Kiss me in Winter. Eine sugar coated Romance - Laurie Gilmore - E-Book

Kiss me in Winter. Eine sugar coated Romance E-Book

Laurie Gilmore

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Beschreibung

Ein weiblicher Grinch muss sich mit Weihnachten herumschlagen - und entdeckt dabei das wohl schönste Geschenk überhaupt ...

Kira North hasst Weihnachten. Was bedauerlich ist, denn sie hat gerade eine Weihnachtsbaumfarm in Dream Harbor gekauft und versucht nun verzweifelt, sie auf Vordermann zu bringen. Bennett Ellis ist im Urlaub in der liebenswürdigen Kleinstadt und versucht, dort eine Pause von seinem Leben machen zu können. Doch das Schicksal will, dass Ben dank des Schnees auf Kiras Farm Unterschlupf finden muss. Und trotz Kiras grinchigen ersten Eindrucks und Bens Sturheit kommen die beiden sich im Schein der Lichterketten in den Bäumen und dem Versprechen einer wärmenden heißen Schokolade immer näher, sodass vielleicht doch keiner von ihnen alleine Weihnachten feiern muss …

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 413

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Zum Buch:

Nach einer Begegnung mit Kira auf ihren Feldern hat Ben nicht die Absicht, der mürrischen Besitzerin zu helfen, ihre Weihnachtsbaumfarm aufzubauen, obwohl sie offensichtlich keine Ahnung hat, was sie tut. Kira weiß, dass sie aufhören sollte, so stur zu sein, aber ihre Farm ist nicht so süß und gemütlich, wie sie sie in den sozialen Medien darstellt. Sie ist fast gefährlich, so ganz ohne Heizung, und Kira hält solche Umstände lieber geheim. Doch irgendwie führt das Schicksal Ben erneut auf Kiras Farm, und während sie ihm zusieht, wie er mit der Axt den ersten Baum fällt, lernt sie seine Stärke zu schätzen und fragt sich, warum sie sich anfangs geweigert hat, seine Hilfe anzunehmen …

Zur Autorin:

Laurie Gilmore schreibt knisternde Kleinstadtromane mit schrulligen Stadtbewohnern, gemütlichen Schauplätzen und einer Liebesgeschichte, bei der man ins Schwärmen gerät.

Laurie Gilmore

Kiss me in Winter

Eine sugar coated Romance

Übersetzt aus dem Englischen von Ira Panic

HarperCollins

Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel The Christmas Tree Farm bei One More Chapter, London.

Karte von Dream Harbor: © Laura Hall

© 2024 by Laurie Gilmore

Deutsche Erstausgabe

© 2025 für die deutschsprachige Ausgabe

by HarperCollins in der

Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH

Valentinskamp 24 · 20354 Hamburg

[email protected]

Covergestaltung von Guter Punkt | Agentur für Gestaltung

Coverabbildung von Nadja Tilke | Guter Punkt, München

E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck

9783749909209

www.harpercollins.de

Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte der Urheberinnen und des Verlags bleiben davon unberührt.

Für jeden, der sich schon mal gewünscht hat, die Hallmark-Weihnachtsfilme wären etwas prickelnder, könnte dies hier genau das Richtige sein.

1. Kapitel

Kira North hasste Weihnachten. Was ungünstig war, wenn man bedachte, dass sie momentan als stolze Besitzerin einer Weihnachtsbaumfarm in einer geradezu unerträglich anheimelnden Stadt lebte, deren Bewohner offenbar unfähig waren, wiederholte Winke mit Zaunpfählen zu kapieren und Kira verdammt noch mal in Ruhe zu lassen.

Frustriert seufzend schloss sie die Tür hinter ihrem jüngsten Besucher, einem Typ namens George, der ihr eine Tüte Weihnachtsplätzchen aus der örtlichen Bäckerei, eine Visitenkarte und ein paar verheißungsvolle Andeutungen über eine mögliche Zusammenarbeit hinterlassen hatte. Er war der Dritte an diesem Wochenende.

Gestern hatte die stellvertretende Bürgermeisterin Mindy Walsh im Namen der Gemeinde vorbeigeschaut, um ihr einen Flyer zum Christmas Tree Lighting zu überreichen, das nächste Woche stattfinden sollte. Als ob Kira nicht schon eine halbe Million der Dinger gesehen hätte, wann immer sie zum Einkaufen in die Stadt ging. Und erst heute Morgen war eine komplette Familie bei ihr eingefallen, inklusive einer Schar Kinder in identischen Weihnachtspullis, um zu fragen, ob sie einen Baum schlagen könnten. Kira hatte sie weggeschickt und so getan, als ob sie die Tränen der Kids nicht bemerkte.

Es war alles ein bisschen viel für sie. Mit dem Rücken zur Tür ließ sie sich zu Boden gleiten und riss die rot-grüne Zellophantüte mit den Keksen auf. Sie suchte sich einen in Form eines Weihnachtsmanns aus und biss ihm den Kopf ab. Leider schmeckte er unglaublich gut nach Muskat und Zimt. Verdammter Kerl.

Während sie ihn, einen dekadenten Biss nach dem anderen, genüsslich zur Strecke brachte, kroch die Kälte ihren Rücken hoch. Die Tür war eisig. Der Boden war eisig. Das ganze beschissene alte Haus, in das sie vor drei Monaten eingezogen war, klirrte vor Kälte. Kira ließ ihren Hinterkopf sanft gegen die Tür prallen und versuchte so zu tun, als ginge es ihr prima. Es ging ihr auch prima. Sie würde einfach noch einen dritten Pullover überziehen. Und ein dickeres Paar Socken. Und manchmal trugen die Leute auch drinnen Mützen, nicht wahr?

Der altersschwache Heizkörper neben der Tür ließ ein verzagtes Wimmern vernehmen.

Okay. Höchste Zeit, sich wieder aufzurappeln. Sich aufzurappeln und zurück an die Arbeit zu gehen, da das »pittoreske Bauernhaus«, das sie unbesehen gekauft hatte, in Wahrheit ein baufälliges altes Bauernhaus mit einer dahinsterbenden Heizungsanlage war und »mehrere Hektar reizvolles Ackerland« sich als geliebte, aber total heruntergekommene Weihnachtsbaumfarm entpuppt hatten. Obwohl Kira ursprünglich geschworen hatte, den Betrieb nicht wieder aufzunehmen, musste sie es nun doch tun, um Geld zu verdienen und ihre neue Bleibe auf Vordermann zu bringen. Ihre gesamten Ersparnisse waren nämlich bereits für den Kauf draufgegangen.

Wenn sie den Winter überleben wollte, statt demnächst von einem neugierigen, aber wohlmeinenden Nachbarn tiefgefroren in irgendeiner Ecke aufgefunden zu werden, musste sie den Laden hier zum Laufen bringen. Und zwar schnell. Es war bereits der Sonntag nach Thanksgiving, und nach der Familie zu urteilen, die sie heute Morgen so bitterlich enttäuscht hatte, brannten die Leute geradezu darauf, ihre Weihnachtsbäume jetzt schon in Stellung zu bringen.

Im Vorbeigehen schnappte sie sich eine Decke vom Sofa und schlurfte damit zu ihrem Laptop, der auf einem uralten Holztisch stand, den die Vorbesitzer zurückgelassen hatten. Genau genommen hatten sie ziemlich viel Schrott zurückgelassen. Immer wieder war Kira an den seltsamsten Orten auf ungeöffnete Briefe gestoßen, hatte sich aber nicht die Mühe gemacht, die Umschläge aufzureißen. Der Tisch war allerdings ganz nett. Er passte zu ihren Vorstellungen von einem Bauernhaus.

Sie klappte den Computer auf. Immer noch kein Netz. Seit dem Stromausfall vergangene Woche war das Internet weg. Und auch das Mobilfunknetz hatte sich als höchst unzuverlässig erwiesen.

Verdammt.

Wie um alles in der Welt sollte sie auf diese Weise Personal finden, eine Website erstellen und für Präsenz in den Sozialen Medien sorgen? Und das alles idealerweise auch noch binnen zwei Tagen? Mutlos ließ Kira sich auf den nächstbesten Stuhl sinken und versuchte, nicht zu weinen. Schon deshalb, weil ihr die Tränen wahrscheinlich am Gesicht festfrieren würden. Also schniefte sie sie zurück und versuchte nicht daran zu denken, wie jämmerlich sie gerade aussehen musste, eingepackt in viel zu viele Kleidungsschichten und mit rot glühender Nase von der Kälte und vom Heulen.

So hatte sie sich das alles hier wirklich nicht vorgestellt.

In allererster Linie sollte sie hier schon mal nicht allein sein. Sondern zusammen mit ihrer Schwester. Ihrer anderen Hälfte. Ihrer weitaus kompetenteren, vernünftigeren, besonneneren Hälfte. Ihrer Zwillingsschwester und von Geburt an besten Freundin. Niemals hätte Chloe aus einer Laune heraus dieses Haus gekauft. Zumindest hätte sie sich nie darauf eingelassen, das Anwesen ohne Besichtigung und Bestandsaufnahme zu erwerben. Chloe hätte unbequeme Fragen gestellt, zum Beispiel: Warum willst du auf einer Farm in Neuengland leben, obwohl du keinen Schimmer hast, wie man Sachen anbaut oder Sachen einkocht oder überhaupt irgendwas mit seinen Händen macht? Fragen, die zu beantworten Kira nicht das geringste Bedürfnis empfand.

Dieser ganze Plan war nämlich weniger eine Laune als vielmehr ein letzter verzweifelter Versuch, noch mal von vorn anzufangen. Und dabei so weit wie möglich von ihrem alten Leben und ihrem alten Ich wegzukommen. Es handelte sich also keineswegs um einen kapriziösen Impuls, sondern um eine radikale Neuerfindung ihrer Person. Hin zu der Kira, die sie künftig sein wollte.

Denn Chloe hatte sie im Stich gelassen. War abgehauen, um zu heiraten. Und dann nach Dänemark gezogen. Ausgerechnet Dänemark! Was blieb einem da schon übrig, wenn die eigene Seelenverwandte, die eigene Hälfte eine neue, bessere Hälfte fand?

Tja, offensichtlich bot es sich in einer solchen Situation an, viel zu viele Social-Media-Beiträge zum Thema Selbstversorgung aufzusaugen, zu dem Schluss zu gelangen, dass man das auf jeden Fall locker hinkriegen würde, sein gesamtes Treuhandvermögen in den Kauf einer Farm zu stecken und dadurch letztendlich sein Leben zu ruinieren. Okay, vielleicht war dieser spezielle Plan doch ein klein wenig einer Laune entsprungen …

Doch nun war sie hier. Trübsinnig und einsam. Und bis auf die Knochen durchgefroren.

Energisch wischte Kira sich mit dem Handrücken übers Gesicht. Das hier war doch wirklich lächerlich. Sie musste dringend etwas unternehmen, oder die Horrorvorstellung, wie sie erfroren in ihrem Bett lag, würde schon bald Realität. Zwecks Stärkung schob sie sich einen weiteren Keks in den Mund, griff kauend nach ihrem Smartphone, wickelte die Decke fester um sich, stand auf und ging zur Hintertür. Dort schlüpfte sie in ihre neuen Stiefel und trat nach draußen. Gefühlt war es hier wärmer als im Haus. Die Sonne, so schwächlich sie Ende November auch schien, half definitiv.

Um hier zu überleben, musste sie sich wohl oder übel an diese nördlichen Winter gewöhnen. Obwohl es bislang noch nicht mal geschneit hatte, fühlte sie sich bereits hoffnungslos unvorbereitet. Daheim in Georgia zeigte das Thermometer selten weniger als zehn Grad an, schon gar nicht nachmittags. Hier hingegen herrschten gerade Minustemperaturen.

Sie saß so was von in der Patsche.

Bloß keine Tränen. Nicht jetzt. Erst später, wenn sie sich sicher unter ihre Bettdecke gekuschelt hätte. Nicht hier im Garten, wo jederzeit irgendein herumstreifender Einwohner von Dream Harbor aufpoppen könnte wie ein albtraumhaft fröhlich grüßender Schachtelteufel.

Sie hielt ihr Telefon hoch und begann, zwischen den Baumreihen hindurchzulaufen, die sich hinter ihrem winzigen Garten erstreckten. Wenn sie nur weit genug ging, musste sie doch irgendwann auf ein Netzsignal stoßen. Vermutlich könnte sie auch in den Ort gehen und in der Bücherei arbeiten oder in diesem Café, von dem alle so begeistert waren, aber dazu müsste sie sich in die Öffentlichkeit begeben, wonach ihr bei ihrem gegenwärtigen Balanceakt am Rande des Nervenzusammenbruchs absolut nicht der Sinn stand. Also … musste sie wohl oder übel in ihrer Flanell-Pyjamahose, ausgeleierten alten Pullovern und einer Daunendecke über die Felder wandern.

Die Bäume erhoben sich vor ihr in ordentlichen Reihen. Manche reichten ihr nur bis zur Taille, andere ragten ein bis zwei Meter über ihren Kopf hinaus. Glücklicherweise waren sie in den vergangenen paar Jahren auch ohne Besitzer ihrer Baumnatur treu geblieben und einfach weitergewachsen. Sie konnten etwas Beschnitt und Formgebung vertragen, doch alles in allem war der Bestand in bester Ordnung. Anders als die baufällige Scheune und das heruntergekommene Haus, an dem sehr viel gemacht werden musste.

Aber dazu brauchte Kira erst mal Geld.

Und bevor sie Geld verdienen konnte, brauchte sie Angestellte und ein echtes Geschäftsmodell. Sie musste einen Betrieb führen, etwas, das Kira noch nie im Leben gemacht und auch nie angestrebt hatte.

Doch ehe sie weiter ins Grübeln kommen konnte, preschte ein gigantischer schwarzer Fleck auf sie zu, mit zwei kleineren Flecken im Schlepptau.

Kira schrie auf.

Die Hunde bellten.

Der Mann, der ihnen folgte, blieb abrupt stehen.

»Elizabeth, bei Fuß«, rief er streng, und sofort sprang der größte Hund fröhlich an seine Seite. »Braves Mädchen.« Er tätschelte ihr den Kopf.

»Odie, Pudgy, bei Fuß.« Er versuchte, die anderen beiden Hunde im selben scharfen Ton zur Ordnung zu rufen, doch dafür war es zu spät, denn Kira ging bereits in die Hocke, um die um ihre Füße herumwimmelnden Tiere zu streicheln.

»Was haben wir denn da für zwei Süße«, gurrte sie. »Kleine Engelchen.« Der kleinste Hund, eine Art Westie-Mischling mit drahtigem weißen Fell, schob aufgeregt hechelnd seine kalte Schnauze in ihre Handfläche. Der andere, der in Hundejahren gerechnet mindestens hundert sein musste, wartete geduldig und mit heraushängender Zunge darauf, zwischen seinen Schlappohren gekrault zu werden.

»Ja, ihr seid ganz liebe Hunde, ganz, ganz niedlich«, fuhr Kira fort, streichelnd und kraulend und dermaßen entzückt, auf ihrer Farm so hinreißenden Tieren zu begegnen, dass sie den dazugehörigen Mann fast vergessen hätte.

»Äh, tut mir leid«, sagte er. »Mir war nicht klar … Ich meine, ich dachte, der Hof sei verlassen. Andernfalls hätte ich die Hunde an die Leine genommen.«

»Schon gut«, erwiderte Kira, die noch immer am Boden kauerte und ihre Aufmerksamkeit nun Elizabeth zuwandte, die begonnen hatte zu winseln, weil sie von den Liebesbekundungen ausgeschlossen war, mit denen die anderen beiden überschüttet wurden. »Was bist du doch für ein schönes Mädchen«, lobte Kira sie, und es kam ihr vor, als ob die große Hündin sie anlächelte. Kira lächelte ebenfalls, zum ersten Mal seit Tagen. Es fühlte sich gut an.

Jedenfalls so lange, bis sie endlich aufstand und den Mann anschaute, der die Fellnasen auf ihre Farm gebracht hatte. Und sie jetzt mit gleichermaßen verwirrter wie entsetzter Miene anstarrte. Kiras Lächeln erstarb.

Erst jetzt fielen ihr wieder ihre ungewaschenen Haare ein, ihre rotgeränderten Augen und ihr Fashion-Statement mit einer Decke als Mantelersatz. Ächz. Dieser Tag, dieser Ort, diese Leute! Sie waren wirklich überall!

Sie richtete sich zu voller Höhe auf. »Tja, also, mir gehört diese Farm«, erklärte sie. »Daher sind Sie hier unberechtigter Weise eingedrungen.«

Elizabeth winselte, und Kira kraulte sie zwischen den Ohren. »Du nicht, Schätzchen. Du wusstest es ja nicht besser.«

»Fairerweise muss ich anmerken, dass ich es ebenfalls nicht wusste«, sagte der Mann. Um seine Mundwinkel zuckte ein Lächeln.

»Wie kann das sein?«, gab Kira zurück. »Jeder in dieser neugierigen Stadt weiß es.«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich wohne nicht in dieser neugierigen Stadt.«

Kira runzelte die Stirn. »Was machen Sie dann hier?«

»Jemanden besuchen.«

Sein Ton missfiel ihr. Und sein Gesicht auch, wenn sie schon mal dabei war. Es war zu … zu … schön. Auf eine nervtötend konventionelle Art. Viel zu symmetrisch. Zu viel perfektes dunkles Haar. Wirklich nervig. Und völlig uninteressant.

Zu mehrheitsfähig.

»Nun, derjenige, den Sie besuchen, hätte Ihnen sagen müssen, dass ich die Besitzerin dieser Farm bin und Sie hier nicht einfach so herumstromern dürfen auf ihrer kleinen Wandertour oder was immer das hier sein soll.«

Das unausstehlich unverschämte Lächeln des Mannes wurde breiter. »Kleine Wandertour oder was auch immer?«

»Keine Ahnung! Was soll denn diese Weste? Sie sehen aus, als ob Sie einen Geländemarsch vorhaben.«

Er schaute auf seine wattierte Weste, die dunklen Jeans und die Wanderstiefel hinunter und ließ seinen Blick dann über Kiras Outfit schweifen.

»Sie tragen eine Decke«, bemerkte er.

»Ja.«

»Und machen sich über meine Weste lustig?«

»Ja.« Sie verschränke die Arme vor der Brust, was er allerdings nicht sehen konnte, da es unterhalb ihrer Decke stattfand. Aber ihre Haltung war abwehrend, und sie war ziemlich sicher, dass das bei ihm ankam. Sie mochte diesen Typen und sein aufreizendes Lächeln nicht. Und seine hellen Augen mit den dunklen Wimpern. Im Ernst? Würg, noch banaler ging ja wohl nicht.

Kira stand nur auf Männer, die »schlechte Idee« auf die Stirn tätowiert hatten (manchmal sogar buchstäblich), und dieser Kerl hier sah aus wie die Verkörperung des Typs, von dem deine Mutter sich wünscht, dass du ihn über die Feiertage mitbringst und mit ihm im Partnerlook-Pyjama unterm Weihnachtsbaum Kakao schlürfst. Äußerst unangenehm. Absolut unattraktiv in jeder Hinsicht, wirklich.

Vielleicht abgesehen davon, wie seine Oberschenkel diese Jeans ausfüllten.

Aber das spielte jetzt wirklich keine Rolle.

»Ich bitte nochmals um Entschuldigung für das Missverständnis«, sagte er. »Wir verschwinden umgehend von hier.«

Ach ja. Natürlich würde er die Hunde mitnehmen. Mist. Sie mochte die Hunde. Kira schaute auf die drei hinreißenden Fellnasen hinunter und hätte schwören können, deren Gedanken zu hören.

»Sie können Ihren Spaziergang genauso gut zu Ende bringen«, platzte sie heraus. Überrascht hob er die dunklen Brauen, was sie jedoch ignorierte. »Ich meine, wenn Sie nun schon mal hier sind. Die Hunde brauchen ihre Bewegung, und die würde ich ihnen nie verwehren.«

»Dann sind Sie wohl eine große Hundefreundin.«

»Hunde sind in jeder Hinsicht besser als Menschen.«

Sein Lachen klang tief und herzlich und übte nicht die geringste Wirkung auf sie aus.

»Das unterschreibe ich sofort.«

Kira nickte ihm kurz zu, in der Erwartung, dass er nun seines Weges ziehen würde, doch er schaute sie weiter so intensiv an, als versuchte er, ein Puzzle zusammenzusetzen.

»Was?«, fuhr sie ihn an.

»Ich frage mich … Ich meine, ist alles in Ordnung bei Ihnen?«

Ob alles bei ihr in Ordnung war?! Wie konnte er es wagen?! Wie konnte er es wagen zu unterstellen, dass mit ihr etwas nicht stimmte, nur, weil sie in eine Bettdecke gewickelt draußen herumlief und dabei ihr Telefon durch die Luft schwenkte, als würde sie glauben, dass es durch Zauberei funktionierte?

Mit einer Hand strich sie glättend über ihre Decke. »Alles gut, danke.«

Besorgt musterte er sie, wobei sich zwischen seinen unerträglich perfekten Brauen eine kleine Falte bildete. Am liebsten hätte Kira ihm irgendwas an den Kopf geworfen, um festzustellen, ob sie sie treffen würde.

»Es ist nur … Sie gehen hier entlang und halten Ihr Handy hoch, da dachte ich, dass Sie vielleicht Probleme damit haben. Ich arbeite in der Technologiebranche, daher dachte ich, ich könnte vielleicht …«

Ein Tech-Bro? Na toll, das hatte ihr gerade noch gefehlt! Vertraue immer deinem Bauchgefühl, hieß es doch. Und ihr Bauchgefühl war richtig gewesen. Sie brauchte keinen edlen Retter, schon gar keinen Clark-Kent-Verschnitt aus dem Silicon Valley, der herumspazierte, wo es ihm gerade passte, weil er glaubte, ihm gehöre die ganze Welt. Kein Anschluss unter dieser Nummer, Kumpel!

»Nein danke, Elon. Ich komme schon zurecht.«

»Elon?« Er klang jetzt höchst beleidigt. Hmm … das wiederum hatte etwas.

»Wow, ich wollte nur helfen«, fuhr er fort.

»Niemand hat Sie darum gebeten.«

Er hob die Hände. »Tut mir leid. Sie haben recht. Ich … äh … werde jetzt mal das Feld räumen.«

»Danke«, erwiderte sie, ohne ihn anzuschauen. Sein verletzter Gesichtsausdruck hatte ihr etwas den Spaß verdorben. Rasch hockte sie sich noch einmal hin, um sich von ihren neuen Freunden zu verabschieden.

»Macht’s gut, ihr Süßen. Genießt euren Spaziergang.« Sie verteilte noch ein paar Streicheleinheiten auf Vorrat, und als sie wieder aufstand, hatte der geheimnisvolle Unbekannte sich bereits abgewandt und ging durch die Baumreihen davon. Er pfiff nach seinen Hunden, damit sie ihm folgten.

Was sie leider auch taten.

2. Kapitel

»Kannst du nicht mal hierbleiben und dich kurz zu mir setzen?«, fragte Jeanie. Sie ließ sich auf einen Stuhl am nächstgelegenen Tisch fallen und deutete auffordernd auf den Platz gegenüber. »Während es hier gerade ruhig ist? Ich brauche sowieso eine Pause.«

Bennett ließ den Blick durch das gerade mal leere Pumpkin-Spice-Café wandern und schaute dann wieder seine Schwester an. Jeanie schenkte ihm ihr süßestes Lächeln. »Bitte.«

»Dir ist aber schon klar, dass ich arbeiten muss, während ich hier bin, oder?«, murrte er, setzte sich aber schließlich doch hin. Bennett war für einen Monat in Dream Harbor zu Besuch. Derweil Jeanie sich im Haus ihres frischgebackenen Verlobten einrichtete, wohnte Bennett in ihrer Wohnung über dem Café und würde über die Feiertage bleiben. Er hatte sich technisch extra so aufgestellt, dass er in den nächsten Wochen von hier aus arbeiten konnte – sozusagen im Home-Office. Viele seiner Kollegen taten das regelmäßig. Seine Schwester jedoch schien seinen Aufenthalt für einen verlängerten Urlaub zu halten.

»Nur ein paar Minuten!«, sagte sie. »Meine Güte, sind in deinem Job etwa keine Kaffeepausen vorgesehen?«

»Schon, aber es ist die Woche nach Thanksgiving. Da hat sich einiges an Arbeit aufgestaut.«

»Klar. Dein Computerkram.«

Beinahe hätte er ihr zum x-ten Mal erklärt, dass er Software-Ingenieur war und Programme für mehrere Online-Händler schrieb, verschluckte die Worte aber dann. Im Grunde hatte er schon vor Jahren aufgegeben, Jeanie erklären zu wollen, was genau er tat. Ungefähr zu der Zeit, als sie anfing, mangels besserer Erklärung aller Welt zu erzählen, dass ihr Bruder sich als eine Art persönlicher Online-Einkäufer verdingte. »Computerkram« kam der Sache nahe genug.

»Was hat du denn gestern so getrieben?« Jeanie nippte an ihrem Kaffee. An der Hand, die den Becher hielt, funkelte ihr neuer Verlobungsring. Direkt vor Thanksgiving hatte Logan ihr den Antrag gemacht, mit der Folge, dass Bennett auf der gesamten siebenstündigen Rückfahrt aus Buffalo, wo sie den Feiertag bei ihren Eltern verbracht hatten, ertragen musste, wie die beiden einander mit Herzchen in den Augen anschmachteten. Anschließend war er sehr dankbar gewesen, dass er hier in Dream Harbor seinen eigenen Bereich hatte und eine Auszeit von den Turteltauben nehmen konnte.

Logan war ein guter Kerl, und Bennett freute sich wirklich für die beiden, aber der Ring erinnerte ihn daran, wie grottenschlecht sein eigenes Liebesleben zuletzt verlaufen war. Bei den meisten Frauen, die er kennengelernt hatte, konnte er sich nicht mal ein zweites Date vorstellen, geschweige denn eine Partnerschaft fürs Leben. Waren langfristige Bindungen überhaupt noch angesagt heutzutage?

»Nichts Besonderes«, erwiderte er. »Ich habe ausgeschlafen und bin mit den Hunden rausgegangen.«

»Wo warst du denn mit ihnen?«

»Auf der alten Weihnachtsbaumfarm Richtung Spruce.«

Jeanie machte große Augen. »Oh.«

»Ja, wäre nett gewesen, wenn du erwähnt hättest, dass es eine neue Besitzerin gibt.«

»Tut mir leid! Hatte ich glatt vergessen.«

Bennett lehnte sich in seinem Stuhl zurück und dachte an die Frau, die er gestern in den Pflanzungen getroffen hatte. Die Frau, die seinen Hunden so viel Wärme und Zuneigung entgegengebracht hatte und gleichzeitig ihm gegenüber komplett abweisend gewesen war. Die aussah, als ob sie gerade mitten in irgendeiner Krise steckte, sich aber aufführte, als hielte sie sich für etwas Besseres. Und die sich über ihn lustig gemacht hatte, als er ihr Hilfe anbot.

Nein, er war kein großer Fan der neuen Weihnachtsbaumfarmbesitzerin. Obwohl sie in diese Decke gewickelt so süß ausgesehen hatte und ihr Lächeln so strahlend gewesen war, als sie seine Hunde streichelte.

Aber Ben kannte viele süße Frauen, und süß war den ganzen Stress nicht wert. In den vergangenen Monaten hatte er einer süßen Frau bei der ersten Begegnung dabei geholfen, aus der Wohnung ihres Ex auszuziehen, während dieser von der Veranda aus um Verzeihung bettelte. Das Date mit einer anderen süßen Frau, die er über eine Online-Plattform kennengelernt hatte, bestand aus einem schnellen Drink und der anschließenden Bitte, zum Flughafen gefahren zu werden, die er auch erfüllte, denn was hätte er sonst tun sollen. Danach hatte er es noch dreimal versucht, doch keine der Frauen mochte Hunde, und eine von ihnen schien sogar Tiere im Allgemeinen zu verabscheuen. Er hatte gesehen, wie sie einen Vogel böse anfunkelte.

Das Letzte, war er gebrauchen konnte, war eine weitere süße Frau.

Mit süßen Frauen war er durch.

»Bist du Kira begegnet?« Jeanie verzog schuldbewusst das Gesicht.

Bennett schüttelte die düsteren Gedanken ab, die ihm durch den Kopf schwirrten, und konzentrierte sich wieder auf seine Schwester. »Falls Kira die unfreundliche neue Besitzerin ist, dann ja, ich bin Kira begegnet.«

»Sie ist …« Jeanie hielt inne und tippte sich nachdenklich an die Unterlippe, auf der Suche nach einem netteren Begriff, um Kira zu beschreiben. Sie fand keinen. »Stimmt, sie ist ziemlich unfreundlich, aber ich bin sicher, dass sie irgendwo einen netten Kern hat. Wir müssen ihn nur entdecken.«

»Ich muss gar nichts entdecken.« Er stand auf. »Ich muss jetzt weiterarbeiten.« Außerdem wusste er bereits, was das Herz von Kira, der unfreundlichen Weihnachtsbaumfarmbesitzerin, erweichen konnte. Er hatte gehört, wie sie seine Hunden mit zärtlichen Worte überschüttete, und gesehen, wie ihre dunklen Augen dabei aufleuchteten. Wenn die Bewohner von Dream Harbor sich gut mit ihr stellen wollten, dann mussten sie nur mit einem Korb voller Welpen bei ihr auftauchen, schon wäre Kira Wachs in ihren Händen.

Doch Ben hatte keinerlei Interesse daran, in Kleinstadtdramen hineingezogen zu werden, über die er dank Jeanie ohnehin schon viel zu viel wusste. Und er war sogar noch weniger daran interessiert, Kira in die Hände zu bekommen.

Jeanie runzelte die Stirn. »Du arbeitest zu viel.«

»Ha.« Bennett schnaubte. »Das sagt ausgerechnet die Frau, die ihr eigenes erfolgreiches Geschäft betreibt und die ganze Zeit in ihrem Café ist. Nebenbei bemerkt, ich bin deshalb sehr stolz auf dich.«

»Danke, Ben.« Jeanie wedelte mit der Hand, um sein Lob abzuwehren, und stand ebenfalls auf. »Oh! Ich habe eine super Idee.« Ihre Augen funkelten auf eine Art, die Bennett als äußerst verdächtig empfand. »Du solltest heute Abend zur Gemeindeversammlung kommen!«

»Ich verzichte lieber auf die hiesige Kommunalpolitik, aber danke für die Einladung.«

»Nein, das macht Spaß, es ist praktisch ein Event. Und du kannst meine Freunde kennenlernen. Hinterher gehen wir alle zusammen etwas trinken. Bitte, Ben.«

»Guck mich nicht so an, Jean Marie.«

»Wie denn?«

Bennett seufzte. Er hatte noch nie gut Nein sagen können, daher auch die Umzugshilfen und Flughafentransporte, die er in letzter Zeit geleistet hatte, aber bei seiner Schwester fiel es ihm besonders schwer. »Mit diesen großen Augen. Du weißt ganz genau, was du da tust.«

»Es wird lustig, versprochen. Außerdem bist du doch hier, um Zeit mit mir zu verbringen, oder? Mit der liebenden Schwester, die du im Stich gelassen hast, um ans andere Ende des Landes überzusiedeln.«

»Entschuldige bitte, du bist vor mir aus Buffalo weggegangen.« Seine Schwester kannte noch immer nicht den wahren Grund, warum er im Anschluss ans College nach San Francisco gezogen war, und er hatte auch nicht vor, sie darüber aufzuklären.

Jeanie blinzelte. »Oh, stimmt. Hatte ich ganz vergessen. Egal, komm einfach, okay? Es fängt um sieben an.«

Sie küsste ihn flüchtig auf die Wange und eilte wieder hinter den Tresen, gerade noch rechtzeitig, bevor eine Gruppe Rentner in Sportkleidung hereinkam.

»Wie war das Walking? Ganz schön kalt heute, was?«, hörte er seine Schwester noch fröhlich mit den Kunden plaudern, als er sich leise aus dem Café schlich und über die Hintertreppe hinauf in die Wohnung ging, wo er von drei wedelnden Schwänzen und einem Berg Arbeit begrüßt wurde.

Und wie es aussah, würde er heute Abend zur Gemeindeversammlung gehen.

Mit Urlaub hatte das Ganze hier wirklich nichts zu tun, egal, was seine Schwester glaubte.

***

Zwar wusste Bennett nicht, was ihn auf einer Gemeindeversammlung in Dream Harbor erwartete, aber mit dem dröhnenden Gelächter und den erhobenen Stimmen, die ihm bei seinem Eintritt entgegenschallten, hatte er sicher nicht gerechnet. Er schob sich an einer Gruppe vorbei, die lautstark darüber diskutierte, wann der angemessene Zeitpunkt war, mit dem Hören von Weihnachtsmusik zu beginnen, wurde fast von einer Frau im Power Suit ausgeknockt, die eine gigantische Menora schleppte, und war schon drauf und dran, wieder kehrtzumachen und das Weite zu suchen, als ihn jemand am Arm packte und in eine der Stuhlreihen zerrte.

»Bennett! Du hier!« Ein Gesicht, das er bislang nur auf dem Display seines Handys gesehen hatte, strahlte ihn an, und Jacob aus dem Buchclub seiner Schwester zog ihn in eine herzliche Umarmung.

»Hey, Mann. Ja, ich bin hier.« In dieser seltsamen Stadt, in der er sich mehr und mehr fühlte, als wäre er in eine Art Kaninchenbau gefallen und in einer komplett anderen Welt gelandet. Dabei hatte er schon gedacht, San Francisco sei durchgeknallt. »Schön, dich zu sehen.«

Jacob trat ein Stück zurück, ohne jedoch Bens Arme loszulassen. »Kaum zu glauben, dass Jeanie dich bequatscht hat, zu einer dieser Veranstaltungen hier zu gehen. Kommst du nachher mit auf einen Drink?«

»Äh … ja, anscheinend schon.«

»Super!« Jacob drückte ein letztes Mal Bens Arm und ließ ihn dann los.

Bennett ließ seinen Blick über die noch immer plappernde Menge gleiten. Zwar begannen die Leute langsam, ihre Plätze einzunehmen, aber das senkte den Lärmpegel nicht sonderlich. »Sind die Abläufe hier immer so …?«

»Verrückt? Ja. Aber normalerweise gibt es hier auch immer viel zu lachen.«

Ben nickte geistesabwesend, abgelenkt von der Frau im Anzug, die versuchte, ein Kabel so weit zu strecken, dass sie die XXXL-Menora anschließen konnte. Sollte er ihr vielleicht helfen?

»Das ist die stellvertretende Bürgermeisterin«, erklärte Jacob, der seinem Blick gefolgt war. »Sie testet das alte Ding vermutlich noch mal vor dem Christmas Tree Lighting am nächsten Wochenende.«

Bevor Bennett sich von Jacob abseilen konnte, um mit der Menora zu helfen, tauchte Jeanie hinter ihm auf. »Da bist du ja!«, rief sie.

»Da bin ich«, bestätigte er.

»Wir sind ein bisschen spät dran, sorry.« Sie wickelte einen ellenlangen Schal von ihrem Hals. Logan stand hinter ihr, mit einer Miene, als ob sie ihn zum Galgen geführt hätte.

»Hey, Logan.«

»Bennett.« Der Verlobte seiner Schwester bedachte ihn mit einem knappen Nicken und einem gequälten Lächeln und schlurfte dann schleppenden Schritts an ihm vorbei durch die Stuhlreihe.

»Und das sind Hazel und Noah«, sagte Jeanie und deutete auf zwei weitere menschliche Wesen, die versuchten, sich in die bereits ziemlich gut gefüllte Reihe zu quetschen.

»Hey, schön, dich kennenzulernen.« Noah streckte ihm die rechte Hand hin, und Bennett schüttelte sie um Jeanies Schulter herum. Noah grinste. »Deine erste Gemeindeversammlung, was? Du wirst begeistert sein.«

Bennett begann das stark zu bezweifeln.

Die kleine Frau mit dem Lockenkopf neben Noah musste Hazel sein, von der seine Schwester die ganze Zeit erzählte. Sie winkte ihm kurz zu, während sie sich zwischen Noah und Jeanie niederließ. Bennett ließ sich auf den einzigen noch freien Platz fallen, zwischen Jeanie und Jacob. Logan hatte es bis ans andere Ende der Reihe geschafft, wo er nun an der Wand lehnte, die Nase in ein Buch vergraben, und das Chaos um sich herum offenbar komplett ausblendete.

»Wenn jetzt alle mal zur Ruhe kommen könnten, fangen wir an.« Ein Mann mit Brille und einer grässlichen Weihnachtskrawatte war hinter das Podium getreten und versuchte, die Aufmerksamkeit der Anwesenden zu bekommen.

»Das ist der Bürgermeister und zufällig auch Hazels Dad«, erläuterte Jeanie. »Oh, und da ist Annie.«

Eine hochgewachsene Blondine schwebte in die Reihe vor ihnen. Sobald sie saß, wandte sie sich zu Jeanie um. »Was habe ich verpasst?«

»Bis jetzt noch nichts. Das hier ist übrigens mein Bruder Bennett.«

»Schön, dich kennenzulernen.« Er streckte ihr seine Hand hin, die Annie jedoch ignorierte.

»Ben! Hi!«, rief sie. »Ich habe schon so viel von dir gehört.« Sie ließ den Blick zwischen ihm und seiner Schwester hin- und herwandern. »Jeanie, du hast mir aber nicht erzählt, dass dein Bruder so was wie eine heiße männliche Version von dir ist!«

»Na ja, normalerweise betrachte ich ihn nicht als heiß.«

Wieder musterte Annie ihn. Sie war objektiv schön und definitiv problematisch, was aber weiter keine Rolle spielte, denn ihr Blick war bereits weitergewandert und irgendwo hinter seiner rechten Schulter gelandet.

Rasch drehte Bennett den Kopf, gerade noch rechtzeitig, um mitzukriegen, wie ein dunkelhaariger Mann Annie mit ein paar Fingern zuwinkte. Als Bennett sich wieder umwandte, sah er, dass Annie den Typ mit Blicken erdolchte.

»Er ist schon wieder hier. Ich dachte, er kommt nicht mehr zu diesen Versammlungen.«

»Das ist Mac«, flüsterte Jeanie, um ihn auf Stand zu bringen, allerdings so durchdringend, dass Annie sie zweifellos trotzdem hörte. »Annies Erzfeind. Wir alle warten darauf, dass die beiden endlich miteinander schlafen und uns andere aus unserem kollektiven Elend erlösen.«

Annie schnaubte empört. »Wie kannst du es wagen?«

Jeanie zuckte nur lachend mit den Schultern. Ben wusste, wann Schweigen die beste Option war – und jetzt, wo er absolut keine Ahnung hatte, was zum Teufel hier abging, schien der perfekte Zeitpunkt dafür gekommen.

»Darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten«, versuchte der Bürgermeister es erneut, wurde aber von einem schrillen Pfiff unterbrochen, der die Menge tatsächlich innehalten ließ. »Äh … danke, Mindy«, sagte der Bürgermeister, und die Dame im Poweranzug, die noch immer mit der Menora kämpfte, nickte ihm ernst zu und nahm in der ersten Reihe Platz.

»Es gibt heute Abend viel zu besprechen«, fuhr der Bürgermeister fort. »Das feierliche Christmas Tree Lighting steht unmittelbar bevor, in zwei Wochen steigt der Festumzug der Kinder, und seit gestern läuft die Spielzeugsammlung. Also lasst uns loslegen.«

Der Rest der Veranstaltung war ein nebelhaftes Konglomerat aus Logistik, Freiwilligenarbeit, Streit und einer sehr merkwürdigen Abstimmung darüber, ob »Stirb Langsam« als Weihnachtsfilm gelten konnte oder nicht. Bennett versuchte, dem Ganzen irgendwie zu folgen, verstand aber nur Bahnhof und gab schließlich auf. Stattdessen ertappte er sich dabei, wie er seinen Blick durch den Saal schweifen ließ und versuchte, die Gesichter, die er sah, mit den Geschichten zu verknüpfen, die Jeanie ihm im Laufe des vergangenen Jahres erzählt hatte. Die Mitglieder des Buchclubs erkannte er ziemlich schnell, da sie oft im Hintergrund seiner Videotelefonate mit Jeanie aufgetaucht waren. Sie hatten ihm als Willkommensgeschenk sogar ein Exemplar ihrer aktuellen Lektüre vor die Tür gelegt – als Wink mit dem Zaunpfahl, dass sie ihn gern bei ihrem Dezembertreffen begrüßen würden.

Er hatte kurz in »Daddy December« reingelesen und überlegte seitdem fieberhaft, wie er an dem betreffenden Tag leider unabkömmlich anderweitig beschäftigt sein könnte. Heiße Romane über Sex hatten ihm gerade noch gefehlt, wo er doch selbst seit Monaten keinen mehr gehabt hatte. Was er gebrauchen könnte, wären Storys über Mönche oder Meditation oder Leiden, irgendwas in der Richtung. Kein Weihnachtsporno.

Und warum musste er bei sexy Büchern unvermittelt wieder an diese Weihnachtsbaumfarmbesitzerin denken? Sie war so … so grob zu ihm gewesen. Nicht sexy rüde. Einfach nur sehr unfreundlich. Und … nun ja … er hatte ihr Land widerrechtlich betreten, aber ohne Absicht, und er hatte angeboten, ihr bei ihrem offensichtlichen Computerproblem zu helfen, und sie hatte ihn eiskalt abblitzen lassen. Das war … nun … es war ihm definitiv unter die Haut gegangen.

Wie ein Splitter.

Ein Splitter, an dem er nicht aufhören konnte rumzupulen.

Was war bloß los mit ihr? Warum war sie allein da draußen gewesen? Warum hatte sie eine Bettdecke getragen statt eines normalen Mantels? War ihr kalt? Wollte sie jemanden, der sie wärmte …

Nein. Ganz schlecht. Diesen Weg würde er mit dieser fremden Frau nicht einschlagen. Bennett wusste nichts über sie, und er wollte auf keinen Fall zulassen, dass sein überentwickeltes Bedürfnis, Dinge in Ordnung zu bringen, ihm die Feiertage durchkreuzte. Er wohnte ja nicht mal hier.

Kira North war einfach nur eine weitere schrullige Figur, die sein Bild von Dream Harbor ergänzte. Mehr nicht.

Und er würde auf keinen Fall weiter darüber nachdenken, sie zu wärmen.

Um ihn herum war es plötzlich verdächtig still geworden. Offenbar hatte er seine Gedanken etwas zu ausführlich schweifen lassen, denn an irgendeinem Punkt musste das Meeting eine ungeahnte Wendung genommen haben. Jedenfalls fand er sich unvermutet im Zentrum der Aufmerksamkeit wieder.

»Äh …«

»Ich erwähnte nur gerade, dass du gestern Kira getroffen hast«, erklärte Jeanie, begleitet von einem Lächeln, das Bens Blut gefrieren ließ. Wäre er jetzt acht gewesen und sie zehn, hätte er den Kopf ihrer Barbie noch einmal in der Toilette runtergespült.

»Wunderbar«, sagte der Bürgermeister, ohne Bennetts Rachefantasie weiteren Raum zu lassen. »Wir könnten gut eine neutrale Instanz gebrauchen, die dort hinfährt und nach dem Rechten sieht.«

»Eine neutrale Instanz?«, wiederholte er. »Moment mal. Um nach dem Rechten zu schauen?«

»Die Stadt war wirklich bemüht, Miss North willkommen zu heißen«, fuhr der Bürgermeister fort. »Aber bislang hat sie sich gegen unsere Bemühungen … gesträubt. Und Sie sind hier nur zu Besuch. Sie sind neutral! Ihr Motive würde sie nicht anzweifeln.«

Nun, das traf definitiv nicht zu. »Und warum genau muss man bei ihr nach dem Rechten sehen?«

»Ähm … tja …« Der Bürgermeister errötete.

»Nur für den Fall, dass dort ein paar Leichen herumliegen«, rief jemand aus einer der hinteren Reihen.

»Leichen?« Was zum Teufel sollte das?

Neben ihm verzog Jeanie das Gesicht. »Es ist nicht so schlimm, wie es klingt«, flüsterte sie.

»Wir haben keinerlei Beweise, dass es dort eine Leiche gibt«, insistierte der Bürgermeister.

»Aber wir haben auch keine Beweise, dass dem nicht so ist«, warf Noah hilfreich ein, woraufhin Hazel ihm einen Klaps auf den Oberschenkel versetzte. Lachend küsste er sie auf die Wange.

»Alex kann es am besten erzählen. Wo ist Alex?« Der Bürgermeister schaute suchend über die Menge, bis eine Person mit lila Haaren aufstand.

»Hallo, ihr Lieben.« Alex winkte kurz und stürzte sich dann in die Erzählung. »Also, die Connors haben diese Farm über Generationen hinweg betrieben, und als der jüngste Sohn Edwin das Geschäft in den Achtzigerjahren übernahm, führte er ein, dass Leute hinfahren und ihren Weihnachtsbaum selbst aussuchen und schlagen können. Daraus hat sich dann der Betrieb entwickelt, den viele von euch seit Jahren kennen. Edwin und seine Frau Ellen hatten keine Kinder, haben die Farm aber gemeinsam vierzig Jahre lang geführt. Und, na ja, Edwin war ziemlich exzentrisch und ziemlich … unberechenbar.«

»Unheimlich meinst du wohl«, rief jemand aus dem Publikum.

»Also, ich hab mich jedenfalls vor ihm gegruselt«, bekräftigte ein anderer.

»Ich auch!«

»Wie auch immer«, fuhr Alex fort und räusperte sich. »Nachdem Ellen gestorben war, ließ Edwin sich immer seltener unter Leuten blicken, und mit der Farm ging es bergab. Und als er ein paar Jahre später ebenfalls starb, hat man in seinem Haus einen Brief gefunden.«

»Jetzt kommt der gute Teil«, raunte Noah, laut genug, um von allen gehört zu werden. Alex lächelte ihm zu.

»Also, in dem Brief heißt es, dass Edwin etwas Wichtiges, etwas Wertvolles auf dem Hof vergraben hat, aber es stand nicht darin, was oder wo. Viele von uns hätten gern danach gesucht, aber der Besitz ging an irgendeinen Cousin über, der recht energisch darauf bestand, dass niemand bei ihm herumschnüffelte. Sehr verdächtig, wenn ihr mich fragt.« Alex zuckte die Achseln. »Damit bleibt die Legende unvollendet.«

Bennett schüttelte den Kopf. »Und ihr glaubt wirklich, dass das, was er da begraben hat, eine … Leiche war?«

»Genau genommen seine ermordete Frau«, führte Jacob aus.

»Was?«

»Sie ist einfach eines Tages verschwunden! Ich bin ganz sicher, dass er sie dort verscharrt hat.«

»Ach was«, widersprach Noah. »Ich glaube immer noch, dass es etwas anderes ist. Irgendein Schatz.«

»Ein Schatz? Träum weiter, Junge«, rief ein alter Mann über ein paar Stuhlreihen hinweg, und Noah lachte leise.

»Es könnte tatsächlich Geld sein«, mutmaßte Kaori. »Schließlich hatte er keine Familie mehr. Vielleicht hat er sein ganzes Vermögen versteckt, statt es auf die Bank zu bringen.«

»Eine ziemlich abgedrehte Idee«, erwiderte Jacob.

»Verrückter als eine ermordete Ehefrau und eine Leiche? Ich bitte dich.«

»Ich glaube …«

»Aber könnte es nicht sein, dass …«

»Moment mal!« Bennett erhob seine Stimme über die Kakofonie lautstark ausgetauschter Theorien. Verblüfft hielten alle den Mund. »Was zum Teufel hat das alles mit Kira zu tun?«

Vom Ende der Stuhlreihe ließ sich ein Schnauben vernehmen. »Das willst du gar nicht wissen«, murmelte Logan.

»Wir möchten nicht, dass unsere neueste Einwohnerin die traumatische Erfahrung macht, zufällig über etwas Schreckliches zu stolpern«, erklärte der Bürgermeister, als sei es das Normalste der Welt. »Also dachten wir, dass …«

Bennett hob die Brauen. »Ihr dachtet, dass es besser wäre, wenn ich stattdessen darüber stolpere?«

Der Bürgermeister wand sich ein bisschen. »Wir dachten einfach, Sie könnten ein-, zweimal bei ihr vorbeischauen und ihr ein wenig über die Anfänge hinweghelfen. Sie will die Farm wiedereröffnen, was uns sehr freut. Wir wollen nur keine bösen Überraschungen.« Verlegen rang er die Hände. »Und von uns lässt sie keinen auch nur auf die Veranda.« Seine Miene hellte sich auf. »Aber Sie … Sie würde sie bestimmt reinlassen. Jeanie hat erzählt, dass Sie mit Ihren Hunden über die Felder gelaufen sind und mit Kira geplaudert haben. Daher wären Sie wohl der perfekte Kandidat für den Job!«

Bennett kniff sich in den Nasenrücken und wünschte inständig, er könnte den nächsten Flug zurück nach San Francisco buchen.

»Ich kann nicht. Ich muss arbeiten.«

Das Argument trug ihm äußerst skeptische Mienen vom Bürgermeister und den Umsitzenden ein.

»Auch mobiles Arbeiten ist Arbeit«, beharrte er.

»Aber doch flexibler als im Büro, stimmt’s?«, sagte Jeanie. »Da könntest du doch ein paarmal dort vorbeischauen, bevor die Farm wiedereröffnet, oder? Einfach nur, um sicherzustellen, dass dort keine Totenköpfe oder Ähnliches herumliegen?«

Bennett versuchte seiner Schwester durch Blicke zu vermitteln, wie sehr er sich gerade wünschte, ihre Leiche irgendwo zu verscharren, aber offenbar meinte sie das wirklich ernst. Und wenn er sich so im Saal umschaute, traf das auch auf alle anderen zu.

Ganz Dream Harbor rekrutierte ihn, damit er zu ihrer geliebten Weihnachtsbaumfarm fuhr, um dort was zu tun? Nach Leichen zu suchen? Ein verstecktes Vermögen zu finden? Das größte Mysterium der Stadt zu lösen?

Wobei das Lustigste daran war, dass sie glaubten, Kira würde ihn tatsächlich an sich heranlassen. Ha! Der Witz würde nach hinten losgehen. So, wie sie ihn gestern angeschaut hatte, war vollkommen ausgeschlossen, dass sie ihn in absehbarer Zeit zum Nachmittagstee und Mordrätselraten einladen würde.

Doch jeder hier starrte ihn so eindringlich an, als müsste er das unbedingt tun.

Und Bennett hasste es, Nein zu sagen. Sogar zu irren Dorfbewohnern, die er kaum kannte.

»Ich kann es versuchen, aber …«

»Wunderbar«, sagte der Bürgermeister, im Geiste schon beim nächsten Thema. »Also, Bennett hilft bei der Eröffnung der Weihnachtsbaumfarm. Okay, was ist als Nächstes dran?«

Ich kann es versuchen, aber es wird niemals funktionieren, hatte er sagen wollen. Nicht, dass es eine Rolle spielte. Er war komplett überrannt worden, und statt zum Flughafen zu fahren, um den nächsten Flieger nach Hause zu erwischen, eröffnete er jetzt offenbar eine Weihnachtsbaumfarm oder löste einen ungeklärten Mordfall oder ging auf Schatzsuche …

Wobei das Wahrscheinlichste war, dass die aktuelle gruselige Weihnachtsbaumfarmbetreiberin ihn einfach hochkant rausschmeißen würde.

3. Kapitel

Draußen waren Hunde. Kira hörte sie bellen, während sie ihren Kaffeebecher ausspülte, und spähte aus dem Fenster über der Spüle. Das ließ so viel eisige Luft durch, dass sie die Kälte beim Geschirrspülen im Gesicht spürte, aber Kira hatte keine Ahnung, was sie dagegen tun sollte.

Schon wieder hörte sie ein Bellen! Hastig wischte sie das Kondenswasser von der Scheibe, konnte aber immer noch nichts erkennen.

Vielleicht hatte sie ja Kunden. Kunden mit Hunden. Womöglich hatten sie die Hunde ja in kleine Hundepullover gesteckt, für ein Weihnachtsfoto. Das wäre superniedlich. Und würde sich prima auf dem neuen Social-Media-Profil machen, das sie tatsächlich hatte erstellen können, nachdem es ihr gelungen war, in der hintersten Ecke eines der oberen Räume ein schwaches Netzsignal zu erhaschen. Solange sie sich nicht vom Fleck rührte und starr Richtung Wand schaute, funktionierte das Internet gut.

Sie sollte hinausgehen, um die Leute zu begrüßen. Zwar hatte sie eine reizende und äußerst verantwortungsbewusst aussehende Frau eingestellt, die seit heute in der alten Scheune neben den Baumreihen saß, die Kasse bediente und das Werkzeug bereithielt, aber wenn das hier ihre ersten Kunden waren, sollte Kira sie wohl persönlich in Empfang nehmen. Und sich die Erlaubnis geben lassen, Fotos von ihren Weihnachtspulli tragenden Hunden zu posten.

Hastig suchte sie nach ihren Stiefeln und schlüpfte rasch in ihren neuen dicken Parka. Kunden bedeuteten Einnahmen, und Einnahmen bedeutete Wärme. Und neue Fenster.

Genau. Alles würde gut werden. Sie bekam das ganz alleine hin. Sie brauchte keine Chloe. Ganz ehrlich, in Wahrheit hatte Chloe sie vermutlich sogar die ganzen Jahre über blockiert mit ihrer praktischen Art und ihrem Realismus. Es war höchste Zeit für Kira, groß durchzustarten. Ihren Traum zu leben, egal wie kürzlich dieser Traum überhaupt erst aufgekommen war. Sie würde mit dieser weihnachtsbaumbesessenen Stadt Geld verdienen und dann von ihrem eigenen Land leben, so wie @bauernhofgöttin und @autarkLeben und all die anderen hübschen und hilfreichen Profile, denen sie folgte. Wenn die das hinkriegten, dann konnte sie das doch wohl auch.

Beflügelt eilte Kira zur Hintertür hinaus, begleitet von Fantasien über Vorratsschränke voller Gläser mit eingelegtem Gemüse und kreuzstichverzierte Schürzen. Die Tatsache, dass sie keine Ahnung hatte, wie man was auch immer einlegte oder wie zum Teufel man einen Kreuzstich hinbekam, spielte keine Rolle. Sie folgte dem Lärm der bellenden Hunde durch zwei Baumreihen und querte dann drei weitere.

Da!

Oh.

»Sie.«

Der Mann von neulich hielt den Kopf gesenkt, als ob er nach irgendwas am Boden suchte, schaute aber ruckartig auf, als er ihre Stimme hörte, und hob grüßend eine Hand. »Hallo, noch mal.«

»Was wollen Sie denn schon wieder?« Kiras stimmungsvolle Visionen von Fotosessions mit Weihnachtshündchen zerplatzten jäh. Doch als Elizabeth, die größte der drei Fellnasen, sie auffordernd anstieß, kraulte Kira ihr ausgiebig den Kopf. Diese Hunde hier trugen zwar keine Pullover, aber verdammt süß waren sie trotzdem.

»Auf dem Schild steht ›Geöffnet‹.«

Stirnrunzelnd schaute sie ihn an. »Und Sie sind hier, um einen Baum zu kaufen?«

Der Mann lächelte. »Ich ziehe es in Erwägung. Wenn ich den richtigen finde.«

»Den richtigen?« Sie schnaubte. »Es ist nur ein Baum, kein Lebenspartner.«

Sein Lachen erschreckte sie und die Hunde. Odie bellte alarmiert.

»Ich stelle sehr hohe Ansprüche an meinen Weihnachtsbaum«, erwiderte er, ein amüsiertes Funkeln in den Augen.

»Das glaube ich sofort.« Vermutlich stellte er an viele Dinge unausstehlich hohe Ansprüche. Hätte Kira dieser Einstellung etwas abgewinnen können, wäre sie länger zu Hause wohnen geblieben.

»Sie etwa nicht?«, fragte er.

»Jedenfalls nicht an Weihnachtsbäume.«

Er ließ seinen Blick über die Farm schweifen, die nun ihr gehörte, verkniff sich aber glücklicherweise die Bemerkung, dass ihr sehr wohl an der Qualität ihrer Weihnachtsbäume gelegen sein sollte.

Stattdessen zuckte er mit den Schultern. »Ihr Parka gefällt mir«, sagte er.

»Danke. Es ist so verdammt kalt hier, dass ich meine Garderobe upgraden musste.«

Er lachte leise. »Wir hatten doch noch nicht mal echten Frost.«

Was für ein Typ. Arrrgh. »Nun, für mich ist es bereits sehr kalt. Woher kommen Sie, aus Alaska oder so?«

»Buffalo.«

»Hm. Tja, schön für Sie, dass die Kälte Ihnen nichts ausmacht, aber mir macht sie zu schaffen.«

»Wo sind Sie denn ursprünglich zu Hause?«

Kira seufzte. Sie erwähnte nicht gern, dass sie aus Georgia kam, schon gar nicht gegenüber Leuten aus dem Norden. Die zogen dann sofort Schlüsse, die Kira gar nicht mochte, unterstellten ihr, sie sei dämlich oder begriffsstutzig oder noch Schlimmeres. Deshalb hatte sie sich, nachdem sie umgezogen war, sehr darum bemüht, ihren Dialekt loszuwerden. Der kam mittlerweile nur noch dann durch, wenn sie wütend oder betrunken war oder mit ihrer Schwester sprach.

»Georgia.«

Er nickte nur. »Kein Wunder, dass Sie hier frieren.«

Keine unhöfliche Bemerkung. Interessant.

»Wie heißt du eigentlich?«, fragte sie unvermittelt. Wenn dieser Typ weiterhin hier herumhing, konnten sie sich eigentlich auch duzen. Und außerdem war es wohl sinnvoll, seinen Namen zu kennen.

»Stimmt, tut mir leid. Ich heiße Bennett«, lächelnd hielt er ihr die rechte Hand hin.

Kira ergriff sie. Sie war groß und warm. »Kira.«

»Ich weiß.«

»Tatsächlich?«

»Klar, du bist gerade das Hauptthema in der Stadt. Ich wohne über dem Café meiner Schwester, und alle reden nur von dir.«

Odie und Pudgie winselten vor Kiras Füßen, und sie ging in die Hocke, um die beiden zu streicheln. »Wenn du das sagst. Aber wo bleiben sie dann? Seit ich die Farm geöffnet habe, hatte ich noch keinen einzigen Kunden.«

»Wissen die Leute denn, dass du geöffnet hast?«

Kira schnaubte indigniert. »Es steht ja wohl auf dem Schild, oder? Außerdem haben wir eine brandneue Website mit sämtlichen Informationen und ein Instagram-Profil … Ach ja, dürfte ich wohl ein Foto von deinen Hunden posten? Bislang habe ich nur ein paar beliebige Baumbilder.«

Fragend spähte sie zu ihm hoch.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer einfach so nach einer neuen Website Ausschau hält. Und ich glaube, du hast den Leuten so deutlich verklickert, dass sie dich … äh … in Ruhe lassen sollen, dass niemand aufs Geratewohl vorbeikommt, um die Öffnungszeiten auf dem Schild zu checken.«

»Oh. Hm. Gutes Argument.«

Und jetzt? Wie sollte sie die verprellte Kundschaft zurücklocken? Ihr Traum von perfekt eingelegtem Gemüse war in Rekordgeschwindigkeit ausgeträumt.

»Warum gehst du nicht einfach zu dieser feierlichen Baumbeleuchtung? Das scheint eine große Sache im Ort zu sein. Du könntest dort deine große Wiedereröffnung bekannt geben.«

Kira hätte ihm gern gesagt, wohin er sich seine ungebetenen Vorschläge stecken konnte, vielen Dank auch, aber die Idee war tatsächlich gut. Verdammt.

Sie stand wieder auf. »Ja, vielleicht.«

Er lächelte dieses lächerlich strahlende Lächeln, das seine Eltern ziemlich teuer zu stehen gekommen sein musste. Niemand wurde mit derartig geraden Zähnen geboren. Nun ja, niemand wurde mit irgendwelchen Zähnen geboren, aber das tat jetzt nichts zur Sache! Sie war vom eigentlichen Thema abgekommen.

»So, dann überlasse ich dich jetzt mal deiner Jagd nach dem idealen Baum«, sagte sie. »Für den Fall, dass du einen findest, der deinen Ansprüchen genügt, hält Iris am Empfang Sägen bereit, damit du ihn dir fällen kannst.«

»Du hast jemanden da vorn in dem alten Schuppen sitzen?« Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen.

»Natürlich. Der ist perfekt dafür.«

»Perfekt? Na, ich weiß ja nicht. Mir kommt die Hütte ziemlich baufällig vor.«

Kira stemmte eine Hand auf die Hüfte, drauf und dran, dem besserwisserischen Klugscheißer ordentlich die Meinung zu geigen, als plötzlich das Bild der armen, süßen Iris vor ihrem geistigen Auge aufstieg, begraben unter einem Berg alter Holzbalken.

Oh Gott, wenn der besserwisserische Klugscheißer nun recht hatte!

Sie drehte sich auf dem Absatz um und rannte los, die Hunde dicht auf den Fersen. Oder vielmehr Elizabeth und Odie. Die arme mollige Pudgie trottete als Schlusslicht hinterher.

»Iris! Iris!«, rief Kira, während sie auf die kleine Hütte auf der anderen Seite der Farm zurannte. »Iris, du bist in Gefahr!« Sie hatte geglaubt, der windschiefe Schuppen habe halt eine rustikale Note; dass er einen gewissen Charme verströmte und mit der ums Dach gespannten Lichterkette sehr hübsch und Instagram-affin aussah. Nicht ein einziges Mal war ihr der Gedanke gekommen, dass er zusammenbrechen und ihre einzige Angestellte töten könnte.

»Ich glaube nicht, dass der Zusammenbruch so unmittelbar bevorsteht«, rief Bennett, der seinen Hunden nachsetzte, ihr zu. Unmittelbar oder nicht, Kira durfte nichts riskieren. Hauptsächlich, weil die Vorstellung, dass Iris verletzt werden könnte, ihr unerträglich war, aber auch, weil sie noch keine Versicherung hatte und es sich definitiv nicht leisten konnte, Arztrechnungen für jemanden zu bezahlen.

Vor der Hütte blieb sie schlitternd stehen. »Komm da raus, Iris!«, brüllte sie. Iris schob das kleine Fenster auf und starrte mit schreckgeweiteten Augen nach draußen.

»Was ist denn los?«, fragte sie und musterte ihre atemlose, rotgesichtige Arbeitgeberin, die drei bellenden Hunde und Bennett, der als Letzter herankam, aber nicht weniger aufgeregt wirkte als die anderen.

»Raus aus dieser Todesfalle!«

»Todesfalle?«, wiederholte Iris perplex.

»Jetzt beruhigen wir uns doch alle erst mal wieder«, sagte Bennett. »So ernst ist die Situation nun auch wieder nicht.«

»Nicht so ernst?« Aufgebracht wirbelte Kira zu ihm herum. »Nicht so ernst?! Warum hast du es dann gesagt? Warum drängst du dich auf und wirfst mit hilfreichen Belehrungen à la ›vielleicht ist der Schuppen ja eine Todesfalle‹ um dich …?«

»Todesfalle habe ich nie gesagt.«

»Argh!« Kira fand keine verständlichen Worte mehr. Dieser Kerl! Warum war er überhaupt hier?

»Wie wär’s, wenn ich mal reingehe und mir die Sache für dich anschaue?«

»Wie wär’s, wenn du verdammt noch mal zurück nach Buffalo gehst!«

Er starrte sie an, sichtlich baff ob ihres emotionalen Ausbruchs und des Südstaatendialekts, der sich seinen Weg durch ihre Verteidigungswälle gebahnt hatte, und Kira war plötzlich sehr froh, dass sie im Moment keine anderen Kunden hatte. Das wäre wirklich … peinlich gewesen.