Juniper Hill - Devney Perry - E-Book + Hörbuch

Juniper Hill E-Book und Hörbuch

Devney Perry

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Beschreibung

Es ist der fünftschlimmste Tag ihres Lebens, als Memphis in Montana ankommt. Mit ihrem kleinen Sohn auf dem Rücksitz einmal quer durchs Land zu ziehen ist mit Abstand das Verrückteste, was sie je gemacht hat. Aber vielleicht muss sie jetzt verrückt sein, um noch mal neu anzufangen? Auch wenn das bedeutet, dass sie ihr privilegiertes Leben zurücklässt und von nun an als Hausmädchen im Eloise Inn arbeitet. Am fünftschlimmsten Tag ihres Lebens trifft Memphis aber auch auf Knox Eden – einen der attraktivsten Männer, den sie je gesehen hat. Knox ist ein gefeierter Gourmet-Koch … und ihr Vermieter. Mit seinem Dreitagebart, den tätowierten Oberarmen und seiner direkten Art ist er alles, was sie will, aber nicht haben kann. Denn am allerschlimmsten Tag ihres Lebens muss Memphis lernen, alle Träume aufzugeben. Und dazu gehört auch der Traum von einem Leben mit Knox.

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Seitenzahl: 418

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Zeit:9 Std. 26 min

Veröffentlichungsjahr: 2025

Sprecher:Viola MüllerJesse Grimm

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Über dieses Buch:

 

Es ist der fünftschlimmste Tag ihres Lebens, als Memphis in Montana ankommt. Mit ihrem kleinen Sohn auf dem Rücksitz einmal quer durchs Land zu ziehen ist mit Abstand das Verrückteste, was sie je gemacht hat. Aber vielleicht muss sie jetzt verrückt sein, um noch mal neu anzufangen? Auch wenn das bedeutet, dass sie ihr privilegiertes Leben zurücklässt und von nun an als Hausmädchen im Eloise Inn arbeitet.

Am fünftschlimmsten Tag ihres Lebens trifft Memphis aber auch auf Knox Eden – einen der attraktivsten Männer, den sie je gesehen hat. Knox ist ein gefeierter Gourmet-Koch … und ihr Vermieter. Mit seinem Dreitagebart, den tätowierten Oberarmen und seiner direkten Art ist er alles, was sie will, aber nicht haben kann.

Denn am allerschlimmsten Tag ihres Lebens muss Memphis lernen, alle Träume aufzugeben. Und dazu gehört auch der Traum von einem Leben mit Knox.

eBook-Ausgabe Oktober 2025

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2022 bei Devney Perry LLC.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2022 by Devney Perry

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2025 by SAGA Egmont

Copyright © der eBook-Ausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur

Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (fe)

 

ISBN 978-3-69076-134-5

 

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people . Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

 

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected] . Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

 

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Devney Perry

Juniper Hill

Roman

Aus dem Amerikanischen von Ivonne Senn

 

1. KAPITEL

 

Memphis

 

»Juniper Hill. Juniper Hill.« Ich zupfte den Post-it vom Getränkehalter, um zu checken, dass ich den richtigen Straßennamen hatte. Juniper Hill. »Es gibt hier kein Juniper Hill!«

Bei jedem Wort schlug ich mit den flachen Händen auf das Lenkrad. Der Frust sickerte mir aus allen Poren, als ich erneut nach einem Straßenschild Ausschau hielt.

Drake schrie in seinem Autositz – es war dieses rotgesichtige Weinen, das einem das Herz zerriss. Wie konnte eine so kleine Person ein so lautes Geräusch von sich geben?

»Es tut mir leid, Baby. Wir sind fast da.«

Wir mussten schon ganz in der Nähe sein, oder? Diese elendige Reise musste doch endlich ein Ende finden.

Drake weinte und weinte und gab einen Scheiß auf meine Entschuldigung. Er war erst acht Wochen alt, und so hart dieser Trip für mich auch gewesen war, für ihn musste er einer Folter gleichgekommen sein.

»Ich vermassle das hier ganz schön, oder?«

Vielleicht hätte ich mit der Reise warten sollen, bis er älter war. Oder vielleicht hätte ich in New York bleiben und mich meinen Problemen stellen sollen. Vielleicht hätte ich hundert andere Entscheidungen treffen sollen. Tausend.

Nach der tagelangen Tour im Auto hatte ich angefangen, alles infrage zu stellen. Vor allem diese Entscheidung hier.

Der Stadt zu entfliehen hatte wie die beste Option gewirkt. Doch jetzt …

Drakes Weinen sagte etwas anderes.

Es kam mir vor, als wären zehn Jahre vergangen, seit ich mein Leben – unser Leben – eingepackt und ins Auto geladen hatte. Einst war ich ein Mädchen gewesen, das in einer Villa lebte. Ein Mädchen, dem ein Privatjet zur Verfügung stand. Die Erkenntnis, dass die einzigen Dinge, die wirklich mir gehörten, in einen Volvo passten, machte mich … demütig.

Aber ich hatte meine Entscheidung getroffen. Und jetzt war es zu spät, um umzukehren.

Nach Tausenden von Meilen waren wir endlich in Quincy angekommen. Dem Ort unseres Neuanfangs. Also, das würde er zumindest sein, wenn ich endlich Juniper Hill fand.

In meinen Ohren klingelte es. Mein Herz schmerzte. »Psst, Baby. Wir sind beinahe da.«

Doch Drake verstand mich nicht, und es war ihm auch egal. Er hatte Hunger und eine volle Windel. Ich hatte vorgehabt, ihn zu wickeln und zu füttern, sobald wir in unserer neuen Wohnung waren. Aber inzwischen fuhr ich schon zum dritten Mal dieses Stück der Straße entlang.

Wir hatten uns verirrt. Verirrt in Montana.

Wir waren den ganzen Weg hierhergekommen, nur um uns zu verfahren. Vielleicht waren wir schon seit dem Morgen, an dem wir die Stadt hinter uns gelassen hatten, auf dem falschen Weg. Vielleicht war ich schon seit Jahren auf dem falschen Weg.

Ich nahm mein Handy und schaute auf das Navi. Meine neue Chefin hatte mich gewarnt, dass die Straße noch nicht auf einer Landkarte verzeichnet war, deshalb hatte sie mir eine Wegbeschreibung gegeben. Vielleicht hatte ich sie mir falsch notiert.

Drakes kleine Stimme brach. Für den Bruchteil einer Sekunde hörte das Weinen auf, damit er seine Lungen erneut füllen konnte, und dann schrie er weiter. Über den Rückspiegel und den über seinem Sitz angebrachten Spiegel konnte ich sehen, dass sein kleines Gesicht ganz zerknautscht und seine Hände zu winzigen Fäustchen geballt waren.

»Es tut mir so leid«, flüsterte ich, während mir Tränen den Blick verschleierten. Ich konnte sie gar nicht so schnell wegwischen, wie sie mir über die Wangen rollten.

Gib nicht auf.

Mir entfuhr ein Schluchzer, der sich mit dem meines Sohnes vermischte, bevor ich den Wagen langsam auf den Standstreifen lenkte.

Mein Gott, wie sehr ich aufgeben wollte. Wie lange konnte sich ein Mensch an seinem Ende des Seils festklammern, bevor es ihm aus den Fingern glitt? Wie lange konnte eine Frau sich zusammenreißen, bevor sie zusammenbrach? Offensichtlich lautete die Antwort: von New York bis nach Montana. Wir waren vermutlich nur eine Meile von unserem Ziel entfernt, und die Mauern, die ich um mich herum aufgebaut hatte, bröckelten.

Ein mit Schluckauf gemischter Schluchzer, der von weiteren Tränen begleitet wurde, schüttelte mich, dann stand der Wagen, und ich legte die Arme um das Lenkrad und wünschte mir, es könnte die Umarmung erwidern.

Gib nicht auf.

Wenn ich allein wäre, hätte ich schon vor Monaten aufgegeben. Aber Drake zählte darauf, dass ich durchhielt. Er würde das hier überleben, oder? Er würde niemals wissen, dass wir ein paar quälende Tage im Auto verbracht hatten. Er würde nie wissen, dass ich in den ersten zwei Monaten seines Lebens beinahe jeden Tag geweint hatte. Er würde nie erfahren, dass der heutige Tag kein fröhlicher Neuanfang, sondern der fünftschlimmste Tag im Leben seiner Mutter gewesen war.

Gib nicht auf.

Ich kniff die Augen zusammen und überließ mich eine Minute lang meinen Schluchzern. Blind tastete ich an der Tür entlang, bis ich den Knopf fand, um das Fenster herunterzulassen. Vielleicht würde ein wenig frische Luft den Geruch von zu vielen Tagen im Auto vertreiben.

»Es tut mir so leid, Drake«, murmelte ich, während er weiter weinte. Während wir beide weinten. »Es tut mir so leid.«

Eine bessere Mutter würde ihn vermutlich aus dem Auto nehmen. Eine bessere Mutter würde ihn füttern und wickeln. Aber dann würde ich ihn erneut in seinen Autositz schnallen müssen, und er würde wieder weinen, wie heute auf der ersten Stunde unserer Fahrt.

Vielleicht wäre er mit einer anderen Mutter besser dran. Einer Mutter, die ihn nicht quer durchs Land karrte.

Er hatte eine bessere Mutter verdient. Und einen besseren Vater.

Das hatten wir gemeinsam.

»Miss?«

Ich keuchte auf und wäre beinahe aus dem Sitz gesprungen, als die Frauenstimme durch meinen inneren Lärm drang.

»Sorry.« Die Polizistin, eine hübsche Frau mit dunklem Haar, hob abwehrend die Hände.

»Oh mein Gott.« Ich schlug mir eine Hand aufs Herz und schob mir mit der anderen eine Strähne aus dem Gesicht. Im Rückspiegel sah ich das vertraute blau-rote Licht eines Streifenwagens. Mist. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen konnte, war ein Strafzettel.

»Es tut mir leid, Officer. Ich kann weiterfahren.«

»Ist schon gut.« Sie beugte sich vor und schaute ins Wageninnere. »Ist alles in Ordnung?«

Hektisch wischte ich mir übers Gesicht. Hör auf zu heulen. Hör auf zu heulen. »Ach, nur ein schlechter Tag. Ehrlich gesagt, ein wirklich schlechter Tag. Vielleicht der fünftschlimmste Tag meines Lebens. Der sechste. Nein, der fünfte. Wir sind seit Tagen im Auto unterwegs, und mein Sohn hört einfach nicht auf zu schreien. Er hat Hunger. Ich habe Hunger. Wir brauchen ein Nickerchen und eine Dusche, aber ich habe mich verfahren. Seit dreißig Minuten fahre ich hier herum und versuche, das Haus zu finden, in dem wir unterkommen sollen.«

Jetzt brabbelte ich vor mich hin. Gegenüber einer Polizistin. Na super.

Das hatte ich als Kind immer getan, wenn meine Nanny mich bei etwas erwischt hatte, das ich nicht hatte tun sollen. Ich bekam nicht gern Probleme, und meine Lösung war stets, zu versuchen, mich rauszureden.

Dad hatte es immer »Ausreden suchen« genannt. Aber egal, wie oft er mich gescholten hat, das Plappern war zur Gewohnheit geworden. Eine Gewohnheit, die ich demnächst loswerden würde; an einem Tag, der nicht zur Top Ten der schlimmsten Tage gehörte.

»Wo wollen Sie denn hin?«, fragte die Polizistin und schaute zu Drake, der immer noch schrie.

Ihm war es egal, dass wir von der Polizei angehalten worden waren. Er war zu sehr damit beschäftigt, der Welt zu verkünden, was für eine schreckliche Mutter ich war.

Ich suchte nach dem Post-it, den ich fallen gelassen hatte, und zeigte ihn ihr durch das offene Fenster. »Juniper Hill.«

»Juniper Hill?« Sie runzelte die Stirn und blinzelte, während sie den Zettel las.

Mein Magen zog sich zusammen. War das schlecht? Befand die Straße sich in einem gefährlichen Viertel oder so?

Als ich nach einer Mietwohnung in Quincy gesucht hatte, war die Auswahl nicht sehr groß gewesen. Die einzigen Optionen waren Häuser mit drei oder vier Schlafzimmern. Aber ich brauchte nicht so viel Platz. Und zudem lagen sie nicht annähernd in der Nähe meines Budgets. Nachdem ich jetzt zum ersten Mal in meinem Leben ein Budget hatte, wollte ich mich nämlich auch daran halten.

Also hatte ich Eloise Eden angerufen, die Frau, die mir einen Job in ihrem Hotel gegeben hatte, und ihr gesagt, dass ich leider doch nicht nach Quincy kommen könne.

Als sie versprach, eine Wohnung für mich zu finden, hatte ich geglaubt, ein Schutzengel würde über mich wachen. Nur möglicherweise handelte es sich bei diesem Einzimmerapartment in Juniper Hill um irgendeine Hütte in den Bergen, und meine Nachbarn wären Meth-Dealer und Kriminelle.

Egal. Heute würde ich Crackheads und Mörder in Kauf nehmen, wenn ich dafür einmal vierundzwanzig Stunden nicht in diesem Auto verbringen könnte.

»Ja. Wissen Sie, wo das ist?« Ich machte eine Geste in Richtung Windschutzscheibe. »Die Wegbeschreibung hat mich hierhergeführt, aber es gibt hier keine Straße namens Juniper Hill. Oder überhaupt irgendeinen Straßennamen.«

»Die meisten Landstraßen in Montana haben keinen Namen. Aber ich kann Ihnen zeigen, wo Sie hinmüssen.«

»Wirklich?« Meine Stimme klang klein, als eine neue Welle der Tränen den Damm brechen ließ.

Es war eine Weile her, dass jemand mir geholfen hatte. Daher bedeutete es jetzt umso mehr. Im vergangenen Monat war der einzige Mensch, der mir Hilfe angeboten hatte, eine Frau aus Quincy gewesen: Eloise. Und nun diese hübsche Fremde.

»Natürlich.« Sie streckte mir ihre Hand hin. »Ich bin Winslow.«

»Memphis.« Schniefend schüttelte ich die Hand und blinzelte zu schnell in meinem Versuch, die Tränen zurückzuhalten. Aber es hatte keinen Zweck. Ich war genau das Wrack, das ich zu sein schien.

»Willkommen in Quincy, Memphis.«

Ich atmete tief durch, und verdammt, die dummen Tränen fielen immer weiter. »Danke.«

Sie schenkte mir ein leicht trauriges Lächeln und eilte zu ihrem Wagen zurück.

»Alles wird gut, Baby.« In meiner Stimme lag ein Anflug von Hoffnung, während ich mir das Gesicht abwischte.

Drake schrie weiter, als ich losfuhr und Winslow zu einer kleinen Gruppe Bäume folgte, durch die eine schmale Schotterstraße führte.

An dieser Straße war ich schon vorbeigekommen. Dreimal, um genau zu sein. Nur war es keine echte Straße. Die Bremslichter vor mir leuchteten auf, als Winslow abbremste und dann auf genau diese Straße einbog. In einer dicken Staubwolke entfernten wir uns immer weiter und weiter von der Hauptstraße.

Meine Reifen fanden jeden Hubbel und jedes Schlagloch, aber das Gehüpfe schien zu helfen, denn Drakes Geschrei wurde zu einem Wimmern. Ich folgte einer Kurve in Richtung eines Hügels, der sich hinter den Baumwipfeln erhob. Er war von immergrünen Büschen bewachsen.

»Juniper Hill.«

Wow. Ich war eine Idiotin. Hätte ich angehalten und mich umgeschaut, wäre ich vermutlich selbst darauf gekommen.

Morgen. Morgen würde ich Montana mehr Beachtung schenken. Aber nicht heute.

Die Straße folgte den Bäumen noch für ungefähr eine Meile, dann bogen wir um eine letzte Kurve, hinter der auf einer Wiese aus goldenem Gras ein umwerfendes Haus stand.

Keine Berghütte. Keine fragwürdigen Nachbarn. Wem auch immer dieses Grundstück gehörte, es wirkte, als hätte er es direkt aus einem Architektur-Magazin gepflückt.

Es war ein einstöckiges, lang gezogenes Gebäude mit dem Hügel als Hintergrund. Die schwarze Verkleidung wurde von riesigen Glasscheiben durchbrochen. Wo ein normales Haus Mauern hatte, hatte dieses Fenster. Durch sie konnte ich die offene Küche und das Wohnzimmer sehen. Und ganz am anderen Ende ein Schlafzimmer mit einem weiß bezogenen Bett.

Der Anblick der Kissen ließ mich gähnen.

Ein Stück neben dem Haus stand eine Garage für drei Fahrzeuge, an deren Seite eine Treppe zu einer Tür im ersten Stock führte. Eloise hatte gesagt, dass sie ein Loft für mich gefunden hätte.

Das musste es sein. Unser vorübergehendes Zuhause.

Winslow parkte auf der runden Kieseinfahrt. Ich hielt hinter ihr an und stieg schnell aus, um meinen Sohn zu retten. Ich hob ihn in meine Arme und drückte ihn einen Moment fest an mich. »Wir haben es endlich geschafft.«

»Er war einfach nur den Kindersitz leid«, sagte Winslow, die mit einem gütigen Lächeln auf mich zukam. »Ich habe einen zwei Monate alten Sohn. Manchmal liebt er es, mit dem Auto zu fahren, aber meistens hasst er es.«

»Drake ist auch zwei Monate alt. Und er war wirklich tapfer«, erwiderte ich. Jetzt, wo er endlich aufgehört hatte zu weinen, konnte ich wieder durchatmen. »Es war eine lange Fahrt.«

»Von New York?«, fragte sie mit einem Blick auf mein Nummernschild.

»Jupp.«

»Das ist wirklich eine lange Fahrt.«

Ich hoffte, dass sie es wert gewesen war. Denn auf keinen Fall würde ich zurückkehren. Von jetzt an ging es nur noch vorwärts. Die Stadt war nicht mehr als eine Erinnerung.

»Ich bin die Polizeichefin hier«, sagte sie. »Du kennst Eloise Eden, oder?«

»Äh … ja?« Hatte ich ihr das erzählt?

»Ah, keine Angst. Memphis ist ein ziemlich einzigartiger Name, und Eloise ist meine Schwägerin.«

»Oh.« Verdammt. Das hier war die Schwägerin meiner neuen Chefin, und ich hatte gerade einen fürchterlichen ersten Eindruck hinterlassen. »Ha … was für ein Zufall, hm?«

»In Quincy kein sehr großer«, erwiderte sie. »Du wirst im Inn arbeiten?«

Ich nickte. »Ja, als Haushälterin.«

Bevor Winslow noch etwas sagen konnte, ging die Haustür auf, und eine hübsche Brünette kam lächelnd und winkend heraus.

Eloise. Ihre funkelnden Augen waren genauso blau wie der wolkenlose Septemberhimmel.

»Memphis!« Sie eilte auf mich zu. »Du hast es geschafft.«

»Das habe ich«, sagte ich und verlagerte Drakes Gewicht, um meine Hand auszustrecken.

Mein Make-up, das ich vor zwei Tagen in unserem Hotel in Minnesota aufgetragen hatte, war von der Müdigkeit und den Tränen weggewischt worden. Meine blonden Haare hatte ich zu einem unordentlichen Zopf zusammengenommen, und mein weißes T-Shirt hatte am Saum einen orangefarbenen Fleck, weil mir am Morgen ein Energiedrink explodiert war. Ich hatte keinerlei Ähnlichkeit mit der Memphis Ward, die vor Wochen ein virtuelles Interview mit Eloise geführt hatte. Aber das hier war ich. Die Realität ließ sich nicht verstecken.

Ich war das reinste Wrack.

Eloise ignorierte meine dargebotene Hand und zog mich für eine Umarmung an sich.

Ich spannte mich an. »Sorry, ich rieche nicht sonderlich gut.«

»Ach was.« Sie lachte. »Du hast Winn also schon kennengelernt?«

Ich nickte. »Sie war so lieb, mir zu helfen, als ich mich verfahren hatte.«

»Oh nein.« Eloise’ Lächeln schwand. »War meine Wegbeschreibung so schlecht?«

»Nein«, winkte ich ab. »Ich hatte nur nicht damit gerechnet, auf eine Schotterstraße abbiegen zu müssen.«

Bis zu dieser Reise war ich überhaupt noch nicht viel gefahren. Ja, ich hatte in New York ein Auto gehabt, aber auch einen Fahrer. Zum Glück hatte ich jedoch bei den Ausflügen in die Hamptons genügend Zeit hinter dem Lenkrad verbracht, um mich von der langen Fahrt nicht einschüchtern zu lassen.

»Können wir dir beim Auspacken helfen?«, fragte Winslow und zeigte zum Loft.

»Oh, ist schon gut. Das schaffe ich allein.«

»Unsinn. Wir helfen dir.« Eloise öffnete den Kofferraum.

Die Taschen und Koffer, die ich hineingestopft hatte, fielen beinahe von allein heraus. Ja, alle meine Habseligkeiten passten in meinen Volvo. Aber das bedeutete nicht, dass es kein Kraftakt gewesen war, sie alle darin unterzubringen.

Eloise hängte sich einen Rucksack über die Schulter und holte dann einen Koffer heraus.

»Wirklich, ich schaffe das schon«, sagte ich und spürte, wie ich rot anlief, als ich sah, wie meine neue Chefin sich mit meinen Sachen abschleppte. Die Tasche, die sie trug, enthielt meine Unterwäsche und Tampons.

Aber Eloise ignorierte mich und marschierte zu der Stahltreppe an der Garage.

»Glaub mir.« Winslow trat an den Kofferraum. »Je eher du Eloise einfach machen lässt, desto leichter wird dein Leben sein. Sie ist sehr energisch.«

Ja, das hatte ich gemerkt, als sie sich geweigert hatte, meine Job-Absage zu akzeptieren. Sie hatte mir befohlen, nach Montana zu kommen, und versprochen, bei meiner Ankunft eine Unterkunft für mich zu haben.

»Das wird mir langsam auch klar«, erwiderte ich und kicherte. Es war das erste Mal seit … sehr langer Zeit, dass ich lachte.

Ich umarmte Drake fester und sog seinen Babygeruch ein. Hier, mit beiden Füßen fest auf der Erde, erlaubte ich mir zum ersten Mal, richtig tief zu atmen. Erst einen Herzschlag lang. Dann zwei. Ich ließ die Sohlen meiner Schuhe von den Steinen wärmen. Ich ließ mein Herz aus meiner Kehle sinken und in meine Brust zurückkehren.

Wir haben es geschafft.

Quincy mochte nicht für immer mein Zuhause sein. Aber für immer war etwas für Träumer. Und ich hatte mit dem Träumen an dem Tag aufgehört, an dem ich anfing, meine schlimmsten Tage zu ranken. Es waren so viele gewesen, dass ich nur so hatte weitermachen können – in dem Wissen, dass keiner so schlimm gewesen war wie der erste schlimmste Tag. In dem Wissen, dass ich, wenn ich diesen ersten Tag überlebt hatte, auch den zweiten, den dritten und den vierten überleben würde.

Heute war der fünfte.

Es hatte an einer Tankstelle in North Dakota angefangen. Dort hatte ich gestern Abend angehalten, um ein Nickerchen zu machen. Zwanzig Minuten, dann wollte ich weiterfahren. Drake hatte geschlafen, und ich hatte ihn nicht wecken wollen, indem ich ihn in irgendein heruntergekommenes Hotel schleppte.

Ein Nickerchen im Auto zu machen war eine leichtsinnige Entscheidung gewesen. Ich dachte, unter den hellen Laternen des Parkplatzes wäre ich sicher. Ich hatte die Augen noch keine fünf Minuten geschlossen, als ein Trucker an mein Fenster geklopft und sich über die Lippen geleckt hatte.

Ich war, ohne nachzudenken, davongerast und ihm dabei hoffentlich über die Zehen gefahren.

Die nächste Stunde über hatte mein Herz wild gehämmert, doch sobald das Adrenalin verebbt war, hatte sich eine seelentiefe Erschöpfung unter meine Haut gegraben. Ich hatte Angst gehabt, am Steuer einzuschlafen, und war deshalb am Straßenrand ausgestiegen, um unter den Sternen ein paar Minuten auf der Stelle zu joggen. Als ich mich danach ein wenig dehnen wollte, war ein Insekt unter mein Shirt geflogen und hatte mich zweimal gestochen.

Die Stiche hatten mich die nächsten Stunden über wach gehalten.

Im Morgengrauen fand ich einen anderen Parkplatz und hielt an, um Drake zu wickeln. Als ich ihn aus seinem Sitz nahm, erbrach er sich über mein Shirt, sodass ich mich mit Feuchttüchern waschen musste. An jedem normalen Tag wäre das keine große Sache gewesen, aber an diesem Tag war es der Tropfen, der das Fass beinahe zum Überlaufen gebracht hätte.

Während unseres letzten Tankstopps hatte er angefangen zu weinen. Und abgesehen von ein paar kurzen Nickerchen hatte er nicht mehr aufgehört.

Nach Stunden mit seinem Gebrüll im Ohr war ich fertig. Ich war müde. Ich hatte Angst. Ich war nervös.

Meine Gefühle hatten miteinander um den ersten Platz gekämpft, darum, welches von ihnen mich schließlich zusammenbrechen lassen dürfte.

Aber wir hatten es geschafft. Irgendwie hatten wir es geschafft.

»Komm, lass uns unser neues Zuhause angucken«, sagte ich zu Drake und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Er wand sich in meinen Armen – vermutlich hatte er Hunger –, und ich verlagerte erneut sein Gewicht. Mit einer Hand zog ich eine Tasche aus dem Berg im Kofferraum, aber ich hatte vergessen, wie schwer die war. Der Nylongurt glitt mir durch die Finger, und die Tasche fiel zu Boden. »Uff.«

»Ich mach das«, sagte eine tiefe, raue Stimme hinter mir. Dann hörte ich das Knirschen von Stiefeln auf Kies.

Ich richtete mich auf, bereit, zu lächeln und mich vorzustellen, aber in der Sekunde, in der ich den Mann sah, der auf mich zukam, erstarrte ich.

Groß. Breitschultrig. Tätowiert. Umwerfend.

Warum war ich letzte Nacht weitergefahren? Warum hatte ich nicht an einem Hotel mit Dusche angehalten?

Ich war nicht in der Verfassung, wegen eines Mannes ins Schwärmen zu geraten. Die neue Memphis – Mom Memphis – war zu sehr damit beschäftigt, Sabberflecken aus ihren Shirts zu waschen, um sich für einen Mann hübsch zu machen. Aber die alte Memphis – Single, reich und immer offen für einen Orgasmus oder zwei – mochte heiße, bärtige Männer sehr, sehr gern.

Er beugte sich vor, nahm die Tasche und schnappte sich dann den größten Koffer aus dem Volvo. Der Ärmel seines grauen T-Shirts spannte sich über seinem Bizeps, als er beides zur Garage trug. Schmale Hüften. Sehnige Unterarme. Lange Beine, die in verblichenen Jeans steckten.

Wer war er? Wohnte er hier? War das wichtig?

Drake wimmerte, und das Geräusch ließ mich meinen Blick von dem knackigen Hintern des Mannes losreißen, dem ich Richtung Loft folgte.

Die Metalltreppe gab bei jedem Schritt ein leises Summen von sich. Der Mann war beinahe oben angekommen, als Eloise herauskam.

»Gut, du hilfst.« Sie lächelte und winkte uns dann allen, hereinzukommen. »Knox Eden, das ist Memphis Ward. Memphis, mein Bruder Knox. Ihm gehört das Haus.«

Knox stellte die Taschen ab und nickte ihr zu. »Hi.«

»Hi. Das hier ist Drake. Danke, dass du uns die Wohnung vermietest.«

»Ich bin mir sicher, dass sich bald etwas anderes im Ort ergibt«, erwiderte er und warf Eloise einen finsteren Blick zu.

Die Spannung im Loft war dichter als der New Yorker Verkehr zu Stoßzeiten.

Winslow, die in der Zwischenzeit ebenfalls mit Taschen ins Loft hochgegangen war, musterte den honigfarbenen Fußboden, während Eloise ihren Bruder aus zusammengekniffenen Augen anschaute.

Knox machte sich jedoch nicht die Mühe, seine Gereiztheit zu verbergen.

»Äh, ist diese Wohnung nicht zu vermieten?«, fragte ich. Es würde zu diesem Tag passen, wenn ich jetzt erführe, dass ich hier nicht willkommen war.

»Nein, ist sie nicht«, antwortete er, während Eloise gleichzeitig sagte: »Doch, das ist sie.«

»Ich will keine Schwierigkeiten bereiten.« Mein Magen rumorte. »Vielleicht sollte ich mir etwas anderes suchen.«

Eloise verschränkte die Arme vor der Brust und wartete mit hochgezogenen Augenbrauen darauf, dass ihr Bruder etwas sagte. Sie war zu hübsch, um einschüchternd zu sein, dennoch wollte ich nicht die Empfängerin dieses Blickes sein.

»Na gut«, knurrte Knox. »Bleib, solange es nötig ist.«

»Bist du sicher?« Denn es klang nicht aufrichtig. Und als Mitglied der feinen Gesellschaft von New York hatte ich ausreichend Lügen gehört, um das beurteilen zu können.

»Ja. Ich hole den Rest deines Gepäcks.« Er drängte sich an mir vorbei, und der Geruch von Salbei und Seife stieg mir in die Nase.

»Sorry.« Eloise legte die Hände an ihre Wangen. »Okay, ich muss ehrlich sein. Als du angerufen und gesagt hast, dass es im Ort keine Wohnungen gibt, habe ich auch noch mal nachgeschaut. Und du hattest recht. In deiner Preisklasse ist im Moment nichts frei.«

Ich stöhnte. Also hatte sie mich an ihren unwilligen Bruder abgeschoben. Ich war ein Wohlfahrtsfall.

Die alte Memphis hätte sich geweigert, Almosen anzunehmen.

Mom Memphis konnte sich diesen Luxus nicht leisten.

»Ich will mich nicht aufdrängen.«

»Das tust du nicht«, versicherte Eloise. »Er hätte jederzeit Nein sagen können.«

Warum hatte ich das Gefühl, dass es Leuten schwerfiel, ihr irgendetwas abzuschlagen? Oder dass sie nur selten ein Nein als Antwort akzeptierte? Ich meine, immerhin war das der Grund, warum ich überhaupt hierhergekommen war.

Nach einem einstündigen Zoom-Interview hatte ich mich in die Vorstellung verliebt, für Eloise zu arbeiten, dabei hatte ich das Hotel noch nicht mal gesehen. Sie hatte die ganze Unterhaltung über gelächelt und gelacht. Sie hatte sich nach Drake erkundigt und meinen Lebenslauf gelobt.

Ich hatte den Job nicht angenommen, weil ich scharf darauf war, Zimmer zu putzen, sondern weil Eloise ganz einfach der Anti-Vater war. Sie hatte nichts Kaltes, Rücksichtsloses oder Gerissenes an sich. Mein Vater würde sie hassen.

»Bist du dir sicher?«, fragte ich.

»Absolut. Knox ist es nur nicht gewohnt, Leute hier zu haben. Aber keine Sorge, er wird sich damit arrangieren.«

Hatte er deshalb ein Haus aus Glas gebaut? Hier draußen brauchte man den Schutz von Wänden nicht. Die Lage allein schenkte ihm Privatsphäre. In die ich eindrang.

Wir hatten keinen Mietvertrag. Und ich bezweifelte, dass Knox meine Miete vermissen würde, wenn ich auszog, sobald sich was im Ort ergäbe.

Erneut kam er die Treppe hinauf. Das Poltern seiner Stiefel hallte durch das Loft. Seine breite Gestalt füllte den Türrahmen aus, als er mit drei weiteren Taschen eintrat.

»Den Rest kann ich selbst holen«, bot ich an, als er die Taschen abstellte. »Und ich bin sehr leise. Du wirst gar nicht merken, dass ich hier bin.«

Drake wählte genau diesen Moment, um einen Schrei auszustoßen, bevor er seinen Kopf an meiner Brust barg.

Knox presste die Lippen zusammen, bevor er wieder die Treppe hinunterging.

»Können wir dir beim Auspacken helfen?«, fragte Winslow. »Ich würde lieber hierbleiben, als wieder Streife zu fahren und Tickets an Raser zu verteilen.«

»Nein, ist schon gut. Das bekomme ich allein hin. Es ist ja nicht viel.« Nur mein gesamtes Leben in ein paar Koffern und Taschen. »Danke, dass du mich heute gerettet hast.«

»Gern geschehen.«

»Steht unser Einführungstermin morgen noch?«, fragte ich Eloise.

»Ja. Aber wenn du einen oder zwei Tage brauchst, um dich einzuleben, bevor du mit der Arbeit anfängst …«

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich würde gern gleich loslegen.«

Ich wollte mich kopfüber in dieses neue Leben stürzen. Drake würde ab morgen in die Kita gehen, und auch wenn ich den Gedanken hasste, ihn den ganzen Tag allein zu lassen, war das nun mal das Schicksal einer alleinerziehenden Mutter.

Die Kosten für die Kita würden einunddreißig Prozent meines Einkommens schlucken. Im Gegensatz zu größeren Städten in Montana waren die Lebenshaltungskosten in Quincy relativ gering, und da die Miete für das Loft nur dreihundert Dollar betrug, könnte ich mir nach und nach ein kleines Polster aufbauen. Aber unbezahlte freie Tage waren noch keine Option.

Finanziell gesehen wäre es in New York leichter gewesen. Doch es wäre kein Leben gewesen, sondern eine Gefängnisstrafe.

»Okay.« Eloise klatschte in die Hände. »Dann sehe ich dich morgen. Komm, wann immer du so weit bist.«

»Danke.« Ich hielt ihr erneut meine Hand hin, weil es mir wichtig war, ihre zu schütteln. Das war eine der wenigen Lektionen meines Vaters, die ich nicht abgrundtief hasste.

»Ich bin so froh, dass du hier bist.«

»Ich auch.«

Winslow und Eloise verabschiedeten sich winkend und verschwanden durch die Tür. Ein weiteres Wimmern von Drake ließ mich in Hektik ausbrechen. Ich holte ein Fläschchen aus der Tasche und setzte mich mit ihm auf die Couch. Während er trank, musterte ich mein neues Zuhause.

Die weißen Wände gingen in eine ebenfalls weiße Decke über, und ein dicker Holzbalken von der Farbe des Fußbodens verlief einmal quer durch den Raum. Drei Mansardenfenster waren in die zum Haupthaus zeigende Wand eingelassen und boten einen Blick über den Juniper Hill und die Berge dahinter. Alkoven und halbhohe Wände teilten das Loft in verschiedene Bereiche.

Gegenüber der Couch befand sich hinter einer solchen Wand ein Bett mit einem Patchwork-Quilt. Die Küche war neben der Tür und das Bad auf der anderen Seite. Es war gerade groß genug für eine Dusche, ein Waschbecken und eine Toilette.

»Du wirst im Spülbecken baden müssen«, sagte ich zu Drake und setzte die leere Flasche ab.

Er starrte mich mit seinen wunderschönen braunen Augen an.

»Ich liebe dich.« Das hatte ich ihm auf dieser Fahrt nicht oft genug gesagt, weil wir nur wenige Momente wie diesen gehabt hatten – nur wir zwei allein. »Was denkst du über all das hier?«

Er blinzelte.

»Ja, mir gefällt es auch.«

Ich ließ ihn ein Bäuerchen machen, holte dann eine Decke heraus und legte ihn auf den Boden, um schnell die letzten Sachen aus dem Auto zu holen und auszupacken.

Stunden später hatte ich meine Kleidung zusammengelegt und in der einzigen Kommode verstaut. Die in das Bettgestell eingearbeiteten Schubladen benutzte ich für Drakes Sachen. Der winzige Schrank war voll, nachdem ich ein paar Mäntel und Pullover hineingehängt hatte. Ganz zum Schluss packte ich alle Taschen und Rucksäcke in die kleineren Koffer, die ich wiederum in die großen Koffer steckte.

Beim letzten Tankstopp hatte ich ein paar Sandwiches gekauft, weil ich befürchtet hatte, dass mir keine Zeit für einen Einkauf im Supermarkt bleiben würde, und so aß ich nun ein trockenes Sandwich mit Schinken und Käse, spülte es mit etwas Wasser herunter und badete Drake dann das erste Mal im Spülbecken in der Küche.

Er war in meinen Armen eingeschlafen, noch bevor ich ihn in ein Reisebett gelegt hatte. Mit letzter Energie ging ich unter die Dusche und wusch mein Haar, dann sank ich aufs Bett und war eingeschlafen, sobald mein Kopf das Kissen berührte.

Doch mein Sohn hielt dieser Tage nicht viel davon, mich schlafen zu lassen, und so wachte er kurz nach elf Uhr quengelig und hungrig auf. Ein Fläschchen, eine frische Windel und eine Stunde später zeigte er immer noch keine Anzeichen von Müdigkeit.

»Oh Baby, bitte.« Ich tigerte durchs Loft, an den offenen Fenstern vorbei, in der Hoffnung, dass die kühle, klare Luft ihn müde machen würde.

Aber davon wollte Drake nichts wissen. Er weinte und weinte, wie er es meistens nachts tat, und wand sich, weil er sich nicht wohlfühlte.

Also lief ich weiter auf und ab und wippte ihn auf meiner Hüfte.

Als ich erneut am Fenster vorbeikam, sah ich, dass ein Licht in Knox’ Haus anging. Ich erhaschte einen Blick auf nackte Haut und blieb abrupt stehen.

»Wow.«

Knox trug nur ein Paar enge, schwarze Boxershorts, die sich an seine muskulösen Oberschenkel schmiegten. Unter dem Bündchen konnte ich die tiefe Ausbuchtung des Vs seiner Hüften erkennen.

Mein Nachbar, mein Vermieter, war nicht nur muskulös, er war wie gemeißelt. Eine Symphonie aus Muskeln, die in perfekter Harmonie mit seinem attraktiven Gesicht sangen.

Die pure Verlockung, direkt vor dem Fenster einer Frau, die es sich nicht leisten konnte, von ihrem Weg abzukommen.

Aber welchen Schaden konnte es schon anrichten, ein wenig zu gucken?

Ich blieb in der Nähe des Fensters, allerdings außer Sicht, und stahl noch einen Blick, als er die nassen Enden seines dunklen Haars mit einem Handtuch trocknete.

»Heute war nicht alles schlecht, hm?«, fragte ich Drake, als Knox sein Schlafzimmer verließ. »Zumindest haben wir eine großartige Aussicht.«

2. KAPITEL

 

Knox

 

Es gab keinen Ort, an dem ich lieber war als in meiner Küche, mit einem Messer in der Hand und dem Duft frischer Kräuter und backendem Brot in der Luft.

Eloise kam durch die Schwingtür, die die Küche mit dem Restaurant verband. »Und hier ist das Herz des Knuckles: die Küche.«

Ich möchte korrigieren: Es gab keinen Ort, an dem ich lieber war als allein in meiner Küche.

»Ist sie nicht großartig?«, fragte sie über ihre Schulter.

Memphis trat hinter Eloise hervor, und ich musste zweimal hinschauen. Die blonden Haare hingen ihr glatt und seidig über die Schultern. Das helle Licht brachte die karamellfarbenen Flecken in ihren braunen Augen hervor. Ihre Wangen waren leicht gerötet und ihre Lippen rosig.

Wow … fuck.

Ich hatte ein Problem.

Das war dieselbe Frau, die ich gestern kennengelernt hatte, aber sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mehr mit der erschöpften, zerzausten Person, die in mein Loft eingezogen war. Memphis war … umwerfend. Das hatte ich gestern schon gedacht, trotz der dunklen Ringe unter ihren Augen. Doch heute lenkte mich ihre Schönheit ab – und das deutete auf Schwierigkeiten hin.

Aber ich hatte keine Zeit für Schwierigkeiten.

Vor allem nicht, was meine neue Mieterin betraf.

Mein Messer glitt durch ein Bund Koriander, meine Hand bewegte sich schneller, während ich mich auf die Aufgabe konzentrierte und das Eindringen der beiden Frauen ignorierte.

»Falls der Kühlschrank im Pausenraum voll ist, kannst du deinen Lunch auch hier aufbewahren«, sagte Eloise und zeigte auf die Tür des Kühlraums.

Warte mal. Was? Das Messer rutschte mir aus der Hand und hätte beinahe einen Finger getroffen. Niemand bewahrte seinen Lunch hier auf. Nicht mal die Kellner. Okay, sie mussten auch nur selten etwas zu essen mitbringen, weil ich ihnen normalerweise etwas kochte. Trotzdem … der Kühlraum war tabu.

Und Eloise wusste das. Nur schien meine wunderbar nervtötende Schwester darauf aus zu sein, Memphis in jeden Aspekt meines Lebens zu drängen. War mein Haus nicht genug? Musste es jetzt auch noch meine Küche sein?

»Okay.« Memphis nickte und schaute sich im Raum um. Ihr Blick ging überallhin, nur nicht zu der Arbeitsfläche aus Edelstahl in der Mitte, an der ich stand.

Sie schaute zu dem Gasherd an der Wand, zu der industriellen Spülmaschine im hinteren Bereich. Zu den Regalen an den Wänden, die mit Porzellantellern und Kaffeebechern gefüllt waren. Sie musterte den Fliesenboden, die Reihen an Gewürzen und die hängenden Töpfe und Pfannen.

»Hier ist die Eismaschine.« Eloise ging zur Kühltruhe und öffnete den Deckel. »Bedien dich.«

»Okay.« Memphis’ Stimme war nur ein leises Murmeln. Sie schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Gestern hatte sie mir versprochen, leise zu sein. Ich schätze, sie hatte vor, sich auch im Hotel an das Versprechen zu halten.

Ich warf Eloise einen Blick zu und nickte in Richtung Tür. Die Führung war vorbei. Das hier war eine Küche. Nur eine professionelle Küche mit hellem Licht und glänzenden Armaturen. Und ich hatte zu tun. Das hier war meine Zeit, um allein zu sein und nachzudenken.

Aber verstand Eloise den Hinweis und ging? Natürlich nicht. Sie lehnte sich gegen den Tisch. Warum zum Teufel tat sie das?

Ich biss die Zähne zusammen und nahm mein Messer wieder in die Hand. Ich umfasste es so fest, dass meine Fingerknöchel weiß hervortraten. Normalerweise würde ich Eloise sagen, sie solle verschwinden, doch im Moment versuchte ich, nett zu sein. Sehr nett.

Diese Nettigkeit war der Grund, warum ich eingewilligt hatte, Memphis in dem Loft über meiner Garage unterkommen zu lassen. Meine Schwester hatte mich um einen Gefallen gebeten, und im Moment gewährte ich sie alle. Schon bald würden wir eine schwierige Unterhaltung führen müssen. Eine, vor der mir graute und die ich vor mir herschob. Eine, die unsere Beziehung verändern würde.

Bis dahin ließ ich sie in meine Küche und gestattete ihrer neuesten Angestellten, bei mir zu wohnen.

»Das ist also das Hotel«, sagte Eloise zu Memphis.

»Es ist wirklich wunderschön«, antwortete sie.

Eloise machte eine die Küche umfassende Geste. »Knox hat die Küche und das Restaurant letzten Winter renoviert. Das war, als meine Eltern das Gebäude nebenan für Veranstaltungen dazugenommen haben.«

»Ah.« Memphis nickte und schaute immer noch überall hin, nur nicht zu mir.

Das Knirschen des Korianders unter meinem Messer füllte die Stille.

Meinen Eltern gehörte ein Hotel, The Eloise Inn, aber das Restaurant und die Küche gehörten mir. Wir hatten es als separates Unternehmen in das Hotel eingegliedert und teilten uns die Anteile.

Ursprünglich war das hier eine kleinere Küche direkt neben einem nicht sonderlich aufregenden Ballsaal gewesen, den sie für Hochzeiten und andere Veranstaltungen vermietet hatten. Doch als ich vor Jahren von San Francisco nach Quincy zurückgezogen war, hatte ich in dem Saal Tische aufgestellt. Eine Weile war es ein Restaurant gewesen, dem Stil und Eleganz gefehlt hatten. Als ich Mom und Dad gesagt hatte, dass ich es in ein echtes Restaurant verwandeln wolle, hatten sie die Gelegenheit ergriffen, das Hotel zu erweitern und sich das Nachbargebäude zu sichern.

Laut unseren Berechnungen würde sich dieser Schritt innerhalb der nächsten fünf Jahre amortisieren. Meine Renovierung würde sich in drei Jahren bezahlt gemacht haben, vorausgesetzt, der Gästestrom im Restaurant würde gleich bleiben. Angesichts dessen, dass es das einzige gehobene Restaurant im Ort war, war ich recht zuversichtlich.

»Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich für einen Moment vor die Tür gehe?«, fragte Memphis und sah Eloise an. »Ich würde nur gern in Drakes Kita anrufen, um zu hören, ob alles in Ordnung ist.«

»Natürlich.« Eloise richtete sich auf und begleitete sie zur Tür, um mich endlich in Ruhe zu lassen.

Ich schob den Koriander beiseite und ging in den Kühlraum, um mir eine Handvoll Tomaten zu holen. Dann schob ich die Ärmel meiner weißen Kochjacke, die noch unbefleckt waren, hoch und machte mich wieder an die Arbeit.

Könnte ich dieses Hotel leiten? Wollte ich das überhaupt? Veränderungen kündigten sich an. Es mussten Entscheidungen getroffen werden, und mir graute vor allen.

Abgesehen von den Renovierungsarbeiten hatte sich hier im letzten Jahr viel verändert. Vor allem die Einstellung meiner Eltern. Neben der Familienranch war The Eloise Inn das Geschäft, das am meisten Zeit in Anspruch nahm. Aber ihr Wunsch, einen Puls am Finger des Hotels zu halten, nahm immer schneller ab.

Jetzt wo Dad sich von der Leitung der Ranch zurückgezogen und die Kontrolle meinem älteren Bruder Griffin übergeben hatte, schienen er und Mom es eilig zu haben, auch den Rest der Geschäfte an ihre Kinder zu übertragen.

Hinzu kam, dass Dad einen ziemlichen Schrecken erlitten hatte. Mit dem Fortschreiten von Onkel Briggs’ Demenz hatte er sich quasi davon überzeugt, der Nächste zu sein. Er wollte seine Angelegenheiten geregelt wissen, während er geistig noch klar war, wie er sagte.

Griffin hatte die Eden Ranch immer geliebt. Das Land war Teil seiner Seele. Vielleicht hatten wir anderen deshalb nie Interesse an der Rinderzucht entwickelt. Weil Griffin der Älteste war und seine Leidenschaft als Erster kundgetan hatte. Oder vielleicht lag ihm diese Leidenschaft einfach im Blut. Unsere Familie war seit Generationen Rancher gewesen, und er hatte eine Freude daran geerbt, die der Rest von uns nicht so recht verstehen konnte.

Mom meinte immer, Dad hätte seine Liebe zur Ranch an Griffin vererbt, während sie ihre Liebe zum Kochen an meine Schwester Lyla und mich weitergegeben hätte.

Mein Traum war es schon immer gewesen, ein eigenes Restaurant zu haben. Lyla hingegen zog etwas Kleineres vor, sodass Eden Coffee perfekt zu ihr passte.

Talia hatte keinerlei Interesse an irgendeinem der Familienunternehmen. Da sie offenbar die Klugheit in der Familie geerbt hatte, studierte sie Medizin.

Mateo war noch jung. Mit dreiundzwanzig hatte er sich noch nicht entschieden, was er mal tun wollte. Im Moment arbeitete er für Griffin auf der Ranch. Und er übernahm jede Woche ein paar Schichten für Eloise, wenn sie an der Rezeption unterbesetzt war – was oft vorkam.

Eloise liebte The Eloise Inn und arbeitete als seine Managerin.

Meine Schwester war der Puls des Hotels. Sie liebte es so, wie ich es liebte, zu kochen. Wie Griffin das Ranching liebte. Aber meine Eltern hatten sie nicht gefragt, ob sie das Hotel übernehmen wollte.

Stattdessen waren sie zu mir gekommen.

Ihre Gründe waren logisch. Ich war dreißig. Eloise war fünfundzwanzig. Ich verfügte über mehr Erfahrungen im Management und hatte mehr Geld auf dem Konto, auf das ich zurückfallen konnte. Und auch wenn Eloise das Hotel liebte, hatte sie ein weiches und gütiges Herz.

Dieses weiche, gütige Herz war der Grund, warum Mom und Dad gerade einen hässlichen Rechtsstreit hinter sich gebracht hatten.

Es war auch der Grund, warum Eloise sich entschieden hatte, Memphis anzustellen.

Ihr Herz und Verzweiflung.

Die Nähe zum Glacier National Park brachte Menschen aus der ganzen Welt nach Quincy. Touristen strömten in diese Gegend von Montana. Und da The Eloise Inn das beste Hotel der Stadt war, war es in den Sommermonaten immer ausgebucht.

Die Fluktuation beim Reinigungspersonal war stetig, und gerade erst hatten wir zwei Angestellte an Schreibtischjobs verloren. Ihre Stellen waren jetzt seit sechs Wochen unbesetzt.

Eloise hatte angefangen, selbst Zimmer zu putzen. Genauso wie Mateo. Und Mom. Doch mit dem anstehenden Ferienansturm konnten wir es uns nicht leisten, unterbesetzt zu sein. Als Memphis sich beworben hatte und gewillt gewesen war, nach Quincy zu ziehen, hatte Eloise sich vor Freude kaum noch eingekriegt.

Memphis schien nicht nur eine fähige Person zu sein, sondern sie war für den Job als Zimmermädchen auch komplett überqualifiziert, weshalb Eloise ihre Bewerbung anfangs für einen Scherz gehalten hatte. Aber nach dem virtuellen Bewerbungsgespräch hatte sie gesagt, es wäre wie ein wahr gewordener Traum.

Ich hatte mich für meine Schwester gefreut, weil gute Angestellte schwer zu finden waren. Diese Freude hatte genau eine Woche angehalten, bis Eloise vor meiner Tür aufgetaucht war und mich angefleht hatte, Memphis im Loft wohnen zu lassen.

Ich zog ein einsames Leben vor. Ich kam gern in ein leeres Haus. Ich mochte meinen Frieden und meine Ruhe.

Mit Memphis und dem Baby im Loft würde es das alles nicht geben. Das Kind hatte gestern Nacht stundenlang so laut geschrien, dass ich es bis in mein Schlafzimmer gehört hatte.

Es gab einen Grund, warum ich mein Haus auf dem Juniper Hill und nicht auf der Ranch gebaut hatte. Abstand. Meine Familie konnte mich besuchen, und wenn sie über Nacht bleiben mussten, weil sie zu viel getrunken hatten, nun ja … dann konnten sie das im Loft tun. Aber ansonsten: kein Verkehr, keine Nachbarn.

Mein Zufluchtsort.

Bis jetzt.

»Es ist nur vorübergehend«, sagte ich mir zum tausendsten Mal.

Die Schwingtür zum Restaurant flog auf, und Eloise kam erneut mit einem breiten Grinsen herein.

Ich warf einen Blick über ihre Schulter, um zu sehen, ob Memphis wieder dabei wäre, aber Eloise war allein. »Was ist los?«

»Was machst du gerade?« Sie lehnte sich neben mir an die Arbeitsfläche.

»Pico de Gallo.« Ich hatte keine umfangreiche Speisekarte, sondern gerade genügend Gerichte, um den Einheimischen und den Hotelgästen Abwechslung zu bieten. Jedes Wochenende gab es ein Dinnermenü mit einer speziellen Hauptspeise. Aber Frühstück und Lunch variierten nur selten.

»Hm, lecker. Kannst du Memphis einen Teller mit Tacos machen?«

Meine Hand erstarrte. »Was?«

»Oder was auch immer du zur Hand hast. Mir ist aufgefallen, dass sie heute früh nichts zu essen mitgebracht hat.«

Die Wanduhr zeigte, dass es halb elf Uhr morgens war. Meine beiden Kellnerinnen waren im Speisesaal, wo sie Besteck in Servietten wickelten und die Salz- und Pfefferstreuer auffüllten. Montags war es normalerweise nicht sonderlich geschäftig, aber auch nicht ruhig.

Dieser Tage gab es so etwas wie ruhig nicht.

Offenbar auch nicht in meinem Haus oder in meiner Küche.

»Den anderen Zimmermädchen mache ich auch nichts zu essen.«

»Knox, bitte. Sie ist gerade erst hier angekommen. Ich bezweifle, dass sie schon die Möglichkeit hatte, in den Supermarkt zu gehen.«

»Dann lass sie früher gehen. Sie muss heute nicht putzen.«

»Nein, aber wir haben noch Papierkram zu erledigen. Und die Orientierungsvideos. Ich habe den Eindruck, dass sie gern alle nur möglichen Stunden arbeiten möchte. Die Kita ist teuer. Bitte?«

Ich seufzte. Bitte. Eloise schwang dieses eine Wort wie ein Krieger sein Schwert. Und ich hatte mir ja vorgenommen, nett zu sein. »Na gut.«

»Danke.« Sie schnappte sich einen Tomatenwürfel vom Schneidebrett und steckte ihn sich in den Mund.

»Wie lautet ihre Geschichte?«

»Was meinst du?«

»Das Baby ist genauso alt wie Hudson.« Unser Neffe war zwei Monate alt, und Winslow war immer noch im Mutterschutz, auch wenn sie ab und zu eine Schicht übernahm. »Ist das nicht ein bisschen jung, um den ganzen Tag in der Kita zu sein?«

»Sie ist eine alleinerziehende Mutter, die arbeiten muss, Knox. Nicht jede Frau hat den Luxus, Elternzeit zu nehmen.«

»Das verstehe ich, aber … was ist mit dem Vater des Babys? Warum ist sie von New York ganz nach Montana gezogen? Und warum ist sie allein gefahren? Das war keine sichere Entscheidung. Schon gar nicht mit einem Säugling. Sie hätte Hilfe haben müssen. Wie kann es sein, dass eine gebildete, umwerfende Frau ganz allein mit einem Baby quer durchs Land reist? Und dass alle ihre Habseligkeiten, wie es aussieht, in den Kofferraum eines Volvos passen?«

»Das weiß ich nicht, weil es mich nichts angeht. Wenn Memphis darüber reden will, wird sie es tun.« Eloise verengte die Augen. »Warum fragst du? Normalerweise bin ich die Neugierige, nicht du.«

»Sie wohnt bei mir.«

»Hast du Angst, dass sie dich im Schlaf ermordet?«, zog sie mich auf und schnappte sich noch ein Stück Tomate.

»Ich weiß eben gern, wer sich auf meinem Grundstück aufhält.«

»Meine neue Angestellte, deren Privatleben nur sie etwas angeht. Eine Mutter, die neu in Quincy ist. Weshalb du ihr etwas zum Mittagessen machen wirst. Denn ich schätze, sie hatte seit Wochen niemanden, der ihr etwas gekocht hat. Und Fast Food zählt nicht.«

Ich runzelte die Stirn und stapfte durch die Küche, um mir eine Rührschüssel, eine Zwiebel und eine Limette zu holen.

Eloise entwickelte mal wieder mütterliche Gefühle für eine Angestellte. Nach dem Rechtsstreit hatten unsere Eltern sie gewarnt, dass sie die professionellen Grenzen wahren müsse. Aber was Memphis anging, hatte Eloise sie bereits überschritten.

So wie ich an dem Tag, an dem ich eingewilligt hatte, eine fremde Frau und ihr Baby in mein Loft einziehen zu lassen.

Eloise sah auf die Uhr. »Ich bin den Rest des Tages an der Rezeption. Memphis füllt die Papiere im Pausenraum aus und wird sich dann die Videos anschauen. Wann soll ich sie zum Lunch herschicken?«

»Um elf.« Sie konnte mit uns zusammen vor Beginn des Mittagsansturms essen. »Du musst mehr über ihren Hintergrund in Erfahrung bringen.«

»Wenn du so neugierig bist, frag sie doch selbst, wenn sie zum Essen kommt.« Eloise schenkte mir ein siegessicheres Lächeln und verschwand.

Verdammt. Ich liebte meine Schwester, aber sie hatte nicht nur ein großes Herz, sondern war auch naiv. Abgesehen von vier Jahren auf dem College hatte sie immer in Quincy gelebt. Diese Gemeinde liebte sie. Und sie hatte keine Ahnung, wie verschlagen und grausam Menschen sein konnten.

Memphis hatte bisher noch nichts Besorgniserregendes getan. Aber mir gefiel nicht, wie wenig wir über sie wussten. Es gab zu viele unbeantwortete Fragen.

Ich schob meine Befürchtungen beiseite und konzentrierte mich wieder auf die Vorbereitungen, mit denen ich seit fünf Uhr morgens beschäftigt war. Meine Tage begannen früh, bevor wir das Restaurant um sieben für die Hotelgäste öffneten. Nachdem ich heute Morgen ein paar Omeletts und Rühreier gemacht hatte, hatte ich mich der Zubereitung der heutigen Speisen gewidmet. Meine Sous-Chefin Roxanne würde das Dinner übernehmen, damit ich mal einen Abend freihatte.

Die Minuten vergingen zu schnell, und als die Tür aufging, schaute ich auf die Uhr und sah, dass es genau elf Uhr war.

»Hi.« Memphis schenkte mir den Anflug eines Lächelns.

Ich fürchtete, dass ein echtes Lächeln mich in große Probleme stürzen würde. Sie wäre wie ein Wirbelsturm, der nur Zerstörung hinterließ.

»Äh … Eloise sagte etwas davon, dass ich zum Lunch kommen sollte?«

»Ja.« Ich nickte zu der anderen Tischseite, wo ein paar Hocker standen. »Setz dich.«

»Ich brauche nichts. Wirklich. Ich bin mir sicher, dass du viel zu tun hast, und ich will mich nicht aufdrängen.«

Bevor ich etwas erwidern konnte, kam Eloise durch die Tür, gefolgt von meinem Gardemanger Skip. »Du drängst dich nicht auf.«

»Hey Knox.« Skip warf Memphis einen Blick zu und stolperte beinahe über seine eigenen Füße.

Memphis’ Schönheit hatte diesen Effekt.

»Wir machen Lunch.« Ich bedeutete Skip, eine Schürze umzubinden.

Die Vorstellung konnte warten. Im Moment wollte ich einfach nur dieses Essen zubereiten und Eloise und Memphis ihrer Wege schicken, damit ich mich wieder konzentrieren konnte, ohne dass Memphis’ schokoladenbraune Augen jede meiner Bewegungen verfolgten.

Aber nahm Skip sich eine Schürze vom Haken? Nein. Weil offenbar heute niemand auf mich hörte.

»Ich bin Skip.« Er hielt ihr die Hand hin.

»Memphis.«

»Ein wunderschöner Name für eine wunderschöne Lady. Was kann ich dir zum Lunch machen?« Er hielt ihre Hand einen Augenblick zu lang fest und hatte dabei ein dümmliches Grinsen im Gesicht.

»Tacos«, warf ich barsch ein und ging um den Tisch herum, um eine Packung Tortillas zu holen. »Es gibt Tacos. Beziehungsweise die würde es geben, wenn du ihre Hand loslassen und dich an die Arbeit machen würdest.«

»Ignorier ihn einfach«, sagte Skip lachend, ließ jedoch ihre Hand los und band sich eine Schürze um. Na endlich. Er fasste seine grauen Haare zu einem Zopf zusammen und trat an die Spüle, um sich die Hände zu waschen. Während er sie einseifte, starrte er Memphis unverwandt an.

»Skip!«, bellte ich.

»Was denn?« Er grinste, weil er genau wusste, was er da tat.

Skip arbeitete in meiner Küche, seit ich vor fünf Jahren hierher zurückgezogen war. Und heute war das erste Mal, dass ich ihn feuern wollte.

»Also, Knox gehört das Restaurant«, erklärte Eloise, die sich und Memphis ein Glas Wasser holte. »Meinen Eltern gehört das Hotel. Es kann sein, dass wir dich ab und zu bitten, beim Zimmerservice auszuhelfen, je nachdem, wie beschäftigt wir sind. Hier packt jeder da mit an, wo gerade Not am Mann ist.«