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Arjan von Fryslân segelt nach Konstantinopel, um seine Frau Shiran aus den Fängen der Thyra Tryggvason zu befreien. Der oströmische Kaiser Basileios nimmt ihn gefangen. Einzig Shiran, die illegitime Tochter Basileios, kann ihn befreien. Zurück in Fryslân erhält Arjan vom weströmischen König Heinrich den Befehl, alle Friesen zum geplanten Feldzug gegen Polen zu entsenden. Aufgrund der von Kaiser Karl dem Großen hinterlassenen Friesischen Freiheit brauchen die Friesen nicht in Kriege zu ziehen, da sie frei und niemandem verpflichtet sind. König Heinrich zweifelt an der Existenz des Gesetzes. Shiran findet die Originale und kann den König überzeugen. Thyra will unter allen Umständen das Gesetz in ihre Hände bringen und schreckt vor Überfällen und Morde auf die Friesen nicht zurück. Können Shiran und Arjan ihr Leben und die Friesische Freiheit retten?
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Seitenzahl: 809
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Monique Lhoir
Arjan
Friesische Freiheit
Band 2
Historischer Roman
aus der Provinz Fryslân
Impressum
Texte: © 2024 Copyright by Monique Lhoir
Umschlag: © 2024 Copyright by Monique Lhoir
Verantwortlich
für den Inhalt: Monique Lhoir
21395 Tespe OT Bütlingen
Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH,
Berlin
Einleitung
Frieden und Freiheit sind hohe Ideale, die die gesamte Menschheit seit vielen hundert Jahren anstreben, sich stets wünschen, dafür leben und vor allem dafür sterben –doch bislang ist noch niemand auf eine Ideallösung gekommen. Die Menschen leben weiterhin in Abhängigkeit, in Sklaverei und im Krieg.
In meinen zwei Bänden „Das Orakel von Fryslân“ und „Die friesische Freiheit“ gehe ich in leichter und lockerer Form auf diese Themen ein. Dem Knaben Arjan, geboren um 973 in Winaam in der Provinz Fryslân wird „Das goldene Orakel von Fryslân“ in die Wiege gelegt, das besagt: „Eine Frau mit goldenen Haaren wird dir ewige Liebe, deinem Land ewigen Frieden und Freiheit schenken. Hüte sie stets gut und lass sie niemals aus den Augen, denn kriegerische Mächte aus dem Norden wollen dir dein Glück streitig machen. Handele weise und überlegt, lass dich nicht durch Walküren blenden, denn sonst trittst du als Einherjer durch das Totentor in Odins Reich ein und dein Volk ist verloren. Doch nimm dich in Acht. Bevor du die Liebe der Frau mit den goldenen Haaren erringen kannst, wird dich der Dolch der Habgier und des Neides tödlich treffen. Einzig die Kraft der Liebe dieser Frau wird dein Leben retten.“
Ich nahm das Thema „friesische Freiheit“ (Fryske frijheid) auf, weil es nach wie vor aktuell ist. Angeblich hat dieses Recht Karl der Große den Friesen verliehen, nachdem sie im 9. Jahrhundert vollkommen und unerwartet für ihren König Karl die Römer besiegten. Karl war so begeistert, dass er seine tapferen friesischen Krieger mit dem höchsten Gut belohnte: Freiheit. Um diese „Friesische Freiheit“ ranken sich viele Legenden. Es ist nicht nachgewiesen, dass sie tatsächlich von Karl dem Großen verliehen wurde, aber es wurde hartnäckig daran festgehalten. In der Blütezeit umfasste sie 17 Küren und 24 Landrechte, die stets erweitert wurden, z.B. aus weiteren 145 Kapiteln sowie Auszüge des Emsiger Pfennigschuldbuches, weiteren 298 Kapiteln um Verwandtschaft, Adoption, Ehe- und Erbrecht, Testamenten, Näherkauf und Landheuer und schließlich noch einmal 123 Kapitel über Bußtaxen und weiteren Rechten. Bei dieser Betrachtungsweise waren die Küren wohl der Vorreiter unserer heutigen umfassenden Gesetzgebung.
Meine historische Liebesgeschichte agiert in den Jahren 1001-1010 in der Provinz Fryslân. Das goldene Orakel von Fryslân spielt darin eine zentrale Rolle, rund um die friesische Freiheit, um Frieden und um den Deichbau, denn das Wasser war und ist der größte Feind der friesischen Länder.
Weiterhin stammen meine zentralen Figuren einerseits aus der Provinz Fryslân im Norden und andererseits aus Konstantinopel, dem damaligen Byzanz, heute Istanbul in der Türkei. Gerade im Zeitraum um 1000 herum gab es nicht nur landschaftlich, sondern insbesondere kulturell und wirtschaftlich große Unterschiede. Gleichzeitig fand in diesem Zeitraum die Christianisierung im deutsch-römischen Reich statt.
Noch heute finden wir Spuren der friesischen Freiheit, insbesondere in Ostfriesland mit der Thingstätte Upstalsboom, aber auch in der Provinz Fryslân, allein schon mit der Tatsache, dass der alte friesische Name Fryslân offiziell anerkannt sowie auch die friesische Sprache weitestgehend erhalten geblieben ist und praktiziert wird.
In meinem Roman vermische ich fiktive mit realistischen historischen Personen wie König Æthelred von England, König Sven Gabelbart von Dänemark, König Olav Tryggvason von Norwegen, Kaiserin Theophanu, die mit Otto dem II., römisch-deutscher Kaiser, verheiratet war. Ihr Sohn Otto III. wiederum sollte Zoé, Tochter des byzantinischen Kaisers Konstantin, heiraten. Otto der III. starb allerdings kurz vorher. Ferner spielt Karl der Große eine wesentliche Rolle in der Friesischen Freiheit, die er angeblich den siegreichen Friesen verliehen hat. Ebenfalls werden kleinere geschichtliche Begebenheiten aus den Jahren 1001-1010 angesprochen, in denen meine Protagonisten und Antagonisten agieren.
Nicht zuletzt spielt die Liebe eine wesentliche Rolle, sowie der Glaube an die damaligen Götter, denn erst um diese Zeit begann die Christianisierung.
Mit Absicht habe ich meine Protagonisten aus dem Heiligen Römischen Reich, das sich besonders unter den Ottonen gebildet hatte, und aus dem Oströmischen Reich unter Kaiser Basileios genommen, da ich hier enorme kulturelle Unterschiede beschreiben konnte.
Nichtsdestotrotz stellte ich fest, dass sich in mehr als eintausend Jahren im Prinzip nichts geändert hat, was Frieden und Freiheit anbelangt. Gerade jetzt kriselt und brodelt es überall um uns herum und nicht einmal im eigenen Land herrschen Frieden und Freiheit. Auch die Kriege sind nicht weniger geworden, nur grausamer.
So bleibt uns allen nur, uns Frieden und Freiheit zu wünschen, so, wie es Arjan von Fryslân im Jahre 973 n.Chr. in einem Orakel vom Göttervater Odin in die Wiege gelegt wurde.
Ich bedanke mich bei Arjan van der Cingel aus der Provinz Fryslân in den Niederlanden, der mir bei vielen Recherchen behilflich gewesen ist.
Mon Desir
(Meine Sehnsucht)
Du bist wie ein sanfter Hauch,
wie eine zärtliche Berührung,
kaum wahrnehmbar im Universum.
Du bist wie ein sachter Wind im Sommer,
unausweichlich spürbar.
Du bist wie ein intensives Leben,
von dem man glaubt,
dass es heut' nicht mehr vorhanden sei.
Und doch ist es da!
Wenn ich die Augen schließe,
dem beruhigenden Flüstern der Wellen lausche,
die stillen, nachdrücklichen Gefühle spüre,
dein Verstehen auf dem Meer genieße -
dann weiß ich, was es heißt zu leben.
(© Arjan H. van der Cingel)
Juli 1005 Reise nach Byzanz
Arjan von Fryslân kam an Deck der Syljer und gesellte sich zu seinem dänischen Steuermann Einar. „Ich habe eben ausgerechnet, dass wir spätestens in La Rochelle Proviant und Wasser laden sollten.“
Einar grinste Arjan schief an und schob seine Wollmütze in den Nacken. „Was bedeutet spätestens?“, fragte er und kaute dabei auf einem Stück Holz. „Das Wasser wird knapp und es ist heiß.“ Er schaute in den wolkenlosen Himmel.“
„Nach meinen Berechnungen und bei diesem Wind in etwa drei bis vier Tagen“, erwiderte Arjan.
„Das ist eine lange Zeit.“ Einar widmete sich wieder dem Ruder. Wie immer war er knapp mit Worten.
Seit ein paar Tagen segelten sie an der Küste des Westfrankenreichs entlang, ohne das Boot der Thyra von Auerk gesichtet zu haben. Arjan zermürbte diese Tatsache. Viel lieber hätte er dieses Weib mitsamt ihrem Schiff versenkt und Shiran in die Arme geschlossen. „Vielleicht erfahren wir in La Rochelle mehr. Wenn Thyra von Auerk vor uns segelt, dann müsste sie ebenfalls einen Hafen angelaufen haben. La Rochelle ist der Einzige weit und breit. Die Bewohner bauen Wein an und erzeugen Salz. Sie handeln damit. Hier können wir gepökelten Fisch und Fleisch erwerben.“
„Was ist, wenn die abtrünnige Dänin hinter uns liegt?“ Einar spuckte aufs Deck, obwohl er wusste, dass Arjan diese Angewohnheit hasste.
„Dann empfangen wir sie in Byzanz. Irgendwann muss sie auftauchen.“ Arjan starrte aufs Meer. Die Sonne ließ das Wasser flirren, sodass er seine Augen zusammenkneifen musste, weil sie zu tränen begannen.
„Was passiert, wenn sie überhaupt nicht dort eintrifft oder gar ein völlig anderes Ziel gewählt hat? Rolof von Wuxalia kann ihren Lügen zum Opfer gefallen sein oder er will Euch in die Irre führen.“ Einar zog die Stirn in Falten.
„Rolof zu glauben ist die einzige Möglichkeit, die wir haben.“ Arjans Kiefer arbeitete ununterbrochen. „Ich will und muss jede Möglichkeit ergreifen, um Shiran zu befreien.“
„Falls Eure Frau überhaupt noch lebt“, brummte Einar und konzentrierte sich auf das Meer. „Thyra von Auerk ist unberechenbar. Doch könnt Ihr gewiss sein, dass ich alles daransetzen werde, diese Dämonin zu beseitigen. In meinem Land ist sie nicht beliebt. Sie mordet, ohne mit der Wimper zu zucken, wenn es um ihre eigenen Interessen geht.“ Einar war im Gegensatz zu sonst ausgesprochen gesprächig.
„Ich mache mir Vorwürfe, dass ich damals Shiran in Winaam zurückließ, während ich dieses Weib nach Ostfriesland begleiten wollte.“ Arjan schüttelte den Kopf. „Ich weiß heute nicht mehr, was in mich gefahren war. Jeder andere hätte genauso gut die Furie begleiten können. Diesen Fehler verzeihe ich mir nie.“
„Gottes Wege sind unergründlich“, zitierte Einar. „Alles hat seinen Sinn, nur wir verstehen ihn nicht sofort.“
„Das hat vor einigen Wochen Eilert auch gesagt, als ich mich damit abzufinden hatte, dass meine Frau womöglich tot sei und ich sie niemals mehr wieder sehen würde. Ich sage dir, wenn diese Reise ein glückliches Ende nimmt, werde ich nicht mehr zur See fahren und Shiran keinen Moment aus den Augen lassen.“
„Dafür ein paar Kinder zeugen“, grinste Einar anzüglich. „Brav am Rockzipfel des Weibes hängen und Fryslâns Nachwuchs auf den Knien wiegen.“ Er wischte sich mit der flachen Hand über die schwitzende Stirn.
„Du hast ein loses Maul.“ Arjan schlug ihm auf die Schulter, aber um seine Mundwinkel war ein Lächeln zu erkennen. „Du hast Recht, wenn ich Shiran erst einmal wieder in meinen Armen halte, wäre dieser Gedanke durchaus überlegenswert.“
* * *
Rolof von Wuxalia fluchte. Inzwischen segelte er auf dem Atlantischen Ozean, ohne dass er Arjans Syljer oder Thyras Boot gesichtet hatte. So würde seine Reise länger dauern als angenommen. Er war sicher gewesen, mit der Toner das ostfriesische Schiff einzuholen, zumal er sich und seinen Männern keine Ruhe gönnte.
„Wohin soll die Reise überhaupt gehen?“, wollte sein erster Steuermann mürrisch wissen. „Die Männer fragen sich, was Ihr bezweckt. Proviant und Wasser gehen zur Neige.“
„Unser Ziel ist Byzanz“, gab Rolof knapp zur Antwort und biss die Zähne aufeinander.
„Byzanz.“ Der Steuermann nickte. „Dann habt Ihr Euch viel vorgenommen. Ihr sagtet bei der Abreise, dass Ihr uns nur für ein paar Tage anheuern wollt.“ Der bärtige Hüne wies mit dem Kopf auf die Mannschaft. „Das solltet Ihr den Männern erklären. Sie beginnen zu meutern.“
„Solange ich ihre Heuer zahle, unterstehen sie meinem Kommando.“ Rolof wandte sich ab und starrte aufs gleißende Meer hinaus.
„Mit knurrendem Magen sind sie unberechenbar.“ Der Steuermann schniefte durch die Nase und spuckte anschließend aufs Deck. „Ich übernehme für sie keine Garantie.“
„Wir laden in La Rochelle Proviant und Wasser“, gab Rolof kurz Auskunft. Er ging zum Bug der Toner. Die Wut in seinem Bauch auf Thyra von Auerk wuchs mit jeder Seemeile, die ihn weiter nach Süden führte. Sollte er diese Frau zu fassen bekommen, würde er sie auf der Stelle vierteilen, auch wenn sie ein Weib war. Sein gesamtes Leben hatte sie ruiniert und nicht nur seines, sondern auch das seiner treuesten Männer und seiner Leute in Wuxalia. Für jeden Einzelnen sollte sie büßen.
Inzwischen war ihm alles egal. Sein einziges Ziel war es, Thyra zu finden und endgültig zu vernichten. Er hatte nichts mehr zu verlieren, aber wenn er diese Teufelin aus der Welt schaffte, sich rächte, für sich und für Arjan von Fryslân, so würde er den gesamten friesischen Provinzen einen wichtigen Dienst erweisen. Damit bekam er wenigstens zu einem kleinen Teil die Möglichkeit, seine Schuld vor Gott und vor Arjan zu sühnen. Er glaubte nicht an Gott, aber der Gedanke, in einer brennenden Hölle zu enden, wie die Priester und Mönche prophezeiten, die den christlichen Glauben lehrten, war ihm unheimlich.
Mit festen Schritten ging er in den niedrigen Aufbau der Toner, um die Route nach La Rochelle zu berechnen.
* * *
„Frau von Auerk“, der kleine ostfriesische Steuermann kam verschreckt auf Thyra zu. „Wir segeln bereits seit zwei Tagen im Atlantischen Ozean. Die Männer fragen nach, wohin die Reise geht.“
„Die Männer haben hier nichts zu fragen, sondern meinen Befehlen zu gehorchen.“ Thyra warf den Kopf in den Nacken und schaute den Steuermann von oben herab mit zusammengekniffenen Augen an.
„Der Proviant geht zur Neige. Es ist ungewöhnlich heiß und das Wasser wird knapp“, versuchte der Steuermann es noch einmal.
„Ist es meine Schuld, dass es heiß ist? Ist es meine Schuld, dass ihr, du und deine Männer, Arjan von Fryslâns Flotte nicht einholt?“ Thyra verschränkte die Arme und wandte sich gelangweilt ab.
„Die Schiffe Fryslâns sind schneller als unser Boot. Die Männer tun, was sie können“, verteidigte der Bootsführer die Mannschaft.
„Dann vermögen sie nicht genug zu tun. Sie sind unfähig. Es liegt an euch, wie lange wir auf dem Meer verbringen. Wenn ihr die Flotte des Herrn von Fryslân morgen einholt, ist diese Reise beendet. Boykottiert ihr aber weiterhin meine Befehle, so werden wir Monate unterwegs sein. Sputet euch!“, schrie Thyra den Steuermann an und stampfte mit dem Fuß auf. „Geh an deine Arbeit.“
„Frau von Auerk“, versuchte der magere Mann erneut auf sie einzureden. „Wenn die Männer Hunger und Durst verspüren, verlieren sie an Kraft. Wir werden Ausfälle haben und langsamer werden.“
Thyra drehte sich mit einem Ruck zu ihm um. „Jeden, der hier beginnt zu meutern“, sagte sie mit festem Ton, „werde ich eigenhändig auspeitschen und über Bord werfen. Sag das deinen Männern.“ Thyra biss die Zähne zusammen, sodass ihr Mund zu einem Spalt wurde.
Der Steuermann zuckte zusammen und ging mit gesenktem Kopf zurück ans Ruder.
Thyra lief hektisch auf und ab. Es behagte ihr nicht, dass sie Arjans Syljer nicht einholte, obwohl sie ohne Pause scharf am Wind segelte. Oft hörte sie es unheimlich im Rumpf des Bootes knarren und knacken, als ob das Schiff jeden Moment auseinanderbrechen würde. Sie verfluchte ihren toten Ehemann Walther von Auerk, dass er seine Flotte derart vernachlässigt hatte. Dieser sabbernde Greis war kein Seefahrer gewesen. Sie hingegen entstammte dem norwegischen Königshaus, dem Wikingergeschlecht. Eine Seemacht, wie sie größer gar nicht sein konnte, die den umliegenden Ländern Angst und Schrecken eingejagt hatte. Und nun sollte sie, Thyra von Tryggvason, auf dem Meer scheitern? Nie und nimmer. Wieder stampfte sie erbost mit dem Fuß auf. Sie würde den Leuten schon zeigen, wo es langging. Niemand meuterte unter ihrem Kommando.
Thyra überlegte. Wenn der hässliche Steuermann Recht hatte und die Leute zu rebellieren begannen, so musste sie an einem einzelnen Mann demonstrieren, was Meuterern unter ihrer Führung erwartete. Es würde die anderen abschrecken.
Andererseits leuchtete ihr ein, dass sie mit dem wenigen Proviant und Wasser nicht bis nach Byzanz kommen würde. Das hieße, sie mussten in nächster Zeit einen Hafen anlaufen, um nachzuladen. Das würde sie wieder einen wertvollen Tag kosten, den sie auf Arjans Flotte verlor.
Thyra begab sich unter Deck. Sie wurde in eine Seefahrerfamilie hineingeboren und jetzt war sie froh, dass ihr Onkel Olaf Tryggvason ihr nicht nur das Führen einer Flotte, sondern auch Seekenntnisse beigebracht hatte. Thyra beugte sich über den niedrigen Holztisch, auf dem Pergamente mit Zeichnungen aller Meere lagen. Sie studierte die Aufzeichnungen. Danach könnten sie in vier bis fünf Tagen in La Rochelle sein, einer kleinen Hafenstadt im Westfrankenreich, die vom Handel lebte. Dort musste sie zuladen und vielleicht konnte sie auch ihre schwachen, ostfriesischen Männer gegen seeerfahrene Leute austauschen.
Thyra schaute auf und starrte die gegenüberliegende Wand des Rumpfes an. So, wie sie damals verflucht hatte, dass ihr Onkel sie an den alten Walther von Auerk verschachert hatte, so verfluchte sie inzwischen sämtliche friesischen Länder und Provinzen, deren Bevölkerungen nichts anderes im Sinn hatten, als Frieden zu halten und dem Meer Land abzugewinnen. Alles dumme Bauern! Sie hieb mit der Faust auf den niedrigen Tisch. Hätte ihr sabbernder Ehemann weniger Wert auf Ochsen und Weizen gelegt, sondern sich um seine Flotte und die seemännische Ausbildung seiner Leute gekümmert, müsste sie sich jetzt nicht mit diesen Problemen herumschlagen.
Arjan von Fryslân. Das war ein Mann. Jung und gutaussehend, mit einer Flotte, die sich sehen lassen und mit der man etwas erreichen konnte. Wenn sie sich mit ihm zusammentat, wenn sie Ost- und Westfriesland vereinen würden, dann konnten sie bald sämtliche friesischen Provinzen beherrschen. Einer solch starken Seemacht könnten weder die Dänen noch die Engländer etwas entgegensetzen.
Thyra begann zu träumen. Sie sah sich bereits als Königin auf dem englischen Thron sitzen. Diesen alten, vergreisten König Æthelred, der sich feige in London verbarrikadierte, würde sie zuerst vernichten. Die Dänen, auch wenn es ihre Landsleute waren, würden ein Kinderspiel sein. Arjan von Fryslân gehörte auf diesen Thron, er würde die nördlichen Länder mit ihr an seiner Seite beherrschen.
Thyra lachte hart auf. Diese dumme Shiran aus Byzanz. Was konnte sie schon ausrichten? Sie war in ihrer Gewalt und wenn sie nach Auerk zurückkam, würde sie die Heidin auf der Stelle umbringen und verscharren lassen, wenn sie nicht bereits schon verhungert war. Niemand würde sie vermissen. Wenn sie es klug genug anstellte, auch ein Arjan von Fryslân nicht.
Thyra betrachtete sich in dem blassen Spiegel. Ihre langen blonden Haare hatte sie geflochten und wie eine Krone um ihren Kopf gebunden. Sie hatte die klassischen Gesichtszüge der Tryggvasons. Ihre Figur war herber und kraftvoller als die Shirans, die eine Taille besaß, als würde sie jeden Augenblick durchbrechen. Thyra straffte den Rücken und schob ihren Busen heraus. Sie war ein Weib, ein Vollblutweib. Ihr Körper lechzte nach einem Mann, ihr Becken sehnte sich nach Kindern. Sie würde Arjan von Fryslân viele Erben schenken. Große, starke Männer, die es später verstanden zu kämpfen und die die nördlichen Länder beherrschen würden. Arjan von Fryslân war lediglich auf einem Irrweg, sich in eine blasse, unscheinbare Frau wie diese Shiran zu verlieben. Früher oder später würde er feststellen, dass nur sie, Thyra Tryggvason, die einzig wahre und standesgemäße Gattin sein konnte, die ihm Macht und Reichtum sichern würde.
Thyra begab sich an Deck. „Wir werden in La Rochelle Proviant und Wasser laden“, sagte sie zu dem schmächtigen Steuermann. „Du bist mir dafür verantwortlich, den Hafen so schnell wie möglich zu erreichen. Tunlichst vor der Flotte des Arjan von Fryslân, oder aber gleichzeitig mit ihm.“ Sie grinste ihn triumphierend an.
* * *
„Was meint Ihr, Meister Eilert“, fragte Shiran, als sie an Deck kam, „wie lange brauchen wir bis La Rochelle?“ Eilert und Olaf von Ljouwert hatten einen Tag zuvor beschlossen, in der Hafenstadt des Westfrankenreiches Proviant zu bunkern. Sie hatten die Normandie umsegelt und es war aussichtslos, auf dem offenen Atlantik Arjans Flotte oder Thyras Boot auszumachen. Da beide Männer das Oberhaupt des Ortes von gemeinsamen Kämpfen kannten, konnten sie damit gleichzeitig einen Besuch verbinden.
„Wenn die Winde uns zur Seite stehen, in sechs bis sieben Tagen.“ Shiran stellte fest, dass Eilert nicht mehr so heftig humpelte, wie in Winaam. Insgeheim lächelte sie, denn der alte Recke hatte sich eher nur eingebildet, alt zu sein. Mit Umsicht und Bedacht lenkte er die Mannschaft der Frou fan Fryslân. Wenn der Grund ihrer Reise nicht einen so ernsten Hintergrund gehabt hätte, würde Shiran fast annehmen, dass sie einen Sommerausflug auf dem Meer unternahmen. Shiran wusste, dass sie die Syljer nicht mehr erreichen konnten, denn sie hatte einen Vorsprung von fünf bis sechs Tagen. Auch wenn die Frou fan Fryslân ein schnelles Boot war, so mussten sie Rücksicht auf Olaf von Ljouwert und auf die beiden Dromonen aus Byzanz nehmen, die nicht für raue Gewässer geeignet waren. Shiran hoffte inständig, dass Thyras Boot Arjans Syljer nicht einholte, sodass es nicht zu einem Seekampf kam. Wenn sie den Harlingern und Eilert Glauben schenken konnte, so war das ostfriesische Schiff in einem maroden Zustand und würde somit die Syljer nicht einholen.
„La Rochelle.“ Eilert gesellte sich zu Shiran, die gedankenverloren über das Meer schaute. „Das erinnert mich an meine guten Jahre.“ Er lächelte versonnen.
Shiran sah zu ihm auf. „Ihr habt jetzt keine schlechten Jahre.“
„In La Rochelle gab es eine junge Frau“, fuhr Eilert ungerührt fort. „Als ich damals dort ankerte, war ich müde, abgekämpft und verletzt. Sie labte mich mit Wein und süßen Trauben. Ich verbrachte dort einige Tage und war fast geneigt, mich an der Küste niederzulassen. Ich erinnere mich, dass sie Cloé hieß.“
„Ein schöner Name“, sagte Shiran. „Er klingt wie der Name meiner Schwester Zoé.“
„Du hast eine Schwester?“ Eilert sah auf sie nieder. „Jetzt erst merke ich, dass ich nicht einmal weiß, woher du kommst und wer deine Familie ist.“
Shiran lachte leise. „Meine Familie ist Arjan, mein Sohn und Ihr. Aber, wenn Ihr wollt, werde ich Euch auf unserer Reise etwas über meine Heimat und Familie in Byzanz erzählen. Womöglich werdet Ihr meine kleine Schwester kennenlernen. Sie ist ein bezauberndes Wesen, aber eine gute Strategin, vor der Ihr Euch in Acht nehmen solltet.“
„Noch so eine Strategin wie du?“ Eilert stöhnte theatralisch auf. „Das überlebe ich nicht.“
„Erzählt mir weiter von dieser Cloé. Ich bin neugierig“, meinte Shiran lächelnd.
„Wie gesagt, ich überlegte ernsthaft, ob ich in La Rochelle bleiben sollte. Vielleicht hätte ich die junge Frau sogar geheiratet.“
„Ihr wolltet heiraten?“ Shiran sah Eilert ungläubig an. „Warum habt Ihr es dann nicht getan?“
„Pflichten, junge Frau“, erklärte Eilert und stupste Shiran auf die Nase. „Arjan war damals ein Knabe. Ich versprach meinem Freund und seinem Vater Adriaan auf ihn zu achten und ihn zu einem respektablen Grafen von Fryslân zu erziehen.“
„Deshalb verzichtetet Ihr auf Euer privates Glück? Liebtet Ihr diese Frau?“
„Wohl nicht genug“, sann Eilert nach. „Jedenfalls kehrte ich zurück nach Fryslân. Umso mehr bewundere ich deine starke und tiefe Liebe.“
„Meine Liebe?“ Shiran sah Eilert erstaunt an.
Eilert nickte bedächtig. „In Fryslân werden Ehen geschlossen, um einem Zweck zu dienen. Liebe spielt selten eine Rolle. Als dich Rolof als Sklavin nach Fryslân brachte, sah ich in Arjans Augen sein Begehren. Nicht leibliches Begehren, sondern Sanftmut, Liebe, beinahe Hingabe. Als Rolof von Wuxalia ihn auf dem Meer tödlich verletzte, ich nicht wusste, wie ich ihn lebend nach Winaam bringen sollte, setzte ich eine List ein. Ich erinnerte ihn daran, dass die Frau, die ihn liebte, auf ihn warten würde. Diese Sehnsucht nach dir gab ihm die Kraft, bis Winaam durchzuhalten.“
„Damit meintet Ihr mich?“ Shiran blickte auf den Boden und überlegte. „Woher wusstet Ihr, dass ich Arjan liebte? Ich wusste es selbst nicht einmal.“
„Ich war mir sicher. Ich kenne die Prophezeiung, dass eine Frau mit goldenen Haaren in unser Land kommt, deren Schönheit alles übertrifft, was der junge Herr je zuvor gesehen hatte. Diese Frau wird ihm ewige Liebe schenken und unserem Land zu Ansehen und Reichtum verhelfen.“
„Glaubt Ihr an das Orakel?“, fragte Shiran leise.
„Es besteht kein Zweifel“, erwiderte Eilert überzeugt. „Du warst es, die ihm den Dolch aus der Schulter zog, die ihn gesund pflegte. Dann schickte er dich fort, weil er seine Pflicht erfüllen musste oder wollte. Zu diesem Zeitpunkt erinnerte ich mich an La Rochelle, an meine kleine Liebe, die ich verloren hatte, weil ich meine Pflicht erfüllen musste und auch wollte.“
„Arjan tat das, was er tun musste“, sagte Shiran fest.
„Als du weg warst, litt er so sehr, dass er seine Verpflichtungen gegenüber dem friesischen Volk vernachlässigte. Jetzt wurde mir bewusst, wie groß und einzigartig eure Liebe war. Eure Liebe ist dazu bestimmt, Welten zu bewegen. Eure Liebe ist euer vorbestimmtes Schicksal und dient dazu, dass das friesische Volk noch in mehr als tausend Jahren auf dieser Erde existieren wird. Ihr seid dazu bestimmt, für unser Volk Frieden und Freiheit zu festigen und auf ewig zu bewahren.“
„Liebe“, Shiran sann nach. „Was genau ist Liebe?“
„Wohl das, was euch verbindet. Jetzt wirst du noch nicht begreifen, dass ihr mit eurer Liebe einen Teil der Geschichte des friesischen Volkes schreiben werdet. Aber es kommt der Tag, da wirst du es verstehen.“
„Was werde ich verstehen?“ Shiran wurden Eilerts philosophischen Worte unheimlich.
Eilert schüttelte den Kopf, als wenn er aus einem Traum erwachte. „Nichts weiter“, wich er aus. „Ich sann über meine Liebe in La Rochelle nach“, sprach Eilert leise weiter. „Es war eine irdische Liebe, die jederzeit austauschbar war. Als ich darüber nachdachte, wusste ich, dass du und Arjan von den Göttern füreinander bestimmt wurdet. In der gleichen Nacht schrieb ich eine Depesche und sandte sie durch Olaf von Ljouwert nach Ophir.“
„Was habt Ihr getan?“ Shiran sah Eilert ungläubig an.
„Ja, Shiran“, sagte Eilert zerknirscht. „Ich schrieb eine Depesche im Namen von Arjan von Fryslân, ohne sein Wissen, und schickte Olaf von Ljouwert zu dir, um den Heiratsantrag zu übermitteln. Arjan hätte es niemals getan. Er machte sich große Vorwürfe, dich nach Ophir geschickt zu haben. Ich konnte nicht anders handeln und tat es für euch und für Fryslân.“
„Aber ..., aber …“ Shiran stotterte.
„Keine Sorge, junge Frau“, Eilert sah sie lächelnd von der Seite an. „Er liebte dich lange vorher, bevor er dich nach Ophir zurückschickte. Es war ihm nur nicht bewusst.“
„Ich zweifelte damals an seiner Liebe“, sagte Shiran. „Eine Nacht vor unserer Hochzeit besuchte ich Arjan in seinen Räumen. Ich weiß, es ist nach Eurem Glauben nicht gestattet.“
„Und?“ Eilert sah Shiran augenzwinkernd an.
„Wir liebten uns. In dieser Nacht zeugte Arjan seinen Sohn.“
„Ihr beide“, sagte Eilert versonnen, „seid füreinander geschaffen. Zwei Menschen, die sich ergänzen, sich gegenseitig unterstützen und sich stets über Wasser halten. Eine Liebe, die nicht nur eigennützig, sondern eine Liebe, die einem Land und seiner Bevölkerung gewidmet ist. Deshalb, Shiran, habe ich mich ein letztes Mal entschlossen, diese Reise für die Liebe anzutreten. Ich möchte an meinem Lebensende wissen, dass sich diese göttliche Liebe erfüllt, ganz im Gegensatz zu meiner Liebe in La Rochelle, die nur eine weltliche war.“
„Ihr macht mir Angst.“ Shiran umarmte den alten Recken. „Warum redet Ihr so eigentümlich? In meinem Land und besonders auf der Insel Ophir sind sich die Frauen der Kraft der Liebe bewusst. Sie heiraten selten, um Erben zu zeugen, sondern um dem Mann zu dienen“, Shiran unterbrach ihren Redefluss, „nein, nicht zu dienen, sondern ihn zu stärken und zu ergänzen.“
„Du bist eine würdige Herrin für Fryslân geworden“, erklärte Eilert. „Du besitzt die Gabe der Freundlichkeit, des Verständnisses und der Güte. Das friesische Volk hat das erkannt und liebt dich dafür.“
„Ich besitze nicht all diese Gaben, sondern ich liebe Arjan und deshalb liebe ich sein Volk.“ Sie ließ von Eilert ab und schaute der inzwischen untergehenden Sonne nach. „Ich liebe ihn nicht, weil er Arjan von Fryslân ist, sondern weil er einfach Arjan ist. Ich schätze seine Art, wie er sein Volk führt, aber ich bewundere auch seine Schwächen in den stillen Stunden der Resignation. Dann sehe ich ihn vor mir, verletzbar, klein und voller Zweifel. Es sind die Stunden, in denen ich seinen Körper streicheln, in denen ich ihm nah sein kann.“
„Was sagt dein Amulett?“, fragte Eilert in die Stille.
Shiran hatte es fast vergessen. Sie zog es aus ihrem Ausschnitt. „Die Steine sind sich ein weiteres Stück nähergekommen.“ Sie jubelte laut. „Schaut!“ Sie zeigte ihm das Kleinod. „Arjan ist nicht mehr weit weg. Nur ein kleines Stück. Da bin ich mir sicher.“
„Vielleicht sollte der Junge aufgeben“, meinte Eilert in die Dunkelheit, „und auf dich warten, statt unbesonnen bis nach Ophir zu segeln.“
„So weit wird es nicht kommen.“ Shiran blickte verzagt auf. „Wir werden ihn vorher einholen.“
„Ich befürchte, kleine Frau, unsere Reise wird in Byzanz enden. Arjan hat viele Tage Vorsprung und er ist ehrgeizig, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat.“
La Rochelle
Arjan segelte mit der Syljer und seiner Flotte an der steinigen Küste vor La Rochelle entlang, bis er in den Hafen kam. Fischerboote lagen im Wasser oder umgedreht zum Trocknen auf den Felsen. Einige Bewohner schauten erschreckt der Flotte entgegen, Frauen zogen ihre Kinder fort und huschten rasch in die Hütten.
Bedächtig ließ Arjan anlegen, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass er in kriegerischer Absicht unterwegs sei. Dann wartete er.
Ein Mann, der vornehmer gekleidet war als die Fischer, trat an die Kaimauer. „Was hat Euch in unsere Stadt geführt?“, rief er zu Arjan hinüber.
„Ich bin Arjan von Fryslân und komme in friedlicher Absicht. Unsere Reise geht nach Byzanz und wir benötigen Proviant und Wasser. Wir können dafür zahlen.“
Der Mann schien zu überlegen. „Kommt allein von Bord in mein Haus“, sagte er nach einer Weile. „Wir werden darüber verhandeln.“
Arjan tat, wie ihm geheißen. Er überließ Einar die Befehlsgewalt über die Syljer. „Soll ich nicht lieber gehen?“, fragte der dänische Steuermann. „Ich kenne mich mit solchen Verhandlungen gut aus.“
„Es ist meine Aufgabe als der Graf von Fryslân.“ Arjan kletterte von der Syljer auf das von Fischern angelegte Brett und sprang aufs Festland.
„Mein Name ist Baptiste von Limoges. Ich bin das Oberhaupt dieser Stadt“, begrüßte er Arjan mit volltönender Stimme. Er lachte dabei wohlwollend und breitete einladend seine Arme aus. Sein überdimensionaler Bauch wackelte dabei hin und her. Eine rote Seidenschärpe rutschte unterhalb der Gürtellinie.
Arjan ergriff die ihm dargebotene Hand. „Arjan, Vertreter aus der Provinz Fryslân. Wir kommen aus Harlinga“, erklärte er. „Wir wollen nach Byzanz.“
„Ihr müsst einen wichtigen Grund haben, wenn ihr dorthin wollt. In Byzanz herrscht der oströmische Kaiser Basileios. Er wird nicht erfreut sein, Barbaren in seinen Gewässern anzutreffen. Ihr seid mutig.“
„Ich suche meine Frau, Shiran von Ophir aus Byzanz. Sie wurde entführt und befindet sich auf dem Wege zu ihrer Insel.“ Arjan ging auf Baptistes höfliche Konversation ein.
„Ihr seid mit einer Byzantinerin verheiratet? Doch hoffentlich keine Sklavin? Das dürfte Euch nicht gut bekommen.“ Baptiste lachte aus vollem Hals und strich mit der flachen Hand über die Kehle.
„Shiran ist keine Sklavin, sondern meine mir rechtmäßig angetraute Ehefrau. Wir haben einen gemeinsamen Sohn, den offiziellen Nachfolger der Provinz Fryslân.“ Arjan lächelte Baptiste bescheiden an.
„Das byzantinische Volk verfügt über schöne und rassige Weiber.“ Baptiste formte mit den Händen die Figur einer Frau nach. „Eine solche sein Eigentum zu nennen ist ein großes Glück für einen Mann.“
Arjan nickte zustimmend. „Deshalb möchte ich sie wiederhaben“, sagt er. „Sie wurde mir geraubt. Habt Ihr kürzlich einem Boot aus Ostfriesland Gastfreundschaft gewährt oder es auf dem Meer gesichtet?“
Baptiste schüttelte den Kopf. „Weder noch. Ein Ostfriese war es also?“
„Eher eine Dänin, die den inzwischen verstorbenen Repräsentanten von Ostfriesland geehelicht hat.“ Arjan grinste schief. „Thyra Tryggvason. Sie hat es auf mich abgesehen und meine Frau ist ihr dabei ihm Wege.“
Baptiste lachte dröhnend. „So etwas sollte mir passieren. Ich hätte gleich beide genommen.“
„Ihr seid dieser Furie noch nicht begegnet, dann würdet Ihr anders reden.“ Arjans Stimme klang ernst. „Also hat das ostfriesische Boot hier nicht angelegt“, bemerkte er.
„Eure Flotte ist die Einzige aus dem Norden, die uns seit längerer Zeit aufsuchte. Ihr wollt Proviant laden?“, fuhr Baptiste in einem geschäftsmäßigen Ton fort.
„Wir brauchen gepökelten Fisch, Getreide und Wasser für ungefähr sechs bis acht Wochen. Könnt Ihr uns das verkaufen?“
Bedächtig nickte das Oberhaupt. „Womit zahlt Ihr?“
„Mit Gold.“
Baptiste nickte anerkennend. „Uns soll es Recht sein.“ Er winkte einen untersetzten Mann herbei, der die ganze Zeit abseits gestanden hatte. „Fernand, gehe an Bord dieses Herrn und prüfe nach, ob er die Wahrheit spricht.“ Arjan rief Einar Anweisungen zu, den Abgesandten an Bord zu lassen und ihm das Gewünschte zu zeigen. Nach geraumer Zeit kam dieser zurück und nickte Baptiste zu. „Alles in Ordnung“, sagte er kurz und entfernte sich.
„Kommt mit“, befahl Baptiste und führte Arjan ein Stück in den Ort hinein. An einem Holzschuppen machte er Halt und öffnete die breite Holztür. Im Innern stank es nach fauligem Wasser und Verwesung. Fässer mit gepökeltem Fisch stapelten sich in einer Ecke.
„Unser Handel floriert“, erklärte Baptiste stolz. „La Rochelle ist erst vor wenigen Jahren gegründet worden. Seitdem die Mauren sich weiter nach Norden wagen, pflegen wir den Handel mit dem Volk. Sie schätzen vor allem unsere Weine und den gepökelten Fisch.“
Arjan stellte sorgfältig den Proviant zusammen. Während Baptistes Männer Fässer und Amphoren zum Hafen transportierten, lud das Stadtoberhaupt Arjan in sein Haus ein. Einer rundlichen, mürrischen Magd befahl er: „Cloé, bring uns Wein und Brot.“ Baptiste wartete, bis sie mit dem Gewünschten zurückkam. „Setzt Euch und esst“, sagte er gutmütig und goss Arjan Wein ein. Er nahm ebenfalls auf der Holzbank Platz und trank einen kräftigen Schluck des gekühlten Getränkes. „Ihr sagtet, Eure Frau sei Byzantinerin?“, fragte Baptiste interessiert.
Arjan bestätigte kurz.
„Man sagt den Frauen um den oströmischen Kaiser Basileios große Schönheit nach“, nickte Baptiste anerkennend.
„Shiran ist eine einzigartige Schönheit.“ Arjan schilderte in knappen Worten die Ereignisse der letzten Monate und die Umstände der Entführung. Baptiste unterbrach Arjan nicht, sondern wiegte von Zeit zu Zeit verständnisvoll seinen gewaltigen Schädel.
Als Arjan geendet hatte, meinte er nachdenklich: „Es wird nicht leicht sein, im großen Reich des Basileios eine einzelne Frau zu finden, vorausgesetzt, Ihr kommt bis Konstantinopel. Das erste Hindernis wird die Enge bei Gibraltar sein. Abdul al-Malik, der das Kalifat von Cordoba beherrscht, kontrolliert Tarifa und damit die Straße von Gibraltar. Ohne seine Genehmigung kommt Ihr dort nicht durch, es sei denn, Ihr besitzt genügend Gold, um für die Durchfahrt zu zahlen. Ich werde Euch ein Empfehlungsschreiben mitgeben.“ Baptiste verfasste ein Pergament, versiegelte es und überreichte es Arjan.
„Die Schiffe sind beladen.“ Ein Fischer trat diskret in das kleine Steinhaus.
Arjan stand auf. „Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft.“ Er reichte Baptiste die Hand. „Auch für die Hinweise bezüglich der Straße von Gibraltar und über den Kalifen. Ich werde mich an Eure Ratschläge halten.“
„Ich wünsche Euch von ganzem Herzen, dass Ihr Eure Frau finden werdet.“ Baptiste klopfte Arjan auf die Schulter. „Und dass Eure Reise ein gutes Ende nehmen wird“, sagte das Stadtoberhaupt teilnahmsvoll und begleitete Arjan zur Syljer. Der Herr von La Rochelle blieb so lange an der Mole stehen, bis die Flotte aus der Provinz Fryslân den Hafen verlassen hatte.
* * *
Thyras Boot kam nur schleppend vorwärts. Der Wind blies leicht aus südlicher Richtung, sodass ihre Mannschaft mehrfach kreuzen musste.
„Ich habe das untrügliche Gefühl“, sagte sie mit scharfer Stimme und beobachtete mit zusammengekniffenen Augen den Steuermann, „dass du mit List und Tücke wenig Fahrt aufnimmst.“
„Herrin, wie Ihr selbst bemerken müsstet, haben wir kaum Wind. Die Segel Eures Schiffes sind zu klein und das Boot dafür zu schwer. Es ist für den Ozean nicht geeignet.“ Der kleine Mann blickte Thyra nicht an. Die Wangenmuskeln arbeiteten in seinem Gesicht.
„Das ist Meuterei. Ich sagte dir erst kürzlich, dass ich Querulanten auf meinem Schiff nicht dulde.“ Sie lief aufgebracht hin und her und stolperte über ein Tau, das am Boden lag. Wütend blieb sie stehen. „Welcher Unselige hat das Seil hier liegen gelassen!“, keifte sie schrill über das Deck. Niemand rührte sich. „Ich will sofort wissen, wer mir das Tau absichtlich in den Weg geworfen hat.“ Mit einem listigen Lächeln blickte sie auf den Steuermann hinunter. „Lass deine Männer antreten!“, befahl sie. Unterwürfig befolgte der verhärmte Mann ihren Befehl.
Thyra schritt die Reihe ab. „Warst du es?“ Sie stieß mit der Peitsche dem nicht einmal vierzehnjährigen Schiffsjungen in den Bauch. Der Knabe schüttelte kaum merklich sein Haupt. „Wer war es dann?“ Betreten senkten die Männer die Köpfe. Thyra zog den Schiffsjungen hervor. „Wenn mir niemand sagen will, wer mir die Falle gestellt hat, so wird dieser hier dafür büßen.“
„Ich war es.“ Ein älterer Hüne mit grauem Bart und breiten Schultern trat hervor. Stolz hob er seinen Kopf und sah die Herrin von Ostfriesland entschlossen an.
Irritiert blickte Thyra zu ihm auf. „Dann wirst du die Strafe dafür empfangen. Bindet ihn an den Mast!“, befahl sie den anderen Männern. Sie wartete, bis ihre Anweisung ausgeführt war. „Ich dulde keine Meuterei auf meinen Schiffen!“, brüllte Thyra und riss dem Mann das Hemd über die Schultern. Einen Moment hielt sie inne, als sie die kräftigen Muskeln unter gebräunter Haut erblickte, doch dann fasste sie sich rasch. „Jedem Einzelnen, der hier meutern will, wird das Schicksal dieses Mannes treffen!“ Thyra hob die Hand. Kraftvoll traf der erste Peitschenhieb den Rücken des Unglücklichen. Er zuckte zusammen, sackte ein Stück in die Knie. Wieder hob Thyra die Knute, sah in die Runde. In ihren Augen glitzerte es wild. Erneut sauste die Peitsche mit einem pfeifenden Ton durch die Luft und prallte auf den Rücken des Mannes. Seine Haut platzte auf. Als wenn dies Thyras Lust anstachelte, hieb sie wieder und wieder auf den Mann ein, bis sein Rücken eine einzige breiige Fleischmasse war. Doch aus dem Mund des Gefolterten kam nicht ein einziger Laut.
„Haltet ein, Herrin!“, rief der Steuermann. „Ihr tötet den Mann.“
„Ich sagte, dass ich keine Meuterei dulde!“ Der nächste kräftige Hieb der Peitsche traf den Mann im Genick. Sein Kopf sackte zur Seite. „Bindet ihn los!“ Thyra ließ die Rute sinken, ging an die Bootswand und sah ungerührt aufs Meer hinaus.
„Er ist tot“, erklärte der Steuermann leise.
Thyra drehte sich um, hob eine Augenbraue und sah verächtlich auf den in seinem Blut liegenden Mann. „Werft ihn über Bord und schrubbt das Deck.“ Mit energischen Schritten ging sie in ihre Kajüte. Rasend vor Wut hieb sie mehrmals auf den Holztisch ein. Das Auspeitschen des Mannes hatte ihrem Zorn nur wenig Erleichterung verschafft. Sie kochte innerlich. Inzwischen war sie sich darüber im Klaren, dass sie Arjan von Fryslân nicht vor Byzanz erreichen würde. Doch diese Niederlage wollte sie sich nicht eingestehen. Eine Thyra Tryggvason verlor nicht. Niemals.
„Wir erreichen bald den Hafen von La Rochelle!“, rief der Steuermann vor Thyras Kajütenluke und blieb stehen.
Sie trat hinaus. „Das wurde auch Zeit.“ Kaum beachtete sie den Mann, ging zum Bug des Schiffes, überzeugte sich selbst und sah der Ankunft entgegen. Noch bevor sie richtig angelegt hatten, sprang sie vom Boot und betrat den Boden der Stadt.
„Was sucht Ihr in La Rochelle und wer hat Euch erlaubt, Euer Schiff zu verlassen?“ Thyra wurde von einem dicken Mann, der breitbeinig vor ihr stand, aufgehalten. Er war gut einen halben Kopf kleiner als sie. Hinter ihm postierten sich drei weitere kräftige Männer, die keinerlei Anstalten machten, sie durchzulassen.
„Wer seid Ihr?“, fragte Thyra erbost.
„Ich bin Baptiste von Limoges, das Oberhaupt von La Rochelle.“
„Thyra von Auerk“, erklärte die Dänin in einem freundlicheren Ton und streckte Baptiste die Hand hin.
„Was wollt Ihr in meiner Stadt?“ Geflissentlich übersah Baptiste Thyras Geste.
„Ich und meine Männer brauchen Proviant.“ Thyra senkte demütig ihr Haupt und sah Baptiste unter ihren Augenwimpern an. Sie benetzte mit der Zunge ihre Lippen und versuchte es mit einem aufreizenden Lächeln.
Bedächtig nickte Baptiste. „So, so, ihr wollt Proviant. Wo soll Eure Reise hingehen?“
„Wir sind auf dem Weg nach Byzanz“, gab Thyra bereitwillig Auskunft.
Baptiste legte seine Stirn in Falten. „Da habt Ihr viele Wochen Meer vor Euch.“ Er sah Thyra von der Seite an. „Habt Ihr Frauen an Bord?“, fragte er.
„Keine Frauen. Ich bin die Herrin von Ostfriesland und befehlige mein Schiff selbst.“
„Was wollt Ihr in Byzanz? Bis dahin ist es eine beschwerliche Reise.“ Baptiste machte keinerlei Anstalten, Thyra den Weg freizugeben.
Thyra überlegte, ob sie diesem Kerl ihre Absichten auf die Nase binden sollte, doch sie war zu neugierig und wollte feststellen, ob die Syljer inzwischen La Rochelle erreicht hatte. „Ich suche Arjan von Fryslân. Er müsste Eure Stadt passiert haben. Knapp einen Tag vor mir brach er auf“, erklärte sie. „Ich muss ihn einholen, bevor er in sein Unglück segelt.“
„Einholen. Wozu?“ Baptiste verzog bei seiner Frage keine Mine. „Warum segelt er in sein Unglück?“
Thyra druckste herum. „Ich bin eine Freundin des Herrn von Fryslân“, begann sie. „Seine Frau wurde vor einigen Wochen während einer Sturmflut von Rolof, dem Herrn von Wuxalia aus Fryslân, entführt. Arjan nahm an, dass dieser Barbar sie nach Byzanz bringen will und ist ihm nachgereist. Inzwischen ist die Herrin von Fryslân wieder aufgetaucht und wartet in Winaam sehnsüchtig auf ihren Mann. Als ich davon erfuhr, bin ich ihm sofort nachgereist, um ihm die gute Nachricht zu überbringen“, log Thyra ohne mit der Wimper zu zucken.
„Das ist mutig von Euch.“ Baptiste blickte Thyra skeptisch an. Instinktiv spürte er, dass er dieser hochgewachsenen Dänin keinen Glauben schenken konnte.
„Seine Flotte hat nicht zufälligerweise in Eurer Stadt Proviant geladen?“ Lauernd blickte Thyra das Oberhaupt von La Rochelle an.
„Eine friesische Flotte?“, fragte Baptiste langgedehnt. „Nicht, dass ich davon erfahren hätte. Hier hat seit langem keine Flotte mehr geankert.“
„Vielleicht hat er einen anderen Hafen angelaufen.“ Thyra kniff die Augen zusammen. Sie ärgerte sich, da sie die Hoffnung gehabt hatte, Arjan vor Byzanz auf dem Ozean zu erreichen. „Dann ladet mir Proviant, damit wir weiterreisen können!“, befahl sie in ihrem üblichen herrischen Ton. Jede Freundlichkeit war aus ihrem Gesicht gewichen.
„Ihr wollt Proviant. Wie gedenkt Ihr zu zahlen?“, fragte Baptist und schob seine Mütze ins Genick. „Wir liefern nur gegen Gold.“
„Gegen Gold?“ Thyra blieb der Mund offenstehen und sie schluckte.
„Habt Ihr etwa kein Gold?“ Baptiste zog die Stirn in Falten und kniff die Augen zusammen.
„Ehrlich gesagt nein“, gab Thyra kleinlaut Auskunft. „Aber es wird nicht Euer Schaden sein. Sobald ich zurück in Ostfriesland bin, werde ich Euch einen Boten schicken, um die Waren zu bezahlen.“
Baptiste schien zu überlegen. „Bedenkt, dass Ihr nach Byzanz reisen wollt. Ihr könntet unter Umständen Euer Ziel nicht erreichen. Wie komme ich dann zu meinem Gold? Wir mästen keine Hungerleider.“
Thyra schnappte nach Luft. „Ihr glaubt der Herrin von Ostfriesland nicht? Ich bin eine Tochter des Königshauses Tryggvason und entstamme dem Wikingervolk.“
„Ich kenne das Königshaus nicht und die Wikinger sind unsere Feinde. Wenn Ihr nicht zahlen könnt, so geht wieder auf Euer Schiff und steuert einen anderen Hafen an. Mögt Ihr dort mehr Glück haben.“ Er wandte sich ab und winkte ein paar Männer herbei.
„Ich befehle Euch, mein Schiff zu beladen!“ Erbost stampfte Thyra mit dem Fuß auf.
„In dieser Stadt befehle nur ich. Ihr tätet besser daran, meinen Boden zu verlassen, bevor ich Euch auf Euer Schiff tragen lasse.“ Baptiste winkte mit der Hand. Die Männer drängten Thyra zurück.
„Ich werde Euch die Wikinger auf den Hals hetzen. Sie werden Euch und Eure verfluchte Stadt“, sie spuckte wie ein gemeiner Knecht auf den Boden, „vernichten und dem Erdboden gleichmachen. Sie werden Eure Hütten anzünden und Eure Frauen und Kinder rauben und zu Sklaven machen. Euch werden Sie zur Warnung an den höchsten Baum hängen und von den Vögeln zerhacken lassen …“
„Tut, was Ihr nicht lassen könnt“, unterbrach Baptiste ihren Wutausbruch, drehte sich um und ging provozierend langsam in den Ortskern zurück. Seine Männer ergriffen Thyra an beiden Armen, drängten sie zu ihrem Schiff, hoben sie über die Bootswand und ließen sie dahinter fallen, sodass sie unsanft auf ihrem Hinterteil landete.
Flugs war sie wieder auf den Beinen. „Ihr Teufel“, schimpfte sie hinter den grölenden Männern aus La Rochelle her. Ohne ihre Mannschaft weiter zu beachten, befahl sie: „Segel setzen!“, und verschwand in ihrer Kajüte.
* * *
Es dunkelte bereits, als Rolof von Wuxalia entlang der Atlantikküste segelte. Nach seinen Berechnungen konnte La Rochelle nicht mehr weit sein. Um nicht sofort gesehen zu werden zog er es vor, außerhalb der Stadt zu ankern, statt in den Hafen einzufahren. Er musste feststellen, ob Arjan von Fryslân oder Thyra die Stadt vor ihm angesteuert hatten. Mit der kleinen Schaluppe ließ er sich von einem seiner Männer an Land rudern und befahl, auf ihn zu warten.
Im Schutze der Dunkelheit schlich er an den Felsen entlang, bis er die ersten flachen Hütten erreicht hatte. In einigen Häusern flackerte Herdfeuer, doch größtenteils lag die Stadt im Schlummer. Er lugte in eines der Häuser hinein, erkannte eine Frau, die mit einigen Kindern an einen wackeligen Holztisch saß. Rolof schlich weiter. Wie er in der Nacht feststellen wollte, ob Arjan oder Thyra die Stadt passiert hatten, war ihm selbst nicht klar, da beide ihm nicht direkt über den Weg laufen würden. Rolof wandte sich in Richtung Hafen, um nachzusehen, ob er eines der Schiffe erspähen konnte. Bis auf ein paar vor sich hin dümpelnde Fischerboote war nichts auszumachen.
„Hey da!“ Rolof drehte sich erschreckt um. „Wieso treibst du dich in dieser Gegend herum?“ Jemand griff seine Hände und drehte sie ihm auf den Rücken. Trotz seiner Bärenkräfte konnte sich Rolof nicht befreien.
„Ich bin ein Handelsreisender und durch Zufall in diesem Ort“, log Rolof im verbindlichen Tonfall. „Ich bin unbewaffnet.“
Der Griff lockerte sich. „Bist du allein?“, fragte der Mann.
Rolof nickte. „Mein Schiff liegt draußen auf dem Meer. Ich ließ mich mit einer Schaluppe übersetzen. Ich benötige Proviant.“
„Mitten in der Nacht?“ Die Zweifel des Mannes standen ihm ins Gesicht geschrieben, obwohl Rolof es nicht erkennen konnte.
„Wenn du mir nicht glaubst, so kannst du in der Morgendämmerung nachsehen. Mein Mann wartet dort drüben“, Rolof wies mit der Hand vage in nördliche Richtung, „um mich wieder überzusetzen.“
„Ich bringe dich zum Stadtobersten. Er wird entscheiden, ob du die Wahrheit sprichst oder nicht. In letzter Zeit treibt sich in unseren Gewässern erstaunlich viel Gesindel herum.“ Er schob Rolof mit Nachdruck vor sich her.
„Auch friesische Flotten?“, wollte Rolof wissen, weil er hoffte, jetzt schon mehr zu erfahren.
„Weiß nicht“, brummte der Mann und zerrte Rolof durch die Gassen der Stadt. Vor einem Steinhaus blieb er stehen, klopfte kurz an und betrat mit Rolof eine Stube.
„Cloé, ich muss sofort deinen Herrn sprechen“, sagte er zu der dicken Magd, die den Holztisch schrubbte. „Ich habe einen wertvollen Fang gemacht.“
„Er schläft“, brummte sie und machte keinerlei Anstalten, sich in Bewegung zu setzen.
„Dann wecke ihn. Es könnte wichtig sein.“ Die Stimme des Mannes klang ungehalten.
Mürrisch sah die Magd auf, legte die Bürste weg und schlurfte zur Tür, die in einen Flur führte.
„Wer wagt es, mich mitten in der Nacht zu stören?“, hörte Rolof einen Mann brüllen. Dann wurden die Stimmen leiser. Kurz darauf trat der Oberste von La Rochelle in den Raum. Die Magd hinterdrein, die versuchte, ihm die rote Schärpe um den dicken Bauch zu binden.
„Stadtoberster“, der Scherge, der Rolofs Hände fest im Griff hatte, verbeugte sich leicht, „diesen Mann traf ich im Hafen an. Er schlich dort wie ein Dieb herum. Und da in letzter Zeit ständig ungebetene Gäste unsere Stadt besuchen, dachte ich …“
„Schon gut.“ Baptiste winkte ab und ging einige Schritte auf Rolof zu. „Wer bist du und woher kommst du?“, fragte er, griff dem Wuxalier unters Kinn und drehte sein Gesicht näher zum Licht.
Rolof dachte blitzschnell nach, ob er seinen richtigen Namen nennen sollte. Doch wenn er in Erfahrung bringen wollte, ob Arjan oder Thyra in La Rochelle gesichtet worden waren, wäre die Wahrheit sicher angebrachter, überlegte er haarscharf.
„Mein Name ist Rolof von Wuxalia.“ Er räusperte sich, als er ein Zucken im Gesicht des Obersten sah. „Ich komme aus der Provinz Fryslân und bin in friedlicher Absicht unterwegs. Mein Schiff, die Toner, befindet sich weiter draußen auf dem Meer.“
„Lass den Mann los“, befahl Baptiste. Anschließend wandte er sich wieder an Rolof. „In welcher Angelegenheit habt Ihr La Rochelle angesteuert?“
„Ich suche die Flotte des Arjan von Fryslân. Er ist nach Byzanz unterwegs, um seine Frau aus den Klauen der Thyra von Auerk zu befreien. Ich will ihm meine Unterstützung gegen dieses Teufelsweib anbieten“, antwortete Rolof wahrheitsgemäß.
„Ich hörte davon“, brummte der Oberste.
„Ihr hörtet davon?“ In Rolofs Gesicht kam ein erfreuter Ausdruck. „Dann war Arjan in La Rochelle?“
„Vor wenigen Tagen bunkerten die Syljer und ein paar Begleitboote Proviant. Arjan von Fryslân zahlte in Gold. Er berichtete mir von seinem Vorhaben. Ich gab ihm ein paar Ratschläge und er segelte anschließend sofort weiter. Gestern Morgen erschien eine herrische Frau und wollte ebenfalls Proviant. Ich wies sie ab, denn sie hatte kein Gold.“
Rolof grinste übers ganze Gesicht. Das geschah ihr Recht, dachte er mit Schadenfreude.
„Die Frau behauptete, sie sei unterwegs, um Herrn von Fryslân abzufangen. Seine Reise nach Byzanz sei überflüssig, denn Rolof von Wuxalia hätte Arjans Weib in seiner Gewalt. Habt Ihr Frauen an Bord?“, wollte Baptiste wissen.
„Sie lügt und ich habe keine Frauen an Bord.“ Rolofs Gesichtsausdruck wurde hart. „Ich selbst habe aus einem Versteck beobachtet, wie Thyra ihre Flotte bereit machte, um nach Ophir zu segeln. Sofort ließ ich Arjan von Fryslân eine Nachricht über diese Reise zukommen, denn bis dahin nahm mein Freund an, dass seine Frau nicht mehr am Leben sei. Doch ich habe Shiran einen Tag zuvor in Auerk gesehen.“
„Nun“, sagte Baptiste und wog seinen dicken Schädel hin und her, „wem kann ich glauben?“
„In erster Linie dem Herrn von Fryslân“, erwiderte Rolof ernst. Dann erzählte er Baptiste über die Vorfälle in Fryslân. „Ich bin ein Geächteter“, schloss er seinen Vortrag, „ich habe alles verloren und am Ende bin ich zum Mörder geworden. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Arjan von Fryslân ist mein Freund. Ich beging einen großen Fehler. Deshalb möchte ich ihm zu Hilfe kommen. Shiran ist in großer Gefahr, solange sie sich in Thyras Hand befindet.“
Nachdenklich durchmaß Baptiste mit großen Schritten den Raum. „Ich glaube Euch“, sagte er nach einer Weile, blieb stehen und sah Rolof mitleidig an. „Denn wer sich selbst einer so großen Schuld bezichtigt, der kann kein Lügner sein.“
„Ich muss so schnell wie möglich Thyra von Auerk abfangen“, erklärte Rolof. „Für die Reise benötige ich Proviant. Meine Mannschaft besteht aus habgierigen und hungrigen Mäulern. Ich zahle in Gold“, fügte er hinzu und zog seinen Lederbeutel hervor. Er legte einige Münzen auf den Tisch. „Ist das ausreichend für ein einzelnes Boot?“
„Gutes Gold für gute Ware.“ Baptiste nickte. „Lasst Euch zurückrudern und segelt in den Hafen, ich werde meinen Leuten Anweisung geben, Euer Boot zu beladen.“
Bereits in der Morgendämmerung war Rolof von Wuxalia wieder mit der Toner in Richtung Süden unterwegs. Wenn er dem Stadtobersten von La Rochelle Glauben schenken konnte, befand sich Thyra nur einen Tag weit von ihm entfernt. Wenn er guten Wind hatte, konnte er sie vor der Straße von Gibraltar einholen.
* * *
„Wir müssten bald in La Rochelle sein“, sagte Eilert und nahm Shiran in den Arm, während sie am Bug der Vrouw van Fryslân stand und das felsige Ufer betrachtete. „Ich hoffe, der alte Baptiste von Limoges weilt noch unter den Lebenden.“
„Baptiste von Limoges? Wer ist das?“ Shiran sah fragend zu Eilert hoch.
Eilert lächelte versonnen. „Er war ein Seefahrer“, sagte er. „Baptiste, Ragund der Däne und ich sind gleichen Alters. Oft trafen wir uns früher zwischen den Meeren, manche Nacht durchzechten wir und kämpften Seite an Seite. Nun, wie du an mir siehst, sind wir alle alt geworden.“
„Meister Eilert“, Shiran sah den Recken erbost an, „ich möchte nicht mehr von Euch hören, dass Ihr alt seid, sonst werde ich schmollen und mit Euch kein Wort mehr reden.“ Wie zur Bestätigung blickte sie ihn mit zusammengekniffenen Lippen an.
„Ragund hat sich zur Ruhe gesetzt, weil die Gicht ihn plagt. Ich spüre das Alter ebenfalls in meinen Knochen“, warf Eilert ernst ein, „und was aus Baptiste geworden ist, weiß ich nicht. Er blieb in La Rochelle. Ich würde mich freuen, ihn noch einmal in meinem Leben zu treffen und mit ihm den einen oder anderen Becher Wein zu leeren.“
Langsam segelten die Frou fan Fryslân, Olaf von Ljouwerts Flotte und Shirans byzantinische Boote in den Hafen von La Rochelle ein.
„Geh du unter Deck“, sagte Eilert verhalten, „ich rufe dich, wenn die Luft rein ist, denn ich weiß nicht, wer jetzt die Stadt regiert.“ Shiran tat wie ihr geheißen, doch ließ sie die Luke auf und spähte neugierig hindurch.
Wie in seinen besten Zeiten stand Eilert aufrecht auf der Frou fan Fryslân. Einige Männer eilten aus dem Ort auf die Mole. Sie sahen wie Offizielle aus. „Wir begrüßen Euch in La Rochelle“, sagte ein dünner, hoch aufgeschossener Mann distanziert. „Was führt Euch in die Stadt?“
„Mein Name ist Eilert aus Aldehou, ich bin als Vertreter der Provinz Fryslân unterwegs und komme in freundschaftlicher Absicht. Wenn es gestattet ist, würde ich gerne Baptiste von Limoges einen Besuch abstatten.“ Eilerts Stimme hatte einen Befehlston angenommen, der keinen Widerspruch duldete.
„Baptiste von Limoges? Unseren Stadtobersten?“, fragte der dünne Mann irritiert, offenbar überrascht, dass die merkwürdig anmutende Flotte über die politischen Vorgänge in La Rochelle informiert war.
„Wenn er der Baptiste ist, der früher mein Freund war, dann wird es stimmen.“ Shiran sah, dass über Eilerts Gesicht ein freudiges Lächeln zog. „Würdet Ihr die Ankunft des Eilert aus Aldehou mitteilen?“
Die Abgesandten diskutierten heftig. Zwei von ihnen lösten sich aus der Gruppe und liefen in den Ort. Eilert blieb auf dem Deck der Frou fan Fryslân abwartend stehen, um die Menschen von La Rochelle nicht zu verunsichern oder gar ihre Feindseligkeit heraufzubeschwören.
Nach geraumer Zeit kamen die beiden Männer zurück, angeführt von dem dicken Stadtobersten, der schwer atmend über die Mole lief. Er blieb vor der Frou fan Fryslân stehen. „Solltest du tatsächlich Eilert aus Fryslân sein?“, rief er laut und freudig hinauf. „Und ich glaubte, die Seeungeheuer hätten dich in ihre unendlichen Tiefen gezogen.“
„Wie du siehst, Baptiste, haben sie mich entweder wieder ausgespien oder ich bin inzwischen so zäh geworden, dass sie mein Fleisch verachten.“ Eilert lachte volltönend.
„Komm in meine Arme, alter Recke!“, rief Baptiste zu Eilert hinauf. Eilig legten Baptistes Männer einen Steg an.
„Einen Augenblick, ich bringe dir etwas Hübsches mit.“ Eilert ging zum Aufbau. Shiran stand in der geöffneten Luke. „Aha, du hast gelauscht und nicht, wie ich gesagt habe, dich dahinter verborgen.“ Er reichte ihr die Hand. „Nun wirst du wahrlich einen Haudegen kennenlernen, hinter dem ich mich verstecken kann“, sagte er schmunzelnd. Er half Shiran auf die Mole, dann umarmte er den Stadtobersten von La Rochelle und klopfte ihm kräftig auf die Schultern. „Dass ich dir noch einmal begegnen würde, hätte ich nicht gedacht“, grölte er. „Lass dich anschauen!“ Er hielt ihn von sich ab. „Ein paar Falten mehr hast du, und einen beachtlichen Bauch, der von gutem Essen zeugt.“ Eilert schlug mit der flachen Hand lachend dagegen.
„Darf ich wissen, wer die Schönheit an deiner Seite ist? Etwa dein Weib?“ Baptiste ließ von Eilert ab.
„Oh, verzeih mir.“ Eilert ergriff Shirans Hand. „Das ist Shiran, die Herrin der Provinz Fryslân. Leider ist sie nicht die Meine, sondern die meines Schutzbefohlenen.“
„Etwa des Arjan von Fryslân?“ Baptiste sah Shiran bewundernd an und verbeugte sich ehrfürchtig.
„Kennt Ihr meinen Mann?“ Shiran war sein Blick nicht entgangen.
Baptiste schaute sich um. „Kommt mit in mein Haus und lasst euch bewirten“, sagte er leise, „ich habe euch einiges zu berichten.“ Lauter sprach er weiter: „Mit Freude seid ihr für heute meine Gäste.“ Baptiste reichte Shiran galant den Arm und führte sie mit hoch erhobenem Haupt in die Stadt. Eilert ging neben den beiden her.
„Setzt euch“, sagte er, nachdem er sie in die mit reichlich Zierrat geschmückte Wohnstube geführt hatte. Shiran schaute sich neugierig um. Neben Unbekanntem entdeckte sie Schnitzereien und Marmorstatuen aus ihrer Heimat.
„Cloé, bring uns Wein, Gebäck und Brot. Und nur vom Besten, wenn ich bitten darf. Wir haben heute hohe Gäste im Haus!“, rief Baptiste übermütig.
Shiran sah, dass Meister Eilert zusammenzuckte, als er den Namen hörte. Kurz darauf erschien die dicke Magd und brachte mürrisch das Gewünschte. Entsetzt blickte Eilert kurz hoch, drehte aber sofort sein Gesicht Baptiste zu und wartete, bis die Magd wieder den Raum verlassen hatte.
„War das etwa die Cloé?“, fragte Eilert.
„Du meinst das junge Ding von damals?“ Baptiste lachte lauthals. „Ja, das ist sie. Ich nahm sie, nachdem ich mich hier niedergelassen habe, in meine Dienste. Sie fand keinen passenden Ehemann. Cloé hat in meinem Haushalt ordentlich zugelegt. Mürrisch und manchmal ungenießbar ist sie obendrein. Aber sie kocht gut.“
Nachdem er Wein eingeschenkt hatte, setzte er sich Eilert und Shiran gegenüber. „Wie mir scheint, ist das offensichtlich kein Freundschaftsbesuch, der allein mir gilt“, begann Baptiste.
„Du hast Recht, mein Freund“, sagte Eilert und berichtete über die Vorfälle in der Provinz Fryslân. „Wir sind unterwegs, um Arjan zurückzuholen. Er weiß nicht, dass wir seine Frau befreien konnten.“
Baptiste nickte bedächtig. „Hätte ich das geahnt ...“
„Das heißt, Ihr habt ihn gesehen?“ Shiran beugte sich vor und sah Baptiste erwartungsvoll an. „Wann war das?“
„Vor gut zehn Tagen. Er kam, um Proviant zu laden. Er berichtete, dass er die Flotte der Thyra von Auerk einholen will, weil die Teufelin Euch entführt hätte. Doch kurz darauf erschien dieses dänische Weib in La Rochelle und forderte Proviant. Sie lag nicht, wie Arjan angenommen hatte, vor ihm, sondern weit hinter ihm. Wir wiesen sie aus der Stadt, weil sie nicht zahlen wollte. Einen Tag später erschien der Wuxalier Rolof, der ebenfalls hinter der Dänin her war, weil er vermutete, dass Ihr auf dem Schiff seid.“ Er schlug sich lachend auf die Schenkel. „Und nun taucht Ihr auf, frei und gesund mit meinem alten Weggefährten aus stürmischen Zeiten.“
„Meine Rettung habe ich nur Meister Eilert und seinem raschen Verstand zu verdanken“, meinte Shiran, „denn Thyra von Auerk hatte mich im Keller ihres Hauses in Ostfriesland eingesperrt.“
„Rolof von Wuxalia ist also ebenfalls nach Byzanz unterwegs“, überlegte Eilert. „Und nur kurz vor uns.“
„Rolof sprach glaubwürdig und ehrlich. Der Mann war voller Wut auf die Dänin und doch schien er mir wie ein gebrochener Mann. Ich gab ihm die Auskunft, das Arjan von Fryslân ebenfalls unterwegs nach Byzanz sei sowie auch Thyra von Auerk.“
„Rolof von Wuxalia hat nichts mehr zu verlieren“, erklärte Eilert. „Arjan und Rolof sind Jugendfreunde und wuchsen zusammen auf. Der junge Insulaner ist zwar aufbrausend und rechthaberisch, hat sich aber in seiner Not auf die Freundschaft besonnen. Er hatte Shiran aus Thyras Klauen befreit und sie letztlich wieder verloren.“
„Ich mache mir große Sorgen um Arjan“, sagte Shiran. „Der oströmische Kaiser Basileios liegt im Krieg mit den nördlichen Barbaren, wie Ihr wisst. Wenn Arjan ihm in die Hände fällt, kann das seinen Tod bedeuten. Wir müssen so rasch wie möglich nach Konstantinopel. Ich bin die Einzige, die dem Herrscher glaubwürdig erklären kann, dass Arjan mein Ehemann ist.“
„Wieso seid Ihr dazu in der Lage?“, wollte Baptiste wissen. „Basileios kennt keine Gnade.“
„Ich bin ein Mitglied des oströmischen Kaiserhauses“, gab Shiran kleinlaut Auskunft, obwohl sie es vermeiden wollte, ihre Herkunft preiszugeben.
„Das ist etwas anderes.“ Baptiste sah Shiran ehrfürchtig an und schenkte Wein nach. „Euer Mann muss mit seiner Flotte durch die Enge von Gibraltar. Der dort herrschende Kalif von Cordoba, Abdul al-Malik, sitzt in Tarifa und kontrolliert die Durchfahrt. Die Mauren liegen nicht nur mit Byzanz, sondern auch mit dem weströmischen Reich im Zwist. Ich wies Euren Mann darauf hin. Er wird viel Gold benötigen, um Abdul al-Malik zu überzeugen.“
„Kennst du den Kalifen?“, wollte Eilert wissen.
„Wir pflegen lediglich freundschaftliche Handelsbeziehungen zu seinem Vater Abi Amir al-Mansur, dem Reichsverweser des Kalifen Hischam von Cordoba. Hischam hat so gut wie nichts zu sagen, da der alte al-Mansur seit seiner Kindheit das Kalifat regiert. Vor wenigen Jahren, wohl zwei oder drei, übernahm sein Sohn Abdul al-Malik die Geschäfte. Er ist jung, ungestüm und gilt als barbarischer Herrscher. Al-Malik kennt keine Gnade und sitzt wie eine Zecke oben auf der Burg in Tarifa, von der aus er die gesamte Meerenge übersehen kann. Niemand kommt an ihm vorbei und er kassiert reichlich ab. Wer nicht zahlt, dessen Kopf rollt auf der Stelle.“
„Oh.“ Unwillkürlich fasste sich Shiran an den Hals und blickte Baptiste erschrocken an. „Hoffentlich hat Arjan genügend Gold mit.“
„Sein Beutel sah reichlich gefüllt aus. Euer Mann machte einen vernünftigen Eindruck und schien für Verhandlungen bereit.“ Baptiste trank einen kräftigen Schluck, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und sprach an Eilert gerichtet weiter: „Ich werde dir ein Empfehlungsschreiben mitgeben, damit ihr unbehelligt die Enge von Gibraltar durchqueren könnt, denn du hast eine schöne Frau an Bord und Abdul al-Malik ist ein Feinschmecker. Er liebt rassige Pferde und nicht minder rassige Frauen. – Cloé!“, rief er laut, „bring mir Feder und Pergament.“ Sofort versteckte Eilert sein Gesicht wieder hinter vorgehaltener Hand und tat so, als wenn er ausgiebig eine Zeichnung studierte.
„Ich erwähne, dass du eine Principessa aus dem oströmischen Kaiserhaus an Bord hast“, erklärte Baptiste, als er fleißig etwas auf das Pergament kritzelte. „Ist Euch das recht, Shiran?“ Er blickte die Byzantinerin fragend an. Shiran nickte stumm.
Ein Dienstbote betrat den Raum und flüsterte Baptiste etwas ins Ohr. „Gut“, sagte er und wandte sich an Eilert und Shiran. „Ich ließ in der Zwischenzeit eure Flotte beladen. Ich nehme an, ihr wollt so rasch wie möglich weiterreisen.“
„Was schulden wir dir?“, fragte Eilert und zog seinen Lederbeutel.
„Du schuldest mir nichts“, erwiderte der Stadtoberste. „Nicht nur einmal warst du es gewesen, der mein armseliges Leben gerettet hat. Es war mir eine große Freude, dich Haudegen in diesem Leben wiederzusehen. Ich hoffe, dass du auf der Rückfahrt mehr Zeit mitbringst, um mit mir über alte Abenteuer zu reden.“ Er lachte und schlug Eilert kameradschaftlich auf die Schulter.
„So Gott es will“, sagte Eilert und reichte ihm die Hand zum Abschied.
„Da habe ich noch einmal meinen Hals aus der Schlinge gezogen“, lachte Eilert erleichtert, als sie zurück auf der Frou fan Fryslân waren und die Segel setzten. Langsam segelte die Flotte aus dem Hafen von La Rochelle.
„Wieso?“, fragte Shiran und schaute dem winkenden Baptiste hinterher. „Das Stadtoberhaupt war ausgesprochen höflich und gab uns wertvolle Ratschläge.“
„Das meine ich nicht.“ Eilert schmunzelte. „Hast du seine Magd gesehen?“