Keine Kinder sind auch keine Lösung - Nina Katrin Straßner - E-Book

Keine Kinder sind auch keine Lösung E-Book

Nina Katrin Straßner

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Beschreibung

"Bekommt endlich mehr Kinder", tönt es seit Jahren aus aller Munde. Sind die dann aber da, haben wir den Salat. Im Beruf werden Mütter und geltende Gesetze ausgebremst. Väter, die mehr als zwei Monate Elternzeit nehmen, sind auch weg vom Fenster. Und wenn die Eltern ihren Kummer im Biergarten ertränken wollen, nagelt einer ein Schild an den Eingang: "Kinder verboten!"

Nina Straßner sagt, was wir tun können. Die Juristin lotst Eltern mit leichter Feder durch alles Gesetzliche und erklärt, wann wir Arbeitgeber belügen dürfen, warum sich tobende Kinder im Supermarkt rechtlich einwandfrei benehmen und weswegen übergewichtige Königspinguine ein optimales Rollenbild abgeben.


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Seitenzahl: 394

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungPROLOG IM BIERGARTENNEULICH VORM KÜHLREGALDICKE PINGUINEKLEINE BRÜSTE MÜSSEN AUF DEM RÜCKEN LIEGENVOM STERBENLÜGEN LERNEN»ICH WILL EIN KIND VON DIR«BEVOR ICH MICH JETZT AUFREGE, ISSES MIR LIEBER EGALTELESHOPPING FÜR ARSCHGEIGENREGRETTING FATHERHOODINTERNETPETITION ZUR ABSCHAFFUNG DES INTERNETS»SOCIAL BUTTERFLIES« – KLEINVIEH MACHT EBEN DOCH MISTENE MENE MUH, MÜLLERS ESEL, DER BIST … DU?EPILOGDANKE

Über dieses Buch

Theoretisch ist es eine super Sache, dass Mütter nach der Elternzeit das Recht auf ihren alten Job haben. In der Praxis hören dagegen viele »Danke, aber wir brauchen sie nicht mehr«. Schön ist auch das Recht auf Teilzeit, nur blöd, dass deren Antrag so oft zu Kündigungen führt. Dabei müssten wir es Eltern doch leicht machen, Kinder zu bekommen, die einmal unsere Rente finanzieren. Also vor allem die Rente derer, die immer Vollzeit gearbeitet haben, bei Teilzeit bleibt natürlich nicht so viel hängen. Die Anwältin Nina Straßner empört sich mit Verve und Leidenschaft über die Ungerechtigkeiten unserer Gesellschaft und gibt Eltern juristisches Rüstzeug an die Hand, damit sie sich wehren können.

Über die Autorin

Nina Katrin Straßner ist Rechtsanwältin, Mediatorin und Fachanwältin für Arbeitsrecht. Da es sich in den deutschen Gerichtssälen nicht schickt, statt »diese Auffassung entbehrt jeglicher Grundlage« einfach mal laut »F*ck you very much« zu brüllen, schrieb sie dieses Buch. Außerdem bloggt sie als Juramama und schreibt eine Kolumne für die Brigitte Mom. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Kiel.

Nina Katrin Straßner

Keine Kindersind auchkeine Lösung

BASTEI ENTERTAINMENT

Dieses Buch enthält viele rechtliche Hinweise, Meinungen, Sarkasmus und Ironie. Es soll helfen und Orientierung geben, aufregen oder beruhigen. Es ersetzt jedoch keinesfalls einen juristischen Beistand in persönlichen Rechtsfragen. Jedes Problem ist so individuell wie das Leben, so dass sich ein jeder an den Experten seines Vertrauens wenden möge, wenn er Rechtsrat benötigt. Der Verlag und auch die Autorin schließen eine Haftung hiermit aus.

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München unter Verwendung eines Motivs von © Westend61/getty-images

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-4068-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Für meinen Vater, der immer findet, ich sollte mich etwas abregen.

Für meine Mutter, die immer findet, ich sollte mich etwas mehr aufregen.

Für meinen Mann, der immer weiß, wie es richtig ist.

Für meine Brüder, an die dieser Titel gerichtet ist.

Für meine Freundin, die Lösung allen Übels und

für meine Kinder, ohne die dieses Buch schon vor zwei Jahren fertig gewesen wäre.

PROLOG IM BIERGARTEN

Sie finden, ich übertreibe, wenn ich mich aufrege?

Tintenfische essen sich selbst auf, wenn sie sich aufregen.

Das ist übertrieben.

Ich sitze an einem lauen Sommerabend in einem Biergarten. Um mich rum tummeln sich Freundinnen und Freunde und der kleine Karl. Vor mir steht ein beeindruckendes Weizenbier mit Grapefruitgeschmack. Ich rauche eine halbe Zigarette und trage dabei einen Sonnenhut im Sonnenuntergang. So schmeckt die Freiheit. Ich bin die Marlboro-Mann-Werbung ohne Pferd. Mir ist herrlich schwindelig. Der Bürotag war lang bisher, nun soll er bitte noch ein bisschen länger dauern. Nur bitte ohne Büro.

Ich mache ein optimal ausgeleuchtetes Selfie mit No-Falten-Filter und schicke es an meine Mutter. Meine Kinder liegen heute mal bei Oma und Opa im Bett, trinken Apfelsaft pur und hören die zwölfte Gute-Nacht-Geschichte. Meine Mutter macht sofort ein komplett verwackeltes Selfie von sich und den Kindern und schickt es fünfmal hintereinander an meinen Mann. Der ist im Fußballstadion, trinkt Bier pur und fällt fremden Männern in die Arme, sobald ein anderer fremder Mann ein Tor schießt. Mein Mann macht ein Foto von seiner Bratwurst und schickt es an mich. Alle sechs Familienmitglieder sind in diesem Moment sehr zufrieden, und zumindest zwei von ihnen etwas betrunken.

What a wonderful world.

Da schiebt sich ein Schatten vor die Sonne. Ein Herr mit ergrautem Haupthaar erhebt sich von der Bierbank und gleichzeitig seine sonore Stimme. Er spricht zu mir. Glaube ich zumindest.

Was, zum Teufel, stimmt eigentlich nicht mit Ihnen?

Vermutlich geht’s euch jungen Frauen einfach zu gut. Im Ernst, ihr jungen Leute habt doch genug Geld, mit euren Smartphones und euren Fitnessarmbändern. Ihr seid die Erbengeneration. Ihr habt einen Abschluss. Ihr habt einen Job. Ihr Frauen werdet sogar bei »gleicher Eignung bevorzugt eingestellt«, und niemand darf euch »jung« oder »naiv« oder »dick« oder »doof« nennen. Das ist doch geradezu ideal, oder nicht? Und was macht ihr? Ihr tretet in einen beleidigten Gebärstreik!

Ihr könnt euch im Internet durch die Parameter eurer Elitepartner tindern und »Matches« ausloten, bevor ihr eure virtuellen Herzchen verteilt. Heutzutage könnt ihr sogar heiraten, wen und wann ihr wollt. Frauen können Frauen und Männer können Männer lebenspartnern. Zwar fehlen denen die Spermien oder wahlweise die Gebärmütter für die einzig sinnvolle Folge des Treueschwurs, der Fortpflanzung, aber ihr dürft es eben trotzdem.

Meine Freundin Klara gegenüber lässt verschämt ihr Handy sinken. Gerade hatten wir übereinstimmend einem Simon (36) aus Hamburg, der über einen niedlichen Welpen und einen Hundeblick verfügt, ein fettes Superlike auf Tinder gegeben. Er hat einem Date zugesagt. Morgen hat Klara einen »freien« Tag mit ihrem Baby. Wie übrigens jeden Tag derzeit. Sie sucht verzweifelt einen Job. Der Mann ramentert weiter.

Vor der Geburt bekommt ihr Kündigungsschutz, nach der Geburt bekommt ihr wochenlang euer altes Gehalt, die Papas ein paar lässige Vätermonate, und dann gibt’s monatelang steuerfinanziertes Elterngeld noch obendrauf. Tausende von Euro. Ganz ohne Arbeit. Geschenkt. Vom Steuerzahler. Den Antrag stellt ihr bequem online von der Couch aus. Natürlich nachdem ihr euer von der Krankenkasse gesponsertes Reagenzglaskind in einem hochtechnisierten Kreißsaal geboren und euch im Anschluss im Familienzimmer der Wöchnerinnenstation mit einem Exemplar der »neuen Vätergeneration« von den Strapazen der gemeinsamen Wassergeburt erholt habt. Euer Chef muss euch sogar den Arbeitsplatz freihalten, bis ihr aufgehört habt, in der Öffentlichkeit wild herumzustillen und daheim Bio-Pastinake einzukochen und laut herumzujammern, wie wenig »Wertschätzung« ihr bekommt.

Langweilig geworden? Ganz spontan könnt ihr dann bei eurem Chef anrufen und verkünden, dass ihr endlich wieder was Richtiges arbeiten wollt. Aber zu kinderfreundlichen Zeiten, bitteschön. Vollzeit ist euch unangenehm? Ihr könnt euch eine befristete Teilzeitstelle vor dem Arbeitsgericht einklagen, egal ob es der Firma schadet oder nicht. »Eltern First« – das habt ihr kapiert. Falls der passende, steuerfinanzierte Krippenplatz nicht da ist, klagt ihr den vor dem Verwaltungsgericht auch noch ein und fordert zusätzlich, dass der kostenlos ist. Ja klar! Sollen die anderen zahlen, eure Kinderlein. Ach ja, das Ganze gespickt mit einem Schadenersatzanspruch gegen Vater Staat, weil’s alles so lange gedauert hat und ihr nicht arbeiten konntet. Darf es sonst noch was sein? Homeoffice vielleicht? Ein Spaziergang durch alle Instanzen und dabei schreit ihr ganz laut »Diskriminierung!«. Ihr seid doch selbst Schuld. Kein Gesetz diskriminiert euch, und jetzt ist auch langsam mal gut. Leistet mal was. Wir haben uns auch nicht so angestellt. Früher ging es auch.

Ein leises, aber schrilles Klingeln macht sich in meinem Ohr breit. Ich hatte einen langen Tag voller solcher schönen Spaziergänge durch verschiedene Instanzen. Mir tun die Füße weh.

Ihr habt ein Recht auf wochenlangen Mutterschutz, Kleinkindbetreuung und diskriminierungsfreie Arbeitsplätze. Ihr bekommt auf Wunsch ein eigenes Familienabteil im ICE mit extra Stellplatz für euren Bugaboo-Kinderwagen-Porsche und dreieckige Buntstifte für den ergonomischen Griff der kleinen Lieblingsfingerchen. Auf dem Weg ins Familienhotel in Oberösterreich bestellt ihr im Speisewagen einen »Piratenteller« mit glutenfreier Kinderkartoffel, die natürlich auf den Boden fällt. Die kleinen Lieblinge müssen sich frei entfalten, nicht wahr? Auch in Restaurants.

Der Kellner bringt das Biene-Maja-Schnitzel vom kleinen Karl, der mit dem Handy seines Vaters seit einer halben Stunde ein Tiergeräusche-Memory am Tisch spielt. Bis gerade eben war »Wie macht die Grille?« noch das unangenehmste Hintergrundgeräusch.

Herrgott noch mal, da träumen die jungen Leute in anderen Ländern doch davon. Die sind nicht so privilegiert wie ihr hier in Deutschland. Und was machen die?

Die. Kriegen. Kinder.

Ihr nicht. Ihr bedroht unseren Wohlstand, ihr Egozocker. Die jungen Deutschen bekommen die wenigsten Kinder. Weltweit! Ich hab jetzt fünfunddreißig Jahre lang in Vollzeit durchgebuckelt. Ich hab mir meine Rente erarbeitet. Ich habe was geleistet im Leben. Hört auf zu heulen, wir haben auch nicht geheult, sondern einfach gemacht. Was, zum Teufel, stimmt eigentlich nicht mit euch?

Ob seiner harschen Worte senkt sich unweigerlich mein Blick, und ich schaue verlegen und verunsichert auf meine Füße.

Sie stecken in zwei klumpigen blauen Plastiksäcken mit Gummizug. Seit fünf Stunden trage ich offenbar noch die Schmutzüberzieher aus dem Kindergarten über meinen Pumps, und keiner hat es mir gesagt.

Ich atme ein und aus. Ein und aus. Fassungslos starre ich den Mann an, der so viel Meinung bei so wenig Ahnung zu haben scheint. Ich trauere um meinen feierabendlichen Seelenfrieden im Sonnenuntergang. Der Typ hat mir meinen rosawolkigen Geschmack von Freiheit kaputtgeschimpft. Ungebeten und laut. Da beginnt mein Mittelfinger zu zucken, bleibt aber ganz ladylike dort, wo er ist. Ich kenne den Mann! Er ist das, was passiert, wenn Kommentarspalten aus dem Internet plötzlich lebendig werden.

Noch an diesem Abend klappe ich meinen Computer auf und mache mich bereit zu der längsten Replik, die jemand mit Mülltütenfüßen jemals geschrieben hat, und sie beginnt mit

F*** YOU VERY MUCH

NEULICH VORM KÜHLREGAL

»Sind wir bald fertig? Ist bald Wochenende? Ist wenigstens gleich Freitag? Warum ist Montag? Wie lange dauert der noch? Ich muss mal.«

Deutschland ist schön. Der Blick aus dem Autofenster lässt keine andere Feststellung zu. Während wollige Schafe und wogende Birken an mir vorbeiziehen und die Kinder auf dem Rücksitz aus Versehen eingeschlafen sind, nicke auch ich ein und träume von unserem vergangenen Urlaub.

Schirmchencocktails mit Zuckerrand am Strand unter Palmen, kredenzt von einem höflichen All-inclusive-Hotelangestellten mit entzückendem Akzent. Vertieft in einen 1200-Seiten-Roman muss ich mich nur vom hauseigenen Fitnesstrainer unterbrechen lassen, der immer wieder mal vorbeigemuskelt kommt, um mich zu einem Einsteiger-Tai-Chi-Kurs vor dem zweiten Obstgartenfrühstück zu überreden. Formvollendeter Sex vor und nach dem in ehelicher Zweisamkeit servierten Dinner bei Kerzenschein in sündhaft teuren und am Po nicht einschneidenden Dessous mit Blick auf den Ozean durch weiße, wehende Vorhänge. Das Leben, wie es sein sollte.

Mein Tagtraum wurde leider jäh durch einen ohrenbetäubenden Freudenschrei beendet. Die Kinder haben das goldene M entdeckt und fordern energisch ein »Käsebrötchen«. Das ist unser Codewort für Cheeseburger. Ein Code war notwendig, damit unsere Kinder im Waldorfkindergarten-Morgenkreis nicht unangenehm auffallen, wenn sie von ihrem Lieblingsessen berichten.

Während mein Mann unsere Bestellung in den Lautsprecher hineinschreit, erinnere ich mich wieder. Ich bin weder gerade aus einem Ferienbomber gestiegen noch habe ich einen einzigen Bikinistreifen oder Ahnung von Tai-Chi. Ich habe massive Augenringe, sitze auf dem Beifahrersitz eines Kleinbusses und kehre gerade aus dem fünftägigen Dänemarkurlaub und somit auch von dem obligatorischen Legolandbesuch zurück. Statt eines Cocktails von Pedro in der Abendsonne servierte mir ein bleicher Däne zum Dinner nach zwanzig Minuten Wartezeit in der Imbissschlange überteuerte Wiener Würstchen, die »Pölser« heißen, und auch so aussehen, in einem geschmacksneutralen Wattebrötchen. In der Hatha-Yoga-Position »Würgender Schakal« erbrach ich schon am ersten Urlaubstag den schwarzen Frühstückskaffee vollkommen reizüberflutet am Ausgang der Stroboskop-Achterbahn auf meinen Regenmantel und schlief abends schneller ein, als man Sex überhaupt hätte buchstabieren können. Ich will meinen Tagtraum zurück!

Noch während meine Tränen trocknen, kommen wir endlich zu Hause an. Hier ist seit unserer Abreise nicht mal ein Tag vergangen. Sagt die Ofen-Uhr und lügt wie gedruckt. Der Strom war tagelang ausgefallen, und der Kühlschrank bildet eine müffelnde Insel inmitten eines Meers aus geschmolzenem Tiefkühleis. Die Kinder haben sich ihre Gummistiefel angezogen und möchten ausschließlich in der Küche Findet Nemo spielen. Mein Mann muss spontan ins Büro und hat irgendeine Erklärung für seinen überstürzten Aufbruch, die im Freudengeheul der Kinder untergeht.

Die Folge dieser Situation kennt jede Mutter, die sich einem Wochenende ohne Milch und Brot und deutschen Ladenöffnungszeiten gegenübersieht: Einkaufen mit Kindern. Der wahre Tough-Mudder-Contest, nur ohne Schlamm, ohne heroische Schwitze-Poser-Fotos mit 200 Facebook-Likes und ohne Siegersause am Abend. Die Koffer sind noch nicht mal ausgepackt, da sitzen alle schon wieder im Auto.

Bereits auf der Fahrt zum Supermarkt tritt der Fünfjährige in eine präpubertäre Punk-Phase ein: »Haste mal ’n Euro?«, bettelt er mich an. Er will den trötenden und blinkenden Polizeihubschrauber vor dem Eingang des Geschäfts in Bewegung setzen. Allein das Vorhandensein dieses Folterinstruments verlängert jeden Einkauf mit Kindern bereits um mehrere Minuten, bevor er überhaupt begonnen hat. Routiniert verweigere ich meinem Sohn eine Geldspende, was er ebenso routiniert scheiße findet und verkündet, mich nicht zu seinem anstehenden Kindergeburtstag einzuladen.

Angekommen auf dem halbvollen Parkplatz, möchte die Zweijährige nicht so gerne aus dem Auto aussteigen. Sie klammert sich an ihren Sitz und tritt aus wie ein Esel. Sie hat ihre Handtasche zu Hause vergessen und möchte außerdem ihre Gummistiefel nicht wieder anziehen. Als ich meine mehrfach preis- und erfolggekrönte One-Woman-Show: »Dann musst du eben im Auto bleiben, dann geht die Mama jetzt ohne dich einkaufen, und dann bekommst du auch keine Scheibe Gelbwurst von dem netten Fleischmann!« gerade effektvoll mit Autotürschließen beenden möchte, erklärt mir ein Passant, dass man Kinder keinesfalls alleine im Auto belassen dürfe. Dies stehe im Grundgesetz. Was für ein beeindruckender Weitblick unserer Gründerväter von 1949, finde ich, und verzichte auf ein Fachgespräch. Der Mann bleibt vor meinem Auto stehen und kontrolliert selbstzufrieden, wie ich das tobende Kind aus dem Kindersitz ziehe, ohne mit der Seitentür das nebenstehende Auto zu zerbeulen. Die vorhandenen Eltern-Kind-Parkplätze haben übrigens aus diesem Grund eine Überbreite, sind aber grundsätzlich von Fahrzeugen ohne Kindersitz besetzt.

Der Fünfjährige ist zwischenzeitlich geflohen. Die Zweijährige findet ihn im Hubschrauber und ist darüber so stolz, dass sie vergisst, dass sie nicht aussteigen wollte. Ihr Bruder reißt unkoordiniert am Steuerknüppel und wirft sich wie in einer Gummizelle darin hin und her, um irgendeine Bewegung zu erzeugen. Mein neuer Freund, der Hüter des Grundgesetzes, weiß erneut Rat und teilt meinem Sohn freundlich, aber bestimmt mit, dass seine Mama da einen Euro reinwerfen müsse, sonst gehe das Spielzeug doch kaputt.

Er ist so ein kluger Mann.

Ich wiederstehe dem Impuls, ihn mit zu meinem Sohn in den Hubschrauber zu falten und 100 Euro reinzuwerfen.

Mein Sohn lässt sich von dem Versprechen aus dem Hubschrauber locken, dass er einen eigenen Einkaufswagen haben dürfe und die Milch alleine an die Kasse fahren und bezahlen könne. Die Zweijährige möchte nun natürlich auch einen eigenen Einkaufswagen haben, und natürlich ist nur noch einer da. Sie bricht schreiend zusammen und liegt mit dem Gesicht nach unten in der Lichtschranke der Automatiktür. Ich erwäge einen Exorzisten zur Hilfe zu rufen, als sie sich nicht mal von den schließenden Glastüren an ihrem Windelhintern beeindruckt zeigt und einfach weiterbrüllt. Um seinen Triumph voll auszukosten, umkreist der Fünfjährige seine Schwester noch zweimal mit seinem Einkaufswagen und beginnt dann ein Gespräch mit dem Tageszeitungs-Abo-Mann an seinem Stand. Ja, er wolle durchaus sehr gerne eine Zeitung abonnieren, aber nur wenn dort Bilder von Autounfällen oder Flugzeugabstürzen abgebildet seien. Dem Abo-Mann ist sein Mitleid mit dem offensichtlich traumatisierten Kind ins Gesicht geschrieben, und er schenkt ihm eine Fernsehzeitung mit Brüsten auf dem Cover und ein Feuerzeug. Meine Tochter möchte auch ein Feuerzeug haben. Ich möchte diese Brüste haben. Ich gebe beide Feuerzeuge dankend zurück, die Brüste behalten wir.

Aus den Lautsprechern des Supermarkts tönt »Stayin’ Alive« von den Bee Gees. Meine Kinder hassen mich jetzt schon – und wir sind noch nicht mal in der Nähe der Pixi-Buch-Schüssel des Spielwarenregals.

Unter Gewaltanwendung stopfe ich die störrische Zweijährige in den Kindersitz des großen Einkaufswagens. Eine ältere Miteinkäuferin missbilligt mein ruppiges Vorgehen und schlägt vermutlich so etwas Zielführendes wie »Kommunikation« vor. Meine Tochter schreit so laut, dass ich die Dame mit den Trekkingsandalen und dem praktischen Haarschnitt leider nicht gut hören kann. Jedoch kann ich sehr gut Lippen lesen, seit Benjamin Blümchen täglich im Kinderzimmer den Dezibelwert eines startenden Düsenjets überschreitet. Ich lächle und nicke, lächle und nicke – und hoffe, sie erwischt die Schale mit den schimmeligen Erdbeeren.

Meine Tochter trägt noch immer keine Schuhe, akzeptiert aber gönnerhaft ein Limettennetz als Handtaschenersatz. Sie schaltet ihr Temperament zwei Stufen runter, ich entlasse sie aus ihrem Sitzgefängnis, und sie catwalked fröhlich mit den Limetten lässig in der Armbeuge durch die Gemüseabteilung. Der Fünfjährige hat zwischenzeitlich die Milch gefunden und stellt sie mittig auf die Packung Eier, die er bereits in den Wagen gelegt hat. Recht zivil erreichen wir das Kühlregal, wo unsere Beziehung erneut auf eine harte Probe gestellt wird.

Nicht nur in Sicht-, sondern sogar in optimaler Griffhöhe für dicke Kleinkindärmchen hat der Konsumberater des Supermarkts die Fruchtzwerge und Kinder-Schoko-Puddings platziert. Das sind sehr teure Lebensmittel, die Eltern nicht kaufen möchten. Deswegen sind Disneymäuse oder glubschäugige Kühe auf den Deckeln aufgedruckt. Meine Kinder schalten sofort auf Angriff. Der Fünfjährige und ich nehmen konzentriert unsere Kampfhaltungen ein. Die Playlist spielt uns als Einmarschmusik »The Heat Is On«. Ich bin Favorit, denn meine Brüder verpassten seinerzeit nicht einen einzigen WrestleMania-Kampf von Hulk Hogan, und ich dachte »Hauptsache fernsehen«. Mein entschlossener »Bear Hug« hebt den Fünfjährigen dann auch erst mal von den Füßen, aber als ich zu einer »Crossed Hand of God« ansetzen möchte, kontert der Kleine geschickt mit einem »Crossface Chickenwing« und bringt mich schließlich mit einem perfekten »Side Slam« aus dem Gleichgewicht. Er legt den Fruchtzwerg in den Einkaufswagen. Ich ziehe meine Trumpfkarte, den »Mommy War Hammer«. Hierbei handelt es sich um eine hocheffektive und populäre Psychokampftaktik, die aus verzerrtem Gesicht und zwischen den Zähnen hervorgepressten Drohungen besteht. In diesem Fall stelle ich ihm zischend in Aussicht, den Fernseher nur noch anzumachen, wenn er schon schläft.

Geschlagen legt er die Zuckerzwerge zurück und lädt mich konsequent von allen Kindergeburtstagen aus, die er jemals haben wird, und zwar bis ich endlich tot bin. Ich packe griechischen Joghurt ohne Bilder ein. Die Zweijährige kann noch nicht gut sprechen, mag aber Kinderpudding mit bunten Kühen auch lieber als den Griechenjoghurt und dreht wieder zwei Stufen hoch. Sie muss zurück in ihr Sitzgefängnis.

An der Fleischtheke kaufen wir ein Pfund Hackfleisch und acht Scheiben Gesichterwurst. Die kostet zwar mehr als der getrüffelte Serrano-Schinken, aber ich befinde mich noch in der Regenerationsphase des Kühlregalkampfs und muss mit meinen Kräften haushalten. Es schauen schon wieder alle komisch. Die Zweijährige möchte die Gesichterwurst gerne jetzt sofort essen. Ich schüttele meinen Kopf, sie schüttelt ihren Körper. Die Dame neben mir kommt argumentativ zur Hilfe: »Ach du kleine Süße, man muss immer erst bezahlen, bevor man etwas essen darf!«, erklärt sie ihr liebevoll und nimmt sich den zweiten Zahnstocher mit Probierkäse von der Theke.

Wir erreichen die lange Kassenschlange. Ich muss meinen Einkaufswagen samt Kleinkind kurz allein lassen, da der Fünfjährige einen »Kindercomic« mit eingeschweißtem Plastikmüllspielzeug für 4,99 Euro im alleruntersten Regal neben den Kassen entdeckt hat. Diese pädagogisch wertvolle und zudem unschlagbar preiswerte Zeitschrift ist eingerahmt von dringend notwendigem SpongeBob-Schwammkopf- und Prinzessin-Lillifee-Make-up für Vierjährige. Der ältere Herr mit rostrotem Hackenporsche, der eben noch hinter mir anstand, stellt sich kurzerhand vor meinen Einkaufswagen, als sich eine kleine Lücke zum Vordermann bildet. »Selbst schuld«, sagt sein starr nach vorne gerichteter Blick.

Kaum ist die Diskussion mit dem Fünfjährigen per Machtwort beendet, muss ich sie wieder aufgreifen, als wir in der Schlange an der Eistruhe direkt vor dem Kassenband angelangt sind. Boah nö! Wo kommt die denn auf einmal her? Sie ist randvoll mit neongrünem Calippo-Fizz, Kaugummi-im-Stiel-BumBum und weiteren traditionell bei Erwachsenen beliebten Eissorten. Ich lenke die Augen meines Sohns von der sehr weit unten an der Truhe angebrachten Eiskarte geübt in eine andere Richtung: »Schau mal, da! Ein Altglasautomat!« Doch dort steht in seinem Blickwinkel nur der Überraschungseierturm. Fuck, ey!

Ich lege die Milch auf das Kassenband und entwende der Zweijährigen einen Minnie-Maus-Lutscher, den sie im Regal an der Kasse gefunden hat. Ich lege die zermatschten Eier auf das Kassenband und pule der Zweijährigen Jelly Beans aus den Fingern. Die angebissenen Limetten kommen hinterher. Sie protestiert. Ich fordere die Zweijährige auf, das Fläschchen Mariacron sofort wieder zurückzustellen. Der Fünfjährige taucht wieder auf, hat ein aufgeweichtes Überraschungsei in der Hand und blickt mich flehend mit nassen Seehundbabyaugen an. Ich ergebe mich und lege zwei der Schokoeier auf das Kassenband. Der Drängel-Rentner hat seinen Einkauf beendet und zählt der Kassiererin passend das Kleingeld in die Hand. Das dauert eine Weile, so dass die Kommunikationsmanagerin von vorhin die Gelegenheit nutzt, mich und die Umstehenden wissen zu lassen, dass sie es nicht gut findet, wenn man Kinder für so ein Verhalten auch noch mit Süßigkeiten belohnt. Der Rentner nickt eifrig zustimmend und verzählt sich. Er fängt nochmal von vorne an, und ich habe das Brot vergessen.

Meine Kinder sind mit den Nerven komplett am Ende. So viele Verlockungen bei so vielen Verboten. So muss sich ein geschlechtsreifer Mann fühlen, der in eine Striptease-Bar eingeladen wird. Jedes Mal, wenn er den Ladys auf die in Augenhöhe umherhopsenden Möpse schaut, liest ihm ein Fremder einen Artikel aus dem Grundgesetz vor. Lenkt ein wackelnder Hintern seine Aufmerksamkeit auf sich, beginnt der Ladenbesitzer eine Debatte über sein offenbar gestörtes Sozialverhalten, und wenn er einen Euro in den blinkenden und tutenden Slip wirft, unterstützt er Prostitution. Einfach schlecht erzogen, respektlos und frauenfeindlich. Pfui.

Meine Kinder und ich waren absolut chancenlos und sahen uns bei jedem Schritt, vom Parkplatz bis zur Kasse, dem gezielt angebotenen Zuckerbrot der Supermärkte gegenüber. Jedes Mal, wenn sie ihre gewollte kindliche Begeisterung in ihren vielfältigsten Formen zeigten, knallte entweder meine erzieherische Peitsche auf sie nieder, oder der Ochsenschwanz der Umstehenden traf mich und warf mir als Mutter mangelnde Kompetenz mit gestörten Kindern vor. »Früher waren die Kinder noch nicht so verwöhnt« vor sich hin murmelnd rangieren sie selbstzufrieden und bequem den gestaubsaugten Audi A8 aus dem Eltern-Kind-Parkplatz.

Als ich alle Kinder und Einkäufe im Auto hatte, wünschte ich, ich hätte meine Tochter die Flasche Mariacron kaufen lassen. Ich hätte sie mir noch auf dem Parkplatz hinter die Binde gekippt, und keine Verkehrskontrolle der Welt hätte sich für meinen absolvierten Tough-Mudder-Contest interessiert. Ich war den Tränen nahe. Dann lieber noch mal in die Achterbahn kotzen im Legoland.

Revuepassierend suchte ich meinen Fehler und fand ihn eine Woche früher. Ich hätte H-Milch einkaufen und meine zur Geburt des ersten Kindes automatisch mitgelieferte Kristallkugel befragen sollen: Welche Eventualitäten könnten an einem Wochenende auftreten, und welche davon erledige ich, ohne andere Menschen mit meinen Kindern belästigen zu müssen?

Oder ist das alles vielleicht gar nicht meine Schuld?

Abends postete die Brigitte MOM ein Interview mit einer Hamburger Mutter auf Facebook. Sie wurde von dem Ladendetektiv eines Drogeriemarkts vor die Tür gesetzt, weil ihre Tochter als schreiender Trotzklumpen vor einem Regal mit Dinkelkeksen liegen geblieben war. Die Mutter hatte angeblich Tampons kaufen wollen, meine ich mich zu erinnern. Der Detektiv jedenfalls hielt die beiden für ein Sicherheitsrisiko und warf sie raus. Niemand setzte sich für die Mutter ein. Keiner stand ihr bei. Eine ältere Dame murmelte angeblich: »Es ist eine Zumutung«, als die eingeschüchterte Mutter das weinende Kind hinaustrug. Die entzückende Lady meinte damit aber leider nicht den Ladendetektiv. Die Mutter konnte ihren Einkauf nicht beenden und überlegte vermutlich, wo sie in der Nähe ein Schaf scheren könnte, damit sie in den nächsten Tagen ohne Tampons keine Bluthunde anlockt.

Gelassen lehnte ich mich zurück und tat etwas, was man eigentlich genauso wenig tun sollte, wie die eigenen Krankheitssymptome googeln: Ich öffnete die Kommentarspalte des Online-Artikels. Ich war mir sicher, mit meiner Empörung bei dem Müttermagazin in guter Gesellschaft zu sein. Ich erwartete empathische Wut auf den Detektiv und die kinderunfreundliche Gesellschaft. Ich rechnete mit absoluter Einigkeit unter Müttern, wie man sie von Debatten wie »Tun Wehen weh?« und »Brauchen Kinder Zuwendung?« kennt. Nach zwei sehr beliebten und solidarischen Kommentaren folgte ein bitterböses Theater, das mich fast so schockierte wie einst der Schattenmann im Biergarten:

Melinda B.: »Ich (Mutter mit Vollzeitjob) gehe meistens ohne Kind einkaufen. Ich habe immer Hygieneprodukte zu Hause. So versuche ich solche Situationen zu vermeiden.«

Katharina M.: »Na ja, kommt ja drauf an. Es gibt genug Muttis, die einfach auf taub schalten und ihr schreiendes Kind ignorieren, statt mal zu erziehen. Da ist es doch schön, wenn die mal vor der Tür bleiben müssen.«

Kerstin H.: »Ich hätte auch ohne Tampons den Laden mit dem Kind so nicht betreten! Sorry, aber das muss man sich und dem Kind doch nicht antun. Ich hätte es vor der Tür beruhigt und zum Beispiel gesagt, dass es sich drin was aussuchen darf. Das schont die Nerven aller Beteiligten.«

Anne S.: »Sorry, aber wer mit einem müden Kind den Laden betritt, braucht sich nicht wundern, wenn er unangenehme Reaktionen bekommt. Man beruhigt es vorher. Ich finde, gerade solche Eltern, die ihr Kind angeblich soooo gut kennen, sollten doch genau diese Situationen vermeiden wollen/können??!«

Em S.: »Ich würde den Wagen stehen lassen und den Laden sofort verlassen, um mir die Peinlichkeit zu ersparen und um meine Nerven und die der anderen Menschen dort zu schonen.«

Nicht ernsthaft? Da sind sie ja, die gemeinen Internet-Fingerzeiger. Die selbstgerechten Supermoms hinter der Anonymität des heimischen Rechners. Was für eine unnötige Hybris an einer Stelle, an der Zusammenhalten so einfach gewesen wäre. Kinder, und zwar jedes einzelne Kind der Welt, sind überraschend argumentationsfest und erfrischend unberechenbar. Dinge, die gestern noch tipptopp funktionierten, sind heute undenkbar und morgen vergessen. Es eint uns alle, die wir welche haben oder selbst mal eins waren.

Stattdessen freut sich hier eine Mutter, deren Kind vielleicht mit acht Jahren zur Sicherheit noch eine Nachtwindel trägt, dass sie jetzt auch mal austeilen kann. Die verständnislosen Ratschläge ihrer Schwiegereltern für einen geregelten Toilettengang bringen sie nämlich regelmäßig fast um den Verstand. Die überlastete Vollzeitjobmutter mit dem beeindruckenden Organisationstalent für Zykluszwischenfälle kann sich nun selbst endlich mal davon ablenken, dass ihr ältester Sohn momentan wegen Marihuanakonsums in der Turnhalle eine schulische Zwangspause einlegen muss und mit niemandem mehr spricht. Ach ja, und die Mutter, deren Kind nach vier Monaten Eingewöhnungszeit im Kindergarten immer noch drei Stunden weint, hat endlich ein Ventil für ihre Selbstzweifel und Sorgen gefunden, die sich aus den Blicken der anderen Eltern speisen und »Bindungsstörung« sagen. Diese Supermoms haben alle etwas gemeinsam: individuelle Probleme und Sorgen mit oder wegen ihrer Kinder. Aber immerhin sind die beim Shoppen immer gut drauf.

Gift und Galle spritzen in Kommentarspalten, das sind die neuen Stammtische der Republik. Kein einziger Mann hat dort etwas kommentiert. Kein einziger Mensch ohne Kinder. Alles Mütter. Alles Frauen. Alles Freundinnen, Töchter und Schwestern. Wir leben in einer kinderfeindlichen Gesellschaft? Ja. Und Nein. Vor allem leben wir in einer Gesellschaft aus selbstgefälligen Arschgeigen, die sich diebisch freuen, wenn das Loch im Boot mal nicht auf ihrer Seite ist. Wenn schon die eigene Kavallerie bei der erstbesten Gelegenheit desertiert, kann das nichts werden mit der notwendigen Toleranz für Kinder.

Hier sind die All-Time-Classics des Supermarktbesuchs vom Parkplatz bis zur Kassenschlange aus rechtlicher Sicht:

Im Studium habe ich gelernt, dass man alle Protagonisten eines Falls durchprüfen muss. Nur nicht die Toten. Gott sei Dank sind Tote beim Einkaufen selten, es sei denn, mich ereilt dabei der Fluch eines frühen Todes, mit dem mein wütender Sohn mich belegt hat.

Eltern-Kind-Parkplätze sind straßenverkehrsrechtlich nicht den Behindertenparkplätzen gleichgestellt. Es gibt kein elterliches Pendant zum Behindertenparkausweis, ohne den man nicht auf einem Behindertenparkplatz parken darf. Auch dann nicht, wenn man ein gebrochenes Bein hat.

Die Idee eines »Elternparkausweises« ist gar nicht so übel, allerdings derzeit sinnlos, da es rechtlich keine Eltern-Kind-Parkplätze im öffentlichen Parkraum geben muss. Keine Gemeinde oder Stadt muss so etwas in die Parkraumplanung einbeziehen. Eltern-Kind-Parkplätze sind lediglich ein Servicegedanke der Supermärkte und Parkhausbetreiber, um Eltern das Tetris-Spielen mit einem Maxi-Cosi aus der Autotür bei engem Parkraum zu ersparen. Aus diesem Grund sind Eltern-Kind-Parkplätze auch nicht im Bußgeldkatalog der StVO aufgenommen. Wer dort parkt und kein Kind im Auto hat, ist zwar ein ignoranter Blödmann, hat aber keine Abschleppkosten und ein Bußgeld von 35 Euro zu befürchten. Ihm droht nur soziale Ächtung in leider sehr begrenztem Maß. Die Mutter, die neulich statt mir dort einparkte, rechtfertigte sich, dass der fünfunddreißigjährige bärtige Mann auf dem Beifahrersitz schließlich auch ihr Sohn sei. Touché! Als Anwältin musste ich da den Argumentationshut ziehen – und spendierte ihrem Sohnemann einen Euro für den Polizeihubschrauber am Eingang.

Mein Sohn kann keine Zeitungen abonnieren. Das kann er erst dann alleine tun, wenn er am Tag seines achtzehnten Geburtstags voll geschäftsfähig wird. Zwischen seinem siebten und dem achtzehnten Geburtstag kann er lediglich rechtlich vorteilhafte Rechtsgeschäfte mit anderen Menschen abschließen. Das sind in der Regel Geschenke, die juristisch nichts anderes sind als ein abgeschlossener Schenkungsvertrag ohne damit verbundene Verpflichtungen. Man kann sich ein Weihnachtsfest in einer Juristenfamilie gar nicht herzlich genug vorstellen, oder? Ein Sechzehnjähriger hält mit Sicherheit eine Fernsehzeitung mit tollen Coverbrüsten für einen enormen Vorteil für seine körperliche und geistige Entwicklung. Da er aber bei Vertragsschluss zugleich verpflichtet wird, das Abo monatlich zu bezahlen, und sei es auch noch so ein Schnäppchen, ist das ein rechtlicher Nachteil und der Vertrag nur wirksam, wenn seine Erziehungsberechtigten einverstanden sind oder ihn nachträglich genehmigen. Im Falle meines Sohnes reichte meine freundliche Ablehnung des Abos und die Rückgabe der Feuerzeuge, um seinen (eventuell auch mündlich) geschlossenen Vertrag unwirksam werden zu lassen.

Schwieriger, aber auch an das Alter der Kinder gebunden, stellt sich die Lage vor dem Kühlregal dar. Öffnet mein Kind einen Glubschaugen-Joghurt oder zermatscht es ein Überraschungsei an der Kasse, ist ein Schaden entstanden. Das gilt auch für die eingeschweißten Comics aus dem untersten Zeitschriftenregal, die zerrissenen Pixi-Bücher aus der Schüssel und das Fläschchen Mariacron aus dem Regal neben dem Kopf meiner Tochter im Einkaufswagen. Schäden muss man ersetzen. Habe ich ihn bezahlt, darf ich das beschädigte Produkt natürlich auch mitnehmen. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Produkte täglich über die Kassenbänder gehen, obwohl kein Elternteil sie jemals haben wollte. Und da liegt auch der juristische Knackpunkt der Sache. Kinder unter sieben Jahren haften nicht für das, was sie tun. Sie sind deliktsunfähig. Schäden, die sie verursachen, müssen nur bezahlt werden, wenn man die Eltern dafür auch tatsächlich haftbar machen kann. Eltern haften in diesen Fällen nämlich nur, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Schäden, die auch ohne eine Verletzung der Aufsichtspflicht eingetreten wären, müssen die Eltern auch nicht bezahlen.

Wer also einen Überraschungseistapel in genau kalkulierter Sichthöhe der geschäftsunfähigen Zielgruppe aufstellt, bunten Kinderjoghurt nicht nur in Sicht-, sondern auch in einfacher Griffweite von Kleinstkindern platziert und Kindercomics sogar so hinlegt, dass ein Erwachsener sie kaum sehen, geschweige denn ohne drohenden Hexenschuss aus dem untersten Regal friemeln kann, provoziert den Schadenseintritt. Wer es den Eltern also besonders schwermacht, ihre elterlichen Aufsichtspflichten zu erfüllen, kann sich hinterher nicht pauschal auf eine Pflichtverletzung berufen. Klingt für jeden Bereich des zwischenmenschlichen Lebens logisch und schlägt sich an unzähligen Stellen im Recht nieder, egal ob Kinder beteiligt sind oder nicht. Wer einen Blumenkübel so aufstellt, dass man beim Ausparken nur dagegenfahren kann, wird sich mit dem Schadenersatz für den Kübel schwertun. Im Gegenteil, er muss sogar unter Umständen den Schaden am Auto bezahlen. Auf Eltern und all die Hindernisse übersetzt gilt das Prinzip, je nach Einzelfall, ganz genauso.

Eine Haftpflichtversicherung, der man zermatschte Überraschungseier oder einen kaputten Hubschrauber-Steuerungsknüppel genauso melden kann wie versehentlich zerbrochene Ming-Vasen bei der Nachbarin, stellt genau dieselbe Schuld-und-Sühne Prüfung an. Hat der Versicherungsnehmer, also das Elternteil, keine Schuld am Schadenseintritt, zahlt die Versicherung logischerweise auch nicht. Weil das Elternteil nicht haftet. Das führt aber nicht dazu, dass die Eltern den Schaden aus eigener Tasche zahlen müssen, sondern eben gar nicht. Logisch.

Wer dagegen mit der Trekkingsandalenfrau ein minutenlanges Streitgespräch führt, sein kleines Kind aus den Augen lässt und es dann zehn Minuten später unter einem Berg aus Tampons wiederfindet, der wird sich vermutlich eine Aufsichtspflichtverletzung ankreiden lassen müssen und einen Schaden, den man hätte vermeiden können. Zumindest in diesem Ausmaß. Hier springt dann aber die eigene Haftpflichtversicherung in der Regel ein und »haftet« für unser mütter- und väterliches Versagen bei der Aufsichtspflicht.

Das nächste Mal sollte die Hamburger Mutter, die von dem Ladendetektiv aus der Drogerie geworfen wurde, ihr tobendes Kind am besten strategisch klug zum Tamponregal lotsen und dann erst den Streit mit dem Detektiv aufnehmen. Dann hat sie zwar trotzdem die unfehlbaren Supermoms und die ruhesuchenden Miteinkäufer am Hals, aber zumindest für die nächsten drei Jahre genügend Hygieneprodukte zu Hause.

Zu hoffen wäre allerdings, dass sie das nächste Mal mit ihrem kreischenden Minimonster an der Hand zur Kasse gehen kann, begleitet von verständnisvollem Lächeln, seufzendem Augenzwinkern und stillen Dankesgebeten der Anwesenden, dass die eigenen Kinder aus dieser Phase raus sind. Ich nehme mir fest vor, das ab jetzt viel öfter und offensiv so zu machen. Oder ich werfe mich gleich neben das kreischende Kind. Das baut bestimmt mehr Spannungen ab als Tai-Chi vor dem Frühstück.

DICKE PINGUINE

Dicke Pinguine fallen öfter um als dünne. Das haben Forscher jüngst herausgefunden. Schlagzeilen wie diese bringen mich regelmäßig unheimlich ins Grübeln. Dann lehne ich mich zurück und sinniere über die zielorientierte Verwendung von Forschungsgeldern. Solange man »Was tun gegen Herpes?« googeln muss und die beste Antwort im World Wide Web dazu lautet »Trage blickdichte Kleidung im Gesicht!«, möchte ich diese Gelder sinnvoll investiert wissen. In der Herpesbranche beispielsweise.

Da ich aber keine Expertin für Forschungsgeldvergabe bin und ich den Wissenschaftlern kein Unrecht tun möchte, habe ich mich informiert. Über Königspinguinforschungen im Allgemeinen und im Speziellen. Forscher am Crozinet-Archipel haben Pinguine mit Übergewicht auf ein Laufband gestellt und sie gefilmt, während sie darauf joggten. Und tatsächlich: Die dicken Pinguine fielen häufiger um als die dünnen, weil sie ihre Schritte nicht an ihren neuen Umfang anpassten. Ich erfuhr außerdem, dass die Pinguinweibchen nach der Eiergeburt erstmal die Ernährerinnen der Familie sind und die Väter das Ausbrüten der Eier übernehmen. Dafür brauchen die Männchen natürlich große Energiereserven. Aus diesem Grund essen sie ganz furchtbar viel und nehmen dadurch unheimlich zu. Ich selbst habe das während der Schwangerschaften ganz genauso gemacht und hing brütend und fressend auf der Couch. Manchmal watschelte ich auch ins Wasser, um bei etwas Aquarobic mit anderen brütenden Weibchen zu planschen. Für alle Beteiligten ist dieses Brütverhalten und seine Folgen nicht immer schön, aber Eltern müssen eben tun, was getan werden muss, auch wenn das mit Ungemach einhergeht.

Ich glaube, ich bin damit auf den eigentlichen Kern dieser Forschungsarbeit gestoßen. Es handelt sich hierbei um bahnbrechende Basis-Familienforschung. Nach der Lektüre über dicke Pinguineltern jedenfalls wünsche ich mir das Forscherfazit: »Do-it-like-a-penguin-and-shut-the-fuck-up.«

Was soll nämlich das ganze Brimborium um den »modernen Vater«? Warum ist ein Mann, der dazu bereit ist, »vorübergehend auf seine Karriere zu verzichten« und zwei Monate Elternzeit nimmt, der Protagonist einer WDR-Reportage mit dem Titel Väter – die neuen Helden, während noch immer rund 80 Prozent aller arbeitenden Frauen der Kinder wegen in Teilzeit arbeiten? Warum ist es bei so vielen gut ausgebildeten Eltern noch immer so schwierig, einfach in Ruhe zu brüten und sich die Arbeit aufzuteilen oder das Familienmodell zu wählen, das am besten zur Familie passt?

Schauen wir uns mal gemeinsam in der medialen Berichterstattung zum Thema der brütenden und erziehenden Menschen in Deutschland um. Wie ist es denn um unsere Männchen derzeit bestellt? Turnen uns diese possierlichen, flugunfähigen Vögel am Südpol tatsächlich einen vor, wenn es um emanzipierte Familienmodelle geht?

Jan Hofer, Tagesschau-Sprecher und mittsechzigjähriger Neuvater würde sich unter den Pinguinvätern beispielsweise recht schwertun. Er wäre eher ein Randgruppenpinguin. Die Herde würde seine Einstellungen in Bezug auf die Kinderaufzucht befremdlich finden und ihm wohl ein Nest im Außenbereich der Kolonie zuweisen. Denn: Herr Hofer wurde kurz nach der Geburt seines vierten Kindes Anfang 2016 von der Bunten zitiert als jemand, der seinem Schlafbedürfnis trotz neugeborenem Mitbewohner ungestört nachkommen kann, weil seine Frau mit dem Säugling in »einem anderen Trakt der Wohnung« schläft. Windeln wechseln war auch nicht so seine Sache. »Jan und Windeln wechseln? Das mache nur ich«, verpetzte ihn seine siebenunddreißigjährige Freundin Phong Lan mit verstörend stolzem Unterton. Elternzeit nehmen, die extra dafür eingerichtet wurde, damit Eltern weniger arbeiten müssen und mehr von ihren Kindern haben? Das kam für den schlanken Senior nicht in Frage. Das lasse die viele Arbeit nicht zu, erklärte er. Der brütende Pinguinvater erkennt den logischen Bruch sofort und hebt konsterniert die Augenbraue. Haben Pinguine Augenbrauen? Jan Hofer zumindest ist kein bisschen dicklich, er muss keine Schrittgrößen anpassen. Wer jedoch nicht Schritt hält, wird abgehängt, und so ist Pinguin-Jan viel eher Dinosaurier-Jan. Die Pinguine sind jedenfalls nicht vom Aussterben bedroht, geschweige denn ausgestorben. Das sollte man bedenken, wenn man im Land der modernen Väter noch mal von vorne anfängt.

Do it like a penguin? Vizekanzler Sigmar Gabriel macht das nur teilweise richtig. Er hat die Körperform eines hochbrütenden Pinguins angenommen und ein Kind mit einer berufstätigen Frau gezeugt. Das verschafft ihm zunächst einen Platz in der Mitte der Kolonie. Da er aber wiederholt Pressemitteilungen herausgibt, wenn er ordinäre Brutaufzuchtaufgaben wie »Kindergartenabholungen« übernimmt, sind ihm abschätzige Blicke aus den umliegenden Nestern sicher. Spätestens seit er während der angeblichen Kinderbetreuung in der Wochenmitte aber auf Fotos beim Fischfang zu sehen war, steht ihm ein Umzug in den Randgruppen-Kiez bevor, in dem jetzt schon Jan Hofer wohnt.

Ganz das Image eines modernen Vaters polierend ließ Sigmar dann wenig später verkünden, dass er spontan drei Tage lang auf seine scharlachkranke Tochter daheim in Goslar aufpasst und deswegen seine Berufstätigkeit kurz unterbricht. In den drei Tagen konnte seine Gattin in Ruhe ihre Fischbrötchen verdienen, musste dafür aber eine ungebührliche Menge Applaus für den modernen Kindsvater verkraften.

Die mediale Wahrnehmung ist tatsächlich erstaunlich. So war die schwangere Spitzenpolitikerin Manuela Schwesig ausweislich eines Spiegels-Artikels im Februar 2016 mutterschaftsbedingt »nicht erreichbar« und ließ sogar ihr Ministerium im Stich, so der Grundtenor des Berichts. Zeitgleich geht aber Spitzenpolitikerkollege Sigmar laut Spiegel Online »offensiv mit seiner Vaterschaft um«, wenn er mittwochs seine Tochter aus dem Kindergarten abholt oder drei Tage lang Kinderkotze wegwischt. Das Ganze erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt, als Sigmar Gabriel ein halbes Jahr später im November 2016 die Geburt seines zweiten Kindes ankündigte und gleichzeitig seinen Entschluss, trotzdem für die SPD vollumfänglich und kinderpausenfrei als Kanzlerkandidat zur Verfügung zu stehen. Auch das bekam Applaus. Bemerkenswert. Die Medien sehen offenbar im Jahre 2016 ein ausreichendes Vorbild für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darin, die eigene Frau zu schwängern. Die pure Mitteilung einer anstehenden Neuvaterschaft beschrieb Spiegel Online erneut als »offensiven Umgang mit der Vaterschaft«, der seinem »Image zumindest nicht schaden dürfte«.

Angesichts solcher Rückschritte ist zu befürchten, dass der Randgruppenkiez zum Problemviertel verkommt. Hier braucht es noch eine Menge Sozialarbeit. So viel ist sicher.

Nun, ein Königspinguin-Papa macht da nicht so ein Gewese. Auch der Vize-Kanzlerkönig der Kolonie findet das alles vollkommen normal und brütet eben, wenn es die Umstände erfordern. Würden die Pinguin-Medien ein riesengroßes Geschnatter um das »moderne Männchen« machen, wäre das dem gemeinen KöPi allenfalls ein gelangweiltes Flügelwinken wert. Er brütet. Sie arbeitet. Sie brütet. Er arbeitet. Beide brüten. Beide arbeiten. So what?

Komplett abgedreht wird das Vaterbild der Medien aber erst, wenn man dem Autor Frank Jöricke in der Februarausgabe 2016 des Playboys glauben möchte. Ich lese den Playboy regelmäßig. Der vielen schönen Brüste und der teilweise echt guten Witze wegen. Frank Jöricke hat zwischen zwei hübschen Nackedeis einen Artikel über den Zeitgeist der modernen Väter platzieren dürfen und beschäftigt sich, wie die Pinguinforscher am Crozet-Archipel, offenbar auch mit Väterforschung. Der Autor titelt nicht etwa »Mann oder Memme«. Er ist viel kreativer: »Mann oder Mama«. Was ist da los? Ich erwartete einen Essay über stillende Väter in der Öffentlichkeit oder die erste Penisgeburt. Leider wurde ich enttäuscht. Die Mutter in mir wurde angesichts der Ratschläge des Autors nun doch etwas unruhig, wenn sie auf die derzeit brütenden Männchen und deren Selbstwahrnehmung blickt. Jörickes Forderungen klingen, als sollte der Randgruppenkiez zum neuen Szeneviertel erhoben werden und Jan und Sigmar als Rudelführer voranschreiten. Ob das von den Vätern wirklich so gewollt ist?

Wäre ich nicht nur Playboy-Leserin, sondern auch noch ein zielgruppenentsprechender Kerl, würde ich mich fragen, ob der gute Frank den weisen Satz kennt: »Sei vorsichtig mit deinen Wünschen. Sie könnten wahr werden.«

Jöricke wendet sich in seinem Pamphlet gegen die »überdrehte Vaterrolle«. Der Ansatz ließe sich durchaus hören, wenn er diejenigen Väter humorvoll durch den Kakao gezogen hätte, die am Spielfeldrand eines G-Jugend-Fußballturniers den Linienrichter mit der Eckfahne vermöbeln, und die eine DSDS-Karriere der Tochter mit in die Hausfinanzierung einkalkuliert haben. Macht der Playboy-Schreiber aber nicht. Stattdessen zählt er eine Menge seltsamer Beispiele auf, die allesamt auf seiner Annahme fußen, dass echte Männer in Wahrheit nämlich keinen Bock auf ihre Kinder haben und sich derzeit fremdbestimmt und ferngesteuert nur noch zum Affen machen. Lediglich einem schlechten Gewissen sei es geschuldet, dass diese »Helikopterväter« in die gleiche Hysterie und Aufgabenverteilung einfallen, die eigentlich evolutionsbedingt den Müttern vorbehalten sei. Glaubt ihr nicht? Ich zitiere.

Frank Jöricke kritisiert, dass der »moderne Vater auf Kindergeburtstagen trötend als Benjamin Blümchen umherstapft«, und regt seine Geschlechtergenossen dazu an, doch bitte wieder auf »ihre Art väterliche Liebe zu zeigen« und »die gebeugte Gestalt in den Sandkästen öffentlicher Spielplätze mit eigenem Schippchen in der Hand« aufzugeben. Er rät den Vätern, den »Prinzessin-Lillifee-Clubtanz« der Kinderanimation nicht mehr mitzumachen. Außerdem sollen sie sich »die Kleinkindsprache wieder abgewöhnen« und diesen ganzen Unsinn zusammen mit einer väterlichen »Meinung zum Thema Säuglingskost« denjenigen überlassen, denen diese Tätigkeiten eigentlich und schon immer zufielen: den Mamas. Wow.

Ich habe selten etwas so Unemanzipiertes zu Lasten von Vätern und Männern gehört seit dem längst überholten Pendant »Frauen zurück an den Herd«. Der Playboy neuerdings also als Die Frau im Spiegel der Herrenmagazine, aber trotzdem mit ausklappbaren Titten im Centerfold? Wie schade!

Frank Jöricke erklärt auch, warum er diese väterlichen Spiele mit Kindern im Grunde so verachtet. Er findet sie unwürdig und unmännlich: »Von einem Mann« bliebe bei so vielen »freiwilligen Selbstopfern nicht mehr viel übrig«, und die »bloße Umkehrung der Geschlechterrollen nach 6000 Jahren Patriarchat würde die Welt auch nicht besser machen«. Das ist schon bezeichnend, wenn man zum einen im Jahr 2016 noch »Geschlechterrollen« formuliert und zum anderen die eigene fragwürdige Vorstellung der Rolle der Mutter gleichzeitig für so erbärmlich und unwürdig erklärt, dass eine »Umkehrung« auf den Vater selbstverständlich keiner wollen würde.

Der erfahrene zweifache Vater erklärt leider nicht wirklich, wo seine Geringschätzung für gebeugte Rücken in der Sandkiste herkommt. Er ermuntert die »Helikopterväter« auch nicht etwa dazu, sich einfach ein bisschen weniger Sorgen um die eigene Brut zu machen. Seine Lösung ist beeindruckend einfarbig. Er fordert die Väter stattdessen auf, doch bitte nicht mehr länger hinter den »Wunschbildern der Frauenzeitschriften« herzueifern. Hausaufgabenbetreuung beispielsweise ist eine davon, findet er. Statt Hausaufgaben in der »Quality Time« zu betreuen, sollen sie weniger hysterisch sein und »einfach mal Feierabend machen«. Er fordert die jungen Väter zu etwas auf, was »Opa noch gratis bekam«. Er meint damit ein »in sich stimmiges Selbstbild ohne Therapeuten«.

In aller gebotenen Kürze, die einer Herrenmagazine lesenden Frau wohl tatsächlich nur in begrenztem Rahmen zusteht: Ich kenne keine Frau, die jemals ihre Mutterrolle als kostümierte Elefantenkuh beim Prinzessinnentanz auf dem Spielplatz definiert hätte. Nicht mal 1950 war das der Fall. Ehrlich: keine. Man fragt sich, was der Frank da für Ladys am Start hat?

Mir ist auch nicht eine einzige Frau bekannt, die ihr angebliches »Frauenzeitschrift-Wunschbild« von ihrem Traummann als trompetenden Benjamin-Blümchen-Elefanten beim Lillifee-Clubtanz mit einer Schaufel in einer Sandkiste in Wanne-Eickel beschreiben würde.

Allerdings kenne ich durchaus eine überwältigende Anzahl kleiner Kinder, die ein trötendes Rüsseltier auf ihrem Geburtstagsfest, ein irres Tänzchen mit Papa an der Hand und eine Mega-Sandburg mit Wassergraben und Stöckchenbrücke auf dem Hinterhofspielplatz einfach unglaublich geil finden. Ein absoluter Traumtyp. Eine echte Wunschvorstellung. Für Kinder!

Wird dieser Papa durch seine Kinderliebe zu einem attraktiveren Sexualpartner für die Weibchen? Das mag durchaus manchmal so einen Effekt haben. Aber das ist doch der Witz an der Evolution. Man schaue sich mal einen balzenden Dompfaff an. Dagegen ist der hechelnde Lillifee-Papa ein angepasster Spießer. Dazu kommt, mal ganz nebenbei, dass große Teile der eigentlichen Daseinsberechtigung des Playboy-Magazins darauf fußen, wie man Frauen beischlaffördernd beeindrucken kann. Jeder auf seine Art. Männer bleiben sie trotzdem, selbst wenn sie sich in die Beikostbeschaffung einmischen und im Kreißsaal heulen, schwitzen und mitpressen.

Männer im Kreißsaal oder im Geburtsvorbereitungskurs sind jedenfalls nicht das Ergebnis »umgekehrter Geschlechterrollen« oder der jämmerliche Versuch einer Anbiederung an das weibliche Geschlecht. Im Jahr 2017 kann es sich ein Vater gesellschaftlich, Gott sei Dank, schlicht und einfach leisten, mit seinen Kindern auf die Art und Weise abzuhängen, wie er es gerne möchte. So neu ist das außerdem gar nicht. Schon mein Vater war vor dreißig Jahren mit im Kreißsaal und bewunderte meine Mutter. Seitdem möchte er im nächsten Leben Hebamme werden. Er tanzte mit mir Rock ’n’ Roll im gestreiften Bademantel und verzweifelte an meiner mathematischen Minderbegabung bei den Hausaufgaben.

Ein Vater heute hat es noch viel besser. Er kann es sich erlauben, öffentlich den Nachwuchs in einer Babytrage vor dem Bauch herumzuschaukeln und zwischen seinem Kind und dem Bauchnabel ein Bierchen auf das Festivalgelände zu schmuggeln. Warmes Bier ist besser als keins. Seine Krawatte beim Lunch schlägt er über die Schulter, um sie vor Babykotze zu schützen, weil er selbst weiß, dass er die Flecken nicht mal mit Gallseife wieder rauskriegt. Er kann mit seinen Kumpels und drei Kinderwagen im Park abhängen und das Baby danach mit in die Sportsbar zur Bundesliga nehmen. Latte-macchiato-Mutter und Dosenbier-Vater. Oder umgekehrt. So what? Das konnte Opa auf dem Karrierepfad oder vor seinen Skat-Kumpels alles noch nicht tun, ohne gesellschaftlich verlacht zu werden, dabei war er sicherlich ebenso verliebt in sein Baby wie heute in seinen Enkel mit dem Sandschippchen. Opa musste während der Geburt seines eigenen Kindes noch in die Kneipe gehen oder wie ein lästiges Anhängsel im Klinikgang umhertigern. Das soll ohne Therapeuten zum männlichen Selbstbild führen? Was zum Teufel soll das eigentlich sein? Das Einzige, was hier rollenbildlich umgekehrt wird, ist die Forderung, sich bitte dem Geschlecht entsprechend zu benehmen. Das soll die Welt besser machen?

Opas Enkel hat heute die Wahl. Ein paar Jahre später feuert der hier verunglimpfte Kreißsaalheuler und Lillifee-Tänzer genauso unbarmherzig Paintball-Kugeln nach dem Sohnemann und geht mit seinem Töchterchen Eisklettern. Genauso wenig, wie sich eine gute Mutter heute darüber definieren muss, wie famos ihr eine Mehlschwitze gelingt, müssen sich Väter heute auf die reine Ernährerrolle reduzieren lassen. Ich glaube nicht, dass es stimmt, wenn Frank Jöricke schreibt, dass Opa »japsen würde vor Lachen«, wenn er die heutigen Väter sehen würde, von denen nicht mehr viel Männlichkeit übrig sei. Ich glaube, Opa beneidet seinen Enkel glühend darum, dass der heute die Art Vater sein kann, die er am liebsten sein will, ohne dafür von seinen Nachbarn oder einem Tittenmagazin 2016 verbal auf die Fresse zu kriegen.

Tja, und leider geht mit selbst gewählten Freiheiten auch oft eine Kehrseite der Medaille einher, Frauen und Mütter können davon ein Liedchen singen. Leider wird Papa also dabei auch die nicht immer nur Freude spendende Spielplatz-Schaukel-Scheiße fressen müssen. Die gehört nämlich auch für den Elternteil mit den Brüsten nicht automatisch zu den favorisierten Aktivitäten des Familienalltags, nur weil sie die Mütter sind.

Sind Männerbilder wie die von Jan, Sigmar oder Frank jetzt die Ausnahmen oder die Regel?

Ich weiß es nicht. Ich kann nur mutmaßen. Wenn ich mich so umschaue unter den ganz unprominenten Menschenvätern in meinem weiten Umfeld, dann sehe ich dort eine ziemlich gelassene Herde von glücklichen Papa-Pinguinen, die vollkommen selbstverständlich ihre Kinder wickeln. Die Sigmar Gabriels werden belächelt, die Jan Hofers bedauert, und wie das mit der Zustimmung zu Frank im Playboy