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"Kapital is’ Muss": Geschichten, Gedichte, Gedanken und Poetry Slam Texte zu den Themen Armut, Reichtum und Kapitalismus von 24 Autor*innen - herausgegeben von Michael Jakob und Elias Raatz.
Der Kapitalismus scheint zum unstillbar gefräßigen Raubtier entartet, das uns und sich selbst langsam auffrisst. In "Kapital is’ Muss" sind kluge, wütende, zärtliche und messerscharfe Stimmen versammelt, die sich alle auf ihre ganz eigene Weise mit Armut, Reichtum und den absurden Auswüchsen unseres Wirtschaftssystems beschäftigen. Mit einem Wirtschaftssystem, das Gewinne maximiert und Menschen marginalisiert. Dieses Buch versucht, das Unsichtbare sichtbar zu machen: die Macht des Marktes, die Lücken im System und den Preis, den wir alle im Raubtierkapitalismus zahlen müssen – denn in diesem System hat Menschlichkeit leider keinen Platz.
Unsere Autor*innen erzählen Geschichten von Aufstieg und Abstieg, reimen Gedichte von Kaufrausch und Konsumkritik, teilen Gedanken von Existenzangst und Klassenkampf. Dieser Sammelband dreht sich um Geld, das man (nicht) besitzt. Um Kapital, das vererbt, aber nicht verdient wird. Um Jobs, die auslaugen, und Care-Arbeit, die niemand bezahlt. Um Besitz, der trennt und prägt. Um Klassenunterschiede und um das Gefühl, am Ende des Monats weniger wert zu sein, obwohl man sich doch so sehr anstrengt. Es geht in diesem Buch um Armut, die nicht nur ökonomisch ist, sondern auch sozial, emotional und existenziell. Und um Reichtum, der ungebremst immer mannigfaltiger wird. Denn solange Armut als persönliches Scheitern gilt, Reichtum aber als Verdienst, stimmt etwas nicht mit der Geschichte, die wir uns selbst von der "Leistungsgesellschaft" erzählen.
"Kapital is’ Muss" ist weniger ein Märchen von Tellerwäschern und Millionärinnen, sondern mehr ein literarischer Aufstand gegen die Erzählung, dass alle ihr Glück selbst schmieden – und ein poetischer Blick auf die Risse im System. Dieses Buch liefert keine trockenen Theorieeinheiten für neoliberale Renditeenthusiasten, sondern bildet ein literarisches Panoptikum unserer Gegenwart, in der das Geld nicht nur die Welt regiert, sondern auch unsere Beziehungen, Identitäten, Sprachen, Selbstbilder und Träume. Die einzelnen Texte unserer Autor*innen sind mal poetisch, mal politisch, mal lyrisch, mal prosaisch, mal sanft, mal bitterböse, mal satirisch, mal klug – aber immer mit Haltung, gerne unbequem und stets zutiefst menschlich
Dieses Buch ist ein Schlagloch im Hochglanzasphalt, ein poetischer Gegenentwurf zur neoliberalen Erzählung. Eine Einladung zum Nach-denken, zum Umdenken, vielleicht sogar zum Andersmachen. Ein stiller Protest auf literarischen Barrikaden gegen ein System, das inhärent ungerecht, unsolidarisch und menschenfeindlich ist. Widerstand beginnt nicht immer auf der Straße – manchmal fängt er in einem Satz an. Denn wenn Kapital ein Muss ist, dann ist Kritik erst recht eines.
Die Autor*innen des Sammelbands:
Mbayo Bona | Sylvia Brunner | Jonas Elpelt | Ansgar Hufnagel | Marcel Ifland | Michael Jakob | Helen Jakubowski | Richard König | Steffi Neumann | Joël Perrin | Elias Raatz | Christian Rechholz | Samuel Richner | Philipp Scharrenberg | Jacqueline Schauer | Adrian Scholz | Marina Sigl | Theresa Sperling | Klaus Urban | Daniel Wagner | Leo Weindl | Katharina Wenty | Emm Weyrauch
Inhaltsverzeichnis:
• Wunderkerzen (Marina Sigl)
• Signorina (Marina Sigl)
• Wer wird Millionär? (Daniel Wagner)
• Glut (Theresa Sperling)
• Wege, arm zu bleiben (Michael Jakob)
• König der Straßen (Michael Jakob)
• Raubtiere tragen heute Krawatte (Elias Raatz)
• Janis Joplin wünscht ich einen Mercedes (Helen Jakubowski)
• Armtum oder Reichmut? (Klaus Urban)
• Rote Weihnachten (Emm Weyrauch)
• Ein Biber namens Justin (Marcel Ifland)
• Straßenduft und Kerzenlicht (Leo Weindl)
• Ein Gedanke namens Anke (Jonas Elpelt)
• Ich bin nach New York gezogen (Mbayo Bona)
• Die reichste Ballerina der Welt (Jacqueline Schauer)
• Das Steißbein geht an die Schwaben (Richard König & Elias Raatz)
• Die Ballade von der Made (Philipp Scharrenberg)
• Aktivkohle (Christian Rechholz)
• Kerzenschein und Dosenravioli (Steffi Neumann)
• Real Situation (Ansgar Hufnagel)
• Am Rande der Gesellschaft (Adrian Scholz)
• Das Aussterben des Armmuts (Michael Goehre)
• Die Quelle (Samuel Richner)
• Mehr Raum in der Welt (Katharina Wenty)
• Glücksjäger (Joël Perrin)
• Armut ist (Sylvia Brunner)
Über den Verlag:
Beim Dichterwettstreit deluxe dreht sich alles rund um Poetry Slam: hier haben einige der renommiertesten Bühnenpoet*innen des deutschsprachigen Raumes ihr literarisches Zuhause. Vom Poetry Slam Buch über Gedichtsammlungen bis hin zu diversen Anthologien voller Poetry Slam Texte ist der Dichterwettstreit deluxe leidenschaftlicher Poetry Slam Verlag aus der Szene. Entdecke in unserem Programm spannende Poetry Slam Bücher aus Liebe zur Literatur - überall zu finden, wo es Bücher gibt, oder unter www.dichterwettstreit-deluxe.de
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 150
Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhalt
Herausgeber
Vorwort: Raubtiere tragen heute Krawatte (Elias Raatz)
Wunderkerzen (Marina Sigl)
Bonustext: Signorina (Marina Sigl)
Wer wird Millionär? (Daniel Wagner)
Glut (Theresa Sperling)
Wege, arm zu bleiben (Michael Jakob)
König der Straßen (Michael Jakob)
Janis Joplin wünscht ich einen Mercedes (Helen Jakubowski)
Armtum oder Reichmut? (Klaus Urban)
Rote Weihnachten (Emm Weyrauch)
Ein Biber namens Justin (Marcel Ifland)
Ein Gedanke namens Anke (Jonas Elpelt)
Straßenduft und Kerzenlicht (Leo Weindl)
Ich bin nach New York gezogen (Mbayo Bona)
Die reichste Ballerina der Welt (Jacqueline Schauer)
Die Ballade von der Made (Philipp Scharrenberg)
Das Steißbein geht an die Schwaben (Richard König & Elias Raatz)
Kerzenschein und Dosenravioli (Steffi Neumann)
Aktivkohle (Christian Rechholz)
Real Situation (Ansgar Hufnagel)
Am Rande der Gesellschaft (Adrian Scholz)
Die Quelle (Samuel Richner)
Mehr Raum in der Welt (Katharina Wenty)
Das Aussterben des Armmuts (Michael Goehre)
Glücksjäger (Joël Perrin)
Armut ist (Sylvia Brunner)
10+1 Gedanken zum Raubtierkapitalismus (Elias Raatz)
Quellenangaben für verwendete Bilder
Dichterwettstreit deluxe Buchempfehlungen
Herausgeber
© 2025 Dichterwettstreit deluxe
Villingen-Schwenningen/Tübingen
www.dichterwettstreit-deluxe.de/impressum
Hrsg.: Michael Jakob & Elias Raatz
Illustrationen auf dem Cover: Barbara Gerlach
Satz & Lektorat: Elias Raatz & Annika Siewert
Design: Hubert Baumann, T-Sign Werbeagentur
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Dieses Buch wurde zu 100 % von Menschen erstellt.
Es kam keine generative KI zum Einsatz.
ISBN Druckausgabe: 978-3-98809-042-3
ISBN E-Book: 978-3-98809-043-0
www.dichterwettstreit-deluxe.de
Herausgegeben von
Michael Jakob
Michael Jakob (*1978) wurde in Ansbach geboren und zählte in seiner aktiven Slam-Zeit (2003–2011) zu den erfolgreichsten Slam Poeten des Landes. Der Kabarettist und Moderator wurde u.a. zweimal in Folge fränkischer Poetry Slam-Meister und gewann diverse Kultur- sowie Kabarettpreise. Mehr auf Seite 38.
Mehr unter: www.michaeljakob.de & @jakobmichl
Elias Raatz
Elias Raatz (*1997) ist ein kreativer Allrounder und teilt schon seit 2012 mit dem Publikum seine Leidenschaft, die großen wie kleinen Dinge des Lebens durchzudiskutieren. Mittlerweile ist er als Moderator, Autor, Journalist sowie Kulturmanager bekannt und mit Sympathie, Herzblut und Passion regelmäßig Gastgeber unterhaltsamer Kleinkunst-Shows. Er gibt Poetry-Anthologien wie diese heraus und publiziert diverse journalistische Texte, Sachbücher und literarische Stücke wie u.a. 2025 seinen Debütroman „Das Köttbullar-Desaster“. In seinem künstlerischen Schaffen liebt er geschmunzelt-frönenden Eskapismus, wobei er sich zuweilen in den Höhen und Tiefen seiner Weltsicht verliert, denen er sich ebenso polemisch wie analysierend entgegenstellt. Elias Raatz lebt in Tübingen, wo er Medienwissenschaft sowie Germanistik studierte.
Mehr unter: www.elias-raatz.de & @eliasraatz
Vorwort zu „Kapital is’ Muss“: Raubtiere tragen heute Krawatte
Von Elias Raatz
Geld regiert die Welt, sagen die einen.
Geld zerstört sie, behaupten die anderen.
Und irgendwo dazwischen jonglieren wir alle tagtäglich mit Kontoständen, Klassenfragen und Kapitalismus-Kater.
Willkommen in einem System, das gleichzeitig Motor und Moloch ist – ein Hochhaus aus Gold mit einem Fundament aus Schulden. Wo Reichtum bewundert wird, solange man ihn nicht hinterfragt. Wo Armut individualisiert wird, obwohl sie strukturell ist. Wo Gleichheit versprochen, aber Eigentum geschützt wird. Der Kapitalismus scheint zum unstillbar gefräßigen Raubtier entartet, das uns und sich selbst langsam auffrisst.
In „Kapital is’ Muss“ sind kluge, wütende, zärtliche und messerscharfe Stimmen versammelt, die sich alle auf ihre ganz eigene Weise mit Armut, Reichtum und den absurden Auswüchsen des Kapitalismus beschäftigen. Mit einem Wirtschaftssystem, das Gewinne maximiert und Menschen marginalisiert. Dieses Buch versucht, das Unsichtbare sichtbar zu machen: die Macht des Marktes, die Lücken im System und den Preis, den wir alle im Raubtierkapitalismus zahlen müssen – denn in diesem System hat Menschlichkeit leider keinen Platz.
Unsere Autor*innen erzählen Geschichten von Aufstieg und Abstieg, reimen Gedichte von Kaufrausch und Konsumkritik, teilen Gedanken von Existenzangst und Klassenkampf. Dieser Sammelband dreht sich um Geld, das man (nicht) besitzt. Um Kapital, das vererbt, aber nicht verdient wird. Um Jobs, die auslaugen, und Care-Arbeit, die niemand bezahlt. Um Besitz, der trennt und prägt. Um Klassenunterschiede und um das Gefühl, am Ende des Monats weniger wert zu sein, obwohl man sich doch so sehr anstrengt.
Es geht in diesem Buch um Armut, die nicht nur ökonomisch ist, sondern auch sozial, emotional und existenziell. Und um Reichtum, der ungebremst immer mannigfaltiger wird. Denn solange Armut als persönliches Scheitern gilt, Reichtum aber als Verdienst, stimmt etwas nicht mit der Geschichte, die wir uns selbst von der „Leistungsgesellschaft“ erzählen. Sich einzureden, alle könnten es „nach oben“ schaffen, erscheint ebenso unsinnig wie sich Glücksspiel schönzureden – im Casino könne man schließlich locker 2.000 Prozent des eigenen Einsatzes gewinnen, jedoch nur 100 Prozent davon verlieren. Rendite vorprogrammiert, simple Mathematik.
„Kapital is’ Muss“ ist weniger ein Märchen von Tellerwäschern und Millionärinnen, sondern mehr ein literarischer Aufstand gegen die Erzählung, dass alle ihr Glück selbst schmieden – und ein poetischer Blick auf die Risse im System. Dieses Buch liefert keine trockenen Theorieeinheiten für neoliberale Renditeenthusiasten, sondern bildet ein literarisches Panoptikum unserer Gegenwart, in der das Geld nicht nur die Welt regiert, sondern auch unsere Beziehungen, Identitäten, Sprachen, Selbstbilder und Träume. Die einzelnen Texte unserer Autor*innen sind mal poetisch, mal politisch, mal lyrisch, mal prosaisch, mal sanft, mal bitterböse, mal satirisch, mal klug – aber immer mit Haltung, gerne unbequem und stets zutiefst menschlich.
Lesen Sie dieses Buch nicht als Sammlung netter Geschichten, sondern als Schlagloch im Hochglanzasphalt. Als lyrischen Gegenentwurf zur neoliberalen Erzählung. Als Einladung zum Nachdenken, zum Umdenken, vielleicht sogar zum Andersmachen. Als stillen Protest mit literarischen Barrikaden gegen ein System, das inhärent ungerecht, unsolidarisch und menschenfeindlich ist. Widerstand beginnt nicht immer auf der Straße – manchmal fängt er in einem Satz an. Denn wenn Kapital ein Muss ist, dann ist Kritik erst recht eines.
Haben Sie eine gute Reise durch die nun folgenden Texte, die hoffentlich mehr zurücklassen als ein paar gute Zeilen fürs nächste Klassenkampfbingo. Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen und gute Unterhaltung. Bleiben Sie glücklich!
Ihr Elias Raatz
Marina Sigl
Marina Sigl wurde 1996 im Schwarzwald geboren und studierte Chemie und Deutsch an der Universität Konstanz. Im Januar 2018 stand sie das erste Mal auf einer Poetry Slam-Bühne. Seither kann sie auf über 300 Auftritte in ganz Deutschland zurückblicken und ist abseits der großen Bühnen auch als Hochzeitsrednerin tätig.
Ihre Slam-Texte spiegeln Alltägliches und Gesellschaftliches mit einem doppelten Augenzwinkern wider und führen auf humorvolle Art Missstände und persönliche Verfehlungen vor Augen. Mal lyrisch, mal lustig liefert sie eine originelle Perspektive auf die kleinen und großen Dinge des Lebens.
Mehr unter: @marina_sigl auf Instagram
Wunderkerzen
Von Marina Sigl
Denn wer weit oben fliegt, der weiß auch, dass er wieder fällt. Und wer abspringt und segelt, der musste zuerst den Berg nach oben klettern. Wir sehen so viele Menschen. So viele Gesichter. Und wir kennen so wenige Geschichten. Die Menschen, die am hellsten strahlen, sind auch diejenigen, die am leichtesten ausbrennen. Wie eine Wunderkerze, deren Helligkeit sich funkenschlagend in deine Netzhaut brennt – für einen kurzen, flüchtigen Moment.
Was ist dieses Leben,
wo ein Mensch den anderen nicht kennt?
Beide verwebt im Streben
nach Glück, das wir immer nur gedämmt
wie durch Watte in unseren Ohren hören.
Ein dumpfer Klang nach Kindheit,
nach Freiheit und Gelassenheit.
Und sich immer wieder schwören:
Noch die Woche und dann wird es entspannter.
Doch an den Händen schon verbrannter
Rest von Wunderkerzen,
die unbedacht dein Leben schwärzen.
Niemand, der so richtig weiß, wie es dir geht.
Denn es scheint so leicht, dein Kompass steht
zuverlässig auf Nord.
Und es weht ein kalter Wind die Asche fort.
Vater, Vater, warum bist du … ausgebrannt?
Jeden Morgen um 4:00 Uhr klingelt der Wecker für die Frühschicht. Er steht auf, darauf bedacht, seine Frau nicht zu wecken. Er steht auf, zieht ein altes, kariertes Hemd und eine Jeans mit Ölflecken an, die schon seit Jahren nicht mehr sauber werden. Seit 37 Jahren hat er denselben Beruf in derselben kleinen Firma im Nachbardorf. Krank ist er eigentlich nie, auch wenn er krank ist, weil es zu Weihnachten einen Fitness-Bonus für Mitarbeiter ohne Fehlzeiten gibt. Der Kompass steht auf Nord. Die Familie ernähren, das Geld nach Hause bringen, den Kindern erst die Schulzeit und dann das Studium finanzieren. Studium war für ihn nie eine Option. Und jetzt? Jetzt ist er müde.
Seine Tochter schreibt diese Zeilen. Ihr Kompass steht auf Nord. Er hat ihr alles ermöglicht, alles gegeben, was er konnte, und mehr.
Und jetzt arbeitet sie – jeden Tag – seine Perfektion als Maß. Versucht, zurückzugeben, gerecht zu werden, noch besser zu sein, aus Dankbarkeit. Krank ist sie eigentlich nie, auch wenn sie krank ist, weil du doch zumindest von zu Hause aus immer noch die ein oder andere Sache erledigen kannst – du brennst. Hell, wie eine Wunderkerze.
Du schreibst Texte und die Leute applaudieren,
aber dich zusammenstückeln,
das machst du ganz alleine.
Abends auf dem Sofa schreibst du Reime,
schreibst du Worte, die dich retten –
die dich retten sollen,
voll Wohlwollen und Zuversicht.
Und du probst, bis deine Stimme
nicht mehr bricht.
Ist es mutig? Ist es mutig, über so persönliche Dinge zu schreiben? Ist es mutig, zu sagen, es gibt Momente, in denen ich nicht mehr weiterweiß? In denen ich mich ausgebrannt fühle? Die Funken verflogen, die Wunder erloschen?
Oder ist es nicht viel eher nötig, das zu tun? Ist es nicht nötig, das zu sagen? Gibt es eine einzige Person unter euch, die nicht täglich an sich zweifelt? Müssen wir ihn nicht alle hören, den alten Reim: „Von Mut auf gut“?
Was ist dieses Leben, wo Schmerz Stärke gebiert?
Wo eine Narbe den Charakter ziert?
Wo wir alle Worte brauchen,
wenn wir wie Wunderkerzen rauchen,
wenn wir wissen, der Kompass steht auf Nord?
Und das muss er auch, damit ausgesorgt ist.
Worte, die uns sagen: Ab morgen wird es gut,
mach Wut zu Mut und bleib nur tapfer!
Du bist nicht allein,
denn insgeheim
zweifeln und scheitern und gehen wir alle
über unsere Grenzen. Und so ist das nun mal.
Aber Glück, Glück existiert.
Und das ist tröstlich.
Es ist nicht leicht zu finden, aber möglich.
Und es ist nötig, das zu wissen,
wenn wir Funken sprühen, dienstbeflissen.
Und es ist nötig, uns zu erinnern,
dass Nicht-Ausbrennen eine Option ist.
Bonustext: Signorina
Von Marina Sigl
Die Welt ist nicht klein.
Es sei denn, die Sonne scheint
bei euch nie über den Tellerrand
und Reisen ist für euch
nur Sandstrand und Hotel.
Einfach nur, um schnell
die Sommerbräune zu bekommen
beim Sonnen.
Und ausblenden, dass da
noch so viel mehr ist.
Guten Tag, ich bin Marina,
im Campingurlaub in Italien
nannten sie mich Signorina.
Meine Eltern sind Arbeiter.
Stehen niedrig
auf der Karriereleiter.
Ein Urlaub,
das heißt ein Jahr sparen.
Und gefahren
wird mit dem 13 Jahre alten Auto
möglichst über Straßen ohne Maut, so
dass an jedem Schalter
für den dortigen Kassier
ein kleines Trinkgeld übrig bleibt.
Was ich kenne von der Welt
ist dieses kleine Zelt
auf dem Campingplatz
am Mittelmeer,
der wirklich günstig war –
und trotzdem oft zu teuer.
An den Wänden meiner Freunde
hängen Landkarten.
Und bunt sind alle Länder,
zu denen sie schon Fahrten
unternommen haben.
Und ich?
Ja, ich würde gerne reisen.
Und du sagst,
das geht,
auch zu kleinen Preisen.
Der Flug nach Japan
kostet gerade nur 350 Euro,
es wäre nur vernünftig,
jetzt zu fliegen.
Sieben Tage Tokio
sind für mich 200 Stunden Arbeit, wo
ich für Mindestlohn lächle.
Guten Tag, ich bin Marina,
im Campingurlaub in Italien
nannten sie mich Signorina.
Ja, ich studiere.
Und ich jongliere
jeden Tag die Arbeit und die Uni,
während andere Leute
von Oma noch ’nen Hunni
für den Ballermann bekommen,
wo sie dann benommen
durch die Straßen schwanken
und es der Oma damit danken,
dass das Einzige,
was sie wirklich gesehen haben
der Inhalt ihres Magens
in der Toilettenschüssel ist.
Ich?
Ich habe keine reiche Oma,
ich war noch nie in Oklahoma,
oder sonst irgendwo.
Ich arbeite in der Gastro,
wische Tische,
bringe Essen,
unterdessen
bestellen meine Freunde
in Amerika gerade auch etwas.
Klar, ein paar Ferienjobs
und ich könnte auch
in Flipflops
und Sommerkleid
die Schönheit
Andalusiens genießen.
Wenn nicht klar wäre:
BAföG gibt’s nur für Regelstudienzeit
und das nimmt mir die Freiheit
für ein weiteres Semester,
für Budapester
Luft und ungarischen Volksmund.
Ich habe Sehnsucht
nach der Menschheit
und wie anders
sie schon unweit
von mir selbst ist.
Ich habe Sehnsucht
nach Farben,
nach Milliarden
verschiedener Kulturen
zwischen griechischen Skulpturen
und den Spuren
exotischer Tiere im Regenwald.
Und man versteht nicht, was ich meine,
wenn ich sag’, mir fehlt die Welt,
alle sagen nur das Eine:
Glück kommt nicht allein von Geld.
Doch von Geld kauft man sich Karten
für Flugzeug, Zug und Bus,
man kauft sich Orte und neue Worte,
gibt dem Leben einen Kuss.
Ohne Geld gibt’s keine Reise.
Ohne Geld gibt’s keine Welt.
Trotzdem sagt man mir öfters weise,
dass es mir hier doch auch gefällt.
Wozu denn in die Ferne schweifen?
Na, für ein bisschen Toleranz,
die Welt ein bisschen mehr begreifen,
für ein bisschen Akzeptanz.
Was wisst ihr schon über die Nation
in der ihr badet?
Jeden Tag nur im Hotel,
jeden Tag zum Abendbrot
nur Buffett und Béchamel.
Jeden Tag die Zimmernachbarn
aus demselben Dorf wie ihr.
Und man sagt:
„Was für ein Zufall, was macht
denn ihr gerade hier?“
Jeden Tag dieselbe Liege
auf demselben Sonnendach.
Jeden Tag an der Hotelbar
auf ’ne kleine Runde Schach.
Jeden Tag dieselbe Leier
und man fühlt sich wie zu Haus.
Und ich frag mich:
Wann geht es euch endlich auf?
Was ihr tut, geht auch zu Hause,
und da kostet’s nicht mal Geld.
Denn es liegt sicher nicht am Land,
dass es euch dort so gefällt.
Es ist dieselbe Prozedur
mit Nachbarn, Schach und Wein,
und keine Ahnung von Kultur,
dann bleib doch gleich daheim.
In die Ferne schweifen
für ein bisschen Toleranz,
die Welt ein bisschen mehr begreifen
für ein bisschen Akzeptanz,
ist ein Privileg, das ich nicht habe,
und ein Privileg, das ihr nicht schätzt.
Und ich glaube, was hier fehlt,
ist ein Mindestmaß Respekt.
Respekt vor dieser Erde,
vor allem, was sie hat.
Vom großen weiten Meer
bis zum kleinsten Blütenblatt.
Und ich will, bevor ich sterbe
noch so viel wie möglich sehen:
Tempel, Kirchen, Schreine
und die besten Kunstmuseen.
Ich will durch große Städte gehen
von Moment zu Augenblick.
Denn mein Leben wird vergehen
und denk ich daran zurück,
seh’ ich grüne weite Felder,
nicht die Felder auf dem Schach,
seh’ ich herbstlaubbunte Wälder,
statt demselben Sonnendach.
Guten Tag, ich bin Marina,
im Campingurlaub in Italien
nannten sie mich Signorina.
Und ich weiß es noch wie gestern,
auf diesem kleinen Platz am Meer
wurde meine Reiselust geboren
und sie gab mich nicht mehr her.
Sobald ich kann, werde ich gehen.
Und tschüss, dann bin ich weg.
Denn meine Welt behandle ich
mit dem Höchstmaß an Respekt.
Daniel Wagner
Der Bühnenpoet und Kabarettist Daniel Wagner stammt aus Lörrach bei Basel, lebt mittlerweile in Heidelberg, wo er 2007 zum ersten Mal die Poetry Slam-Bühne betrat. Seitdem ist er mehrfacher Landesmeister im Poetry Slam, zweifacher deutschsprachiger Vizemeister und hält den Rekord für die meisten Finaleinzüge (7) bei den jährlichen deutschsprachigen Meisterschaften. Daniel liebt unterhaltsame, schwarze, dunkle, bitterböse Satire genauso wie heiteren und fröhlichen Quatsch, serviert auf einem Silbentablett aus unerhörten Abschmunzlern und wahnsinnigen Wortjonglagen. Eine Massage für die Großraumrinde des Kleinhirns!
Mehr unter: www.danielwagner-poetryslam.de
Wer wird Millionär? oder: Massenvernichtungsmathe
Von Daniel Wagner
Ich war zu Schulzeiten nie besonders gut in Mathe, doch an eine Aufgabe kann ich mich noch sehr gut erinnern. Die lautete wie folgt:
„Wenn Jesus zu seiner Zeit einen Cent zu fünf Prozent Zinsen angelegt hätte, wie viel hätten er oder seine Nachfahren dann heute?“
Nun, man kann es ja ausrechnen: Nach 15 Jahren hat sich die Anlage bereits verdoppelt, es sind also schon zwei Cent, nach 150 Jahren bereits 100 Euro, nach 500 Jahren 39 Milliarden Euro und das Endergebnis lautet schließlich: circa 300 Millionen Trillionen Tonnen pures Gold.
Damit man sich das besser vorstellen kann, stand neben der Aufgabe, das entspräche ungefähr 50 Milliarden Erdkugeln aus Gold, und eben das war dann die Lösung. So einen Quatsch mussten wir zu Schulzeiten ausrechnen und dann wundern sich am Ende alle, dass die Deutschen wieder die absoluten PISA-Loser sind!
Ich habe diese Aufgabe zur Veranschaulichung einmal in fünf Teile untergliedert.
Teil 1: Jesus
Jesus hätte keinen Cent angelegt. Seien wir einmal ehrlich: Den „Cent“ gab es damals noch gar nicht. Also angenommen, er hätte die uralte Währung von damals – sagen wir: Einen Pfennig – angelegt, dann wären es schon mal nur halb so viele Erdkugeln. Außerdem schwankt der Goldwert ja auch beträchtlich und wenn es 50 Milliarden Erden aus Gold gäbe, dann wäre Gold ja ein Massenprodukt und gar nichts wert.
Aber der Jesus, der interessierte sich sicher nicht für Geldanlagen, denn wenn er hätte reich werden wollen, dann hätte er doch einfach selbstgemachten Wein verkauft – Zutaten: Wasser.
Geld war ihm bekanntlich überhaupt nicht wichtig, denn er musste damals weder überteuerte Weihnachtsgeschenke kaufen (er hat höchstens welche bekommen), noch das neueste iPhone. Das gab es damals auch noch nicht, sonst hätte man ihn vielleicht nicht gekreuzigt, sondern an ein iCross gehashtagged, yolo, lol! Ach nein, nicht yolo. Bei Jesus gilt: yolt (you only live twice!).
Aber gut, die Aufgabe sollte vielleicht einfach nur verdeutlichen, wie sich Geld dank Zins und Zinseszins vermehrt. Erst nur ganz langsam, aber irgendwann schlägt die Kurve plötzlich exponentiell scharf nach oben aus und geht am Ende fast senkrecht steil in den Himmel.
So ähnlich wie Jesus damals.
Teil 2: Geld
Wenn man einen Cent vergräbt und wartet, passiert nichts. Es wächst kein Pfennigbaum, weil sich Geld schließlich nicht einfach so vermehrt. Wer heutzutage exponentiell Geld vermehren will, muss schon ganz andere Dinge tun.
Am lukrativsten ist da der Handel mit Waffen! Denn je mehr Waffen hergestellt und in die Welt exportiert werden, desto mehr Kriege gibt’s, desto mehr Waffen werden wieder gebraucht, desto mehr Kriege gibt’s, desto mehr Waffen werden wieder gebraucht … Und die Profit-Kurve schlägt senkrecht steil nach oben aus. Gleiches gilt dann natürlich auch für die Kurve der Toten und Flüchtlinge. Aber das sind eben Kollateralschäden.
Scherzfrage: Was haben die Welt und ein Schreibmaschinenkurs gemeinsam?
Antwort: Circa 100 Anschläge pro Minute.
