Jobcoaching für Menschen mit psychischer Erkrankung - Bettina Bärtsch - E-Book

Jobcoaching für Menschen mit psychischer Erkrankung E-Book

Bettina Bärtsch

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Beschreibung

Es zeigt sich immer mehr, dass viele Menschen mit einer psychischen Erkrankung auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten wollen und dies auch können, wenn sie von Jobcoaches unterstützt werden. Dieses Buch vermittelt praxisorientierte Ideen für die tägliche Arbeit als Jobcoach. Anhand vieler Beispiele identifizieren die Autorinnen zentrale Themen der Klient*innen und geben Tipps für die Beziehungsgestaltung. Wie gelingt die Vermittlung auf Arbeitsplätze, wie mit Ängsten umgehen? Wie solltengemeinsame Gespräche mit den Arbeitgeber*innen ablaufen und wie vorbereitet werden? Aber auch die ganz besonderen Herausforderungen des Berufsbildes werden beschrieben, immer mit den nötigen praktischen Hinweisen versehen.

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Seitenzahl: 179

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PraxisWissen

Bettina Bärtsch und Micheline Huber

Jobcoaching für Menschen mit psychischer Erkrankung

BETTINA BÄRTSCH, Psychologin lic. phil, eidg. Dipl.-Berufsberaterin, MAS Supervision und Coaching in Organisationen (BSO), Weiterbildungen in Führung und hypnosystemischer Beratung, mehrjährige Tätigkeit als IV-Berufsberaterin, hat die Abteilung Supported Employment der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich mit elf Jobcoaches aufgebaut und 15 Jahre lang geleitet. Sie arbeitet heute in eigener Praxis als Coachin, Jobcoachin und Supervisorin.

MICHELINE HUBER, Psychologin lic. phil., MAS systemisch-lösungsorientierte Beratung, ist Jobcoachin bei der Sozialversicherungsanstalt Zürich und Lehrbeauftragte an der Hochschule Luzern.

Für dieses Buch bekamen wir von vielen Seiten großzügige Unterstützung. Wir bedanken uns herzlich bei Eveline Suter, Cristina Fritz, Silvia Grois, Stefan Kull, Claude Ney, Christian Sieber, Prof.Wulf Rössler, den Jobcoaches der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich und ganz besonders auch bei allen Klienten und Klientinnen, die hier nicht namentlich erwähnt werden möchten, uns aber inhaltlich sehr unterstützt haben, indem sie Texte geschrieben und ihre persönlichen Geschichten und Arbeiten zur Illustration zur Verfügung gestellt haben. Damit haben sie dieses Buch ungemein bereichert.

Die Reihe PraxisWissen wird herausgegeben von:

Michaela Amering, Ilse Eichenbrenner, Michael Eink, Caroline Gurtner, Klaus Obert, Wulf Rössler und Tobias Teismann

Bettina Bärtsch und Micheline Huber

Jobcoaching für Menschen mit psychischer Erkrankung

PraxisWissen 4

1. Auflage 2019

ISBN-Print 978-3-88414-687-3

ISBN-PDF 978-3-88414-962-1

ISBN-ePub 978-3-88414-963-8

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© Psychiatrie Verlag GmbH, Köln 2019

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne Zustimmung des Verlags vervielfältigt, digitalisiert oder verbreitet werden.

Lektorat: Uwe Britten, Eisenach

Umschlagkonzeption und -gestaltung: studio goe, Düsseldorf, unter Verwendung eines Fotos von imaginima/iStock.com

Typografiekonzeption und Satz: Iga Bielejec, Nierstein

Inhalt

Cover

Titel

Die Autoren

Impressum

Für Jobcoachings gibt es keine Rezepte – Vorbemerkung

Inklusion durch Arbeit

Die Bedeutung der Erwerbsarbeit

Veränderungen von Arbeitswelt und Anforderungen an Arbeitnehmer

Theorie, Haltung und Herangehensweise

Das Supported-Employment-Konzept

Das IPS-Modell

Grundhaltung und Coachingmethoden

Inhalte des Jobcoachings

Beziehungsaufbau

Erster Kontakt

Erstgespräch

Auftragsklärung und Ziele

Arbeitsbezogene und medizinische Notfälle

Stellensuche

Arbeitsplatzerhalt

Abschluss des Jobcoachings

Zentrale Themen der Klientinnen und Klienten

Angst

Entwicklung der Krankheitsverläufe

Psychische Stabilität

Leistungsfähigkeit

Konflikte am Arbeitsplatz

Mobbing und Bossing

Burn-out

Veränderungswünsche

Autoritätsproblematik

Suizidalität

Druck

Freizeitgestaltung

Pausen und Firmenanlässe

Selbstwert

Umgang mit Kritik

Motivation

Kommunikation der Erkrankung

Manische Symptome

Psychotisches Erleben

Herausforderungen als Jobcoach

Rollen und Aufgaben als Jobcoach

Unterschiedliche Ansprüche

Zielfokussierung im Jobcoaching

Umgang mit Misserfolgen

Aggressionen in der Beratung

Hoch qualifizierte Klienten

Erkrankung und Kränkung

Fordernde Klienten

Dramadreieck

Substanzabhängigkeiten

Somatisierung

Zusammenarbeit mit dem Umfeld

Roundtables

Zusammenarbeit mit Arbeitgeberinnen

Zusammenarbeit mit Behandlerinnen

Das soziale Umfeld der Klientinnen

Zusammenarbeit mit Versicherungen

Vernetzung mit Beratungsstellen

Nachwort

Ausgewählte Literatur

Für Jobcoachings gibt es keine Rezepte – Vorbemerkung

Sollten Menschen mit einer psychischen Erkrankung auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten? Finden sie überhaupt eine Anstellung? Können sie diese Anstellung erfolgreich ausüben? Tut es ihrer Gesundheit gut?

Wir sind überzeugt, dass Menschen mit einer psychischen Erkrankung in ihrem Wunsch nach Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt unterstützt werden sollten. Vor einigen Jahren standen wir in der Schweiz mit dieser Haltung noch im Abseits und es war schwer, überhaupt Personen mit psychischer Erkrankung zu finden, die sich unterstützen lassen wollten. Sie trauten es sich nicht zu oder wurden von ihren Behandlern und Angehörigen davor gewarnt, wieder zu arbeiten. Arbeit belastet, macht krank oder eben noch kränker, so war die Devise.

Heute ist die Arbeit als Jobcoach etabliert. Es zeigt sich, dass viele Menschen mit einer psychischen Erkrankung auf dem ersten Arbeitsmarkt arbeiten wollen und können. Sogar mit einer schweren psychischen Erkrankung ist es möglich, den Anforderungen des ersten Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, eine Anstellung an die Fähigkeiten der Personen anzupassen und nicht wie gewohnt umgekehrt.

Der Wunsch und die Motivation unserer Klienten und Klientinnen ist hoch, sich auf dem ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, denn Arbeit bedeutet für sie Normalität, Teilhabe, finanzielle Unabhängigkeit und auch Gesundheit.

Doch wie können Menschen mit einer psychischen Erkrankung erfolgreich gecoacht werden? Zum Thema Coaching ist eine breit gefächerte Literatur vorhanden, die sich jedoch auf die Arbeit mit gesunden Menschen bezieht. Zum Supported-Employment-Konzept sowie dem Individual-Placement-and-Support-Modell, auf denen unsere Arbeit basiert, existiert ebenfalls umfangreiche Forschungsliteratur, die Leitlinien zur Gestaltung von Jobcoachings gibt. Die inhaltliche Ausgestaltung und konkrete Umsetzung sind darin aber nicht beschrieben. Aus dem Wunsch, diese Lücke zu schließen und die beiden Themen praxisorientiert miteinander zu verknüpfen, ist dieses Buch entstanden.

Für Jobcoachings gibt es keine fixen Abläufe oder einfachen Rezepte. Die Beratung passen wir individuell der gesundheitlichen, beruflichen und persönlichen Situation der Klienten und Klientinnen an. Zudem beraten wir Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen und arbeiten mit weiteren involvierten Personen und Stellen zusammen, damit eine nachhaltige Integration gelingen kann. Wir geben in diesem Buch Einblick in die vielfältigen und spannenden Aufgaben von Jobcoaches und illustrieren dies mit Beispielen.

Wir möchten unsere Erfahrungen und Erkenntnisse mit Ihnen teilen und hoffen, Sie mit unserer Begeisterung für das Thema anzustecken.

Um die Leserlichkeit zu erhöhen, wechseln wir kapitelweise die Genderformen.

Inklusion durch Arbeit

Die Bedeutung der Erwerbsarbeit

Weshalb räumen unsere Klienten und wir der Erwerbsarbeit einen so hohen Stellenwert ein?

Somatische Erkrankungen wie eine starke Erkältung oder ein Bandscheibenvorfall können uns für ein paar Tage oder gar Wochen außer Gefecht setzen. Wir befolgen in der Regel die ärztlichen Ratschläge und warten ab, bis Symptome wie Fieber oder Schmerzen nachlassen und wir wieder – zumindest teilweise – arbeitsfähig sind. Auch während einer akuten psychischen Erkrankung ist es vielen Menschen nicht möglich, ihrer Arbeit nachzugehen. Während einer schweren depressiven Episode, in der alltägliche Aufgaben wie Aufstehen oder das Aus-dem-Haus-Gehen zu unfassbaren Herausforderungen werden oder gar drängende Suizidgedanken vorhanden sind, ist keine Arbeitsfähigkeit gegeben. Gleiches gilt während akuter Psychosen, wenn Betroffene keinen Bezug zur Realität mehr haben. Dann sind andere Themen weitaus wichtiger, als Treppenhäuser zu reinigen, die Post zu verteilen oder eine neue Marketingstrategie zu präsentieren.

Im Jobcoaching müssen wir die Grenzen unserer Klienten und die der Arbeitswelt beachten und respektieren. Wir pflegen einen engen Austausch mit Behandlern, halten uns an die ärztlichen Empfehlungen und berücksichtigen allfällige Gefährdungsaspekte bei der Arbeit. Oft lernen wir in unserem Beratungsalltag Klienten kennen, deren akute Krankheitsphasen länger zurückliegen, selten auftreten oder deren Auswirkungen die Leistungsfähigkeit nicht völlig einschränken. Wir beraten Personen, die nach einer Krise den Wiedereinstieg in die Normalität suchen, wozu für viele ihre Erwerbsarbeit zählt. Diese Klienten wollen lernen, ihre Belastbarkeit neu einzuschätzen, und entsprechend ihren Fähigkeiten und Interessen wieder einer regelmäßigen Aufgabe nachgehen.

Nicht selten finden wir uns in Gesprächen Menschen gegenüber, die bis zu einem – oft unerwarteten – Arbeitsplatzverlust ein geregeltes Leben ohne gesundheitliche Einschränkungen führten oder diese unauffällig meistern konnten. Wir sind nicht der Meinung, dass Erwerbsarbeit das Wichtigste im Leben ist, aber in den Gesprächen mit den Klienten merken wir immer wieder, wie die Arbeit in unserer Gesellschaft die Identität mitbestimmt. Eine Aufgabe zu haben, in ein Team integriert zu sein, einen Beitrag zu etwas Größerem zu leisten und finanziell möglichst unabhängig zu sein, das sind Argumente, die unsere Klienten in den Erstgesprächen oft vorbringen. Ihre Motivation, zu arbeiten, ist in den Beratungen deutlich spürbar. Aus diesen Gesprächen wissen wir auch, dass eine länger andauernde Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit eine Krankheit aufrechterhalten kann.

Arbeit kann einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit leisten. Menschen mit psychischen Erkrankungen sind im Vergleich zu Menschen mit anderen gesundheitlichen Einschränkungen stärker vom ersten Arbeitsmarkt ausgegrenzt (SNASHALL 2008). Deshalb ist es ratsam, diese Gruppe mit einem personenzentrierten Beratungsansatz bei der Erreichung ihrer Ziele zu unterstützen. Nach wie vor herrschen Vorurteile, mit denen unsere Klienten konfrontiert werden: »Nach einem Burn-out kann man keine Führungsfunktion mehr einnehmen«, »Ein Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik macht alles nur noch schlimmer« oder gar »Menschen mit Schizophrenie sind gefährlich«. Solche Meinungen sind in der Gesellschaft weit verbreitet und wirken sich auf das involvierte Umfeld aus. Bei unseren Klienten stellen wir häufig auch eine Selbststigmatisierung fest, die sich wiederum auf den beruflichen Wiedereinstieg auswirkt (Rüsch u.a. 2005). Das Jobcoaching ermöglicht allen Beteiligten, Berührungsängste wie auch Vorurteile anzugehen und abzubauen. > Zusammenarbeit mit dem Umfeld, Seiten 130 ff.

Natürlich gibt es Arbeitskontexte, in denen es – für Menschen mit und ohne psychische Beeinträchtigungen – beinahe unmöglich erscheint, gesund zu bleiben oder zu werden. Auch stellen gewisse Aspekte der heutigen Arbeitswelt eine große Herausforderung dar, beispielsweise Flexibilität, permanente Erreichbarkeit, unsichere Arbeitsverhältnisse, dynamische Arbeitsumfelder und globalisierte Arbeitsmärkte. Für unsere Arbeit als Jobcoaches steht die Frage im Zentrum, wie Menschen mit einer erhöhten Vulnerabilität und mit psychischen Beeinträchtigungen einen Umgang mit diesen Herausforderungen finden, um nachhaltig und erfolgreich am Arbeitsleben teilzuhaben.

Diese Teilhabe ist spätestens durch die Einflüsse der Sozialpsychiatrie ein wichtiges Ziel der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung geworden (Priebe & Hoffmann 2002; Steinert 2007). Auch in psychiatrischen Kliniken werden entsprechende Arbeitstherapien angeboten. Institutionen bieten geschützte Arbeitsplätze und Programme an, mit deren Unterstützung Menschen nach einer psychischen Erkrankung stufenweise auf dem Arbeitsmarkt reintegriert werden. Zudem entstanden in den letzten Jahren Sozialfirmen, die Menschen mit (Teil-)Invalidenrenten zu einem Leistungslohn anstellen. Solch spezialisierte Angebote sind für viele Menschen mit Einschränkungen in Leistung oder Sozialverhalten wichtig und sinnvoll. Diese traditionellen, stufenweisen Modelle der Arbeitsintegration sind aber weniger geeignet, eine längerfristige Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen (Pfammatter u.a. 2000). Dies führte zu einem Paradigmenwechsel hin zu »erst platzieren, dann trainieren«, dem auch wir mit unserer Arbeit folgen. > Supported-Employment-Konzept, Seiten 15 f.

Veränderungen von Arbeitswelt und Anforderungen an Arbeitnehmer

Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert und stellt immer neue Anforderungen an die Arbeitnehmer. Computer können Aufgaben erledigen, die bislang nur Menschen zugetraut wurden. Dadurch entstehen neue Berufe, andere werden überflüssig. Der Fortschritt der Technologie bewirkt beispielsweise, dass wir nicht mehr fest an einen Arbeitsplatz gebunden sind.

Diese Entwicklungen nutzen wir paradoxerweise nicht zu unserer Entlastung, sondern vorrangig zur zusätzlichen Belastung. Wir rufen in der Freizeit und in den Ferien unsere geschäftlichen E-Mails ab und sind mit dem Mobiltelefon rund um die Uhr erreichbar. Um à jour zu bleiben, müssen wir immer mehr erledigen, was eine zunehmende Beschleunigung zur Folge hat, die Soziologen zuweilen als »rasenden Stillstand« bezeichnen.

Multitasking-Aufgaben gehören vermehrt zur täglichen Arbeit, obwohl Forschungsresultate darauf hinweisen, dass unser Gehirn damit auf Dauer überfordert ist. Es ist schwieriger, Aufgaben »gleichzeitig« durchzuführen als nacheinander. Multitasking bewirkt eine Zersplitterung der Aufmerksamkeit und eine tiefere Reaktionsgeschwindigkeit und mindert dadurch Erfolgserlebnisse. Joachim BAUER (2013) hat in Experimenten nachgewiesen, dass bei steigender Fähigkeit zum Multitasking die Fähigkeit abnimmt, konzentriert bei einer Sache zu bleiben und Probleme zu lösen. Er geht davon aus, dass Multitasking ein Hirnareal aktiviert, das üblicherweise aktiv wird, wenn wir eine breite, unruhige Aufmerksamkeit brauchen und uns nicht auf eine Sache fokussieren. Wahrscheinlich ist dieses Hirnareal evolutionär entstanden, als der Mensch in der Savanne lebte und permanent mit Gefahren rechnen musste. Es bewirkt eine Unruhe, die uns zwingt, die Umwelt ständig zu scannen.

Auch Werte und Anforderungen an Arbeitnehmer haben sich gewandelt. Wo früher in Stelleninseraten Fleiß, Freundlichkeit, Loyalität, Pünktlichkeit, Pflichtbewusstsein, Sorgfalt und Zuverlässigkeit gefragt waren, steht heute: Autonomie, Employability, Flexibilität, Risikobereitschaft, Selbstmanagement, Innovation, Kommunikation, Kreativität, Spontaneität, lebenslanges Lernen, Verfügbarkeit, Mobilität und Vernetzung. Dies sind die neuen Tugenden der Arbeitswelt.

Wenige Personen arbeiten noch von 8.00 bis 17.00 Uhr an einem festen Arbeitsplatz. Flexible Arbeitszeiten, Homeoffice und mobile Arbeitsplätze erleichtern im besten Fall das Leben, erschweren aber das Gefühl einer Zugehörigkeit. Neue Führungsstrategien haben die Austauschbarkeit von Mitarbeitern zum Ziel. Arbeitnehmer bekommen weniger Status und erleben dies oft als Verlust von Wertschätzung und Bindung an den Arbeitgeber.

Daraus resultieren gesellschaftliche Veränderungen. Menschen erwarten heute generell mehr von sich und ihrer Umwelt. Viele Menschen erwarten von sich nicht nur Höchstleistungen bei der Arbeit, sondern auch in der Freizeit. Zudem fordern sie von sich eine breite Bildung, soziale Integration, eine immer glückliche Familie und leistungsstarke Kinder. Viele Menschen sehen es als ihre Aufgabe an, sich selbst im Privaten wie auch im Arbeitsbereich zu »optimieren«.

Oft begegnen wir im Jobcoaching Menschen, deren Selbstoptimierung zur Selbstausbeutung geworden ist, entsprechend einer Arbeitswelt, in der Selbstoptimierung als wichtige Tugend gilt und Arbeitnehmer austauschbar sowie Grenzen zeitlich, örtlich und inhaltlich nicht mehr vorgegeben sind. Diese Umstände begünstigen ungesunde Grundannahmen wie »Es ist nie genug Wachstum«, »So, wie ich bin, bin ich nicht genug« oder »Ich muss mehr leisten, um den steigenden Ansprüchen zu genügen«, welche die hohen Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit nähren und weiter antreiben.

Theorie, Haltung und Herangehensweise

Oft beziehen sich Personen, die in der beruflichen Integration arbeiten, auf das Supported-Employment-Konzept, in ihrer Beratung stehen jedoch ausführliche Assessments oder Trainingsmaßnahmen im Vordergrund. Letztere sollen den Weg zum beruflichen Wiedereinstieg stufenweise ebnen und werden als Voraussetzungen für eine gelingende berufliche Integration angesehen. Assessments und Trainingsmaßnahmen können sinnvoll und zielführend sein. Ein solches Vorgehen sollte aber vom Supported-Employment-Ansatz unterschieden werden.

Da die Zusammenarbeit mit dem Behandlungsteam der Klientinnen für das Jobcoaching nach Supported-Employment essenziell ist und die medizinische Versorgung national und regional unterschiedlich gestaltet wird, wird im Folgenden von »Behandlerinnen« gesprochen. Dieser Begriff schließt Psychiaterinnen wie Psychotherapeutinnen und Hausärztinnen gleichermaßen ein. Für eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung mit den Klientinnen ist es elementar, die Zusammenarbeit mit Behandlerinnen transparent zu gestalten und auf die Aspekte zu begrenzen, die für die Arbeitsintegration wichtig sind. > Kooperation mit Behandlerinnen, Seiten 17 f., 60 f., 130, 148 f.

Versicherungen sind wichtige Partner bei der beruflichen Wiedereingliederung. Die Behandlungskosten werden durch die Krankenkassen getragen. Der Erwerbsausfall ist in der Schweiz durch eine Krankentagegeldversicherung gedeckt, die aber nicht obligatorisch ist. Bei Stellenverlust erfolgt eine Anmeldung bei der Arbeitslosenversicherung, die den Anspruch auf Unterstützung prüft. Zudem sind arbeitslose Personen verpflichtet, mit der Unterstützung von Regionalen Arbeitsvermittlungszentren möglichst rasch eine neue Stelle anzutreten. Bei einer längeren, krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit kann die Invalidenversicherung (IV; in Deutschland: Rentenversicherung) Unterstützung anbieten. Da von Gesetzes wegen der Grundsatz »Eingliederung vor Rente« gilt, helfen IV-Beraterinnen beim beruflichen Wiedereinstieg. Zusätzlich kann für Menschen mit psychischer Erkrankung ein Jobcoaching angeboten werden. In einem solchen Setting ist die Invalidenversicherung Auftraggeberin und setzt dem Jobcoaching einen Rahmen. Es wird eine – wenn möglich rentenausschließende – berufliche Integration erwartet. Zeitdauer und Intensität des Jobcoachings werden individuell festgelegt. Solche Rahmenbedingungen müssen von Beginn an beachtet werden. So können die Klientinnen entscheiden, ob die Beratung sinnvoll ist und wie sie im vorgegebenen Rahmen für die Zielsetzung genutzt werden kann. > Zusammenarbeit mit Versicherungen, Seiten 130, 154 f.

Das Supported-Employment-Konzept

Die Grundidee von Supported Employment lässt sich mit dem schon erwähnten »Erst platzieren, dann trainieren« wohl am besten zusammenfassen. Der Ansatz stammt aus dem angelsächsischen Raum und wurde ursprünglich für Menschen mit Lernschwierigkeiten entwickelt. Deborah BECKER und Robert DRAKE (1993) passten das Konzept an die Bedürfnisse von Patientinnen mit psychischen Erkrankungen an. Gemäß ihrem »Individual Placement and Support«-Modell (IPS-Modell) werden Menschen mit psychischer Erkrankung durch ein Jobcoaching beim direkten Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt unterstützt. Vorangehende Assessments und Trainings werden bewusst nicht durchgeführt, da deren Aussagekraft beschränkt sei. Sie setzen auf die Motivation der Klientinnen und die individuelle Unterstützung durch das Jobcoaching. Die Jobcoachin arbeitet mit Behandlerinnen zusammen und strebt den raschen Stellenantritt auf dem ersten Arbeitsmarkt an. Die Ergebnisse der EQOLISE-Studie (BURNS u.a. 2007) zeigten schon vor über zehn Jahren auf, dass dieser Beratungsansatz auch in Europa Erfolg hat. Das Supported-Employment-Konzept wird seit den 1990er-Jahren intensiv beforscht und gilt als evidenzbasiert (BOND 2004).

Die Abkehr von der Vorstellung, dass eine Arbeitsfähigkeit stufenweise erst in einem Schonraum aufgebaut wird, stellt einen Paradigmenwechsel dar. Menschen mit einer psychischen Erkrankung werden gemäß Supported Employment nicht von Expertinnen qualifiziert und /oder trainiert, sondern direkt in ihren beruflichen Wünschen unterstützt. Das Jobcoaching ist ein niederschwelliges Angebot, das grundsätzlich alle Personen mit einer psychischen Erkrankung als Dienstleistung in Anspruch nehmen können. Menschen mit psychischer Erkrankung werden nicht geschont, sondern aktiv darin unterstützt, beruflich (wieder) Fuß zu fassen. Diese Stoßrichtung befürwortet aktuell auch die OECD. Sie plädiert dafür, bei psychischen Erkrankungen parallel und koordiniert mit der Behandlung Interventionen zur beruflichen Rehabilitation in die Wege zu leiten (PRINZ 2017). Ein stufenweises Vorgehen, in dem sie erst über mehrere Monate gewisse Voraussetzungen trainieren sollen, demotiviert häufig die Klientinnen, da sie befürchten, den Übertritt in den ersten Arbeitsmarkt nicht zu schaffen. Zudem wechseln bei diesem Modell die Bezugspersonen, was für Menschen mit einer psychischen Erkrankung schwierig sein kann.

Das IPS-Modell

Dem IPS-Modell von Becker und Drake liegen acht Prinzipien zugrunde (Dartmouth Psychiatric Research Center 2011). Die IPS-Fidelity Scale (BOND u.a. 2011) ermöglicht eine Einschätzung, wie das angebotene Jobcoaching den postulierten Prinzipien entspricht. Da diese Prinzipien für unsere Arbeit als Jobcoaches grundlegend sind, führen wir sie im Folgenden aus.

1. Prinzip: Das Ziel des Jobcoachings ist eine Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Das Jobcoaching ist darauf ausgerichtet, dass die Klientinnen eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt antreten und behalten. Es handelt sich um reguläre Stellen mit einem marktüblichen Lohn im öffentlichen oder privaten Sektor, die durch ein übliches Bewerbungsverfahren besetzt werden. Es ist möglich, dass eine Stelle aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen angepasst wird, dies ist aber keine Voraussetzung.

Der erste Arbeitsmarkt grenzt sich vom sogenannten zweiten Arbeitsmarkt ab, wo Arbeitsplätze im geschützten Rahmen angeboten werden. In der Schweiz handelt es sich hierbei um Institutionen, die vom Staat subventioniert sind, da sie Menschen mit einer IV-Rente beschäftigen. Synonyme hierfür sind »geschützte Arbeitsplätze«, »Integrationsarbeitsplätze« oder »IV-Arbeitsplätze«.

2. Prinzip: Jobcoaches arbeiten mit Behandlern zusammen. Jobcoaching ist ein integraler Bestandteil der psychiatrischen beziehungsweise psychotherapeutischen Behandlung. In den USA, wo das IPS-Modell konzipiert wurde, ist das Gesundheitssystem in Zentren aufgebaut. Interdisziplinäre Teams, zu denen auch Jobcoaches gehören, kümmern sich um die Patientinnen. Auch wir bemühen uns aktiv um eine gute Zusammenarbeit mit den Behandlerinnen (Ärztinnen, Psychiaterinnen, Psychotherapeutinnen). Dafür benötigen wir eine Schweigepflichtentbindung der Klientinnen. Ein regelmäßiger Austausch mit den Behandlerinnen über den Verlauf ermöglicht es, die Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und gemeinsame Strategien zur Unterstützung zu entwickeln. Diese Zusammenarbeit unterstützt die Arbeitsintegration und die Genesung. Zum Teil lohnt es sich, zusätzlich Gespräche mit weiteren Involvierten zu führen. Da solche Gespräche in unserem Verständnis ein Austausch zwischen Gleichberechtigten sein sollen, nennen wir sie »Roundtable«. > Zusammenarbeit mit dem Umfeld, Seiten 130 ff., 153 f.

3. Prinzip: Das Jobcoaching ist ein Angebot für alle Menschen mit psychischer Erkrankung.

Faktoren wie Diagnose, Arbeitsfähigkeit, Symptome oder beruflicher Werdegang haben keinen Einfluss auf den Zugang zu einem Jobcoaching. Niemand soll von einer Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden. Allein der Wunsch der Klientinnen, wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig zu sein, und die Bereitschaft, mit einer Jobcoachin zusammenzuarbeiten, sind ausschlaggebend. Im Idealfall werden die Klientinnen von ihren Behandlerinnen gezielt ermutigt, wieder zu arbeiten. Den positiven Forschungsergebnissen zum Trotz befürchten viele Behandlerinnen eine Verschlechterung der Gesundheit ihrer Patientinnen, wenn diese wieder zu arbeiten beginnen. Diese Haltung ändert sich in der Regel im Verlauf der Zusammenarbeit, Vorurteile werden so revidiert.

4. Prinzip: Die Jobcoaches nehmen die beruflichen Wünsche der Klientinnen ernst.

Für die Ausgestaltung des Jobcoachings und insbesondere der Stellensuche sind die Vorstellungen der Klientinnen entscheidend, nicht die Einschätzungen der Fachpersonen. Dies betrifft die Berufswünsche der Klientinnen wie auch die Entscheidung, ob und in welchem Umfang sie ihre psychische Erkrankung gegenüber einer Arbeitgeberin offenlegen wollen.

Erscheint ein Berufswunsch der Jobcoachin unrealistisch, beispielsweise weil die Klientin als Sachbearbeiterin arbeiten möchte, aber über keinerlei Computerkenntnisse verfügt, bespricht sie dies mit der Klientin und ermuntert sie, die Voraussetzungen abzuklären und gemeinsam berufliche Alternativen zu erarbeiten, die sich unter den aktuellen Voraussetzungen realisieren lassen.

5. Prinzip: Die Jobcoaches informieren die Klientinnen über (Sozial-)Versicherungsleistungen und weitere Beratungsangebote.

Ansprüche auf Sozialleistungen und Beratungsangebote werden im Jobcoaching besprochen. Die Klientinnen werden darüber informiert, wie sich ein Stellenantritt, Lohnerhöhungen oder Änderungen des Beschäftigungsgrades auf ihre finanzielle Situation auswirken.

6. Prinzip: Die Stellensuche beginnt unmittelbar nach dem Kennenlernen.

In der Regel wird in den ersten dreißig Tagen mit der Stellensuche begonnen. Ausführliche vorgängige Assessments, Trainings oder berufliche Zwischenlösungen werden bewusst vermieden. Dieses Vorgehen spiegelt Optimismus wider und zeigt den Klientinnen, dass ihr Wunsch, zu arbeiten, ernst genommen wird. Gleichzeitig bleibt durch dieses Prinzip auch der Fokus der Jobcoachin auf der Stellensuche.

7. Prinzip: Die Jobcoaches arbeiten mit Arbeitgeberinnen zusammen und nutzen ihr Netzwerk für die berufliche Integration der Klientinnen.

Jobcoaches betreiben gezieltes Networking, um attraktive Stellen für ihre Klientinnen zu finden. Kontakte werden geknüpft und gepflegt. So kennen die Jobcoaches die Bedürfnisse des regionalen Arbeitsmarktes und werden auf Vakanzen aufmerksam, die nicht im öffentlichen Stellenmarkt zu finden sind.

8. Prinzip: Die Dauer des Jobcoachings ist individuell. Das Jobcoaching zum Stellenerhalt wird so lange aufrechterhalten, wie es die Klientin wünscht und braucht.

Das Jobcoaching orientiert sich gemäß diesen acht Prinzipien nicht nur an den Klientinnen, sondern auch an den Behandlerinnen, Arbeitgeberinnen, dem privaten Umfeld und dem Sozialversicherungssystem. > Herausforderungen im Berufsalltag, Seiten 57 ff., 81, 102 ff.

Grundhaltung und Coachingmethoden

Eine Klientin sucht uns auf, weil ihre Behandlerin dazu geraten, weil eine Vertrauensperson darauf hingewiesen oder weil sie sich nach einer Internetrecherche dafür entschieden hat. Zum Teil werden Klientinnen auch von Arbeitgeberinnen oder Versicherungen geschickt und erwarten negative Konsequenzen, wenn sie auf ein Jobcoaching verzichten (Kündigung, Kürzungen finanzieller Unterstützung). Solche Hintergründe sind wichtige Themen im Erstgespräch, da sie Auswirkungen auf den Verlauf haben.

Nach Beratungsrezepten zu suchen scheint ein verlockender Gedanke zu sein, wird aber den individuellen Erfordernissen zu wenig gerecht. Auch einem festen Entscheidungsbaum folgen zu wollen, der immer die richtigen Fragen oder gar Lösungswege aufzeigt, ist nicht zielführend. Die Problematik ist dafür zu vielschichtig: Erkrankungen wirken sich je nach Person unterschiedlich aus, es sind verschiedene Akteure beteiligt und je nach Arbeitsstelle werden unterschiedliche Fähigkeiten benötigt. Es erscheint uns daher wichtig, immer wieder über unsere Haltung und Methoden nachzudenken. Zudem sind Jobcoaches nicht nur beratend tätig, sondern die Aspekte Training, Ratschläge / Entscheidung oder Begleitung stehen punktuell im Vordergrund. Folgende Unterteilung der Funktionen des Coachings definiert Sonja RADATZ (2013, S.101):

Training:

etwa Rollenspiele eines Vorstellungsgesprächs;

Ratschläge / Entscheidung:

Krisensituationen, akute Dekompensation u.

Ä.;

Begleitung: