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Kater Paulchen lebt seit vielen Jahren mit Tilly, seiner großen Liebe, seinen zwei Söhnen Homer und Momo sowie weiteren sechs Katzen bei der alten Dame Frau Malzahn im Dorf Kratzbüttel am Katzensee im nördlichen Niedersachsen. Frau Malzahn liebt ihre Katzen, die nach und nach bei ihr einzogen. Elli, Momos Freundin, wird überfahren und tödlich verletzt liegengelassen. Die Katzenbande Paulchen, Tilly, Homer, Momo, Marcie, Jule, Tante Käthe, Rasputin und Kowalski schwören Rache. Sie finden und erledigen den Mörder von Elli. Doch plötzlich muss Frau Malzahn ins Krankenhaus und kommt nicht wieder zurück. Niemand kümmert sich um die Katzenbande, die zu verhungern droht. Sie versuchen, sich über Wasser zu halten und haben dabei mit enormen bürokratisch-menschlichen Abgründen zu kämpfen. Paulchen und Tilly zahlen einen hohen Preis, um ihre Artgenossen zu retten …
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Seitenzahl: 258
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Monique Lhoir
Kater Paulchen
kämpft für
Gerechtigkeit
Ein fast realistischer Katzenkrimi
Impressum
Texte: © 2021 Copyright by Monique Lhoir
Umschlag: © 2021 Copyright by Christel Ritzer
Verantwortlich
für den Inhalt: Monique Lhoir
21395 Tespe OT Bütlingen
www.monique-lhoir.de
Druck:
epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin
Geschrieben in Erinnerung an
Kater Paulchen,
Katzendame Tilly sowie
die übrige Katzenbande
Wir werden in Ewigkeiten
nicht mehr gut machen können,
was wir den Tieren angetan haben.
Mark Twain, (1835 - 1910)
Auch ich bitte um Verzeihung
Kratzbüttel am Katzensee ist ein kleines, unbedeutendes Dorf in Niedersachsen. Es steht beispielhaft für viele kleine Dörfer und Orte in unserem Land, in denen es bedauerlicherweise nicht anders zugeht.
1
„Aufstehen!“, maunzte Kater Paulchen. Er stieß Tilly an und leckte sie zwischen den Öhrchen. Tilly gähnte, reckte und streckte sich. Dabei machte sie einen Buckel.
„Sind die anderen schon wach?“, fragte sie verschlafen.
„Bereits vor Sonnenaufgang“, gab Paulchen zur Antwort, taperte hinaus auf die Terrasse und hievte sich auf die Brüstung, die den ebenerdigen Balkon umgab. Tilly tat es ihm gleich.
„Es verspricht ein heißer Maitag zu werden.“ Paulchen hüpfte auf den Rasen. Tilly hinterher. Die Wiese war noch vom Vortag warm.
In der Küche klapperte Frau Malzahn, die Futter-Omi der Katzenbande, mit den Näpfen und bereitete das Frühstück vor.
In einiger Entfernung tobten Homer und Momo und übten sich spielerisch im Katerkampf. Das Geschwisterpaar Marcie und Elli liefen auf und ab. Sie hatten sich viel zu erzählen, denn beide achteten nicht auf die tobenden Kater in ihrer Nähe.
„Geht nicht zu nah an die Straße!“, rief Tilly besorgt, als sie sah, dass Marcie und Elli fast den Bürgersteig der Kratz-bütteler Straße erreicht hatten. Marcie dreht sich um, winkte Paulchen und Tilly übermütig zu. Hingegen tapste Elli ein paar Schritte weiter bis zum Bordsteinrand. Offenbar hatte sie etwas Interessantes entdeckt.
„Pass auf, da kommt ein Auto!“, schrie Paulchen und sprang hastig auf. Der Wagen schlingerte gefährlich nah an den Bordstein. Auch Homer und Momo unterbrachen jäh ihr Spiel. Sie stierten zur Straße. In diesem Moment hörten sie einen dumpfen Knall, erhaschten, wie Elli durch die Luft flog und auf der anderen Straßenseite mit einem erbärmlichen Kreischen landete. Regungslos blieb sie liegen. Der Fahrer des Autos erhöhte die Geschwindigkeit und verschwand mit quietschenden Reifen hinter der nächsten Kurve.
Plötzlich herrschte eine unwirkliche Ruhe. Frau Malzahn erschien in der Haustür. Mit leeren Augen starrte sie auf die Straße. Dann lief sie, so schnell sie ihre wackeligen Beine trugen, den kleinen Weg hinunter und überquerte die Kratzbütteler Straße. Sie kniete sich nieder, strich Elli übers Fell, hob sacht ihr Köpfchen und nahm es in ihre hohle Hand. So verweilte sie einige Augenblicke. Anschließend legte sie Ellis Kopf sanft auf den Asphalt, fasste unter ihren kleinen Körper und nahm sie auf den Arm. Mühsam stand Frau Malzahn auf und ging langsam zurück zum Haus.
Wie in Trance beobachten Paulchen, Tilly, Homer und Momo Frau Malzahn. Marcie hockte wie gelähmt auf dem Bürgersteig und rührte sich nicht. Tante Käthe, die älteste der Katzen, kauerte im Türrahmen. Rasputin und Kowalski, zwei unverbesserliche Haudegen, kamen gerade vom ersten Mäusefang heim.
Frau Malzahn bettete Elli vorsichtig auf den Küchentisch. Jule, die zierlichste der Katzen, duckte sich in der hintersten Ecke des Raumes unter einem Stuhl. Auf der Anrichte wartete der Inhalt in zehn liebevoll gefüllte Katzennäpfe darauf, verzehrt zu werden. Keiner der Katzen berührte ihn. Niemand verspürte den geringsten Appetit.
Frau Malzahn setzte sich auf einen Hocker. Sie stützte den Kopf in ihre Hände. Tränen quollen zwischen ihren Fingern hervor. Lautlos weinte sie.
Inzwischen hatten sich alle neun Katzen in der Küche versammelt. Sie blickten traurig zu Elli hoch, die leblos auf dem Tisch lag.
Nach einer Weile stand Frau Malzahn auf, kramte in den Schränken und kam mit einem weißen Tuch und einer bunten, mit Blumen verzierten Schachtel zurück. Sie wickelte Elli sorgfältig ein und legte sie sanft in den Karton. „Kommt ihr mit?“, fragte sie und schaute jede einzelne ihrer Katzen an. Sie nahm das Päckchen auf und trug es in den Garten. Mühsam grub sie ein Loch neben dem Rosenbeet, kniete sich nieder und bettete den kleinen Sarg hinein. Nachdem sie Elli mit Erde bedeckt hatte, schnitt sie einige der Rosen ab und verteilte sie darauf.
Schweigend ging Frau Malzahn ins Haus. Paulchen, Tilly, Homer, Momo, Marcie, Jule, Rasputin, Kowalski und Tante Käthe verweilten wie gelähmt an Ellis Grab. Niemand verspürte an diesem Tag Lust, in Kratzbüttel herumzustromern.
„Wir müssen dringend etwas unternehmen.“ Paulchen griff mit der riesigen Pranke nach einem Knusperkissen, das auf Frau Malzahns Wohnzimmertisch lag. Dort befanden sich immer viele Knusperkissen. Ebenso standen in der gesamten Wohnung in jeder Ecke Schälchen mit Trockenfutter.
„Was willst du denn in deinem Alter unternehmen?“, fragte Tilly, die schläfrig eingerollt am Fußende des Sofas faulenzte.
„Was heißt in meinem Alter?“, knurrte Paulchen. „Ich bin in den besten Jahren. Wenn wir jetzt nichts tun, wann dann?“ Paulchen, ein stattlicher Kater mit einem breiten Kopf, war nichts Besonderes, schwarz mit ein paar weißen Tupfen an den Pfötchen, eher unscheinbar. Nur seine Barthaare waren inzwischen ein wenig grau geworden.
Früher hatte er oft schmutzige Pfoten, insbesondere an den Tagen, an denen er von Streifzügen aus der Feldmark zurückkam. In letzter Zeit blieb er allerdings lieber in der Nähe des Hauses. Er war zuckerkrank und deshalb manchmal kraftlos. Aber Frau Malzahn hatte von der netten Tierärztin in Kratzbüttel Tabletten besorgt. Wenn er die nahm, ging es ihm gut.
„Ich will nichts tun“, maunzte Tilly müde. Sie gähnte herzhaft und legte den Kopf auf eine Pfote.
„Du hast nichts zu tun“, erwiderte Paulchen. „In deinem Alter hast du ein Recht, faul auf dem Sofa zu liegen“, fügte er gönnerhaft hinzu. Tilly war schwarz-weiß. Auch nichts Besonderes. So sahen die meisten Katzen aus. Tilly wohnte seit vielen Jahren im Dorf Kratzbüttel. Zuerst auf der anderen Straßenseite. Aber als dort die Ställe abbrannten und ihre Kinder dem Feuer zum Opfer fielen, streunerte sie umher und zog schließlich bei Frau Malzahn ein. Inzwischen verspürte Tilly keine Lust mehr auf Abenteuer. Besonders heute nicht.
Erneut griff sich Paulchen ein Knusperkissen und stopfte es ins Mäulchen. Beherzt biss er darauf herum, obwohl ihm ein paar Zähne fehlten. Nach einem Katerkampf war eines seiner Ohren ausgefranst. Daran konnte man ihn gut erkennen. Auf eine gewisse Art und Weise war er stolz auf dieses Kennzeichen, da er den Kampf gewonnen und den Eindringling verjagt hatte.
„N‘abend allerseits!“ Homer stolzierte durch die angelehnte Terrassentür ins Wohnzimmer. Die Tür war stets halb offen, denn alle Katzen und Kater, die bei Frau Malzahn wohnten, durften ein- und ausgehen, wie es ihnen beliebte. „Habt ihr bereits gefuttert?“, fragte Homer. Homer war Tillys und Paulchens Sohn, um die fünf Lenze alt und immer noch im Halbstarkenalter.
„Du bist zu spät dran“, kritisierte Tilly und rollte sich auf den Bauch. „Wie gewöhnlich“, fügte sie vorwurfsvoll hinzu. „Momo, Jule, Kowalski, Rasputin und Marcie sind schon wieder unterwegs, um Mäuse zu jagen.“
„Ich habe heute keinen großen Hunger, möchte nur eine Kleinigkeit essen.“ Homer sprang auf den Wohnzimmertisch und schleckerte von den Knabbereien.
„Weg da! Das sind meine.“ Paulchen richtete sich auf und fegte den wesentlich kleineren Homer mit einem Pfotenhieb vom Tisch. Tante Käthe, die auf ihrem Kissen in der Ecke lag, hob müde ihr Haupt. „Ruhe!“, maunzte sie, drehte sich auf die andere Seite und schnarchte weiter.
„Müsst ihr dauernd streiten?“, rügte Tilly. „Gerade heute, wo Elli gestorben ist.“
„Wir streiten nicht“, entgegnete Paulchen. „Homer soll sich gefälligst an die Futterzeiten halten, wie wir auch.“
Homer fauchte, zog aber vorsichtshalber den Kopf ein. Er hatte Respekt vor seinem Vater Paulchen. Er war der Chef hier. Paulchen würde gleich schlafen, dann konnte er die Gelegenheit nutzen, um ein paar Happen zu ergattern. Er verzog sich in ein Körbchen, das neben der Couch stand, und begann sich zu putzen. Sein Fell war nass und in Unordnung geraten. Beim Jagen einer Maus war er unglücklicherweise in einer Pfütze gelandet, die er vorher nicht gesehen hatte.
Paulchen schloss die Augen, doch nur so weit, dass er durch die Schlitze alles im Blick hatte.
Frau Malzahn lag auf dem Sofa und gab schnarchende Laute von sich. Im Fernseher lief eine Musiksendung. Bunt flimmerte das Programm über den Bildschirm und erhellte das Wohnzimmer, mal mehr und mal weniger. Das kannte Paulchen, obwohl manches Mal die schrillen Töne, die dieser Kasten von sich gab, ihn in seiner Ruhe störten. Heute schien es sich um eine langweilige Sendung zu handeln, deshalb schlief Frau Malzahn tief und fest. Oder trauerte sie um Elli?
Paulchen dachte nach. Ihn beschlich seit geraumer Zeit das Gefühl, dass die Welt in Kratzbüttel nicht in Ordnung war. Die Bewohner stritten häufig, kaum jemand sprach mit dem anderen und niemand fühlte sich für die Streitigkeiten verantwortlich. Zusätzlich wurde die Straße, die durch den Ort führte, immer gefährlicher. Die rasenden Ungeheuer preschten dort hindurch, als ob der Teufel hinter ihnen her wäre. Sie nahmen weder auf Tier noch Mensch Rücksicht.
Paulchen war nicht unglücklich bei Frau Malzahn. Ganz im Gegenteil. Hier bekam er regelmäßig Futter, hier war es warm und trocken. Wenn es regnete, konnte er durch den Türspalt ins Wohnzimmer huschen und es sich auf dem Sofa gemütlich machen. Mäuse fraß er schon längst nicht mehr, dazu fehlten ihm die nötigen Zähne.
Das war vor vielen Jahren völlig anders. Als wilder Kater ohne ein Zuhause musste er zusehen, wie er sich allein durchschlug. Er war gezwungen gewesen, Mäuse zu fangen, die oftmals nur spärlich zu finden waren, weil die Bauern Gift streuten und daran auch so manch eine Katze oder Kater elendig zugrunde ging.
Auf einem seiner Streifzüge lernte er Tilly kennen, die nach dem Brand der Pferdeställe auf der gegenüberliegenden Straßenseite umherstreunerte. Sie war eine bezaubernde kleine Katze mit einem seidigen schwarzen Fell und weißen Stiefelchen. Besonders keck war der winzige helle Fleck zwischen ihren Nasenflügeln. Sofort schloss Paulchen Freundschaft mit Tilly. Für beide war es Liebe auf dem ersten Blick. Es kam, wie es kommen sollte, sie wurde schwanger und gebar drei Kinder. In der Nähe von Frau Malzahns Haus versteckte sie die Winzlinge in einem Holzstapel. Das war ihr Glück, denn bei Frau Malzahn wohnten bereits zwei Katzen, Tante Käthe und Kowalski. Jeden Morgen und am Abend stellte Frau Malzahn reichlich Futter auf die Terrasse.
Tilly ergatterte große Häppchen davon, sodass sie nicht auf Mäusejagd gehen musste und dabei den Holzhaufen beim Fressen stets im Auge behalten konnte.
Doch die Kleinen wurden älter und verließen ständig den geschützten Holzstapel. Und dann passierte es. Die zierlichste von den Kitten, ein süßes Mädchen, wurde auf der gefährlichen Kratzbütteler Straße überfahren. So, wie es heute Elli ergangen war. Und zwar nicht nur einmal. Immer und immer wieder fuhren rasende Ungeheuer nacheinander über den winzigen Körper, bis er kaum noch zu erkennen war. Tilly saß am Bordstein, begriff nicht, was geschehen war und weinte jämmerlich, bis sie einsah, dass sie ihrem Kind nicht mehr helfen konnte.
Dadurch wurde Frau Malzahn auf Tilly’s verbliebene Kitten aufmerksam. Sie holte sie aus dem Holzhaufen, legte ein paar Kissen auf die Terrasse und bettete die Winzlinge darauf. Tilly zog zu ihrem Nachwuchs und bekam eine bequeme Katzenhöhle. Jetzt erhielt die Familie regelmäßig Futter. Die beiden Katerchen hießen ab sofort Momo und Homer.
Paulchen war todunglücklich, weil er Tilly nur selten sah. Häufig schlich er nachts um die Terrasse, jaulte und maunzte. Er wollte zu Tilly, hatte große Sehnsucht nach ihrer Nähe.
„Du kannst hier nicht hin!“, rief Frau Malzahn und jagte ihn fort. „Meinst du, ich will hier weitere Kitten haben? Verschwinde endlich und komm nicht wieder her.“ Paulchen zog den Schwanz ein und trottete deprimiert in die Feldmark.
Doch dann geschah alles anders. Aus unerklärlichen Gründen stellten Frau Malzahn und eine zweite Frau einen Gitterkasten vor die Terrasse. Darin befand sich Futter. Oh, wie herrlich roch das. Vorsichtig scharwenzelte Paulchen darum herum, bis er sich mutig traute, hineinzuschlüpfen und von den Köstlichkeiten zu naschen. Gesättigt und tief zufrieden verließ er den Kasten.
So ging das einige Tage. Paulchen war glücklich, dass sich Frau Malzahn nun auch um ihn kümmerte. Ab und zu sah er seine Tilly, die jetzt eine Tüte um den Hals trug und ein wenig kränklich aussah. Trichterhut schien im Moment in Mode zu sein. Nun gut, wenn es ihr gefiel.
Das funktionierte bis zu dem Tag, als Paulchen den leckeren Thunfisch roch. Ohne, dass er sich etwas dabei dachte, schlüpfte er wie gewohnt in den Käfig, um sein wohlverdientes Frühstück einzunehmen. Plötzlich hörte er hinter sich ein Krachen. Er war gefangen, kam nicht wieder raus.
„Wir haben ihn“, sagte die andere Frau und stülpte ein großes Tuch über die Falle.
„Gott sei Dank“, flüsterte Frau Malzahn.
„Nun rasch mit ihm zum Tierarzt.“ Paulchen spürte, wie der Kasten angehoben und schaukelnd irgendwohin transportiert wurde. Was hatten sie mit ihm vor? Wollten sie ihn ermorden? Paulchen drehte und wendete sich, knurrte und randalierte, bis er erschöpft liegenblieb und sich seinem Schicksal ergab. Das gleichmäßige Motorengeräusch und das sanfte Wiegen in dem Fahrzeug ermüdeten ihn zusätzlich. Erneut wurde er hochgehoben und in einen Raum gebracht. Jemand lüftete das Laken. Er konnte nur zwei menschliche Augen erkennen. Er seufzte, verspürte kurz darauf einen Pieks. ‚Das ist wohl mein Ende‘, dachte Paulchen, wurde müde und schlief ein.
Aber Paulchen wurde wieder wach. Was war mit ihm passiert? Er sah sich um. Der Ort kam ihm bekannt vor. Er lag auf einem kuscheligen Kissen. Ihm mutete an, als ob dieser Ort die Terrasse von Frau Malzahn war.
Neben ihm hockte seine geliebte Tilly, bekleidet mit ihrer modernen Tüte. Sie stupste ihn mit dem Kopf an. „Na?“, fragte sie keck, „bist du endlich fit?“
Paulchen nahm an, dass er sich im Himmel befand. So hatte er es sich allerdings nicht vorgestellt. Alles sah aus, wie bei Frau Malzahn, und auch die Frau, die ihm eine Schüssel mit Futter hinstellte, sah wie Frau Malzahn aus.
„Willkommen im neuen Zuhause“, sagte Frau Malzahn. „In ein paar Stunden bist du wieder munter. Schlaf dich erst mal aus.“
Tilly schmiegte sich an Paulchen. Er spürte ihren warmen, weichen Körper. Sie leckte ihm das Fell und legte ein Pfötchen über seinen Hals. „Weißt du“, erklärte sie liebevoll, „sie haben uns kastriert. Jetzt können wir keine Kinder mehr bekommen, aber dafür dürfen wir ab sofort zusammenbleiben.“ Tilly's modischer Trichterhut störte beim kuscheln.
„Ist nicht so schlimm“, maunzte Paulchen schläfrig, „wir haben zwei Söhne. Und unsere Tochter ist bereits gestorben.“ Paulchen stieß Tilly zärtlich mit der Pfote an. Selig schlief er ein.
Ja, so war das vor einigen Jahren. Seitdem lebte Paulchen ruhiger, hatte genügend Futter und nie Hunger. Wenn er Lust zum Jagen hatte, konnte er die Feldmark unsicher machen.
Paulchen öffnete die Augen. Im Fernseher begann die schrecklich laute Helene Fischer zu singen. Frau Malzahn hatte vergessen, die Leisetaste zu betätigen. Er mochte den Katzengesang nicht; die hohen Töne taten ihm in den Ohren weh und er bekam davon Kopfschmerzen. Besonders heute ertrug er die schrillen Töne nicht. Er trauerte um Elli.
Paulchen vertrieb seine trüben Gedanken, reckte sich und streckte die Hinterpfoten aus. Marcie kam gerade zur Tür herein und hockte sich traurig neben Paulchen. Marcie blieb nie lange draußen und besonders heute nicht.
„Warum Elli?“, fragte Marcie leise. „Ich vermisse meine Schwester so sehr.“
„Warum all die vielen anderen unschuldigen Katzen?“, erwiderte Paulchen und legte tröstend ein Pfötchen um ihre Schulter. „Es muss dringend etwas geschehen. Es ist an der Zeit, dass wir alle – Tier und Mensch - aktiv werden“, erklärte er entschlossen.
Pünktlich zum Frühstück erschienen sämtliche Katzen. Kater Paulchen, als Chef der Bande, bekam von Frau Malzahn eine Extraportion Spezialfutter.
„Wir treffen uns nachher draußen!“, befahl Paulchen. „Auch du, Homer.“ Er blickte seinem Sohn fest in die Augen, weil er wusste, dass Homer gerne rumstromerte und dabei die Zeit vergaß.
„Warum?“, fragte Homer keck.
„Es ist dringend an der Zeit, dass wir uns wehren und etwas unternehmen“, sagte Paulchen ernst.
„Wo treffen wir uns?“ Jule sah interessiert auf.
„Was ist los?“, wollte Momo wissen. Sein Maunzen klang traurig.
„Paulchen spielt sich mal wieder auf“, maulte Kowalski.
„Ich bin verabredet“, knurrte Rasputin.
„Paulchen hat gesagt: Alle“, tadelte Tilly. „Wir haben Wichtiges zu besprechen.“
„Also wo?“, gab Rasputin klein bei.
„Direkt am alten Bach“, erklärte Paulchen. „Verhaltet euch unauffällig.“
„Ich gehe nicht über die Straße“, weigerte sich Tilly.
Mitleidig sah Paulchen seine Liebste an. „Stimmt“, überlegte er. „Deine alte Verletzung. Wenn ein Ungeheuer angerast kommt, kannst du nicht schnell genug beiseite springen.“
„Wie wäre es hinterm Haus an der Pferdekoppel?“, warf Tilly einlenkend ein. „Dort herrscht am Morgen nicht viel Betrieb. Tante Käthe“, sie blickte die alte Katze an, „du kommst auch mit.“
„Gut, in einer halben Stunde bei der Pferdekoppel.“ Paulchen zog sich zurück und überließ den anderen die Reste aus seinem Fressnapf. Genüsslich begann er mit der Fellpflege.
Gemeinsam schlenderte er nach einiger Zeit mit Tilly hinter der Katzenbande her. Tante Käthe zockelte bedächtig hinterdrein.
„Was hast du vor?“, wollte Tilly wissen.
„Ellis Mörder fangen“, knurrte Paulchen. „Ich sah den Mord und merkte mir das Kennzeichen. Ich habe den Menschen erkannt, der das Auto lenkte und auf unsere Elli zuhielt, ohne zu bremsen oder anzuhalten. Wir werden ihn kriegen.“
„Paulchen, das ist gefährlich“, erwiderte Tilly. „Wie willst du das schaffen?“
„Warte ab“, beruhigte Paulchen seine Liebste.
An der Pferdekoppel waren bereits alle versammelt. Marcie, die grau-schwarz getigerte Katzendame, lag deprimiert auf der Wiese. Ihr sonst so freundliches, kleines Mäulchen hatte sie zusammengekniffen.
Momo und Homer, Paulchens und Tilly’s Söhne, tobten im Sand. Momo war gänzlich schwarz mit kleinen weißen Füßchen, Homer besaß hingegen mehr Weißanteile, insbesondere auf der Brust und zwischen den Augen. Homers große Liebe war Marcie. Normalerweise waren sie ein Herz und eine Seele, unzertrennlich. Nur beim Toben machte sie nicht mit und meinte oftmals, Homer solle endlich erwachsen werden.
Jule zog es vor, sich nachträglich zu putzen. Wahrscheinlich hatte sie, wie es ihre Art war, viel zu viel Zeit mit dem Fressen verbracht. Sie hatte überwiegend weißes Fell mit wenigen Grauanteilen auf dem Rücken und zwischen den Öhrchen, sodass man jeden Schmutzfleck auf Anhieb sah. Und das konnte sie gar nicht leiden. Was sollten denn die Kater von ihr halten, wenn sie ihren Spaziergang machte. Nun ja, die anderen sagten, dass sie eitel sei, aber das war ihr egal.
Kowalski rümpfte die Nase. Er mochte es nicht, wenn Paulchen das Wort ergriff. Immerhin lebte er schon länger bei Frau Malzahn. Sein Fell beinhaltete sämtliche Farben und niemand wusste genau, woher er kam oder wer seine Eltern waren.
Kater Rasputin war wesentlich pragmatischer, klug und überlegt. Auf ihn konnte man sich immer verlassen. Er sah Tante Käthe ähnlich, doch hatte er weiße Anteile im Rückenfell. Er war noch nicht so lange bei Frau Malzahn, hatte geraume Zeit in der Feldmark gelebt und kannte Kratzbüttel wie seine Westentasche.
„Nun hört mir gut zu“, begann Paulchen und stellte sich in die Mitte. Die anderen versammelten sich um ihn herum. „Es ist nicht das erste Mal, dass die Menschen in ihren Autos eine oder einen von uns töten. Sie morden, ohne mit der Wimper zu zucken. Gestern war es Elli, in der vorigen Woche eine kleine Kitte, die in der Ameisenstraße wohnte, vor vierzehn Tagen der alte Manny, der bei Herrn Wunderlich im Hundeweg lebte. Vor fünf Jahren war es eines unserer Kinder, kaum geboren. Dazwischen ließen unzählige weitere Artgenossen ihr Leben auf der Kratzbütteler Straße.“ Paulchen legte zärtlich eine Pfote um Tilly’s Hals.
„Was willst du dagegen unternehmen?“, fragte Kowalski. „Die sind stärker als wir.“
„Ich erkannte das Auto sowie schemenhaft den Fahrer. Ich merkte mir die Nummer. Oft sah ich das Fahrzeug über unsere Straße rasen. Der Mörder von Elli muss in der Nähe wohnen. Wir finden ihn und machen ihn unschädlich.“
„Wir sind zu wenig, nur neun, und Tante Käthe kannst du nicht dazurechnen“, warf Rasputin ein.
„Deshalb müssen wir viele werden und dann schlagen wir zu.“
„Wieso könnt ihr mich nicht dazurechnen?“ Tante Käthe schaute von einem zum anderen. „Ich kann zwar nicht mehr gut laufen, aber ich kann den ganzen Tag vor der Haustür liegen und beobachten. Mein Sehvermögen ist hervorragend.“
„Stimmt“, überlegte Paulchen. „Das ist eine wichtige Position, die du übernehmen solltest. Somit ernenne ich dich, Tante Käthe, zur Kundschafterin der Kratzbütteler Katzenbande.“
„Wie lautet dein Plan?“, fragte Rasputin. Er richtete sich zur vollen Größe auf, seine Augen funkelten unternehmungslustig.
„Wie du bereits bemerktest“, Paulchen wandte sich an Rasputin, „wir sind zu wenig. Wir müssen alle Kratzbütteler Katzen an der Suche nach dem Mörder beteiligen und mobilisieren. Anschließend schlagen wir gemeinsam zu.“
„Wie willst du das machen?“ In Kowalskis Stimme lag eine Portion Ironie.
„Wir teilen uns auf“, erläuterte Paulchen sachlich. „Jeder übernimmt ein Gebiet im Ort und spricht sämtliche Katzen und Kater an, unterrichtet sie über die Situation und erklärt unser Vorhaben.“
„Das wird schwierig“, warf Rasputin ein. „Viele unserer Artgenossen leben in geordneten Haushalten, gehen kaum oder nur wenige Schritte vor die Haustür in den Garten. Wenn wir dort auftauchen, verscheuchen uns die Besitzer sofort von den Grundstücken, manche hetzen zusätzlich ihre Hunde auf uns. Andere Katzen und Kater sind reine Hauskatzen, zudem auch noch von Klasse und Rasse. An die kommen wir erst gar nicht ran.“
„Diese wichtige Mission erfordert es, dass wir kreativ und erfinderisch vorgehen. Solange wir keine Pfote rühren, töten sie weiterhin und kommen zusätzlich ungestraft davon. Menschengesetze! Wo liegt da die Gerechtigkeit?“
„Da gebe ich dir Recht“, stimmte Kowalski nachdenklich zu. „Auf mich wurde sogar schon einmal geschossen. Das war legitim, weil ich dreihundert Meter in die Feldmark gelaufen war. Zum Glück streifte die Kugel nur meine Hinterpfote.“
Paulchen nickte. „Mir ist klar, dass die Aktion gefährlich ist. Vorsicht ist geboten, in jeder Beziehung. Deshalb müssen wir uns einigen und alle an einem Strang ziehen, um erfolgreich zu sein.“ Die Katzen und Kater senkten betroffen die Köpfe.
„Wir sollten abstimmen“, erklärte Rasputin weise. „Jedem von uns muss bewusst werden, dass er bei dem Abenteuer sein Leben verlieren kann.“
Paulchen häufte mit den Vorderpfoten einen kleinen Sandhügel auf. „Okay, wer dafür ist, komme bitte hierher und drücke die rechte Pfote sichtbar in den Sand.“ Paulchen presste zuerst demonstrativ die Pranke in den Boden.
Verlegen senkten die Katzen ihren Blick. Tante Käthe stand mühsam auf und taperte langsam zum Sandhaufen. „Ich bin dabei“, äußerte sie feierlich, hob die rechte Pfote und hinterließ ihren Abdruck.
Anschließend bemühte sich Rasputin zum Hügel. „Wenn nicht jetzt, wann dann!“, rief er in die Runde. Entschlossen hieb er die scharfen Krallen in den Sand.
Kowalski tapste gleich hinterher. „Natürlich mach ich mit. Wäre mir ein Vergnügen, Ellis Mörder in den Nacken zu springen und ihm ein paar kräftige Ohrfeigen mit meinen Krallen zu verpassen.“ Mit Wucht verewigte er seine Unterschrift.
Homer und Momo, Paulchens Söhne, sprangen gemeinsam nach vorne. „Für Elli und unsere Artgenossen“, bekräftigten sie und drückten ihre Pfötchen in den Sand. „Einer für alle, alle für einen!“, fügten sie hinzu und fühlten sich wie die drei Musketiere.
„Ihr habt bei Frau Malzahn zu viel Fernsehen geguckt.“ Paulchen zwinkerte seinen Söhnen liebevoll zu.
Marcie trat neben Paulchen. „Für meine tote Schwester Elli“, erklärte sie leise. Einige Tränen kullerten in den Sand, als sie ihren Abdruck hinterließ.
„Jule?“, fragte Paulchen, „was ist mit dir?“
„Ich trau mich nicht“, erwiderte sie verhalten. „Was kann ich denn gegen diese Welt ausrichten? Ich bin froh, dass ich bei Frau Malzahn lebe, immer Futter habe und nicht über die Kratzbütteler Straße muss.“
„Brauchst du nicht“, antworte Kowalski gönnerhaft. „Du bist hübsch und niedlich. Mit deinem bezaubernden Augenaufschlag wirst du dich bei den Menschen und deren Katern einschmeicheln. Jule, die Mata Hari der Katzen“, schwärmte Kowalski.
„Kowalski, komm auf den Boden zurück und bleib bei der Sache.“ Paulchen schüttelte den Kopf.
„Alles klar, Chef.“ Kowalski funkelte Paulchen an. „Du gönnst aber wirklich niemandem etwas Spaß.“
„Ist ja schon gut.“ Jule schlich zum Hügel. „Ich mache mit.“ Anmutig hob sie ihr Pfötchen und drückte es sanft in den Sandhügel.
Tilly trat neben Paulchen und presste auch ihren Abdruck in den Sand. Dabei sah sie Paulchen vertrauensvoll in die Augen.
„Somit sind wir ein Team mit einer Aufgabe: Rache dem Mörder von Elli und für all unsere anderen toten und leidenden Artgenossen aus Kratzbüttel.“
„Rache den Tiermördern!“, wiederholten die Katzen einstimmig.
„Wie wollen wir uns nennen?“, erinnerte Kowalski daran, dass jede Bruderschaft einen Namen benötigte.
Paulchen dachte einen Moment nach, dann grinste er: „Wir sind der Clan der „Kratzbü-Cats“.
„Cool“, meinte Homer und gesellte sich zu Marcie. „Du wirst sehen“, wandte er sich stolz an seine Liebste, „wie erwachsen ich sein kann, wenn es darauf ankommt.“
„Wie gehen wir vor?“, fragte Rasputin.
„Wir teilen uns auf“, erklärte Paulchen. „Jeder erhält ein Gebiet, in dem er recherchiert. Wir agieren nachts und treffen uns morgens nach dem Frühstück zum Informationsaustausch hier an dieser Stelle.“
Paulchen zeichnete mit der Pfote Linien und Kreise in den Sand. Interessiert schauten die anderen zu.
„Was wird das?“, wollte Kowalski wissen und legte den Kopf mal auf die rechte, dann auf die linke Seite.
„Das ist Kratzbüttel“, erläuterte Paulchen, der das Dorf aus seiner Streunerzeit wie seine Westentasche kannte. „Wie ihr seht, ist der Ort verdammt groß und ziemlich auseinandergerissen.“ Er setzte noch ein paar Striche und Dreiecke hinzu. „Katzensee, Kratzbütteler See, Schmalsee und der alte Graben“, definierte er weiter. „Mitten durch das Dort führt die Kratzbütteler Straße. Hier befindet sich das Haus von Frau Malzahn, also unser Zuhause.“
„Wer bekommt welches Gebiet?“, fragte Rasputin. Als kampferprobter Haudegen war er voll bei der Sache, immer wachsam und zum Sprung bereit.
„Tante Käthe übernimmt, wie gesagt, die Position der Kundschafterin. Ihre Aufgabe besteht darin, am Tage vor dem Haus die dort fahrenden Autos und die darinsitzenden Menschen zu beobachten. Ferner muss sie sich die Farben, Modelle und Kennzeichen merken.“
Tante Käthe nickte. „Das schaffe ich leicht. Das habe ich oft gemacht, wenn ich mich auf der Treppe in der Sonne langweilte.“
Momo kicherte. „Tante Käthe ist eine Art Blitzer für Schnellfahrer. Sie schreibt Knöllchen und der Bürgermeister freut sich, dass er sich Geld in die Tasche stecken kann.“
„Reiß dich zusammen“, unterbrach Paulchen seinen vorwitzigen Sohn. „Momo, du übernimmst das Gebiet vom Reiherstieg bis hin zur Wellensittichburg. Die Kratzbütteler Straße ist tabu, da gehst du nicht rüber, das ist nicht mehr dein Revier“, sagte Paulchen in scharfem Ton.
„Klaro“, lenkte Momo ein. „Schöner Distrikt mit Fisch-laden.“ Er schleckte sich das Mäulchen.
„Du nimmst Julchen auf deine Streifzüge mit“, befahl Paulchen. „Dort befinden sich ein Neubaugebiet und einige alte Häuser. Relativ ungefährlich, und Jule kann Kontakt mit den Hauskatzen und den Bewohnern knüpfen. Aber lass dich nicht füttern. Das ist zu gefährlich“, wandte er sich an Jule.
„Dann übe schon mal Augenaufschlag“, meinte Momo, grinste und tatschte Jule auf den Rücken.
„Du passt auf Jule auf. Verstanden?“, ermahnte Paulchen erneut seinen Sohn.
Paulchen wandte sich an Homer. „Dein Bezirk liegt zwischen Reiherstieg inklusive Feldweg, Ochsenweg, Ameisenstraße bis hin zu dem neugebauten Hof gegenüber der Spedition. Nur bis dahin. Als Grenze gilt auch für dich die Kratzbütteler Straße: keine Überquerung. Du gehst gemeinsam mit Marcie.“
„Das ist ein simpler Bereich“, warf Momo nörgelnd ein.
„Da täuscht du dich gewaltig“, meldete sich Kowalski. „In diesem Sektor gibt es die meisten Bauernhöfe, da wohnen die alten Kratzbütteler oder jene, die meinen, dass sie welche wären. Der überwiegende Teil von ihnen ist sich nicht grün. Streit und Neid herrschen vor, abgesehen von Gerede und Getratsche. Schlimmer als in den Revieren der Streunerkatzen. Homer und Marcie werden mit größter Vorsicht vorgehen müssen. Da gibt es viele Katzenhasser.“
„Dann bleiben die Domänen jenseits der Kratzbütteler Straße übrig“, stellte Rasputin sachlich fest.
„So sieht es aus.“ Paulchen blickte Kowalski und Rasputin eindringlich an. „Ihr seid die erfahrensten Haudegen, die schon so manchen Kampf gewonnen haben. Wer will welches Gebiet übernehmen?“
„Ich melde mich freiwillig für den Bezirk ab Kratzbütteler Straße bis zur Bergstraße. Grenze Neuer Weg.“ Rasputin grinste hinterlistig. „Da habe ich noch mit einigen Bewohnern ein Hühnchen zu rupfen.“
„Das dachte ich mir“, bestätigte Paulchen. „Aber pass auf, dass dich niemand erwischt.“
Paulchen richtete sein Wort an Kowalski. „Somit bist du verantwortlich für die Sektion Neuer Weg bis hin zum Katzensee. Viel Freiland, allerdings ebenfalls sehr gefährlich. Man weiß nie genau, wer einem dort über den Weg läuft oder in seinem Rausch wild um sich schießt.“
Kowalski nickte. „Ich kenne mich in dem Revier gut aus. Ich weiß, wer da rumknallt. Ich verstehe nicht, wieso die Menschenpolizei den Kerl noch nicht hinter Schloss und Riegel gebracht hat. Aber alles legitim.“ Kowalski schnaubte durch die Nase.
Paulchen wandte sich an Tilly. „Wir beide widmen uns gemeinsam dem Bereich am Katzensee mit den Wohnhäusern. Das klingt ungefährlich, ist es jedoch nicht. Auch wir müssen täglich die Kratzbütteler Straße überqueren. Der Weg bis dahin ist recht weit. Zusätzlich gibt es in dem Gebiet Katzenhasser und Menschen, die ihre Hunde auf unsere Artgenossen hetzen.“
„Erstaunlich!“, antwortete Homer nachdenklich, „wie unterschiedlich die einzelnen Reviere in diesem kleinen Dorf sind. Man sollte meinen, die paar hundert Leute hier würden zusammenhalten wie Pech und Schwefel. Doch das Gegenteil ist der Fall.“
„Das stimmt“, bestätigte Paulchen. „Es sind eben Menschen und keine Tiere. Bei denen herrscht Neid, Hass und oftmals auch Größenwahn vor, während wir nur auf Futtersuche sind. Die meisten von uns kämpfen lediglich ums nackte Überleben.“ Paulchen hing seinen Gedanken nach, die anderen Katzen schwiegen achtungsvoll.
„Nun ist keine Zeit zum Philosophieren, sondern zum Handeln.“ Paulchen klatschte energisch in die Pfoten. „Deshalb schlage ich vor, dass wir uns ausruhen, denn unsere Arbeit beginnt heute Abend.“ Er drehte sich um. „Ach, bevor ich es vergesse“, sagte er, „jeder von euch erhält hiermit das Kennzeichen des Ungeheuers, das Elli getötet hat.“ Er blickte die Katzenbande an. „Prägt es euch gut ein. Es war ein weißes Auto mit der Nummer WL-ZX 00010.“
„Ein weißer Mercedes“, meldete sich Momo verhalten.
Paulchen zog die Augenbrauen hoch. „Woher weißt du das so genau? Hast du den Mord beobachtet?“
Momo nickte traurig. „Ich habe beobachtet, wie Elli durch die Luft flog und hörte sie laut schreien, als sie hart auf den Asphalt klatschte.“ Alle Katzen sahen betreten zu Boden, da sie wussten, dass Momo die kleine Elli sehr geliebt hatte und entsetzlich litt.
„Was macht ihr auf meinem Grundstück?“, schrie es plötzlich von der anderen Seite. „Verschwindet. Geht zu eurer Hexe nach Hause. Hier ist kein Platz für Katzenvieh.“ Herr Waldemar – er hieß so, weil es im Walde geschah – bückte sich und sammelte ein paar Steine auf. Mit Schwung warf er sie auf die Katzen.
„Au“, miaute Marcie und fasste sich an den Kopf.
„Au!“, jaulte auch Momo auf. Ein Brocken hatte seine Hinterpfote erwischt.
„Schnell weg hier“, sagte Kowalski, der gerade knapp einem heranfliegenden Geschoss aus dem Weg springen konnte. „Ich kenne den Kerl. Der ist bereits morgens besoffen und weiß am Abend nicht mehr, was er getan hat.“
Die Katzen rannten zu Frau Malzahns Haus. „Haut nur ab!“, tobte Herr Waldemar hinter ihnen her. „Ich erwische euch noch. Dann erschlage ich euch eigenhändig. Eine nach der anderen. Und die alte Hexe kann ihre toten Viecher einsammeln und begraben.“ Er grölte hinter ihnen her.