Kaum macht man mal was falsch, ist das auch wieder nicht richtig. - Kirsten Fuchs - E-Book

Kaum macht man mal was falsch, ist das auch wieder nicht richtig. E-Book

Kirsten Fuchs

4,4

Beschreibung

Kirsten Fuchs ist zurück! Und sie liefert wieder auf unnachahmliche Art Kirsten-Fuchs-Erkenntnisse: Man erfährt zum Beispiel, wie man Kassiererinnen glücklich macht, welche Vorteile ein Pfropfen im Ohr hat oder wie man Wehen zur Stromgewinnung nutzen kann. Es geht außerdem um Erdbeermützendiebe, zauberschöne Nähmamas und verwirrende Hundebekanntschaften - ein Kaleidoskop der Alltagskuriositäten. Mit Kirsten Fuchs sieht man mehr: mehr Schönheit im Hässlichen, mehr Komik im Tragischen - und umgekehrt. Mit Kirsten Fuchs sieht man mehr: mehr Schönheit im Hässlichen, mehr Komik im Tragischen - und umgekehrt. Nach "Eine Frau spürt so was nicht" (Voland & Quist 2011) erscheinen nun neue Geschichten und Kolumnen als Buch mit CD.

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Verlag Voland & Quist, Dresden und Leipzig, 2014

© by Verlag Voland & Quist OHG

Korrektorat: Annegret Schenkel, Leipzig

Umschlaggestaltung: HawaiiF3, Leipzig

Satz: Fred Uhde, Leipzig

E-Book: eScriptum, Berlin

ISBN: 978-3-86391-103-4

www.voland-quist.de

Inhalt

Interessant einkaufenTaschenbuchOsterwasserholen mit AlfredDer Geschmack des SiegesEhrlicher LiebesbriefMannschine und FrautomatDas bekloppteste Hobby von der WeltDie MaßnahmeWillkommen in SchlaffilandFacebook 1886Das ProblemHerr Wenzel – Mülltonnenhickhack mit RosenstutzSachen, die ihr über Spinnen wissen wolltetWehenkraftwerkKlischees auf dem PrüfstandStilldemenz für AnfängerWir Hunde vom Bahnhof Zoo – Die erschütternde Geschichte von Wuffi F.Mal wieder Herr Wenzel – Das Gegenteil einer weißen FriedenstaubeTierparkDer BriefPflanzenmannZweitliga-SuperheldenNähmamasGehörlos ist das neue AltersmildeMädchentraumSoziologische Phänomene mit physikalischen Aspekten, an mir selbst untersuchtTeil sieben, Teil zwei – Teil einsZehnbeinasselSofasexTeil sieben, Teil zwei – Teil zweiIch bin zwei SupermodelsErdbeermützendiebNuffelmutti87Alle sind für den BallSehnsuchtTodNougat, NougatErstveröffentlichungsnachweise

Interessant einkaufen

Natürlich hätte es auch anders kommen können. Das Leben ist ein Schalk. Es hätte mich mit allem, was ich bin, in den Körper einer Kassiererin hineinschicksalen können. Vielleicht ist dieses Seelenvergeben wie Telefonieren, und wenn der passende Körper gerade nicht rangeht, dann, tja, Arschkarte.

Vielleicht ist der Körper besetzt. Oder die Seele hat sich verwählt.

Manche werden ganz ohne Seele geboren.

Wenn man sich dieser Sache bewusst wird, ist es leichter, zu Menschen freundlich zu sein, als man es aus eigener Kraft eigentlich könnte. Er oder sie könnte jemand ganz anderes sein als der, den du siehst. Ein Star. Im Körper eines Busfahrers. Ich bin ein Star. Holt mich hier raus, schreit seine Seele. Klar ist er gefrustet, angekratzt wie die Scheiben des Busses.

Ich habe so eine Macke: Ich will Kassiererinnen glücklich machen. Oder anders: Nicht glücklich, ich will sie überraschen.

Sie sitzen da: Hallo, piep, piep, piep, piep, piep, piep, piep, sammeln Sie Treueschlüpfer? Äh, …punkte.

»Wieso dauert das Einkaufen bei dir immer so lange?«, fragt mein Freund.

»Ich bin Geschichtenerzählerin durch und durch«, sage ich. »Das ist doch kein Beruf. Das ist mein Charakter.«

Ich kaufe zum Beispiel alles, was dick macht. Das ist eine einfache Geschichte.

Es war einmal eine Frau, die kaufte alles, was dick macht.

Die Verkäuferin sieht mich erstaunt an. Weil ich ja gar nicht dick bin.

»Für mein Kind«, sage ich. »Das ist so dick, das kann das Haus nicht mehr verlassen.«

Krasse Geschichte.

Da hat sie garantiert tagelang drüber nachgedacht.

Das nächste Mal kaufe ich nur rote und grüne Sachen und behaupte, ich hätte eine Rot-Grün-Schwäche. Das ist eine dumme Geschichte, sie ergibt keinen Sinn, aber bestimmt hat die Kassiererin auch darüber noch lange nachgedacht. Wieso Rot-Grün-Schwäche, häh?, hat sie gedacht.

Ich bin aus der Abteilung Gehirnfütterung am Arbeitsplatz. Ihr Kopf soll sich mal wieder satt essen.

Hallo, piep, piep, sammeln Sie Treuelumpen?

Eines Tages sieht sie so traurig aus, dass ich folgende Sachen kaufe:

Luftballons, Bockwurst, billige Schuhe, ein halbes Suppenhuhn, nicht gefroren.

Ich sage, dass mein Hund Geburtstag hat.

Sie freut sich.

»Sammeln Sie Treuewürste?«, fragt sie.

Wir lachen.

Dafür mache ich das. Damit die Leute lachen. Sie ist ein kleines Publikum, aber Publikum ist Publikum. Man muss sie da abholen, wo sie stehen, in ihrem Fall: sitzen. Es ist unwahrscheinlich, dass sie zu mir kommen wird. In eine Lesung. Also muss ich zu ihr gehen. Und was ist das für ein Publikum, das extra zu mir kommt, um mir zuzuhören? Ein leichtes. Ich will dahin, wo es schwer ist. In die Supermärkte. Wo die Menschen arbeiten und überhaupt keinen Bock haben, sich zu amüsieren. Dort muss man versuchen, sie zu unterhalten. Wenn du es dort schaffst, schaffst du es überall.

Das nächste Mal sieht sie weniger traurig aus. Ganz normal. »Guten Tag, guten Tag«, sagt sie, piep, piep, piep, macht das Piepgerät.

Ich wage eine gewagtere Geschichte.

Ein Messer aus den Sonderposten, aus dem Messerblockset. Außerdem lege ich ein Pflaster aufs Band. Dazu noch eine Flasche Schnaps.

»Guten Tag, guten Tag.«

Sie schaut sich meinen Einkauf fast nicht an, aber dann doch. Ich habe herausgefunden, dass sie genauer kuckt, je weniger ich kaufe. Die Message muss klar werden.

Dann piept sie meine Gegenstände über das Band.

»Ich möchte Schreibmaschine lernen. Mit dem Acht-Finger-System«, sage ich.

»Aha«, sagt sie. Noch hat sie nicht angebissen. Sie ist noch tief in ihrem Piep-piep.

»Haben Sie irgendwann Schreibmaschinen im Angebot?«, frage ich.

Sie schüttelt den Kopf. Jetzt geht das Licht an in ihrem Hirn.

»Na, macht nichts«, sage ich. »Dann lerne ich Klavier. Vielleicht einhändig.«

»Haben Sie bald Klaviere im Sortiment?«

Für den Tag hat sie genug zu denken.

Beim nächsten Mal reckt sie schon ihren Hals, als sie mich sieht. Es sind noch zwei Einkäufer zwischen uns, aber sie hat nur Augen für meinen Einkauf. Ich habe gar nichts auf dem Band liegen.

Ihr Interesse ist geweckt. Ihr Gesicht ist rosig und froh. Als ich dran bin, sage ich, dass heute der Tag ist, an dem ich vor nun fünf Jahren aufgehört habe zu rauchen.

Und zum Jubiläum gehe ich einfach mal keine Zigaretten einkaufen.

Sie ist zufrieden mit der Story.

Sie ist so weit. Ab jetzt kann ich sie alleine lassen. Sie wird sich die Einkäufe der Kunden ansehen und sich allein kleinere Geschichten ausdenken können.

Ich ziehe weiter. In einen anderen Supermarkt.

Es geht nicht darum, ob das jemals zu mir zurückkommt. Es geht um Treueherzen.

Taschenbuch

Die erste Tasche, die in meinem Besitz war, um darin meinen Besitz zu transportieren, war eine kleine Kindergartentasche, in die genau eine Brotbüchse passte. Die Brotbüchse war hellgrün und hielt nur, wenn man einen roten Gummi um beide Hälften machte. Vielleicht wäre es auch mit einem grünen Gummi gegangen. Die Tasche selbst war aus dickem Leder, rot, und die Verschlusslasche war gelb. Der Verschluss war aus Metall und zum Drehen, so dass auch kleine verschmierte, ungeschickte Patschehändchen von einem hungrigen Kind ihn aufbekommen konnten und nicht jedes Mal die mürrische Kindergärtnerin Tante Petra um Hilfe gefragt werden musste, die gesagt hätte: »Mann, Mann, kannste dis nich, Fräulein Fuchs, musste wohl verhungern, denk an die Kinder in Afrika, die würden die Tasche mitessen.«

Ich trug diese Tasche jeden Tag über die Straße in meinen Kindergarten. Ich wurde nicht von meinen Eltern gebracht, weil der Weg nicht weit war, außerdem begleitete mich mein Freund Timm Pfeiffer, in dessen Bruder Olaf Pfeiffer ich verliebt war, weil er groß war und blonde Locken hatte. Mein Freund Timm war klein und hatte eine Brille mit einem Abziehbild im linken Brillenglas. Timm hatte oft irgendwelche Brüche und immer Läuse. Außerdem war Timm mit vier Jahren böse vom Fahrrad gestürzt und hatte, bis die neuen Zähne zur Einschulung wachsen sollten, eine Prothese für die vorderen vier Zähne. Diese Prothese nahm er manchmal raus, um anzugeben oder um kleben gebliebenes Mamba davon abzupulen. Timm war ein toller Freund. Er konnte alles, was er für eine große Zukunft als Clown brauchte: mit den Ohren wackeln, schielen, die Augenlider umklappen, mit der Zungenspitze fast die Nase berühren, meterweit spucken und Pupsgeräusche mit der Achselhöhle machen. Timm Pfeiffer war eine Faxenmaschine. Die Familie Pfeiffer wohnte ganz oben in unserem Haus und hatte Westkontakte. Wenn Timm und ich zusammen vor dem Haus standen, um gleich den weiten Weg über die kaum befahrene Straße anzutreten, schaute meine Mutter vom Balkon und winkte, und Timms Mutter schaute vom Balkon und schrie: »Hast du deine Stullen, Timm?« »Ja, Mama!«, rief Timm. »Hast du deine Brille, Timm?« »Ja, Mama!« »Dann setz sie auf!« »Ja, Mama!« Und die Krönung war, dass Timms Mama rief: »Hast du deine Zähne, Timm?« »Ja, Mama!«, rief Timm, und dann gingen wir Hand in Hand in den Kindergarten.

Timm hatte eine schönere Tasche als ich, weil die Pfeiffers ja Westkontakte hatten. Ich durfte ab und an Timms schöne Tasche tragen, also meine UND Timms Tasche. Timm war kein Kavalier, obwohl er mich heiraten wollte, weil ich das einzige vernünftige Mädchen im Kindergarten sei. Aber ich wollte Olaf Pfeiffer, und wenn ich 20 wäre, so dachte ich, und er dann 30, würde der Altersunterschied auch nichts mehr ausmachen. Vom Kindergarten nach Hause musste ich die Tasche nicht tragen, weil mich mein Bruder abholte und die Tasche vor sich her über die Straße kickte, um damit auszudrücken, dass es ihn ankotzte, seine kleine Schwester abzuholen, und dass er lieber auf dem Fußballplatz wäre. Sicherlich hätte er mich auch vor sich hergekickt, wenn er nicht genau gewusst hätte, wie laut ich heulen konnte.

Zur Einschulung bekam ich einen Stoffranzen, es war gar kein richtiger Ranzen, nicht so ein schöner stabiler, wie ihn andere Kinder hatten. Es war eher ein eckiger Rucksack, mit blöden Katzenaugen dran und einfachen Schnappverschlüssen und dann noch rot-blau, zu einer Zeit, als der Satz kursierte: »Rot und Blau schmückt die Sau.« Wenn man den Stoffranzen in den Schlamm schmiss, wurden alle Hefte und Bücher nass. Ich konnte also an dem Wettbewerb nicht teilnehmen, wo es darum ging, wer seine Tasche am besten an den Trägern über dem Kopf drehen konnte, um sie dann weit, weit in die Modderpampe des Neubaugebietes zu schleudern. Ich habe meine Schultasche nicht sehr gemocht. Aber ich mochte Hagen Maibaum.

Der war mein neuer Freund. In den ersten Wochen arbeitete er im Unterricht mit wie ein Wilder und sammelte blaue Punkte, jeden Tag mindestens einen für Schleimverhalten und dann noch einen, weil er so lange Wimpern hatte und weil Frau Gollowitsch, unsere Klassenlehrerin, das genauso süß fand wie ich. Ich sehe jetzt noch seine lange Reihe blauer Punkte vor mir, neben den mickrigen anderen Reihen, und dazwischen immer rote Punkte, nur beim Maibaum nicht. Als er merkte, dass niemand ihn mitspielen ließ, zum Beispiel dabei, sich nachmittags auf dem Spielplatz der Schule vom Balken zu schubsen, gab er seine Karriere als guter Schüler auf, seinen Schulabschluss, er gab seine Zukunft auf und sammelte ab da rote Punkte für das Spucken von angekautem Löschpapier mit dem Strohhalm. Über seinem Platz klebten etliche blassrote Kügelchen an der Decke und fielen ab und an runter, ihm auf den Kopf und weckten ihn, wenn er fast eingenickt war. Ab da war er der Größte für die Jungs, zusammen mit Mario Recke, der aus dem Mülleimer aß und sich mit dem Füller Narben ins Gesicht malte. Mario Recke war rechts, als ich ihn das letzte Mal sah, aber nicht aus Überzeugung, sondern aus Freundschaft zu dem Anführer des Kampfgeschwaders Hellersdorf, das aus zehn orange lackierten Trabbis bestand, mit der Aufschrift »Kampfgeschwader Hellersdorf, Ausländer raus, verschönert unser Dorf!«.

Hagen Maibaum hat mit Ach und Krach den Hauptschulabschluss geschafft.

Das war egal, als wir Freunde waren. Da gab es noch keine Zukunft. Er war mir jahrelang ein guter Grund, Hausarrest zu bekommen, weil wir mal wieder zusammen in die Wuhle gefallen waren, und er war ein großartiger Dieb, und wir hatten immer Schokolade, wenn wir mit den Klapprädern herumbretterten.

Mein Kindergartenfreund Timm war auf eine andere Schule gekommen, aber wir wohnten ja noch in einem Haus und konnten Fernsehen zusammen kucken und beieinander übernachten. Wobei ich ertragen musste, dass sein Bruder Olaf Pfeiffer immer Freundinnen hatte, die mir über den Kopf streichelten und dabei gut rochen. Was aus Olaf Pfeiffer geworden ist, weiß ich nicht, er wird wohl immer schöner geworden sein.

Timm und ich trafen uns manchmal in den Hofpausen am grauen Schulzaun, aber nur ein paar Wochen, dann hatten wir neue Freunde. Außerdem war es Tradition, dass sich die Kinder der verschiedenen Schulen nicht zu mögen hatten. Meine Schule hieß »Lion Feuchtwanger«, so wie auch die Straße, in der die Schule stand. Damit war für uns klar, dass wir die eigentliche Schule sind und die andere Schule nur so dastand, weil noch Kinder übrig waren, Restkinder, die beim Einschulungstest nicht sofort mit der rechten Hand über ihren Kopf an ihr linkes Ohr gekommen waren.

Die andere Schule hieß Mathias-Thesen-Oberschule. Und wir sagten den blöden Kindern von der anderen Schule, dass kein Schwein wüsste, wer Mathias Thesen sei. Na, wer sei das denn? Hat er die Mathias-Thesen-Thesen geschrieben, oder was? Ihr habt doch bestimmt eine Wandzeitung über Mathias Thesen neben dem Direktorzimmer hängen. Was steht denn da drauf? Die Mathias-Thesen-Idioten behaupteten, dass niemand wüsste, wer Lion Feuchtwanger sei. Ob der ’ne feuchte Wange hatte? Wir sagten ihnen, dass Lion Feuchtwanger irgendein Kommunist war und hier in der Straße gewohnt hatte.

Ich war froh, auf der besseren Schule zu sein. Mein großer Bruder war auch auf meiner Schule, und ich konnte natürlich mit ihm drohen, wenn mir jemand doof kam. Mein Bruder hätte sich zwar nie für mich geprügelt, aber das wusste ja keiner. Zumindest sah er mir ähnlich und war groß. In der Nachbarschule war meine Mutter Direktorin, und das war der eigentliche Grund, warum wir nicht auf die Mathias-Thesen-Oberschule kamen. Meine Mutter wollte nicht jedes Mal doppelt unsere Tadel unterschreiben, einmal als Direktorin und einmal als Mutter. Sie hätte uns auch die Möglichkeit genommen, sie damit zu überraschen.

Und ich hätte mich auch nicht das erste Mal in meinem Leben betrinken können in der fünften Klasse, weil ich mir Mut antrinken wollte, um ihr meinen ersten Tadel vorzulegen, den ich bekam, weil ich die Turnhallenwand angemalt hatte. Ich trank Eierlikör. Es war an einem Sonntagmorgen gegen sechs, und am folgenden Montag sollte ich die Unterschrift bei Frau Hutmacher vorlegen. Ich trank die halbe Flasche, legte mich dann wieder hin und schlief meinen Rausch aus. So war ich zum Frühstück nicht mehr besoffen, aber hatte Kopfschmerzen. Da meine Mutter, die Frau Hutmacher – freundlich formuliert – als Kollegin kritikwürdig fand, bekam ich nicht so viel Ärger und merkte mir für alle Zeiten, dass ich weitere Tadel auch wieder von Frau Hutmacher bekommen sollte. So war es dann auch.

Die halb leere Eierlikörflasche füllte ich übrigens mit Kondensmilch wieder auf. Da hat die Verwandtschaft dumm geschaut, als sie sich beim Wochenendbesuch ein Gläschen einschenken wollte und die dünne Plempe aus der Flasche gekleckert kam.

Osterwasserholen mit Alfred

Am Ostersonntag ist nicht nur der Herr wieder aufgestanden, sondern auch wir. Der Alfred und ich. Wir blinzeln uns müde an und winken einander einen schönen guten Morgen. Wir gehen wie jedes Jahr Osterwasser holen, da darf man nicht reden, bis man das Osterwasser getrunken hat. Alfred steht total auf diesen Brauch, er würde gerne jeden Morgen Osterwasser holen gehen, auch an Weihnachten, weil er dann zum Frühstück in Ruhe die Zeitung lesen kann. Er hat schon oft vorgeschlagen, dass wir Weihnachtswasser holen oder 3.-April-Wasser oder Wiedervereinigungswasser. Ich mach da nicht mit, ich will morgens alles rausplappern, was mir einfällt, aber an Ostern bin ich für den Spaß zu haben.

Alfred zeigt mit dem Zeigefinger der linken Hand und dem der rechten Hand ein T und kuckt fragend. Ob ich Tee will zum Frühstück? Ich schüttel den Kopf, nur weil ich sehen will, wie er mich nach Kaffee fragen wird, ohne etwas sagen zu dürfen. Er hält sich ein Hitlerbärtchen an die Oberlippe und kuckt fragend. Sieht aus wie Adolf, der nich weiß, was er wegen der vermaledeiten Sache in Stalingrad machen soll. Das soll Kaffee heißen? Weil es nur Kaffee heißen kann, nicke ich. Oder hat er mich gefragt, ob ich Strammer Max zum Frühstück will? Mal sehn, was ich da bestellt habe. Der Kater latscht über meine Beine und jammert, weil wir irgendwas falsch machen. »Scht!«, sagen wir zu ihm. Er kuckt unbefriedigt. Ich soll zu ihm sagen: »Bist du meine Miezekatze? Na, bist du meine Miezekatze? Wer ist meine Miezekatze?«, geht aber gerade nicht. Alfred geht in die Küche und klappert. Wenn ich ihm was sagen will, muss ich hingehen. Das ist ungewohnt, normalerweise rufe ich quer durch die kleine Wohnung. Ich tapse in die Küche und zeige ihm, dass er hierbleiben und nicht in die Stube kommen soll. Er nickt. Ich schupper ein bisschen mit den Büchern im Bücherregal und ruckel an der Kommode. Alfred soll denken, dass ich was verstecke. Ich hab aber wieder vergessen, was zu besorgen, und darum auch nichts zum Verstecken. Da kann er lange suchen.

Wir frühstücken schweigend und grinsen uns an. Ich habe tatsächlich Kaffee bekommen. Warum auch immer. Wir streiten uns über irgendetwas. Ich verstehe nicht, was er mir mitteilen will, wenn er sich in den Schritt fasst, aber dass er mir einen Vogel zeigt, versteh ich. Ich streite einfach mit, weil es so lustig ist. Ich mache unsinnige Zeichen mit den Händen. Dann nickt Alfred auf einmal. Er hat mich verstanden. Er holt sich einen Zettel und einen Stift. Ist vielleicht einfacher als das Gezeige. Er schreibt: »Hättest du das doch gleich gesagt!« Ich muss lachen. Ich schreibe zurück: »Hab ich doch gesagt.« Wir streiten wieder. Der Kater ist verwirrt. Es gefällt ihm nicht, was wir machen. Er jault. Es klingt wie: »Allah. Allah!« Meine Katze ist Moslem. Na klar, da weiß er natürlich nichts vom Osterwasserholen. Ich schreibe auf einen Zettel »Wir gehen Osterwasser holen. Dabei darf man nicht reden«. Ich halte dem Kater den Zettel hin. Er riecht dran. Dann geht er Haare in den Flur kotzen. Ich schreibe Alfred auf, dass eigentlich nur Jungfrauen Osterwasser holen gehen. Er krakelt darunter, dass wir Anja anrufen könnten, damit sie als Anstandsjungfrau mitkommt. Tolle Idee. Anrufen. Super!

Ich spiele ihm vor, wie jemand eine Wohnung inspiziert, und zeige dann auf ihn. Er versteht und beginnt voller Vorfreude auf die vielen bunten Leckereien, überall herumzukramen. Er findet tatsächlich zwei Eier. Er freut sich. Ich bin erstaunt und freue mich noch mehr als er. Wahrscheinlich hat er die Eier letztes Jahr versteckt, und ich habe sie nicht gefunden. Ich soll in der Küche suchen, teilt er mir mit, indem er mich dorthinschiebt und mit den Armen wedelt.

Ich finde nichts. Er zeigt auf die Herdplatte für warm und auf den Kühlschrank für kalt. Dann zeigt er so oft auf den Herd, dass ich einfach in den Herd kucke. Ja, sehr heiß. So heiß, dass die Schokolade geschmolzen ist und ich einen Klumpen Osterhase habe, an dem überall ausgelaufene Eier kleben. Und all das mit Silberpapier drin. Ich beiße ab und sofort auf ein Stück Silberpapier. Da summt die Plombe. Ich sage: »Aua!«, und Alfred sagt: »Scht!« Zum Trost will er mir seine zwei Ostereier schenken. Ich nehme sie, und als er im Bad ist, verstecke ich sie in einer Vase mit Trockenblumen. Für nächstes Jahr.

Nachdem wir uns die Zähne geputzt haben, geht es endlich los. Ich fülle Wasser in einen Krug, denn es gibt in der Nähe keine klare Quelle, an der wir Osterwasser holen könnten. Wir nehmen das Osterwasser mit zum Urbanhafen. Alfred geht schon mal runter, weil ich ihm zu sehr rumbummel. Die Katze kuckt mir zu, wie ich etwas suche. Ja, Ostern. Ich suche meinen Schlüssel. Keiner gibt mir Hinweise mit »warm« und »kalt«. Ich kann die Tür nicht zuziehen, weil es eine doofe Tür ist, die springt wieder auf und dann springt die Katze aus der Wohnung unters Auto und mir eine Träne aus dem Auge. Geht nich. Ich kann auch nicht die Tür kurz offen lassen, um zu Alfred runterzurennen, dann rennt die Katze aus der Wohnung, unter ein Auto und mir eine Träne aus dem Auge. Ich rufe Afred auf dem Handy an. Er geht ran und sagt nichts. Ich sage auch nichts. Er kommt wieder hoch und ich fuchtel, bis ihm die Sachlage klar ist. Er schließt ab und wir gehen. Der Schlüssel wird später gesucht. Im Treppenhaus kommen mir meine Nachbarn entgegen, die ich sowieso nicht grüße. Dann kommt allerdings noch Frau Muntzke, die gerne ein Weilchen über die Balkonpflanzen mit mir redet. Ich habe noch den Zettel, den ich vorhin dem Kater gezeigt habe. Frau Muntzke erzählt mir trotzdem, dass ihr Fernseher kaputt ist. Ich nicke. Alfred steht mit dem Krug einen Treppenabsatz weiter unten und lutscht ein Bonbon. Frau Muntzke scheint es zu gefallen, dass ich ihr nicht reinrede. Alfred tippt auf die Uhr. Wir winken noch mal und gehen endlich raus auf die Straße. Wunderbares Wetter. Wir laufen eingehakt am Landwehrkanal entlang, und mir fällt auf, dass wir meistens sowieso nur darüber reden, wie süß irgendein Hund ist, der uns begegnet. Anstatt zu sagen »Kuck mal!«, zeigen wir einfach drauf, und als Ersatz für »Ohhhh, wie süß!« machen wir ein Kindergesicht vom feinsten. Kurz vorm Urbanhafen halten wir kurz an, weil wir ein Entennest entdecken. Wir verstecken die Eier in einer Astgabelung, damit die Enten auch was von Ostern haben. Dann trinken wir endlich von dem Osterwasser.

»Guten Morgen!«, sage ich zu Alfred.

»Guten Morgen!«, sagt Alfred zu mir, und endlich kann er mir den blöden Witz erzählen, der ihm eingefallen ist: Was antworten Sachsen auf die folgenden beiden Fragen: »Mögt ihr Ostern?« und »Was mögt ihr an Ostern?« »Oija und die Oija!«

Der Geschmack des Sieges

Letztens fiel mir beim Bäcker eine Schrippe runter. Sie war die eine Schrippe zu viel für dieses Schrippentütenformat. Sie war quasi die Obenauf-Schrippe, die Sahnehäubchen-Schrippe.

»Flumm«, machte es, oder mit was für einem Geräusch auch immer Schrippen runterfallen. Das ist ja von Fall zu Fall verschieden. Hängt von der Fallhöhe ab. Und dann kommt es ja auch noch auf die Konsistenz der Schrippe an: »Puff« macht die zu fluffig gebackene Schrippe, »krtsch« die krümelige, »schnatsch« die sehr feuchte Schrippe und »pock« die Vortagsschrippe.

An einem der zwei Stehtische im Laden stand der dicke Mann, der in meinem Wohnumfeld immer irgendwo steht. Er heißt Ecki. Lustigerweise, denn er steht oft an Ecken herum. Ich hab ihn mal gefragt, wie er heißt, denn ich wollte nicht mehr denken: »Ach, da ist die Qualle!«, wenn ich ihn sehe. Ist ja nicht nett, nur weil er sich so eine Burg von Körper angefressen hat. Ich wollte lieber denken: »Ach, da steht Klaus oder Heinz oder wer auch immer!« Also fragte ich ihn: »Wie heißt du denn?« Der Eckensteher nannte seinen Namen. »Ecki!«, sagte er, und seitdem denke ich: »Ah, da steht Ecki! Die Qualle!«

Ecki lachte, als meine Schrippe runterfiel, und sagte, das Geräusch nachäffend: »Flumm!«

Die Bäckersfrau lachte ebenfalls und gab mir eine neue Schrippe. Die gefallene Schrippe durfte ich auch behalten. Das hat mir natürlich – der Situation angemessen – gefallen. Die Bäckersfrau sagte: »Geht aufs Haus, beziehungsweise auf den Boden!«

»Auf den Boden!«, wiederholte Ecki und lachte. Aha, dachte ich, Ecki macht gerne das Echo.

»Na, dann …«, sagte ich, »… danke ich für diesen FALL von Freundlichkeit.«

»Fall von Freundlichkeit!«, echote Ecki und pustete seine dicken Backen zu gewichtigen Windgebläsen auf, die prustend Krümel in der Bäckerei verteilten.

Ich ging nach Hause. Und weil ich verhindern wollte, dass ich nur die Schrippen um die runtergefallene Schrippe drumherum aufaß – besonders nachdem ich gesehen hatte, dass Ecki gerne klebrige Krümel auf denselben Boden prustet, auf den meine Schrippe gefallen war –, warf ich im Treppenhaus alle Schrippen zu Boden.

Am nächsten Tag fiel mir beim Bäcker ein ganzes Brot runter. HUCH! Na, hoppala, Mensch!

»Bobbs!«, machte das Brot.

»Bobbs!«, sagte Ecki, der schon wieder im Laden rumstand.

Die Bäckerin putzte an dem Brot herum und fragte mich, ob es auch so ginge.

»Na, klaro!«, gab ich mich umgänglich.

»Na, klaro!«, wiederholte Ecki meine umgängliche Antwort.

Huch, da fiel mir das Brot wieder runter, genau auf Eckis schmutzige Schuhe.

»Bobbs!«, machte das Brot.

»Bobbs!«, machte Ecki.

Ich bekam ein neues Brot und durfte das andere behalten.

Damit ich keines der Brote mit Ekel aß, warf ich das andere auch runter – und aß dann beide mit Ekel, weil ich keinen Schimmer hatte, welches Brot mir nun auf Eckis Quallenschuhe gepurzelt war. Ich machte mir Klappstullen aus einer Scheibe von dem einen Brot und einer Scheibe von dem anderen Brot und ekelte mich nur halb so sehr. Soll noch mal jemand sagen, Frauen hätten keine Ahnung von Mathematik.

Ich gewöhnte mir das Ekeln in der folgenden Zeit ohnehin ab, und ich meine auch den Ekel vor meinen charakterlichen Fehlern.

Das Fallenlassenprinzip fing an sich zu lohnen. Ich ließ sogar Kuchen fallen. Die Bäckerin wurde immer ärgerlicher, bis ihr Gesicht wie ein fünf Tage altes Kastenbrot aussah, wenn ich reinkam. Aber sie war dann doch zu nett, mich mal zurechtzuweisen.

»Ah, die Frau mit der nervösen Hand!«, begrüßte sie mich.

»… mit der nervösen Hand!« – Ecki war auch wieder da.

Ich bestellte wie folgt: »Ich brauche vier Schrippen, also packen sie mir zwei ein, dann zwei Stück Apfelkuchen, also packen sie eins ein.«

Ecki lachte, ohne etwas zu wiederholen, diese Sätze waren ihm zu lang.

Die Bäckerin verzog das Gesicht, so dass ihre Stirnfalten wie zwei gekreuzte Schwerter aussahen und ihre Augenbrauen wie ein durchgehender Balken. An dem hätte sie mich wohl am liebsten mit ihrem gerissenen Geduldsfaden aufgehängt. »Ach, und zwei Nougatkringel noch!«, fügte ich hinzu.

»Also einen, oder wie?«

»Also einen?«, kam es aus Echoeckis Ecke.

»Nee, zwei. Ich brauch vier!«, erklärte ich ungerührt.