Kirche im Aufbruch - Georg Dietlein - E-Book

Kirche im Aufbruch E-Book

Georg Dietlein

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Beschreibung

Die katholische Kirche ist eine Ecclesia semper reformanda, also eine Kirche, die sich immer wieder erneuern, verändern und reformieren muss. Reform im kirchlichen Kontext bedeutet nichts anderes als: Zurückformung - auf Christus hin. Er, Jesus Christus, ist die Existenzberechtigung, das Fundament, die Mission und Strategie der Kirche. An ihm hat sie sich immer wieder zu orientieren, wenn sie neue Wege gehen möchte, um Menschen anzusprechen. Die vorliegende Arbeit wagt einen betriebswirtschaftlichen Blick auf die katholische Kirche in Deutschland und analysiert, wie der umfassende Auf- und Umbruchprozess, der sich der Kirche in den nächsten Jahrzehnten stellen wird, gelingen kann. Hierbei ist in erster Linie ein grundsätzliches Umdenken aller Getauften erforderlich. Die Kirche - das sind nicht nur Papst, Bischöfe und Priester, sondern alle Getauften. Jeden einzelnen Christen betrifft die Sendung: Geht hinaus in die Welt und verkündet das Evangelium! Die Kirche hat keinen Selbstzweck. Vielmehr ist es an der Zeit, dass sie ihre Mission und Kernkompetenz wieder neu entdeckt, nämlich das Evangelium zu den Menschen zu bringen. Insofern ist Papst Franziskus eine „verbeulte“ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist.

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Seitenzahl: 141

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kirche und Management

2.1 Situationsanalyse und Problemstellung

2.2 Prämissen einer betriebswirtschaftl. Betrachtung

2.3 Zum Forschungsstand

2.4 Zum Vorgehen der Arbeit

3. Change Management in NPOs

4. Kirche als Unternehmen?

4.1 Organisation der kath. Kirche in Deutschland

4.2 Strategischer Managementansatz für die Kirche

4.3 Change Management Prozesse in der Kirche

4.4 Management-Instrumente

5. Veränderungsprozesse in kirchl. Grundvollzügen

5.1 Kirchliches Selbstverständnis

5.2 Kirchlicher Verkündigungsdienst

5.3 Organisationsentwicklung

5.4 „Kundenbeziehungen“ der Kirche

5.5 „Produktpolitik“ der Kirche

5.6 Personalentwicklung

5.7 Konflikt- und Krisenmanagement in der Kirche

6. Ergebnis und Diskussion

Schlusswort

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Von der Kirche gibt es so viele Bilder wie es Menschen gibt. Jeder einzelne Christ hat seine spezifischen Erfahrungen mit Kirche, richtet an sie seine eigenen Erwartungen und bringt ein bestimmtes Vorverständnis und Leitbild mit. Einige wenige erblicken in der Kirche in erster Linie die Gemeinschaft der Gläubigen (communio fidelium), die der gemeinsame Glaube an Jesus Christus, die eine Taufe und die Feier der Eucharistie verbindet. Andere betrachten Kirche eher „von außen“ und nehmen vor allem ihre organisatorische Struktur wahr: ein Weltkonzern mit hierarchischer Gliederung, der bereits seit 2000 Jahren seinen Einfluss in der Welt vermehrt und dabei ziemlich erfolgreich ist. Nur wenigen würde bei einer Beschreibung der Kirche die Bezeichnung „Leib Christi“, „Braut Christi“ oder „Tempel des Heiligen Geistes“ einfallen. Oft vergessen wir ob aller Menschlichkeit, dass sich in der Kirche das Heilswerk Jesu Christi fortsetzt und ihr der Heilige Geist eingestiftet ist, der sie durch die Zeiten leitet.

Mancher Katholik in Deutschland scheint gerade diesen Glauben an den Heiligen Geist verdrängt zu haben. Man nimmt wahr, dass der gesellschaftliche Rückhalt der Kirche immer weiter abnimmt und sich immer weniger Männer für das Priestertum begeistern könenn. Bereits fällt das Wort „Krise“ und man befürchtet, dass das Schiff Petri im Sturm der Zeit unterzugehen droht. Dass mit den Menschen Jesus Christus selbst im Schiff sitzt, wird dann oft vergessen: „Warum habt ihr solche Angst, ihr Kleingläubigen?“ (Mt 8,26) – Diese Frage, die Jesus seinen Jüngern in der Situation eines gewaltigen Sturms auf dem See Genezareth stellt, müssen auch wir uns gefallen lassen: Wovor haben wir Angst? Fürchten wir uns, dass Christus aus dem Schiff seiner Kirche aussteigt und uns alleine lässt? Zweifeln wir daran, dass der Heilige Geist als „Steuermann“ sein Schiff unter Kontrolle hat? Oder aber zweifeln wir nur an uns selbst?

Der Umbruch, den die katholische Kirche zur Zeit in Deutschland erlebt, ist bei bestem Willen nicht die erste tiefgreifende und fundamentale „Krise“ der Kirche. Seit 2000 Jahren muss sie sich gegen Anfeindungen von innen und außen erwehren. Sie hat systematische Verfolgung und auch verdeckte Benachteiligung erlebt – und durchlebt diese auch heute. Sie ist von 12 Aposteln auf 1,2 Mrd. Christen weltweit angewachsen – und wächst auch heute.

Angst zu haben braucht die Kirche nicht davor, dass sie scheitern könnte. Ängstigen müsste sie sich allein dann, wenn sie den aus dem Blick zu verlieren droht, der in ihrem Mittelpunkt steht und stehen sollte: Jesus Christus. Die Kirche Christi hat eine einzige Aufgabe: Christus zu bezeugen, ihn zu verkündigen und berührbar zu machen. Das Zentrum der Kirche bildet nicht irgendeine Theorie, eine Weltanschauung oder eine Moral, sondern eine Person: Jesus Christus. Im Zentrum der Kirche steht darum auch nicht das, was sie verkündet, sondern der, den sie verkündet und der sie leitet. Die Kirche ist nicht um ihrer selbst willen da, sondern allein um Christus willen. Sie hat darum auch keinen Selbstzweck. Selbstbeschäftigung und „Selbstbespaßung“ wären für sie fehl am Platz. Christus ist die Existenzberechtigung der Kirche und damit zugleich ihre Grenze.

Er und seine Botschaft sind das eigentliche „Erfolgsrezept“ der Kirche. Darum ist seine Pastoral auch maßgeblich für die Kirche1: missionarisch, persönlich, gemeinschaftlich, zuversichtlich, dankerfüllt, radikal, entschieden. In Jesus Christus ist Gott Mensch geworden, um ganz nahe bei den Menschen zu sein. Dies hat auch für die Kirche zu gelten: Sie soll die Nähe Gottes bei den Menschen sichtbar machen. Dies geschieht vor allem durch den Gottesdienst und die Sakramente, durch kirchliche Verkündigung und tätige Nächstenliebe. Wie Jesus in der einfachen Sprache des Volkes, in Bildern und in Gleichnissen sprach, so muss auch die Kirche an dieser persönlichen Unmittelbarkeit ihres Herrn Maß nehmen.

Die Kirche muss an erster Stelle missionarisch sein. Es geht hier um das wichtige Anliegen der Neuevangelisierung2, das sowohl Papst Benedikt XVI. als auch Papst Franziskus in den Mittelpunkt ihres Pontifikats gestellt haben. Papst Franziskus bezeichnet die Evangelisierung sogar als „Daseinsgrund der Kirche“.3 Sie muss aus sich selbst herausgehen und auf die Menschen zugehen. Sie muss aufhören bloß zu verwalten, sondern muss neu lernen zu gestalten. Sie muss wieder begeisterungsfähig werden. Sie muss den einzelnen Menschen mit seinen Sorgen und Nöten wieder ernst nehmen und neu verstehen lernen. Sie muss den Menschen zuhören und auf ihre Frage eine Antwort haben. Sie muss selbst bereit sein, sich vom Herrn her erneuern zu lassen und neue Wege zu gehen, die parallel neben alten Wegen bestehen können. Nimmt die Kirche diese Chance nicht wahr, so verfehlt sie ihren Sinn: „Wenn die Kirche nicht aus sich selbst herausgeht, um das Evangelium zu verkünden, kreist sie um sich selbst. Dann wird sie krank.“4

Im Rahmen des „Gesprächsprozesses“ der Deutschen Bischofskonferenz diskutierten Katholiken von 2011 bis 2015 über die Frage, wie die Kirche einen neuen Aufbruch wagen kann. Im Vordergrund standen dabei altbekannte Forderungen: Man müsse menschlicher und weniger dogmatisch werden, endlich überfällige Themen angehen wie den Zölibat, die Priesterweihe für Frauen oder die „mittelalterliche“ katholische Sexualmoral. Wie die Kirche die Menschen von heute wirklich neu erreichen kann, um eine missionarische und verkündigende Kirche zu sein, wird indes kaum diskutiert. Um diese Frage soll es im vorliegenden Buch gehen.

Wenn hier in erster Linie ein betriebswirtschaftlicher Blick auf die katholische Kirche in Deutschland geworfen wird, so setzt sich dieser Blickwinkel zumindest der Gefahr des Fehl- und Missverständnisses aus. Ganz akut wird dies, wenn weiter unten von den „Kundenbeziehungen“ oder der „Produktpolitik“ der Kirche die Rede sein wird. Hier stellt sich dann die Frage: Ist die Kirche bloß noch eine „Dienstleisterin“? Eine solche Terminologie wäre in der Tat höchst missverständlich und bei einem verkürzten Verständnis auch falsch.

Die Kirche ist in erster Linie eben nicht bloß Dienstleisterin.5 Sie ist kein Sozialverein, keine Dienstleistungs-, Charity- oder Non-Profit-Organisation wie jede andere auch – dies allein deshalb schon, weil „die Kirche“ ihren Dienst nicht an ihren „Mitgliedern“ tut, sondern aus und in ihren Mitgliedern besteht. „Die Kirche“ – das sind also in erster Linie nicht der Papst, die Bischöfe und die Priester, sondern alle Getauften. Zwar mag es (viele) Kirchenmitglieder geben, die im Bedarfsfall von ihrer Kirche „Dienstleistungen“ wie Taufe, Firmung, Trauung, einen Weihnachtsgottesdienst und unter besonderen Umständen ein persönliches Gespräch erwarten. Ein solches Gelegenheits- bzw. Anlass-Christentum sollte allerdings nicht das Idealbild einer Kirche sein – einer Kirche aus lebendigen Steinen, einer Kirche als Familie und Gemeinde. Kirchenmitglieder dürfen nicht einfach nur „Nachfrager“ oder „Kunden“ sein. Durch die Sakramente der Taufe, Firmung und Ehe sind sie auch selbst „Anbieter“ und „Macher“, indem sie sich selbst aktiv in die Kirche einbringen und in ihrem persönlichen Umfeld Christus darstellen. Dabei ist die Arbeit der Laien nicht zu unterschätzen, wie das Zweite Vatikanische Konzil betont: „Die Laien sind besonders dazu berufen, die Kirche an jenen Stellen und in den Verhältnissen anwesend und wirksam zu machen, wo die Kirche nur durch sie das Salz der Erde werden kann.“6

Die Übertragung des Begriffs „Dienstleisterin“ auf die Kirche lässt uns möglicherweise aber auch deshalb zurückschrecken, weil wir bezweifeln, ob sich Erkenntnisse aus dem Management „einfach so“ auf die Kirche übertragen lassen. Wenn die Kirche kein weltliches Unternehmen und keine „Dienstleisterin“ ist, wenn es in ihr keine Manager, sondern nur Zeugen gibt, so erscheint ein betriebswirtschaftlicher Blickwinkel auf die Kirche völlig verfehlt. Die Kirche ist eben nicht in erster Linie gesandt, um die Nachfrage der Menschen zu befriedigen, sondern um den Willen ihres Herrn zu erfüllen, der ihr eine Vision und Sendung eingestiftet hat.

Möglicherweise erinnern wir uns an die berühmten Worte des neugeweihten Münchener Erzbischofs Joseph Ratzinger bei seiner Bischofsweihe am 28. Mai 1977: Die Hirten der Kirche, die Bischöfe, handeln „nicht im eigenen Namen“, sondern sind „Treuhänder eines anderen“. Der Bischof ist daher „nicht ein Manager, ein Chef von eigenen Gnaden, sondern der Beauftragte des anderen, für den er eintritt.“ In ähnlicher Weise hat Papst Franziskus am Tag nach seiner Wahl betont: „Wir können gehen, wie weit wir wollen, wir können vieles aufbauen, aber wenn wir nicht Jesus Christus bekennen, geht die Sache nicht. Wir werden eine wohltätige NGO, aber nicht die Kirche, die Braut Christi.“7 Der Papst weiß zwar um die Nützlichkeit von Mitteln und Strategien in der Kirche, betont zugleich aber auch deren Zweitrangigkeit und Relativität: „Man kann meinen, dass wir die Evangelisierung am Schreibtisch planen müssen, indem wir über die Strategien nachdenken, Projekte erarbeiten. Aber das sind Mittel, kleine Mittel. Das Wichtige ist Jesus und sich von ihm führen zu lassen. Danach können wir die Strategien entwerfen, aber das ist zweitrangig.“8

Also doch kein Management in der Kirche? Keine Strategie und kein Leitbild? Das wäre sicherlich ein Trugschluss. – Die Kirche braucht Management, Strategien, Visionen und Leitbilder. Im Zentrum muss dabei aber stets Jesus Christus stehen. Die Kirche darf sich nicht primär an Maßstäben des weltlichen Erfolgs (Mitgliederzahl) oder Ansehens (Akzeptanz kirchlicher Positionen in der Gesamtbevölkerung) orientieren. Das würde sie verweltlichen. Vielmehr steht in der Kirche eine Entweltlichung an. Sie muss sich wieder auf ihre Kernbotschaft, auf Jesus Christus, konzentrieren. Das Herz der Kirche bildet das Evangelium selber. Hier gibt es keine „faulen Kompromisse“, um in der Welt besser anzukommen. Jesus geht es im Grunde gar nicht darum, was die Menschen von ihm halten (vgl. Mt 16, 13). Er hat eine Mission, bei der Gott im Zentrum stehen soll.

Und dennoch lehrt uns das Zweite Vatikanische Konzil, dass die Kirche weder Gott – um des Menschen willen – noch den Menschen – um Gottes willen – aus dem Blick verlieren darf.9 Eine Kirche, die allein Gott dient, nicht aber den Menschen, vergisst die Heilsbotschaft und wird zu einer isolierten Kirche.10 Eine Kirche, die allein dem Menschen dient, nicht aber Gott, ist nicht mehr als ein Sozialverein ohne Erdung in Christus. Beide Extreme sollte die Kirche unbedingt vermeiden. Die Kirche ist nicht von dieser Welt, aber sie steht in dieser Welt und muss sich daher mit dieser Welt arrangieren. Das betrifft etwa die Organisationsform, die sie wählt, und die Sprache, die sie spricht. Die Kirche will mit ihrer Botschaft in der Welt „ankommen“.

Bei allen Problemen, die der Bezeichnung „Dienstleisterin“ innewohnen11: Die Kirche ist dazu berufen, in dieser Welt zu dienen. Sie ist Dienerin ihres Herrn und Dienerin der Menschen. Sie muss wieder zurückfinden zu einem missionarisch-diakonischen Selbstverständnis. Sie will den Menschen beschenken mit dem Größten, was sie hat: mit ihrer guten Botschaft, mit ihrem Evangelium, mit ihrer Hoffnung, mit ihrem Herrn selbst. Und darum stellt sie ihr Licht auch nicht unter den Scheffel, sondern stellt sich mit ihrer guten Botschaft an den Straßenrand und erzählt davon. Sie geht auf die Menschen zu, um sie mit ihrer frohen Botschaft vertraut zu machen. Sie will als Braut ihres Herrn ganz christusförmig und „christoaktiv“12 werden. Sie erträgt in Verbundenheit mit der angenagelten und gekreuzigten Liebe ihres Erlösers die Anfeindungen dieser Welt und erniedrigt sich in „fußwaschender Liebe“13. Auch die Kirche „ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen“ (Mk 10, 45). Und darum ist sie auch nicht geizig mit ihren Gaben, sondern teilt ihren Herrn großzügig aus in Wort und Sakrament. Letztlich ist Pastoral darum auch eine „Dienst-Leistung an den und für die Menschen“14.

Um heute Menschen anzusprechen, muss die Kirche aus sich selbst herausgehen. Sie muss sich bis an die Ränder der Gesellschaft aufmachen. Eben weil die Kirche offen für die Welt sein möchte, darf sie auch – im Rahmen der relativen „Autonomie der irdischen Wirklichkeiten“ – auf die Betriebswirtschaftslehre und andere profane Wissenschaften hören, um mit ihrer Botschaft auf fruchtbaren Boden zu stoßen. Letztlich geht es darum, die gute Botschaft, die die Kirche der Welt zu bieten hat, immer wieder neu zur Sprache zu bringen:

Ja, diese sichere und beständige Lehre, der gläubig zu gehorchen ist, muss so erforscht und ausgelegt werden, wie unsere Zeit es verlangt. Denn etwas anderes ist das Depositum Fidei oder die Wahrheiten, die in der zu verehrenden Lehre enthalten sind, und etwas anderes ist die Art und Weise, wie sie verkündet werden, freilich im gleichen Sinn und derselben Bedeutung. Hierauf ist viel Aufmerksamkeit zu verwenden; und, wenn es Not tut, muss geduldig daran gearbeitet werden, das heißt, alle Gründe müssen erwogen werden, um die Fragen zu klären, wie es einem Lehramt entspricht, dessen Wesen vorwiegend pastoral ist.15

Der Hauptakzent auch dieser Arbeit wird nicht auf der Frage des „Was?“, sondern auf der Frage des „Wie?“ liegen: Wie kann die Kirche heute Menschen ansprechen? Steht dabei Werbung im Vordergrund – oder doch eher das persönliche Zeugnis überzeugter Christen, die damit in der heutigen Zeit oft zu „Märtyrern“ (das griechische Wort für „Zeugen“) werden?

Es soll ein strategischer – d. h. geordneter und systematischer – Ansatz einer dienenden Kirche entwickelt werden – auch unter Zuhilfenahme betriebswirtschaftlicher Methoden. Nur eine Kirche, die sich „strategisch“ an Christus orientiert, wird fähig sein, ihre Botschaft in die Welt zu tragen. Dabei muss das Selbstverständnis von Kirche neu überdacht werden: Wir müssen wieder eine offensiv-missionarische, demütige, hörende und dienende Kirche sein, eine Kirche Gottes für die Menschen, eine Kirche, die sich auf den Weg zu den Menschen macht, wie es Gott in Jesus Christus getan hat.

Bei vielen wird dazu ein Sinneswandel notwendig sein. Alte Kirchenbilder müssen abgelegt werden: eine Kirche, die darauf angewiesen ist, auch Mehrheits- und Volkskirche zu sein, eine Kirche, die sich selbst feiern kann, eine „triumphierende“ Kirche16, die über ihre Gegner hinwegziehen und lachen kann, eine Kirche, der die Menschen – um Gottes willen – völlig egal sind, eine Kirche, die sich selbst genügt.

Es ist schon bezeichnend, dass das Bild einer „dienenden Kirche“ gehäuft in der Literatur der 1960er-Jahre auftaucht – und dann lange Zeit gar nicht mehr.17 Unvergessen ist das Plädoyer des Konzilsberaters und späteren Kardinals Yves Congar OP (1904 – 1995) für eine „dienende und arme Kirche“. Damit hat er die heutige Sorge um „Neuevangelisierung“ und „Entweltlichung“ der Kirche bereits vorweggenommen. 2010 taucht der Begriff der „dienenden Kirche“ an recht prominenter Stelle wieder auf: im Impulsreferat des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, bei der Herbst-Vollversammlung in Fulda am 20. September 2010 – im Krisenjahr 2010, dem Jahr des großen Missbrauchsskandals, und zu Beginn des „Gesprächsprozesses“ der Deutschen Bischofskonferenz.18 Hier plädiert Robert Zollitsch „für eine pilgernde, hörende und dienende Kirche“ – ein Kirchenbild, das auch Papst Franziskus in eindrücklicher Weise immer wieder anmahnt.

Hören wir abschließend ein Wort von Papst Franziskus, der die Kirche auffordert, sich aufzumachen und bis an die Ränder der Gesellschaft zu gehen, um wirklich wieder dienende und missionarische Kirche zu sein:

Brechen wir auf, gehen wir hinaus, um allen das Leben Jesu Christi anzubieten! Ich wiederhole hier für die ganze Kirche, was ich viele Male den Priestern und Laien von Buenos Aires gesagt habe: Mir ist eine „verbeulte“ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist. Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein, und schließlich in einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist.

Wenn uns etwas in heilige Sorge versetzen und unser Gewissen beunruhigen soll, dann ist es die Tatsache, dass so viele unserer Brüder und Schwestern ohne die Kraft, das Licht und den Trost der Freundschaft mit Jesus Christus leben, ohne eine Glaubensgemeinschaft, die sie aufnimmt, ohne einen Horizont von Sinn und Leben.19

Wenn man diese Worte von Papst Franziskus ernst nimmt, hat die katholische Kirche in Deutschland noch viel vor sich. Machen wir uns an die Arbeit und bitten wir dazu den Heiligen Geist um seine Hilfe!

Köln, am Pfingstfest 2015

Georg Dietlein

1 Vgl. sehr anschaulich Lothar Roos, Der Eine für Viele. Die Pastoral Jesu und die Neuevangelisierung heute, in: Dörner, Reinhard (Hrsg.), „Fürchte dich nicht, du kleine Herde“ (Lk 12,32). Katholische Kirche in Deutschland zwischen Traditions- und Entscheidungskirche, Stadtlohn 2012 (Verlag Kardinal-von-Galen-Kreis e.V.), S. 10 – 34.

2 Vgl. Rino Fisichella, Was ist Neuevangelisierung?, Augsburg 2012.

3 Vgl. die Rede von Jorge Mario Kardinal Bergoglio im Vorkonklave 2013 (kath.net/news/40706).

4 Ebd.

5 Vgl. Ludwig Schick, Kirche ist mehr als ein Dienstleister (2012), http://www.domradio.de/nachrichten/2012-06-10/nachrichtenarchiv-10062012-1254.

6 Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution „Lumen gentium“ über die Kirche, Nr. 1.

7 Papst Franziskus, Predigt am 14. März 2013 (kath.net/news/40541).

8 Papst Franziskus, Ansprache am 18. Mai 2013 (Pfingstvigil mit den kirchlichen Bewegungen auf dem Petersplatz).

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