Kind auf Bestellung - Eva Maria Bachinger - E-Book

Kind auf Bestellung E-Book

Eva Maria Bachinger

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Beschreibung

Kinder sind längst nicht mehr unbedingt Schicksal. Medizin und Wissenschaft erfüllen nahezu jeden Wunsch nach Schwangerschaft, machen alles möglich, planbar und kontrollierbar. Wer sich sehnlichst ein eigenes Kind wünscht, dem kann heute einfach geholfen werden. Und zwar ganz egal, in welcher Lebens- und Beziehungssituation. Eva Maria Bachinger plädiert in ihrem Buch dafür, dass wir die Fragen zu Ethik und Moral rund um Reproduktionsmedizin und Präimplantationsdiagnostik ehrlich diskutieren, bevor Gesetze liberalisiert und Tabus gebrochen werden.

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Deuticke E-Book

Eva Maria Bachinger

KIND AUF BESTELLUNG

Ein Plädoyer für klare Grenzen

Deuticke

ISBN 978-3-552-06308-2

2. Ebookversion Oktober/2015

Umschlag: Lübbeke Naumann Thoben, Köln

Motiv: © Andrey Kuzmin – Fotolia.com

Alle Rechte vorbehalten

© Deuticke im Paul Zsolnay Verlag Wien 2015

Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen

finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de

Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/ZsolnayDeuticke

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Für die nächste Generation:

Noa, Giulia, Sara, Anna, David und Louise

VON DEN KINDERN

Eure Kinder sind nicht eure Kinder.

Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.

Sie kommen durch euch, aber nicht von euch.

Und wenn sie auch mit euch sind, so sind sie dennoch nicht euer Besitz.

Khalil Gibran

INHALT

Vorwort

Kinderwunsch und Wirklichkeit

Illusion der Machbarkeit

Die Auslese

… und die Kinder?

Die Bedeutung von Grenzen

Literatur

Dank

VORWORT

Es ist wunderbar, Kinder aufwachsen zu sehen, sie über die Jahre begleiten zu dürfen. Zu sehen, wie sie lernen, sich entwickeln, zu erleben, was aus ihnen wird. Sie fordern und können anstrengend sein, sie können innigste Freude bereiten und unbändige Lebenslust verströmen.

Kinder sind nicht selbstverständlich. Doch man will sich nicht mehr nur auf Glück oder Fügung verlassen. In einer Konsumgesellschaft, in der alles planbar erscheint, muss auch alles machbar sein. Zunehmend scheint es um einen Wunderkinderwunsch und Kinderhabenwunsch zu gehen, weniger um gute Hoffnung und freudige Erwartung. Wir sind eine Nehmergesellschaft: Wie im Selbstbedienungsladen holen wir uns, was wir wollen. Schließlich gilt: Wer will und genug Geld hat, der kann auch, unbegrenzt. Umso schwerer fällt es, reale Begrenzungen zu akzeptieren, etwa die Tatsache, dass jährlich nur rund ein Viertel der Paare nach aller Mühsal einer künstlichen Befruchtung ein Kind in die Arme schließen kann.

Cui bono? – das ist die entscheidende Frage. Österreich hat seit Jahresbeginn 2015 ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz – mit weitreichenden Änderungen. Im Gegensatz zu Deutschland ist nun die Eizellspende erlaubt. Die Fremdsamenspende ist auch für lesbische Paare möglich, und die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist liberaler geregelt als in Deutschland. Doch kaum war das Gesetz beschlossen, drängten Mediziner auf weitere Öffnungen. Es geht hier nicht nur um Freiheitsrechte und Hilfe für Betroffene – wie stets hervorgehoben wird –, es ist auch ein florierendes Geschäft. Ethik und Moral sind dabei aus dem Weg zu räumen: Man soll doch bitte »nicht so moralisieren«, und »das soll jeder selbst entscheiden können«. Die Realität sei zu akzeptieren, heißt es. Doch auch die angeblich Pragmatischen haben keine wertfreie Haltung. Mit dem Verweis auf die Realität erspart man sich lediglich eine mühsame ethische Debatte.

Vielfach ist zu hören, es gebe ein »Recht auf ein Kind«. Im Namen der »reproduktiven Freiheit« des Einzelnen beruft man sich auf die Menschenrechte, doch die Rechte für Kinder werden oft bedenkenlos angezweifelt, die Rechte von Leihmüttern schlichtweg übergangen. Die kommerzielle Leihmutterschaft widerspricht der Kinderkonvention und der Menschenwürde. Im Kontext des »baby business« wird nach Geschlecht und Behinderung selektiert, das Selbstbestimmungsrecht der Frau wird mit Füßen getreten. Experten sprechen auch von Menschenhandel.

Bisher galten Freiheitsrechte als Abwehrrechte, nun breitet sich die Auslegung aus, das Recht auf künstliche Fortpflanzung sei ein Anspruchsrecht. Doch das ist eine politische Interpretation, die man nicht gutheißen muss, denn so wird Fortpflanzungsmedizin zur Wunschmedizin. Grundrechte sind zu respektieren und das Diskriminierungsverbot einzuhalten, doch der Kinderwunsch steht als Konsumhaltung zu stark im Vordergrund. Bei aller Empathie für die Sehnsucht: Es gibt kein Recht auf ein Kind, auch nicht auf ein gesundes Kind, weder auf einen Buben noch auf ein Mädchen. Kinder hingegen haben ein relatives Recht auf beide Eltern und ein Recht auf Kenntnis ihrer Herkunft. Sie haben ein Recht, nicht gegen Geld gehandelt zu werden, und ein Recht auf Schutz vor und nach der Geburt.

Menschen, die kinderlos bleiben, sind entweder »egoistische Karrieremenschen«, »amoralisch« oder werden ob ihres Mangels bemitleidet, besonders trifft das Frauen. Ohne eigene Kinder verpasse man Existenzielles. Die Norm ist die Elternschaft mit genetisch eigenen Kindern, auch in den »modernen« Familien. Hier wird einem Biologismus gehuldigt, den man sonst für vernachlässigbar hält. Ein kinderloses Leben bedeutet keineswegs ein Leben ohne Kinder. Man muss nicht immer alles selbst haben, um Anteil nehmen zu können. Im Wissen um verwaiste, benachteiligte Kinder befremdet dieser unbedingte Wille nach eigenen Kindern. Verzicht ist jedoch negativ besetzt. Auch den Lauf des Lebens anzunehmen, einzusehen, dass sich Wesentliches unserer Kontrolle entzieht, wird als altmodisch belächelt. Vorgaben werden nicht mehr akzeptiert, sondern müssen mithilfe von Technik und Medizin geändert werden. Wenn man sich dem »Schicksal fügt«, wird einem flugs die Dornenkrone aufgesetzt. Fatalistisch verharre man in Leid und Unglück. Ein Schicksal annehmen kann in diesem Denken nur eine Opferhaltung sein. Es ist aber nicht nötig, in dieser zugewiesenen Opferrolle zu verweilen, man kann sich dem zuwenden, was ist, und aufhören zu bedauern, was nicht ist. Doch so banal es ist, so wenig wird es akzeptiert: Nicht alles ist möglich, nicht jeder Wunsch ist erfüllbar.

Wir meinen frei zu sein, aber mit dem Kontrollwahn und der Konsumhaltung unterliegen wir äußeren Zwängen und sind alles andere als souverän. Eine feindselige Haltung gegenüber dem Körper hat sich breitgemacht: Alter, Krankheit, Behinderung, Unfruchtbarkeit – alle diese Zumutungen müssen weg. Doch die permanente narzisstische Kränkung, die Vergänglichkeit und die Hinfälligkeit, werden wir nicht loswerden. Unveränderlich ist auch, dass menschliches Leben aus einer Ei- und einer Samenzelle entsteht. Sie gehören zu Menschen aus Fleisch und Blut. Das muss nicht zentrale Bedeutung haben. Aber es hat Bedeutung. Der Tod ist die finale Grenze, die verschiebbar, aber nicht aufhebbar ist. Dass wir das wie verrückt versuchen, ist die Grundlage für die herrschende Machbarkeitsideologie.

Es ist zu wenig, aus Prinzip gegen neue Technologien zu sein. Insofern geht es in erster Linie nicht darum, ob Methoden rigoros verboten oder freizügig erlaubt werden, das wahre Problem ist der Diskurs darüber. In der politischen Mitte ist derzeit Beschönigen und Verharmlosen en vogue. Kritiker werden diffamiert und in ein Eck gestellt. Halbwahrheiten werden auch von Experten verbreitet: dass die Eizellspende oder Leihmutterschaft auch nur »altruistisch« möglich sei; dass es bei der Präimplantationsdiagnostik nur um die Auslese von nicht-lebensfähigen Embryonen und nur um Leidvermeidung gehe. Auch wenn es derzeit bloße Utopie ist: Die Kommerzialisierung von Eizellspenden und der Leihmutterschaft ist nur mit einem internationalen Verbot ansatzweise vermeidbar. Angesichts des globalisierten Marktes ist das Gerede vom hehren Altruismus schlichtweg Unsinn, ebenso die Beschwörung, die PID bleibe nur »in engen Grenzen« erlaubt.

Zu klären ist, wohin die Reise gehen soll. Welches Menschenbild wird forciert? Worauf haben wir ein Recht, und wo gibt es Grenzen? Steht Gleichstellung über allem und zu welchem Preis? Im Zweifel für die mühsam errungene Freiheit des Einzelnen, aber wo endet diese Freiheit? Nur weil bestimmte Methoden erlaubt sind, müssen sie nicht ethisch legitim sein. Grundfragen sind letztlich nicht allein mit Gerichtsurteilen und Studien zu lösen. Wir sind aber denkfaul geworden. Hauptsache, man ist auf der richtigen Seite, sprich: bei der Mehrheit, beim Mainstream. Atemberaubend schnell bilden sich viele eine Meinung, ohne einer Sache auf den Grund zu gehen, Ansichten werden in sozialen Foren hingerotzt. Grautöne passen nicht in die schwarzen und weißen Schubladen.

Dabei könnten wir uns an die große Philosophin Hannah Arendt halten: »Ich habe großes Vertrauen in Lessings ›Selbst denken‹, für das meiner Meinung nach keine Ideologie, keine öffentliche Meinung und keine Überzeugung ein Ersatz sein kann.« Denken bedeutet eben nicht, Standpunkte einfach zu übernehmen, sie wahllos zu konsumieren. Es ist unerlässlich, fundierte Informationen zu haben, die mit bestem Wissen und Gewissen ausgewählt, eingeordnet und kommentiert werden. Mein Leitsatz war stets: »Moralische Empörung verhindert Erkenntnis« – ganz im Sinne von Bertolt Brecht, der dem analytischen Zugang vor dem rein moralischen den Vorzug gegeben hat. Das ist sehr schwierig bei dem Thema, aber es ist wichtig, stets eine Balance zwischen Freiheit und ihren Grenzen zu finden. Das Abwägen und Widersprechen sind kulturelle Errungenschaften und ein unverbrüchlicher Schatz der Aufklärung. Es kann keinen Weg zurück zu absoluten, moralischen Instanzen geben. Das gegenwärtige Drama besteht aber darin, dass wir mit diesem freien Geist nicht umgehen können. Er paart sich mit Konsumdenken und Eigennutz. Wesentlich wäre, sich zu einer ethischen Haltung zu bekennen, aus menschlicher Reife heraus zu spüren, wann Grenzen erreicht sind. Voraussetzung dafür ist aber nicht nur Aktion, sondern auch Besinnung.

Ich versuche klare Grenzen zu ziehen – in einem gesellschaftspolitisch heiß umkämpften Terrain. Manche Grenzen sind unumstößlich, einige müssen auch verschiebbar sein, aber die Gründe dafür müssen wohl überlegt und verantwortungsvoll sein. Viele Grenzen werden heute jedoch aus ökonomischen und egoistischen Gründen aufgehoben. Ich möchte in unserer hyperzivilisierten, hyperventilierenden und egozentrischen »Ersten Welt« zum Innehalten und zum Nachdenken auffordern. Mit ein bisschen weniger »Wir-sind-ja-so-politisch-korrekt-und-deshalb-ist-doch-alles-gut«-Getue wäre schon viel erreicht.

Beim Thema Reproduktionsmedizin eine skeptische bis ablehnende Haltung einzunehmen, ist derzeit nicht opportun. Es ist ein Drahtseilakt, sich nicht von Lobbygruppen leiten zu lassen und den Fragen wirklich auf den Grund zu gehen. Mein Anliegen ist, einen Weg durch komplexes Gelände zu gehen und einen deutlichen Einspruch zu gängigen Darstellungen zu deponieren. Es ist eine Gratwanderung, aber sie schreckt mich nicht.

KINDERWUNSCH UND WIRKLICHKEIT

Sei was du bist

Gib was du hast

Rose Ausländer

Gewollte Kinderlosigkeit ist in unseren Breiten kein Grund mehr, dass man gesellschaftlich geächtet wird. Doch besonders Frauen haben mit Unverständnis zu kämpfen und stehen unter Rechtfertigungsdruck. Sie müssen eine Antwort auf die wiederkehrende Fragen geben: »Warum hast du keine Kinder?«

Ungewollt kinderlos zu sein, das kann und darf schon gar nicht sein: Denn wenn man will, dann kann man auch, so die Überzeugung vieler angesichts der Fortpflanzungsmedizin. Besonders Frauen schultern jahrelange Belastungen, investieren Unmengen an Geld, um den Makel zu beseitigen.

Es gibt zahllose Bücher über ungewollte Kinderlosigkeit, über die Wege zum Kind, über die inflationäre Debatte der Vereinbarkeitsfrage und unendlich viele Bücher über die allerbeste Kinderaufzucht, doch eine öde Wüste breitet sich aus bei Büchern und Artikeln über jene Menschen, die gerne Kinder gehabt hätten, aber deren Leben andere Wege ging, denen die Medizin nicht helfen konnte. Das ist ein Tabu, auch deshalb, weil sie sich nicht für die Werbung von Medizin und Forschung eignen. Es ist ein Problem, dass diese Frauen und Männer unsichtbar bleiben, weil all jenen, die in der erfolglosen Endlosschleife in der Klinik hängen, schlichtweg die Vorbilder fehlen, jene, die sich vom Kinderwunsch verabschiedet haben und ein gutes Leben führen. »Ungestillte Sehnsucht« von Millay Hyatt oder »Ich bin eine Frau ohne Kinder« von Susanne Zehetbauer sind rühmliche Ausnahmen. Der Titel ist ein Bürsten gegen den Strich: Eine Frau ist eine Frau, eben ohne Kinder. Dass das klargestellt werden muss, ist traurig genug.

Autorin Claudia Fuchs schreibt in der Berliner Zeitung: »Ich bin inzwischen ungemein verletzlich, sensibel und dünnhäutig, wenn es um das Thema geht. Vielleicht, weil ich mich nach all den Behandlungen der vergangenen Jahre verändert habe; vermutlich aber vor allem, weil ich nicht das werden kann, was die Evolution jeder Frau zugedacht hat: Mutter.« Doch »die Evolution« hat nicht jeder Frau zugedacht, Mutter zu werden. Sie hat auch einigen zugedacht, unfruchtbar zu sein. Doch das darf nicht sein: »Das ist wie ein Lottosechser, nein, wie 20 Lottosechser. Dass das uns passiert ist und nicht anderen, sondern uns. Ein Kind kannst du nicht ersetzen, durch gar nichts«, ist sich eine Frau sicher, die nach mehreren Versuchen endlich schwanger geworden ist. Da es offenbar nichts Schöneres gibt, als einem Kind das Leben zu schenken, und man sich damit von Unglücksraben, die ohne »Lottosechser« auskommen müssen, abgrenzen kann, wird die Erfüllung des Kinderwunsches fraglos jeder Unterstützung würdig betrachtet.

Die Reproduktionsmedizin hat ihr tabuisiertes Terrain verlassen und sich in der öffentlichen Debatte zur einzig propagierten Methode gegen Kinderlosigkeit gemausert. Dabei wird der Kinderwunsch legitimiert als Ruf der Natur, den man nicht überhören könne. Muttersein ist offenbar das Nonplusultra, doch damit wird ein kinderloses Dasein entwertet: Eine Frau wird erst dann eine richtige Frau, wenn sie Mutter ist. Kinder tragen überhaupt zur Menschwerdung bei: »Mich gegen Kinder zu entscheiden, nur weil ich in der Politik eine Spitzenfunktion ausübe, wäre mir vollkommen verrückt vorgekommen. Für mich gehört das zum Menschsein dazu«, so Grünen-Chefin Eva Glawischnig. Die Publizistin Christiane Grefe fragt zu Recht: »Ist Kinderkriegen jetzt zur einzig möglichen Form geworden, gesellschaftlich nützlich zu sein?«

Es gibt heute viele Optionen für eine Frau: Sie kann Mutter werden, kinderlos bleiben, beruflich reüssieren oder auch nicht. Dennoch werden diese Wege höchst unterschiedlich bewertet. Mutterschaft wird überbewertet, natürlich in Kombination mit einem erfolgreichen Berufsleben. Nur einen Konzern zu führen, Ministerin zu sein oder hochgelobte Künstlerin – das reicht nicht, auch nicht, nur Mutter zu sein. Leider sehen sich Frauen auch selbst oft so. Es ist also ein reales Gefühl, gesellschaftlich verstärkt. Hannelore Elsner, die mit 40 Mutter wurde, sagt: »Und wenn ich kein Kind gekriegt hätte, hätte ich kein Kind gekriegt. Ich habe immer gesagt, es ist eine Gnade für kinderlose Frauen, dass sie nicht wissen, was sie versäumt haben.« Mütter wissen aber auch nicht, was sie versäumen. Das mag sich seltsam anhören, aber in der ungewollten Kinderlosigkeit liegen Potenziale, die vielleicht nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Nicht nur Kinder fordern uns heraus, an den Kern unseres Wesens zu kommen, sondern auch das Fehlen von Kindern. Wenn Weiblichkeit so massiv mit Gebären, Schwangerschaft und Kindern verbunden wird, ist die ältere Frau nach der Menopause ebenso »defizitär«. Auch Mütter müssen sich später von der Fruchtbarkeit und vom Kinderkriegen verabschieden. Kinderlosigkeit aus welchen Gründen auch immer als Defizit anzusehen, ist eine biblische Denkweise. »Schaffe mir Kinder, wo nicht, so sterbe ich!«, schrie Rahel ihre Schmach und Verzweiflung im Alten Testament hinaus. In der Medizin ist eine »Nullipara« eine Frau, die (noch) keine Kinder geboren hat. Der Begriff verweist auf eine Leere, auf ein Nichts. Dort, wo ein Kind sein sollte, ist eine Null.

Über die allgemeine Verklärung kann man nur staunen: Frauen, die mit medizinischer Hilfe endlich ihre »Wunschkinder« in den Armen halten, sprechen von »der schönsten Sache im Leben«, vom »absoluten Glück«, die Petrischalen, in denen die Eizelle befruchtet wird, sind plötzlich »wunderschön«. Das hat damit zu tun, dass Ambivalenzen der Elternschaft ignoriert werden, wenn sich der Kindersegen nicht selbstverständlich einstellt: Frustration, Entfremdung, Schuldgefühle, Erschöpfung. Ganz normale Vorbehalte gegen ein Kind und das eigene Wohl werden weggeschoben. Kinder sind nicht immer das größte Glück auf Erden. Sie müssen das auch nicht sein, dieser Anspruch ist eine Überforderung nicht nur der lieben Kleinen, sondern auch der Eltern. Dass Kinder auch anstrengend sind, weiß jeder, der mit einem Tobsuchtsanfall eines Dreijährigen im überfüllten Zugabteil zu kämpfen hat oder mit einer 14-Jährigen, die bei jedem unbedachten Wort sensibel reagiert. Kinder können einen »bis aufs Blut« reizen, wie es eine dreifache Mutter formuliert.

Die hochgehaltene Familienidylle führt dann zu zwar ironischen, aber auch überzogenen Büchern wie »Kinderkacke. Das ehrliche Elternbuch«, wo die Eltern wegen zwei Kindern am Rande des Nervenzusammenbruchs agieren. Wenn laut Soziologen die größte Befürchtung die Einschränkung der persönlichen Freiheit ist, dann ist der vorübergehende Verzicht darauf umso schlimmer. Eine Geburt sei wie Stalingrad, das Leben mit einem Baby der »reine Frondienst«, schreiben die Autoren. Eltern seien »Bedürfnisbefriedigungsautomaten«, eine Mutter ein »dauerstillender, kontaktarmer und humorloser Zombie«. Und mit dem »aufregenden Sex« sei es für einige Zeit vorbei. So amüsant die Lektüre auch hin und wieder ist, fragt man sich doch, was für idyllische Vorstellungen herumgeistern! Ehrlicher ist da schon, wenn ein dreifacher Familienvater im Wirtshaus mit Blick auf den Nebentisch, an dem ein Baby unermüdlich schreit, sagt: »Ich bin ja so froh, dass das vorbei ist«. Seine Frau schmunzelt und nickt.

Der Kinderwunsch wird intensiver, je weniger er erfüllbar erscheint. Daraus kann sich eine veritable Lebenskrise entwickeln. Ein Kind zu haben kann sinnstiftend und für das eigene Leben bedeutungsvoll sein, sich fortpflanzen zu können ist ein elementares, psychosoziales Grundbedürfnis. Kinderlosigkeit könne insofern eine bedrohliche Erfahrung sein, meint die Therapeutin Gisela Zeller-Steinbrich. Doch zwangsläufig müsse das nicht sein: »Tiefgreifender Verzicht und Veränderungen in der Lebensperspektive sind Gegebenheiten, die in der Regel gemeistert werden können und oft mit persönlichem Gewinn gemeistert werden.« Dieser Verzicht sei ebenso wenig »identitätszerstörend« wie eine andere Einschränkung.

Unfruchtbarkeit ist auch eine Kränkung des Selbstwertgefühls. Doris Müller, die nach einer Krebsbehandlung eine Eizellspende im Ausland in Anspruch genommen hat (sie betreibt den Blog eizellspende.me), spricht gar vom »Suchtfaktor Kind« und meint: »Niemand, der es nicht selbst erlebt hat, weiß, wie schmerzvoll und endgültig das Wissen ist, keine eigenen Kinder bekommen zu können. Die Schwangerschaft war eine Erlösung. Als ich nicht schwanger werden konnte, fühlte ich mich als Frau unzulänglich, wie ein Mängelexemplar.« Ist unsere Sicht auf kinderlose Frauen tatsächlich so gnadenlos, ist die Sicht auf sich selbst so verachtend? Im Umkehrschluss ist ein Leben mit Kindern also nie mangelhaft, alles ist rund und ganz? Es kommt wohl darauf an, was man vom Leben erwartet, aber letztlich bleiben in jedem Leben Defizite. Niemand kann sich alle Wünsche erfüllen, immer bleibt ein Teil ungelebt. Vielleicht gibt es ein paar Glückliche, die bis ins hohe Alter gesund und munter bleiben und tatsächlich mehrere Leben in einem unterbringen. Aber ist so das Leben – möglichst viel darin unterzubringen?

»Der Kinderwunsch ist eine mächtige Triebfeder. Wenn auf diesen intensiven Wunsch die Angebote von gewinnorientierten Fortpflanzungsmedizinern treffen, kann das zu einer brisanten Mischung führen«, sagt der Kinderrechtsexperte Helmut Sax. Die Journalistin Susanne Fischer ist mit 43 Jahren zum ersten Mal Mutter geworden und hat ein Buch darüber geschrieben. Im Klappentext heißt es: »Eine der großen Fragen des Lebens: Wann ist der richtige Zeitpunkt für ein Kind?« Abgesehen davon, dass diese Frage erst seit einigen Jahrzehnten gestellt wird, ist es etwas vermessen, sie zu den großen Fragen des Lebens zu erklären. Kinder zu haben im Allgemeinen ist eine große Frage. Sie meint auch, sie habe die Welt gesehen, nun mit über 40 habe sie nicht mehr das Gefühl, etwas zu verpassen wie jüngere Mütter. Mutterschaft als unbedingte, universale Lebenserfahrung, die jede gemacht haben sollte, die uns alle eint – nur so schöpft die Frau alle ihre Möglichkeiten aus und macht die »allergrößte Erfahrung« im Leben. Das mag alles zutreffen, doch ich stelle mir die Frage, wieso quälen sich Menschen mit dem Gefühl, »etwas zu verpassen«? Man wird in seinem mehr oder weniger langen Leben sogar sehr viel verpassen, auch viele »allergrößte« Erfahrungen. Es ist besser, das zu akzeptieren, als zu glauben, man könne alles in diesen Windhauch von Leben pressen. Vor allem ist das eine Anspruchshaltung, die uns verwöhnte Wohlhabende der reichen Länder auszeichnet. Was verpassen denn all die Millionen Armen auf unserer Erde?

Susanne Fischer erzählt von einer Frau, die jahrelang mit einem Mann zusammen war und sich mit 38 getrennt hatte, weil er keine Kinder wollte. »Obwohl ich ihn noch geliebt habe. Aber was nützt mir das, wenn er sich weigert, dieses mir so wichtige Thema jetzt mit mir anzugehen?« Ja, was nützt einem schon die Liebe? Dann wurde sie schwanger, doch die Schwangerschaft endete frühzeitig, es folgten Jahre in Kliniken, bis sie mit 44 einsehen musste, dass es mit ihrem Kinderwunsch nichts mehr werden würde: »Eine grauenhafte Erkenntnis!« Keine Kinder zu haben ist eine große Tragödie. Die Reproduktionsmedizin präsentiert sich angesichts dieses Drucks als heilende und ideologiefreie Disziplin. Die Mediziner betonen, doch nur unglücklichen Paaren zu helfen. Das tun sie auch, doch die Unfruchtbarkeit können sie nur umgehen, nicht heilen. Die Branche hat zudem nicht nur auf Bedarf reagiert, sondern den Kinderwunsch mit hervorgebracht und ihn verstärkt. Ohne sie wäre der Wunsch nach leiblichen Kindern von unfruchtbaren Menschen, homosexuellen Paaren oder alleinstehenden Menschen zwar ein Wunsch, aber einer, der nicht zu erfüllen ist, zumindest nicht technisch. Die so hilfsbereite Reproduktionsmedizin kann nicht allen helfen, verdient aber mit jedem Fall viel Geld.

Indem immer mehr Methoden legalisiert werden, indem Rechte für alle eingefordert werden, entsteht auch ein Imperativ. Eine Frau erscheint dumm, schicksalsergeben, wenn sie nicht alle Chancen nutzt. Sie hat nun den Druck, etwas tun zu müssen, wo sie häufig nichts tun kann, außer loslassen. Keine hat mehr eine Ausrede für ihre Trauer wegen ungewollter Kinderlosigkeit. So scheint es auch schwieriger zu sein, zu einer Entsagung zu stehen. Schmerz und Trauer sind doch so einfach vermeidbar, wozu Trübsal blasen, wenn es Präimplantationsdiagnostik, Eizellspende und Leihmütter gibt? Kinderlosigkeit wird so zur Zumutung und zum Krankheitssymptom, das behandelt werden muss. Wer verdient daran, dass sich dieses Konzept so erfolgreich durchgesetzt hat? Wer profitiert politisch? Diese Fragen werden viel zu wenig gestellt, weil alle nur die Kinderlosigkeit bedauern. Es kommt aber darauf an, wie der Kinderwunsch gesellschaftlich bewertet wird, denn er ist meistens nicht einfach abwesend oder anwesend, sondern ambivalent.

Weil in unserem Leben so viel geplant, abgesichert, kontrolliert wird, verkommt die Fortpflanzung neben dem unausweichlichen Tod zur einzigen existenziellen Erfahrung. Der Glaube an die technische Machbarkeit hat sich tief eingegraben und hält sich hartnäckig. Eine Grenzziehung ist unter diesen Umständen schwierig, sowohl für die Einzelnen, aber auch zunehmend für den Gesetzgeber. Die Kliniken heben die Schwangerschaftsraten hervor, weniger breitgetreten wird, dass viele Patienten kinderlos bleiben: Laut dem IVF-Jahresbericht 2014 des Gesundheitsministeriums betrug die Baby-Take-Home-Rate im Jahr 2013 nur 28 Prozent. In absoluten Zahlen: 2013 wurden 6927 Zyklen durchgeführt, daraus ergaben sich 2338 Schwangerschaften, am Ende kamen 1998 Kinder zur Welt.

Die Mehrheit der Paare hat also nur viel Geld, Schmerzen, Nerven und Zeit investiert. Eine berauschende Erfolgsbilanz ist das nicht für eine Technik, die bereits mehr als 30 Jahre angewandt wird. Kritiker weisen unermüdlich darauf hin, werden aber kaum gehört. Die ART-Branche (Assisted Reproductive Technologies) mit ihren Erfolgsmeldungen ist da medial wesentlich erfolgreicher. Doch die Reproduktionsmedizin und – mit ihr eng verbunden – die Genetik sind nicht nur von Ärzten getragen, die verantwortungsbewusst und human handeln, sondern weisen alle Merkmale eines wachsenden Marktes auf. Kinder werden dabei verzweckt, und der Zweck heiligt alle Mittel. Auch wenn es darum geht, liberale Gesetze durchzusetzen.

Kinderkriegen ist nicht mehr selbstverständlich, heißt es bedauernd angesichts der vielen ART-Patienten. Zunehmende Unfruchtbarkeit sei ein Befund, doch es hat sich auch deshalb so entwickelt, weil wir Kinder nicht mehr selbstverständlich annehmen. Verhütungsmittel und Schwangerschaftsabbruch haben bei allen unbestreitbaren Vorteilen auch dazu geführt, dass der Kinderwunsch spät, oft zu spät, umgesetzt wird und dass Kinder völlig planbar erscheinen. Und es hat paradoxerweise dazu geführt, dass das Kind, das zuerst auf keinen Fall kommen darf, dann, wenn es kommen darf, im absoluten Mittelpunkt steht. Die Familiengründung wird nicht nur deshalb verschoben, weil die Vereinbarkeit mit dem Beruf so schwierig ist, sondern weil Kinder auch Kontrollverlust, Hingabe, Verzicht bedeuten, weil sich durch sie der Körper der Frauen verändert, den sie mühevoll schlank und rank gehalten haben. Kinder sind ein Zeichen für das eigene Altern, dafür, dass eine neue Generation nachrückt. Lauter Dinge, die nicht auf große Begeisterung stoßen. Die älteren Paare, die dann doch noch Kinder haben wollen, stellen zunehmend die Hauptklientel der Kliniken, die nicht mehr Fertilitätskliniken heißen, sondern sich »Kinderwunschkliniken« nennen. Es ist also nicht nur klassische Unfruchtbarkeit, die hinter dieser Entwicklung steht, sondern das Alter und die normal abnehmende Fruchtbarkeit. Das ist keine Krankheit, sondern der Lauf der Dinge, der mithilfe der Medizin ausgehebelt werden soll.

ICH WILL. ICH KANN

Der Siegeszug der Technologie ist begleitet von liberalen Gesetzen und von Machbarkeitsdenken. Während die frühere Disziplinargesellschaft bestimmt gewesen sei von Verbot und Zwang, dem »Nicht-Dürfen«, schreibt der Philosoph Byung-Chul Han, entledige sich die heutige Leistungsgesellschaft der Verbote. Nun gelte das »entgrenzte Können«. Doch die Freiheit des Könnens erzeuge mehr Zwänge, denn das Soll hat eine Grenze, das Kann dagegen keine, schreibt Han. »Glaube an dich selbst, alles ist möglich, du kannst sein und werden, was du willst«, sind die Mantras dieser neuen Religion. Die Experten sind die neuen Gurus, Ratgeberbücher die neuen heiligen Schriften. Nicht nur die Religionen halten Heilsversprechen bereit, auch die säkulare Biomedizin. »Sie ist voll von Glaubensbekenntnissen, Verheißungen, verehrten Autoritäten und Ritualen«, notiert die Ethikerin Angelika Walser. Wir sind es gewohnt, dass unsere Wünsche erfüllt werden. So soll es auch beim Kinderkriegen sein. Durch diesen beständigen Fluss an Erfüllung werden wir immer effizientere Konsumenten in allen Lebensbereichen. Dabei stehen die ökonomischen und egoistischen Interessen im Vordergrund, nicht Verantwortung und Grenzen.

Claudia Fuchs schreibt, sie könne sich mit ihrer Kinderlosigkeit nicht abfinden, ihre Geschichte habe kein »Happy End«. Aber sie sei ja auch noch nicht zu Ende, beeilt sie sich anzufügen. Ein Happy End wäre wohl ein Kind. Wenn über Kinderlosigkeit gesprochen wird, dann über die freiwillige und die vorübergehende, den leidvollen Zustand des Lebens ohne Kinder, bis durch die Medizin alles gut wird. Wenn jedoch Paare die Erfahrung machen, dass es bei ihnen nicht »klappt«, ist das Gefühl des Versagens umso größer. Viele meinen, Fortpflanzung sei nur eine Frage von mehr Anstrengung, mehr Geld und mehr Zeit – ganz so wie man andere Projekte verfolgt. Alles nur eine Frage des Willens. Wie heißt es so schön in unserer Gesellschaft der Macher: Wenn man etwas wirklich will und an sich glaubt, dann erreicht man es. Also hat man eben nicht ausreichend gewollt und geglaubt. Doch dabei übersehen wir die Macht gesellschaftlicher Bedingungen, denn man kann nicht allen Situationen nur mit festem Willen entfliehen. So ist es auch nicht mehr nötig, solidarisch zu sein. Das Brutale an diesem Denken ist, dass auf jene, die »verloren« haben, auch noch mitleidig hinuntergeschaut wird: Selber schuld, da hätte man sich eben noch mehr anstrengen, da hätte man doch alle Chancen nutzen müssen. Kinderlosigkeit ist so zu einem persönlichen Versagen geworden.

Die Wunscherfüllung, die die Reproduktionsmedizin verspricht, ändert unser Denken. Kinder zu bekommen wird zur Obsession, zu einem tollkühnen Unterfangen, zu einer einzig großartigen Aufgabe. Die Überfrachtung ist maßlos. Tauchen Trauer und Wehmut auf, hält das weder das betroffene Paar aus noch sein Umfeld. Quälend suchen viele die Schuld bei sich selbst, beim Körper, bei »falschen« Entscheidungen, anstatt anzunehmen, dass bei aller Machbarkeit Grenzen existieren. Wenn Kinder zu haben eine Option ist, ein Ziel, das mit starkem Willen zu erreichen ist, verstellt dies den Blick darauf, dass reale Entscheidungsmöglichkeiten beschnitten sind. Eltern hätten die Wahlfreiheit, Kinder zu Hause zu betreuen, Angehörige hätten die Wahl, alte Menschen zu pflegen oder eben zu arbeiten, die Kinder in die Krabbelstube, die Alten ins Heim. Ein schönes Märchen, erzählt von jenen, die predigen, wie teuer uns der Sozialstaat kommt und dass wir uns das alles nicht mehr leisten können – während Unsummen für anderes ausgegeben werden, wie Rettung von Banken, Waffen, Honorare für Lobbyisten.

EGOISTISCHER KINDERWUNSCH

Kinderlose seien egoistisch, hedonistisch, gefährden die sozialen Systeme, heißt es. Die Geburtenraten in den Industrienationen sind für viele alarmierend niedrig, Kinderlosigkeit sei ein »Massenphänomen in den Großstädten«. Die Zukunft erscheint düster. Vielleicht glauben viele, dass nicht Tierarten verschwinden, sondern die Menschheit vor dem Aussterben steht. Der Arzt Jan-Steffen Krüssel bekrittelt: »Wir prangern die Veralterung der Gesellschaft an, dabei könnten wir 10.000 Babys mehr auf die Welt bringen« – wenn die Gesetze liberaler wären, wenn es mehr finanzielle Stütze gäbe. Eine TV-Moderatorin fragt, ob wir »lieber aussterben« wollen, als lesbischen Paaren auch ein Kind zu gewähren. Diese Frage stellt sich überhaupt nicht, wenn man nur einen Blick über den Gartenzaun wagt. Um die Geburtenrate müssen wir uns keine so großen Sorgen machen: Weltweit liegt sie bei 2,5 Kindern pro Frau. Pro Tag werden 210.000 Babys geboren. Wachstum ist zwar unser Fetisch, in sämtlichen Bereichen. So soll auch die Bevölkerung stetig wachsen, aber natürlich nur in Europa und nicht in Afrika! Keinem Land kann die Geburtenrate gleichgültig sein. Doch die Befürchtungen sind völlig überzogen. Laut Eurostat leben in der EU mehr als 500 Millionen Menschen. Die Bevölkerung ist seit 1960 durch Geburten und Zuwanderung um 100 Millionen gestiegen. 2013 wurden mehr als fünf Millionen Kinder geboren. Aussagen wie jene der Autorin Susanne Fischer, dass wir in einer »an Kindern immer ärmeren Welt« leben, sind eurozentrisch. Nur weil die Geburtenraten in vielen EU-Staaten sinken oder stagnieren, ist die Welt nicht arm an Kindern. Der Demograf Wolfgang Lutz geht davon aus, dass bis 2100 neun Milliarden Menschen auf der Erde leben werden. Die UNO zeichnet ein dramatischeres Bild und spricht von elf Milliarden.

Wenn ich in Gesprächen anmerke, Kinder haben zu wollen könne auch egoistisch sein, erlebe ich oft Reaktionen wie jene von Grünenpolitiker Marco Schreuder: »Bitte, was ist daran egoistisch, wenn man ein Kind in die Welt setzen will, wenn man Zeit, Geld und Liebe investiert? Ich finde dieses Argument unerträglich. Auch die Aussage, man wolle ›ein Kind um jeden Preis‹, das macht mich wütend.« Auch wenn es ihn wütend macht: Bewusste oder unbewusste Motive – eine Schwangerschaft und Geburt erleben, sich ganz als Frau sehen, die Weitergabe der eigenen Gene, das Kind als Beziehungskitt –, die beim Kinderwunsch mitschwingen können, sind nicht völlig selbstlos. Eltern können sich wichtig fühlen, erleben bedingungslose Liebe. Die Frage nach dem Sinn ist schneller beantwortet als bei Kinderlosen. Ohne diese Belohnung, auch durch Glücks- und Bindungshormone, die den Körper fluten, würden die Strapazen von Schwangerschaft, Geburt und Kinderaufzucht oft wohl nicht auf sich genommen werden. Selbstverständlich ist ein Kinderwunsch nicht uneigennützig, kein Kind wird aus reiner Barmherzigkeit gewünscht. Am ehesten trifft das noch auf Adoptiv- oder Pflegeeltern zu. Doch oft redet man vom Kinderwunsch und meint den Wunsch, Vater oder Mutter zu werden. Die Gründe sind völlig legitim, doch offenbar ist es nötig, den Egoismus dabei zu kaschieren und idyllische Motive vorzuschieben. Besonders empfindlich reagieren derzeit Homosexuelle, weil ihr Kinderwunsch von vielen nicht akzeptiert wird. Ihnen wird gerne unterstellt, sie frönen nur der Selbstverwirklichung. Das ist nun mal auch ein Motiv heutzutage, ganz egal, ob hetero- oder homosexuell. Der egozentrische Aspekt beim Kinderwunsch ist nicht so leicht zur Seite zu schieben. Das merkt man auch, wenn man auf die vielen Kinder hinweist, die zu kurz kommen, um die sich niemand kümmert. Doch das zu sagen ist verpönt, der Wunsch nach dem genetisch eigenen Kind ist sakrosankt.

Wenn sich freiwillig Kinderlose aus der Deckung trauen, kassieren sie nicht selten wüste Beschimpfungen. Die Moderatorin Sarah Kuttner hat sich erdreistet, im Fernsehen zu bekennen: »Ich will keine Kinder.« Nach einer Schrecksekunde fragte der Musiker Aki Bosse: »Aber warum denn?« Kuttner: »Ich find’ Kinder irgendwie doof. Mich interessieren die nicht. Ich müsste anfangen, früh aufzustehen für ein Kind. Möcht’ ich nicht machen.« Sie würden Kinder nicht berühren, »dann sollte ich wohl auch keins machen, oder?« Der Shitstorm ließ nicht lange auf sich warten. Sie sei egoistisch und kreise nur um sich selbst. In einem offenen Brief schrieb eine »Frau Mutter« beleidigt, sie hätte erst jetzt Zeit gefunden, ihr zu schreiben, weil sie aufstehen und sich um ihre Kinder kümmern müsse. In einem Artikel fragte eine Autorin ernsthaft, was Kuttner wohl mit »doof« gemeint habe und ob sie wirklich nichts mit Kindern anfangen könne? Offenbar nicht vorstellbar für sie. Die Aussage von Kuttner war flapsig, aber ehrlich und akzeptabel. Dass nur Kinderlose dem Egoismus huldigen, keinesfalls aber Eltern, ist ja bereits ein Ladenhüter in der Argumentation, dass man aber keinesfalls sagen darf, Kinder nicht zu mögen, ist bemerkenswert. Insgeheim werden gewollt Kinderlose wohl auch beneidet, wie die Aggressivität, die ihnen entgegenschlägt, verrät. Es geht bei dieser Entscheidung aber auch nicht nur darum, wie Autorin Sarah Diehl meint, ob ich mit oder ohne Kinder glücklicher bin und eher meine Ziele verfolgen kann. So als gäbe es nur rationale Entscheidungen, keine unbewussten Motive. Zudem dreht sich auch hier alles um das eigene Ego, ob ich glücklicher bin, ob ich besser oder schlechter meine Ziele verfolgen kann. Es soll die Illusion aufrechterhalten werden, dass wir alles selbst bestimmen, sowohl die Elternrolle als auch die Kinderlosigkeit. Frauen wird vorgegaukelt, dass sie die freie Wahl hätten, keine Kinder zu bekommen, doch in Wirklichkeit reagieren viele schroff. Claudia Fuchs fackelt nicht lange herum: »Kinderwollen ist blanker Egoismus, ich bin da nicht anders. Ich will ein Kind, weil ich es will – und nicht, damit es Deutschland besser geht.« Wenn Kinder dann da sind, bedeuten sie ohnehin nicht nur die Erfüllung, sondern auch Verzicht. Egoismus ist dann erst mal abgesagt.

Auf Websites tauschen sich »Kinderwunschpatienten« über Follikelpunktion, Hormone, Kliniken und Eizellspenden aus, und darüber, wie unerträglich es sei, andere glücklich mit ihren Kindern zu sehen. Wenn Kinderlose in der Phase voller Schmerz und Sehnsucht stecken, kann das scheinbar ungetrübte Familienglück wirklich zum Davonlaufen sein. Wie die Bilder wirken, zeigt ein Satz von Autorin Fuchs: »Das Unglück sehe ich nie, ich sehe nur das Glück. Und das haben immer die anderen.« Nur sein Unglück zu sehen heißt auch, nicht trauern und loslassen zu können. Vielleicht sollte sie mal länger bei den Familien bleiben, den Schmerz aushalten. Zum Trost: Er wird gewiss nachlassen, wenn man länger miterlebt, wie viel Mühe, Nerven und Zeit Kinder auch kosten. Zu empfehlen sind besonders kinderreiche Familien, da geht es immer rund, es herrschen Unruhe und Geschrei. Das ist nicht immer lustig, auch wenn die Kulleraugen und Pausbacken der Kinder noch so süß sind.

Familien nehmen viel Raum ein. Sie kommen in ihren Familienkutschen daher und als Kinderlose rückt man schnell an den Rand, ohne dass es irgendwer merkt, weil alle vollauf mit ihrem herumwuselnden Nachwuchs beschäftigt sind und nur noch ein Thema haben: ihre Kinder. Familien bedeuten Macht, Anerkennung und Rückhalt. Da ist es kein Wunder, dass Kinderlose Familien oft meiden, weil sie im Vergleich dazu so »klein und wenig« sind. Es kann vernichtend sein, allein und kinderlos zu sein, besonders bei Familientreffen. Doch die Kluft zwischen den Welten der Kinderlosen und der Familien ist auch ein Grund für die Verklärung. Erwachsene haben lange fast nichts mit Kindern zu tun. Dann fehlt banales Wissen über Kinder, der selbstverständliche Umgang mit ihnen. Folglich ist es besser, möglichst viel Zeit mit Kindern zu verbringen: Auch Kinderlose schulen sich im Umgang mit ihnen und erhalten ein realistischeres Bild vom Alltagsleben mit ihnen. Nicht zielführend ist es, Familien und Kinderlose gegeneinander auszuspielen. Familien müssen offener werden, nicht abgeschlossen bleiben in ihrem kleinen, ach so heilen Kreis, Kinderlose müssen, wenn ungewollt, ihre Trauer zulassen und sich mit Familien konfrontieren. Mit ihrer Energie und Zeit können sie kostbare Wegbegleiter werden. Auch Eltern können Kinder nur begleiten und müssen sie wieder gehen lassen. Vielleicht dürfen sie später noch Mentor oder Vertrauter sein, doch es kann auch anders kommen.

Doch zumeist werden Klischees wiedergegeben: hier die lebendige, chaotische, fröhliche Familie, dort die einsamen, durchgestylten, blitzblanken Wohnungen von bedauernswerten Kinderlosen. Der Schauspieler und vierfache Vater Gerhard Kasal beschreibt es: »Ich finde es großartig, mit einer so großen Familie zu wohnen. Es ist immer was los. Ich kenne Wohnungen von Menschen ohne Kinder, da hat man mitunter das Gefühl, dass man schon vor Betreten des Gartens die Schuhe ausziehen muss.« Kinderlose nur frei, unabhängig und verantwortungslos, Eltern erdrückt von Verantwortung, versunken im Chaos? Kuschelweiche Idylle hier, Duft von Freiheit und Abenteuer, aber auch Einsamkeit dort? Das sind Bilder, die mit der Realität nur am Rand etwas zu tun haben. Viele meinen, wenn sie Kinder haben, schützt sie das vor Einsamkeit im Alter. Ganz so muss die Rechnung nicht aufgehen, wie eine Altenpflegerin erzählt: »Freunde kommen eigentlich öfter als die eigenen Kinder. Manche bringen nur ein Geschenk, hallo Papa, und weg sind sie.«

Wir sind alle dafür verantwortlich, dass Kinder gut aufwachsen. Auch wenn es völlig absurd ist, dass eine Mutter mit einem Baby allein dasteht, es ist der Normalzustand. Eltern stoßen an ihre physischen und psychischen Grenzen, weil sie so viel vereinbaren müssen, Kinderlose hätten Raum und Zeit, um zu unterstützen und für die Kinder da zu sein; sie können eine Bereicherung sein mit einer anderen Rolle und einem anderen Lebensstil. Die kinderlose Tante ist keine Erfindung der Moderne, vielmehr ist die enge, exklusive Beziehung zwischen Kind und Eltern erst in der Neuzeit entstanden. Eltern berichten, dass es für sie bereichernd ist, Kontakt zu Kinderlosen zu haben. Dann geht es nicht nur um die Kinder, sondern auch um anderes. Umgekehrt bereichern offene Familien das Leben von Kinderlosen und diese können intensive Beziehungen zu Kindern aufbauen. Kinderlose können sich ebenfalls Gedanken über Kinder und Familie machen, schließlich gehört man ebenso zu einer Familie. Die Perspektive ist eine andere, wenn man von etwas selbst nicht betroffen ist, und diese Außensicht kann hilfreich sein.

EINE FRAGE FÜR FRAUEN: WARUM HABEN SIE KEINE KINDER?

Kinderlose Frauen müssen sich rechtfertigen, sowohl wenn die Kinderlosigkeit gewollt ist, aber zunehmend auch, wenn sie ungewollt ist. Man muss nicht bei seinem unfruchtbaren Ehemann bleiben, wenn es im Netz vor vermeintlichen Traummännern oder Samenspendern nur so wimmelt. Man muss nicht traurig sein, sondern kann eine Eizellspende in Anspruch nehmen. Viele ungewollt Kinderlose finden erst nach jahrelangen inneren Kämpfen zu neuem Selbstbewusstsein – oder auch nicht. Mit dem Thema offen umzugehen ist schwierig. Auch deshalb, weil es ein privates Thema ist, nicht alles muss ans grelle Licht der Öffentlichkeit. Doch kinderlose Frauen werden stets gefragt: »Wieso haben Sie keine Kinder?« »Bereuen Sie es, dass Sie keine Kinder haben?« Die Antwort fällt meistens defensiv aus. Die Autorin Larissa Boehning schreibt in der FAZ von der Kinderlosigkeit als »Komfortzone« im Vergleich zum Elterndasein. »Es ist diese Angst, die uns gut ausgebildeten, selbständigen Frauen zu einer Flucht heraus aus unserer Weiblichkeit animiert. Uns zu Rationalisierungen bringt: Wir reden uns das Kinderkriegen mit allen Mitteln selbst aus. Das hat auch mit fehlenden Rollenvorbildern zu tun. In Deutschland bringen wir keine mächtig-schöne Christine Lagarde hervor, wir haben Frau Merkel. Unsere erste Frau ist ein Neutrum. Kinderlos. Frau Merkel regiert mit größtmöglicher Anzugneutralität und minimalinvasiver Fraulichkeit. Das ist, was ein starkes weibliches Role Model in Deutschland ist. Und was – verrückterweise – Mutti genannt wird. Die Mutti ist in Deutschland eigentlich ein Mann.«

Ein starkes Stück. Dieses diskriminierende Urteil kommt von einer Frau, einer Mutter, die kinderlos mit nicht-weiblich und nicht-mütterlich gleichsetzt. Als ob sich Mütterlichkeit nur durch ein eigenes Kind zeigen könnte. Fruchtbarkeit und Schaffenskraft lediglich dadurch erfüllt zu sehen ist ein äußerst enges Bild. Es soll auch vorkommen, dass Mütter aus ihrer Weiblichkeit flüchten, indem sie auf die Seite der Verführerin, der Unabhängigen vergessen. Doch nur Kinderlosigkeit ist ein Scheitern an der Weiblichkeit. Als Gegenbeispiel nennt die Autorin die aparte Christine Lagarde, geschiedene Mutter zweier erwachsener Söhne. Von ihr hört man, dass sie zwar charmant sei, aber auch knallhart. Also auch »ein Mann«? Merkel ist seit Jahrzehnten skandalfrei verheiratet. Vielleicht konnte sie sich trotz Spitzenkarriere mehr um ihre Beziehung kümmern als Lagarde? Boehning schreibt, dass Kinderlosigkeit heute auch Stress bedeute: »Dann wird die Angst vor dem Verlust meines selbstbestimmten Lebens mit einem Mal kleiner als die Angst davor, dass mir eine der existentiellsten Erfahrungen – die Erfahrung, einem Kind ein Leben zu schenken – hätte verborgen bleiben können.« Dem ist nur noch hinzuzufügen: Auch Kinderlosigkeit ist eine existenzielle Erfahrung, die Eltern verborgen bleibt. Aber genug der Polemik. Das gegenseitige Ausspielen von Eltern und Kinderlosen führt nämlich zu rein gar nichts. Der eine Lebensstil ist nicht besser als der andere, beide haben ihre Berechtigung und Vorteile. Doch Kinderlosigkeit gilt als Abweichung von der Norm, und alles, was von der Norm abweicht, erfährt Missbilligung. »Wenn man keine Kinder hat, obwohl man welche hätte bekommen können, ist man besser ein Mann als eine Frau, besser allein als in einer Beziehung, und man zeigt als Frau besser nicht zu deutlich, dass man ein erfülltes Leben führt«, schreibt die Soziologin Pascale Donati treffend. Insofern ist die Frage berechtigt, ob man nicht eher von Kinderpflicht als von Kinderwunsch sprechen soll.

Eine Mutter, die lange ungewollt kinderlos war und sich damit abgefunden hatte, bis sie unerwartet schwanger wurde, weiß noch genau, wie unangenehm die Fragerei war. »Ich wusste nicht, was ich sagen soll. Man muss sich da immer so festlegen, Mutter oder kinderlos. Wenn man keine Kinder will, ist man quasi eine Kinderhasserin, oder man wird bemitleidet, obwohl es für mich in Ordnung war. Es ist auch eine sehr private Frage.« Die Fragen hören jetzt aber auch nicht auf: »Nun werde ich gefragt, ob ich noch ein zweites Kind will. Aber ich werde das wieder so handhaben wie zuvor: schauen, was passiert. Die Freude ist umso größer, wenn man etwas nicht erzwingen muss, sondern nehmen kann, was kommt.« Die Fragerei betrifft alle Frauen: Bei einem auffälligen Befund nach einem pränatalen Test: »Wollen Sie dieses Kind wirklich?« Eine Mutter von mehreren Kindern: »Warum willst du noch ein Kind?« Bei jungen Frauen: »Willst du wirklich jetzt schon ein Kind?« Bei älteren Frauen: »Wieso wollen Sie jetzt noch ein Kind?« Irgendwie kann man es niemanden recht machen. Die Frauen, die Familie und Beruf zu vereinbaren versuchen, müssen sich auch erklären. Doch diese Gruppe repräsentiert das Ideal. Kinder zu haben oder nicht ist für eine Frau aufgrund Schwangerschaft, Geburt und der nach wie vor hauptsächlich auf ihr lastenden Kinderbetreuung eine wesentlichere Frage als für einen Mann. Trotzdem: Warum werden nicht auch kinderlose Männer gefragt, ob sie es bereuen, einsam, ärmer um eine wichtige Erfahrung geblieben zu sein? Und nie werden Eltern gefragt: »Haben Sie es je bedauert, dass Sie Kinder haben?«

Der Blick auf kinderlose Frauen ist: Opfer der Umstände, ihres fehlenden Willens, ein Beweis für die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder selbst so entschieden. Nicht mehr vorstellbar ist, dass sich Kinderlosigkeit durch verpasste Gelegenheiten, durch das Spiel des Lebens ergeben kann, unbeabsichtigt, zufällig. Doch Mütterlichkeit kann auch ganz anders gelebt werden als nur durch eigene Kinder. Die Journalistin Barbara Toth hält im Falter über die beiden Ministerinnen Gabriele Heinisch-Hosek und Sophie Karmasin fest: »Heinisch-Hosek ist, wie viele Frauen ihrer Generation, die ihre Kraft ganz auf den sozialen Aufstieg fokussierten, kinderlos geblieben. Karmasin, nur sechs Jahre jünger, hatte bereits das Privileg, beides haben zu können: die Karriere und die Kinder. Auch, weil sie sich die verschiedensten Formen von Kinderbetreuung leisten konnte: ein Au-pair, eine Art Leihoma, den normalen Kindergarten.« Verschwiegen wird, dass sich Heinisch-Hosek um ein schwerbehindertes Kind gekümmert hat. So kann man auch für ein Kind da sein, wohl auch intensiv und prägend. Als Kinderlose konnte sich Heinisch-Hosek der Aufgabe mit all ihrer Energie widmen. Neben ihrer Arbeit als Parlamentarierin verbrachte sie mit ihrem Mann viel Zeit auf der Pflegestation, am Wochenende nahm sie den Kleinen mit Atemgerät zu sich nach Hause. Drei Jahre lang, dann starb das Kind. Doch das zählt nicht, es zählt so wenig, dass sie einfach »nur« Karriere gemacht hat und kinderlos geblieben ist. »Man muss an das Unmögliche glauben, damit manches möglich wird«, sagt Heinisch-Hosek. »Aber auch ohne alles erreicht zu haben, kann man auf ein erfülltes Leben zurückblicken«, ergänzt sie weise.