Karl, das Kind ist weg! - Bettina Schuler - E-Book

Karl, das Kind ist weg! E-Book

Bettina Schuler

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Beschreibung

Eltern werden ist schon schwer, Eltern sein dann noch viel mehr – und dass dabei viel schiefgehen kann, liegt auf der Hand. Im ewigen Streben nach Perfektion kehren die meisten Mütter und Väter gern den ein oder anderen pädagogischen Aussetzer unter den Tisch. Fragt man aber doch einmal genauer nach ihren größten Fehltritten in der Erziehung, kommen haarsträubende Geschichten zum Vorschein: Kinder, die im Supermarkt verschütt gehen, oder übermüdete Eltern, die vergessen, wo sie das Neugeborene abgelegt haben. Und wenn man das erste Mal von seinen Kindern ausgetrickst wird, muss man einsehen, dass Familienleben nie perfekt, aber dafür schrecklich schön ist!

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Für Heike, die beste Mama der Welt.

Und Pola, das beste Kind der Welt

Prolog

Was haben wir uns in der Pubertät geärgert über diese peinlichen Eltern, die mit einer hundertprozentigen Treffsicherheit immer das Falsche gemacht haben. Die ausgerechnet dann, wenn wir den coolsten Typen der Schule trafen, uns in seiner Anwesenheit Mäuschen nannten. Was für einen 17-jährigen jungen Mann ungefähr so sexy wie eine Freundin mit Stützstrümpfen ist und uns natürlich für immer und bis in alle Ewigkeit bei ihm diskreditierte.

Wie oft haben wir uns geschworen, dass wir selbst nie im Leben so peinlich wie unsere Eltern werden, sondern stattdessen die coolsten und lockersten Eltern der Welt werden.

Ein Vorhaben, das wir glaubten selbst dann noch in die Tat umsetzen zu können, als wir selbst ein Kind bekamen. Doch nur weil das Kind am ersten Schultag statt eines Anzuges eine Lederjacke plus Chucks trägt, heißt das noch lange nicht, dass wir cooler sind als der Rest der Welt.

Ja, selbst das Schlagzeug, das wir der Tochter statt der obligatorischen Blockflöte zu Weihnachten geschenkt haben, macht uns noch lange nicht zu Brad Pitt und Angelina Jolie.

Es hilft auch nichts, den Kindern Iron Maiden statt Mozart vorzuspielen, um Coolness-Punkte bei ihnen zu sammeln. Die wollen doch sowieso nur One Direction hören! Denn ganz gleich, ob wir Turnschuhe, Jogginghose oder Twinset tragen, die Kinder finden uns sowieso nur eins: peinlich.

Was wir den anderen Eltern natürlich ebenso wenig erzählen wie die zahlreichen Missgeschicke, die uns bei der Aufzucht des Nachwuchses sonst noch so passieren. Denn wenn unsere Kinder uns schon nicht für die besten aller Eltern halten, dann sollen es doch zumindest die anderen Eltern glauben. Was dazu führt, dass alle Eltern denken, sie sind die einzigen, die in Sachen Kindererziehung komplett verkacken.

Doch ich kann Sie beruhigen. Die anderen  Eltern sind keinen Deut besser, konsequenter oder cooler als Sie. Wie solche oben angedeuteten Missgeschicke aussehen und warum unser Leben ohne sie um einige Anekdoten ärmer wäre, das können Sie in diesem Buch nachlesen. Denn hier berichten Alleinerziehende, Patchwork- und klassische Vater-Mutter-Kind-Familien hinter vorgehaltener Hand über ihre kleineren oder größeren Pannen in Sachen Kinderaufzucht.

KAPITEL 1 Hochmut. Die Frischlingseltern.

Sie haben alle Ratgeber gelesen, zwei Geburtsvorbereitungskurse plus ein Seminar für Hypnobirthing besucht und aus Angst davor, die Ratgeber-Profis könnten doch etwas ausgelassen haben, in ihrem Freundeskreis eine Studie über das Einschlaf- und Essverhalten von Neugeborenen durchgeführt. Ihr Kinderwagen hat bei allen Vergleichen die Bestnote erhalten und die Babyschale war so teuer wie ihr Verlobungsring.

Das Kinderzimmer ist selbstverständlich auch schon hergerichtet und der Kleiderschrank perfekt bestückt. Kurzum, Sie sind bestens vorbereitet. Auf alles?! Auf alles. Außer auf das Kind.

Denn ganz gleich, wie viele Bücher oder Zeitschriften Sie gelesen haben – Sie werden sich nie wieder so hilflos fühlen wie in dem Moment, in dem die Hebamme Ihnen dieses kleine, süße Wunder in die Arme legt.

Wie muss ich dieses zarte Köpfchen halten? Ist es gefährlich, wenn das Baby an meinem lackierten Fingernagel lutscht? Und wie zur Hölle soll ich dem Kind diese verdammte Hose anziehen, ohne ihm dabei alle Glieder zu brechen? Verrückt? Unfähig? Als Mama völlig gescheitert? Nein, ganz normale Fragen, die sich am Anfang fast alle Eltern stellen. Und noch viele, viele mehr …

KACK DIE KOKOSNUSS!

Bettina, 39 Jahre alt. Hat sich vorgenommen, beim nächsten Kind direkt eine PDA zu nehmen. Oder so lange bis zum nächsten Kind zu warten, bis Männer schwanger werden können.

Die Schwangerschaft ist für jede Frau die längste Geduldsprobe ihres Lebens. Insbesondere, wenn man so ungeduldig ist wie ich und lieber heute als morgen diesen dicken Bauch loswerden will, weil man a) sich nicht mehr vorstellen kann, jemals wieder in eine stinknormale Jeans zu passen, und b) endlich wieder seine Schuhe allein zubinden will.

Natürlich hat sich deshalb auch mein Kind bei der Geburt besonders viel Zeit gelassen und ist nicht zwei Monate zu früh, sondern zehn Tage zu spät auf die Welt gekommen. Was im Nachhinein – ich sage nur 1. Januar 2007, Stichtag Elterngeld! – auch einige Vorteile hatte. Aber viel entscheidender war, dass meine Tochter sich als Geburtstermin ausgerechnet die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ausgesucht hatte. Was dazu führte, dass mein Mann und ich nicht wussten, ob wir einen Weihnachtsbaum kaufen, Essen planen oder eine Einladung zu Silvester annehmen oder uns doch für die gemütliche Feiertagsvariante mit den Sopranos auf dem Sofa entscheiden sollten.

Irgendwann, am 30. Dezember, nachdem sich laut meiner Hebamme noch nichts, aber auch wirklich gar nichts geregt hatte, beschlossen mein Mann und ich, um keinen Lagerkoller zu bekommen, einen Freund zum Essen einzuladen. Eine nette Idee, der ein netter Abend folgte. Und insbesondere mein Mann war sehr froh, dass er endlich mal wieder mit jemandem ein Glas Wein trinken konnte, da ich mich während der Feiertage natürlich nur mit Wasser und Apfelschorle abgefüllt hatte.

Gegen zwölf Uhr ging ich ins Bett. Was für eine Schwangere ungefähr mit drei Uhr morgens vergleichbar ist. Denn Schwangere – ich sage es allen, die es noch nicht hinter sich haben, sehr ungern, aber leider ist es so – sind eigentlich immer und überall müde. Ein Zustand, der erst mit dem Auszug des Kindes beendet wird. Zumindest solange es keinen Liebeskummer oder andere Krisen hat, die es bis drei Uhr morgens am Telefon zu besprechen gibt.

Doch zurück zu mir und meinem Bett, in dem ich eingekuschelt lag und meinem Mann und seinem Freund bei einer angeregten Unterhaltung zuhörte. Da spürte ich plötzlich ein leichtes Zucken. Nicht im Bauch, sondern hinten im Rücken. Okay, das konnten noch keine Wehen sein. Also schloss ich meine Augen und versuchte, mich mit einem Mantra zu entspannen. Was mir, da ich mich leider nicht mehr so genau an das Mantra aus dem Pränatal-Yoga erinnern konnte, nur mittelmäßig gut gelang.

Ich war wohl eingenickt. Doch da war er schon wieder, dieser undefinierbare Schmerz. Jetzt schon deutlich stärker als beim ersten Mal. Ob ein Nerv eingeklemmt war … oder war es doch, eventuell, ganz vielleicht eine klitzekleine Wehe?

Im Flur hörte ich, wie mein Mann sich geräuschvoll von seinem Freund verabschiedete und die Tür ins Schloss fiel. Sollte ich etwas sagen? Oder bildete ich mir das alles nur ein?

Da kam mein Mann auch schon um die Ecke ins Schlafzimmer.

»Boah«, sagte er und gähnte ausgiebig, »jetzt bin ich aber ganz schön müde.«

»Du …«, setzte ich an, während er schon begann, sich sein Hemd auszuziehen. »Ich glaube, es geht los.«

Entsetzt starrte er mich an.

»Jetzt?«

Genervt verdrehte ich die Augen.

»Nein, in zwei Jahren. Natürlich jetzt, wann denn sonst!« Es war doch klar, dass das Kind jetzt langsam kommen würde.

»Ja, aber«, stotterte mein Mann entgeistert. »Ich … ich hab doch was getrunken.«

Erbost wollte ich gerade etwas antworten, als mich der nächste Schmerz – oder doch eine Wehe? – bremste.

»Scheiße, tut das weh«, brachte ich gerade noch heraus. »Kannst du mir vielleicht ein Bad einlassen?«, bat ich ihn.

»Jetzt?«, fragte er. Schon wieder.

Sag mal, hatten die ihm komplett ins Gehirn geschissen?

»Natürlich jetzt!«, sagte ich und versuchte, im Bett irgend- eine bequeme Position einzunehmen, was anscheinend unmöglich war, da plötzlich irgendwie überall alles höllisch schmerzte.

»Okay … okay …«, antwortete mein Mann und rührte sich nicht vom Fleck.

Eindringlich schaute ich ihn an. Er schaute eindringlich zurück.

Eindringlich schaute ich ihn an. Er schaute eindringlich zurück.

»Okay, alles klar, wird gemacht«, sagte er und ging los. Offensichtlich gehörte er doch noch zu den Lebenden.

Ich hörte, wie er das Wasser einließ.

»Und bitte nicht zu kalt, ja?«, rief ich ihm hinterher, hievte mich schwerfällig auf und kramte in meiner Handtasche nach meinem Handy. Denn nun galt es nur eins: so schnell wie möglich meine Hebamme anzurufen. Immerhin war sie der Profi. Okay, sie hatte mir auch so einiges über die Geburt erklärt. Äh, wie war das noch mal gleich gewesen … Man sollte nach der ersten Wehe so schnell wie möglich ins Krankenhaus fahren oder am besten gleich einen Krankenwagen rufen? Und das Wichtigste war: Immer schön viel essen und trinken, damit man auch bei Kräften bleibt? Oder sollte man sich doch den Finger in den Hals stecken und kotzen? Ach, was wusste ich denn. Wofür war die Hebamme da. Nervös suchte ich in meinem Kontakt nach ihrer Telefonnummer. Sie hatte ja gesagt, ich dürfte sie zu jeder Uhrzeit anrufen … Da war sie auch schon: Sonja, genau, ja, so hieß meine Hebamme, da erklang auch schon das Freisignal. Endlos lang, wie mir schien.

»Ja, hallo?«, meldete sich eine verschlafene Stimme.

»Sonja?«, fragte ich vorsichtig.

»Äh, ja?«, hörte ich sie noch antworten, da zog es auch schon wieder unerträglich im Rücken.

»Aaahhh«, schrie ich. Dieses Mal konnte ich nicht mehr an mich halten.

»Hallo? Alles in Ordnung?«, fragte meine Gesprächspartnerin immer noch leicht verschlafen.

»Ja, ja, alles klar«, presste ich so entspannt wie möglich hervor. »Sind nur die Wehen.«

»O-ka-y«, gab diese zurück. »Und du rufst bei mir an, weil …« Sie schien etwas verwirrt, dabei dürfte ich ja nicht die erste Schwangere sein, die sie nachts aus den Federn klingelte. Immerhin war das ihr Job!

»Na«, antwortete ich schon wieder einigermaßen entspannt, »ich dachte, ich soll dich anrufen, wenn es losgeht.«

»Mich?«, erwiderte die Frau am anderen Ende konsterniert.

»Ja«, gab ich leicht verärgert zurück, »wen denn sonst, den Papst? Immerhin bist du doch die Hebamme«, fügte ich noch hinzu.

»Ich bin was?« Jetzt schien die Frau hellwach zu sein. Aber immer noch schwer von Begriff.

»Du erinnerst dich vielleicht, Vorsorgeuntersuchungen, Geburtsbetreuung, Babypflege und der ganze Mist«, wurde ich langsam richtig wütend.

»Sorry«, sagte meine Hebamme, »aber ich bin Schauspielerin.«

Himmelherrgottnochmal, wen hatte ich denn da angerufen? Sonja, Sonja … Langsam begann es zu rattern. Verdammte Scheiße! Ich hatte aus Versehen die Schauspielerin angerufen, die ich auf dem letzten Theaterfestival interviewt hatte. Gab es eigentlich etwas Peinlicheres?

»Aaahh!« … und da kamen sie schon wieder, die Schmerzen.

»Alles klar bei dir?«, fragte Frau Schauspielerin vorsichtig, während ich mich mit dem Handy in der Hand im Bett krümmte.

»Ja, alles sch-sch-spitze«, nuschelte ich unter größter Anstrengung, während ich mir schmerzverzerrt mein Steißbein rieb. »Ich muss jetzt mal Schluss machen«, sagte ich schnell noch. Vor Fremden zu schreien, war eigentlich nicht so mein Ding.

»Hey, ja dann, alles Gute … Ich drück die Daumen. Wird bestimmt schön werden«, erwiderte sie aufmunternd.

So schön wie eine Darmspiegelung ohne Sedierung.

»Danke«, erwiderte ich und war gerade dabei aufzulegen.

»Wie heißt du eigentlich?«, hörte ich sie da mit halbem Ohr noch fragen.

»Bet-tin-aaa«, antwortete ich schmerzverzerrt.

»Dann alles Gute dir, Bettina, ich denk an dich.« Und schon war sie weg. Angestrengt suchte ich in meinem Handy nach der richtigen Sonja, die – natürlich – nicht unter ihrem Namen, sondern unter »Hebamme« abgespeichert war.

»Hallo?«, meldete sich ihre verschlafene Stimme, als ich sie endlich erreicht hatte.

»Sonja! Endlich! Ich glaube, es geht los … oder auch nicht, ich habe ja keine Ahnung, es tut weh, aber irgendwie auch noch nicht so doll … also so doll, wie alle immer erzählen …«

»Moment, Moment«, unterbrach Sonja meinen Redefluss. »Mit wem spreche ich denn überhaupt?«

Das konnte ja wohl nicht wahr sein. Wie konnte meine Hebamme denn nicht wissen, dass ich, ihre Schwangere, am Telefon war?

»Äh, Bettina«, antwortete ich jetzt schon zum zweiten Mal in einer Minute.

»Ach, du bist es«, antwortete sie lachend. »Sorry, aber momentan werfen alle wie bescheuert.«

Werfen? Ich war doch kein Hund? Und wer waren alle? Ich dachte, es gäbe nur mich!

»Also«, fuhr sie fort, »magst du mir alles noch mal ganz in Ruhe erzählen? Seit wann kommen denn die Wehen? Und wie viel Abstand liegt zwischen ihnen?«

Ja, verdammte Scheiße, woher sollte ich das denn wissen, immerhin war sie doch die Hebamme und nicht ich.

»Ich … ich hab keine Ahnung«, sagte ich und fühlte mich mal wieder komplett unzulänglich. Ich dachte, um so etwas kümmerte die sich und nicht ich.

»Seit … hm, vielleicht einer Stunde?«

Ich hörte ihr Lachen am anderen Ende der Leitung.

»Na, dann musst du ja noch lange nicht ins Krankenhaus.«

»Ja, aber«, versuchte ich einzuwenden, »nicht dass es hier im Wohnzimmer gleich kommt.«

Meine Hebamme begann schallend zu lachen.

»So schnell geht’s nicht, sorry. Ruf mich an, wenn die Wehen alle zehn Minuten kommen, dann sprechen wir weiter. Ich geh jetzt noch mal ins Bett.«

Und schon war sie weg.

Bitte was? Ich lag hier und litt die Schmerzen meines Lebens und meine Hebamme dachte an ihr Bett? Ich meine: Hallo? War die nicht dafür da, mich jetzt durch diese ganze Sache zu coachen? Apropos Coaching, wo war eigentlich mein Mann geblieben? Sollte der mir jetzt nicht tatkräftig zur Seite stehen? Wie es sich eben für einen guten Ehemann ziemt?

»Peter?«, rief ich ungeduldig. »Was ist aus meiner Badewanne geworden?« Ich hörte es immer noch plätschern. War die nicht schon längst übergelaufen?

Schwerfällig begab ich mich ins Badezimmer und wollte meinen Augen nicht trauen. Neben der Badewanne, eingekuschelt in ein Badelaken, lag mein Mann und schnarchte, während das Wasser schon über den Rand lief.

»Geht’s noch?«, schrie ich wütend.

Sofort schreckte mein Mann auf.

»Was … was … was ist passiert?«

»Ich bekomme ein Kind!«, keifte ich ihn an und drehte das Wasser ab. »Schon vergessen?«, zickte ich weiter.

»Ich … ich bin wohl eingeschlafen«, murmelte mein Mann und fuhr sich verstört durch sein wirres Haar. »Ist ja auch mitten in der Nacht«, versuchte er sich doch tatsächlich herauszureden.

»Das ist dem Kind aber scheißegal!«, gab ich zur Antwort, zog umständlich meinen Schlafanzug aus und glitt endlich in die Wanne. Ah, tat das gut! Und wie leicht sich der Körper anfühlte, hier unter diesem ganzen Wasser. Ich seufzte zufrieden. Mein Mann indes saß immer noch wie ein Häufchen Elend auf dem Boden unseres Badezimmers.

Manchmal frage ich mich, ob Männer sich auch nur ansatzweise vorstellen können, wie es ist, schwanger zu sein. Dass die Menschheit aussterben würde, bekämen Männer die Kinder, das ist ja sowieso unbestritten. Aber dass sie noch nicht mal wissen, dass man sich, wenn ihre Frauen mit ihrem Kind in den Wehen liegen, wie ein Gentleman um sie kümmert, sie hegt und pflegt und sie nach Strich und Faden verwöhnt, das kann ja wohl einfach nicht wahr sein.

Das meinige Exemplar schien in jedem Fall vollauf mit sich, seiner Müdigkeit und dem viel zu hohen Alkoholkonsum beschäftigt zu sein. Weshalb er auch nach einer langen Pause als Erstes zu mir sagte: »Ich mach mir mal ’nen Kaffee!«

Stöhnend stand er auf, als hätte er die Wehen, und wollte gerade in Richtung Küche schlurfen, da sagte ich patzig, mehr, um ihn zu ärgern, als dass es mir wirklich nötig schien: »Ich will ein Eis!«

Ein erstaunter Blick meines Mannes folgte.

»Ein Hörncheneis. Schoko. Und komm mir nicht mit so einem Billig-Scheiß!«

»Äh … Es ist drei Uhr nachts …«, gab er zu bedenken.

»Ja und?«, schnauzte ich ihn an. »Dann fahr halt zur Tankstelle, zum Späti, was weiß ich …«

»Äh«, erwiderte mein Mann und schaute betreten zu seinen Füßen, »ich hab doch getrunken!«

Sag mal, geht’s noch?

»Dann nimm verdammt noch mal das Fahrrad!«, zischte ich ihn an und tauchte unters Wasser, um für einen Moment zumindest meine Ruhe vor diesem unerträglichen Exemplar der männlichen Spezies zu haben. Meine Mutter hatte recht, Männer waren einfach unglaublich schwer von Begriff. Alles muss man ihnen dreimal sagen, dachte ich und tauchte langsam wieder auf. Da stand er noch immer. Unbeweglich und ungläubig. Sag mal …

»Was ist bitte schön an dem Wunsch Eis so schwer zu kapieren?«, ranzte ich ihn an.

»Ich geh ja schon«, murmelte er zurück und bewegte sich wie in Zeitlupe aus dem Bad und es dauerte gefühlte Stunden, bis ich hörte, dass die Tür ins Schloss gefallen war. Da kam auch schon wieder dieses verdammte Stechen. Mist, vielleicht hätte ich ihn doch nicht gehen lassen sollen. Was, wenn das Kind jetzt gleich und hier käme, in der Badewanne? Dann wäre ich komplett aufgeschmissen. Ich stöhnte noch ein bisschen, mal laut, selten leise, und hievte mich dann mit letzter Kraft aus dem Wasser. Ich betrachtete meinen gigantischen Bauch, dank dessen ich von meinen Füßen nur noch die Zehenspitzen sehen konnte. Doch vielleicht war das auch gar nicht so schlecht, denn dank der Wassereinlagerungen sahen meine Füße aus wie Frodo Beutlins in XXL. Ob das jemals wieder weggehen würde? So richtig konnte ich mir das nicht mehr vorstellen. Ebenso wenig wie dass dieses gigantische Teil unterhalb meines Busens, das sich gerade wieder ordentlich regte, bald schon hier bei uns sein würde. Sanft streichelte ich über meinen Bauch. Langsam wich die Angst der Freude. Denn bald schon würde ich es sehen, dieses kleine Wesen … Doch vorher galt es noch, dieses kleine Hindernis Geburt hinter sich zu bringen. Bei dem Gedanken daran, dass sich das Baby seinen Weg an meinem Popoloch vorbei durch das Becken bahnen würde, wurde mir gleich schon wieder ganz anders. Wie hatte meine Yogalehrerin doch immer so schön gesagt? Ein Kind zu bekommen, fühlt sich an, als kacke man eine Kokosnuss. Dabei hasste ich doch Kokosnüsse. Und wo blieb eigentlich mein Mann? Es kann doch nicht so schwer sein, ein Eis zu besorgen. Angestrengt trocknete ich mich ab und griff nach meinem Schlafanzug, der leider dank des nassen Badezimmerbodens komplett durchgeweicht war! Genervt ging ich ins Schlafzimmer, griff nach meiner ausgeleierten Jogginghose und einem meiner tausend gestreiften T-Shirts. Dann legte ich mich zurück ins Bett und wartete … und wartete. Eine gefühlte Ewigkeit. Endlich hörte ich den Schlüssel im Schloss.

Was, wenn das Kind jetzt gleich und hier käme, in der Badewanne?

»Ich wollte schon eine Vermisstenanzeige aufgeben«, rief ich meinem Mann entgegen, der langsam ins Schlafzimmer geschlurft kam.

»War gar nicht so leicht, was zu finden«, sagte er und hielt mir eine Auswahl von drei Eishörnchen entgegen. »Welches hätten Sie denn gern?«, fragte er, schon etwas besser gelaunt.

Wahllos griff ich nach einem Eis und schaute enttäuscht.

»Die Spitze ist kaputt!«, sagte ich und hielt es ihm entgegen. »Das will ich nicht.«

»Bitte?«, erkundigte sich mein Mann, während er sich die Jacke auszog.

War der blöd? Redete ich Chinesisch? Also noch mal von vorn.

»Die Schokospitze ist kaputt. Ich hasse das. So esse ich das Eis nicht.«

»Aber …« Mein Mann schien es immer noch nicht zu kapieren. »… das schmeckt man doch gar nicht!«

»Nein«, zischte ich ihm zu, »aber die kalte, harte Schoko­spitze am Ende ist das Beste an dem ganzen Eis und ich hasse es, wenn sie nur noch aus abgebrochenen Krümeln besteht.«

»Okay, okay«, versuchte mich mein Mann zu besänftigen und gab mir eines der beiden anderen. »Ist dieses denn genehm?«

Ich knurrte irgendetwas Unverständliches vor mich hin, nahm das Eis und aß es mit einem Happs auf. Dann ging es schon wieder von vorn los.

Mein Mann schaute mich an, als würde ich gleich sterben. »Okay, wir fahren sofort ins Krankenhaus!«

Immerhin schien mein Mann endlich wach zu sein. Ob mir das so recht war, konnte ich noch nicht sagen. Hektisch griff ich nach meiner gepackten Krankenhaustasche.

»Meine Haare sind doch noch komplett nass«, warf ich kurz ein.

»Dann zieh dir halt eine Mütze auf«, erwiderte mein Mann, der es ganz plötzlich eilig zu haben schien. Gerade eben noch wollte er sich lieber hinlegen … Männer soll mal einer verstehen.

»Nee«, gab ich trotzig zurück, »ich föhne mir die jetzt noch.« Da überkamen mich schon wieder diese unerträglichen Schmerzen. Dieses Mal waren sie so stark, dass ich stöhnend in die Hocke gehen musste.

»Auf keinen Fall!«, sagte mein Mann, während er mich anschaute, als sei ich ein Alien, bereit zum Angriff.

»Verdammte Scheiße, tu doch etwas!«

»Was denn?«, fragte er verzweifelt und begann, mir aus irgendeinem unerfindlichen Grund meinen Kopf zu streicheln, als wäre ich ein Kätzchen. Langsam ließ der Schmerz nach. Schwerfällig hievte ich mich auf und wie bei einer alten Frau griff mein Mann mir unterstützend unter die Arme.

»Geht’s wieder?«, fragte er sanft.

»Nein, verdammte Scheiße«, sagte ich und sah, wie er erschrocken zusammenzuckte.

»Aber … aber ich kann doch nichts dafür …!«, antwortete er entschuldigend.

»Wessen Sperma hat das denn angerichtet?«

Okay, das war jetzt unfair. Aber ich konnte auf die Gefühle anderer gerade keine Rücksicht nehmen.

Mein Mann schwieg sichtlich betroffen.

»Oder bezweifelst du das etwa?«, keifte ich weiter.

Was war bloß in mich gefahren? Mit Sicherheit waren das die Hormone. Anders konnte ich es mir nicht erklären.

»Natürlich nicht«, beteuerte mein Mann und nahm mir die Krankenhaustasche aus der Hand.

»Komm schon«, drängelte er, »lass uns losgehen.«

Ächzend schleppte ich mich weiter.

Gefühlte zehn Stunden und tatsächliche zehn Minuten später waren wir im Krankenhaus. Doch anstelle eines Rollstuhls, mit dem man mich schnurstracks in den Kreissaal fuhr wie in Grey’s Anatomy, erwartete mich dort eine muffelige Empfangsdame, die von mir erst mal die Krankenkassenkarte plus zig andere Auskünfte wollte, obwohl ich mich bereits vor Schmerzen auf dem Boden krümmte. Doch das schien sie nicht sonderlich zu interessieren.

»Entschuldigung, können wir das alles nicht später machen? Meine Frau hat Wehen, sehen Sie das nicht?«

Unbeeindruckt schaute die füllige Mittfünfzigerin unter ihrer Brille hindurch zu mir herunter.

»Dass ich nicht lache. Da warten Sie mal ab, wie laut sie am Schluss brüllt.«

Genau das wollte ich jetzt hören.

»Dass ich nicht lache. Da warten Sie mal ab, wie laut sie am Schluss brüllt.«

Meinem Mann schien die fehlende Sensibilität dieser Person ebenfalls die Sprache geraubt zu haben und er tat wie ihm geheißen und füllte ohne jeden weiteren Kommentar alle Formulare aus. Und als wir endlich im Kreissaal ankamen, waren wir vor Entsetzen immer noch völlig sprachlos ob dieser harschen Reaktion.

Dort erwartete uns jedoch – endlich! – ein Lichtblick in Gestalt einer jungen und freundlichen Hebamme, die uns erst mal die Hand entgegenstreckte.

»Hallo, ihr zwei, ich bin Lisa und kümmere mich ab jetzt um euch.«

Doch gerade, als ich ihren Händedruck erwidern wollte, überkam mich wieder dieser Schmerz.

»Na, das sieht ja schon gut aus«, kommentierte sie das Geschehen und griff mir unter die Arme.

»Gut?«, stöhnte ich. »Das ist die größte Scheiße, die ich jemals erlebt habe.«

»Am besten, wir versuchen, deine Schmerzen jetzt ein wenig zu lindern«, erwiderte Lisa sachlich.

Musik in meinen Ohren.

Sanft setzte sie mich auf einen dieser schrecklichen Gymnastikbälle, die auch jeden gesunden Menschen sofort todkrank aussehen lassen. Doch obwohl ich ergodynamische Möbel jedweder Art verabscheue, entwickelte ich zu diesem blauen Ball schnell eine sehr innige Beziehung. Denn es fühlte sich einfach so verdammt viel besser an, wenn man sich auf ihm hin- und herbewegte.

Mein Mann stand da, sagte nichts und starrte an die Wand. Er schien einen regen inneren Dialog mit der Wand zu führen.

»Hey, willst du dich vielleicht auch mal einbringen?«, wagte ich ihn zu fragen.

Und da kam er schon wieder, dieser Scheißschmerz.

»Immer schön ein- und ausatmen«, sagte meine Hebamme und hielt mir die Hand, während ich auf dem Ball hin- und her­­wippte.

»Lass uns doch mal in die Hochstellung gehen«, schlug sie mir vor und begann bereits, mich gegen meinen Willen von dem Ball zu ziehen.

»Kann ich nicht doch noch einen Kaiserschnitt haben?«, fragte ich meine Hebamme, die mich daraufhin milde anlächelte. »PDA?«, fragte ich hoffnungsvoll weiter.

»Ja, kannst du später haben«, antwortete sie beruhigend. »Es hat doch gerade erst angefangen.«

Da gab es einen lauten Rumms. Meine Hebamme und ich schauten erschrocken. Noch bevor ich mich umsah, ahnte ich schon, was geschehen war. Mein Mann, der schon die ganze Zeit leichenbleich gewesen war, lag wie ein gefällter Baum auf dem Boden.

Ich stöhnte. Meine Hebamme fühlte seinen Puls und stellte fest: »War wohl der Kreislauf. Oder der Stress.«

Dabei war ich es doch, die hier auf dem Boden herumkroch und sich fühlte, als würde ihr kompletter Unterleib bersten.

»Einfach liegen lassen«, forderte ich sie auf. Noch nicht einmal in solch einem Moment konnte dieser Depp sich ein bisschen zurücknehmen.

Doch meine Hebamme war schon dabei, meinen Mann in die stabile Seitenlage zu bringen. Sie schaute zu mir herüber und sagte lächelnd: »Die Männer sind immer fertiger mit den Nerven als die Frauen.«

Ach ja, unser starkes Geschlecht. Dabei war noch nicht einmal Blut geflossen.

»Du solltest dir überlegen, ob du ihn wirklich dabeihaben willst … Ich meine, nicht dass wir mit ihm mehr beschäftigt sind als mit dir«, fuhr die Hebamme zerknirscht fort.

»Auf … auf … keinen Fall«, stotterte mein Mann, der langsam wieder zur Besinnung kam. »Ich … ich … stehe das durch.«

»Was heißt hier durchstehen?«, schrie ich ihn völlig außer mir an. »Du musst doch nur meine Hand halten und keinen Drei-Kilo-Braten aus deinem Unterleib pressen!«