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Einst schenkten die Götter den Menschen die Tiere Calandras. Doch die Kinder der Götter wurden eifersüchtig und erschufen ihre eigenen Kreaturen. Noch schöner. Noch tödlicher. Seither wird Calandra regelmäßig von ihnen heimgesucht. Die Menschen wurden von Jägern zu Gejagten. Beute. Wertlos.
Ich muss nicht erst daran erinnert werden, dass ich wertlos bin. Obwohl ich eine Prinzessin der Fünf Königreiche Calandras bin, bin ich so unwichtig, wie ein dreibeiniger Thron. Ich habe meinen Frieden damit gemacht. Ich habe akzeptiert, dass ich immer im Schatten meiner schönen Schwester stehen werde.
Bis zu dem Tag, an dem ein Fremder an unseren Hof kommt und verspricht, uns von den Ungeheuern zu befreien. Doch dafür verlangt er einen Preis: mich.
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Seitenzahl: 947
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das Buch
Obwohl Odessa Cross die erstgeborene Tochter des Königs von Quentis ist, steht sie im Schatten ihrer jüngeren Schwester Mae. Mae, die goldene Prinzessin. Mae, die Furchtlose. Mae, die ihr ganzes Leben lang darauf vorbereitet wurde, den Kronprinzen von Turah zu heiraten und so das Volk vor den Monstern zu schützen, die den Kontinent Calandra heimsuchen. Odessa ist mit ihrer Rolle als Prinzessin zweiter Klasse eigentlich ganz zufrieden. Doch als der turanische Kronprinz Zavier zur Hochzeit anreist, ändert sich von einem Moment auf den anderen alles: Zavier fordert nicht Mae als seine Braut, sondern Odessa!
Ehe sie sichs versieht, ist Odessa mit einem fremden Mann verheiratet und tritt die gefährliche Reise in das sagenumwobene Königreich Turah an – mit dem Auftrag, dort für ihren Vater die Lage der verbotenen Hauptstadt auszuspionieren. Im Gefolge des Prinzen befindet sich auch der geheimnisvolle Hüter, ein skrupelloser Krieger, der mehr Monster getötet hat als sonst jemand in Calandra. Sollte er hinter Odessas Geheimnis kommen, ist ihr Leben verwirkt. Dass der unverschämt attraktive Hüter mit den magischen Augen ihr Herz unfreiwillig höher schlagen lässt, macht Odessas Mission nicht weniger riskant …
Der atemberaubende Auftakt der epischen Romantasy-Saga
Die Autorin
Devney Perry wurde in Montana, USA, geboren und ist dort aufgewachsen. Sie arbeitete zehn Jahre lang in der Tech-Industrie, bevor sie begann, sich dem Schreiben zu widmen. Und das sehr erfolgreich – mit ihren romantischen Geschichten erobert sie regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten. Mit ihrem ersten Fantasy-Roman Shield of Sparrows stieg sie sogar direkt auf Platz 1 der New-York-Times-Bestsellerliste ein. Devney Perry lebt mit ihrer Familie in Montana.
Mehr über Devney Perry und Shield of Sparrows unter:
devneyperry.com
instagram.com/devneyperry/
tiktok.com/@devneyperrybooks
youtube.com/@devneyperry3752
DEVNEY PERRY
Roman
Aus dem amerikanischen Englischübersetzt von Michelle Gyound Petra Koob-Pawis
Die Originalausgabe ist unter dem Titel
SHIELDOFSPARROWS
bei Red Tower Books, einem Imprint vonEntangled Publishing LLC, Shrewsbury, PA, erschienen.
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Deutsche Erstausgabe: 09/2025
Copyright © 2025 by Devney Perry, LLC
Published by Red Tower Books, einem Imprint vonEntangled Publishing LLC, Shrewsbury, PA
Copyright © 2025 der deutschsprachigen Ausgabeund der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)
Alle Rechte vorbehalten.
Redaktion: Jara Dressler
Umschlaggestaltung: DASILLUSTRAT GbR, München,nach einer Vorlage von LJ Anderson unter Verwendung von Motivenvon Shutterstock.com (Ukki Studio), iStock (joecicak, MikeyGen73),creativemarket (eclectic anthology)
Buchschnitt: DASILLUSTRAT GbR, München,nach einem Entwurf von Bree Archer
Vorsatz: Juho Choi
Karte: Elizabeth Turner Stokes
Satz: Schaber Datentechnik, Austria
ISBN 978-3-641-32939-6V003
www.heyne.de
Für die Charaktere, die vorausgingen.
Für die Geschichten, die uns hierherführten.
Für die Risiken, die wir eingehen.
Für die Träume, die wir verfolgen.
Vertraut auf eure Flügel.
Shield of Sparrows ist eine atemberaubende Romantasy in einer Welt voller tödlicher Monster und noch tödlicherer Mysterien. Daher kommen darin Kriegselemente, Kämpfe, Gewalt, Blut und Gedärme, der Tod von Menschen und Tieren, Verletzungen, Verlust von Gliedmaßen, Krankheit, Hospitalisierung, Brandstiftung, sexuelle Handlungen, Alkoholkonsum und derbe Sprache vor. Außerdem werden in der Hintergrundgeschichte Vergiftungen und illegaler Handel erwähnt. Leserinnen und Leser, die auf diese Themen sensibel reagieren, mögen dies bitte zur Kenntnis nehmen.
Nehmt eure Klingen und macht euch bereit für eine neue Welt!
Was, wenn ich springen würde?
Am Rand einer steilen Klippe balancierend, war ich der Gnade dieses Reichs ausgeliefert und wackelte mit den bloßen Zehen. Eine heftige Böe könnte mich zurück oder nach vorn schieben. Das winzigste Beben in der Erde und ich würde fallen.
Oder fliegen.
Was, wenn ich springen würde? Würde es jemanden kümmern?
Nein. Nicht, wenn es um mich ging. Nicht um die falsche Prinzessin von Quentis.
Vierzig Fuß unter mir krachten die Wellen gegen den Felsen, und die Gischt spritzte weiß auf, wenn sie sich an dem grauen Stein brachen. Ich wollte springen. Ich wollte in dieses Meeresblau eintauchen. Ich wollte nur einen götterverdammten Moment frei von den Erwartungen aller sein.
Doch wenn ich sprang, kam ich zu spät. Und wenn ich zu spät kam, steckte ich sehr tief in der Scheiße.
Margot würde mir in den Hintern treten, wenn ich das Treffen mit den turanischen Kriegern verpasste, die Vater nach Quentis eingeladen hatte, also kein Sprung. Besonders nicht heute.
Langsam trat ich vom Rand zurück. Von der Verlockung.
Nicht, dass sie mich für dieses Fiasko brauchten. Mae sollte unsere Gäste bezaubern.
Sie war die richtige Prinzessin von Quentis.
Ihr ganzes Leben lang war meine Halbschwester auf diese Gelegenheit vorbereitet worden. Diesen Auftritt. Über kurz oder lang würde sie Königin von Turah werden und heute war ihre Chance, vor der noch dieses Jahr stattfindenden Eheschließung mit dem Kronprinzen ein paar ihrer zukünftigen Untertanen kennenzulernen.
Meine Anwesenheit? Völlig unnötig.
Doch ich bemühte mich sehr, meine Stiefmutter Margot – und meinen Vater – nicht zu verärgern. Ich war vielleicht nicht seine Lieblingstochter oder die hochgeschätzte Prinzessin, aber in meinem Schlafgemach war eine Krone. Und heute ging es darum, den Turanern zu zeigen, wie sehr unsere Kronen glänzten.
Ich ließ die Schultern hängen, als ich erst einen, dann noch einen Schritt von der Klippe zurücktrat und meine Fußsohlen das Gras platt drückten, als ich zu den dunkelgrauen Pantoffeln lief, die ich weiter hinten abgestreift hatte. Doch bevor ich meinen Fuß in einen hineinschieben konnte, lenkte das Donnern von Hufen meine Aufmerksamkeit auf die Straße.
Der Lärm nahm zu – ohne Zweifel ein Reiter, wohl um mich zu holen.
»Verdammt.« War ich spät dran?
Margot hatte beim Frühstück unentwegt geplappert und den Ablauf der heutigen Ereignisse vor der Einführung der Turaner aufgezählt, aber ich hatte nur halb zugehört.
Die Waldläufer waren gestern erst spät angekommen, nach Einbruch der Nacht. Die Krieger-Elitetruppe hatte das Zeitfenster für das Abendessen und auch ein Zusammentreffen verpasst. Mit Absicht? Vermutlich.
Das konnte ich ihnen jedoch nicht verdenken. Noch konnte ich es ihnen übel nehmen, dass sie sich seither nur in ihrem Flügel des Schlosses aufhielten, sich dort entweder von der Überquerung des Krisenth erholten oder dem Pomp des Königshofs aus dem Weg gingen. Doch ob es mir nun gefiel oder nicht, das Spektakel würde stattfinden. Eine Gelegenheit für Mae zu glänzen.
Während die Turaner taten, was immer turanische Krieger so tun, wenn sie fremde Königreiche besuchten, putzte man meine Schwester heraus.
Mae wurde gebadet und verwöhnt. Sie wurde mit duftenden Ölen massiert und ihre Haut mit den feinsten Elixieren des Kontinents behandelt. Mae würde zum heutigen Festmahl ein Gewand tragen, an dem ihre Schneiderin einen Monat lang gearbeitet hatte.
Mae. Es ging ausschließlich um Mae.
Ich bezweifelte, dass die Männer den Stickereien oder der Spitze Beachtung schenken würden, aber was wusste ich schon? Mae war ihre zukünftige Königin, nicht ich. Meine Pflicht bestand nur darin, aufzutauchen.
Pünktlich.
Das war an diesem Morgen das einzige Mal in Margots Litanei mit Anweisungen gewesen, dass sie meinen Namen erwähnt hatte.
Komm nicht zu spät, Odessa.
Ich kam nicht immer zu spät. Oft, aber nicht immer. Die Hälfte der Zeit fiel es nicht einmal auf.
Ich schlüpfte in einen grauen Pantoffel, raffte die Röcke meines ebenso grauen Kleides und drehte mich, um den anderen Schuh anzuziehen. Beide saßen fest an meinen Füßen, als ein Reiter den Hügel zur Klippe erklomm. Ich kannte ihn.
Stolz saß Banner im Sattel, das kurze hellbraune Haar ordentlich gekämmt und jede Strähne an ihrem Platz. Seine Miene war ausdruckslos.
War es das gute »ausdruckslos«? Oder steckte ich in Schwierigkeiten, weil mein Verlobter seine Pflichten als General hatte vernachlässigen müssen, um mich zu holen?
Banner zog an den Zügeln und sein Falbhengst kam zum Stehen. Mit einer eleganten Bewegung stieg er ab und führte sein Ross mit entschlossenen, einschüchternden Schritten auf mich zu.
»Prinzessin.« Sein Tonfall war ernst und der Blick seiner braunen Augen fixierte mich, aber seine Mundwinkel umspielte ein Grinsen.
»Ich wollte gerade gehen.« Ich hob eine Hand. »Das schwöre ich.«
»Bevor oder nachdem Ihr mich gehört habt?« Er hob eine Augenbraue. »Ihr werdet zu spät kommen.«
Zu spät kommen. Bedeutete, ich war nicht zu spät. Noch nicht. Puh.
»Ich verspreche, ich werde pünktlich sein«, erwiderte ich. »Du hättest mich nicht holen müssen.«
»Tatsächlich wollte ich ausreiten.«
»Ah.« Vielleicht hieß das, dass niemand wusste, dass ich das Schloss verlassen hatte. Ich könnte mich unbemerkt hineinstehlen und rasch umziehen.
Banner trug bereits seine formelle Uniform. Die Goldknöpfe an seinem seegrünen Mantel glänzten wie die Turmspitzen des Schlosses in der Ferne. Seine Lieblingswurfmesser steckten in dem Ledergürtel. Vater würde fast genau die gleiche Uniform tragen, zog jedoch das Schwert vor. Maes Kleid für den heutigen Abend bestand aus aquamarinfarbenen und himmelblauen Stofflagen. Margot würde wahrscheinlich das für sie typische Blau tragen.
Mein Kleid war grau. So wie all meine Kleider.
Eines Tages, wenn Margot mir nicht mehr vorschrieb, was ich anziehen sollte, und ich nicht bei jeder Mahlzeit Vaters strengem Blick ausgesetzt war, würde ich Rot tragen. Oder Grün. Oder Schwarz. Oder Gelb.
Alles, nur nicht Grau.
»Ihr wisst, dass Ihr von Eurem Fenster aus auf die Stadt sehen könnt und nicht bis hier herauflaufen müsst?«, sagte Banner.
»Hier habe ich eine bessere Aussicht.«
Das Sonnenlicht ließ die bernsteinfarbenen Sternenfunken in Banners braunen Iriden aufleuchten. Diese bernsteinfarbenen Sternenfunken waren das Kennzeichen aller, die auf quentischem Boden geboren waren.
Sein Blick wanderte zum Schloss hinter uns, dann zu der Stadt, die sich am Ufer neben der Klippe entlangzog.
Roslos weiße Häuser glühten förmlich im Nachmittagslicht. In den Straßen der Hauptstadt wimmelte es von Menschen und Wagen. Boote drängten sich an den Docks im Hafen und das ruhige Wasser der Bucht von Roslo leuchtete aquamarinblau unter den hellen Sonnenstrahlen. Quentische Flaggen, ebenfalls in Seegrün, flatterten an den Schlosstürmen, die größte davon mit dem königlichen Wappen bestickt – eine von Blättern und Weizenhalmen umschlungene Armbrust.
Vater fand, der Blick vom Balkon seines Thronsaals war unvergleichlich, aber ich zog die Aussicht von diesem Ort auf meine Stadt eindeutig vor.
Das Schloss war mein Zuhause, aber diese Klippe war meine Zuflucht. Sie war der einzige Ort, an dem die Luft nicht schwer war von der Last der Urteile anderer oder Wachen an jeder Ecke standen, die meine Fehler an Margot weitergaben.
Von hier aus konnte ich das Salz riechen, das vom Wasser heranwehte. Der Duft von Speisen und Gewürzen, der von den Märkten auf dem Platz unten heraufgetragen wurde. An ruhigen Tagen wie heute konnte ich den Lärm von den Docks und das Gezeter in den Straßen hören. Und wenn ich Zeit hatte, brachte ich ein Skizzenbuch mit, um die unterschiedlichen Ansichten festzuhalten.
Banners Blick blieb an den drei Holzschiffen hängen, die in der Bucht ankerten, ihre waldgrünen Segel ein leiser Kontrast zum Seegrün der quentischen Boote.
»Hast du sie schon gesehen?«, fragte ich. »Die Turaner?«
»Noch nicht. Aber ich war gerade bei Eurem Vater.« Sein Kiefer spannte sich an. »Er sagte, dass der Hüter mit den Waldläufern angekommen ist.«
»Der Hüter?« Mir fiel die Kinnlade herunter und mein Magen verknotete sich. »Der Hüter? Er ist hier? In Roslo?«
»Offenbar«, entgegnete Banner.
Oh, bei Izzac. Das war übel. Es war der Grund für den Ausritt meines Verlobten.
Wir waren vielleicht nicht ineinander verliebt und man konnte uns wohl nicht einmal als Freunde erachten, aber es gab ein paar Dinge, die ich seit unserer Verlobung über Banner gelernt hatte. Seine Loyalität meinem Vater gegenüber war makellos. Er liebte den Status, den er dank seines Rangs und der Verlobung mit einer Prinzessin hatte. Und er hasste den Hüter.
»Das tut mir leid.« Ich streckte die Hand nach ihm aus, aber er winkte ab und fuhr sich durch die Haare. »Gehst du zu dem Treffen?«
»Ich bin General in der Legion Eures Vaters. Was denkt Ihr?«
War es wirklich so schwer, einfach Ja zu sagen?
Vielleicht würde er aufhören, mich wie ein Kind zu behandeln, wenn wir verheiratet waren. Doch wenn man unseren Altersunterschied von fünfzehn Jahren bedachte, machte ich mir da keine großen Hoffnungen.
Banner rieb sich den Kiefer, der glatt rasiert war und vor Zorn mahlte. »Betet zu Carine, dass ich nicht die Fassung verliere.«
Ich würde zur Göttin des Friedens beten, dass sie heute mit uns allen sein würde.
»Ich werde meine Rache bekommen«, sagte er, mehr zu sich selbst als zu mir, und der kühle, beherrschte Mann, mein zukünftiger Ehemann, war verschwunden. Sein Körper bebte vor Zorn. Die Hände öffneten und schlossen sich, als würde es ihn in den Fingern jucken, sein Messer zu zücken. »Das schwöre ich.«
»Banner«, warnte ich. »Wenn der Hüter mit den Turanern gesegelt ist, dann ist er auf Vaters Einladung hier. Das ist der falsche Zeitpunkt. Du kannst ihn nicht jagen, während …«
»Denkt Ihr, das weiß ich nicht?«, schrie er mich an.
Ich zuckte zusammen. Es war nicht das erste Mal, dass ein Mann seine Laune an mir ausließ. Es würde auch nicht das letzte Mal sein. Und ich hatte gelernt, dass es leichter war, es über mich ergehen zu lassen, als mich dagegen aufzulehnen. »Es tut mir leid.«
»Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich keine andere Wahl habe, als diese Gäste in unserem Königreich willkommen zu heißen. Dass ich im Thronsaal Eures Vaters stehen und diesem Stück Dreck begegnen muss, das meine Familie zerstört hat. Ich verdiene den Kopf dieses Bastards auf einem Tablett und doch kann ich nichts tun. Nichts. Ich weiß genau, dass es der verflucht falsche Zeitpunkt ist, Odessa.«
Ich blieb ruhig, obwohl er mir meinen Namen entgegenspie. »Ihr kommt noch zu spät«, blaffte er dann.
»Richtig.« Ich nickte und senkte den Blick auf seine polierten Stiefel.
Banner atmete aus und sammelte sich. Dann legte er einen Finger unter mein Kinn und hob mein Gesicht an, bis sich unsere Blicke begegneten. Der Zorn in seinen Iriden verblasste. »Tut mir leid. Ich bin frustriert.«
»Das ist verständlich.«
»Soll ich Euch mit zurücknehmen? Ich kann meinen Ausritt abkürzen.«
»Nein.« Ich schenkte ihm ein sanftes Lächeln. »Geh nur. Ich laufe.«
An Banners Stelle müsste ich wohl auch den Kopf freibekommen.
Warum zwang mein Vater ihn, heute an diesem Treffen teilzunehmen? Vater wusste, dass der Hüter Banners Bruder getötet hatte. Dass sie sich in Turah um eine Frau gestritten hatten und dieser Streit tödlich geendet hatte. Als die Nachricht vom Mord an seinem Bruder Quentis erreichte, hatte es Banners Mutter gebrochen. Sie hatte sich im letzten Jahr das Leben genommen.
Wie es schien, konnte Vater bei seinem geliebten General genauso hartherzig sein wie bei seiner ältesten Tochter.
»Wir sehen uns später«, verabschiedete sich Banner. »Kommt nicht zu spät, Prinzessin.«
Er strich mit dem Fingerknöchel über meine Wange, dann trat er zu seinem Pferd, schwang sich in den Sattel und verschwand ohne einen Blick zurück in Richtung der weitläufigen Hügel und der sanft geschwungenen Felder, die Roslo umgaben.
Ich wartete, bis er außer Sicht war, dann marschierte ich mit einem Seufzen los, den ausgetretenen Pfad hinab, der mich zur Rückseite des Schlosses führen würde. Von dort aus würde ich durch einen Seiteneingang hineinschlüpfen und unbemerkt die Treppen zu meinen Gemächern im vierten Stock hinaufsteigen.
Zu meinen grauen Gemächern.
Maes Zimmer waren hellblau, passend für die jungfräuliche Braut, die bald einen Prinzen heiraten würde. Die ihre Rolle gemäß dem Handelsabkommen von Calandra erfüllen würde, das den Frieden zwischen den fünf Königreichen sicherte.
Sie war die Sparrow.
Doch Mae war alles andere als ein niedlicher, zarter Spatz. Und Jungfrau würde sie in ihrer Hochzeitsnacht auch nicht mehr sein. Es war lustig, wie die Wachen ihr Kommen und Gehen nie meldeten, weil sie ihren Captain vögelte.
Ich warf einen Blick über die Schulter zur Klippe und zum offenen Meer.
Was war dort draußen? Mae würde es erfahren. Nach der Hochzeit würde sie nach Turah segeln. »Das glückliche Balg«, murmelte ich.
Nicht ein einziges Mal in meinem Leben war ich auf Mae eifersüchtig gewesen. Sie war Vaters Liebling. Als die Zeit gekommen war, dass er die Sparrow erwählte, war ich nicht enttäuscht gewesen, dass er sich für Mae entschied. Sie war Margots ganzer Stolz und ihre Freude. Sie hatte eine Mutter, während mir nur ein Geist blieb. Trotzdem hatte ich sie nie beneidet, kein einziges Mal.
Bis jetzt.
Denn bald würde sie fort sein und die Welt hinter Roslos Toren und Quentis’ Küste erkunden.
Ich würde meine Halbschwester vermissen. Von dem Tag an, an dem Margot sie mir, als ich fünf Jahre alt war, in die Arme gelegt hatte, war Mae mein gewesen. Sie hatte sich mit mir um alles gestritten. Sie hatte mich unablässig drangsaliert. Sie war nicht freundlich oder dankbar. Sie war eine echte Nervensäge, aber sie war meine Schwester.
Ich würde sie vermissen.
Und ich konnte es zugleich nicht erwarten, dass sie ging.
Vielleicht würde ich mehr Freiheiten haben, wenn ihr übermächtiger Schatten verschwunden war. Vielleicht auch nicht. Vielleicht würde ich den Rest meines Lebens nur hier auf der Klippe für eine kurze Zeit Frieden finden.
Eine Brise fuhr durch mein wirres Haar und wehte mir eine Locke in den Mund. Ich spuckte sie sofort aus, doch der bittere Geschmack der braunen Farbe, mit der mir Margot jede Woche die Haare färbte, machte sich schon auf der Zunge breit. Meine krausen Locken blieben nie im Zopf, ganz egal wie sehr meine Zofen auch daran zerrten und rissen. Sie ließen sich nur dann kontrollieren, wenn sie nass waren.
Das Meer lockte. Ich blieb stehen und drehte mich um.
Was, wenn ich springen würde? Würde es jemandem auffallen?
Nein. Nicht bei dieser Prinzessin. Ein Lächeln umspielte meine Lippen.
Ich rannte los, auf die Klippe zu. Mein tristes graues Kleid flatterte hinter mir her, während ich schneller und schneller wurde, die Arme vor und zurück schwang und meine Beine pumpten. Ich dachte nicht nach. Ich zögerte nicht. In einem Moment waren meine Füße noch an die Erde gebunden.
Im nächsten flog ich.
Wasser tropfte vom Saum meines klatschnassen Kleides und hinterließ Tupfen auf dem Boden, als ich auf Zehenspitzen durch die Galerie im Ostflügel schlich. Mein Herz raste und der Rausch vom Klippensprung tobte immer noch durch meine Adern.
Ich war sechzehn, als ich es zum ersten Mal gewagt hatte zu springen. Eine Gruppe junger Dienstboten war an einem glühend heißen Sommernachmittag den Hügel hinaufgestapft und ich war ihnen aus Neugier gefolgt. Aus der Ferne hatte ich zugesehen, wie sie, einer nach dem anderen, vom Rand sprangen.
Als sie alle zum Ufer geschwommen und zum Schloss zurückgelaufen waren, hatte ich den Mut aufgebracht, mich der Klippe zu nähern. Stundenlang hatte ich den Sprung in die Tiefe abgewogen, bevor ich ihn endlich selbst gewagt hatte. Als ich in das kalte Wasser eintauchte und mich sofort wieder nach oben stieß, hatte ich mir geschworen: nie wieder. Doch eine Woche später, nachdem mich der Waffenmeister wegen meiner Unfähigkeit im Bogenschießen zurechtgewiesen hatte, war ich wieder auf den Hügel gestiegen.
Ich hatte Anspruch auf ihn erhoben.
In Momenten, wenn ich mich mutig, mich frei und lebendig fühlen musste, war diese Klippe meine Rettung.
Heute war nicht das erste Mal, dass ich mich vollkommen durchnässt ins Schloss stahl. Und es würde nicht das letzte Mal sein. Meine Pantoffeln waren weg, das Meer hatte sie mir genommen, und meine nackten Fußsohlen patschten leise über den weißen Marmorboden, als ich langsam durch die verlassene Galerie schlich.
Mit gespitzten Ohren lauschte ich auf das leiseste Geräusch, während ich mich an Wandbehängen und Gemälden vorbeischob. Das war vermutlich unnötig. Niemand kam in diesen Flur, am allerwenigsten Margot.
Sie mochte die Kunstwerke in dieser Galerie nicht. Für ihren Geschmack waren sie zu schauerlich.
Jedes Bild zeigte die Crux-Wanderungen vergangener Generationen. Das größte Wandbild war vor fast dreißig Jahren entstanden, als die gewaltigen, adlerähnlichen Monster das letzte Mal über Calandra geflogen waren und unser Volk abgeschlachtet hatten.
Das Gemälde zeigte einen rostroten männlichen Crux, der einen Mann mit seinem gewaltigen Schnabel in zwei Teile gerissen hatte. Die Gedärme hingen ihm aus dem geöffneten Maul. Die Klauen, schärfer als jede Klinge, durchbohrten das Herz einer Frau, die er unter sich zerquetschte. Die dicken, spitzen Hörner des Männchens trieften vor Blut.
Margot lag nicht falsch. Diese Galerie war brutal. Und vielleicht würde ich, wenn ich eine Wanderung erlebt hatte, auch keinen Fuß mehr in diesen Flur setzen.
Es stand geschrieben, dass die alten Götter, Ama und Oda, Calandras Tiere als Geschenk für die Menschen geschaffen hatten. Als Begleiter, mit denen sie sich dieses Reich teilen würden. Die Mutter und der Vater waren stolz gewesen auf ihre wunderschönen Geschöpfe. Hatten sie mit Lob und Ruhm überschüttet.
Doch dieser Stolz hatte die Kinder der Götter erzürnt, und in einem Anfall von Eifersucht erschufen die neuen Götter – die Sechs – ihre eigenen Tiere. Die Sechs kreierten Wesen nach dem Vorbild der Tiere Calandras und ihre waren weitaus schöner. Weitaus mächtiger. Und weitaus tödlicher.
Sie gebaren Monster, die Menschen und Tiere gleichermaßen daran erinnern sollten, dass wir zerbrechlich und unbedeutend waren. Und kein Monster wurde mehr gefürchtet als die Crux.
Als ich zum ersten Mal dieses grausige Kunstwerk erblickt hatte, musste ich mich in einen eingetopften Farn übergeben. Doch die nächste Wanderung würde kommen, also hatte ich mich gezwungen, wieder und wieder in diese Galerie zurückzukehren, bis mein Magen beim Anblick der dargestellten Szenen nicht mehr rebellierte.
Wenn ich die Crux zum ersten Mal fliegen sah, war ich vorbereitet auf das Unglück, das sie über unser Volk brachten.
Die Götter hatten sich mit ihrer Schöpfung wahrhaft selbst übertroffen.
Es gab Monster.
Und es gab die Crux.
Laut den Vorhersagen der Gelehrten könnte die nächste Wanderung bereits im kommenden Frühjahr anstehen. Kaum ein Jahr ab jetzt gerechnet. Ich würde innerhalb dieser Schlossmauern sicher sein. Ein Luxus, den so viele andere nicht hatten.
Ich riss den Blick von dem Wandgemälde los, bog um eine Ecke und wollte gerade zum letzten Spurt zur Treppe ansetzen, als ich fast mit jemandem zusammenstieß, in letzter Sekunde aber Halt machen konnte, bevor wir ineinanderprallten.
»Es tut mir l…« Die Entschuldigung erstarb mir auf der Zunge, als ich zu einem Priester der Voster aufsah. Mein Keuchen hallte von den Wänden wider und ich wich langsam vor dem Abgesandten meines Vaters zurück.
Ohne zu blinzeln, starrte er auf mich herab, ragte einen Kopf und knochige Schultern weit über mir auf. Sein schlaksiger Körper war in eine burgunderfarbene Robe gekleidet, die ihm um Knöchel und Füße fiel, die so nackt waren wie meine. Die Nägel an Händen und Füßen waren dick und hatten dunkelgrüne Rillen. Er hatte keine Haare, keine Augenbrauen und seine Haut war von einem kühlen, blassen Weiß. Die Adlernase ragte scharf über seine dünnen, farblosen Lippen.
Meine Lieblingszofe sagte, dass sie beim Anblick seines Teints Gänsehaut bekam, aber es waren seine Augen, die mir einen Schauder über den Rücken jagten. Es waren einfarbige Tümpel ohne Pupillen, genauso dunkelgrün wie seine Nägel.
Albträume wurden in diesen Augen geboren.
Es war mir gleich, was alle anderen über die Bruderschaft sagten. Die Voster waren Schrecken, viel schlimmer als jedes Monster, das durch die fünf Königreiche streifte.
Sein Körper strahlte Macht aus, die mich zurückfahren ließ. Die Voster-Magie knisterte um mich herum wie Funken. Mir wurde davon schwindelig. Schlecht. Es war wie von der Klippe zu springen, nur dass es hier kein Ende gab. Meine sich verknotenden Innereien und die Leere unter meinen Füßen hörten nicht mehr auf.
Menschen sollten der Magie nicht so nahe sein.
Ich unterdrückte einen Schrei, als seine Macht über die nackte Haut meiner Arme strich und kratzte.
Der Voster legte den Kopf schief wie ein Vogel und musterte meine nassen Kleider. Er hob eine knochige Hand. Mit einer raschen Bewegung aus dem Handgelenk deutete er auf mein Haar und das Wasser stieg in einem Wirbel daraus auf.
Es kreiste um meinen Kopf, während die Tropfen miteinander verschmolzen und aufstiegen, bis über mir ein Ball aus klarem Wasser schwebte. Er dehnte sich aus, wurde schmaler und dann zu einem Wirbel. Dornen schlängelten sich aus dem Wasser, als würde es zur gewölbten Decke hinaufgezogen.
Weiter und weiter wirbelte das Wasser, bis der Priester es zu einer Krone geformt hatte, die über meinem Kopf schwebte.
Vater sagte immer, die Voster-Bruderschaft setzte ihre Fluidmagie ein, um eine Botschaft zu überbringen. Dass sie Luft, Wasser und Blut manipulierten, um eine Erklärung abzugeben.
Was auch immer mir diese Wasserkrone sagen sollte, ich würde den Priester nicht bitten, es mir zu erklären. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, stürzte ich die erste Treppe hinauf, meine durchweichten Röcke mit den Fäusten umklammernd. Oben angekommen blickte ich zurück.
Der Blick in den dunklen Augen des Priesters war abwartend.
Ein weiterer Schauder raste mir über die Schultern, dann packte ich das Geländer fester und zwang mich, weiterzulaufen. Erst im dritten Stock ließ dieses Gefühl von Spinnen, die mir über die Haut krabbelten, nach.
Ich fuhr mit den Händen über meine nassen Ärmel, als könnte ich damit das Prickeln loswerden.
Warum hatte der Priester nicht mein Kleid statt meiner Haare getrocknet? Das hätte geholfen. Ich konnte praktisch spüren, wie sich meine trockenen Locken bereits wie verrückt zu kräuseln begannen.
So viel zu meinem Plan, die Haare noch nass zu flechten.
Der Voster war ein weiterer Grund, aus dem ich nicht zu dem Treffen mit den Turanern wollte.
Die Priester besuchten das Schloss nur selten, doch vor sechs Tagen war ohne jede Vorwarnung Vaters Abgesandter aufgetaucht. Und nach jeder Begegnung mit ihm war mir schlecht geworden.
Was wollte er hier? Vielleicht hatte die Bruderschaft mitbekommen, dass Vater die turanischen Waldläufer angeheuert hatte. Oder er war wegen des Hüters gekommen.
Die Voster waren scheu und mieden die meisten Menschen. Zumindest glaubte ich das, da der einzige Priester, den ich je gesehen hatte, Vaters Abgesandter war, der sich bei seinen Besuchen nur in der Nähe des Schlosses aufhielt.
Ich war mir nicht einmal sicher, wie viele Mitglieder die Bruderschaft umfasste. Hunderte? Tausende? In der Schlossbibliothek gab es nur ein einziges Buch über die Voster, und das war dünn. Sehr, sehr dünn.
Vaters Abgesandter kam zu wichtigen politischen Ereignissen, bedeutenden Hochzeiten und königlichen Beerdigungen. Wohl um sicherzustellen, dass wir uns alle gut benahmen und die Bedingungen von Calandras magischen Abkommen befolgten.
Einmal hatte ich meinen Tutor gefragt, was die Voster eigentlich taten, außer Fluidmagie zu wirken und Blutschwüre für Könige zu wirken. Ob die Priester Menschen seien, die ihre Magie geerbt hatten, oder ob sie etwas ganz anderes waren. Er antwortete mir, dass es kompliziert sei – was hieß, dass er es auch nicht wusste.
Vater schien gut mit seinem Abgesandten zurechtzukommen, aber sie waren eindeutig nicht eng befreundet.
Was immer auch der Grund für die Anwesenheit des Priesters war, ich war nur allzu bereit, ihn wieder gehen zu sehen. Mit etwas Glück würde er in dem Augenblick verschwinden, in dem auch die Turaner Roslo wieder verließen, und dorthin zurückkehren, wo auch immer die Voster herkamen. Es war ein weiteres Mysterium, das sich um die Bruderschaft rankte: Niemand wusste, wo sie lebten.
Allein der Gedanke an eine ganze Stadt mit Voster an Straßen und Gebäude, die vor Magie schwärten, sorgte dafür, dass mir wieder übel wurde.
Ich hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Ich wandte mich um, rechnete damit, den Priester zu sehen, aber ich war allein im Treppenhaus.
»Und eindeutig paranoid«, murmelte ich und betrat den großen Gang im vierten Stock.
»Warum ist dein Kleid nass?« Margots Frage überrumpelte mich und meine Hand flog wie von selbst an meine Brust. »Und was ist mit deinen Haaren passiert?«
Ich stöhnte auf. So viel zu unbemerkt hereinschleichen. Verdammt.
»Tut mir leid, Margot.«
Daran war nur der Voster schuld – dieser Widerling. Normalerweise sah ich kurz in den Gang, um sicherzugehen, dass er leer war, bevor ich über den Teppich zu meinem Zimmer huschte. Heute hatte mich die kribbelnde Berührung der Magie des Priesters zu sehr abgelenkt, als dass ich darauf geachtet hätte.
»Odessa.« Niemand in ganz Calandra konnte so viel Verbitterung in meinen Namen legen wie meine Stiefmutter.
»Ich bin rechtzeitig fertig. Das verspreche ich.«
Ihre meerblauen Augen mit den bernsteinfarbenen Sternenfunken blitzten so scharf wie Dolche, als sie auf meine Tür zeigte. »Du bist schon spät dran.«
»Noch nicht.«
Die Nasenflügel meiner Stiefmutter weiteten sich, aber ich huschte an ihr vorbei zu meinen Gemächern.
»Na schön. Ich bin fast spät dran.«
»Beeil dich.« Sie folgte mir in mein Ankleidezimmer. Während ich mir noch die Haare – sehr trocken, sehr lockig und definitiv nicht braun – über die Schulter zog, machten ihre Finger sich daran, die Knöpfe meines Kleids zu öffnen.
»Du musst nicht hierbleiben«, sagte ich. »Brielle oder Jocelyn können mir helfen.«
Sie zerrte so heftig am letzten Knopf, dass er absprang und über den Boden segelte. »Siehst du Brielle oder Jocelyn hier irgendwo?«
»Äh, nein.« Meine Gemächer waren leer und die Schlafkleidung, die ich heute Morgen einfach abgestreift hatte, lag noch auf dem Boden neben dem Paravent.
Meine Kammerzofen waren entweder für den heutigen Tag Mae zugeteilt worden oder sie spionierten die Turaner aus. Ich tippte auf Letzteres.
»Sie haben im Südostflügel zu tun«, berichtete Margot.
Aha. Waren da nicht auch die Turaner untergebracht?
»Diese Waldläufer haben einen Haufen Dreck hereingebracht.«
Dreck? »Sind sie nicht über den Krisenth gesegelt? Wo sollten sie da schmutzig werden?«
»Odessa!« Wieder diese Gereiztheit.
»Richtig. Fragen kommen später.«
»Bitte.« Margot trieb mich leicht voran, bis ich mit an die Brust gedrücktem Mieder hinter den Paravent trat.
Mit einem nassen Platsch landete das Kleidungsstück am Boden, während sie mir schon ein neues Gewand hinter den Sichtschutz reichte.
Dass es Margot gelungen war, eine Grauschattierung zu finden, die noch trister war als die vorherige, war wirklich verblüffend. Meine Lippe verzog sich wie von selbst, als ich hineinschlüpfte.
»Wir müssen dir die Haare färben. Schon wieder. Und wir haben keine Zeit.« Das Tappen ihres Fußes war, als würde sie mir wiederholt auf die Finger schlagen. »Schwimmen. Vollständig bekleidet. Warum bist du so? Warum kannst du keinem normalen Zeitvertreib nachgehen wie Bogenschießen oder Reiten?«
Ich liebte das Zeichnen und Malen, aber wusste Margot meine Kunstwerke zu schätzen? Nein. Stattdessen ärgerte sie sich jedes Mal, wenn ich Kohleflecke oder Pastellfarben an den Fingern hatte.
Sie wollte, dass ich wie Mae war. Dass ich Schwertkampf und Kampftraining liebte. Das waren angemessene Beschäftigungen für ihre Tochter, ihre Prinzessin. Doch Kunst und Schwimmen, beides relativ harmlose Zeitvertreibe, fand sie störend und lästig.
Ja, ich war schwimmen gewesen. Ja, ich hätte damit bis morgen warten sollen. Zumindest wusste Margot nicht genau, wie ich ins Wasser gekommen war. Das wusste niemand.
Wenn jemand erfuhr, dass ich mich von dieser Klippe gestürzt hatte, wäre Izzacs Schatten los.
»Ich beeile mich«, versprach ich. »Ich habe die Zeit aus den Augen verloren.«
»Mädchen, du stellst meine Geduld auf die Probe.«
»Tut mir leid, tut mir wirklich leid.« Ganz egal, wie oft ich mich entschuldigte, es würde keinen Unterschied machen, aber das hielt mich nie davon ab, es zu versuchen.
Margot kochte vor Wut, als ich in Grau gekleidet wieder hervortrat. »Dreh dich um.«
Ich wandte ihr den Rücken zu, damit sie die Knöpfe des Gewands schließen konnte.
Der Stoff schmiegte sich an meine Rippen und Brüste. Der Halsausschnitt enthüllte die Schlüsselbeine und die Kehle, während die Ärmel bis zu meinen Fingerspitzen hinabfielen. Die Röcke bauschten sich um meine Hüften und schwangen bei jeder meiner Bewegungen hin und her.
In jeder anderen Farbe wäre das Kleid wunderschön gewesen.
In Grau verschmolz es praktisch mit dem Steinboden. Vielleicht war das auch der Sinn dahinter.
»Haare.« Margot schnippte mit den Fingern und deutete auf den Frisiertisch. Kaum hatte ich mich auf die Bank gesetzt, stand sie schon hinter mir.
Ich zögerte, ihr den Kamm zu geben. In ihren Händen wurde er zur Waffe. Meine Kopfhaut würde noch Stunden, nachdem sie ihre Folter beendet hatte, schmerzen. »Du musst mir nicht helfen. Ich komme zurecht. Ich bin sicher, Mae braucht dich.«
»Sie ist … beschäftigt.«
Beschäftigt. Hieß, sie war bei ihrem nachmittäglichen Rendezvous mit dem Captain der Wache.
Warum war es in Ordnung, dass Mae vor dem Treffen mit den Turanern Spaß hatte, während ich für einen winzigen Ausflug ins Meer zur Schnecke gemacht wurde?
Die Doppelmoral in diesem Schloss war unerträglich.
Margot entriss mir den Kamm und zog ihn durch meine Locken, so fest, dass ich mich an der Bank festklammern musste, um nicht hinten über zu fallen. Nachdem sie die meisten Knoten gelöst hatte, schnippte sie mit den Fingern ihrer freien Hand. »Puder.«
Ich streckte die Hand nach dem opalfarbenen Döschen auf dem Frisiertisch aus, öffnete es und hustete, als mich der stechende Geruch der Farbe traf. Der Duft würde innerhalb weniger Minuten verfliegen, aber Götter, dieser erste Atemzug brannte mir in der Kehle.
Sie verteilte das Puder auf meinen Haaren, bis meine natürliche Farbe nur noch gedämpft hindurchschien. Bis die orangefarbenen, roten, kupfernen und goldenen Strähnen verschwunden waren. Nicht eine einzige Locke ließ sie aus und als ich in den Spiegel sah, starrte mich das vertraute Braun an.
Mir machte die Farbe nichts aus, nicht wirklich. Margot sagte, dass sie meinem Teint schmeichelte. Dass es die Sommersprossen auf meiner Nase und die goldenen Schlieren in meinen Augen betonte.
Aber eigentlich erinnerte sie das Rot zu sehr an meine Mutter, glaubte ich.
Ich war viel zu sehr wie meine Mutter.
»Mir ist noch nie in meinem Leben jemand begegnet, der so einen Hang dazu hat, sich in Schwierigkeiten zu bringen wie du.« Margot warf den Kamm beiseite und begann, die Locken zu einem Zopf zusammenzuzerren. »Du hättest von Haien gefressen werden können.«
»So nah am Ufer gibt es keine Haie.«
»Ach? Und dann gibt es wohl auch keine Knochenaale. Hast du vergessen, wieso die Turaner hier sind?«
»Nein«, nuschelte ich.
Die Turaner waren hier, um die Monster zu töten, die im vergangenen Jahr auf Vaters Handelsrouten Unheil gestiftet hatten. Was mit sporadischen Angriffen begonnen hatte, war bald eskaliert und seit diesem Sommer schaffte es nur noch eines von drei Schiffen bis ans Ziel. Die Knochenaale ließen niemanden am Leben.
Eigentlich lebten sie in den tiefsten Gewässern des Marixmoremeers, weit weg von unseren Handelsrouten. Warum hatten sie ihren ursprünglichen Lebensraum verlassen? Waren die Monster auf der Suche nach Nahrung landeinwärts gezogen? Gab es ein anderes Raubtier, das sie auf Roslos Küste zugetrieben hatte?
Hatten die Götter etwa noch schrecklichere Monster erschaffen als die Crux?
Nicht nur waren unsere Schiffsladungen verloren, auch Quentis’ beste Seemänner waren ertrunken oder von den Knochenaalen gefressen worden. Mittlerweile war es fast unmöglich – und teuer –, jemanden davon zu überzeugen, die Überfahrt über den Krisenth zu wagen.
Die Handelsrouten mussten gesichert werden. Das Getreide, das wir ernteten und an Laine, Genesis, Ozarth und Turah verkauften, musste geliefert werden, bevor einer der anderen Könige die ausbleibenden Lieferungen als Beleidigung auffasste. Als Bruch des Handelsabkommens. Als Kriegserklärung.
Niemand konnte sich einen Krieg leisten, nicht, wenn die Wanderung der Crux so kurz bevorstand.
Wir mussten unsere Ressourcen auffüllen. Damit Waffen, Nahrung und Vorräte bereit waren, wenn die Monster kamen. Nur die Götter wussten, welche Zerstörung sie über uns bringen würden. Unsere Schiffe, beladen mit Weizen, Mais und Gerste, durften nicht verloren gehen, besonders nicht, wenn wir sie bereits gegen Waffen und Holz eingetauscht hatten.
Die Soldaten von Quentis hatten versucht, die Knochenaale zu töten, aber die Monster waren so bösartig und gerissen wie jeder Krieger. Sie bewegten sich blitzschnell, und der steife Knochen, der aus ihrem Schädel herausragte, konnte einen Schiffskörper durchbohren. Unseren Männern war es gelungen, einige Monster zu erlegen, aber nicht genug, und der Albtraum ging weiter.
Also hatte Vater die Turaner angeheuert, um den Krisenth von den Knochenaalen zu befreien. Wie sie das anstellen wollten? Ich hatte keine Ahnung.
»Denkst du, sie können sie töten?«, fragte ich Margot.
»Nun, den sechs toten Biestern nach zu urteilen, die heute Morgen an den Docks hingen, würde ich meinen, dass sie es können.«
»Was? Sie haben die Knochenaale bereits getötet?« Ich setzte mich aufrecht hin. »Wann?«
»Sie haben sie bei ihrer Ankunft letzte Nacht mitgebracht.«
Hätte ich das gewusst, wäre ich direkt zu den Docks gelaufen statt zur Klippe. Ich hatte noch nie einen Knochenaal gesehen, außer in Büchern. »Wie groß sind sie? Sind sie blau?«
Margot schnaubte. »Du begeisterst dich mehr für sechs tote Monster als für deine Hochzeit mit Banner.«
Damit lag sie nicht falsch. Ich hatte mehr Treffen zur Hochzeitsplanung verpasst als daran teilgenommen.
Ich drehte mich um. »Was denkst du, wie sie sie getötet haben?«
»Odessa«, blaffte sie und zwang meinen Kopf wieder zum Spiegel. »Halt. Still.«
Wer scherte sich schon um meine Haare? Ich war nicht diejenige, die heute präsentiert wurde. Niemand kümmerte sich um mich. Aber ich hielt den Mund und ließ Margot weiterflechten.
Vor dem Tod meiner Mutter war Margot ihre Zofe gewesen, und da ich Mutters Haare geerbt hatte, war Margot geübt im Bändigen der Locken.
»Ich habe Banner vorhin gesehen.« Ich wartete, bis Margots blauer Blick meinem goldenen im Spiegel begegnete. »Er sagte, der Hüter ist mit den Turanern gekommen.«
»Ja.« Eine Falte bildete sich zwischen ihren Brauen.
Der Hüter.
Ein Mann, von dem man munkelte, dass er bösartiger und tödlicher wäre als jede von den Göttern erschaffene Kreatur.
Die ersten Gerüchte über den Hüter hatten Quentis’ Ufer vor drei Jahren erreicht und seither erzählte man sich zahlreiche Geschichten über seine Herkunft.
Manche glaubten, er sei aus einem Grab in Turah gekrochen. Dass er mehr Geist als Sterblicher sei. Manche sagten, er sei die Inkarnation von Izzac. Dass der Gott des Todes seines Thrones müde geworden sei und sich als Mann verkleidet habe, um die Menschheit zu seinem Vergnügen zu quälen. Und andere waren sich sicher, dass ihm seine Kräfte von den alten Göttern selbst geschenkt worden seien.
Er war mehr Mythos als Mann, und die Geschichten über ihn hatten sich wie ein Lauffeuer über den Kontinent verbreitet.
»Was bedeutet es, dass er hier ist?«, fragte ich Margot.
»Es bedeutet, dass du nicht ohne deine Wachen herumspazieren solltest. Es bedeutet, dass wir nicht zu spät kommen sollten.« Sie arbeitete mit flinken Fingern, zog jede Locke in den dicken Zopf. Und doch schien heute sogar mein Haar gegen diese Scharade zu protestieren. Als sich die dritte Strähne an meinen Schläfen löste, warf sie die Hände in die Luft.
»Ich habe keine Zeit für so etwas. Mach das selbst fertig und komm in den Thronsaal.« Sie marschierte zur Tür, sodass die Röcke ihres kobaltfarbenen Kleids um ihre Füße wirbelten.
Als sie am Fenster vorbeikam, brach sich Sonnenlicht in den Juwelen ihrer Krone. Ihr seidig goldenes Haar fiel ihr in glatten Strähnen über Schultern und Rücken. Sie schwebte mehr, als dass sie ging, und hatte das Kinn hocherhoben. Sie mochte nicht als solche geboren worden sein, dennoch war Margot Cross eine Königin durch und durch.
Und ihre Tochter würde genauso sein.
Als meine Stiefmutter weg war, wandte ich mich dem Spiegel zu und sank in mich zusammen.
In Zeiten wie diesen wünschte ich mir, ich wäre jünger. Ein Kind wie Arthalayus. Mein Halbbruder verbrachte seine Tage in der Kinderstube, in herrlicher Unkenntnis seiner Pflichten. Gut so. Als Thronerbe würde Arthy eines Tages einen Blutschwur leisten, mit dem er meinem Vater die Treue gelobte, so wie die meisten königlichen Erben in den fünf Königreichen Calandras, und dann würde er mehr Pflichten aufgeladen bekommen, als ich ertragen könnte.
Armes Kind.
Trotz unseres Altersunterschieds von zwanzig Jahren hoffte ich, dass er zu mir kommen würde, wenn er je eine Atempause von Vaters und Margots Ansprüchen brauchte. Bis dahin würden Mae und ich diese Last tragen.
Mein Haar war völlig wirr, trotz Margots Bemühungen, es zu bändigen, aber ich rang es gerade so nieder und ließ ein paar Strähnen übrig, die mein Gesicht einrahmten. Nachdem ich den Zopf mit einem Satinband umwickelt hatte, nahm ich die Krone, die auf dem Frisiertisch lag, und setzte sie mir auf den Kopf.
Sie war schwer, ihr Metall kühl und unnachgiebig, und in das glänzende Gold waren Hunderte glitzernder bernsteinfarbener Juwelen eingelassen.
Diese Krone war das Einzige an mir, das nicht grau war.
Bei den Göttern, ich hasste Grau.
Ich richtete mich hoch auf und nahm die Haltung an, die mein Tutor für Etikette mir im Alter von drei Jahren eingebläut hatte. Dann sah ich in den Spiegel und eine Prinzessin starrte zurück.
Eine Prinzessin, die spät dran war.
Mit angehaltenem Atem huschte ich durch den Seiteneingang in den Thronsaal und trat leise zu Margot und Mae, die bereits links neben dem königlichen Podium standen.
»Willkommen.« Vaters Stimme war so kalt wie der große, hallende Raum. Er zog eine eisige Atmosphäre vor, vermutlich weil das so häufig zu seiner Laune passte.
Licht fiel durch die Buntglasfenster und malte verschiedene Blau-, Grün- und Gelbtöne auf den Marmorboden. Alle waren in der Mitte des Raums versammelt und Vaters goldener Thron stand leer auf seinem Podest. Es waren mehr Wachen da als üblich, vier statt zwei an jeder Tür positioniert.
Vaters Blick war auf die Männer gerichtet, die vor ihm standen, aber ohne jeden Zweifel wusste er, dass ich mich gerade erst hineingeschlichen hatte. Etwas, für das ich später gescholten werden würde.
Margot und Mae hielten sich etwas abseits der Männer, Seite an Seite ein paar Schritte hinter ihnen, mit ihren Kronen und herausgeputzt. Die Tochter so schön wie die Mutter. Meine Schwester mochte den eisernen Willen unseres Vaters geerbt haben, äußerlich war sie Margots Ebenbild, von der klassischen Linie der Nase bis zum spitz zulaufenden Kinn.
Sah ich aus wie meine Mutter? Ich wünschte, ich könnte mich an ihr Gesicht erinnern, aber sie starb, als ich noch ein Baby war, und Vater hatte ihre Porträts aus den Fluren entfernen lassen. Ich wusste nur, dass ich meine Haare von ihr hatte, weil Margot sie so oft verfluchte. Aber ich hatte keine Ahnung, ob wir die gleiche Nase, das gleiche Kinn oder den gleichen Mund hatten.
Als ich neben Margot trat, warf sie mir einen missbilligenden Blick zu, wandte ihre Aufmerksamkeit aber sofort wieder den Männern zu.
Fünf Turaner standen Schulter an Schulter da, ihre breiten Körper wie eine Mauer. Jeder war wie eine Säule aus geschliffenen Muskeln und roher Kraft. Götter, sie waren riesig.
Banner war über eins achtzig groß, aber verglichen mit diesen Männern, wirkte er schmal und schlaksig. Sogar Vater, der größte Mann, den ich je gesehen hatte, konnte es nicht mit der Statur der Turaner aufnehmen.
Kein Wunder, dass sie die Knochenaale hatten erlegen können.
Die Turaner waren nicht prunkvoll gekleidet, nicht, dass ich maßgeschneiderte Mäntel oder glänzende Stiefel bei einer Truppe von Kriegern erwartet hätte. Sie trugen Lederhosen, die sich an starke Schenkel schmiegten. Braune, punzierte Westen über elfenbeinfarbenen Baumwolltuniken, die sich um muskelbepackte Bizepse spannten. Lederstulpen an den Handgelenken. Zwei der Männer hatten verschlungene, dunkle Tätowierungen, die ihre Unterarme bedeckten.
Jeder von ihnen war entweder mit Messern bewaffnet oder hatte Schwerter auf den Rücken geschnallt. Ein Mann hatte drei Dolche an seinem Gürtel. Sie sahen aus, als wären sie gekommen, um in den Krieg zu ziehen und nicht, um mit der königlichen Familie zu Abend zu essen.
Es war überraschend, dass Vater sie so überhaupt in den Thronsaal gelassen hatte. Normalerweise nahmen wir Gästen ihre Waffen vor einer Audienz beim König ab. Hatten sich die Turaner geweigert? Oder hatten die Wachen sie nicht einmal darum gebeten?
»Bevor wir mit der Vorstellung beginnen«, Vaters tiefe Stimme hallte durch den Raum, »möchte ich Euch meinen Dank für Eure Dienste entbieten. Meine Männer sagten, dass Eure Schiffe letzte Nacht sechs Knochenaale mitbrachten. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Ihr so schnell handelt. Dafür habt Ihr meinen Dank.«
Der Mann mit den Dolchen verschränkte die Arme vor der Brust. Er hatte einen buschigen bronzefarbenen Bart, der unter seinem Kinn geflochten war. »Wir haben nur getan, wofür Ihr uns angeheuert habt.«
Da war etwas im Tonfall des Mannes. Ein Hauch Herablassung, bei dem mein Vater den Kiefer anspannte, dann schnippte er mit den Fingern.
Die gleiche Seitentür, durch die ich mich noch vor wenigen Augenblicken hereingeschlichen hatte, flog auf und zwei Wachen trugen eine so große Truhe herein, dass ich mich darin zu einem Nickerchen hätte zusammenrollen können. Sie stellten sie in der Mitte des Thronsaals ab, entriegelten sie und klappten den Deckel auf, woraufhin Hunderte calandrischer Münzen zum Vorschein kamen.
Das war mehr Reichtum, als ich je gesehen hatte. Genug Gold und Silber, um die Einwohner Roslos für Monate zu versorgen.
Ein turanischer Krieger mit glatter dunkler Haut und tief liegenden dunklen Augen trat zu der Truhe und ging in die Hocke, um den Inhalt zu inspizieren. Sein schwarzes Haar war zu langen Zöpfen geflochten und im Nacken zusammengebunden. Er nahm eine Münze und warf sie in die Luft. Mit einem Kling landete sie auf den anderen.
War das der Hüter?
»Soll ich sie zählen, Hoheit?«, fragte er, stand auf und ging wieder zu den anderen.
Warte. Was? Wen nannte er Hoheit?
Der Krieger in der Mitte der Reihe schüttelte den Kopf.
Nur, dass er kein Krieger war, oder? War das der Kronprinz?
Ich hatte nie zuvor einen Prinzen aus Turah gesehen, aber er musste Zavier Wolfe sein.
Der Erbe des turanischen Throns.
Maes zukünftiger Ehemann.
Okay, das war eine Überraschung. Falls Margot ebenfalls schockiert war, ließ sie es sich nicht anmerken. Genauso wenig wie Mae. Offensichtlich war mir wegen meines Zuspätkommens etwas entgangen.
Prinz Zavier war in Roslo. Der Hüter war in Roslo.
Was war hier los? Das hier sollte ein kurzes Treffen sein und eine Gelegenheit für Vater, die turanischen Waldläufer zu bezahlen, die er angeheuert hatte. Jetzt war es eine königliche Vorstellungsrunde? Hatten alle außer mir davon gewusst? Das erklärte auch, weshalb der Voster hier war.
Gut, dass Margot darauf bestanden hatte, Mae so herauszuputzen, wenn sie jetzt zum ersten Mal ihrem Verlobten gegenüberstand.
»Ihr braucht nicht zu zählen«, sagte Vater kühl und unbeteiligt, doch das Feuer in seinen hellbraunen Augen strafte seinen Tonfall Lügen. »Jede Unze, auf die wir uns geeinigt haben, ist da.«
Der Krieger, der gesprochen hatte, der Bärtige mit den Dolchen, bedachte Vater mit einem abschätzenden Blick. »Und was, wenn der Preis, auf den wir uns geeinigt haben, nicht länger reicht?«
Gerüchten zufolge sprach Zavier nicht. Wenn das stimmte, dann sprach dieser Krieger vielleicht für ihn, so wie ein Berater. Oder ein General.
Vaters Blick flammte noch heißer, die bernsteinfarbenen Sternenfunken wie Zwillingsflammen. »Und was genau wäre Euer neuer Preis?«
Bevor der Krieger antworten konnte, öffneten sich die Haupttüren und zogen die Aufmerksamkeit aller auf sich.
Der Voster, mit dem ich vorhin zusammengeprallt war, betrat den Thronsaal. Seine nackten Füße ragten unter seiner Robe hervor und die schauerlichen grünen Nägel waren gut zu sehen. Dieses Mal war er aber nicht allein. Zwei Schritte hinter ihm kam ein anderes Mitglied der Bruderschaft in der gleichen burgunderfarbenen Robe herein.
Dieser Priester ging nicht. Er schwebte ein Stück über dem Boden, als würde er von einer unsichtbaren Kraft getragen. Als würde die Erdanziehung nicht schwer auf seinem Körper lasten, so wie bei allen anderen. Die Nägel an seinen Händen und Füßen waren lang und gebogen und verdreht wie Schleifen.
Die Magie traf mich sofort. Die Macht fuhr mir über die Schultern und das Rückgrat hinab. Ich musste jedes bisschen Selbstkontrolle aufbieten, um stillzuhalten.
Ein Voster war unangenehm. Aber zwei? Das war kaum auszuhalten. Ich kämpfte gegen den Drang an, mir die Arme zu reiben und zur Tür zu rennen.
Falls Margot und Mae dieses Unbehagen auch spürten, so zeigten sie es nicht.
Wer war dieser zweite Priester? War er mit den Turanern gekommen? Oder hatte er den Hüter begleitet?
Die Voster konnten die Erde nicht erschüttern oder Feuerbälle schleudern, aber sie konnten Luft und Wasser ihrem Willen unterwerfen. Ihre Blutmagie wurde eingesetzt, um unzerstörbare Bande zu schmieden. Doch ich hatte noch nie zuvor einen schweben sehen. Die Macht dieses Priesters schien größer als die von Vaters Abgesandtem.
Die Voster sahen beide gleich aus, waren haarlos und hatten diese durchscheinende Haut, aber der andere Priester schien älter. Der Blick aus diesen dunkelgrünen Augen wanderte zu mir und verweilte dort einen Augenblick, dann richtete er seine Aufmerksamkeit über seine Schulter auf die Türen.
Spannung breitete sich im Raum aus, und als mein Blick seinem folgte, sprang mir das Herz in die Kehle.
Der Mann, der jetzt eintrat, sah nicht aus wie die Inkarnation eines Gottes. Er schien kein Geist zu sein. Er war groß und breitschultrig wie die anderen Turaner. Derart muskelbepackt, dass es ablenkte. Sein samtbraunes Haar kitzelte seine Schultern und sein kantiger Kiefer war mit einem kurzen Bart in der gleichen Farbe verdeckt.
Auf den ersten Blick war er einfach ein Mann. Auffallend. Einschüchternd. Aber nur ein Mann.
Und doch waren in seinen Iriden nicht die typischen turanischen grünen Sternenfunken zu erkennen. Sie waren einfarbig und fast wie geschmolzenes Silber. Flüssiges Metall. Farblos, wie mein Kleid.
Der Hüter.
Das Donnern seiner Stiefel auf dem Boden passte zum Rhythmus meines hämmernden Pulses, als er dem Voster folgte. Anders als die Turaner trug er weder ein Schwert noch Messer. Vielleicht hatte Vater darauf bestanden, dass er unbewaffnet zu diesem Treffen kam, und doch hatte ich das Gefühl, dass er uns alle mit bloßen Händen umbringen könnte.
So wie er Banners Bruder ermordet hatte. Die Hände fest um die Kehle gelegt, bis die Luftröhre nachgab.
Mein Blick huschte zu dem meines Verlobten. In seinen Augen stand Mordlust. Sein Hass auf den Hüter war so aufdringlich wie der Geruch meiner Haarfarbe. Aber die Göttin Carine musste unsere Gebete um Frieden erhört haben, denn er hielt sein Temperament im Zaum, stand stoisch an Vaters Seite wie der pflichtbewusste General, der er war.
Ich war nicht verliebt in Banner. Ich freute mich nicht besonders darauf, die Frau eines Mannes zu werden, der unter der Fuchtel meines Vaters stand. Aber ich wollte ihn auch nicht wegen Hochverrats hängen sehen.
Die beiden Voster blieben abseits von allen anderen stehen. Sie bildeten ein eigenes Grüppchen in dieser seltsamen Tortur, so wie Margot, Mae und ich.
Der Hüter stellte sich nicht zu ihnen. Stattdessen teilte sich die Reihe der Turaner, als er näher kam, und machte Platz für ihn neben Prinz Zavier.
Alle im Saal schwiegen. Die Anspannung war so groß, dass es mir schwerfiel zu atmen. Die Magie bereitete mir Kopfschmerzen.
Ein Treffen. Wir mussten nur dieses eine unsinnige Treffen hinter uns bringen. Dann konnte Banner gehen, bevor die pochende Ader an seiner Schläfe noch platzte. Und ich könnte mich in meine Gemächer davonschleichen, wo ich bleiben würde, bis die Turaner und die Voster Roslo verlassen hatten.
Ich lehnte mich ein wenig vor und riskierte einen weiteren Blick auf meine Schwester.
Ein Lächeln umspielte ihre hübschen Lippen. Es wirkte sittsam und süß. Ich wusste es besser. In ihren blauen Augen glänzte Durchtriebenheit, so als kenne sie ein Geheimnis, von dem niemand sich die Mühe gemacht hatte, es mir zu erzählen.
Mae liebte Geheimnisse. Dazu noch eine anständige Portion Streit und eine Prise Blutgier und sie war glücklich.
Lag es in ihrer Natur? Oder an ihrer Erziehung?
Als Kind hatte ich immer Puppen zum Geburtstag bekommen. Als Mae fünf geworden war, hatte Vater ihr ein Paar vergoldeter Klingen geschenkt.
Sie würde sich bei diesen turanischen Kriegern einfügen, oder nicht? Bei diesem Prinzen? Mae hatte Margots Größe und Vaters Stärke geerbt. Achtzehn Jahre Training hatten sie zu einer Waffe gemacht. Die Turaner würden Mae nicht unterkriegen.
Vielleicht hoffte Vater darauf, dass es andersherum wäre.
»Wo waren wir?«, fragte Vater. »Ihr hattet Bedenken wegen des Preises? Wie können wir das lösen?«
Ähm …
Biederte er sich etwa bei den Turanern an? Es klang zumindest sehr danach. Und mein Vater biederte sich nicht an.
Er hatte die Bemerkung des Waldläufers über ein Zählen der Münzen ohne scharfe Erwiderung hingenommen. Und jetzt fragte er, wie er ihre Bedenken zerstreuen könne?
Mae hatte ihre Gerissenheit von ihm gelernt, worum ging es hier also wirklich? Auf jeden Fall um mehr als um einen König, der Söldner anheuerte.
»Die Vorstellung. Bevor wir fortfahren«, sagte der schwebende Voster mit samtiger Stimme.
Nie zuvor hatte ich einen Priester sprechen gehört. Ich hatte mit einem unangenehmen Geräusch gerechnet, einen Tonfall so stechend wie ihre Macht. Aber seine Stimme war wie Musik, sanft und hinreißend. Der Klang einer Sirene, die einen in den Schlaf sang, bevor sie einen verschlang.
Auf sein Kommando hin wandten die Männer ihre Aufmerksamkeit uns zu. Fünf turanische Augenpaare mit grünen Sternenfunken in den Iriden wanderten über Margot und Mae, während der silberne Blick des Hüters auf mich fiel. Es war so unangenehm wie die Voster-Magie.
Vater nickte Margot zu.
Sie legte Mae die Hand auf den Rücken und zusammen näherten sie sich den Turanern, während ich ein kleines bisschen Abstand hielt.
Der Turaner in der Mitte trug einen Stirnreif. Das Band war nicht mit Juwelen oder Edelsteinen besetzt. Es bestand aus ineinander verschlungenen Metallfäden, die eine silberne Linie bildeten.
Sein braunes Haar war kürzer als das der anderen und er hatte es sich aus dem Gesicht gestrichen, die Spitzen wellten sich leicht in seinem Nacken. An den Seiten verschwand die Krone unter den Haarsträhnen über seinen Ohren. Eine kleine Narbe teilte eine Augenbraue und seine Augen hatten die Farbe von Moos an einem stürmischen Tag. Fast verdeckte die Farbe die grünen Sternenfunken in seinen Iriden.
Prinz Zavier war attraktiv. Umwerfend sogar, mit einer gewissen robusten Männlichkeit. Und er war gelangweilt. Da war kein Hauch Interesse an der Begegnung mit seiner zukünftigen Braut zu erkennen.
Ich rechnete fast damit, dass er jeden Moment gähnte.
Der Hüter hingegen sah amüsiert aus, als wäre das alles ein Witz. Seine Augenwinkel verzogen sich, als er grinste.
Was war daran lustig? Was entging mir?
»Prinz Zavier, ich präsentiere Euch meine Tochter Mae«, sagte Vater. »Sparrows Schild gemäß wird sie in drei Monaten zur Herbsttagundnachtgleiche Eure Braut.«
Zavier musterte Mae lange, dann blickte er zum Hüter.
Zwischen den beiden schien eine lautlose Unterhaltung stattzufinden. War das eine Macht des Hüters? Konnte er Gedanken lesen?
Nun, wenn er meine lesen könnte …
Verschwinde. Bitte und danke.
Der Hüter nickte dem Prinzen zu, dann sprach er mit heiserer Stimme, bei der ich Gänsehaut bekam. »Nicht sie.«
Margot blinzelte. »Wie bitte?«
»Sie.« Der Blick des Hüters zuckte in meine Richtung und alle im Raum folgten ihm.
Zu mir.
»Prinz Zavier wird sie heiraten«, verkündete er. »Heute Abend. Als Brautpreis für das Töten der Knochenaale.«
Die Stille im Thronsaal war so schwer wie Rauchschwaden und sog mir die Luft aus der Lunge. Der Boden um mich herum begann zu wanken und ich geriet aus dem Gleichgewicht.
Margot packte meinen Unterarm und einen Moment lang war ich dankbar für ihre Stütze. Doch dann bissen ihre Fingernägel so fest durch den Stoff meines Kleides, dass sie sich fast in meine Haut bohrten.
Obwohl der Schmerz von meinem Handgelenk bis zum Ellbogen hinaufschoss, rührte ich mich nicht. Konnte mich nicht rühren.
Sie.
Ich? Prinz Zavier wollte mich heiraten?
Nein. Auf keinen Fall. Das hier war nicht echt. Ich halluzinierte. Das Meerwasser war mir zu Kopf gestiegen. Das, oder Ferious spielte mir einen seiner Streiche. An so etwas würde der Gott des Unfugs sicher Gefallen finden. Vielleicht war es der Voster. Dieser Priester, der über dem Boden schwebte, hatte mir diesen Albtraum in den Kopf gepflanzt.
Das war nicht echt. Konnte nicht echt sein.
Ich war mit Banner verlobt. Mae würde den Prinzen von Turah heiraten. Mae. Nicht ich. Mae.
Margot drückte fester zu, ihre Fingernägel gruben sich in mein Fleisch. Glücklicherweise bekam ich nicht so leicht blaue Flecke. Ansonsten wären am nächsten Morgen sicher fünf Abdrücke dort.
Aber ich versuchte nicht, sie abzuschütteln. Ich war zu sehr damit beschäftigt, die Worte des Hüters erneut in meinem Kopf zu hören.
Sie.
Sie. Sie. Sie.
Ich.
Die Stille schwoll immer weiter an. Die Spannung verdoppelte sich. Verdreifachte sich. Eine Entladung war unvermeidlich. Und als die Stille endlich zersprang, platzten alle im Raum zugleich heraus.
»Das muss ein Irrtum sein«, presste Margot zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Bei jeder Silbe grub sie die Nägel tiefer in meinen Arm.
»Nein.« Vaters Stimme war ein Donnerschlag, erschütterte die Mauern.
Ein Grollen, rau und gierig, entriss sich Maes Kehle.
Banner stellte das Offensichtliche fest. »Sie ist meine Verlobte.«
Ein Lachen. Heiser. Tief. Trocken und ohne Humor.
Ich blinzelte, zwang meinen Blick, sich zu fokussieren, und sah in die Richtung, aus der das Geräusch kam.
Der Hüter. Seine silbernen Augen leuchteten weiß auf wie Blitze und sein Grinsen wurde breiter. Er lachte aus vollem Hals.
Idiot.
Margot keuchte auf.
Vaters Kiefermuskel spannte sich an.
Verdammt. Das hatte ich wohl laut ausgesprochen. Nun, er war ein Idiot.
Ich öffnete den Mund, nicht um mich zu entschuldigen, sondern um es erneut zu sagen, diesmal deutlicher, aber eine scharfe Geste meines Vaters brachte mich zum Schweigen.
Jeder Mann im Thronsaal schien sich höher aufzurichten. Einer der Krieger hob die Hand, nur ein wenig, als machte er sich bereit, das Schwert von seinem Rücken zu ziehen.
»Prinz Zavier«, begann Vater. »Mae ist die Tochter, die Euch als Braut zugedacht ist. Wenn Ihr auf die geplanten Festlichkeiten an der Tagundnachtgleiche verzichten möchtet, so werden wir Euer Bündnis für heute Abend vorbereiten.«
Mein Blick zuckte durch den Raum, sprang von Turaner zu Voster zu Vater zu Banner und fing wieder von vorn an.
Der Prinz schien immer noch gelangweilt. Der Voster wirkte komatös. Banner blickte mordlüstern drein. Vater hatte sich zu sehr im Griff, als dass ich etwas in seiner Miene hätte lesen können. Mae und Margot waren wütend. Auf. Mich.
Und der Hüter grinste immer noch.
Augenblicklich hasste ich ihn. Vielleicht hätte ich mir wünschen sollen, dass Banner ihm die Kehle durchschnitt.
Bei den Schatten, ich musste aus diesem Thronsaal verschwinden. Sofort.
Aber Vater würde das nicht gestatten, richtig? Er würde dem Prinzen sagen, was er von einem Brautpreis hielt – was immer bei den Schatten das auch sein sollte.
Nur dass Vater schwieg. Er hatte die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst, während er den Blick ruhig auf die Turaner richtete und auf ihre Antwort wartete.
Kümmerte es ihn überhaupt, dass sie mich als Bezahlung für eine Schuld forderten? Dass sie seine Tochter einforderten wie die Truhe voller Münzen? Oder loderte die Wut in seinen hellbraunen Augen nur, weil seine Befehle infrage gestellt wurden?
Darauf wollte ich keine Antwort.
Nachdem ich den Blick von meinem Vater losgerissen hatte, erwartete mich der des Hüters.
Er war nicht so silbern wie noch vor einem Moment. Seine Augen hatten sich verdunkelt, das Silber abgelöst von Grau und Braun und Grün. Ein vergoldetes Grünbraun so hart wie Stein.
Er hatte aufgehört zu grinsen. Sein Humor hatte einer kalten, grausamen Bosheit Platz gemacht.
Mein Herz schlug so schnell, dass es wehtat. Der Puls, der mir in den Ohren hämmerte, war betäubend. Aber ich wandte den Blick nicht von seinen Iriden, die die Farbe wechselten. Von diesen stechenden Augen. Ich würde nicht unter dem Blick eines Mörders einknicken.
Vater hatte mich schon vor langer Zeit gelehrt, dass nur Narren sich duckten.
Ich mochte nicht seine Lieblingstochter sein, aber ich bemühte mich, keine Närrin zu sein. Also hielt ich der Musterung des Hüters stand, mein Wille so unbeugsam wie Eisen aus Ozarth. Diesen störrischen Zug hatten Mae und ich gemeinsam.
Einer der Mundwinkel des Hüters verzog sich.
Jap, immer noch ein Idiot. Wie schön, dass ich heute seiner Belustigung dienen konnte. Ich schürzte die Lippen und wandte meine Aufmerksamkeit Prinz Zavier zu.
Aus ihm war nichts herauszubekommen. Keine Spur von Emotion. Kein Anzeichen von Interesse oder Desinteresse. Einen so einschüchternden Blick wie den seinen hatte ich noch nie gesehen, er war sogar noch beängstigender als Vaters.
Ein Schauder lief mir den Rücken hinab.
Wenn der Blick des Hüters ein Test war, dann war der des Prinzen ein Versprechen. Ich würde seine Frau werden.
Der Boden unter meinen Pantoffeln kippte wieder zur Seite.
»Ihr könnt sie nicht haben.« Banners Körper schien vor Zorn zu vibrieren. »Sie gehört mir.«
Das hätte romantisch sein können. Nur, dass Banner nicht wütend war, weil ein anderer Mann ihm die Frau stahl, die er liebte. Nein. Banner war zornig, weil er so die Beziehung zur Königsfamilie verlor.
Ich mochte nicht die Lieblingsprinzessin sein, aber ich war eine Prinzessin. Eine Belohnung für seine Treue. Ein Statussymbol.