Kinder und Jugendliche mit Angststörungen - Tina In-Albon - E-Book

Kinder und Jugendliche mit Angststörungen E-Book

Tina In-Albon

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Beschreibung

Angststörungen im Kindes- und Jugendalter sind von großer gesundheitspolitischer Bedeutung, da sie zu den häufigsten psychischen Erkrankungen gehören und einen bedeutenden Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Störungen im Jugend- und Erwachsenenalter darstellen. In diesem Buch werden die Erscheinungsbilder der verschiedenen Angststörungen beschrieben und aktuelle Studien zur Epidemiologie, Diagnostik, Psychotherapieforschung und Prävention aufgeführt. Die Module zur Behandlung von Angststörungen werden praxisnah beschrieben sowie mit störungsspezifischen Hinweisen ergänzt. Empirisch überprüfte Therapiemanuale werden vorgestellt.

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Angststörungen im Kindes- und Jugendalter sind von großer gesundheitspolitischer Bedeutung, da sie zu den häufigsten psychischen Erkrankungen gehören und einen bedeutenden Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Störungen im Jugend- und Erwachsenenalter darstellen. In diesem Buch werden die Erscheinungsbilder der verschiedenen Angststörungen beschrieben und aktuelle Studien zur Epidemiologie, Diagnostik, Psychotherapieforschung und Prävention aufgeführt. Die Module zur Behandlung von Angststörungen werden praxisnah beschrieben sowie mit störungsspezifischen Hinweisen ergänzt. Empirisch überprüfte Therapiemanuale werden vorgestellt.

PD Dr. Tina In-Albon ist Oberassistentin der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie mit Schwerpunkt Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Fakultät für Psychologie der Universität Basel.

Tina In-Albon

Kinder und Jugendliche mit Angststörungen

Erscheinungsbilder, Diagnostik, Behandlung, Prävention

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © 2011 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany

ISBN 978-3-17-021074-5

E-Book-Formate

pdf:

978-3-17-022740-8

epub:

978-3-17-028160-8

mobi:

978-3-17-028161-5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Einleitung

2 Angst und Angststörungen im Kindes- und Jugendalter

2.1 Geschichte der Angststörungen im Kindesalter

2.2 Angst, Furcht und Phobien

2.3 Angst oder Angststörung?

3 Epidemiologie der Angststörungen im Kindes- und Jugendalter

3.1 Prävalenzen der Angststörungen

3.2 Erstauftretensalter der Angststörungen

3.3 Stabilität der Angststörungen

3.4 Verlauf der Angststörungen – Angststörungen im Kindes- und Jugendalter als Risikofaktor?

3.5 Komorbidität von Angststörungen

3.6 Angststörungen und Schulleistungen

3.7 Angststörungen und Suizid

4 Erscheinungsbilder und Klassifikation der Angststörungen im Kindes- und Jugendalter

4.1 Klassifikation von Angststörungen

4.2 Phobien

4.3 Störung mit Trennungsangst

4.4 Generalisierte Angststörung

4.5 Panikstörung und Agoraphobie

4.6 Posttraumatische Belastungsstörung

4.7 Zwangsstörung

4.8 Selektiver Mutismus

4.9 Prüfungsangst

4.10 Schulverweigerung – Schulvermeidung – Schulangst

4.11 Geschwister von Kindern mit Angststörungen

5 Erklärungsansätze von Angststörungen

5.1 Risikofaktoren

5.2 Modell zur Angstentwicklung

5.3 Das Tripartite Modell

5.4 Schutzfaktoren

5.5 Emotionsregulation und Angststörungen

6 Diagnostik der Angststörungen im Kindes- und Jugendalter

6.1 Entwicklungspsychologische Einflüsse

6.2 Fragestellungen der Diagnostik

6.3 Praktisches Vorgehen

6.4 Eltern-Kind-Übereinstimmung

6.5 Auswahl diagnostischer Verfahren

7 Therapieforschung bei Angststörungen im Kindes- und Jugendalter

7.1 Von der Geschichte in die Gegenwart: Psychotherapieforschung der Angststörungen im Kindes- und Jugendalter

7.2 Klassifikation der Wirksamkeit von Psychotherapieverfahren

7.3 Langzeiteffekte der Kognitiven Verhaltenstherapie

7.4 Offene Fragen und erste Ansätze der zukünftigen Psychotherapieforschung

7.5 Setting

7.6 Veränderungsmessung und Veränderungsanalyse

7.7 Psychotherapieforschung der einzelnen Angststörungen

7.8 Wirksamkeit der kombinierten Behandlung von Psychotherapie und Psychopharmakotherapie

7.9 Versorgung und Angststörungen im pädiatrischen Setting

8 Therapievoraussetzungen

8.1 Verhaltenstherapie

8.2 Aufbau der therapeutischen Beziehung

8.3 Vorgehen bei Komorbidität

8.4 Kombinationstherapien

8.5 Erstgespräch

9 Behandlung von Angststörungen oder wie der Angst Angst eingejagt werden kann!

9.1 Struktur der Sitzungen

9.2 Psychoedukation

9.3 Kognitive Interventionen

9.4 Konfrontationsverfahren

9.5 Störungsspezifische Hinweise

9.6 Entspannungstraining

9.7 Soziales und Emotionales Kompetenztraining

9.8 Hausaufgaben

9.9 Rückfallprophylaxe

9.10 Elternarbeit

9.11 Bibliotherapie

9.12 Psychopharmaka

9.13 Schwierigkeiten in der Therapie

10 Therapiemanuale für die Behandlung von Angststörungen im Kindes- und Jugendalter

10.1 Therapiemanuale

10.2 Neue Ansätze in der Psychotherapie

10.3 Angststörungen und Autismus

11 Prävention

11.1 Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen

11.2 Präventionsprogramme Angststörungen

Abschluss

Literatur

Stichwortverzeichnis

Merkblätter für Eltern

Vorwort

Wer Ängste bewältigen möchte, muss über Ängste Bescheid wissen. Dazu möchte dieses Buch einen Beitrag leisten. Es richtet sich an Kinder- und Jugendlichenpsychologen, -psychotherapeuten, Studierende der Psychologie, Praktiker aus den Bereichen Klinische Psychologie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Pädagogik, Pädiatrie und deren Nachbardisziplinen.

Mit der in diesem Buch verwendeten männlichen Form sind selbstverständlich beide Geschlechter gleichermaßen gemeint.

Kinder in unterschiedlichem Alter und verschiedenen Entwicklungsstufen können unterschiedliche Bedürfnisse haben. Um Verwirrungen zu vermeiden, wird mit dem Begriff „Kinder“ sowohl auf Kinder als auch auf Jugendliche verwiesen. Wenn der Verweis spezifisch für eine Altersgruppe gilt, wird explizit darauf hingewiesen.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, an dieser Stelle einigen mir besonders wichtigen Menschen zu danken. Zuallererst meiner Mentorin Silvia Schneider, von der ich so viel lernen und profitieren durfte. Sie unterstützte mich in jeder Hinsicht und half mir, meine Ideen weiterzuentwickeln. Mein „größter“ Dank gilt jedoch neben all den fachlichen Inputs ihrer sehr herzlichen und wertschätzenden Art.

Weiterhin danke ich meinen Kolleginnen, Kollegen und wissenschaftlichen Hilfskräften der vergangenen Jahre in der Abteilung Klinische Kinder- und Jugendpsychologie der Universität Basel. Mein besonderer Dank geht an Stefanie Brennwald für das sorgfältige Korrekturlesen.

Einen herzlichen Dank für die Unterstützung, Freundschaft und Liebe an meine Eltern, Freunde und meine Liebe Daniel Wampfler.

Basel, im Frühjahr 2011

1 Einleitung

Beim Schreiben an diesem Buch habe ich mich oft an „meine“ Therapiekinder zurückerinnert. Kinder, die aufgrund ihrer Ängste längere Zeit die Schule nicht besuchen konnten, die sich nicht mit Freunden verabredeten oder ganz allgemein nicht die Kindheit oder Jugend leben konnten, die man allen Kindern und Jugendlichen eigentlich wünschen würde. Aufgrund dieser Erfahrungen und weiterer Fakten, die im Verlauf des Buches beschrieben werden, sind die Angststörungen als häufig sehr beeinträchtigende und belastende Störungen zu sehen, die Kinder ihrer Kindheit und Unbekümmertheit berauben können.

Ein großes Dankeschön geht daher an dieser Stelle an alle Kinder, von denen ich so viel lernen durfte. Es macht mir viel Freude, zu sehen, wie sie ihre Jugend „nachholen“ oder mir erzählen, dass sie ihre Mutmach-Karten noch immer haben. Selbstkritisch muss ich mir aber auch die Frage stellen, was ich hätte besser machen können. Die Hoffnung bleibt, dass auch jene Kinder etwas mitnehmen konnten, die mir von keinem Erfolgserlebnis berichteten. Auch ihnen gilt ein großes Dankeschön, dass sie mich zum Nachdenken angeregt und damit aufgefordert haben, weiter zu untersuchen, wie man den betroffenen Kindern besser helfen kann. Denn obwohl die Therapieforschung bei Angststörungen im Kindes- und Jugendalter gute Ergebnisse zeigt, gibt es doch noch einige Kinder, die nicht oder nur ungenügend von den gegenwärtigen Therapien profitieren. Ganz zu schweigen von den Kindern, die im Stillen leiden und gar keine Behandlung erhalten. Das Ziel muss daher sein, dass auch diese Kinder von einer nachhaltig wirksamen Therapie profitieren, und dass Kinder mit einem erhöhten Risiko, eine Angststörung zu entwickeln, frühzeitig erkannt werden und präventiv gehandelt werden kann, damit es gar nicht erst zu einer Angsterkrankung kommt.

Tatsache ist leider noch immer, dass Kinder mit Angststörungen leicht verkannt werden, da sie nicht wie Kinder mit Verhaltensstörungen auffallen. Fast jedes zehnte Kind leidet an einer Angststörung, und es ist erwiesen, dass sich Angststörungen nicht „von alleine auswachsen“, sondern einen Risikofaktor für die Entwicklung weiterer psychischer Störungen im Jugend- und Erwachsenenalter darstellen. Dennoch erhalten die wenigsten Kinder und Jugendlichen mit einer Angststörung eine adäquate Behandlung. Dies beispielsweise im Gegensatz zu Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten. Das zappelige, unruhige Verhalten kann von außen wahrgenommen werden, während Ängste sich im Inneren des Kindes abspielen und es daher eher im Stillen leidet.

Angst ist ein normales Gefühl, das jeder kennt, wie Freude, Wut und Traurigkeit. Normalerweise tritt Angst als angemessene Reaktion auf bedrohlich beurteilte Ereignisse auf. Obwohl Angst meistens als unangenehm erlebt wird, ist sie nicht gefährlich. Im Gegenteil, die Angst kann sehr nützlich und sinnvoll sein. Als die Menschen noch in der freien Natur lebten, war Angst lebensnotwendig als Vorbereitung auf Flucht und Kampf. Auch heute ist ein gewisses Maß an Angst sinnvoll. Beispielsweise zeigt sich diese Alarmreaktion beim Überqueren einer Straße, wenn plötzlich ein Auto hupend und schnell auf uns zukommt, so dass diese automatische Angstreaktion uns rasch zur Seite springen lässt und uns so vielleicht das Leben rettet. Die körperlichen Reaktionen, die man verspürt, wenn man Angst hat oder nervös ist, dienen der Vorbereitung des Körpers auf schnelles Handeln, wie zum Beispiel schnelles Herzklopfen, um möglichst schnell weglaufen zu können. Dieser Aspekt der Angst geht häufig unter, wenn von Ängsten gesprochen wird. Ängste werden häufig nur als etwas Gefährliches und Schlimmes angesehen. Dass die Angst jedoch in gewissem Ausmaß sinnvoll sein kann, ist für die Zielsetzung in der Behandlung wichtig. Das Ziel einer Angsttherapie ist nicht, dass das Kind keine Angst mehr hat, sondern dass es angemessen mit angstauslösenden Situationen umgehen kann.

Angststörungen im Kindes- und Jugendalter sind von großer gesundheitspolitischer Bedeutung, da sie zu den häufigsten psychischen Störungen gehören, über den Verlauf stabil sind und einen bedeutenden Risikofaktor für die Entwicklung weiterer psychischer Störungen im Jugend- und Erwachsenenalter darstellen. Zudem liegt das Erstauftretensalter psychischer Störungen häufig im Kindes- und Jugendalter, so dass anzunehmen ist, dass eine adäquate Behandlung von psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter auch eine Prävention psychischer Störungen im Jugend- und Erwachsenenalter darstellt. Diese Hinweise und die Tatsache, dass Kinder mit Angststörungen oft einen hohen Leidensdruck haben und ihr Alltag beeinträchtigt ist, verweisen auf den dringenden Handlungsbedarf, die Erkennung von Angststörungen zukünftig zu verbessern, damit Betroffene frühzeitig eine adäquate Behandlung bekommen.

Im ersten Teil dieses Buches wird ein Überblick über die Epidemiologie und Erscheinungsbilder der verschiedenen Angststörungen gegeben. Im zweiten Teil werden Erklärungsansätze von Angststörungen beschrieben. Im dritten Teil wird auf die Diagnostik eingegangen, gefolgt vom vierten Teil, in dem der aktuelle Stand der Therapieforschung vorgestellt und diskutiert wird. Besonderen Wert wird auf den Teil zur Behandlung gelegt. Voraussetzungen und einzelne Komponenten für die Therapie werden ausführlich beschrieben und mit praktischen Beispielen veranschaulicht. Es sollte an dieser Stelle jedoch deutlich gesagt werden, dass das Buch kein Therapiemanual darstellt. Zusätzlich werden neue Ansätze in der Psychotherapie vorgestellt. Zudem wird im Buch eingegangen auf Geschwister von Kindern mit Angststörungen, Emotionsregulation sowie Angststörungen und Autismus. Um Prävention geht es im Abschlussteil.

2 Angst und Angststörungen im Kindes- und Jugendalter

2.1 Geschichte der Angststörungen im Kindesalter

In der Geschichte der Klinischen Psychologie war die Erforschung von Angststörungen bei Kindern und deren Behandlung zu Beginn der 1920er Jahre ein angesagter Forschungsbereich. Aus heutiger Sicht sind die beiden bekanntesten Studien, die im Folgenden beschrieben werden, ethisch sicherlich sehr fragwürdig, dennoch sind sie für die Erforschung von Ängsten und deren Behandlung bedeutsam.

Berühmt-berüchtigt sind die Konditionierungsversuche an „Little Albert“, publiziert 1920 von John B. Watson und Rosalie Rayner. Albert war ein gesundes, normal entwickeltes neun Monate altes Kind. In einer Vorstudie beobachtete man Alberts Reaktionen, als er mit einer Ratte, einem Hasen, einem Hund, einem Affen, Wolle und Masken mit und ohne Haare konfrontiert wurde. Dabei zeigte Albert keinerlei Angstreaktionen. Hingegen zeigte er Furcht und begann zu weinen, wenn hinter ihm mit einem Hammer auf eine Eisenstange geschlagen wurde. Watson und Rayner stellten folgende Fragestellungen auf: Kann eine Angstkonditionierung auf Tiere wie z. B. eine weiße Ratte hergestellt werden, indem gleichzeitig zur visuellen Darbietung der Ratte auf eine Eisenstange geschlagen wird? Wird es nach dieser Konditionierung zu einer Generalisierung der Ängste auf andere Objekte kommen? Welche Effekte hat die Zeit? Falls nach einer gewissen Zeit die emotionalen Reaktionen nicht abflachen, welche Methoden gibt es zur Beseitigung? Die Konditionierungsversuche mit Albert begannen, als dieser elf Monate alt war. Bezüglich ethischer Bedenken beschrieben die Autoren, dass sie zunächst gezögert hätten, die Konditionierung durchzuführen, dann aber zur Überzeugung gelangt seien, dass es sowieso irgendwann zu solchen Ereignissen kommen würde, wenn das Kind das behütete Umfeld verlasse.

Die ersten Konditionierungen fanden mit einer Ratte statt. Als Albert die Ratte berührte, wurde hinter ihm mit einem Hammer auf eine Eisenstange geschlagen. Beim zweiten Durchgang begann Albert zu wimmern und zögerte, die Ratte zu berühren. In der Folge fanden fünf Durchgänge statt, in denen die Ratte gleichzeitig mit dem lauten Ton präsentiert wurde. Beim fünften Durchgang und in Folge bei der alleinigen Präsentation der Ratte begann Albert zu weinen und krabbelte weg. Weitere fünf Tage später wurde untersucht, ob sich die Angst generalisiert hatte. Bei der ersten Präsentation eines Hasen lehnte er sich weg, wimmerte und brach in Tränen aus. Das gleiche Verhalten zeigte er bei Pelz, Baumwolle und Watsons Haaren. Bei der Präsentation der Ratte wimmerte er und krabbelte davon. Mit Holzblöcken spielte er nach wie vor gerne. Wiederum fünf Tage später fixierte Albert die Ratte mit den Augen und zog sich zurück, weinte jedoch nicht. Damit war es den Autoren leider noch nicht genug und es wurden weitere Konditionierungsversuche durchgeführt. Zudem wurde Albert in einen anderen Raum gebracht. Bei der Konfrontation mit der Ratte, dem Hasen und dem Hund zeigte Albert nur leichte Angstreaktionen und versuchte, seine Hände so weit weg wie möglich von den Tieren zu halten. Erneut wurde dann bei der Präsentation der Tiere auf eine Eisenstange geschlagen. Dies führte bei Albert wiederum zu einem Rückzugsverhalten. Nach einem Monat wurden Albert die Maske mit Bart, der Pelz, die Ratte und der Hase präsentiert. Er weinte, als der gezwungen wurde, die Maske zu berühren, und wimmerte, wenn man sich ihm mit dem Pelz näherte. Die Ratte fixierte er mit seinen Augen und als die Ratte seine Hand berührte, zog er sie schnell weg. Das gleiche Verhalten zeigte sich auch beim Hasen und beim Hund.

Dann wurde von den Autoren beschrieben, dass im Anschluss an diese (letzte) Sitzung die Mutter mit Albert weggezogen sei, so dass keine Rekonditionierung hätte durchgeführt werden können. Watson und Rayner erwähnten folgende Methoden zur Beseitigung der Ängste: Konstante Konfrontation, damit sich eine Habituierung auf den angstauslösenden Reiz einstellt. Rekonditionierung, indem bei der Präsentation der Tiere Süßigkeiten oder andere beliebte Lebensmittel gegeben werden.

Weshalb die Mutter wegzog, und was aus Albert wurde, ist bis heute nicht bekannt. Im Zusammenhang mit dieser Studie können, neben den ethischen Aspekten bezüglich der Durchführung der Studie und der Nicht-Beseitigung der willkürlich erzeugten Angst, weitere Probleme festgehalten werden. Es fehlte eine Operationalisierung der Variable „Furcht“ und eine klare Quantifizierung des Verhaltens von Albert. So wird im Studienprotokoll nur von „verzieht das Gesicht“, „wimmert“ und „fällt vorn über“ berichtet. Zudem werden gegen Ende des Experiments die Reaktionen von Albert immer unklarer beschrieben. Des Weiteren wurde der Versuchsplan immer wieder neu angepasst. Beispielsweise wurden weitere Konditionierungsversuche durchgeführt, als die Reaktionen von Albert schwächer wurden.

Die zweite wichtige Studie von Mary Cover Jones folgerte 1924 aus dem Versuch von Watson, wenn man Kindern Ängste ankonditionieren könne, es auch möglich sein sollte, diese wieder abzukonditionieren. Die von Watson beschriebenen Methoden zur Rekonditionierung und Beseitigung der Ängste wurden in der Behandlung des „kleinen Peters“ angewendet. Peter war ein fast drei Jahre alter Junge mit einer starken Angst vor Kaninchen, Ratten, Pelzmänteln, Federn und Baumwolle. Am stärksten ausgeprägt war seine Angst vor Kaninchen. Zunächst bestand die Behandlung darin, ihn mit einem Kaninchen zu konfrontieren. Da dieses Vorgehen nicht zur gewünschten Angstreduktion führte, bekam Peter in Anwesenheit des Kaninchens sein Lieblingsessen. Dabei wurde das Kaninchen graduiert immer näher an Peter herangeführt. Peter wurde immer vertrauter mit dem Kaninchen und war dann auch fähig, das Kaninchen zu berühren und mit ihm zu spielen.

Die Geschichte des kleinen Peter ist der erste Fall der Verhaltenstherapie, dessen Behandlungsgeschichte bekannt ist (Pongratz, 1973). Mit dieser Behandlung nahm Jones die von Wolpe entwickelte Methode der Desensibilisierung vorweg (Wolpe, 1958). In Anwesenheit des angstauslösenden Reizes wird eine positive Reaktion provoziert, die inkompatibel und stärker als die negative Reaktion ist (Peter erhält sein Lieblingsessen, während ein Kaninchen anwesend ist). Zudem erfolgt die Annäherung an das Kaninchen schrittweise. Auch bei diesem Experiment gibt es einige kritische Punkte zu berücksichtigen. Beispielsweise der Wechsel der Behandlungsmethode von der einfachen Präsentation des angstauslösenden Stimulus zur Präsentation mit der Darbietung des Lieblingsessens sowie die Nicht-Überprüfung der Generalisierung der Effekte auf andere angstauslösende Stimuli wie beispielsweise Ratten, Pelzmäntel und Federn. Zudem wurden keine Nachuntersuchungen durchgeführt, so dass keine Aussagen zur Stabilität des Behandlungserfolges gemacht werden können.

Man könnte denken, dass insbesondere die „Therapieergebnisse“ zum kleinen Peter dem Bereich der Angststörungen im Kindesalter hätten Auftrieb geben sollen, aber nach diesen Versuchen gingen Forschungsarbeiten zum Thema „Angststörungen bei Kindern“ stark zurück. Für lange Zeit herrschte die Meinung vor, Ängste bei Kindern würden „sich schon wieder auswachsen“. Dass dem nicht so ist, konnten in den vergangenen Jahren mehrere wissenschaftliche Studien zeigen, die unter anderem in den folgenden Kapiteln behandelt werden.

2.2 Angst, Furcht und Phobien

Bevor auf die übermäßigen Ängste, d. h. die krankhafte Angst eingegangen wird, soll hier zunächst eine Definition erfolgen, was unter Angst zu verstehen ist. Angst ist eine notwendige und normale Emotion. Evolutionsgeschichtlich hat die Angst eine überlebensnotwendige Funktion: Sie ist ein Schutzmechanismus, der in tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Gefahrensituationen ein angemessenes Verhalten einleitet. Da die Kosten einer Flucht relativ gering sind, aber diejenigen einer übersehenen Bedrohung sehr hoch sein können (Tod), ist die „Alarmanlage Angst“ eher empfindlich eingestellt, was jedoch zu einigen „Fehlalarmen“ führen kann. Im Folgenden werden die verschiedenen Begriffe Angst, Furcht und Phobie beschrieben:

Angst ist eine elementare, überlebensnotwendige Basisemotion, welche sich in als bedrohlich empfundenen Situationen äußert. Angst ist ein in die Zukunft gerichtetes Warnsignal.

Furcht ist das Gefühl konkreter Bedrohung. Im Gegensatz zur allgemeinen Emotion Angst ist die Furcht immer ganz konkret auf ein bestimmtes Objekt bezogen, meist rational begründbar und angebracht. Man spricht daher von der Furcht vor etwas.

Phobie ist eine krankhafte, unbegründete und anhaltende Angst vor Situationen, Gegenständen, Tätigkeiten oder Personen. Sie äußert sich im übermäßigen, unangemessenen Wunsch, den Anlass der Angst zu vermeiden. Ein Kennzeichen von Phobien ist die unmittelbare Angstreaktion bei Auftreten des phobischen Reizes (z. B. Hund, Spritze, vor anderen sprechen).

2.3 Angst oder Angststörung?

Was ist nun aber der Unterschied zwischen normaler Angst und krankhafter Angst?

Ängste werden dann als eine Krankheit bezeichnet, wenn sie lange anhalten, starke und anhaltende Beeinträchtigungen für das Kind bedeuten, das Kind darunter leidet, sie langfristig die normale Entwicklung des Kindes verhindern (z. B. nicht mit Freunden spielen, nicht zur Schule gehen) oder familiäre Probleme auslösen. Ängste, die mild oder nur vorübergehend auftreten und für die jeweilige Entwicklungsphase normal sind, sollten entsprechend nicht behandelt werden und gehen mit einer neuen Entwicklungsphase vorüber.

Wie bereits beschrieben, sind Ängste etwas Normales. Milde Ängste gehören zur normalen Entwicklung eines Kindes dazu. Typischerweise handelt es sich im Kindesalter um schwache Ängste, die zeitlich vorübergehend auftreten. Tabelle 2.1 gibt einen Überblick über Ängste und Angststörungen im Entwicklungsverlauf von Kindern und Jugendlichen. Man erkennt dabei, dass sich verschiedene Formen der Angst im Laufe des Lebens entwickeln. „Fremdelangst“ (oder „Achtmonatsangst“) ist eine weitgehend kulturunabhängige Angst, die die meisten Kinder in unterschiedlicher Ausprägung zwischen dem siebten und zwölften Lebensmonat haben, aber dann wieder von alleine abklingt. Des Weiteren rufen plötzliche, laute Geräusche, Dunkelheit und Geister Angstreaktionen bei Kleinkindern hervor. Diese Ängste sind Teil der normalen Entwicklung. Eltern können die Kinder bei der Angstverarbeitung unterstützen und dem Kind Sicherheit geben, aber die Ängste können sie nicht verhindern.

Tab. 2.1: Entwicklungstypische Ängste und alterstypische Angststörungen von Kindern und Jugendlichen (nach Carr, 1999, S. 404 und Schneider, 2004, S. 10)

Alter

Entwicklungstypische Ängste

Alterstypische Angststörungen

0–6 Monate

Intensive sensorische Reize, Verlust von Zuwendung, laute Geräusche

6–12 Monate

Fremde Menschen, Trennung

2–4 Jahre

Phantasiekreaturen, potentielle Einbrecher, Dunkelheit

Trennungsangst, Spezifische Phobien (Geister)

5–7 Jahre

Naturkatastrophen (Feuer, Überschwemmung), Verletzungen, Tiere

Spezifische Phobien (Tier-Typus, Blut-Spritzen-Verletzungstypus)

8–11 Jahre

Schlechte schulische und sportliche Leistungen

Prüfungsangst

12–18 Jahre

Ablehnung durch Alterskameraden

Soziale Phobie, Agoraphobie, Panikstörung

Fazit – Angst oder Angststörung?

Eine Angst ist dann behandlungsbedürftig, wenn das Leben und die Entwicklung des Kindes beeinträchtigt sind und das Kind über einen längeren Zeitraum unter der Angst leidet.

3 Epidemiologie der Angststörungen im Kindes- und Jugendalter

Bevor die Prävalenzen von Angststörungen beschrieben werden, möchte ich eine kurze Einbettung der Angststörungen in die Häufigkeiten der psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter vornehmen. Die Mehrheit der Übersichtsarbeiten zur Epidemiologie psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter fand Lebenszeitprävalenzraten von 20 %, so dass eine relative Einheitlichkeit der Ergebnisse von ungefähr 20 % als gültig angenommen werden kann, trotz methodischer Unterschiede über die Studien hinweg (z. B. Petermann, 2005; Ihle & Esser, 2002; Steinhausen, Metzke, Meier & Kannenberg, 1998). Dies wird auch durch eine aktuelle Studie aus den USA mit 10 123 Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren belegt, welche eine Prävalenzrate von 22,2 % für psychische Störungen gefunden hat (Merikangas et al., 2010). Es ist anzunehmen, dass etwa jedes fünfte bis zehnte Kind zu einem gegebenen Zeitpunkt unter einer psychischen Störung leidet.

Weniger Studien liegen zu Prävalenzraten bei jüngeren Kindern vor, jedoch zeigen sich auch da bereits bedenkliche Häufigkeiten. In einer aktuellen Studie von Carter et al. (2010) zeigte sich auch bei Sechsjährigen, dass jedes fünfte Kind die Kriterien für eine psychische Störung erfüllte, welche mit einer Beeinträchtigung einherging (21,6 %). Ohne Beeinträchtigung ergab sich eine Häufigkeit von 32 %. Kuschel et al. (2008) untersuchten in Deutschland drei- bis sechsjährige Kindergartenkinder. Je nach Beurteiler (Eltern, Erzieher) lagen die Prävalenzraten zwischen 0,5 % und 9,4 %, wobei internalisierende Störungen deutlich häufiger angegeben wurden als externalisierende Störungen.

3.1 Prävalenzen der Angststörungen

Angststörungen kommen im Kindes- und Jugendalter häufig vor. In einer Überblicksarbeit haben Ihle und Esser (2002) die wichtigsten Studien zur Entwicklungsepidemiologie psychischer Störungen des Kindes- und Jugendalters zusammengefasst. Für die Angststörungen liegt der Median für die in den Studien untersuchten Periodenprävalenzen (Sechsmonats- bis Lebenszeitprävalenzen) bei 10,4 %. Somit sind Angststörungen die häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter (siehe auch Costello et al., 2003; Merikangas et al., 2010). Tabelle 3.1 gibt einen Überblick zu den Prävalenzraten von Angststörungen aus verschiedenen epidemiologischen Studien im deutschen Sprachraum.

Tab. 3.1: Prävalenzraten (in %) von Angststörungen im Kindes- und Jugendalter im deutschsprachigen Raum

Angststörung

Federer et al. 2000

Steinhausen et al. 1998

Essau et al. 1998

Wittchen et al. 1998

Alter (Jahre)

8

7–16

12–17

14–24

Stichprobengröße

826

1964

3021

1035

Zeitraum Prävalenzerhebung

6 Mte

6 Mte

12 Mte

LZ

12 Mte

LZ

Angststörung

9.5

11.4

11.3

18.6

9.3

14.4

Störung mit Trennungsangst

2.8

0.8

--

--

--

--

Spezifische Phobie

5.2

5.8

2.7

3.5

1.8

2.3

Soziale Phobie

0.4

4.7

1.4

1.6

2.6

3.5

GAS

1.4

0.6

0.2

0.4

0.5

0.8

Panikstörung

0

--

0.5

0.5

1.2

1.6

Agoraphobie

0

1.9

2.7

4.1

1.6

2.6

Zwangsstörung

--

0.2

1.0

1.3

0.6

0.7

PTBS

0.1

--

1.0

1.6

0.7

1.3

Bei den sog. „pre-teens“ (Kinder unter zwölf Jahren) finden konservative Schätzungen eine Periodenprävalenz von 3,05 % (Ford, Goodman & Meltzer, 2003), wogegen gemäß anderen Studien bis zu 23,9 % der Population von einer Angststörung betroffen sind (für einen Überblick siehe Carthwright-Hatton, McNicol & Doubleday, 2006).

Über das Alter hinweg zeigen sich bei den verschiedenen Angststörungen unterschiedliche Prävalenzraten. Im Vorschulalter ist die Störung mit Trennungsangst die häufigste Angststörung (Cartwright-Hatton et al., 2006; Costello et al., 2005a; Pine et al., 1998). In der Adoleszenz zeigt sich ein Anstieg der Prävalenzraten bei der Sozialen Phobie und der Generalisierten Angststörung (Fergusson et al., 1993; Verhulst et al., 1997). Die Panikstörung im Kindes- und Jugendalter ist mit einer Lebenszeitprävalenz von unter 1 % eher selten (Federer et al., 2000; Pine et al., 1998; Reed & Wittchen, 1998). Unterschiedliche Prävalenzraten in den Studien hängen davon ab, ob das Kriterium einer klinisch signifikanten Beeinträchtigung im Zusammenhang mit der Angststörung gegeben ist, welche Verfahren zur Erfassung der Angststörungen eingesetzt wurden sowie welches Klassifikationssystem zugrunde lag.

3.2 Erstauftretensalter der Angststörungen

Wie wichtig bereits das Kindesalter in Bezug auf die psychische Gesundheit ist, zeigen Untersuchungen zum Erstauftretensalter psychischer Störungen. Sowohl retrospektive als auch prospektive Studien verweisen darauf, dass die Hälfte aller Lebenszeitdiagnosen bereits vor dem 14. Lebensjahr beginnen (Kim-Cohen et al., 2003; Kessler et al., 2005). Wie Tabelle 3.2 verdeutlicht, haben die Angststörungen insgesamt einen frühen Beginn, wobei dieser je nach Angststörung variieren kann. Eine retrospektive Befragung von 9 282 erwachsenen Probanden ergab einen Median von elf Jahren für das Erstauftretensalter von Angststörungen. Spezifische Phobien und die Störung mit Trennungsangst hatten mit sieben Jahren den frühesten Beginn. Der Median bei der Sozialen Phobie lag bei 13 Jahren. Das Auftretensalter der weiteren Angststörungen lag im Median zwischen 19 und 31 Jahren (Kessler et al., 2005). Im Vergleich dazu haben zum Beispiel Störungen durch Substanzkonsum durchschnittlich einen späteren Beginn und eine größere Spannweite. Diese Daten werden durch eine prospektive Studie gestützt (Kim-Cohen et al., 2003). Diese zeigte, dass 50 % von 26-jährigen Jugendlichen mit einer aktuellen Diagnose einer psychischen Störung bereits im Alter zwischen 11 und 15 Jahren eine psychische Störung hatten.

3.3 Stabilität der Angststörungen

Mehrere Studien verweisen auf einen stabilen Verlauf der Angststörungen von der Kindheit in die Adoleszenz und das Erwachsenenalter (z. B. Essau, Conradt & Petermann, 2002; für einen Überblick siehe Weems, 2008). Gemäß der Überblicksarbeit von Ihle und Esser (2002) zeigen psychische Störungen über alle Altersstufen eine hohe Stabilität. Die Stabilitätsrate emotionaler Störungen zeigte, dass ungefähr die Hälfte psychisch auffälliger 13-Jähriger auch noch im Alter von 18 Jahren emotionale Störungen aufwies. Ein ähnliches Bild zeigte sich für den Verlauf der emotionalen Störungen vom 18. bis zum 25. Lebensjahr (Ihle, Esser, Schmidt & Blanz, 2002). Interessant sind auch die Ergebnisse zu den zeitlichen Veränderungen und Variationen der Geschlechterverhältnisse von internalisierenden und externalisierenden Störungen der Mannheimer Kurpfalzstudie. Bei den externalisierenden Störungen zeigten die Jungen diese Störungen im Grundschul- und im Erwachsenenalter häufiger als Mädchen, nicht aber im Jugendalter. Im Gegensatz dazu zeigte sich bei den internalisierenden Störungen, dass Frauen erst im frühen Erwachsenenalter höhere Werte aufwiesen (Ihle et al., 2002). In einer Studie von Zivin et al. (2009), in der auch eine hohe Persistenz psychischer Störungen gefunden wurde, zeigte sich zudem, dass der wahrgenommene Bedarf an Hilfe ein Prädiktor für Angststörungen zwei Jahre später war. Wie bereits Pine et al. (1998) konnten auch Carballo et al. (2010) zeigen, dass die höchste Stabilität der Angststörungen Phobien und die Soziale Phobie aufwiesen.

Es liegen jedoch auch eher kontroverse Befunde vor. Beispielsweise zeigte sich in der auf 15 Jahre angelegten Zürcher Längsschnittstudie (Angst & Vollrath, 1991) eine geringe Stabilität (4 %) für reine Angststörungen (spezifisch Generalisierte Angststörung und Panikstörung). Bei der Sozialen Phobie erfüllte nach der Manifestation niemand kontinuierlich die Diagnosekriterien (Merikangas et al., 2002). In der EDSP Studie (Early Developmental Stages of Psychopathology Study) erfüllten zum Zwei-Jahres-Follow-Up nur noch 19,7 % der Baseline-Erhebung die Kriterien für eine Angststörung (Wittchen, Lieb, Pfister & Schuster, 2000). Dabei zeigte sich eine große Varianz zwischen den unterschiedlichen Angststörungen. Die stabilsten Angststörungen waren die Panikstörung (44 %) und die Spezifische Phobie (30,1 %), die Störungen mit der geringsten Stabilität waren Agoraphobie (13,4 %) und Soziale Phobie (15,8 %). Auch in der Studie von Last et al. (1997) waren nach drei bis vier Jahren 80 % der Kinder von ihrer ursprünglichen Angststörung remittiert.

Stellt man sich dann aber die Frage, ob es diesen Kindern gut geht, kann dies verneint werden. Die EDSP Studie zeigte, dass nur 10 % der Kinder mit einer Spezifischen Phobie zur Baseline-Erhebung zehn Jahre danach keine Diagnose mehr erfüllten, 41 % berichteten die gleiche Störung und bei insgesamt 73 % wurde eine andere Angststörung oder depressive Störung diagnostiziert (Emmelkamp et al., 2009).

3.4 Verlauf der Angststörungen – Angststörungen im Kindes- und Jugendalter als Risikofaktor?

Neben den Prävalenzraten von Angststörungen verweisen Studien zum Verlauf der Angststörungen eindringlich darauf, dass psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter sich nicht „auswachsen“, sondern einen beträchtlichen Risikofaktor für die Entwicklung weiterer psychischer Störungen darstellen. Dabei ist der Verlauf von Angststörungen am besten untersucht. Mehrere Studien konnten zeigen, dass Angststörungen im Kindes- und Jugendalter anderen Angststörungen, Affektiven Störungen, Substanzabhängigkeiten oder auch Schmerzstörungen vorausgehen (z. B. Brückl et al., 2007; Woodward & Fergusson, 2001). Tabelle 3.2 gibt einen Studienüberblick betreffend dem Verlauf von Angststörungen von der Kindheit und frühen Adoleszenz bis zur späten Adoleszenz und dem jungen Erwachsenenalter, wobei ausschließlich prospektive Studien aufgeführt sind.

Den stärksten Nachweis, dass Angststörungen einen Risikofaktor für die Entwicklung weiterer psychischer Störungen darstellen, liefern Längsschnittstudien. Beispielsweise konnte die New Yorker Längsschnittstudie von Pine et al. (1998) für einige Störungen einen spezifischen und für andere Störungen einen unspezifischen Verlauf darstellen. Von der Kindheit ins Erwachsenenalter, sagten Spezifische Phobien ausschließlich Spezifische Phobien voraus. Damit vergleichbar, gingen Soziale Phobien ausschließlich Sozialen Phobien voraus.

Die Störung mit Trennungsangst zeigte in dieser Studie einen Trend, Panikanfällen vorauszugehen (vgl. folgender Abschnitt) und die Störung mit Überängstlichkeit (Generalisierte Angststörung) zeigte mit einer Vielzahl von Störungen einen Zusammenhang.

Tab. 3.2: Prospektive Verlaufsstudien von Angststörungen im Kindesalter als Risikofaktor für die Entwicklung weiterer psychischer Störungen

Studie

Methodik

Ergebnisse

Lewinsohn et al., 2008

N= 816; retrospektiv mit 16 Jahren, dann mit 17, 24 u. 30 Jahren

73.5 % der Stichprobe mit TA in der Kindheit entwickelten psych. Störung in Adoleszenz, v. a. Dep und PS

Brückl et al., 2007 (EDSP)

N= 1090, 14–24 Jahre, FU 4 J.

TA → PS/AG, SPP, GAS, Zwang, Bipolare Störungen, Schmerzstörungen, Alkoholabhängigkeit

Foley et al., 2004

N=161 Zwillinge mit TA; 8–17 Jahre, FU 18 Mte

TA → GAS, Dep, CT, ADHS, Phobien. 59 % der Stichprobe erfüllte keine Störung bei FU; kein Zhg TA/PS

Aschenbrand et al., 2003

N= 85, 9–13 Jahre, FU 7 J.

TA → AS; kein Zhg TA/PS

Schneider & Nündel, 2002

N= 113, 8–15 Jahre, FU 7 J.

TA → PS

Pine et al., 1998 (NYCLS)

N= 776, 9–18 Jahre, FU 9 J.

SPP → SPP, SoP → SoP, OAD → MD, SP, GAS

Merikangas et al., 2002

N= 591, 18–19 Jahre, FU 15 J.

SoP → SoP, PS, AG, Dep

Stein et al., 2001 (EDSP)

N= 2548, 14–24 Jahre, FU 34–50 Mte

SoP → SoP, Dep; SoP&Dep → Suizidversuche

Moffitt et al., 2007 (DMHDS)

N= 1037, Kohortenstudie 32 J.

GAS ↔ MD

Goodwin et al., 2004 (CHDS)

N= 1265, Kohortenstudie 21 J.

ängstlicher/introvertierter Charakterzug → AS (SoP, SPP, PS, AG), MD

Copeland et al., 2009 (GSMS)

N= 1420, 9/12–19/21 Jahre, FU 12 J.

Kindheit-Erwachsenenalter: GAS → PS, TA → GAS, AG, Dep, GAS → GAS, PS, AG; Adoleszenz-Erwachsenenalter: GAS-Dep

Hale et al., 2008

N= 1318, 12–16 Jahre, FU 5 J.

SoP → SoP, GAS → GAS (Frauen)

Bittner et al., 2007 (GSMS)

N= 906, 9–13 Jahre, FU 6–10 J.

TA → TA, SoP → SoP, GAS, ADHS; OAD → OAD, PS, Dep, CD

Bittner et al., 2004 (EDSP)

N= 2548, 14–24 Jahre, FU 4 J.

AS → MD

Gregory et al., 2007 (DMHDS)

N= 1073, 11–32 Jahre

SPP → SPP; AS → SoP, PTBS, SPP; Zwang; AG, GAS

Clark et al., 2007

N= 9297, 45 Jahre, FU 45 J.

AS im Alter von 7, 11, 16 Jahren → AS, Dep

Kim-Cohen et al., 2003 (DMHDS)

N= 1037, Geburtskohorte 26 Jahre

AS → AS, Dep

Essau et al., 2002

N= 1035, 12–17 Jahre, FU 1.3 J.

AS → Dep, Somatoforme Störungen, Substanz, 42 % keine Störung zu FU

Kaplow et al., 2001 (GSMS)

N= 936, 9–13 Jahre, FU 4 J.

GAS → Alkoholkonsum

Woodward & Fergusson, 2001 (CHDS)

N= 964, 14–16 Jahre, FU 21 J.

AS → MD, AS, Drogen

Ferdinand & Verhulst, 1995

N= 459, 13–16 Jahre, FU 8 Jahre, Fragebogen

Ängstlich, dep → ängstlich, dep, Aufmerk.probleme

Hinweise für einen spezifischen Verlauf ergaben sich auch aus einer prospektiven Studie mit Kindern von Eltern, die entweder eine Panikstörung oder eine Major Depression hatten (Weissman et al., 1997). Phobien und die Störung mit Überängstlichkeit hatten ein stark erhöhtes Risiko, als Folgestörung eine Major Depression zu entwickeln. Neben einem erhöhten Risiko im Erwachsenenalter, eine weitere psychische Störung zu entwickeln (Drogenmissbrauch), haben Jugendliche mit einer Angststörung auch ein erhöhtes Risiko, bildungsbenachteiligt zu sein und suizidales Verhalten zu zeigen (Woodward & Fergusson, 2001).

Angststörungen wurden auch gezeigt als Risikofaktor für körperliche Gesundheitsprobleme (Beesdo et al., 2009), soziale Schwierigkeiten und Probleme mit Gleichaltrigen (Asendorpf et al., 2008).

Ist die Störung mit Trennungsangst ein Risikofaktor für die Panikstörung?

Die „Trennungsangsthypothese“ stellte Donald Klein 1980 auf. Er vermutete, dass die Trennungsangst bzw. der Verlust von wichtigen Bezugspersonen in der Kindheit eine spezifische prädisponierende Bedingung für die Entwicklung einer Panikstörung sei. Seine Hypothese löste eine Reihe von Studien zum Zusammenhang von Trennungsangst in der Kindheit und der Panikstörung im Erwachsenenalter aus. Klein ging (1980) davon aus, dass bei Kindern mit Trennungsangst und Erwachsenen mit Panikstörung eine erniedrigte Schwelle zur Auslösung des von Bowlby (1969) postulierten angeborenen, biologischen Kontrollmechanismus zur Regulation von Trennungsangst bestehe. Dies würde erklären, weshalb es ohne reale Gefahr immer wieder zu einer Aktivierung des Alarmsystems und somit zum Auslösen eines „falschen Alarms“ kommt. Verschiedene Autoren vermuten bei der Trennungsangst und der Panikstörung gemeinsame zugrunde liegende psychopathologische Prozesse (z. B. erhöhte Sensitivität gegenüber respiratorischen Stimulationen; Pine et al., 2000). Diesen Studien zufolge sollte in der klinischen Praxis die Lebenszeitkomorbidität der Störung mit Trennungsangst und Panikstörung kein seltenes Phänomen sein. Bemerkenswerterweise findet jedoch diese Thematik in der klinisch-psychologischen Literatur nur wenig Aufmerksamkeit. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass weiterhin Unklarheit darüber besteht, ob Trennungsangst in der Kindheit als spezifischer Risikofaktor für die Entwicklung einer Panikstörung betrachtet werden sollte oder eher als allgemeiner Risikofaktor für die Entwicklung einer psychischen Störung. Die Studien, die einen spezifischen Zusammenhang finden konnten und diejenigen, die dies nicht zeigen konnten, halten sich etwa die Waage (In-Albon & Schneider, 2006). Es kann festgehalten werden, dass Trennungsangst ein bedeutsamer Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Störungen im Erwachsenenalter ist.

3.5 Komorbidität von Angststörungen

Epidemiologische Studien zeigen, dass Angststörungen häufig komorbid mit anderen psychischen Störungen auftreten, aber auch eine hohe Komorbidität untereinander aufweisen.

Mit zunehmendem Alter nimmt die Komorbidität von Angststörungen und depressiven Störungen zu. Dabei gehen die Angststörungen den Depressionen meist voraus (Essau et al., 2000).

Neben den Komorbiditäten unter den internalisierenden Störungen sind auch die Komorbiditätsraten mit externalisierenden Störungen (z. B. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), nicht zu unterschätzen. In der Zürcher Studie (Steinhausen et al., 1998) hatten 12,5 % der 7- bis 16-Jährigen mindestens eine zusätzliche komorbide Störung. Die höchste Komorbiditätsrate zeigte sich bei den Angststörungen. Eine hohe Überlappung zeigte sich zwischen Angststörungen und externalen Störungen (ADHS, Oppositionelles Trotzverhalten) und zwischen Angst- und affektiven Störungen. So erfüllten 60 % der Kinder und Jugendlichen mit Angststörungen die Kriterien für eine komorbide externale Störung und 83 % der Kinder und Jugendlichen mit einer primären externalen Störung erfüllten gleichzeitig die Kriterien einer Angststörung. Auch die Bremer Jugendstudie (Essau, 2003) untersuchte die Komorbidiätsraten von Angststörungen. Von den 1 035 zwölf- bis 17-jährigen Jugendlichen war die Komorbiditätsrate innerhalb der Angststörungen niedrig (14,1 %). Hingegen war die Komorbidität der Angststörungen mit anderen psychischen Störungen mit 51 % hoch. Das häufigste Komorbiditätsmuster waren Angst- und depressive Störungen. Die Jugendlichen mit komorbiden Angststörungen waren stärker belastet und suchten häufiger Hilfe als Jugendliche mit einer Angststörung ohne komorbide Störungen.

3.6 Angststörungen und Schulleistungen

Neben den komorbiden Störungen, der Beeinträchtigung und dem Leidensdruck durch die Störung selbst, haben Angststörungen bei Kindern und Jugendlichen weitere Konsequenzen. Beispielsweise sind die schulischen und sozialen Leistungen beeinträchtigt (Kessler et al., 1994; Last et al., 1992). Die Schule wird insbesondere von Jugendlichen mit Sozialer Phobie frühzeitig verlassen (Van Ameringen et al., 2003). In einer Normstichprobe von 1 817 Kindern konnte nachgewiesen werden, dass Angststörungen einen signifikanten Risikofaktor für das Nichtbeenden der High-School mit 20 Jahren darstellt (Duchesne et al., 2008). Dies hat sowohl soziale als auch wirtschaftliche Implikationen. Bei jüngeren Kindern können Angststörungen zu einer Schulvermeidung führen, was wiederum soziale und schulische Beeinträchtigungen nach sich zieht (Berg, 1992) (vgl. Abschnitt Schulvermeidung).

3.7 Angststörungen und Suizid

In einem Drittel der Länder der Welt haben Adoleszente im Alter zwischen 15 und 24 Jahren ein erhöhtes Suizidrisiko. Jugendliche mit suizidalem Verhalten weisen oft psychische Störungen auf (Beautrais, Joyce & Mulder, 1996), zudem liegen auch häufig komorbide Störungen vor (Wunderlich et al., 1998). Es konnte gezeigt werden, dass das Suizidrisiko umso höher ist, je früher eine psychische Störung auftritt (Weller, Young, Rohrbaugh & Weller, 2001). Da Angststörungen mit einem Erstauftretensalter in der Kindheit anderen psychischen Störungen zeitlich voraus gehen (Kessler et al., 2005), stellt sich die Frage, ob das Suizidrisiko bei Kindern und Jugendlichen mit Angststörungen erhöht ist.

Khan et al. (2002) konnten zeigen, dass das Suizidrisiko bei einer vorliegenden Angststörung generell erhöht ist (Khan, Leventhal, Khan & Brown, 2002). Auch Boden et al. (2007) untersuchten in ihrer Längsschnittuntersuchung einer Geburtskohorte Christchurch Health and Developmental Study (CHDS) über 25 Jahre den Zusammenhang zwischen Angststörungen und Suizidgedanken respektive Suizidversuchen. Sie beschrieben eine signifikante Assoziation zwischen Angststörungen und Suizidgedanken, ebenso eine Assoziation zwischen Angststörungen und Suizidversuchen. Wurden komorbide Störungen ins Modell einbezogen, sank das Ausmaß der Assoziation, sie blieb jedoch signifikant. Angststörungen konnten einen Anteil von 10 % der Suizidgedanken und 7 % der Suizidversuche erklären. Adoleszente mit mehr als zwei Angststörungen hatten im Vergleich zum Stichprobenanteil ohne Angststörungen ein erhöhtes Risiko für Suizidgedanken und für Suizidversuche. Weitere Autoren konnten aufzeigen, dass Angststörungen bei Jugendlichen das Risiko von Suizidversuchen und -gedanken erhöhen (Gould et al., 1998; Mazza & Reynold, 1998; Khan, Leventhal, Khan & Brown, 2002; Foley et al., 2006; Nock et al., 2008) und somit mit Suizidalität assoziiert sind (Schmidtke & Schaller, 2000; Bridge et al., 2006). Vorhandene Angststörungen zeigten sich folglich wiederholt als deutliches Risiko für einen Suizidversuch.

Fazit – Epidemiologie der Angststörungen

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Häufigkeit von Angststörungen einhergehend mit einer klinisch signifikanten Beeinträchtigung im Kindes- und Jugendalter bei ca. 10 % liegt und die Angststörungen damit die häufigsten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter darstellen. Das Erstauftretensalter von Angststörungen liegt im Median bei 11 Jahren. Die Komorbidität sowohl mit internalisierenden als auch externalisierenden Störungen ist hoch. Im Hinblick auf den Verlauf kann festgehalten werden, dass in vielen Fällen die Kontinuität der gleichen Störung moderat ist, dass aber die Kontinuität von Psychopathologie, sei es eine andere Angststörung oder eine andere psychische Störung, substantiell ist (siehe auch Ihle & Esser, 2002). Es liegen deutliche empirische Hinweise vor, dass Angststörungen im Kindes- und Jugendalter einen Risikofaktor für die Entwicklung weiterer psychischer Störungen im Jugend- und Erwachsenenalter darstellen. Des Weiteren kann festgehalten werden, dass Angststörungen einen Risikofaktor für Suizidgedanken und Suizidversuche darstellen, und dass daher insbesondere bei anhaltenden Angststörungen die Patienten auf Suizidgedanken und Suizidpläne angesprochen werden sollten.

4 Erscheinungsbilder und Klassifikation der Angststörungen im Kindes- und Jugendalter

4.1 Klassifikation von Angststörungen

Angststörungen manifestieren sich sehr unterschiedlich. Im aktuellen DSM-IV-TR (APA, 1994) werden 13 verschiedene Angststörungen beschrieben (für einen Überblick siehe Tab. 4.1). Zusätzlich haben viele der Diagnosen mehrere Subtypen, beispielsweise hat die Spezifische Phobie fünf Subtypen (Tier-Typus, Umwelt-Typus, Blut-Spritzen-Verletzungs-Typus, Situativer-Typus, anderer Typus).

Im DSM-IV-TR wird nur die Störung mit Trennungsangst den Störungen im Kindes- und Jugendalter zugeordnet, bei den übrigen Diagnosen gelten bis auf bestimmte Spezifika für Kinder und Jugendliche die gleichen Diagnosekriterien wie für Erwachsene.

Die im Kindes- und Jugendalter wichtigsten Angststörungen sind die Phobien, die Störung mit Trennungsangst und die Generalisierte Angststörung. Die Zwangsstörung und die Posttraumatische Belastungsstörung sind im DSM-IV-TR bei den Angststörungen klassifiziert, unterscheiden sich aber teilweise von den anderen Angststörungen. Im Hinblick auf das DSM-V sind Diskussionen im Gange, ob die Zwangsstörung weiterhin den Angststörungen zugeordnet sein soll oder eine Kategorie Zwangsspektrumsstörungen eingeführt wird (z. B. Hollander et al., 2008; Phillips et al., 2010).

Im Unterschied zum DSM-IV unterteilt das ICD-10 (WHO, 1993) die Angststörungen in phobische Angststörungen (F40) und andere Angststörungen (F41), welche die Panikstörung und die Generalisierte Angststörung umfassen. Des Weiteren werden im ICD-10 vier kinder- und jugendspezifische Angststörungen, die „Emotionalen Störungen des Kindesalters“, unterschieden:

Emotionale Störung mit Trennungsangst des Kindesalters (F93.0)

Phobische Störungen des Kindesalters (F93.1)

Störung mit sozialer Ängstlichkeit des Kindesalters (F93.2)

Emotionale Störung mit Geschwisterrivalität (F93.3)

Die kindspezifische Generalisierte Angststörung (F93.80) wird ausschließlich in den Forschungskriterien, demnach nicht in den klinisch-diagnostischen Leitlinien aufgeführt.

Im Gegensatz zum ICD-10 hat das DSM die unterschiedlichen Kriterien für Kinder und Erwachsene beim Wechsel von DSM-III-R zum DSM-IV wieder aufgehoben. Gründe dafür waren einerseits die häufig vergleichbaren Symptome bei Kindern und Erwachsenen und andererseits, die Schwierigkeit zu entscheiden, wann die Kriterien der Kinder respektive der Erwachsenen angewandt werden, wenn beispielsweise beide Diagnosekriterien erfüllt sind. So wurden zwei der drei kindspezifischen Störungen im DSM-III-R (Störung mit Überängstlichkeit und die Störung mit Kontaktvermeidung) in die Erwachsenendiagnosen überführt. Die Störung mit Überängstlichkeit wurde der Generalisierten Angststörung und die Störung mit Kontaktvermeidung der Sozialen Phobie zugeordnet. Damit die Kriterien dennoch entwicklungsangemessen sind, hat das DSM-IV bei verschiedenen Kriterien Hinweise angegeben, z. B. dass Phobien mindestens sechs Monate anhalten müssen. Bei der Sozialen Phobie wird vorausgesetzt, dass das Kind über sozial angemessene Kompetenzen verfügt oder bei der Generalisierten Angststörung muss nur ein Symptom (z. B. Schlafschwierigkeiten, Reizbarkeit) erfüllt sein, das mit Angst und Sorge verbunden ist. Die Spezifika werden bei den spezifischen Angststörungen in den folgenden Kapiteln näher erläutert.

Es wird deutlich, dass sich die beiden Klassifikationssysteme ICD und DSM zwar in einigen Kriterien überlappen, aber keineswegs völlig deckungsgleich sind (siehe Box 4.1). Hinweise zum DSM-V sind in Box 4.2 aufgeführt.

Tab. 4.1: Symptomatik, Dauer und Spezifika der Angststörungen im Kindesalter nach DSM-IV-TR

Störung

Symptomatik

Dauer

Spezifika

Störung mit Trennungsangst

A)

Entwicklungsmäßig unangemessene und übermäßige Angst vor Trennung von zu Hause, den Eltern oder anderen engen Bezugspersonen. Mind. drei von acht Kriterien müssen erfüllt sein:

Übermäßiger/s Kummer/Leiden bei erwarteter oder tatsächlicher Trennung.

Sorgen, eine wichtige Bezugsperson zu verlieren oder dass ihr etwas zustoßen könnte.

Sorgen, dass ein Unglück zu einer Trennung führt.

Anhaltender Widerwillen oder Weigerung, zur Schule zu gehen aus Angst vor Trennung.

Anhaltende Angst, alleine zu Hause oder ohne Erwachsene in einem anderen Setting zu sein.

Wiederholte Alpträume von Trennungssituationen.

Wiederholte Beschwerden über körperliche Symptome, wenn eine Trennung bevorsteht oder stattfindet.

≥ vier Wochen

DSM-IV-TR: vor 18. Lebensjahr

Spezifische Phobie