Mia - Das Gemeindekätzchen - Monique Lhoir - E-Book

Mia - Das Gemeindekätzchen E-Book

Monique Lhoir

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Beschreibung

Das Leben von Mia, ein vier Tage altes Katzenbaby einer Streunerkatze, soll mitsamt ihren fünf Geschwistern durch eine Plattschaufel ein jähes Ende nehmen. Gottlob wird die kleine Familie im letzten Moment gerettet. Doch überträgt die stolze Katzenmama mit der Muttermilch Katzenschnupfen, Parasiten und andere Krankheiten. Bevor die Babys in die Welt blicken können, sind alle Augen stark entzündet und es droht Erblindung. Viel zu früh müssen sie von der Mama getrennt werden, um nicht qualvoll zu sterben. Mit viel Zeitaufwand und noch mehr Medikamenten kämpft die Autorin um das Leben und die Äuglein der Babys. Gleichzeitig muss sie erfahren, wie Bürgermeister, Verwaltungsmitarbeiter und Räte zum Tierschutz stehen und sogar vor Einschüchterung und Drohung nicht Halt machen. Sie kann alle Babys retten, doch Mias Auge bleibt blind und muss operativ entfernt werden. Was wird nun aus der kleinen Mia …? Als Dank an alle Mitarbeitende in Tierheimen, ehrenamt-liche Futter- und Pflegestellen, Tierschutzorganisationen sowie Veterinäre hat die Autorin die kleine Geschichte aufgeschrieben, um zu zeigen, wieviel Arbeit im Bereich des Tierschutzes unentgeltlich geleistet wird – oft bis zum Umfallen und weit darüber hinaus.

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Seitenzahl: 264

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Monique Lhoir

Mia

Das Gemeindekätzchen

Autobiografische Episode

eines kleinen Streunerkätzchens

aus der Elbmarsch

Monique Lhoir

Mia

Das Gemeindekätzchen

Autobiografische Episode

eines kleinen

Streunerkätzchens

aus der Elbmarsch

Impressum

Texte: © 2024 Copyright by Monique Lhoir

Umschlag: © 2024 Copyright by Monique Lhoir

Verantwortlich

für den Inhalt: Monique Lhoir

21395 Tespe OT Bütlingen

[email protected]

Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH,

Berlin

Der untrüglichste Gradmesser

für die Herzensbildung

eines Volkes und eines Menschen ist,

wie sie die Tiere betrachten

und behandeln.

(Berthold Auerbach) (1812 - 1882)),

eigentlich Moses Baruch Auerbacher,

deutscher liberaler Kulturpolitiker und Schriftsteller

Die Namen sind frei erfunden, die Begebenheiten und der Schriftverkehr wurden zum Teil verkürzt und abgeschwächt zitiert.

An allem Unfug, der passiert,

sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun,

sondern auch die,

die ihn nicht verhindern.

(Erich Kästner – Zitat aus Das fliegende Klassenzimmer)

Die Erde soll früher einmal

ein Paradies gewesen sein.

Möglich ist alles.

Die Erde könnte wieder ein Paradies werden.

Alles ist möglich.

(Erich Kästner – Zitat aus Pünktchen und Anton)

Vorwort

Meine Lektorin legte mir eindringlich ans Herz: Feile dieses Mal nicht an Sätzen und Wörtern, sondern schreibe auf, was du erlebt, was du gedacht und vor allem gefühlt hast.

Diese autobiografische Episode schrieb ich als Dank an Mitarbeitende in Tierheimen, ehrenamtliche Tierschützer, unermüdlichen Futter- und Pflegestellen, Tierschutzorganisationen sowie Veterinäre, die täglich mit dem Katzenleid in Deutschland konfrontiert werden und hilflos davorstehen, weil Politik, Kommunen und Gemeinden die Augen verschließen. Hiermit will ich zeigen, wieviel Arbeit in diesem Bereich geleistet wird. Meine riesengroße Anerkennung und mein Dank gilt deshalb diesen nicht ersetzbaren Menschen.

Deshalb ist diese Episode auch an Bürgermeister und Mitarbeiter von Gemeinden und Kommunen sowie Ratsdamen und -herren, wie auch an Politiker der Länder und des Bundes gerichtet. Vielleicht öffnet die kleine Geschichte bei Ihnen das eine oder andere durch Katzenschnupfen verklebte und entzündete Äuglein.

Nach drei Monaten Kittenaufzucht war ich sowohl psychisch als auch physisch fix und fertig und kämpfte gegen Depressionen an. Nach vier Monaten bekam ich völlig andere Einstellungen zu Fragen, was Leben bedeutet, wie nah Tod und Leben beieinanderliegen, was Verantwortung heißt und wie viele Menschen, von denen ich es nie vermutete, eiskalt verantwortungslos handeln.

Sechs winzige Fellknäule, nicht schwerer als je einhundertfünfzig Gramm und nicht älter als fünf Tage, zeigten mir in vier Monaten eine grausame Wirklichkeit, von der ich zwar viel hörte, aber nie real am eigenen Leibe erlebte.

„Verinnerlichen Sie einfach, dass Sie sechs winzige Leben gerettet haben – und nicht nur einmal, sondern gleich zweimal“, munterte mich die Tierärztin auf, als ich nach sieben Wochen die Mitteilung erhielt, dass die sechs winzigen Wollknäule über den Berg waren.

Sechs winzige Leben von zig Tausend, die in Deutschland elendig zugrunde gehen, weil die große Politik versagt und mich unsere Kommunalpolitik eher an eine sizilianische Mafia erinnert als an eine dörfliche Verwaltungsstelle, an die man sich vertrauensvoll wenden kann, wenn man Hilfe benötigt. Weit gefehlt. Ich fühlte mich nach vier Monaten wie eine Schwerstverbrecherin und den Tonfall, in dem ich angeschrieben wurde, empfand ich als diskriminierend, manchmal auch als militärischen Befehlston. Es wurde nicht einmal vor Einschüchterung und Drohung Halt gemacht. Meist blieb mir nur ein unverständliches Kopfschütteln übrig. Sogar bis heute verstehe ich diesen Tonfall nicht, jedenfalls kann ich ihn nicht so recht einordnen.

Seit einigen Jahren wohne ich in der Elbmarsch, eine kleine Samtgemeinde im nördlichen Niedersachsen. Irgendwie bin ich hier zum Tierschutz gekommen.

Es begann damit, dass ich als Tasso-Suchhelferin im Jahre 2018 in unserem Achthundertfünfzig-Seelen-Ort vermehrt mit Todfunden konfrontiert wurde, die auf unserer Hauptstraße vorkamen, ich aber nie Besitzer fand, da die Tiere weder kastriert, gechipt oder registriert waren.

Dadurch lernte ich eine Dame kennen, die ehrenamtlich seit 2007 mehr als 150 Katzen kastrieren ließ und gleichzeitig unermüdlich um eine Katzenschutzverordnung in der Gemeinde kämpfte. Die wurde auch im Jahre 2015 mit einer zweijährigen Laufzeit verabschiedet und 2017 auf weitere zwei Jahre verlängert. Dann verschwand die Verordnung aus ungeklärten Gründen und war nie aktiv.

Im Jahr 2019 wurde eine Katzenmutti mit einem fünfzehn Wochen alten Kitten überfahren und hinterließ zwei weitere Katzenkinder. Sie gehörten niemanden und keiner wollte sich um sie kümmern, waren in keinem Tierheim unterzubringen, weil sie in dem Alter angeblich nicht mehr zahm werden würden. Nun leben die beiden Kater seit fünf Jahren völlig zahm in meinem Haushalt.

Im gleichen Jahr verwaisten durch die Krankheit einer älteren Dame zehn Katzen einer betreuten Futterstelle. Sie nahmen ein trauriges Ende, weil die Gemeinde sich trotz intensiver Bemühungen über ein halbes Jahr lang nicht kümmerte und sogar Fütterungsverbote aussprach.

Im Mai 2022 kam es zu einer plötzlichen Katzenschwemme von siebzehn bis achtzehn Katzen, die alle um ein halbes Jahr alt waren. Sie trieben auf Terrassen und in Gärten der Anwohner ihr Unwesen und suchten nach Nahrung. Innerhalb weniger Tage wurden sechs von ihnen überfahren. Trotz Beschwerden der Einwohner kümmerte sich die Gemeinde nicht, sprach uns sogar ein Verbot aus, diese Katzen kastrieren zu lassen.

Jetzt geht es um eine Streunermutti mit sechs fünf Tage alten Kitten, die Opfer einer Plattschaufel werden sollten. Alle Babys litten unter Katzenschnupfen, Parasiten und anderen Krankheiten.

Anfang Juli 2024 fingen wir auf einem Sonntag die Streunermutti und brachten sie und ihre sechs Babys, vorübergehend, bis eine geeignete Pflegestelle gefunden wurde, in einem gesonderten Raum in unserem Haus unter. Die Streunermutti sollte im Rahmen der Kastrationsaktion des Landes Niedersachsen ab dem 19. August 2024 kastriert, anschließend wieder an den Fundort zurückgebracht und die Kitten mit zwölf Wochen vermittelt werden.

Ich fühlte mich für die kleine Katzenfamilie verantwortlich, da ich nach meinem Umzug aus der Großstadt in die Elbmarsch die oben genannten erschreckenden Erfahrungen machen musste. Und das trotz Tierschutzgesetz.

In diesem Jahr gab es eine enorme Kittenflut. Tierheime in Deutschland kamen an ihre absoluten Kapazitätsgrenzen, Mitarbeitende waren folglich sowohl psychisch als auch physisch komplett überlastet. Die Tierheime verhängten Aufnahmestopps. Die Aufnahme einer Streunerkatze mit sechs winzigen Kitten erwies sich nach vielen Gesprächen als völlig aussichtslos. Sämtliche uns bekannte Pflegestellen waren überfüllt. Die Gemeinde reagierte nach Meldung der Fundkatze mit sechs Kitten gar nicht, nicht einmal auf Nachfragen. Die für Fundtiere zuständige Mitarbeiterin war im Urlaub und würde unaufgefordert Anfang August auf uns zukommen.

Eine Kastrationsaktion des Landes Niedersachsen war für Mitte August datiert. Das war es ein guter Zeitpunkt, bis dahin die Katzenmutter aufzunehmen, damit sie ihre Kitten säugen konnte, und sie dann zum Kastrationsbeginn anzumelden. Die Babys hätten somit eine gute Chance, später vermittelt zu werden, statt elendig zugrunde zu gehen.

Es kam anders. Das bekannte Katzenelend ereilte mich in Form von Katzenschnupfen, Parasitenbefall und diversen anderen Erkrankungen. Die sechs Katzenbabys wären in freier Natur ohne ärztliche Hilfe qualvoll gestorben.

Zufällig erblickte ich ein Kitten, als es aus der Wurfkiste krabbelte. Mit Schrecken erkannte ich, dass ein Auge des Babys dick und rot aus der Augenhöhle quoll. Ich musste schnell handeln. So entwand ich der Katzenmutter das fünf Wochen alte Baby und fuhr in der Nacht von Samstag auf Sonntag zum Tierarzt. Aufmerksam beobachtete ich die anderen Babys. Bei zwei weiteren erkannte ich ebenfalls geschwollene, tränende Augen. So blieb uns nichts anderes übrig, als der Mutter alle Babys zu entwenden und zu separieren. Die Tierärztin stellte bei allen Katzenschnupfen, Parasiten sowie diverse andere Erkrankungen fest. Sie mussten intensiv behandelt werden - siebzehn Stunden am Tag mit sechs verschiedenen Medikamenten.

Am nächsten Tag sicherte ich die Katzenmama mit der Falle und ließ sie vorzeitig kastrieren, chippen und ordnungsgemäß als Fundtier auf die Gemeinde registrieren. Nach zehn Tagen Quarantäne in meinem Katzenaußengehege brachten wir sie wieder zurück an den Fundort.

Von der Gemeinde erhielten wir keinerlei Informationen über die weitere Vorgehensweise. Somit war ich mit der Versorgung der Babys sowie der Mutterkatze von früh bis spät allein beschäftigt. In wenigen Wochen streckte ich rund zweitausend Euro für Tierarztkosten und Medikamente vor, die ich bei der Gemeinde einfordern sollte. Bei der Mutterkatze und den Kitten handelte es sich nach den Rahmenbedingungen zur Kastration des Landes Niedersachsen um eine Fundkatze, die vom Tierarzt kastriert, mit einem Microchip versehen und als Fundtier auf die Gemeinde registriert werden musste. Tierschutzvereine/Tierheime/Futterstellen erklären sich lediglich bereit, die Katze nach der erfolgten Kastration so lange zu versorgen, bis das Tier mit einer stetigen Nachversorgung an den Einfangort zurückgebracht werden kann. Das heißt aber nicht, dass weitere notwendige Tierarztkosten von ehrenamtlichen Futterstellen aus privater Tasche zu zahlen sind.

Die Abrechnung meiner Auslagen federte die Verwaltung mit dem Hinweis ab, dass sie mir keinen Auftrag erteilt hätte.

Seit etlichen Jahren finden in Kommunen und Gemeinden in Deutschland Diskussionen über Katzenschutzverordnungen statt. Mit unzähligen Diskussionen verbessert sich allerdings nichts, sondern das Gegenteil ist der Fall, denn in der Zeit begatten die unkastrierten Kater putzmunter und in Freuden die unkastrierten Katzendamen und erzeugen somit noch mehr Katzenelend.

In den drei Monaten machte ich eine Achterbahnfahrt an Gefühlen durch, die mich täglich veranlasste, über Tierschutzpolitik im Allgemeinen, aber besonders über Tierschutz in Kommunen und Gemeinden nachzudenken.

Ein Fazit für mich war, dass sich in Gemeinden oder Kommunen offenbar ein paar wenige gewählte Räte und Mitarbeiter in höheren Positionen befähigt fühlen, für alle Bürger zu entscheiden, obwohl die Bürger nicht deren Meinung teilen. Tiere und Tierschutzvereine/Futterstellen sind auf Gedeih und Verderb den paar Leuten ausgeliefert.

Unermüdlich arbeiten Ehrenamtliche, Tierheimmitarbeiter und Veterinäre dagegen an – bis zum Umfallen. Und – wie in meinem Fall – stecken sie noch mehr privates Geld in eine ehrenamtliche Arbeit, die sogar gesetzlich festgelegt die Angelegenheit von Kommunen und Gemeinden ist. Oft habe ich den Eindruck, dass es unter Kommunen einen geheimen Ausredenkatalog gibt, um sich vor Kosten im Zusammenhang mit Tierschutz, hier insbesondere Katzen, zu drücken, denn immer sind es dieselben Ausreden.

An den Tagen, an denen ich Schreiben aus zusammengesetzten Textbausteinen aus dem Gemeindeschreibbüro erhielt, kam ich mir wie ein Schwerstverbrecher vor, und ich fragte mich den ganzen Tag: Was habe ich Böses getan?

Schlimmer noch war für mich die Frage, wie weit oder kurz der Weg von verschwundenen Katzenschutzverordnungen bis hin zum Verschwinden von z.B. Kinder-, Behinderten- oder Seniorenschutzverordnungen ist. Für mich waren die drei Monate der Aufzucht von Kitten mit den bis heute ungeklärten Schreibereien eine bedeutsame Erfahrung, die viel zum Nachdenken anregte, insbesondere über Gemeinde- und Kommunalpolitik sowie das Gebaren in Verwaltungen, die manch einem in die Depression führt.

Der beste Platz für Politiker

ist das Wahlplakat.

Dort ist er tragbar, geräuschlos

und leicht zu entfernen.

Loriot (1923 - 2011), deutscher Humorist und Karikaturist

Inhaltsverzeichnis

Vorwort6

Mia20

Ramona32

Babykatzenspielzimmer38

Babykatzenalarm und Plattschaufel44

Streunermutti zieht mit sechs Babys ins Yogazimmer58

Streunermutti ist im Hungerstreik64

Behörde als Besitzer von Fundkatzen78

Babykatzenlaufstall bauen87

Kastrationsaktion 2024 für Straßenkatzen95

Mias Matschauge102

Mia – Das Geschenk Gottes114

Katzenschnupfen und noch mehr124

Mutti, es tut mir so leid!139

Mutti zieht ins Außengehege150

Den Babys geht es besser164

Tschüss Mutti, alles Gute!176

Kastrationsaktion Niedersachsen 19.08.-15.09.2024183

Chronische Vergesslichkeit201

Geheimagent Ramona214

Ungesunde Katzen-Politik224

Oskars neue Katzenmama besucht ihn235

Pünktchen und Anton bekommen neue Katzeneltern246

Jetzt auch noch Flöhe250

Die letzten Tage für Mavie und Sofie261

Tschüss Mavie und Sofie, alles Gute!270

Tschüss Oskar, alles Gute!281

Tschüss Pünktchen und Anton, alles Gute!285

Mit Mia das Yogazimmer renovieren292

Mias Operation298

Die Entscheidung und was wird aus Mia …303

Was mich zu dieser Story veranlasste314

Danksagung327

Die Autorin331

Mia

Wer die Katze ins Wasser trägt,

der trägt sein Glück aus dem Haus.

(Deutsches Sprichwort)

Mia, das kleine Katzenmädchen, wurde am 1. Juli 2024 mit ihren fünf Geschwistern in der wunderschönen Elbmarsch geboren. Ihre Mutti ist eine Streunerkatze, auch Straßenkatze genannt. Sie ist hager, richtig knochig und hat kein Gramm zu viel auf den Rippen. Ihr Fell ist graugetigert, struppig und glanzlos. Genauso ihre Augen, die traurig und verloren in diese Welt blicken. Ihr Leben in der freien Natur ist hart. Sie ernährt sich vom Mäusefangen und was ihr sonst noch Essbares unter die Krallen kommt. Das ist sehr wenig bis gar nichts, denn sie muss mindestens alle drei Stunden ihre sechs Babys säugen. Da bleibt kaum Zeit, auf Nahrungssuche zu gehen oder stundenlang vor Mauselöchern zu lauern, bis endlich mal eine hinausspaziert, denn Mäuse sind heutzutage sehr schlau.

Vom Vater fehlt jede Spur. Niemand weiß, wie er aussieht und woher er kommt. Wahrscheinlich hat Herr Kater neben Mutti weitere Liebschaften am Laufen und gleichzeitig hier und da noch mehrere Katzenbabys in die Welt gesetzt. Es schert ihn nicht, wie all die Muttis ihre Kinder ernähren sollen. Er zahlt keinen einzigen Cent Alimente und kümmert sich genauso wenig um die Erziehung der Kinder. Wahrscheinlich ist er längst über alle Berge, hat sich ein neues Revier gesucht und treibt dort sein Unwesen ungezügelt weiter.

Mia und ihre fünf Geschwister sollten deshalb im zarten Alter von fünf Tagen der Plattschaufel zum Opfer fallen.

Wunderschöne Elbmarsch. Über den Begriff wundere ich mich ganz schön, seitdem ich hierhergezogen bin. Ich höre ihn mal hier und mal da, meist nur im Zusammenhang mit Fotoaufnahmen von aufgehender oder untergehender Sonne. Wahrscheinlich sagen das nur ein paar in der Elbmarsch Geborene, denn wunderschön nennen sich auch die Regionen in der Eiffel, am Rhein, auf den friesischen Inseln, in Bayern, in Thüringen, und so weiter. Je nachdem, wo der Mensch geboren ist, bezeichnet er seine Heimat als wunderschön. Und wunderschöne Sonnenauf- und -untergänge gibt es in den Regionen auch. Sogar in Nordrhein-Westfalen.

Ich komme aus Dortmund. Das liegt mitten im Ruhrgebiet. Ich nenne meine Heimat auch wunderschön und einzigartig, zum Beispiel dann, wenn ein Fotograf den Förderturm eines Bergwerks vor der untergehenden Sonne ablichtet. Der Turm sieht auch dann schön aus, wenn die Sonne aufgeht und der leuchtende Ball genau in einem Förderrad steht. Das hügelige Sauerland oder das Bergische Land liegen gleich um die Ecke und laden zum Wandern und Klettern ein. Im Winter ist es meist möglich, sogar Ski zu fahren, Langlauf oder Abfahrt, je nachdem, wie sportlich man ist. Fast an jeder Ecke gibt es eine gemütliche Kneipe, in der man die Kommunikation mit den Nachbarn pflegt oder sogar zelebriert.

Ich gehe einfach mal davon aus, dass der Begriff wunderschöne Elbmarsch aus werbenden Gründen verwendet wird, den Verwaltungen und Tourismus benutzen, um Gäste anzulocken oder bei den Alteingesessenen bei diversen Kaffeetrinken zu punkten.

Wunderschön zaubert mir stets ein Lächeln ins Gesicht. Nein, nicht wegen der Elbmarsch, sondern weil mich der Ausdruck an Scones essende und in die Jahre gekommene Engländerinnen auf den Kreuzfahrern der Queens zum Nachmittagstee erinnert, denn auf dem Parkett des „Queens Room“ stehen von der Reederei bezahlte Tanzpartner zu deren Diensten, um die älteren Damen elegant über die Tanzfläche zu bewegen. Manche der Ladys gehen nur wegen dieser Herren auf die große Reise und was vernimmt man dezent im Saal? Lovely, lovely, lovely – also wunderschön. Somit belasse ich es einfach bei lovely Elbmarsch. Das hört sich moderner und lieblicher an und für die Landschaft trifft es auch eher zu, da sie mir oftmals bescheiden, dezent und lieblich vorkommt. Eben lovely Elbmarsch.

Mich erinnert tatsächlich fast täglich die Elbmarsch an eine dieser alten Ladys, die von ein paar Eintänzer bewegt wird und das Publikum, insbesondere bei Facebook, lovely, lovely, lovely!, ruft oder einen Daumen nach oben postet. Doch was passiert mit ihnen, wenn die Bewohner nicht mehr „Lovely, lovely, lovely!“ rufen und Daumen nach unten zeigen? Das frage ich mich oft, aber manchmal ist der Post anschließend einfach verschwunden.

Ich komme, wie gesagt, nicht aus der Elbmarsch. Bevor ich in diese dörfliche Region zog, lebte ich im kunterbunten Ruhrgebiet, später berufsbedingt im kahlen nördlichen Schleswig-Holstein, dann im multikulti Hamburg und zum Schluss in der heimeligen Kleinstadt Geesthacht. Als ich in Rente ging, zog ich schließlich in die lovely Elbmarsch, um mein Rentnerdasein in Ruhe im Liegestuhl zu genießen.

Vor meinem Umzug wusste ich nicht einmal, dass es die Dörfer Tespe, Marschacht und Drage mit ihren winzigen schmucken Nebendörfern gibt. Nicht einmal während der Zeit, als ich in Geesthacht wohnte, obwohl das Dörflein Bütlingen mit einer anmutigen alten Schule und einem romantischen See punkten kann. Unsere kurzen Ausflugstrips richteten sich meist eher in Richtung Lauenburg, nach Mecklenburg-Vorpommern oder nach Hamburg. Somit blieben mir die Dörfer auf der anderen Seite der Elbe völlig unbekannt. Außer Lüneburg. Die Stadt mit dem mittelalterlichen Flair und den heimeligen Straßencafés sowie liebenswerten kleinen Geschäften ist sehenswert und lässt mich die oftmals triste Elbmarsch vergessen, wenn mir gerade die Lust auf Gartenarbeit fehlt, ich den einzigen Lebensmittelladen in meiner Nähe satthabe oder mir die Decke auf den Kopf fällt. Elbmarsch ist halt da, wo andere Urlaub machen, wie es so oft in der lovely Elbmarsch heißt. Aber immer Urlaub machen ist irgendwann auch langweilig.

Das alles geht mir durch den Kopf, während mir das zarte, inzwischen acht Wochen alte Kätzchen Mia auf dem Schoß sitzt und ich ihr vorsichtig eine Salbe in das dick geschwollene, fast knallrote herausgequollene Auge ohne Pupille tupfe. Mia hält still. Kratzt nicht, zappelt nicht, schaut mich mit dem gesunden Auge vertrauensvoll an. Sie kennt die Prozedur bereits. Seit drei Wochen verabreiche ich ihr Augensalbe, sieben Mal am Tag. Doch ich werde ihr Auge nicht retten können, wieviel Mühe ich mir auch immer geben werde, stelle ich resigniert fest. Das winzige Äuglein wird immer und ewig blind bleiben und wahrscheinlich herausoperiert werden müssen.

Vorsichtig lege ich das kleine, flauschige Köpfchen in meine hohle Hand und streichele sie behutsam hinter den winzigen Öhrchen. Sie lächelt mich an. Mia ist ein freundliches aufgeschlossenes Katzenmädchen. Sie mag es, wenn ich den Flaum ihres Pünktchenbauchs streichele und mit ihren kleinen Pfötchen spiele. Mia weiß nicht, dass sie normalerweise zwei sehende Augen gehabt hätte.

Während ich den Winzling verarzte, toben ihre fünf Geschwister auf dem Kratzbaum, spielen mit den Bällen und Federn. Sie üben die ersten Katzenkämpfe. Mia schaut zu, dreht sich und springt von meinem Schoß. Sie möchte mitspielen. Und Mia kann mitspielen, auch mit einem Auge. Geschwind klettert sie den Kratzbaum hinauf, erkundet auf dem Rückweg jede Etage, bis sie wieder auf dem Boden landet und geschwind hinter ihren fünf anderen Geschwistern hersaust.

Mia ist ein glückliches Kätzchen mit einem sehenden und einem blinden Auge. Mia ist ein glückliches Kätzchen, denn sie weiß nicht, dass sie ihren Defekt den Menschen zu verdanken hat. Ein Defekt, der hätte nicht sein müssen, wenn diese Menschen ihre Arbeit pflichtbewusst getan hätten.

Ich bleibe ruhig sitzen und beobachte das kleine, flauschige Fellbündel. Es tut der Seele gut, den spielenden und tobenden Kitten zuzuschauen. Sie sind ohne List und Tücke, ohne hinterhältige Bösartigkeit, wie es immer häufiger bei den Menschen vorkommt. Mia unterscheidet sich kaum von ihren fünf Geschwistern, nur das tote, rote Auge stört und bereitet mir jedes Mal einen krampfartigen Druck in der Magengegend, wenn ich Salbe in das zierliche Auge des Kätzchens streiche.

Die Katzenbabys werden müde. Sie schlafen noch viel. Der kleine schwarze Kater, den ich Oskar nenne, geht noch einmal zum Futternäpfchen und schleckt ein paar Reste auf. Dabei schläft er ein, das Köpfchen sinkt in den Napf. Ich stehe auf, hebe das Katerchen hoch und setze es in das Kuschelkissen zu den anderen. Die kleine Bande hat es sich bereits überall bequem gemacht. Ich sammele die bunten, leergefressenen Näpfchen ein, gehe aus dem Katzenzimmer und schließe leise die Tür, nicht ohne noch einmal nachzuschauen, ob alle Babys einen gemütlichen Platz gefunden haben.

In der Küche wasche ich die Schälchen ab. Meine vier großen Katzen schleichen um meine Beine herum. Seitdem ich die sechs Katzenbabys in meinem Yogazimmer untergebracht habe, sind sie erstaunlich ruhig, geradezu rücksichtsvoll, als ob sie wüssten, dass nebenan winzige Kätzchen wohnen, die nach ihrer Mutter weinen.

Ich streichele Marie, meiner Katzendame, über den Kopf. Sie ist die einzige weibliche Katze im Haushalt, neben den drei kastrierten Katern Max, Tommy und Jerry. „Möchtest du ein Katzenwürstchen?“, frage ich und zwinkere ihr zu.

Sie scheint zu nicken und antwortet mit einem eindeutigen „Mau.“

„Okay, aber nur ausnahmsweise.“ Das sage ich immer, jeden Abend seit mindestens sechs Jahren. Es ist ein Ritual, dass nur Marie und ich verstehen – und natürlich Tommy, der Kater, der sofort auf den Stuhl springt, seinen Kopf schräg legt und mich mit großen Augen anschaut. „Du etwa auch?“, frage ich. Er reckt sein weiches Mäulchen vor, was wie eine Aufforderung aussieht. „Okay. Aber nur ausnahmsweise“, erkläre ich auch ihm. Das sage ich immer, jeden Abend seit mindestens fünf Jahren.

Max und Marie sind inzwischen sechs Jahre alt, Tom und Jerry, zwei damals fünfzehn Wochen alte Straßenkater, zählen bereits fünf Jahre.

Ich öffne die Schublade und hole eine Packung Katzensticks hervor. Vier erwartungsvolle große, runde Augen blicken mich an. Wie jeden Abend breche ich sie in kleine Stücke. Marie und Tommy fressen mir aus der Hand, dann trotten sie zufrieden ins Wohnzimmer und springen aufs Sofa. Wie jeden Abend. Sie haben ihr Tagewerk vollbracht. Ich auch, und trotte hinter ihnen her. Seit halb sechs am frühen Morgen bin ich auf den Beinen. Zuerst tröpfele ich die flüssige Salbentinktur in Mias Auge, dann fülle ich sechs Näpfchen, denn sechs erst acht Wochen alte Katzenbabys warten auf ihr Frühstück. Währenddessen läuft die Kaffeemaschine und spuckt schnaubend und gurgelnd die schwarze Brühe in die Warmhaltekanne. Seit drei Wochen das gleiche Spiel, ohne Unterbrechung, ohne Pause, ohne Wochenende.

Mein iPhone zwitschert in der Küche. Ich habe es vergessen. Mühsam und stöhnend stehe ich auf und gehe zurück. Ramona steht auf dem Display.

„Hallo“, sage ich.

„Wie geht’s dir?“, fragt sie. „Alle Babys abgefüttert, gewickelt und ins Bett gebracht?“

„Alle Babys im Bett“, erwidere ich müde. „Ich bin auch bettreif. Ich habe seit drei Wochen einen Siebzehn-Stunden-Tag ohne Pause und Wochenende. Meine in die Jahre gekommenen Knochen sind das nicht mehr gewohnt.“

„Was hältst du davon, wenn ich dich morgen früh mit Brötchen, Marmelade und ein paar Elbmarscher Neuigkeiten besuche? Dann können wir deine kleine Familie gemeinsam betüddeln und anschließend zum Tierarzt zur Impfung fahren.“

„Gern.“ Ich freue mich. Ramona ist stets herzerfrischend und positiv in allen Lebenslagen, aber vor allem ist sie ein rühriger, empathischer Mensch und wohnt tatsächlich in der Elbmarsch.

„Ich bin um halb acht bei dir“, erwidert sie knapp und legt auf, bevor ich noch etwas sagen kann.

Ramona scheint über einen siebten Sinn oder über telepathische Fähigkeiten zu verfügen. Sie spürt totsicher, ob es einem Menschen gut oder schlecht geht. Sie ist, wie ein Elbmarscher Käseblatt, immer auf dem neuesten Stand. Sie lebt seit über fünfzig Jahre in Tespe, kennt Hans und Franz und noch ein paar andere mit und ohne Rang. Werner, ihr verstorbener Mann, war in der Elbmarsch geboren, genauso wie seine Eltern und Großeltern. Jetzt lebt sie allein mit ihren Kräutern, töpfert und kocht hervorragende italienische Menüs. Ich liebe es, wenn sie mich zum Essen einlädt, und ich liebe ihren alten gusseisernen Espressokocher, der noch von ihrer Großmutter aus Rom stammt. Aber besonders liebe ich ihre selbstgemachten Marmeladenvariationen.

Ich gehe ins Bad und mache mich bettfertig. Meine Beine wollen mich kaum noch tragen. Sie scheinen Streikmaßnahmen beschlossen zu haben. Recht haben sie, denn morgen früh muss ich um fünf wieder raus. Ich bin auf meine Beine angewiesen, also sollte ich jetzt möglichst nett zu ihnen sein.

Ramona

Das Leben und dazu eine Katze,

das ergibt eine unglaubliche Summe,

ich schwör's euch!

(Rainer Maria Rilke)

30. August 2024

Pünktlich eine Minute vor halb acht klingelt es bei mir Sturm. Ich eile zur Wohnungstür. In beiden Armen hält Ramona zwei prall gefüllte Brötchentüten, ein Jutebeutel baumelt an ihrem Arm.

„Die Katzenbabys fressen noch keine frischen Brötchen“, sage ich lachend und zeige mit weitaufgerissenen Augen auf die Tüten.

„Sind nicht alles Brötchen“, erwidert sie außer Atem und geht durch den Flur in die Küche. „Ich habe noch Brot und Kuchen mitgebracht. Wie ich dich kenne, bist du nicht zum Einkaufen gekommen.“ Sie lädt alles auf den Tisch ab.

„Wie immer hast du Recht“, erwidere ich stöhnend. „Kaffee habe ich bereits aufgesetzt.“

„Töröö!“, ruft sie und zaubert aus dem Jutebeutel zwei Gläser Marmelade und eine Packung Butter hervor.

Ich schüttele den Kopf. Das ist typisch Ramona. Wenn ich sie nicht hätte, und vor allem wenn die lovely Elbmarsch sie nicht hätte, was wäre dann wohl los!

„Hast du die Babys schon verarztet?“, fragt sie.

„Erste Runde Salbe heute Morgen um halb sechs“, erwidere ich und schaue auf die Uhr. „Um acht wäre Mia wieder mit Tropfen dran. Seit gestern brauchen die anderen Fünf keine Medikamente mehr. Gott sei Dank.“ Ich hole die Warmhaltekanne und gieße Kaffee in die Becher. „Was ist das für Marmelade?“, frage ich und nehme das Glas zur Hand.

„Meine neueste Kreation“, erwidert Ramona kauend. „Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Blaubeeren, Johannisbeeren, gemischt mit Chili, Thymian und Rosmarin. Probiere. Absolut spitze.“

Ich tunke den Löffel ins Glas und hole etwas von der glibbrigen dunkelroten Masse hervor, um sie aufs Brötchen zu streichen. Sofort fällt mir Mias Auge ein. Ich verziehe den Mund.

„Du denkst an das Auge des kleinen Kätzchens“, sagt Ramona und nimmt einen Schluck Kaffee.

„Woher weiß du das?“

„Es steht dir auf der Stirn geschrieben.“

„Kann man vor dir auch etwas verheimlichen?“, frage ich nachdenklich.

„Nein.“ Sie grinst. „Niemand schafft das.“

Ich blicke Ramona an und nicke. „Ich glaube dir aufs Wort“, erwidere ich. Ramona ist fast siebzig. Sie kommt ursprünglich aus der Nähe von Rom. Als sie Werner aus der lovely Elbmarsch kennenlernte, der einen Strandurlaub in Italien verbrachte, verliebten sich die beiden ineinander. Sie heirateten. Ramona zog aus dem wunderschönen Italien in die lovely Elbmarsch, direkt hinter dem Deich in Tespe. Früher besaß sie eine lange, schwarze, lockige, füllige Haarpracht. Jetzt sind ihre Haare völlig ergraut, fast weiß, aber immer noch lang und lockig. Deshalb sieht sie ein bisschen wie eine Fee aus. Zudem ist sie klein und zierlich. Ihren unglaublich freundlichen, dunklen Augen kann niemand widerstehen. Ihr Gesicht besteht nur aus diesen Augen, die ständig zu lachen scheinen.

„Nimm die“, sagt sie und reicht mir das Glas mit einer gelben Marmelade zu. „Zitrone mit Minze.“

„Danke.“ Ich bin mir jetzt hundertprozentig sicher: Ramona hat telepathische Fähigkeiten und ist geübt in Quantensprung.

„Ich weiß jetzt, wer zumindest eine Mitschuld an diesem ganzen Katzenelend hat“, sagt Ramona beiläufig und bestreicht ein weiteres Brötchen mit der dunkelroten Glibbermasse, die mich erneut an Mias Auge erinnert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das Zeug niemals essen werde, obwohl ich weiß, dass Ramona hervorragende Marmeladen herstellt.

„Wer?“ Ich verschlucke mich fast.

„Er war‘s“, erwidert Ramona.

„Wer war‘s?“, frage ich und schüttele irritiert den Kopf.

„Er war‘s.“ Sie lacht laut.

„Und wer ist er?“

„Erzähle ich dir später. Wir müssen jetzt deine Katzenbabys verarzten und füttern.“

„Sind nicht meine Katzenbabys, gehören der lovely Samtgemeinde Elbmarsch.“

„Stimmt“, bestätigt Ramona.

„Stimmt sogar genau, bis auf den Cent.“ Ich stehe auf. Im Schrank befinden sich die kleinen, bunten Katzenschälchen, geeignet für winzige Kitten. Inzwischen besitze ich achtzehn von der Sorte. Die Babys müssen fünf Mal am Tag gefüttert werden und jedes Kätzchen beansprucht inzwischen ein eigenes Näpfchen.

Ich rühre Aufzuchtmilch an und vermische es mit Baby-Paté. „Matschepampe“, sage ich und stelle alles auf ein Tablett. Zusätzlich die Augensalbe für Mia, die ich im Kühlschrank aufbewahre.

„Tierheim?“, fragt Ramona und beguckt sich amüsiert das Buffet.

„Ne, wohl eher unbezahlte, nichtanerkannte Pflegestelle für Katzenbabys aus der Elbmarsch“, erwidere ich. „Inzwischen habe ich schon mindestens zwei Kilo Aufzuchtmilch verbraucht und täglich benötige ich achthundert Gramm Kittenfutter. Meine gelben Säcke platzen aus allen Nähten. Wie du weißt, sind gelbe Säcke in der lovely Elbmarsch Mangelware.“

„Nicht nur gelbe Säcke.“ Ramona schnappt sich das Tablett, „Braune Säcke auch.“

„Die sollen diese Woche angeliefert werden. Das habe ich gestern gelesen.“ Ich bewaffne mich mit Plastiktüten, Katzenstreu, Besen, Handfeger und Schaufel.

„Fehlt nur noch das Blutdruckmessgerät“, stelle ich fest und öffne einen Spalt die Tür zu meinem ehemaligen Yogazimmer, dass nun zum Babykatzenspielzimmer geworden ist. „Pass auf, dass du nicht auf einem Klimperball trittst und ausrutscht.“

Babykatzenspielzimmer

Das kleinste Katzentier ist ein Meisterstück

(Leonardo da Vinci)

Durch den Spalt springen sechs fünfzehn Zentimeter hohe Katzenkinder in den Flur. Sie sehen tatsächlich aus wie Katzen im Miniaturformat, aber mit allem Drum und Dran. Genauso gut könnten sie der Steiff-Plüschtier-Kollektion entsprungen und lebendig geworden sein.

Ich halte Ramona die Tür auf, damit sie mit dem Tablett das Babykatzenspielzimmer entern kann. Sofort stürmt die kleine Bande zurück und springt um ihre Füße herum, sodass sie kaum das Servierbrett ohne Kleckern auf die Ablage bekommt. Die Winzlinge wissen bereits genau, dass es jetzt Futter gibt. Sie riechen das, schauen mit ihren kleinen Kulleraugen nach oben und miauen laut. Oskar, der graziöse schwarze Kater mit drei weißen Brusthaaren, kann in Perfektion und in allen Tönen schreien. Er fordert sein Recht ein. Immerhin ist er der Schwerste. Er bringt dreißig Gramm mehr auf die Waage als Anton, und der ist schon gut im Futter.

„Der wird mal Stabsoberoffizier“, meint Ramona. „Befehlen kann er bereits.“

„Jau“, erwidere ich lachend. „Damals in meinem Job gab es auch einen Stabsoberoffizier. Ich war fünfundzwanzig und völlig verschossen in ihn. Der war supernett, nicht so wie die hier.“

„Hier?“ Ramona sieht mich irritiert an. „Hier ist keine Bundeswehr stationiert.“

„Weiß ich. Aber in der Gemeinde gibt es Stabsoberoffiziere.“

„Hast du inzwischen das Amt angeschrieben oder mit ihnen gesprochen?“, wechselt Ramona das Thema.

„Angeschrieben ja und auch die Rechnungen mitgeschickt, aber nicht mit denen gesprochen. Dort ist keiner zu erreichen. Urlaub, Krankheit, auf der Toilette, … und was weiß ich noch alles.“ Ich schnappe mir Oskar, weil er noch täglich Augentropfen bekommt. Der Katzenschnupfen ist noch nicht ganz weg. „Das übliche Bla-Bla“, erwidere ich, während ich zwei Tropfen abzähle, „hiermit bestätige ich Ihnen den Eingang Ihrer E-Mail. Ich nehme mich Ihrem Anliegen an und melde mich unaufgefordert bei Ihnen. Bei Rückfragen und so weiter …Bla-Bla.“ Ich zucke resignierend mit der Schulter.

„Hast du es mal bei der Stabsstelle probiert?“

„Da war auch niemand erreichbar“, grummele ich.

„Aha, Rückenpflege?“ Ramona zieht einen Mundwinkel nach oben.

„Rückenpflege muss auch sein“, gebe ich zur Antwort.

„Stimmt“, erwidert Ramona und zwinkert mir zu. „Ich bekomme seit gestern Physiotherapie. Mein Ischiasnerv nervt. Aber ich bin bereits siebzig und nicht Langzeitpflegefall auf Staatskosten. Das ist was anderes“, sagt sie, als ob sie sich verteidigen wollte.

„Du darfst Rücken, du hast dafür gearbeitet“, beruhige ich sie.

„Ich weniger. Werner hat dafür gearbeitet. Apropos Werner. Er hatte damals in seinem Amt unter sich auch eine Stabsstelle eingerichtet bekommen“, meint sie nachdenklich. „Völlig überflüssiger Job für Leute, die irgendwo untergebracht werden müssen, weil man sie nicht kündigen kann. Bei Werner war es ein Beamter, den niemand haben wollte. Werner wollte den auch nicht. Der Typ sollte koordinieren und planen, mit der Idee, Werner zu entlasten sowie zu beraten. Das stand in seiner Stellenbeschreibung. Solche Leute verfügen über keine formalen Machtmittel, sind direkt dem Chef unterstellt und sollen ihm zuarbeiten. Ein Job, den früher Sekretärinnen erledigten. Mit der EDV heutzutage ist das völlig überflüssig geworden, meinte Werner. Das kostet ein Schweinegeld. Er nannte ihn Stabsstelle Feigenblatt und machte einen großen Bogen um ihn, weil der ständig nervte. So, wie mein Ischiasnerv.“

„Sollen sie eine Kosten-Nutzen-Analyse machen und dann weg damit. Aber jeder baucht seine Daseinsberechtigung“, gebe ich gleichgültig zur Antwort und zucke erneut die Schultern. „Wo ist Mia?“ Ich suche mit den Augen das Gewusel ab. „Hier“, und bücke mich, um nach ihr zu schnappen. Schwupp, weg ist sie. Sie weiß, was jetzt kommt: Augentropfen. Ich versuche es noch einmal. Wieder entwischt sie mir. Es kommt mir fast vor, als ob sie an diesem Spiel Gefallen findet und grinst mich amüsiert an. „Ich krieg dich schon“, sage ich lachend und starte den nächsten Versuch. Mia springt auf den Kratzbaum und von dort auf die Ablage, auf der die gefüllten Futternäpfchen und die Tropfen stehen. Sie will es mir leicht machen und wehrt sich nicht, als ich sie auf den Arm nehme. Ich muss mich nicht mehr bücken und kann meinen Rücken schonen.

Mia schnurrt.