hinsicht effektiver als keine Therapie.

In zwei Drittel der Fälle bewirkt Paartherapie positive Ergebnisse in den Bereichen eheliche Zufriedenheit und Reduktion von negativem ehelichen Stress.

Die feststellbaren Veränderungen treten in Kurzzeitsettings von 12 bis 20 Sitzungen auf.

Bei Ehe- und Beziehungsproblemen erweist sich Paartherapie wirksamer als Einzeltherapie.

Paartherapie erweist sich als hilfreich in der Behandlung psychischer Störungen sowohl allein als auch in Kombination mit anderen Therapieformen.

Die Wirkung der Paartherapie verstärkt sich bei schweren Störungen, wenn sie mit anderen Interventionen kombiniert wird.

In 10 % der Fälle kommt es zu negativen Effekten bzw. zu Verschlechterungen. Dies scheint vor allem dann der Fall zu sein, wenn frühzeitig in der Therapie emotional aufgeladene Themen konfrontiert werden und gleichzeitig wenig Struktur und Unterstützung angeboten wird.

Cotherapie ist nicht wirksamer als das Setting mit einem Therapeuten.

Es liegen auch keine Hinweise vor, dass eine Form der Paartherapie einer anderen überlegen ist.

Was die Vorhersagbarkeit des Therapieerfolges anbelangt, scheinen zwei methodenunabhängige Faktoren bedeutsam zu sein: Jüngere Paare scheinen mehr von der Paartherapie zu profitieren, kooperative Paare profitieren ebenfalls mehr.

Das heißt, bei aller Heterogenität in der Theoriebildung paartherapeutischer Konzepte und Handlungsmodelle kann generell von der Effektivität und der Effizienz der Paartherapie ausgegangen werden.

Dass Paartherapie auch bei verschiedenen Störungen wirksam ist, ist ebenfalls gut belegt:

Bei Frauen mit depressiven Störungen und chronischen Partnerschaftskonflikten ist Paartherapie wirksam, die auf die Bewältigung der Krankheit ausgerichtet ist.

Bei erwachsenen Patienten mit krankheitswertigen Alkoholproblemen führt Paartherapie zur Einschränkung des Trinkens und zu höherer Zufriedenheit in der Paarbeziehung. Empirische Befunde weisen auf Behandlungsvorteile durch lösungsorientierte Vorgehensweisen hin.

Bei Erwachsenen führt die Einbeziehung des Partners des Patienten in die Therapie der Angststörungen zur Verbesserung des Behandlungserfolgs. Verhaltensnahe Vorgehensweisen führen zu einer Verbesserung der partnerschaftlichen Kommunikation, was sich positiv auf die Symptomatik auswirkt.

Bei der Behandlung von Sexualstörungen sind paarbezogene sexualtherapeutische Behandlungsprogramme wirksam.

Obwohl Ehekonflikte im Sinne des medizinischen Krankheitsbegriffs keine Störungen sind, belegt eine ganze Reihe von Studien die Wirksamkeit der Paartherapie bei chronischen Partnerschafts- und Ehekonflikten. Eheliche Konflikte, insbesondere, wenn sie über einen längeren Zeitraum fortbestehen, sind oft Grundlagen und Folge unterschiedlichster psychischer und auch körperlicher Störungen. Erfolgt eine Verbesserung des partnerschaftlichen Klimas, so hat dies vielfältige günstige Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen. So kann Paartherapie sehr wirksam zur Erhöhung der allgemeinen Zufriedenheit beitragen. Nach APA- und EBM-Kriterien kann hier von einer empirisch gut belegten Wirksamkeit ausgegangen werden (vgl. Scheib u. Wirsching, 2004).

Notker Klann und Kurt Hahlweg (1995) untersuchten die Wirksamkeit von Eheberatung und Ehetherapie in einer breit angelegten Studie zur Qualität der Arbeit von katholischen Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen und konnten bezüglich der Wirksamkeit von Eheberatung und Ehetherapie eine mittlere Effektstärke nachweisen. Dies veranlasst sie zu dem Schluss, dass die Beratungen und Therapien zu klinisch relevanten Verbesserungen der Problemlagen der Klienten führten. Im Einzelnen ergaben sich folgende Verbesserungen:

Im Vergleich zur Anfangssituation hatten Paare nach Beendigung der Beratung im Durchschnitt weniger Probleme, waren mit ihrer Beziehung insgesamt zufriedener, konnten sich im affektiven Bereich besser austauschen und gaben auch an, ihre Probleme besser bewältigen zu können. Paartherapie hat damit signifikant positiven Einfluss auf die folgenden Bereiche: generelles Stressempfinden, affektive Kommunikation und Problemlösung.

Paartherapie führte zu einer höheren Zufriedenheit bezüglich der gemeinsam verbrachten Zeit.

Paartherapie führte zu einer Verbesserung der sexuellen Zufriedenheit und der elterlichen Kooperation, auch wenn die Änderungen in diesen Bereichen geringer ausfielen.

Paartherapie beeinflusste die persönliche Unzufriedenheit und negativen Stress positiv.

Keine signifikanten Veränderungen fanden sich in den nicht sonderlich belasteten Bereichen Finanzplanung, Rollenverständnis und Unzufriedenheit mit den Kindern.

Diese Ergebnisse konnten durch eine Replikationsstudie (Klann, Hahlweg, Baucom, Kroeger, 2011) bestätigt werden, was den Ergebnissen eine größere Aussagekraft verleiht und für die interne Konsistenz der Ergebnisse spricht. In einer weiteren Studie neueren Datums (Ditzen, Hahlweg, Fehm-Wolfsdorf, Baucom, 2011) konnte nachgewiesen werden, dass sich bereits durch Teilnahme an partnerbezogenen Übungsprogrammen der Cortisol-Level während der Paarkonflikts-Diskussionen signifikant reduzierte. Die Senkung des Stresshormons Cortisol ging einher mit einer subjektiv gemessenen Verbesserung der Beziehungsqualität im Anschluss an die Teilnahme an den Übungsprogrammen.

Stellt man sich in diesem Zusammenhang die Frage nach den wirksamen Erfolgsfaktoren, so kommen die beiden Studien von Klann et al. zu dem Ergebnis, dass die Anzahl der Sitzungen und auch die Dauer der Sitzungen nur wenig bedeutsame Zusammenhänge mit den Erfolgsvariablen aufweisen. Paare, die nur wenige Beratungsstunden erhalten haben, profitieren nach den Ergebnissen mehr von der Beratung als diejenigen Paare, die zwischen sechs und fünfzehn Beratungsstunden in Anspruch genommen hatten. Dies ist allerdings auch schon der einzige Hinweis in der gesamten Studie auf mögliche prozessuale Wirkfaktoren. D. h.: Zwar ist die generelle Wirksamkeit der Eheberatung und Ehetherapie auch in dieser Studie gut belegt, offen ist aber, welche Wirkfaktoren zum Erfolg beitragen. Darin spiegelt sich auch die Vielfalt von therapeutischen Schwerpunktsetzungen wider, die eine differenzierte Analyse der Wirkungen verschiedener methodischer Zugänge bei unterschiedlichen Problemlagen nicht möglich machen.

Als Nebeneffekt dieser Studie konnte festgestellt werden, dass zusätzlich zu den erwarteten starken Belastungen im partnerschaftlichen Bereich ca. 45 % der Frauen und 30 % der Männer klinisch depressiv waren und über erhebliche körperliche Beschwerden klagten. Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass in der Beratungsarbeit mit Paaren auch mit einem hohen Prozentsatz von Patienten mit behandlungsbedürftigen Störungen zu rechnen ist. Eine klare Abgrenzung von Beratung und Therapie scheint daher kaum möglich, verlangen allerdings ihre Berücksichtigung in der Ausbildung von Paarberatern.

In einer eigenen Befragung von Nutzern einer Paartherapie konnten anhand der schriftlichen Rückmeldungen folgende subjektiv gemessenen positiven Effekte festgestellt werden:

Das Verständnis der Partner füreinander hat zugenommen.

Die Partner gehen offener miteinander um.

Die Partner drücken ihre Gefühle häufiger und klarer aus.

Die Partner reden öfter miteinander als vor der Therapie.

Die Partner vertrauen sich wieder stärker.

Die Partner lösen Konflikte besser.

Die Partner halten Vereinbarungen verbindlicher ein.

Diese subjektiv positiv erlebten Veränderungen entsprechen weitgehend den Ergebnissen der Replikationsstudie von Klann et al. Als Ursachen für die hohe Zufriedenheit wurden mehrheitlich folgende Gründe genannt, die sich sowohl auf die Ergebnisqualität als auch auf die Prozessqualität der durchgeführten Paartherapien beziehen:

Die anfängliche Problematik hat sich mehrheitlich positiv verändert oder aufgelöst.

Die Häufigkeit der Gespräche wurde als angemessen empfunden.

Der Therapeut wurde als positiver Faktor erlebt. Geschätzt wurden Humor, Fachkompetenz, Geduld, Verständnis, gute Fragen und klare Worte.

Die offene Atmosphäre in den Gesprächen sowie die allparteiliche Haltung und moderierende Rolle des Therapeuten wurden positiv hervorgehoben.

Körperübungen und Methoden der Veranschaulichung und des Erlebens wurden als besonders hilfreich erlebt und blieben am besten im Gedächtnis haften.

In einer Metaanalyse zur Wirksamkeit spezifischer systemischer Interventionen (vgl. von Sydow et al., 2007) konnte nachgewiesen werden, dass positive Umdeutung eine besonders hohe therapeutische Wirksamkeit hat. Auch die Ressourcenorientierung, die zunächst weniger eine Technik als eine Haltung darstellt, zeigt eine hohe Wirksamkeit.

Trotz der gut belegten Tatsache, dass Paartherapie und Paarberatung sowohl generell als auch spezifisch wirksam sind, bleiben viele Fragen offen. So ist nach wie vor unklar, was für wen in welcher Weise wirkt (Riehl-Emde). Auch die Bedeutung der therapeutischen Beziehung in der systemischen Therapie ist bislang wenig geklärt und bedarf dringend der stärkeren Auseinandersetzung.

Völlig offen ist zudem die Frage nach einer eigenen Metamethodologie der Paarberatung und Paartherapie. Zwar ist es heute kein Thema mehr, dass Beratung und Therapie in erster Linie als prozessuales Geschehen stattfindet. Wie jedoch ein Handlungsansatz zur Prozesssteuerung aussehen könnte und welche metaperspektivischen Überlegungen diesem Ansatz zugrunde liegen, ist bislang nur in Ansätzen thematisiert. Dies schließt die Frage ein, welche Rolle der Therapeut in einem solchen Modell innehat.

Paartherapie stand lange im Schatten der Familientherapie, was zur Folge hatte, dass es kaum eigene konzeptionelle Bemühungen gab. Dies ist vermutlich ein Grund, warum es so wenig paartherapeutische Modelle gibt, die das Vorgehen des Therapeuten begründen helfen. Der andere Grund sind die vielfältigen forschungsmethodischen Probleme, die sich durch die Heterogenität der Ansätze ergeben.

Im folgenden Kapitel werden solche Paarmodelle vorgestellt, die Aussagen über das therapeutische Vorgehen beziehungsweise den therapeutischen Prozess beinhalten. Damit möchte ich Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu dem von mir entwickelten Ansatz deutlich machen und dem Leser auf diesem Weg eine erste Standortbestimmung ermöglichen. Die Zusammenstellung paartherapeutischer Prozessmodelle erhebt keinen Anspruch auf deren vollständige Wiedergabe, sondern verweist hierfür auf die Originalliteratur.

2. Prozessmodelle paartherapeutischen Handelns

Ein Gespräch zwischen zwei Personen enthält bereits derart viele Informationen, dass es nicht als Ganzes erfasst und verarbeitet werden kann. In einer Paartherapie ist die Kommunikation noch komplexer als in einem Zweiergespräch. Die Partner tauschen sich untereinander und zusätzlich mit dem Therapeuten aus. Der Therapeut steht noch vor den zusätzlichen Entscheidungen, ob, wann und wie er in den Therapieprozess eingreifen will. Diese Entscheidungen finden im Sekundentakt statt – egal, ob man sich dessen bewusst ist oder nicht. Und selbst wenn man nicht interveniert, entscheidet man sich unbewusst, was man sehen und verstehen will. Mit Thomas Hess (2003) bin ich der Meinung, dass systemische Paartherapien oft unter einem Strukturmangel leiden, die man als Gegenbewegung gegen die Alleinzuständigkeit des Therapeuten verstehen kann, wie sie von einer Reihe von Familientherapeuten der ersten Stunde propagiert wurde. Gänzlich auf Struktur zu verzichten ist aber keine Lösung, sondern damit würde mal wieder das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.

Andererseits gab und gibt es auch paartherapeutische Ansätze, die diese Zurückhaltung nicht aufweisen und in unterschiedlicher Weise Therapeuten Eckpunkte, Ebenen, Phasen und Orientierungshilfen anbieten. Aufgrund der hohen Komplexität überrascht es nicht, dass mehrere Autoren für eine Mehrebenenbetrachtung beziehungsweise ein Mehrebenenvorgehen plädieren, um so den Überblick zu wahren und Informationen einordnen und bewerten zu können.

Auf welche Landkarten und Leitgedanken wir zurückgreifen, ist in höchstem Maß ausschlaggebend für das Ergebnis der Therapie.

Von außen nach innen

Zu dieser Gruppe gehört D. Revenstorf (1999). Grundlage seiner Überlegungen zur Paartherapie ist ein Zwiebelschalenmodell der menschlichen Erfahrung. Erfahrung und Verhalten manifestieren sich auf sehr vielen Ebenen. Einige diese Ebenen sind somatisch, andere betreffen die bewusste und die unbewusste Informationsverarbeitung, weitere das sichtbare Verhalten und die zwischenmenschlichen Kontakte. Diese Betrachtung lässt sich auf die Kultur ausdehnen, die Verhaltensnormen festlegt und bestimmte Symptome begünstigt wie zum Beispiel die Magersucht eines jungen Menschen. Bei einer Mehrebenenbetrachtung geht es darum, die Mehrschichtigkeit menschlichen Erlebens und Verhaltens zu akzeptieren.

Wenn sich dasselbe Problem auf ganz verschiedenen Ebenen zeigen kann, können auch Interventionen auf unterschiedlichen Ebenen platziert werden. Zwar betont Revenstorf, dass die Frage, auf welcher Ebene der Therapeut ansetzen soll, wissenschaftlich ungeklärt ist und daher das Vorgehen meist von der fachlichen Ausrichtung des Therapeuten abhängt. Er selbst plädiert aber für ein therapeutisches Vorgehen, das sich an dem therapeutischen Prinzip »pacing und leading« orientiert: Der Therapeut übernimmt zunächst die Problemsicht der Klienten und bearbeitet sie wunschgemäß z. B. auf der kognitiven Ebene. Hierfür erfolgt die systemische Betrachtung im Sinne der Analyse von Beziehungsregeln, die die Beziehung auf der Handlungs- und Kommunikationsebene steuern. Halten es Therapeut und Klienten für sinnvoll, eine andere Ebene einzubeziehen – etwa frühkindliche Prägungen –, bewegt sich der therapeutische Prozess entlang der inneren Schichten psychischer Vorgänge: den kognitiven, affektiven und unbewussten Prozessen sowie der Passung der Partner, bei der es um Bedürfnisse, Interessen, Werte und Beziehungserwartungen geht.

Revenstorfs Überlegungen zum therapeutischen Vorgehen beruhen auf einem Zwiebelschalenmodell der menschlichen Erfahrung und legen ein Vorgehen von außen nach innen nahe – das von den beobachtbaren Ebenen der partnerschaftlichen Interaktion zu den unbewussten und bewussten Ebenen der Innenwelten der Partner führt und von dort wieder zurück. Die Aufgabe des Therapeuten ist nicht in jedem Fall die zielgerichtete Neuorientierung des Paares gemäß einer planvollen Analyse, sondern häufig der Anstoß zur Neuorganisation. Dazu dienen Impulse auf ganz unterschiedlichen Ebenen, aber auch die Infragestellung festgefahrener Positionen der Partner. Die Art, wie das Paar auf Therapie reagiert und sich verändert, ist nur begrenzt vorhersehbar. Entscheidend ist, dass der Therapeut unabhängig von seiner fachlichen Ausrichtung jeweils die anderen Ebenen im Auge behält.

Fallverstehen in der Begegnung

Im Mittelpunkt des Paartherapiemodells der Meilener Gruppe um R. Welter-Enderlin und B. Hildenbrand (1996) steht das Fallverstehen in der Begegnung, das auch das therapeutische Handeln leitet. Mit dem Satz »es könnte alles auch anders gesehen werden« wird eine therapeutische Offenheit propagiert, die verhindert, dass Klienten vorschnell klassifiziert werden und Therapeuten von vornherein wüssten, was diese innen und außen bewegt. In diesem Ansatz wird auch in Abgrenzung zum Konstruktivismus und den narrativen Ansätzen die Notwendigkeit der persönlichen emotionalen Beteiligung des Therapeuten betont. Die Kontaktaufnahme des Therapeuten mit den Klienten wird als zentral angesehen. Diese umfasst sowohl verbale als auch nonverbale Elemente. In die Kontaktaufnahme bringt der Therapeut primär seine Mitmenschlichkeit ein. Der Gegenpol dazu sind das Distanznehmen und das Verstehen der Problematik der Klienten im Kontext des eigenen Wissens und der eigenen Erfahrung. Eine zentrale Rolle spielt die »Metastabilisierung durch emotionale Rahmung«. Sie verstehen hierin eine vom Therapeuten zu gewährleistende emotionale Haltefunktion, die für das relativ instabilere Paarsystem Veränderung ermöglicht. Die emotionale Rahmung des Prozesses durch den Therapeuten ist eine den gesamten Fortgang der Therapie hindurch aktuelle Aufgabe. Die Erhebung von Daten zum Genogramm und die Erfassung der jeweiligen Lebensthemen sind Teil des fortlaufenden Therapieprozesses, nicht Voraussetzung dafür. In narrativer Weise erfolgt der Blick auf Grundorientierungen der Partner, auf die »Melodien«, zu denen sie tanzen. Als Orientierungshilfe bietet der Ansatz der Meilener Gruppe ein zweidimensionales Schema an. Dieses besteht in einer vertikalen Achse, die »Geschichten oder Melodien« genannt wird und auf der sich die beiden Pole – Vergangenheit und Zukunft – befinden. Die horizontale Achse nennt sich »Austauschprozesse des Paares im Hier und Jetzt« mit den beiden Polen Bindung und Autonomie. Systemische Therapie für Paare heißt, mit den Klienten eine Landkarte des Beschreibens und Verstehens ihrer Lebenspraxis zu erschließen, auf der sowohl ihr leidvoller Umgang miteinander als auch unauffällige oder herausragende Ausnahmen dazu, und ganz besonders die Sehnsucht jedes Partners nach Entwicklung und Wandel, beschrieben werden. Symptome gelten als Vorboten eines anstehenden Wandels, den es gemeinsam zu entschlüsseln gilt. Die Steuerung des therapeutischen Prozesses wird vor allem als eine Haltung beschrieben und weniger als konkrete Handlungsanweisung. Im Mittelpunkt steht das therapeutische Handeln, das sich auf die Erschließung des Fallverstehens bezieht und Paartherapie als Begegnung versteht.

Phasen der Therapie

Von H. Jellouschek und F. von Tiedemann (2000) stammt eine Art Prozess-Modell, das die Hauptphasen des Therapieprozesses angibt. Wie schon beim Meilener Begegnungsmodell spielt auch hier die Metastabilisierung durch emotionale Rahmung eine wichtige Rolle. Mit dieser Aufgabe beginnt der therapeutische Prozess, bleibt aber über den gesamten Therapieverlauf aktuell. Im Weiteren geht es um die Reduktion von negativem Stress, da die Paare häufig in einem Zustand übermäßiger Spannung in die Therapie kommen. Die Reduktion von Stress spielt in der Anfangsphase eine zentrale Rolle – aber auch an Krisenpunkten der Therapie. Ziel der ersten Stunden ist es, eine relevante Problembeschreibung zu finden. Eine weitere Phase betrifft den Gegenwartskontext des Paares. Der Schwerpunkt liegt hier auf der Lebensorganisation des Paares hinsichtlich bestimmter Polaritäten wie Autonomie und Bindung, Bestimmen und Sich-bestimmen-Lassen und Geben und Nehmen. Da die Arbeit auf dieser Ebene meist nicht ausreicht, besteht eine weitere Phase darin, sich mit der Vergangenheit der Partner zu beschäftigen. Eine weitere Phase befasst sich mit der Zukunft des Paares. Im Mittelpunkt stehen hier Sehnsüchte nach einem besseren Leben und Szenarien des Zusammenlebens für die gemeinsame Zukunft. Die letzte Phase der Paartherapie besteht darin, die Partner zu konkreten Entscheidungen hinzuführen.

Um einem rein linearen Verständnis der Hauptphasen des Therapieprozesses vorzubeugen, betonen die Autoren sowohl den linearen als auch den zirkulären Charakter ihres Prozessmodells. Der Aufbau ist dennoch durch eine vor allem zeitliche Orientierung gekennzeichnet.

Die Bildung eines therapeutischen Fokus

Ein Prozessmodell paartherapeutischen Vorgehens anderer Art stellt die von Jürg Willi (1996) entwickelte »ökologische Fallkonzeption« dar. Mit ihr wird ein Spannungsbogen zwischen den Sehnsüchten und Ängsten, die bei der Partnerwahl wirksam waren, zum aktuellen Paarkonflikt geschlagen. Paartherapie wird als Kurztherapie angesehen. Die Kunst der Kurztherapie besteht in der Formulierung begrenzter Zielsetzungen. Dies kann durch die Formulierung eines therapeutischen Fokus begünstigt werden. Gleichzeitig strukturiert er einen auf Entwicklung ausgerichteten Therapieprozess. Das sich hieraus ergebende, fokusorientierte Vorgehen besteht aus fünf Schritten:

Die Analyse des Beziehungskontexts vor der Krise.

Herausarbeiten der anstehenden Entwicklungsschritte in der Beziehung: Welche Schritte stehen für die Partner an?

Herausfinden der Hindernisse und Blockaden, die den anstehenden Entwicklungsschritten entgegenstehen: Dies können sowohl persönliche Widerstände sein als auch Befürchtungen des Partners.

Herausfinden, was diese Entwicklung unterstützen und fördern kann: Welche Ressourcen stehen dem Einzelnen und dem Paar zur Verfügung?

Übersetzung in den Alltag des Paares: Welches könnten die ersten Schritte in der anstehenden Entwicklung sein?

Im Ansatz von Jürg Willi ist die persönliche Entwicklung beider Partner von zentraler Bedeutung. Dies korrespondiert mit einer therapeutischen Haltung, die den jeweiligen Partnern und ihrer Beziehung eine große Chance an Selbsterweiterung zuerkennt.

Die Formulierung des Fokus erfolgt schriftlich, und zwar in der Ich-Form der Partner. Damit soll sichergestellt werden, dass der Therapeut sich ausreichend in das Erleben der Partner einfühlt und so auch besser versteht, was die anstehenden Veränderungen für die Partner bedeuten. Als Maxime gilt, dass der Fokus so formuliert wird, dass er den Klienten vorgelesen werden könnte, ohne dass sich diese verletzt fühlen.

Orientierungsebenen

Der Paartherapeut Thomas Hess (2003) empfiehlt, als Hilfsmittel zur Orientierung verschiedene Optiken zu definieren, die von ihm Orientierungsebenen genannt werden und diese – vor dem inneren Auge als Checkliste projiziert – zu nutzen. Sie dienen nicht nur dazu, den Gesamtprozess thematisch zu ordnen, sondern fungieren auch als Reflexionshilfe, da man als in der Regel allein arbeitender Therapeut Gefahr läuft, eigene Sichtweisen oder Hypothesen zu verfolgen, ohne im Blick zu haben, dass die Paare ganz woanders sind. Er schlägt insgesamt acht Orientierungsebenen vor, von denen einige wie die beraterische Beziehung und die Auftragsklärung während des ganzen Verlaufs präsent sind und als Grundlage des Prozesses dienen. Die sechs anderen Ebenen bauen darauf auf und rücken in verschiedenen Phasen der Therapie ins Zentrum der Gespräche. Gewisse Ebenen wie z. B. die partnerschaftliche Kommunikation, Entscheidungsprozesse oder Selbstverantwortung werden mehrfach aufgegriffen. Je nachdem, wie die Optik des Therapeuten eingestellt ist, liegt die eine oder andere Ebene im Fokus der Beratungsarbeit. Der Wechsel der Ebene erfolgt innerhalb einer Sitzung mehrfach. Je nach Auftrag und Dynamik spielt die eine oder die andere Ebene eine größere Rolle. Andererseits gibt es, wie bereits erwähnt, Ebenen, die immer mitberücksichtigt werden.

Der Ansatz der Orientierungsebenen bezieht Elemente aus einer breiten Auswahl von Beratungsformen und Beratungsmodellen ein und ist daher auch mit anderen Ansätzen gut kombinierbar.

Stationen als Arbeitsbereiche im therapeutischen Werkraum

Dieses Modell geht auf Jan Bleckwedel (2008) zurück. Grundlegend für dieses Modell ist, dass Therapieprozesse in der Regel nicht-linear-phasisch, sondern spiralförmig-turbulent verlaufen. Will man diese Schleifen antizipieren, so erweist es sich als hilfreich, mit der Vorstellung von »Stationen« zu arbeiten, die im Verlauf des therapeutischen Prozesses immer wieder angesteuert werden können. Jede Station ist mit besonderen Aufgaben verbunden. Zur Veranschaulichung schlägt er vor, sich die einzelnen Stationen als »Arbeitsbereiche in einem therapeutischen Werkraum oder Arbeitsgarten« vorzustellen. So kann es sinnvoll sein, immer wieder die Station »Zugang« anzusteuern, um den Kontakt zu den Klienten zu sichern. Die Überprüfung und Neubildung von »Hypothesen« ist eine weitere Station, auf die der Therapeut zusteuern kann. Ebenso sinnvoll kann es sein, den »Rahmen der Veränderung« zu überprüfen. Auch das »Beenden« ist eine eigene Station. Insgesamt sind es neun Stationen, die der Therapeut ansteuern kann, um sich zu orientieren und zu sortieren.

Das Stationenmodell dient dem Therapeuten sowohl zur Orientierung in den einzelnen Sitzungen als auch für ganze Verläufe von Therapien. Der Strukturierungsgrad ist eher niedrig und lässt daher genügend Raum für die Fluktuationen des therapeutischen Prozesses.

Behandlungsschritte und Stadien

Als Beispiel für einen hohen Strukturierungsgrad kann die emotionsfokussierte Paartherapie angesehen werden. Das Vorgehen besteht aus neun therapeutischen Schritten zur Förderung des Veränderungsprozesses. Dieser wird im Wesentlichen darin gesehen, das gerissene emotionale Band zwischen den Partnern zusammenzufügen. Dies kann erreicht werden, wenn es gelingt, negative, die Paarinteraktion dominierende Interaktionszyklen zu transformieren, indem die tiefer liegenden primären bindungs- und identitätsorientierten Emotionen ausgedrückt werden. Die neun therapeutischen Schritte sind (Greenberg und Goldman, 2010):

Die vom Paar präsentierten Probleme skizzieren und feststellen, inwiefern die Kernkonflikte in den Bereichen Getrenntheit, Verbundenheit, Abhängigkeit und Unabhängigkeit spiegeln.

Negative Interaktionszyklen identifizieren.

Die nicht zugelassenen, den Interaktionspositionen zugrunde liegenden Gefühle aufspüren.

Das Problem oder die Probleme im Hinblick auf die tiefer liegenden Gefühle neu definieren.

Die Identifikation abgespaltener Bedürfnisse und Persönlichkeitsaspekte fördern.

Die wechselseitige Akzeptanz der inneren Erfahrung des Partners zu stärken.

Die Partner dabei unterstützen, Bedürfnisse und Wünsche auszudrücken, um die Interaktion zu restrukturieren.

Das Auffinden neuer Lösungen etablieren.

Neue Positionen konsolidieren (a. a. O., S. 159 – 160).

Diese Schritte wurden später in drei Stadien unterteilt: Deeskalation, Restrukturierung der negativen Interaktion, Konsolidierung und Integration. Das jetzige Modell hat einen fünfstufigen Bezugsrahmen. Die einzelnen Stufen hat man sich als überschneidende Stadien vorzustellen. Der therapeutische Prozess bewegt sich zwischen diesen Stadien hin und her; einige Stufen bleiben den gesamten therapeutischen Prozess über relevant – ähnlich wie bei den Orientierungsebenen von T. Hess.

Betrachtet und vergleicht man die verschiedenen prozessorientierten paartherapeutischen Modelle, so lässt sich eine Reihe von Gemeinsamkeiten nennen:

Sie bieten einen multiperspektivischen Blick auf das therapeutische Geschehen wie auf den therapeutischen Prozess.

Sie können dem Therapeuten als Reflexionshilfe dienen, um sowohl des Geschehen in der Therapiesitzung einzuordnen als auch den gesamten Therapieprozess.

Die Gefahr, sich nur auf eine Ebene zu konzentrieren und die anderen Ebenen aus dem Blick zu verlieren, ist geringer, wenn von vornherein mehrere Ebenen angedacht sind.

Sie erleichtern die Übersicht darüber, auf welchen Ebenen die drei therapeutischen Prozesse stehen: der Prozess der Paarbeziehung und die Entwicklungsprozesse der beiden Partner.

Die Offenlegung der bearbeiteten Ebenen gegenüber den Klienten schafft Transparenz innerhalb des therapeutischen Prozesses. Dies ermöglicht den Klientenpaaren eine Bestandsaufnahme und Standortbestimmung darüber, wo sie miteinander im Veränderungsprozess stehen.

Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass bisher vorliegende Paartherapiemodelle von verschiedenen Ebenen ausgehen, auf denen sich der therapeutische Prozess abspielt. Diese basieren entweder auf einer zeitlichen oder einer thematischen Abfolge oder auf beidem. Sie fungieren als eine Art innere oder geistige Checkliste, die wie Linsen oder Filter für das Bewusstsein wirken und mit deren Hilfe der Therapeut entscheidet, auf welche Aspekte des Gesprächs er sich konzentriert und welche er ausblendet und wann und wie er in den Therapieprozess aktiv eingreifen will. Sie dienen aber auch dazu, den Gesamtprozess thematisch zu ordnen. Bezüglich des Strukturierungsgrads unterscheiden sich die Modelle zum Teil erheblich. Andererseits bekennen sich alle Modelle zur Verantwortung des Therapeuten für die Strukturierung des therapeutischen Prozesses. Wie diese im Einzelnen aussieht und welche Verantwortung die Klienten haben, bleibt teilweise offen.

Bei allen Unterschieden besteht ein breiter Konsens darin, dass sich die verschiedenen Phasen und Stufen überschneiden. Ebenfalls besteht Konsens darin, dass es Ebenen gibt, die den ganzen Therapiezeitraum über relevant sind, während andere vom Auftrag und der Dynamik abhängig sind. Bei gewissen Problemen werden bestimmte Ebenen oder Phasen gar nicht in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten.

Weiter zeigt sich, dass der Dualismus zwischen linearer und kreisförmiger Vorgehensweise künstlich ist. Vielmehr kann der therapeutische Prozess sowohl unter linearen Gesichtspunkten in Form von Phasen oder zeitlichen Abschnitten als auch kreisförmig in Form von Überschneidungen und Überlappungen der Phasen oder Ebenen betrachtet werden. In der Praxis haben beide Perspektiven ihre Gültigkeit und führen zu einem Pendeln und Driften zwischen linearer und kreisförmiger Prozesssteuerung. Um nicht die Klienten an die Methode anzupassen, sollte der Steuerungsprozess weitgehend methodenunabhängig erfolgen, wie dies bei einigen der Prozessmodelle der Fall ist.

Die meisten der genannten Ebenen haben ihre Berechtigung und sind an anderer Stelle ausführlich beschrieben. Unter der Steuerung des therapeutischen Prozesses verstehe ich jedoch mehr als die Orientierung an zeitlichen und thematischen Fixpunkten oder Ebenen, die ohne Frage ihre Berechtigung haben und auch in meinem Ansatz ihren Platz haben. Unter Prozesssteuerung verstehe ich auch mehr, beziehungsweise etwas anderes, als Orientierungshilfen zur Strukturierung des therapeutischen Prozesses und der einzelnen Sitzungen. Mein Ansatz lässt sich am besten auf metaphorische Weise beschreiben als Navigieren auf Sichtweite.

3. Die Metapher des Navigierens auf Sichtweite

Paartherapie und Paarberatung haben zahlreiche Ebenen, und beide leben von der strukturierten und produktiven Gestaltung dieser Vielfalt. Diese Ebenen kann man sich am besten wie Räume vorstellen, in denen sich der Therapeut zusammen mit den Klienten bewegt. Schon aus diesem Grund ist der Prozess des Steuerns kein linearer Vorgang, der diretissma von A nach B führt. Allerdings auch kein blinder Tanz nach irgendeiner lautlosen Musik.

Will man nicht nur durch Methoden und Interventionen steuern oder rein aus dem Bauch heraus intervenieren, braucht man ein methodenunabhängiges Navigationssystem (vgl. J. Bleckwedel).

Die Kunst des Navigierens zu Wasser, zu Land und in der Luft wurde vor etwa 6000 Jahren zuerst in Indien und wahrscheinlich zeitnah auch in Ägypten entwickelt und ursprünglich für die Seefahrt eingesetzt, später dann auch für Expeditionen zu Lande. Ihr Ziel ist, das Fahr- bzw. später Flugzeuge sicher zum gewünschten Zielpunkt zu steuern. Dem Steuern gehen zwei geometrische Aufgaben voraus: das Feststellen der momentanen Position und das Ermitteln der besten Route zum Zielpunkt.

Navigation im allgemeinsten Sinn kann definiert werden als Sichzurechtfinden in einem topografischen Raum, um einen gewünschten Ort zu erreichen. Diese allgemeine Definition kommt meinem Verständnis von Paartherapie und paartherapeutischer Prozesssteuerung sehr nahe.

Die Tätigkeit des Navigierens besteht aus drei Teilbereichen:

Bestimmen der geografischen Position durch Ortsbestimmung nach verschiedenen Methoden,

Berechnen des optimalen Weges zum Ziel und

Halten des optimalen Kurses, also vor allem das Halten des Kurses unter Berücksichtigung der Abdrift.

Analogien sollen zwar Analogien bleiben. Dennoch weisen die genannten Teilbereiche erstaunliche Parallelen zum therapeutischen Vorgehen auf. Therapie und Beratung beginnen ja vornehmlich aus einer Position des »Nichtwissens«. So entspricht Aufgabe 1 weitgehend dem, sich als Therapeut erst einmal ortskundig zu machen und zusammen mit dem Paar eine erste Ortsbestimmung vorzunehmen, indem die Probleme, Einschätzungen, Sichtweisen und Bewertungen beider Partner exploriert werden. Aufgabe 2 entspricht dem Prozess der Erwartungsklärung und Zielfindung, damit klar ist, wohin die Reise gehen soll und welcher Aufwand in etwa hierfür angestrebt wird: ein oder zwei Sitzungen oder eine längere Phase der Zusammenarbeit? Aufgabe 3 erfordert die Fähigkeit des Therapeuten, mit Rückschlägen, Umwegen und Unvorhersehbarkeiten zurechtzukommen und den Therapieprozess auch unter schwierigen Bedingungen aufrechtzuerhalten und dabei möglichst jede Gefahr einer Kollision auszuschließen – z. B. indem der eingeschlagene Weg unterwegs neuerlich optimiert wird.

Die Basis jeder Navigation sind die Sichtnavigation und das Koppeln. Sichtnavigation bedeutet Raumgefühl und visuelle Kontrolle und basiert auf Erinnerungen und Erfahrungen sowie auf einfachem Kartenmaterial. Koppeln bezieht sich auf den aus dem Kurs berechneten Weg. Hier ist auch das Schätzen erlaubt. Je länger die Strecke oder je komplizierter der Wegverlauf, desto mehr müssen Sichtnavigation und Koppeln durch Positionsmessungen unterwegs ergänzt werden. Schließlich gibt es noch die terrestrische Navigation. Damit ist die Ortsbestimmung in Küstennähe anhand von Landmarken und Leuchttürmen gemeint.

Überträgt man diese Navigationstechniken auf den Bereich der Therapie, lassen sich folgende Parallelen ziehen:

Prozesssteuerung erfolgt »in vivo« und »face to face«, also im »Hier und Jetzt« und in Sichtweite mit den Klienten.

Landkarten unterstützen den Prozess des Steuerns und beinhalten wichtige Angaben zur Orientierung und Kursbestimmung.

Durch Feedback und Ankoppelung erfolgt eine fortlaufende Überprüfung des eingeschlagenen Kurses.

Diese Überlegungen entsprechen der heutigen Auffassung von Paartherapie und Paarberatung als Prozessgeschehen, in dem der Therapeut in einer als Begegnung gestalteten Beziehung durch seine Interventionen einen Prozess moderiert, der Klienten zu Schritten auf Lösungen hin befähigt und unterstützt. Hierbei sorgt der Therapeut als Experte auf der Basis von Erfahrung, Kompetenz und therapeutischer Distanz für Fragen, Kommentare, Hinweise und Vorschläge, die weiterführen. Die Klienten als Experten sorgen auf der Basis ihrer Kenntnis von sich selbst und ihren Lebensumständen für Ideen, Passung, Angemessenheit und Grenzen (Bleckwedel).

Es ist aus meiner Sicht als Fortschritt anzusehen, dass Therapeuten auch wieder Experten sein dürfen. Gerade das Navigieren auf Sichtweite erfordert seemännische Fähigkeiten, die auf mehr basieren, als nichts zu wissen und auf neutraler Basis Fragen zu stellen.

Die Steuerung des therapeutischen Prozesses lebt auch von fundiertem Fachwissen, guter Technik und wirksamen Interventionen. Sie lebt aber mehr noch von der Begegnung von Therapeut und Klienten und von Freude, Humor, Spiel, Kreativität und Lebendigkeit. Und einem guten Gespür für die Situation. Für die Frage, für welches Vorgehen man sich in einem bestimmten Moment entscheidet, spielt neben einer gründlichen Ausbildung und einem breiten Fach- und Methodenwissen die Intuition eine maßgebliche Rolle. Darauf werde ich noch eingehen.

4. Landkarten und Landmarken

Wenn wir bei der Metapher des Navigierens auf Sichtweite bleiben, erscheint es naheliegend, dass es hierfür geeignetes Kartenmaterial braucht. Ein methodenunabhängiges Navigationssystem besteht aus einer Reihe von Landkarten, die unterschiedliche topografische Therapieräume beschreiben.

Sie sind Aktivierungs- und Navigationsinstrumente zur Steuerung des therapeutischen Prozesses. Sie fungieren als Landmarken und Koordinatensysteme, auf deren Basis der Therapeut seine Anschlussfähigkeit sichert und die Interventionen auswählt, mit denen er seinerseits den therapeutischen Prozess steuert.

Die von mir im Laufe der Jahre entwickelten Landkarten beschreiben die Tätigkeit des Navigierens aus unterschiedlichen Perspektiven. Gestützt auf die Vielfalt dieser Perspektiven erlauben sie, unabhängig von einzelnen Methoden, Schulen und Richtungen zu navigieren. Sie sind auch Reflexionshilfen zur aktuell mitlaufenden Reflexion: Was erfährt gerade meine besondere Aufmerksamkeit? Was tue ich gerade? Und sie dienen der nachträglichen Reflexion des Vorgehens und seiner Wirkung. War es sinnvoll, das Thema in der Weise zu vertiefen? Wie sind die Klienten aus der Sitzung gegangen? Wie ordne ich das Geschehen im Nachhinein ein?

Landkarten sind auch eine Art Gedächtnisstütze, die uns Therapeuten deutlich machen, dass es bewährte Wege und Routen gibt sowie neue Wege, die oftmals erst durch Umwege gefunden werden.

Solche Orientierungshilfen, oder in der Navigationssprache »Landmarken«, für die terrestrische Navigation müssen keineswegs alle neu erfunden werden. Vielmehr können durch die Praxis gut evaluierte Orientierungshilfen verschiedener paartherapeutischer Richtungen und Ansätze integriert und auf die eigene Person zugeschnitten werden, um:

Position, Fokus, Ziel und Kurs zusammen mit den Klienten zu bestimmen.

Den Grad an Strukturiertheit richtig zu dosieren.

Therapieziele gemeinsam auszuwählen, für die sich alle Beteiligten die größten Chancen auf eine gute Zielerreichung versprechen.

Den Grad der Komplexität im Prozess angemessen zu steuern.

Situationen zu arrangieren, in denen Therapeut und Klienten zum Beobachter der Situation werden, die gemeinsam ein Geschehen betrachten.

Methoden zu kombinieren und erlebnisaktivierende Methoden gezielt einzusetzen.

Das therapeutische Setting flexibel und kreativ zu gestalten.

Durch komplementäre Beziehungsgestaltung und Ressourcenaktivierung den Klienten positive Erfahrungen zu vermitteln.

Ernst und Spiel angemessen zu balancieren.

Klienten zum Handeln und zu Entscheidungen zu ermutigen.

Mit der Aufmerksamkeit immer wieder vom Inhalt auf die Prozessebene zu wechseln.

Abdrift wahrzunehmen und Kurskorrekturen vornehmen zu können.

Die am Anfang und in Krisenzeiten notwendige Metastabilisierung zu steuern.

Es sind insgesamt sieben Landkarten, die als Orientierungssysteme und Navigationshilfen dienen. Die ersten beiden – die therapeutische Beziehung und die Veränderungsachse von der Wirklichkeit zur Möglichkeit und zurück – laufen während des ganzen therapeutischen Prozesses mit. Die fünf anderen rücken in verschiedenen Phasen ins Zentrum der Therapie, hin und wieder auch gleichzeitig. Gewisse Landmarken werden mehrfach angesteuert. Sie betreffen die Positions- und Kursbestimmung, die Problemaktualisierung und Problembewältigung, die Beziehungsklärung und die Entwicklungsprozesse der Partner und ihrer Beziehung, die fortlaufende Kursbestimmung in der mittleren und späteren Phase der Therapie sowie den Einsatz verbaler und analoger Methoden. Sie folgen mehr oder weniger dem Fluss des therapeutischen Prozesses vom Therapiebeginn über die mittlere Phase bis zum Abschluss der Gespräche. Die gesonderte Darstellung einzelner Landkarten dient dabei ausschließlich dem einfacheren Nachvollziehen. In der Praxis bilden sie Schnittmengen, gehen ineinander über und befruchten sich gegenseitig.

Die sieben paartherapeutischen Landkarten

Landkarte 1: Die Rolle des Therapeuten zwischen Planbarkeit und Unvorhersehbarkeit

Landkarte 2: Problemaktualisierung und Intentionsrealisierung zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit

Landkarte 3: Positions- und Kursbestimmung zwischen Situationsklärung und Intentionsveränderung

Landkarte 4: Aktive Problembewältigung zwischen Nicht-anders-Können und Besser-Können

Landkarte 5: Selbst- und Beziehungsklärung zwischen mutigem Hineingehen in soziale Räume und vorsichtigem Eintreten in Innenwelten

Landkarte 6: Fortlaufende Kursbestimmung zwischen Kurs halten und Kurs korrigieren

Landkarte 7: Methodeneinsatz im Wechselspiel zwischen sprachlichen und analogen Methoden

Die hier vorgestellten Landkarten betreffen jene Punkte, die sich im sogenannten »expliziten Funktionsmodus« (Grawe) abspielen. Sie sind lernbar und dann auch willentlich abrufbar. Was sich im expliziten Modus zwischen Klienten und Therapeut abspielt, ist jedoch nur ein Teil der Prozesse, von denen Verlauf und Ergebnis einer Paartherapie abhängen. Wichtige Prozesse spielen sich im »impliziten Modus« ab, ohne dass die Beteiligten im Moment die Aufmerksamkeit darauf gerichtet haben und ohne dass sie ein Bewusstsein dafür haben. Viele der neuronalen Prozesse, von denen die Veränderungen letztlich abhängen, bleiben sogar prinzipiell unbewusst. Einige dieser impliziten Prozesse sind ebenfalls willentlich steuerbar wie zum Beispiel das Bemühen um Allparteilichkeit. Andere Bereiche sind im jeweiligen Augenblick nicht willentlich beeinflussbar. Dazu gehört etwa die Wahrnehmung der Person des Therapeuten durch die Klienten. Dazu gehören Körperhaltung, Tonfall und Gestik des Therapeuten. Dieses sind wichtige nonverbale Verhaltensmerkmale. Empathie ist wiederum ein wichtiges Merkmal einer positiven therapeutischen Beziehung. Ich erwähne diese Punkte, weil sie in schriftlicher Form kaum darstellbar sind, nichtsdestotrotz wichtige Elemente der Prozesssteuerung umfassen.

5. Pendeln und Driften zwischen Polen

Prozesssteuerung in der Paartherapie als Navigieren auf Sichtweite bedeutet ganz wesentlich Umgang mit einer Reihe von nicht auflösbaren Spannungsfeldern. Hierzu gehören:

Das Spannungsfeld zwischen Planbarkeit und Unvorhersehbarkeit

Das Spannungsfeld zwischen der Strukturiertheit und der Kreativität des therapeutischen Prozesses

Das Spannungsfeld zwischen mitfühlender Verbundenheit und sachlicher Nüchternheit

Das Spannungsfeld zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit

Das Spannungsfeld zwischen Situationsklärung und Intentionsrealisierung

Das Spannungsfeld zwischen relativer Expertenschaft und gemeinsamer Beobachtung der Situation

Das Spannungsfeld zwischen mutigem Eintreten in soziale Räume und vorsichtigem Intervenieren in die Innenwelten der Klienten

Das Spannungsfeld zwischen Versachlichung und Dramatisierung des Themas oder der Situation

Das Spannungsfeld zwischen Komplexität und Einfachheit

Das Spannungsfeld zwischen Problemaktualisierung und Problembewältigung

Das Spannungsfeld zwischen den Partnern und ihrer Beziehung.