Kathena und mein Logbuch nach Norden - Wilfried Erdmann - E-Book

Kathena und mein Logbuch nach Norden E-Book

Wilfried Erdmann

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Beschreibung

Abschied von einer langen Leidenschaft 14 Jahre stand das Schiff aufgebockt im Garten hinterm Haus. 14 Jahre, in denen durchaus gesegelt wurde – nur eben nicht mit dem Schiff, das für Seetüchtigkeit und Zuverlässigkeit steht wie kein anderes. 14 Jahre, die dem soliden Rumpf und der spartanischen, aber sinnigen Ausrüstung nichts anhaben konnten. Im Sommer 2016 aber sollte sich alles ändern. Die KATHENA, die zwei Nonstop-Weltumseglungen mit Bravour hinter sich gebracht hatte, sollte wieder ihrem Element zugeführt werden. Eine neue Reise angegangen. Salzluft, Windluft, Seeluft schnuppern. Ein Törn in eines der schönsten, wildesten, rauesten Reviere Europas. Wie gemacht für dieses Schiff. Wie gemacht für seine Eigner. Deren Name Erdmann schon lange für "Seemann" steht. Im Sommer 2016 waren Wilfried und Astrid Erdmann mit der Kathena nui unterwegs mit Ziel Schottland. Obwohl die Reise insgesamt glückte, empfanden beide das Ganze als anstrengend und kräftezehrend und kamen zum Ergebnis: Es war die Abschiedsreise. Zumindest, was größere Törns angeht. Ihr Bericht ist zeitgleich die Bilanz eines großartigen Segelpaares.

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Wilfried

Erdmann

Kathenaund mein Logbuchnach Norden

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Delius Klasing Verlag

 

 

 

 

 

1. Auflage 2017© Delius Klasing & Co. KG, Bielefeld

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:ISBN 978-3-667-11071-8 (Print)ISBN 978-3-667-11233-0 (Epub)

Gestaltung und Satz: Erdmann Design, KielAlle Fotos: Wilfried und Astrid Erdmann; außer Seite 95 rechts oben:Thomas Ley; Seite 207 oben: Christoph EdelhoffLektorat: Birgit Radebold

Datenkonvertierung E-Book: HGV Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice, München

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk, auchTeile daraus, nicht vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

www.delius-klasing.de

Inhalt

Vorbemerkung

Es segelt in mir

Auf gen Norden

Alles muss anders werden

Übers Meer, Kurs Lerwick

Manche mögen’s grau

Kathena und das Nordmeer

Färöer, Inseln im Atlantik

Unser Chaos-Kurs

Orkney wollen wir gar nicht

Astrid wünscht Hebriden

Caledonian Canal

Der Moray Firth

Mit Nebel nach Peterhead

Über die Nordsee

Cuxhaven, Elbe

Stille im Kiel-Kanal

Es gibt Sonne und Kym

Nach Hause an die Schlei

Sehnsuchtsorte dieser Fahrt

Anhang: das Schiff

Seemännische Ausdrücke

 

 

 

 

 

Wer vom tiefsten Leid verschont geblieben,hat nach Liebe nie gesucht.Wer mit Herzblut sich der See verschrieben,hat sie tausendmal verflucht.

Hans Domizlaffaus dem Gedichtband »Seezeichen«

Vorbemerkung

Leichtsonnig. Schwachwindig. Ich kann beginnen mit meinem Buch. Der Computer startet schwer. Ich starte schwerer. Auf der Wiese vor unserem Haus falle ich um. Es ist der Blutdruck, sagt meine Frau. Man kann nicht alles haben. Das ist eine gängige Redensart, hier ist sie im Moment wahr. Aber dann geschieht es trotz allem: 115 Manuskriptseiten stehen und knallen bis zum 31. Januar rein. Ich bin glücklich. Nur Astrid sagt, ich hätte schon mal besser geschrieben. Meine liebe Mitseglerin will nicht verstehen, will mir nicht zubilligen, dass ich schreibe, wie ich schreibe. Sie sagt, ich solle meinen Text immer wieder durchlesen, korrigieren beziehungsweise vervollständigen. Hat was für sich. Gleichwohl, ich verwende wieder meine kürzeren, zupackenden Sätze.

Was ist ein Logbuch? Nichts weiter als ein Notizbuch. Eigentlich. Nur dass es das Leben und Geschehen auf dem Wasser veranschaulicht. Das Meer unterwegs, die Hafentage, die Buchten und alles Drumherum. Genauer betrachtet, umfasst es keine besondere Richtung, notiert wird, was mir gerade durch den Kopf geht. Jede Menge willkürliche Notizen, persönliche Beobachtungen und Regungen. Am besten ist, das, was einem seemännisch vor die Augen kommt, direkt zu vermerken: Wind, Seegang, Wolken, Wellenhöhe, Segelstellung etc. Das Allerwichtigste ist und bleibt das Gefühl für den eigenen Wert, somit Stärken und Schwächen aufzuzeigen. Das lasse ich mir nicht nehmen. Traurigkeit, Desaster-Wetter, eine Patenthalse oder – wo finde ich bloß den Hafen. Auf elegante Formulierungen, Orthografie und so weiter lege ich wenig Augenmerk. Da das außer mir keiner lesen wird, kann ich mich im Log-Tagebuch austoben.

Ein bisschen durcheinander? Nun ja, so hat sich mein Leben entwickelt. Im Logbuch-Stil. Ich habe schon eine große Blechkiste voll mit dicken, dünnen, kleinen und seit vielen Jahren mit den von mir konzipierten blauen Büchern im DIN-A4-Format. Ich bin sozusagen Selbstbeobachter und habe mit dem Logbuchschreiben angefangen, als keine Partnerin da war, der ich mich hätte anvertrauen können. Damals segelte ich allein. An die Stelle des Redens ist das Schreiben getreten. So war das. Heute bin ich dabei geblieben, weil meine Beziehungen auf dem Meer eingeschränkt sind. Astrid ist häufig seekrank und recht still.

Außerdem sind die Tage im Norden lang, und man hat Zeit, zum Logbuch zu greifen. Ich sagte mir, eigentlich könnte ich ein paar Dinge notieren, und dachte im selben Moment, wer soll bloß das ganze Geschreibsel lesen. Geholfen hat mir wieder der gut platzierte Kartentisch im Boot. Großflächig und in der richtigen Höhe, sodass ich auch im Stehen ohne zu ermüden daran arbeiten kann.

Auf der Wiese hinter unserem Haus stand KATHENA NUI all die Jahre. Aufgebockt und mit einer Plane abgedeckt. Sie erschien schwerfällig und massig mit ihrem wohlgeformten Kiel, aber in Wahrheit ist sie leicht und behände. Ihre Maße habe ich oft genug genannt, ich weiß. Sie ist 10,50 Meter lang, gut 3 Meter breit und hat 1,80 Meter Tiefgang. Eine Klasse-Yacht mit klassischem Riss, aus Aluminium und als Kutter getakelt. Verführerisch schön. Ich mochte mich von ihr nicht trennen. KATHENA NUI ist ohne Rollsegel, ohne Umlenkungen für Fallen und ohne all den Krimskrams, den man heutzutage montieren kann. Ich bewundere sie dennoch. Sie wurde vor über 30 Jahren für mich gebaut. 1984 wollte ich allein und nonstop um die Welt segeln und habe es getan. 271 Tage von Kiel nach Kiel. Das hat mir gefallen. Ich war sehr nah dran am Sinnestaumel. Dieses Schiff war auch der Beginn unserer Tage an und auf der Schlei, wie hätten wir je auf es verzichten können. Und so kam es, dass wir im Sommer damit in den Norden segelten.

Bereits unterwegs dachte ich, dass ein kleines Buch in unserer Reise steckt, wenn man das Gekritzel ein wenig glättet. Hier ist es. So ist es.

Wilfried Erdmann

Sommer 2017

Es segelt in mir

Vom 10. Mai bis 8. September 2016 segelten wir übers Meer. Von Missunde an der Schlei über Skagen, Norwegen, die Shetlands zu den Färöern und zurück via Schottland und Kiel-Kanal. 121 Tage. Davon waren wir acht Nächte auf See. Oder waren es neun? Na, das ist egal. An Bord waren meine Frau Astrid und ich. Mit an Bord auch mein Log-Tagebuch, in das ich täglich alle besonderen und auch belanglosen Begebenheiten eintrug. Ich nannte es meinen »Hero«, der immer auf der Höhe der Zeit sein sollte. Ergebnis: Von diesem Sommer steht fast nichts Heldenhaftes drin. Das Buch liegt dennoch links neben meinem Computer und soll mir helfen, die Reise nachzuerleben. Leider ist meine Schrift sehr schlecht. Ich habe Mühe, sie zu entziffern. Da steht zum Beispiel artifiziell. Was wollte ich damit bloß sagen? Oder: Wie der Sommer meine Glieder schlottern ließ. Ja, kalt war es gewiss. Aber so kalt? Ich weiß nicht. Es war doch Sommer. Oder ich lese vom Meer. Die Ostsee und die Nordsee sind nicht das Meer. Stimmt. Das fand eigentlich so richtig erst westlich der Shetlands statt.

Ich fange an mit der ersten Nacht im Skagerrak. Von Skagen aus geht es morgens um fünf Uhr mit KATHENA NUI Richtung Südnorwegen. Glücklicherweise ist es zu dieser Tageszeit schon echt hell und außerdem nichts los auf dem Wasser. Wir runden die Tonne Skagen Rev und nehmen Kurs auf Mandal, 110 Seemeilen entfernt. Nach den engen Gewässern der dänischen Inseln ist das nun unsere erste richtige Aufgabe – Segeln übers Meer, pardon, über die See. Obwohl, der Skagerrak kann schon manchmal zweifellos das Meer sein. Der Wind kommt aus Nordost. Wir starten mit gefierten Schoten und herrlichen sechs und sieben Knoten Fahrt. Nur: Uns treffen unerwartet viele Querläufer. Schon paradox: Die Wellen kommen aus dem Nichts, und überhaupt zeigt der Skagerrak Seegang aus allen Richtungen. Es rumst von rechts, es rumst von links und vor allem von vorn. Astrid muss sich bei dem wahnsinnigen Geschaukel übergeben. Wenn man das hinter sich hat, geht es einem danach normalerweise sofort besser – jedoch nicht so bei meiner Frau. Sie schafft es gerade noch in ihre Koje, wo eine Schüssel bereitsteht. Sie ist wirklich schwer krank. Die Sache ist nur die, dass auch ich nichts im Griff habe, nicht einmal mich selbst. Wie Radrennfahrer über Kopfsteinpflaster, so holpern wir übers Meer. Ich sollte eigentlich begeistert sein, denn es ist meine erste Nacht auf See nach vielen, vielen Jahren. Es grenzt schon an ein Wunder, dass wir tatsächlich in See stechen – das Meer wieder sehen und spüren dürfen. Aber da ist nichts Freudiges, nichts von locker durch die Wellen preschen. Überhaupt nicht. Ich bin still und ganz leer. Und immer auf der Suche nach irgendetwas, einer Flasche Wasser, einer Taschenlampe, einer Wolldecke. Es ist eine insgesamt ungemütliche Mainacht. Glücklicherweise eine kurze nordische Nacht. Dennoch: Vier Stunden Dunkelheit und eine verquere See reichen, um mich mutlos für das eigentliche Ziel zu machen: die Färöer auf 62° nördlicher Breite.

Wir haben vor, über Norwegen zu den Färöern zu segeln, dem großen, dem konkreten Ziel unserer Sommerreise. Ich hatte diesen Vorschlag gemacht, mit Astrid geplant und auf Seekarten Dreieck und Zirkel hin- und hergeschoben: »Die Färöer sind nur 700 Seemeilen von der Schlei entfernt. Mensch, das machen wir, das ist doch ein Klacks«, versuchte ich Astrids Skepsis zu überwinden. »Außerdem wollen wir doch KATHENANUI wieder etwas bieten.« Sie begleitete meine Vorschläge mit Kopfschütteln.

»Oder willst du wieder auf die Ostsee?«

»Natürlich nicht.«

»Also, ich auch nicht. Ich will irgendwohin, wo niemand, den ich kenne, je war.«

Der Skagerrak liegt nach einer freudlosen Nacht morgens um vier Uhr hinter uns. Dafür aber liegen ganz plötzlich unzählige Inseln vor uns. Astrid führt uns mithilfe des Navigationsprogramms auf ihrem iPad an den vorgelagerten Inseln, Felsen und Untiefen vorbei in den geschützten Hafen. Er wirkt irgendwie beruhigend. Kein Hauch Wind kräuselt das Wasser, kein Schiff bewegt sich. Vollkommene Stille ringsum. Am Steg umarmen wir uns und legen uns in die Kojen. Die ungestüme Kraft der Elemente hatte mich, wie früher auf meiner allerersten Reise, überrascht und erschreckt. Meine Resignation auf dem Meer hing nicht so sehr von der Höhe der Wellen ab als von dem geringen Abstand, der sie voneinander trennte und uns das Leben schwermachte. Dennoch fühle ich mich glücklich, endlich mal ein richtiges Seestück gesegelt zu sein. Jetzt erwartet uns, was die Nordländer als einen einzigen Tag ansehen: der Polarsommer voller Helligkeit. Ich kann es kaum erwarten – das Licht des Nordens.

In meinem Logbuch sieht es ziemlich trostlos aus, inhaltlich und die Schrift betreffend:

27. Mai. Erste Nachtfahrt. A. ist fertig mit der Fahrt. Sie überrascht mich heute. Will abmustern. Wegen der brutalen Seekrankheit möchte sie nach Hause. Mit der Fähre nach Dänemark und dann weiter. Zu Ende? Das Kotzen über Bord muss ihr schwer zugesetzt haben. So habe ich sie noch nie erlebt. Sie sagt: »Es liegt am Alter.« Liegt es wirklich daran? Womöglich am Interesse. Besser: an der inneren Einstellung, was ja wohl dasselbe ist. Ich denke: Ist ja auch kein Pappenstiel. Mit gut 70 Jahren diese Abfahrt vorbereiten: Kleidung zusammenstellen, Haus in ordentlichem Zustand hinterlassen, Informationen bezüglich Garten verteilen und Anweisungen für die Post und zur Blumenpflege geben. Ich habe weiche Knie und sage erst mal nichts zum Abmustern. Denke und hoffe, morgen geht’s frohen Mutes weiter. In der Tat war es eine große Anstrengung. Erst der feine Wind, dann fallen wir in Flautenlöcher, und gleich nach Mittag ist fini mit Segeln. Die Dümpelei im Seegang schaffte uns beide. Nachdem sich das Meer nach einer Stunde nicht beruhigte, startete ich die Maschine. Bedeutete mit der Hand an der Pinne Kurs halten. Stunde um Stunde. 2200 Umdrehungen brachten magere 3,2 Knoten. Es torkelte und gischtete und knallte erbärmlich, wenn das Großsegel back kam. A. resignierte. Ich machte weiter. Schlafmangel, Schiffsverkehr, Navigation. Es kam noch dunkler: Regenschauer, und A. ging es immer schlechter. »Scheiß Segeln«, stöhnte sie, riss sich trotzdem zusammen, steuerte ein wenig, stieg wieder hinab in die Kajüte und schmiss sich hin.

Ein ruhiger sonniger Maitag wird in Mandal genutzt, um zu entspannen. Im Schiff Ordnung schaffen und überlegen, was wir nun machen – weiter oder abbrechen. Auch am nächsten Tag lädt das Wetter nicht zu einer Weiterfahrt ein. Stramme sechs bis sieben Beaufort aus West, wir bleiben am Steg und gewöhnen uns an das kabbelige Wasser, das gegen den Kai schwappt. Ärgerlich, dass die Sanitäranlagen noch geschlossen sind, aber dennoch 200 Kronen Liegegebühren verlangt werden. »Die Saison ist noch nicht eröffnet«, sagen uns die Norweger.

Das Schiff unserer Reise: KATHENA NUI. Einfachheit gleich Schönheit ist das Resultat meiner Erfahrungen mit ihr.

Wir sind nicht allein im Hafen. Die Crew der DAKLA, eine Malö 36, leistet uns Gesellschaft. Ein Berliner Ehepaar, das schon 14 Logbücher an der norwegischen Küste abgefasst hat. Das ist gleichbedeutend mit 14 Sommern. Dagmar und Klaus sind Anfang 60 und gute Erzähler. Es wird nicht langweilig mit ihnen. »Wir fahren dieses Jahr nur bis Ålesund.« Solche revierkundigen Segler möchte man wiedertreffen. Zeigen uns gar einen Film von einer ihrer Reisen gen Norden. Sehr verlockend, aber wir bleiben bei dem Ziel Färöer. Als wir Klaus von unserem seit Beginn der Fahrt kaputten Topplicht erzählen, holt er mit zwei Handgriffen ein weißes Licht mit Kabel aus seiner Backskiste. »Nimm dieses«, meint er salopp. Wir nehmen es gern, und es leuchtet alle Nächte auf unserer Reise. Danke.

Mandal ist ein feines, adrettes Städtchen. Alle Häuser sind weiß gestrichen. Der Supermarkt gut gefüllt und als Erleichterung gleich um die Ecke platziert. Nachschub an Bier für Astrid insofern nicht weit zu schleppen. Alle Wege sind grundsätzlich kurz. Eine aparte Brücke führt über den Fluss Mandalselva, der der zweitlängste Fluss Norwegens ist und heute wieder gutes Lachsangeln erlaubt. Die ursprüngliche Lachspopulation wurde als Folge der Versauerung des Flusssystems ausgerottet. Eine umfangreiche Kalkzugabe jedoch hat zu besseren Umweltbedingungen in dem Fluss geführt, sodass neue Lachsbestände aufgebaut werden konnten. Lachse und Meerforellen können eine Flussstrecke von 48 Kilometern hochschwimmen und werden trotzdem fett. Der größte vor Ort je gefangene Lachs wog 13,9 Kilogramm. So steht es in der Tageszeitung »Stavanger Aftenblad«.

Ein riesengroßes orangefarbenes Ei von vielleicht fünf Meter Durchmesser liegt mitten auf dem Fluss. Ist wohl als Kunstinstallation gedacht. Es zieht unweigerlich die Blicke an. Morgens, abends, immer, wie auch am Ufer das Buen Kulturhaus mit Bibliothek, Theater und Konzertsaal. Wir trinken einen Kaffee in der Einkaufsstraße und schauen uns die Menschen an. Blond überwiegt, und schlank sind vor allem die Norwegerinnen. Gewiss besteigen wir auch den Aussichtspunkt Uranienborg, der die Stadt überragt, um den Ausblick zu genießen. Der Aufstieg ist steil, rechts und links vom Weg Gras, Büsche, Bäume. Oben angekommen, lädt ein Pavillon mit Sitzbänken zu einem fantastischen Weitblick auf Hafen, Stadt und in die Ferne auf ein Meer von Felsen ein. Ja, die Einwohner von Mandal und Umgebung sind wahrlich reich beschenkt. Nicht nur mit Steinen, nein, in der Nähe des Hafens entdecken wir einen unerwartet langen, weißen Sandstrand. Wenn nur das Wasser wärmer wäre.

Abends lese ich ganz aufgeregt in der neuen »Yacht« den Bericht über meine KATHENA NUI. »Die Vertraute«, geschrieben von Marc Bielefeld. Und ich frage mich, wie man sich danach fühlt:

– Wichtig? Stolz? Nein, überhaupt nicht.

– Ausgeliefert? Selbst Schuld.

– Dankbar? Wenig. Zu spät die Vorstellung im Heft unter der Rubrik »Das besondere Boot«. Aber es ist meine Schuld. Ich habe das jahrelang verhindert. Ich wollte keinen Journalisten darüber schreiben lassen. Mein Boot ist mein Boot.

– Geehrt? Kommt dem sehr nahe, weil dieses Schiff mit meiner Hilfe Bedeutsames geleistet hat.

– Erschrocken? Ja, ein wenig. Dass mein Schiff nur Vorteile bieten soll, darüber bin ich erschrocken. Denn das trifft ganz und gar nicht zu.

Immerhin habe ich 271 Tage und ein zweites Mal 343 Tage ununterbrochen auf See mit KATHENA NUI vollendet – ohne ein ernsthaftes Malheur. Ich hätte gleich noch eine weitere Nonstopfahrt mit dem Boot machen können. Darauf sind wir, KATHENA und ich, ein wenig stolz. Sie hat bewiesen, dass sie es kann. Ich glaube auch, und ich wiederhole mich, dass die Einfachheit des stabilen Bootsbaus und der Ausrüstung den Erfolg beschert hat. Ich habe im Zweifel auf jeglichen Firlefanz verzichtet, dafür lieber das Beste, was der Markt hergab, gekauft.

Der Text von Marc Bielefeld liest sich gut. Vertrauen ins Boot wird erwähnt. Steht für mich im Vordergrund, denn das ist wirklich wichtig, um Freude an Bord zu haben, auch oder speziell in gefährlichen Situationen. – Außerdem finde ich, dass KATHENA NUI verlockend gut aussieht. Es ist der Riss, der beeindruckt.

Dabei hat auch dieses Schiff viele kleine und größere Fehler, die aber nur ich kenne. So soll es bleiben. Schluss jetzt, ich klappe das Heft zu und sage gute Nacht. Vertraute Dinge, fremde Dinge. Man soll sein Herz nicht an Dinge hängen. Ich hänge an wenigen. Ende.

Ergänzung: Dass wir die Fahrten erfolgreich abgeschlossen haben, lag auch an der Fähigkeit, die lange Zeit zu managen. Unterwegs habe ich alle paar Wochen einen Feiertag eingelegt. Der fand nicht immer bei schwerem Wetter statt. Das Feiern beinhaltete Körperwäsche, lecker kochen, in Ruhe essen, frische Kleidung anziehen. Weg vom Kopfzerbrechen über Wetter, Segelstellung, Meilenmachen, Luftdruck … Das hat mir sehr geholfen.

Auf gen Norden

Schon die Abfahrt in Missunde klebt. Ich erinnere mich gut. Ob wir unser Ziel Färöer hinkriegen? Planen, kein Problem, am besten am Kamin, wenn das Buchenholz knistert und man in der Hand einen Törnführer oder gar ein Seehandbuch hält. Umsetzen und abfahren ist eine andere Sache.

Eine Abfahrt kann bei uns leicht wie folgt aussehen, aufgezeichnet im Logbuch:

Wie vereinbart sitze ich morgens um fünf Uhr in Socken und Hose auf der Koje, Astrid kleidet sich ebenfalls an. Plötzlich sagt einer zum anderen: »Wollen wir echt los?« Kurzer Blickkontakt, und ohne Umschweife springe ich wieder in meine Backbordkoje und Astrid in ihre Hundekoje und ziehen die Decken über die Köpfe. Ein Beispiel, wie leicht wir umzustimmen sind, vom Bleiben restlos überzeugt.

Steuerbords und backbords glitschen wir auf der Schlei an Seglern vorbei. Es ist genial zu sehen, wie sie fröhlich die Hände zum Gruß heben und der Ostsee entgegenstürmen wie wir mit KATHENA NUI. Nur, für uns geht’s heute nicht auf See. Wir biegen ab zum ersten »Sehnsuchtsort« Schleimünde. Das ist der kleine Hafen vor der Ostsee. Eigentlich ein Nothafen. Wir machen dort in einem nahezu leeren Becken fest, stellen den Motor ab und reißen eine Dose Bier auf. Schon mal ein wichtiger Punkt ist geglückt: der Start zu einer Reise. Das sollte für heute genug sein. Prost.

Die letzten Wochen der Vorbereitung waren wirklich kein Zuckerschlecken. In Hamburg Seekarten kaufen, in Schleswig Proviant bunkern, mit meinem Freund Jürgen Festmacherklampen montieren (KATHENA NUI hat bisher keine gebraucht), Petroleum für den Kocher verstauen, so zog sich die Abfahrt bis in den Mai hin. Dabei hatte ich noch Astrids besondere Aufträge zu berücksichtigen: Gras mähen, Garten umgraben, Wasser abstellen, Brennholz hacken, Decken und Wäsche an Bord schleppen, Papierkram erledigen und vieles mehr.

Doch dann sitzen wir im Cockpit in Schleimünde, haben eine leichte Brise, glattes Wasser, super Liegeplatz und sind guten Mutes, dass alles so wird wie geplant oder auch nicht, denn große Routenplaner sind wir beide nicht. Na, wenigstens unser Schiff ist in Ordnung. Das Boot hat in 32 Lebensjahren keinerlei ernsthafte Schäden davongetragen, außer vielleicht Farbe verloren. Viel Farbe ist sowieso nicht dran, die Außenhaut über Wasser ist naturbelassenes Aluminium. Es hat sich eine schützende Oxydschicht gebildet. Astrid sagt: »Sieht aus wie eine alte Konservendose.«

Nach 30 Jahren kommt endlich eine Maschine ins Schiff. Angetrieben von einem Drehflügelpropeller.

Das Jahr 2015 haben wir ausschließlich KATHENA NUI gewidmet und endlich im Sommer voller Elan die Abdeckplane runtergerissen. Der erste Anblick war erschreckend. Überall an Deck abgeplatzte, zersetzte Farbe. Peinlich und ärgerlich. Es ist ja nicht so, dass ich all die Jahre dem Boot keinen Blick gegönnt habe, aber so nieder hatte ich es nicht erwartet. 14 Jahre unbenutzt hinterm Haus hatten doch heftige Spuren hinterlassen. Das Instandsetzen dauerte und kostete Kraft.

In der Kajüte dagegen war es trocken und sauber. So, als wäre ich erst gestern ausgezogen. Das freute mich wiederum mächtig. Offenbar alles richtig gemacht. Keine Belüftung zusätzlich geschaffen, sondern Luken und Lüfter hermetisch abgeriegelt und aus.

Astrid nahm als Erstes mit einem Hochdruckreiniger Deck, Aufbauten und Cockpit in Angriff. Die Tage endeten unter der heißen Dusche, dazu war von Sommer vorerst nichts zu spüren. Ich rückte der Farbe an Deck mit einer Flex zu Leibe, 80er-Sandpapier auf einer Scheibe, die die lose Farbe nur so wegfetzte. Astrid sah zu, wie mir der Staub ins Gesicht wehte. War ich müde, übernahm sie das Schleifen. Groggy fielen wir abends ins Bett, doch nach einer Woche sah KATHENA schon ganz anders aus, nämlich makellos blank an vielen Stellen.

Mit Farbeverstreichen mussten wir wegen Regenschauern und kaltem Wind noch warten. »Dafür empfehle ich eine Hochdruckwetterlage«, sagte meine Frau. Recht hatte sie. Warten tat gut. Nun, ich machte mich ans Unterwasserschiff. Schleifen, flexen … Antifouling wurde auch verschoben. Ich suchte noch nach der Geheimwaffe gegen Bewuchs und entschied mich, nach Beratung von International, für Trilux 33. Soll das Beste für Aluminium sein. Und, ich nehme es vorweg, es war das Beste. Nach der Segelsaison fand sich am Unterwasserschiff ganz geringer Bewuchs. Die zahlreichen Restarbeiten fanden endlich in der Halle der Mittelmann’s Werft in Kappeln statt. Henning Mittelmann machte es möglich, weil wir, ständig vom Regen unterbrochen, nicht richtig weiterkamen. So konnte die Familie Erdmann (3) von morgens bis abends spät (vor allem Kym) in Ruhe am Boot arbeiten. Abkleben mit Tesa an Deck, drei bis vier Anstriche, inklusive einem mit Sand vom Strand in Eckernförde für die Rutschfestigkeit. In der Halle von Mittelmann wurde auch von der Firma Kiso ein Yanmar (14 PS) eingebaut. Zum Schluss wurde der Mast inspiziert, ein kleiner Teil der Segel und einiges an Tauwerk erneuert. Logisch. Beim Zuwasserlassen nach 14 Jahren flossen die Freudentränen.

Zum Sonnenuntergang im idyllischen Schleimünde kommen ins Logbuch ein paar schnell geschriebene Zeilen:

Starte um 09.00 Uhr in Missunde mit einem neuen Logbuch. Vielleicht für ein Buch. Gut möglich für eine Geschichte: »Stern«, »FAZ«, »Yacht«. Sonne pur. Keine Wolke am Himmel. A. steuert unter Fock und Groß. Ich staue Dinge, die noch in der Früh an Bord kamen. Nachbarin Helga fährt uns mit ihrem Golf zum Steg. – A. vor der Brücke Lindaunis: »Kommt überhaupt Wasser aus dem Auspuff?« Ich: »Ja, klar. Sonst wäre es schlimm.« Ich will ein Logbuch »up to date«. Vielleicht ein letztes. Mein letztes Logbuch sozusagen. Zu Mittag: A. eine Hühnerkeule. Ich Brot und Käse. Nachtisch: Sonne, wolkenlos, wie am Äquator. An der Tür zur Schleimünder »Giftbude« steht der aparte Satz: »Es segelt in mir«. (Stammt von einem Bild von Birgit Rautenberg-Sturm.) Leider ist das Lokal geschlossen. Schade, ein Frischgezapftes wäre die Krönung.

Der neue Tag beginnt mit Nordwest vier. Ich richte mich mit Winterpullover ein und Astrid zusätzlich mit Öljacke. Sie übernimmt das Steuern, ich setze das Tuch. Die mittelgroße Fahrt beginnt. Mittelgroß soll heißen teils mühsam, teils leicht, bedingt durch die Tide. Aber die stört uns nicht sonderlich und spielt bis Skagen keine Rolle. Der Kurs ist geplant über den Kleinen Belt, Middelfart, Grenå und Læsø im Kattegat.

Søby soll für heute genügen. Dennoch zupft Astrid an den Schoten. Sie will alles schneller. »Komm, KATHENA lass es ziehen.« Sie will ankommen. Ich decke im Cockpit Frühstück auf und denke nicht an Ankunft. Heute mit meinem geliebten Porridge, nur zehn Sekunden aufgekocht, samt Rosinen, etwas Salz und Milch. Dazu schwarzen, ungesüßten Tee. Er bekommt uns beiden. Ich toaste Brot in der Pfanne, und die Welt sieht in alle Richtungen strahlend aus. Es könnte so weitergehen. Ja, so hätte es bis Skagen weitergehen können. Ein stetiger Wind um vier Windstärken und eine leicht gewellte See. Traumhaft. So verliert sich die Sprachlosigkeit der Morgenstunden. Es entsteht ein munterer Disput über zu viel und zu wenig Segeltuch. Doch wer hat am Ende das Sagen? Derjenige, der steuert, ist doch klar.

Søby auf Ærø ist ein angenehmes Dorf, schon aus großer Ferne zu sehen. Nicht, dass es dort viel zu sehen gibt – eigentlich nichts weiter als eine planlose Ansammlung von Gebäuden, aber der Hafen sticht hervor. Ein Fährhafen und ein Sportboothafen. Im Dänischen Lustbådehavn genannt. Søby ist ein etwas langweiliges Dorf in der dänischen Südsee. Da liegen wir nun, eingerahmt von sauberen, modernen Yachten, auf denen die Segel nach kurzer Zeit verschwunden sind – entweder abgedeckt oder eingerollt. KATHENA NUI