Jungen in der Pubertät - Joachim Braun - E-Book

Jungen in der Pubertät E-Book

Joachim Braun

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Beschreibung

SOS – Pubertät Warum ist mein Sohn plötzlich so schamhaft? Wieso läuft jetzt alles in Zeitlupe ab? Ist der Vater jetzt tatsächlich besonders wichtig? Warum haben wir nur noch Streit miteinander? Was kann ich gegen diese nervenden Stimmungswechsel und seine Aggressivität machen? Warum rebelliert mein Sohn nicht? Wieso ist mein Sohn auf einmal ein blöder Angeber? Kann ich ihm Pornos verbieten, und wie soll ich mit ihm über Sex sprechen? Was ist mit strengen Ausgehzeiten? Wie können wir das «Hotel Mama» endlich schließen? Können wir etwas machen, wenn er nur noch vor dem Computer sitzt? Kann ich eingreifen, wenn mein Sohn immer wieder betrunken ist? Soll ich ihn in Ruhe lassen, wenn er sich einigelt und alles verdreckt? Seine Zensuren in der Schule sind im freien Fall, können wir eingreifen? Mit Antworten auf diese und viele andere typische Fragen hilft Experte Joachim Braun Eltern durch die Pubertät ihrer Söhne und zeigt, wann und wie Erziehung noch möglich ist und wie alle gemeinsam zu einem entspannteren Alltag finden. Das Erste-Hilfe-Paket für manchmal verzweifelte Eltern.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 265

Veröffentlichungsjahr: 2011

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Joachim Braun

Jungen in der Pubertät

Die 100 wichtigsten Fragen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Pubertätsverlauf

Pubertätsspezifisches Verhalten

Jungen und ihr Körper

Jungen und Männlichkeit

Jungen in Beziehung zu Vater und Mutter

Sexualität und Aufklärung

Regel- und Grenzverletzungen

Depressionen

Wertevermittlung

Freizeit, Freunde und Beziehungen

Schule und Schulverweigerung

Haushalt und soziale Kompetenz

Computer und Co.

Drogen, Alkohol und Zigaretten

Auszug von zu Hause

Zum Weiterlesen

Adressen

Index

100 Fragen auf einen Blick

VORWORT 

Seit mein Buch «Jungen in der Pubertät– Wie Söhne erwachsen werden» im Jahr 2003 erschienen ist, wenden sich zahlreiche Eltern an mich. Viele der Zuschriften enthalten Lob und Dank, einige auch Anregungen und Kritik. In den meisten Fällen jedoch bitten mich Eltern konkret um Rat bei der Erziehung ihrer pubertierenden Söhne.

Die Schilderungen der Eltern – ob in Briefen und Mails oder persönlich in meiner Praxis für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie – berühren mich jedes Mal aufs Neue. Sie machen mir bewusst, wie lebendig die Pubertät verläuft, was sie bei Jugendlichen und Eltern alles in Bewegung setzen kann, aber auch, in welche Irritation, Rat- und Hilflosigkeit sie Eltern häufig stürzt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie entlastend es sein kann, mitzubekommen, dass es anderen Eltern ähnlich ergeht. Ein Vater zweier Pubertierender sagte einmal während einer Elternberatung: «Man schmort so im eigenen Saft, dass man völlig den Blick für das rechte Maß verliert, statt sich zu sagen: ‹Komm runter, andere Eltern sind auch nicht besser dran, so ist es eben in der Pubertät! In ein paar Jahren ist alles vorbei!›» Ich erinnere mich noch gut, dass ich bei jenen Sätzen den Einfall hatte, die Fragen der Eltern und meine Antworten darauf in einem Buch niederzuschreiben. Meine Idee war, Eltern gewissermaßen einen Blick durchs Schlüsselloch zu ermöglichen, indem ich sie an den Sorgen und Nöten anderer Eltern teilhaben lasse. Also begann ich, die Fragen sorgfältig zu sichten und in Kapitel zu unterteilen, wobei ich aus Gründen der Verschwiegenheit, aber auch der Lesbarkeit die Mails und Briefe nicht eins zu eins übernommen habe, sondern sie gekürzt und redaktionell überarbeitet wiedergebe.

Möglicherweise fällt Ihnen beim Lesen dieses Buches auf, dass sich bestimmte Themen in meinen Antworten wiederholen. Dazu gehört zum Beispiel die Ablösung des Jugendlichen von seinen Eltern oder der Spagat zwischen Loslassen und Haltgeben, den Eltern immer wieder vollbringen müssen. Aber dies sind nun einmal die Kernthemen der Pubertät. Jugendliche stehen vor der Entwicklungsaufgabe, sich ein eigenes, von den Eltern unabhängiges Leben aufzubauen, und dieser Prozess löst nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei Eltern eine gewisse Hilflosigkeit aus. Es ist kennzeichnend für die Pubertät, dass sich Eltern immer wieder fragen, ob sie strenger oder nachsichtiger, aufmerksamer oder gelassener, sorgsamer oder sorgloser sein sollten. Auch mein Rat, mit dem Sohn über dieses und jenes im Gespräch zu bleiben, taucht häufig auf. Das mag banal klingen, ist man als Elternteil doch ständig mit seinem Pubertierenden über alles Mögliche im Gespräch, wenn auch häufig fruchtlos. Und dennoch: Gespräch ist nicht gleich Gespräch. In der Hektik des Alltags kommen Eltern oft nicht auf die Idee, sich mit ihrem Sohn zusammenzusetzen und über bestimmte Dinge ruhig und sachlich in den Dialog zu treten; sich einzufühlen in das, was ihn beschäftigt, die eigene Sicht zur Disposition zu stellen, sich gemeinsam auf die Suche nach einer Lösung zu machen. Auch gilt es, zu manchen Themen wie beispielsweise Regeln, Schule, Drogen oder Alkohol eine klare Haltung zu vertreten und diese immer wieder zu thematisieren.

Jugendliche brauchen das Gespräch, weil sie so spüren, mit ihren Eltern in Kontakt zu sein, und weil Kontakt das A und O von Erziehung ist. Vergessen Sie Hirnforschung, Gene und Hormone: Es ist die Beziehung zu den Eltern, die uns maßgeblich prägt. Als Therapeut und Berater erlebe ich es häufig, dass Eltern das Richtige tun, indem sie die Diskussion, die Auseinandersetzung, den Streit wagen. Entscheidend ist nicht, ob der Sohn drei oder fünf Stunden täglich an den Computer darf oder um zehn oder halb elf abends zu Hause sein muss. Entscheidend ist, dass Eltern und Söhne über solche Themen im Kontakt sind und dass Jugendliche die Möglichkeit haben, sich zu orientieren, sich zu messen, sich zu reiben und Begleitung und Grenzen zu erfahren. Manchmal kann es Eltern helfen, sich an die eigene Pubertät zu erinnern; sich zu vergegenwärtigen, mit welchen Gefühlen sie all die körperlichen und seelischen Veränderungen erlebt haben und was sie selbst von ihren Eltern gebraucht hätten, um diese Entwicklungsphase gut zu bewältigen.

Damit Sie mit Ihrem Sohn ins Gespräch kommen, könnten Sie auch einige Fragen beziehungsweise Antworten aus diesem Buch mit ihm diskutieren. Fragen Sie Ihren Sohn, wie er zu bestimmten Themen steht, und finden Sie gemeinsam mit ihm heraus, wie Sie beide mit den beschriebenen Situationen und Problemen umgehen würden. Sie könnten das Buch auch beiläufig auf dem Wohnzimmertisch liegen lassen. Ich höre oft von Jugendlichen, dass sie «Jungen in der Pubertät– Wie Söhne erwachsen werden» gelesen haben und sich darin wiederfinden, obwohl der Ratgeber ja eigentlich für Eltern geschrieben ist. Ein Jugendlicher sagte einmal: «Nachdem ich Ihr Buch gelesen habe, verstehe ich endlich, wie meine Eltern ticken!»

In diesem Zusammenhang bitte ich Sie, meine Antworten als Hinweis und Anregung aufzufassen, nicht aber als Gesetz im Sinne von: Nur so und nicht anders muss man es machen! Bilden Sie sich Ihre eigene Meinung – nur so kann etwas in Bewegung kommen. Und bitte haben Sie Verständnis, dass ich es nicht schaffe, alle E-Mails, die Eltern mir zusenden, zu beantworten. Es wäre ein zu großer zeitlicher Aufwand. Daher verweise ich ratsuchende Eltern an die entsprechenden Beratungsstellen oder Online-Foren. Wichtige Literatur und Internetadressen habe ich am Ende dieses Buches aufgelistet. Nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen beim Lesen und die eine oder andere gute Erkenntnis, die Ihnen den Spagat zwischen Halt geben und Loslassen leichter macht.

Joachim Braun

PUBERTÄTSVERLAUF 

1.Welche Unterstützung braucht unser Sohn von uns?

Wir sind Eltern zweier pubertierender Söhne (17 und 13), die über ein unterschiedliches Temperament verfügen. Während uns der Ältere eine ruhige Pubertät beschert, kündigt sich beim Jüngeren bereits an, dass es nicht leicht werden wird. Wie können wir ihn unterstützen, was braucht er von uns?

Ich fürchte, wenn Ihr jüngerer Sohn beschlossen hat, schwierig zu werden, dann müssen Sie da wohl oder übel durch. Eltern haben nur bedingt Einfluss darauf, wie die Pubertät ihrer Kinder verläuft. Ausschlaggebend sind unter anderem das Temperament, die Hormone, die Umstrukturierungen im Gehirn und die bisherige Biographie des Sohnes. Vielleicht muss der jüngere Sohn auch zum Ausdruck bringen, dass er keinesfalls so pflegeleicht sein will wie sein älterer Bruder, denn in der Pubertät geht es nicht nur darum, sich von den Eltern abzugrenzen, sondern auch von den Geschwistern.

Sie können Ihren Sohn unterstützen, indem Sie ihm Halt geben. Halt vermitteln Sie durch Vertrauen in seine Stärken und das Aufstellen von Regeln beziehungsweise das Setzen von Grenzen.

Vertrauen bedeutet, grundsätzlich an Ihren Sohn zu glauben, daran, dass er sein Leben meistern wird – egal, welche Schwierigkeiten er sich und Ihnen beschert. Manche Eltern fragen sich, wie sie das bewerkstelligen sollen, wenn der Sohn sein Zimmer zumüllt, Gangsta-Rap hört, lügt, klaut, in der Schule scheitert oder kifft? Vertrauen heißt jedoch nicht, dass Sie alles gutheißen sollen, was Ihr Sohn tut. Vertrauen heißt, neben den Schwächen Ihres Sohnes auch die Stärken im Blick zu behalten und ihm zu vermitteln, hinter ihm zu stehen – was auch immer er anstellt. So lernt er, sich selbst zu vertrauen.

Eltern neigen manchmal dazu, das Vertrauen in den Sohn zu verlieren, weil der Sohn eben kein Vertrauen zu sich hat. Anders ausgedrückt: Der elterliche Vertrauensverlust spiegelt häufig einen inneren Zustand des Jugendlichen voller Angst und Selbstunsicherheit. Wenn Eltern ihrem Sohn nichts zutrauen, wenn sie ihn wie ein Sorgenkind behandeln oder ständig befürchten, er schaffe sein Leben nicht, dann verstärken sie seine Angst nur. Dies kann am Ende dazu führen, dass er im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung tatsächlich scheitert. Ich erlebe es häufig in Gesprächen mit Eltern und Jugendlichen, dass, wenn Jugendliche wenig Selbstvertrauen haben, ihnen die Eltern auch real wenig zutrauen. Manchmal bin ich verblüfft, wie viele Stärken ich beim Jugendlichen entdecke, die von den Eltern überhaupt nicht wahrgenommen werden. Durchbrechen Sie diesen Teufelskreis, indem Sie an Ihr Kind glauben!

Doch Jugendliche brauchen auch Grenzen, denn Grenzen vermitteln Halt und Orientierung. Wenn sich Ihr jüngerer Sohn als kleiner Rebell erweist, dann teilt er Ihnen damit unterschwellig mit, dass er sich an Ihnen reiben will. Er will hören, dass Sie anderer Meinung sind als er, will Sie mit Werten und Ansichten provozieren, die Sie zum Widerspruch reizen, will Regeln brechen und sich mit Ihnen messen, wer der Stärkere ist. Als Eltern sind Sie gefordert, Regeln aufzustellen, die gebrochen werden, Anordnungen zu erteilen, die hintergangen werden, und Ansichten auszusprechen, die als merkwürdig betrachtet werden können. Ihr Sohn will, dass Sie sich mit ihm auseinandersetzen und streiten. So lernt er, dass er eine eigene, von Ihnen unabhängige Identität besitzt.

Mir ist bewusst, wie aufreibend solche Konflikte sein können, und ich verstehe Eltern, die nach einem arbeitsreichen Tag keine Lust mehr verspüren, in den Ring zu steigen. Und doch sollten Sie eine positive Haltung zu Lügen, Widerworten, Verweigerung und Regelbrüchen einnehmen. Sonst bleibt Ihr Sohn bei seiner Suche nach Halt und Orientierung allein.

Fazit: Unterstützen Sie Ihren Sohn, indem Sie ihm Vertrauen entgegenbringen und zugleich Grenzen setzen.

2.Mein Sohn rebelliert kaum

Seit mein Mann vor zehn Jahren verstorben ist, erziehe ich meinen einzigen Sohn Marcel (16) alleine. Marcel war schon immer ein ruhiger, in sich gekehrter Junge. Wir streiten uns kaum, er lernt brav für die Schule und geht mir im Haushalt zur Hand. Wenn ich andere Eltern höre, ist das keine Selbstverständlichkeit, und darüber freue ich mich natürlich. Dennoch mache ich mir Sorgen, ob er nicht rebellischer sein müsste, denn schließlich sollte er sich doch sachte von mir lösen. Überall liest man, dass Konflikte in der Pubertät so wichtig seien.

Hin und wieder erhalte ich Mails von Eltern mit der Frage, ob denn die Pubertät tatsächlich so konflikthaft verlaufen müsse, wie es in Erziehungsratgebern immer behauptet werde. Eine Mutter schrieb mir: «Unser 16-Jähriger bereitet uns überhaupt keine Probleme. Meinen Sie, wir sollten einen Familientherapeuten aufsuchen?»

Ich kann gut verstehen, dass es Eltern verunsichert, wenn der eigene Sohn friedlich vor sich hin pubertiert, während man ständig und überall von Pubertätskonflikten liest. Doch die Pubertät ist ein höchst individueller Prozess, der sich nicht an Regeln hält, wie er zu verlaufen hat. Selbstverständlich ist es völlig in Ordnung, wenn Jugendliche die Pubertät ohne tiefgreifende Probleme oder nennenswerte Streitigkeiten bewältigen. Eine Mutter erzählte mir, dass ihr 16-Jähriger ein durchstrukturiertes, diszipliniertes Leben führt, das sich zwischen Rudern, Schule, Freundin und rechtzeitigem Zubettgehen bewegt. Auch sie fragte sich besorgt, ob sie etwas falsch mache.

Dass in Erziehungsratgebern vor allem die Konflikte fokussiert werden, hat sicherlich etwas damit zu tun, dass wir als Autoren vor allem jene Eltern im Kopf haben, die Rat und Hilfe suchen. Das darf jedoch nicht dazu führen, dass Eltern verunsichert werden, wenn bei ihrem Jugendlichen alles prima klappt. Letztendlich ist die Art und Weise, wie ein Jugendlicher pubertiert, auch abhängig von seinem Temperament und seiner Persönlichkeit. Sie schreiben ja auch, dass Marcel schon immer ein ruhiger Junge war.

Doch konkret zu Ihrer Situation: Hinterfragen Sie das Aggressions- und Konfliktpotenzial Ihres Sohnes. Kann er für seine Bedürfnisse einstehen? Drückt er Ärger aus, kann er sich durchsetzen? Wie verhält er sich bei seinen Freunden und in der Schule – ist er dort genauso angepasst wie zu Hause oder offensiver? Vielleicht treibt er Sport und baut auf diese Weise Frustrationen und überschüssige Energien ab. Ich will auf Folgendes hinaus: Möglicherweise scheut sich Ihr Sohn, gegen Sie zu rebellieren, weil er dann insgeheim fürchtet, Sie zu enttäuschen. Schließlich sind Sie durch den Tod Ihres Mannes schon einmal von einem Mann enttäuscht worden. Ihr Sohn könnte sich dafür verantwortlich fühlen, dass Ihnen ein derartiger Schicksalsschlag nicht noch einmal widerfährt, und Sie vor erneuten Abschiedsschmerzen schützen wollen.

Sie können seinen Ablösungsprozess unterstützen, indem Sie ihm innerlich erlauben, zu gehen. Achten Sie darauf, dass er ein von Ihnen unabhängiges Leben mit einem eigenen Freundeskreis, eigenen Hobbys, eigenen Ansichten führen kann. Leben auch Sie ein unabhängiges Leben, indem Sie einen eigenen Freundes- und Bekanntenkreis pflegen, in dem Ihr Sohn nichts zu suchen hat, und Ihre Freizeit unabhängig von ihm gestalten. Haben Sie ein Auge darauf, dass Sie nicht zu eng «aufeinanderhocken». Seien Sie nicht immer nur die verständnisvolle Mutter, sondern bieten Sie Reibungsflächen. Forcieren Sie Diskussionen, bei denen gegensätzliche Standpunkte ausgefochten werden können; benennen Sie (sinnvolle) Regeln, auf deren Einhaltung Sie Wert legen; stellen Sie sich insgesamt mehr als mütterliche Autorität zur Verfügung, gegen die er sich auflehnen kann. Auf diese Weise kann sich Ihr Sohn gut in Aggression, Rebellion und Ablösung von Ihnen erproben.

Fazit: Nicht alle Heranwachsenden rebellieren. Machen Sie sich keine Sorgen, wenn die Pubertät Ihres Sohnes ruhig verläuft. Aber achten Sie darauf, dass Sie genügend Reibungsflächen bieten.

3.Welchen Sinn haben Pubertätskonflikte?

Seit unser Sohn (16) in die Pubertät gekommen ist, hat sich sein Verhalten so rapide geändert, dass ich ihn kaum wiedererkenne. Er hält sich nicht mehr an Absprachen und tyrannisiert mit seinen Launen die gesamte Familie. Ich hätte niemals gedacht, dass er sich zu solch einem Ekelpaket entwickeln würde. Was für einen Sinn hat das Ganze? Warum ist die Pubertät für alle Beteiligten eine so anstrengende Zeit?

Wenn Sie sich im Freundes- und Bekanntenkreis umhören oder in Internetforen stöbern, werden Sie feststellen, dass es von «Ekelpaketen» nur so wimmelt. Eine Mutter sagte kürzlich während einer Elternberatung: «Er tyrannisiert die ganze Familie wie ein Despot! Als wenn er der Größte wäre und sich alles nur noch um ihn drehen müsste! Gibt es da nicht irgendwo einen Knopf zum Ausschalten?» Nein, leider existiert dieser Knopf nicht. Die Pubertät ist ein vielschichtiger Umbauprozess der Psyche, der Hormone und des Gehirns. Kurzum: Viele Jugendliche sind mit einem Mal tatsächlich nicht wiederzuerkennen!

Der Sinn der Pubertät ist die schrittweise Ablösung des Jugendlichen von seinen Eltern. Dies ist das zentrale Thema, aus dem sich alles, was in der Pubertät geschieht, ableiten lässt. Jugendliche müssen gehen, und Eltern müssen loslassen. Dieses Gehenmüssen ist für Jugendliche mit großen Ängsten verbunden. (Auf die elterlichen Probleme beim Loslassen gehe ich in Frage 7, Seite 31, ein.) Sie müssen sich das so vorstellen: Ausgelöst durch rasante körperliche Veränderungen, wächst im Jugendlichen der Drang nach Autonomie. Nicht mehr lange, und Ihr Sohn wird sich räumlich trennen, sich eigene Ideen, Pläne und Werte aneignen und Liebesbeziehungen aufnehmen, die ihn emotional von seinen Eltern entfernen. Die zentrale Frage, die einen Jugendlichen beschäftigt, lautet: «Kann ich in der Welt da draußen überleben, wenn meine Eltern nicht mehr bei mir sind?», oder: «Bin ich stark, fit, talentiert genug, um das Leben auch ohne meine Eltern zu bewältigen?»

Um von den Eltern unabhängig zu sein, benötigt man ein einigermaßen sicheres Gefühl der Identität. Nur wenn ich weiß, wer ich bin, was ich will und welche Eigenschaften mich von anderen unterscheiden, kann ich es wagen, meine Eltern zu verlassen und meine eigenen Erfahrungen zu machen. Folglich müssen Heranwachsende eine Antwort auf die Frage finden, wer sie sind. Eine Identität zu haben heißt, sich zu kennen, sich selbst definieren zu können, sich der Merkmale und Eigenschaften bewusst zu sein, die einen charakterisieren. Um sich selbst kennenzulernen, müssen Jugendliche eine Vielzahl von Entwicklungsaufgaben bewältigen (Dreher/​Dreher, zitiert aus Göppel, Rolf: Das Jugendalter):

Aufbau eines Freundeskreises: zu Altersgenossen beiderlei Geschlechts neue, tiefere Beziehungen herstellen

Sich das Verhalten aneignen, das man in unserer Gesellschaft von einem Mann bzw. einer Frau erwartet

Von den Eltern unabhängig werden bzw. sich vom Elternhaus lösen

Akzeptieren der eigenen körperlichen Erscheinung: Veränderungen des Körpers und des eigenen Aussehens annehmen

Wissen, was man werden will und was man dafür können (lernen) muss

Aufnahme intimer Beziehungen zum Partner (Freund/​Freundin)

Vorstellungen entwickeln, wie der Ehe- und Lebenspartner und die zukünftige Familie sein sollen

Über sich selbst im Bilde sein: wissen, wer man ist und was man will

Entwicklung einer eigenen Weltanschauung: sich darüber klar werden, welche Werte man hochhält und als Richtschnur für sein eigenes Verhalten akzeptiert

Entwicklung einer Zukunftsperspektive: sein Leben planen und Ziele ansteuern, von denen man glaubt, dass man sie erreichen kann

Die meisten Jugendlichen schwanken zwischen Phasen, in denen sie sich ihrer selbst bewusst sind, und Phasen, in denen sie sich verunsichert fühlen. Mal schlägt das Pendel in Richtung Selbstüberschätzung, mal in Richtung Minderwertigkeitsgefühl und Depression. Diese Spannung ist nicht leicht auszuhalten – weder für Jugendliche noch für die Familie, die den Prozess hautnah miterlebt.

Eltern haben die Aufgabe, Heranwachsende bei ihrer Suche nach sich selbst zu begleiten und zu unterstützen. Ich weiß, das schreibt sich leichter, als es in Wirklichkeit ist, denn in aller Regel bitten Jugendliche ihre Eltern nicht höflich um Unterstützung bei der Bewältigung einer schwierigen Lebensphase. Stattdessen verwickeln sie ihre Eltern in widersprüchliche Wünsche, Erwartungen und Beziehungsangebote. Sie wollen versorgt und bemuttert werden, stellen zugleich aber auch klar, dass genau das zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht mehr angesagt ist. Speziell Jungen gebärden sich häufig wie «echte Kerle», wollen jedoch wenig später wie Kleinkinder umsorgt und gestreichelt werden. Sie fordern Anerkennung als Erwachsene, verhalten sich aber wie Kinder. Im Grunde wissen sie selbst oft nicht, ob sie Kind oder Erwachsener sind. Konflikte entstehen, weil Eltern einen anderen Blick auf die Reife des Jugendlichen haben als der Jugendliche selbst. Während Ihr Sohn glaubt, über die Zeit, die er am Computer verbringt, oder die Zeit, wann er nach Hause zu kommen hat, selbst entscheiden zu können, regt sich in Ihnen Widerstand. Sie gestehen ihm noch nicht die nötige Reife zu, solche Entscheidungen allein zu treffen. Doch ähnlich wie Ihr Heranwachsender sind auch Sie unsicher, was und wie viel Sie ihm an Selbständigkeit zutrauen können. Sie pendeln zwischen Strenge und Loslassen, verbieten und erlauben, anerkennen und strafen. Und manchmal wissen Sie vor lauter Unsicherheit nicht mehr, was Sie tun sollen. Dann geht es Ihnen exakt so wie Ihrem Heranwachsenden.

Die alltäglichen Konflikte und Reibereien, so anstrengend sie oft auch sein mögen, haben einen tieferen Sinn. In Machtkämpfen und Grenzüberschreitungen versuchen Jugendliche auszuhandeln, welches Maß an Selbständigkeit und Reife ihnen die Eltern tatsächlich zugestehen wollen. Dies dient der Orientierung und Selbsteinschätzung. Wenn meine Eltern mir nicht zutrauen, dass ich schon mit Alkohol umgehen kann, dann haben Sie vielleicht recht – oder vielleicht auch nicht. Regeln und Grenzen helfen, einen realistischen Blick auf sich selbst zu bekommen. Und den brauchen Jugendliche bei ihrer Suche nach Identität.

Aber auch die elterliche Sicht wird durch Konflikte stets aufs Neue ins Wanken gebracht, indem Eltern sich ständig fragen, was ihr Heranwachsender alleine schafft und was (noch) nicht. Sollen Sie ihn rauchen lassen, oder ist es noch zu früh? Sollte die Faulheit in Haushaltsdingen sanktioniert werden, oder ist sein Verhalten in Ordnung? Kümmert er sich alleine um die Schule, oder sollten Sie sich einmischen? Darf er sich Pornos ansehen, können Sie ihn alleine mit seinen Freunden in Urlaub fahren lassen, sollten Sie die Ausgehzeiten verlängern… und und und. Pubertätskonflikte, so anstrengend sie auch sein mögen, sind immer auch ein beiderseitiges Ausprobieren, welcher Weg für den Jugendlichen der richtige ist. Eltern, die sich Konflikten stellen, setzen bei sich selbst und bei ihrem Heranwachsenden etwas in Bewegung.

Darüber hinaus verschafft es Jugendlichen Halt, sich zu reiben, denn auf diese Weise können sie sich in dem sicheren Gefühl wiegen, von den Eltern begleitet zu werden. Ein 15-Jähriger berichtete mir in einem Beratungsgespräch, dass seine Eltern ihm seine große Leidenschaft, den Kampfsport, verbieten wollten, falls er das Schuljahr nicht schaffte. Ich wusste bereits von der Maßnahme, weil mich die Mutter telefonisch davon in Kenntnis gesetzt hatte. Außerdem hatte sie voller Verzweiflung erzählt, dass ihr Sohn mit heftigen Wutausbrüchen und einem Dauerflunsch reagiert hatte. Ich fragte den jungen Mann, wie es ihm mit der elterlichen Maßnahme gehe. Er grinste und sagte, dass er das ziemlich cool finde. «Meine Eltern machen das voll richtig», sagte er, «denn jetzt tu ich endlich mal was für die Schule. Kampfsportverbot, oje – das wär ja total krass!» Die Antwort verblüffte mich, und ich wollte wissen, ob er seinen Eltern das auch so gesagt habe. Das Grinsen wurde breiter. «Nein, meine Eltern sollen ruhig denken, dass ich sauer bin, sonst machen die so was öfter.»

Sie werden von Ihrem Heranwachsenden keine Ovationen bekommen, wenn Sie Strukturen fordern, Regeln aufstellen oder Grenzen setzen. Aber sofern Sie innerlich bereit sind, Ihre eigene Sicht immer wieder zu hinterfragen und zu überprüfen, können Sie nichts falsch machen. Ein zu straff gezogener Zügel kann jederzeit wieder gelockert werden. Jugendliche brauchen Sie als starkes Gegenüber. Nur so können sie den großen Schritt vor die Tür wagen.

Auch wenn es ein Allgemeinplatz ist: Die Zeit der Krisen und Konflikte geht vorbei. Ich höre immer wieder von Eltern, deren Söhne aus dem Gröbsten heraus sind, dass sie überhaupt nicht mehr verstehen können, warum es in der Pubertät so häufig gekracht hat. «Er war ein anderer Mensch», sagte eine Mutter, «und wenn ich damals schon gewusst hätte, wie toll er sich entwickeln würde, wäre ich viel ‹gechillter› geblieben, um in der Sprache meines Sohnes zu bleiben.»

Fazit: Konflikte sind notwendig, um die Ablösung von den Eltern zu forcieren. Unterstützen Sie Ihren Sohn, indem Sie sich als starkes Gegenüber zur Verfügung stellen.

ICH BIN DANN MAL WEG! 

Die Ablösung des Kindes von seinen Eltern ist ein lebenslanger schrittweiser Prozess, der mit der Geburt beginnt, wenn das Neugeborene den Körper der Mutter verlässt. Von nun an heißt es: Abschied nehmen. In jeder Entwicklungsphase rücken wir ein Stück weiter von unseren Eltern weg – und brauchen dazu Konflikte.

Säuglingsalter: Der Säugling, der sich zunächst noch in der Symbiose mit der Mutter erlebt, muss nach einigen Monaten erkennen, dass er ein von der Mutter losgelöstes, eigenständiges Wesen ist. Zentraler Konflikt: Er fühlt sich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach eigener Identität und Einheit mit der Mutter.

Kleinkindalter: Mit Beginn des Krabbel- und Laufalters will das Kind die allernächste Umgebung erforschen. Es versucht, sich räumlich ein Stück von den Eltern zu entfernen. Zugleich wächst der Wunsch nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Zentraler Konflikt: Das Kind will seinen Willen durchsetzen (Trotzphase) und austesten, wie viel Autonomie ihm die Eltern zugestehen. Es schmerzt, sich unterordnen zu müssen, obwohl man so stark sein will.

Spielalter: Etwa im Alter zwischen drei und fünf verspürt das Kind den Drang, sich die Welt um sich herum anzueignen. Es will im Mittelpunkt stehen, will einen Elternteil für sich alleine haben und rivalisiert mit dem anderen und den Geschwistern. Zentraler Konflikt: Das Kind erfährt, dass seine Initiative Grenzen hat. Es kann weder einen Elternteil noch die Welt um sich herum besitzen.

Schulalter: Mit Beginn der Schulzeit macht das Kind einen großen Schritt nach draußen. Seine Aufmerksamkeit verlagert sich jetzt von der Familie auf die Schule. Zentraler Konflikt: Das Kind muss Leistung erbringen und aushalten, dass es bewertet wird. Gleichzeitig muss es lernen, sich im Klassenverband zu behaupten.

Pubertät: Nun wird es ernst, und der Heranwachsende macht sich auf den Weg, um im eigenen Leben anzukommen. In keiner der vorherigen Entwicklungsphasen war Ablösung so deutlich spürbar. Jugendliche suchen Nähe zu ihren Eltern, ringen aber zugleich auch um mehr Distanz. Eltern schwanken zwischen Loslassen und Halt-geben-Müssen. Zentraler Konflikt des Jugendlichen ist die Identitätssuche, die ein Gefühl der Stärke, aber auch der Angst auslösen kann.

Frühes Erwachsenenalter: Die meisten jungen Erwachsenen haben sich nun räumlich von ihren Eltern getrennt. Doch noch immer werden Streite um Autonomie, Macht und Anerkennung ausgefochten, wenn auch nicht mehr so heftig wie in der Pubertät. Auch haben Eltern nicht mehr den Einfluss wie in früheren Entwicklungsphasen. Junge Erwachsene sind damit beschäftigt, einen passenden Beruf und den Partner oder die Partnerin fürs Leben zu finden.

Erwachsenenalter: Auch wenn wir als Erwachsene unsere eigenen Wege gehen, sind wir innerlich noch mit den Eltern verbunden. Als Eltern, Partner, Freund oder Arbeitskollege wiederholen wir unbewusst Werte und Muster, die wir von unseren Eltern übernommen haben und von denen wir uns lösen müssen, sofern sie uns nicht guttun.

4.Mein Sohn beginnt plötzlich zu pubertieren – mit 18!

Unser Sohn hat uns während seiner Pubertät kaum Probleme gemacht, worum uns andere Eltern immer beneidet haben. Doch jetzt weigert er sich plötzlich, uns einen Obolus zur Miete zu zahlen, obwohl er im dritten Ausbildungsjahr genug verdient. Er wird zunehmend aggressiv, beschimpft meinen Mann und mich wegen jeder Kleinigkeit und behandelt mich wie eine Dienstbotin («Wieso ist meine Hose nicht gewaschen?!», «Wieso ist das Essen nicht fertig?!»). Ist es normal, dass ein 18-Jähriger noch zu pubertieren beginnt?

Der Begriff «Pubertät» kommt aus dem Lateinischen (pubertas, Geschlechtsreife) und bezieht sich streng genommen auf die körperliche Entwicklung, die bei Jungen mit etwa 16 bis 17Jahren endet, nachdem sich Stimme, Körperbehaarung und die Geschlechtsteile ausgebildet haben. Doch mit der körperlichen Reifung haben sich Jugendliche noch lange nicht von den Eltern gelöst. In der Nachpubertät oder Adoleszenz geht es darum, die Beziehung zu den Eltern neu zu gestalten, nachdem der Heranwachsende ein gewisses Maß an Autonomie und Reife erworben hat. Dies kann bis zu einem Alter von weit über 20 andauern.

Dass ein 18-Jähriger noch zu «pubertieren» beginnt, ist also nichts Ungewöhnliches. Ich höre oft von Müttern und Vätern, dass der Jugendliche bis ins junge Erwachsenenalter hinein «ganz vernünftig» war, bis dann mit einem Mal die Pubertät aus ihm herausbrach.

Bei Ihrem Sohn hat das Rebellieren in etwa mit Beginn der Volljährigkeit eingesetzt. Jugendliche machen häufig einen Reifungsschritt, wenn sie die Schule abschließen, eine Ausbildung beginnen, sich das erste Mal verlieben – oder eben volljährig werden. Solche Reifungsschritte können immer auch Abgrenzungswünsche und Aggressionen gegen die Eltern wachrufen, im Sinne von: «Ich bin jetzt erwachsen, und ihr habt mir gar nichts mehr zu sagen!» Auch und vor allem die körperliche Reifung vermittelt Jugendlichen oft das Gefühl, erwachsen zu sein, obwohl die seelische Reifung für Außenstehende spürbar hinterherhinkt.

Da Ihr Sohn 18Jahre geworden ist, sollten Sie seine erwachsene, autonome Seite ernst nehmen und stärken. Setzen Sie sich mit ihm zusammen und sagen Sie ihm, dass Sie nicht länger bereit sind, sich wie eine Dienstbotin behandeln zu lassen und die Kosten für seinen Lebensunterhalt alleine zu tragen. Da er sich im dritten Ausbildungsjahr befindet, ist es nicht zu viel verlangt, einen Mietzuschuss von ihm zu fordern. Falls er sich weigert, könnten Sie ihm auch nahelegen, eine eigene Wohnung zu nehmen. So hat er die Wahl, auszuziehen und ein eigenes Leben zu beginnen oder aber die Verantwortung im Zusammenleben mit Ihnen als Eltern zu übernehmen. Beides würde ihn in seiner Autonomieentwicklung ein Stück weiterbringen.

Fazit: Es ist völlig normal, dass ein 18-Jähriger noch zu pubertieren beginnt. Sie können seinen Ablösungsprozess forcieren, indem Sie mehr Verantwortung von ihm fordern.

5.Welche Rolle spielen hirnorganische Vorgänge?

Ich habe neulich gelesen, dass ein «Umbau im Gehirn» für Stimmungen und Krisen in der Pubertät verantwortlich sein soll. Macht man es sich damit nicht zu einfach?

Sie sprechen mit Ihrer Frage ein hochaktuelles Thema an. Die Erkenntnis, dass hirnorganische Vorgänge einen Einfluss auf die Gefühle und das Verhalten Jugendlicher haben, ist relativ neu. Noch bis vor kurzem war man der Ansicht, lediglich Hormone und die sich wandelnde Psyche verursachten pubertäre Gefühls- und Verhaltensauffälligkeiten. Das Gehirn, so glaubte man, sei im Alter von 12Jahren vollständig ausgereift und alle entscheidenden neuronalen Vorgänge spielten sich bis zum Alter von 3Jahren ab. Doch dank der Kernspintomographie, eines bildgebenden Verfahrens zur Darstellung von Strukturen innerer Organe, gelang es dem US-amerikanischen Kinderpsychiater Dr.Jay Giedd Mitte der neunziger Jahre, ins Innere von Gehirnen zu sehen. Eher zufällig entdeckte Giedd, dass das jugendliche Gehirn in seiner grundlegenden Struktur tiefgreifende Veränderungen erfährt, die Auswirkungen auf das Denken, Fühlen und Handeln haben. Interessant an der Hirnforschung zur Pubertät ist vor allem, dass Neurologen glauben, eine Erklärung für eine Vielzahl alltäglicher Konflikte zwischen Eltern und Pubertierenden gefunden zu haben. Zum Beispiel: Ein Vater beklagte sich in einem Elterngespräch bei mir, sein 15-Jähriger würde ihm ständig unterstellen, einen verärgerten, gereizten und arroganten Gesichtsausdruck zu haben. «Er geht hoch wie eine Rakete und meint, ich wäre sauer oder herablassend. Aber er interpretiert meine Mimik völlig falsch!» Solche Fehleinschätzungen könnten auf den noch nicht vollständig entwickelten präfrontalen Kortex zurückzuführen sein. Diese Hirnregion ist dafür verantwortlich, die vielschichtigen Emotionen im Gesicht des Gegenübers richtig einzuschätzen. Auch die Unfähigkeit, vorauszuplanen oder Entscheidungen zu treffen, werden mit Veränderungen des Präfrontalhirns in Verbindung gebracht. Demnach können Jugendliche nur schlecht absehen, welche Konsequenzen ihr Handeln hat. Es erreicht sie in der Regel nicht, wenn Eltern drohen, dass schlechte Zensuren Auswirkungen auf die berufliche Zukunft haben können. Jugendliche stellen einen Zusammenhang zwar irgendwie her, aber richtig begreifen und emotional erfassen können sie ihn nicht. Auch beim Besprühen von Hauswänden, beim Ladendiebstahl oder beim siebenfachen Salto mit dem Skateboard werden Konsequenzen nicht mit einkalkuliert. Selbst eine so einfache Planung wie «erst chatte ich ein bisschen, dann mache ich meine Hausaufgaben, dann bringe ich den Müll runter und dann treffe ich meine Freunde», fällt Jugendlichen schwer. Es bleibt beim Chatten – und der Rest wird schlichtweg vergessen; ohne böse Absicht.

Die Liste all jener Verhaltensweisen, die sich neurologisch erklären lassen, ist lang. Sie reicht vom Trödeln über spätes Zubettgehen, chronische Müdigkeit, extreme Stimmungsschwankungen bis hin zu einer egozentrischen Weltsicht. Für Eltern kann dieser neurologische Blickwinkel entlastend sein. Eine Mutter sagte mir kürzlich: «Ich mache mir jetzt nicht mehr so viele Gedanken. Seit ich weiß, dass seine Gehirnzellen durchgeknallt sind, muss ich mir nicht andauernd die Frage stellen, was ich alles falsch mache.» Das legt den Gedanken nahe, ob man es sich mit solchen Erklärungen nicht tatsächlich zu einfach macht. Anders gefragt: Können sich Eltern entspannt zurücklehnen und die pubertäre Entwicklung ihres Jugendlichen dem Gehirn überlassen?

Die Antwort lautet: Nein! Und zwar aus zwei Gründen: Erstens haben Lebenserfahrungen und Alltagssituationen Rückwirkungen auf die Umstrukturierung des Gehirns. Das Gehirn siebt aus, welche Nervenverbindungen es benötigt und welche nicht. Es ist also nicht unerheblich, ob ein Jugendlicher Sport treibt, sich bildet, seine Talente entdeckt oder ob er vor dem Fernseher oder dem Computer vor sich hin döst. Das Gehirn ist formbar, im Guten wie im Schlechten. Seine Entwicklung ist vor allem auch abhängig von der Psyche und den Herausforderungen, die ein Heranwachsender in Gesellschaft und Familie zu bewältigen hat.

Zweitens liefert die Hirnforschung zwar wertvolle Erkenntnisse zu den Veränderungen in der Pubertät, aber sie drängt andere Erklärungsmodelle damit nicht in den Hintergrund. Eltern sind der Pubertät nicht hilflos ausgeliefert. Wir haben es bei der Pubertät mit einem hochkomplexen Geschehen zu tun, das auf neuronale und hormonelle Veränderungen, die Psyche des Jugendlichen inklusive seiner Biographie und – ganz wichtig – die Beziehung zu seinen Eltern zurückzuführen ist. Es kann gar nicht oft genug betont werden: An Ihnen als Eltern arbeitet sich Ihr Sohn ab, indem er rebelliert, idiotische Dinge tut, Wesentliches vergisst, Distanz schafft und zugleich Ihre Nähe sucht. Im Kontakt zu Ihnen lernt er, sich zu streiten und anschließend wieder zu versöhnen. Vor allem mit Ihrer geduldigen Begleitung und Unterstützung kann er irgendwann den Schritt ins Erwachsenenleben wagen.

Fazit: Die Hirnforschung liefert wertvolle Erkenntnisse zum Verständnis der Pubertät. Dennoch spielt die Eltern-Kind-Beziehung für die psychische Entwicklung Ihres Sohnes die bedeutendste Rolle.

6.Unser Sohn hat ADHS, was heißt das für die Pubertät?

Bei unserem Sohn (11) wurde vor einigen Jahren ADHS diagnostiziert. Bisher kommt er erfreulicherweise ohne Medikamente zurecht. Nun meinte unser Hausarzt kürzlich, dass die pubertätstypischen Probleme bei ADHS-Kindern deutlicher als bei anderen Gleichaltrigen zutage treten würden. Das versetzt uns etwas in Sorge. Womit müssen wir denn rechnen? Und wie können wir unseren Sohn bestmöglich unterstützen, damit er gut durch die Pubertät kommt?