Kiss of Thunder - Meredith Wild - E-Book
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Meredith Wild

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Beschreibung

Hollywood-Glamour trifft auf sexy Literatur-Nerd Beim Lesen ihrer geliebten Klassiker gelingt es Kara ab und zu, den Social Media-Trubel um ihre berühmte Hollywood-Familie, die Paparazzi und ihr vorherbestimmtes Schicksal zu vergessen. Ihre Familie hat einen Pakt mit der Hölle geschlossen und sie ist der Preis: Noch ein Jahr kann sie an der Uni ihre Freiheit genießen, dann ist sie einem Dämon versprochen. Nur eine Sache darf sie unter keinen Umständen: sich verlieben. Doch dann trifft sie auf den unglaublich gut aussehenden Professor Maximus Kane und verfällt ihm wider jede Vernunft.

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Richard Betzenbichler

© Meredith Wild & Angel Payne 2020

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Blood of Zeus«, Waterhouse Press LLC 2020

© Piper Verlag GmbH, München 2022

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: zero-media.net, München

Coverabbildung: FinePic®, München

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Zitat

Widmung

Kapitel 1

Kara

Kapitel 2

Maximus

Kapitel 3

Kara

Kapitel 4

Maximus

Kapitel 5

Kara

Kapitel 6

Maximus

Kapitel 7

Kara

Kapitel 8

Maximus

Kapitel 9

Kara

Kapitel 10

Maximus

Kapitel 11

Kara

Kapitel 12

Maximus

Kapitel 13

Kara

Kapitel 14

Maximus

Kapitel 15

Kara

Kapitel 16

Maximus

Kapitel 17

Kara

Kapitel 18

Maximus

Kapitel 19

Kara

Kapitel 20

Maximus

Kapitel 21

Kara

Kapitel 22

Kara

Kapitel 23

Maximus

Kapitel 24

Kara

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

 

In seinen Tiefen sah ich eng verschlungen

Zum einigen Bunde, den die Liebe flicht,

Was, sich vereinzelnd, rings das All durchdrungen

 

Dante, Paradies, Dreiunddreißigster Gesang

 

Für Mindy

 

Meredith

 

Für Thomas und Jessica.

Ihr seid der Zauber meines Lebens,

die Schläge meines Herzens,

das Blut in meinen Adern

 

Angel

Kapitel 1

Kara

Nur eins ist schlimmer, als eine Dämonin zu sein: eine Valari zu sein. Beides zu sein bedeutet, dass ich auf dem Weg in den Hörsaal, vorbei an Gruppen von Studierenden, jedes Flüstern höre.

»Das ist Kara Valari.«

»Wieso kommt die überhaupt hierher?«

»Die Valaris sind eine ziemlich üble Familie.«

Ich blicke im Vorbeigehen in ihre Gesichter, bleibe aber nicht stehen. Manchmal kann man Leute nur zum Schweigen bringen, indem man ihnen in die Augen schaut. Sie wenden den Blick ab, einer nach dem anderen.

Hinter Geflüster kann man sich leicht verstecken. Genau wie hinter den anzüglichen Bemerkungen, die niemand hören kann außer mir und den Männern, die sie leise von sich geben. Ich muss sie nicht einmal anschauen, um zu wissen, dass ich nicht interessiert bin. In ihrem Fall könnte Blickkontakt nur zu Missverständnissen führen.

Ich gehe die Stufen hinauf und setze mich ganz hinten in den Hörsaal, damit die Leute hoffentlich vergessen, dass ich hier bin und sich auf die Vorlesung konzentrieren. Als ich mich niederlasse, tut die Blondine vor mir so, als würde sie ein Selfie machen. Definitiv mit mir im Hintergrund. Ich bin schon gespannt auf den Hashtag.

Ich bin seit drei Jahren an der Alameda University, aber einige scheint es immer wieder aufs Neue zu faszinieren, in den Vorlesungen mit jemandem aus einer höheren Liga als der der Möchtegern-Prominenten zu sitzen. Am Anfang eines neuen Semesters ist es immer am schlimmsten. Nach einer längeren Unipause ist meine Toleranzschwelle immer gefährlich niedrig. Außerdem stehen die Chancen gut, dass der Name Valari gerade mal wieder in der Hollywood-Gerüchteküche Topthema ist, und auch wenn das in diesen immer nach Neuigkeiten gierenden Kreisen nicht lange anhält, nervt es doch.

Natürlich bin ich hier nicht die Einzige, die in eine berühmte Familie hineingeboren wurde. Mein Großvater war einer der bekanntesten Drehbuchschreiber seiner Generation. Die Auszeichnungsstatuen auf seinem Kaminsims sind schon lange vergessen. Heute steht unsere Familie häufiger im Rampenlicht als andere, aber aus weniger anerkennenswerten Gründen. Unser Ruf folgt mir überallhin, egal wohin ich gehe, so unentrinnbar wie meine Biologie.

Ich wühle in meinem teuren Lederrucksack nach Notizbuch und Stift und atme tief aus. Lautlos zwinge ich mich zu einer Selbstbeherrschung, die mir von Natur aus nicht gegeben ist, während sich meine aufgewühlten Gefühle einen Weg durch mein cooles Äußeres nach draußen zu bahnen versuchen.

Als die Tür zugeschlagen wird, hebe ich den Kopf. Das Flüstern erstirbt.

Selbst von meinem erhöhten Aussichtspunkt aus bin ich fasziniert von der beeindruckenden Größe des Manns, der in den Hörsaal geschritten kommt. Seinen Gesichtsausdruck verbirgt er, indem er auf den Boden schaut. Sein Mund wird überschattet von einem rotgoldenen Bart, der zu dem Haar passt, das er im Nacken in einen Knoten gezwungen hat. Obwohl ich davon ausgehe, dass er es tun wird, braucht sich dieser Mann nicht vorzustellen.

Nur Sekunden nach seiner Ankunft verwandelt sich das Schweigen in ein leises Zischen, das verlängerte Echo seines Namens auf den Lippen der Studierenden, die vor wenigen Sekunden noch meinen flüsterten.

Maximus.

Professor Maximus Kane erreicht das stattliche Holzpult vorn im Hörsaal mit wenigen langen Schritten. Dort angekommen, lädt er einen Stapel Material ab. Ein vertrauter Schauer der Faszination durchläuft mich. Diesen Kurs hatte ich für mein Abschlussjahr vorgesehen, womit ich mir sowohl das Beste als auch das Schlimmste bis zum Ende aufgehoben habe. Das Beste, weil es der Höhepunkt meines Ausflugs in die akademische Welt ist. Das Schlimmste, weil mit meinem Abschluss ein völlig anderes Leben beginnen wird – ein Leben, das alles andere als erleuchtet sein wird.

Vom Podium aus überragt er alles, während er sich laut räuspert und so auch das allerletzte kaum hörbare Gewisper zum Schweigen bringt. Dennoch ist sein Blick noch immer auf seine Notizen gerichtet, was seinen Zuhörern einen weiteren Moment Zeit lässt, sein beeindruckendes Äußeres zu bewundern. Ich knabbere an meiner Lippe, denn ich bin nicht immun.

Das einzig Professorenhafte an Professor Kane sind seine dunkel gerahmte Brille und sein langweiliger Pullunder, der dennoch einfach nur unglaublich sexy ist, so eng wie er über seinem Hemd sitzt, das aus allen Nähten zu platzen droht, sollte er sich zu plötzlich bewegen.

»Willkommen zu Fortgeschrittene Studien Mittelalterlicher Literatur«, beginnt er. Seine Stimme ist tief und klingt völlig humorlos. »Wenn Sie hier sind, sollten Sie alle Voraussetzungen, die für eine gründliche Lektüre von Dantes Göttlicher Komödie mit der wir uns den größten Teil der Zeit beschäftigen werden, erfüllt haben. Falls Sie es in Ihrem Studium eher schlecht als recht bis hierher geschafft haben, sollten Sie sich überlegen, ob das der richtige Kurs für Sie ist. Meine Erwartungen an Ihre Leistungen hier sind vergleichbar mit jedem anderen Hauptseminar des letzten Studienjahrs. Verschwenden Sie nicht meine Zeit, dann verschwende ich auch nicht Ihre.«

Ich packe meine Unterlippe ein bisschen fester mit den Zähnen, bis ich einen pochenden Schmerz spüre. Ich bin anspruchsvollen Professoren nie aus dem Weg gegangen. Im Gegenteil, ich habe sie bewusst gewählt, weil ich die Herausforderung liebe. Die Beste im Kurs zu sein und die Messlatte so hoch zu hängen, dass es für meine Kommilitonen unangenehm wird, ist immer ein zusätzlicher Bonus gewesen.

Nur dass ich wegen Dante hier bin. Bis jetzt war ich davon ausgegangen, dass der für sein außergewöhnliches Aussehen gefeierte Englischprofessor ein freundlicher Riese sein würde – intellektuell und tiefsinnig, aber sanft und nachsichtig, das völlige Gegenteil seiner auffälligen physischen Präsenz. Ich hatte komplett danebengelegen. Die Masochistin in mir sendet ein dunkles Gebet nach unten, dass er auch streng bei der Notenvergabe ist.

»Ich werde in diesem Kurs nicht Ihr einziger Dozent sein«, fährt er fort. »Ich bin Ihr Professor, aber betrachten Sie mich eher als Ihren Führer, der Sie auf Themen von Belang hinweist. Doch wenn Sie sich nur auf meine Interpretation verlassen, berauben Sie sich des Lehrreichen, das dem Werk innewohnt, Wissen, gezeichnet von Dante persönlich. Das Gedicht ist eine Reise des Ichs.« Er schweigt einen Moment, die Lippen zu einem nachdenklichen Schmollmund verzogen. »Die Betonung liegt hier auf dem Wort ›Reise‹.«

Er runzelt leicht die Stirn und schiebt die Brille ein Stück die Nase hoch.

»Also gut. Wie viele von Ihnen haben bereits in anderen Kursen mit der Komödie Bekanntschaft gemacht?«

Fast jeder Studierende hebt die Hand. Ich nicht.

Als er den Blick durch den Raum schweifen und – wenn auch nur kurz – auf mir ruhen lässt, erhöht sich die Temperatur meiner Haut leicht.

»Da das ein Seminar ist und ich auf rege Beteiligung angewiesen bin, damit wir eine lebhafte Diskussion führen können, fangen wir gleich an. Ich wüsste gern, ganz unabhängig davon, wie vertraut Sie mit dem Text sind, was Sie zu Dante hinzieht.«

Irgendwie wird der Kurs noch stiller, als hätten die Leute aufgehört zu atmen, um ja keine unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich grinse, denn genauso leicht, wie ich Gesprochenes höre, das nicht für meine Ohren bestimmt ist, spüre ich, wenn sich Menschen tief im Inneren unwohl fühlen, vom leichten Angstanflug bis zur nackten Panik.

Der Blick des Professors bleibt an der blonden Studentin vor mir hängen. »Sie zum Beispiel. Was führt Sie hierher?«

Sie gibt ein gehauchtes Lachen von sich, streicht sich das Haar hinter das Ohr und hebt kokett eine Schulter. »Ich weiß nicht. Vermutlich habe ich nur Gutes über diesen Kurs gehört.«

»Oooh, Professor Maximus«, kommt eine Falsettstimme aus der Menge, was lautes Gelächter auslöst.

Die goldenen Mundwinkel des Professors gleiten leicht nach oben. Zweifellos könnte seine Präsenz alleine einen Raum voller Studierender anziehen, die mehr fasziniert von seinem Äußeren sind als von seinen literarischen Einsichten. Rasch fasst er sich wieder, schiebt das Kinn vor, und unsere Blicke treffen sich.

Blut fließt mir in die Wangen.

»Sie sind neu bei Dante. Wieso möchten Sie die nächsten vier Monate damit verbringen, die Komödie zu analysieren?«

Gespannte Erwartung liegt spürbar in der Luft. Nicht meine, aber ich merke die veränderte Stimmung im Raum. Nach ein paar Sekunden Schweigen zieht er eine Augenbraue hoch und legt den Kopf schief, um mich dazu zu bewegen, etwas zu sagen. Egal was.

»Dantes Reise durch die Unterwelt fasziniert mich ganz besonders«, sage ich, was, wie zu erwarten, den Zuhörerinnen und Zuhörern das eine oder andere Kichern entlockt.

Der Professor schiebt die Hände lässig in die Taschen seiner dunklen Hose und lenkt damit meine Aufmerksamkeit darauf, dass seine Oberschenkel kaum in seine Hosenbeine passen. Für einen Akademiker ist er erstaunlich fit.

»Welchem Teil davon gilt Ihre Faszination? Der Reise durch das Dunkel oder der Reise zum Licht?«

Ich blinzele und schaue ihm wieder in die Augen. Während ich mir seine Frage durch den Kopf gehen lasse, greife ich nach meinem Notizbuch. Seine Frage erscheint mir zu persönlich, als wüsste er irgendwie irgendwas – vielleicht das Eine – über mich, das er niemals wissen sollte.

»Das ist eine seltsame Frage.« Ich kann die Unsicherheit in meiner Stimme nicht verbergen.

Er zuckt kurz zusammen. »Wirklich? Es ist einfach so, dass manche Leute von den düsteren Themen fasziniert sind, wegen deren purer Hässlichkeit. Und dann gibt es andere, die sich vor allem dafür begeistern, auf die andere Seite davon zu gelangen.«

Ich bin in meinem eigenen Schweigen gefangen und habe keine Lust, ihm zu sagen, was ich wirklich denke. Dass er keine Ahnung hat, wovon er redet. Dass die Betrachtung der Allegorie im Vergleich zur Wirklichkeit wie das Lesen einer Gute-Nacht-Geschichte ist. Zumindest nach allem, was ich so gehört habe. Er mag wie ein Gott aussehen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Quellen zum Thema Hölle deutlich besser als seine sind.

»Spuck es aus, Valari«, brüllt jemand.

Meine Nasenlöcher blähen sich.

Der Professor blickt mit gerunzelter Stirn in die Richtung eines Typen, der in der zweiten Reihe lümmelt. »Wie bitte?«

»Sie stellt nur Nachforschungen an, Professor. Sie ist eine Valari«, sagt der Typ und lacht anmaßend. »Sie wissen ja, die kommen alle direkt in die Hölle.«

Lautes Gelächter ertönt. Meine Haut erhitzt sich kräftig, während ich mir überlege, wie ich den Kerl am besten direkt dorthin schicken kann.

»Raus«, schneidet die eisige Stimme des Professors durch den Lärm.

Der Typ lacht betreten. »Ich mache nur Witze.«

»Mir egal. Raus.«

Er öffnet den Mund, um zu widersprechen, aber der Professor deutet auf die Tür.

»Ich sage es nicht noch einmal. Raus aus meinem Hörsaal, aber schnell.«

Die Angst ist wieder da, baut sich über die angespannte Minute hinweg auf, die er braucht, um seine Sachen einzusammeln und den Hörsaal mit angeknackstem Selbstbewusstsein zu verlassen. Der Professor wirft mir einen Blick zu, der sich zu intensiv anfühlt und in mir die Frage aufkommen lässt, ob ihn der flapsige Kommentar sogar noch nervöser gemacht hat als mich.

Kaum ist die Tür hinter dem Studenten ins Schloss gefallen, ist der Professor wieder bei seinem Thema. Er redet vom Leben Dantes und der damaligen Zeit sowie dem historischen Kontext seines Werks. Ich mache mir Notizen und versuche, mich auf seine Anmerkungen über den Außenseiter aus Florenz zu konzentrieren, der dem Professor in mancherlei Hinsicht ähnelte. Tiefgründiger, als er ausschaut, und bereit, sich auf die Reise einzulassen. Zumindest meinem Gefühl nach ist das die überwältigende Ausstrahlung unseres Dozenten. Während ich weiter versuche, seine intensiven Blicke zu interpretieren, fürchte ich, dass ich nicht anders bin als alle anderen Studierenden hier, die seinem Zauber erliegen.

Als er eine Stunde später herunterrasselt, was wir lesen sollen, und die Vorlesung beendet, bin ich fast schon erleichtert. Ich warte, dass sich die Reihen leeren, bevor ich aufstehe. Er hat mir den Rücken zugedreht und wischt seine Notizen von der Tafel. Ich bin fast an der Tür, als er meinen Namen sagt.

»Miss Valari.«

Ich drehe mich um.

»Hätten Sie einen Moment Zeit?«

Ich gehe zu ihm zurück, meine Handtasche fest gepackt. »Professor Kane.«

»Maximus«, korrigiert er mich. »Irgendwann nennt mich sowieso jeder so.«

Er lehnt sich an den Schreibtisch neben seinem Pult. Von dem halb zugezogenen Reißverschluss seiner Aktenmappe hängt Thor als Schlüsselanhänger herab. Das Figürchen hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Mann vor mir, aber ich kann mir vorstellen, dass er der Assoziation nicht entkommt, die jeder bei seinem Anblick hat. Wieso also dagegen ankämpfen?

»Okay«, antworte ich und lächele vorsichtig.

»Um dieses Seminar zu besuchen, braucht man eine Zulassung. Seien Sie mir nicht böse, aber ich kann mich nicht erinnern, Sie zugelassen zu haben.«

Mein Lächeln gefriert. Die Erinnerung, wie ich seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter dazu gebracht habe, meinen Zulassungsantrag abzuzeichnen, obwohl mir die nötigen Vorbedingungen fehlten, ist mir noch gut in Erinnerung.

»Das hat Matthew gemacht. Sie waren nicht im Büro. Er hat mir versichert, es wäre alles in Ordnung.«

Einen Moment lang betrachtet er mich nachdenklich. Aus dieser Entfernung kann ich seine Augen genießen, ein echtes Himmelblau, so leuchtend, dass man fast die Schatten darin übersehen könnte. Wie ich gelernt habe, entstehen solche Schatten fast immer aus Geheimnissen. Schatten ängstigen mich nicht, allerdings halte ich nur selten nach ihnen Ausschau. Aber aus irgendeinem Grund wünsche ich mir, ich wüsste, woraus seine bestehen.

»Ich biete auch Literatur im Grundstudium an«, reißt er mich aus meinen Gedanken. »Wie kommt es, dass ich Sie noch nie gesehen habe?«

»Mein Hauptfach ist Altphilologie.«

Er nickt nur, lässt kurz den Blick über mich wandern und wendet ihn dann ab. »Tut mir leid, dass ich Sie vorhin in Verlegenheit gebracht habe. Ich wusste nicht, wer Sie sind.«

»Danke, dass Sie mich verteidigt haben. Aber ich brauche keine Sonderbehandlung. Meine Mom ruft nicht beim Dekan an oder so.«

»Das ist nicht der Grund, weshalb ich das gemacht habe. In meinen Seminaren lasse ich kein Mobbing zu. Es ist erstaunlich, wie oft ich dieser Tatsache Nachdruck verleihen muss.«

Ich glaube ihm und respektiere ihn dafür umso mehr.

»Danke noch mal.«

Er beugt sich vor und reicht mir einen Stapel Papier. »Vergessen Sie nicht Ihre Lektüre.«

Als ich danach greife, berühren sich unsere Finger. Nur so kurz, dass ich mich frage, ob es wirklich einen Kontakt gab – wäre da nicht dieses stechende Gefühl, das meinen Arm hinaufrast. Eine seltsame Energie, die ich noch nie gespürt habe – zumindest nicht bei Menschen.

Ich reiße die Augen auf, trete einen Schritt zurück und presse die Texte an meine Brust. Unsere Blicke treffen sich, und einen Moment lang fürchte ich, er hätte es auch gespürt. Ich schlucke heftig und überlege, was ich sagen könnte, aber sein wortloses Starren macht mich sprachlos.

»Bis Mittwoch, Miss Valari.«

Kapitel 2

Maximus

»Kane!«

Trotz dem Rauschen des Meers, dem Kreischen der Möwen und der lauten Rockmusik, die an diesem Nachmittag über den Venice Beach schallt, ist der Ruf meines besten Freunds deutlich quer durch den Gewichtheberbereich des Muscle Beach Fitnessstudios zu hören. Ich schaue von dem Gerät hoch, an dem ich die letzten fünf Minuten gearbeitet habe, und runzele die Stirn, während Jesse freundlich den Stammkunden zuwinkt, die sich am Sandsack abwechseln.

»Mr North«, antworte ich. »Du bist spät.«

»Was willst du damit sagen?«, fragt Jesse grinsend, während er sich mit seinem Rollstuhl nähert, der quasi eine Erweiterung von ihm ist. Zumindest für die meisten hier. Nicht für mich, den Mann, der ihn noch ohne dieses Hilfsmittel kennengelernt hat.

Für den Mann, der ihn hineinbefördert hat.

Aus diesem Grund und aus etwa einer Million weiterer Gründe ist er mehr wie ein Bruder als ein Freund für mich – und ich weiß, wie eng auch er unsere Verbindung empfindet.

»Geistig mal wieder auf einem anderen Planeten, Mann?« Er hält seinen Rollstuhl abrupt an.

»Ja, vielleicht.« Sofort wird die Erinnerung an eine gewisse Brünette wieder lebendig. In dem Moment, als ich Kara Valari berührt habe, wurde die strikte Kontrolle meines Geists überflutet von leuchtender Farbe.

Ein kurzes Kribbeln. Ein Energieaustausch. Ein kurzer Kitzel. Das reichte, um durch alle meine Mauern zu brechen und mich stundenlang über diese kurze Interaktion mit ihr grübeln zu lassen. Ja, verdammt, inzwischen seit über vierundzwanzig Stunden.

Nicht dass ich Jesse irgendetwas davon erzähle. Oder es mir auch nur selbst eingestehe. Kara ist tabu. Für einen Vollzeitprofessor an der Alameda bin ich jung, aber ich bin nun mal Professor. Ihr Dozent. Und mal abgesehen von ihrem Alter ist sie auch noch eine Valari. Sie ist aufgewachsen mit seidener Bettwäsche, Marmorböden und persönlichem Kammerdiener. Meine Kindheit bestand aus Schlafcouch, Linoleumküche und Käse-Makkaroni mit Käse aus Pappschachteln, warmgehalten bis meine Mom von ihrer Zwölf-Stunden-Schicht aus dem Krankenhaus kam. Wohnen ist in L. A. nicht billig, aber sie hat immer darauf bestanden, dass wir in der Stadt bleiben. Hat mir immer wieder gesagt, so sei es am sichersten – was ich nie verstanden habe. Am sichersten vor was? War nicht ich das Monster, das von allen ferngehalten werden musste?

»Wie wäre es mit der?« Jesse deutet mit dem Kopf auf die Zuschauertribüne in der Nähe des Trainingsbereichs. Obwohl die Sitze wegen der vielen Gewichthebewettbewerbe, die hier stattfinden, fest installiert sind, sind sie an den meisten Tagen nur von neugierigen Touristen und voyeuristischen Einheimischen besetzt. Jesse wirft den Kopf mit den dichten schwarzen Locken in den Nacken, ein unmissverständliches Angebot an letztere. Sein Blick ruht auf zwei vollbusigen Rotschöpfen, die vier Reihen oberhalb von uns sitzen. Vollbusig mag untertrieben sein, aber auf solche Frauen steht Jesse nun mal, und ich wäre der Letzte, der ihm sein Vergnügen missgönnen würde.

»Kein Interesse.«

»Echt nicht?«, fragt er. »Es ist nämlich mindestens zehn Jahre her, seit du das gemacht hast.« Er deutet auf die Kraftstation, von der ich gerade aufgestanden bin. Die waagerechte Stange, die normalerweise nur an den Enden gekrümmt ist, sieht jetzt wie ein riesiges Hufeisen aus.

»Mist«, murmele ich.

»Nicht dass ich mich beschwere. Die süßen Erdbeeren da oben schauen gerade keinen anderen an.« Er kneift die Augen zusammen und betrachtet mich schweigend. »Aber falls sich unser Samson etwas von der Seele reden muss …«

Ich schneide ihm das Wort ab, indem ich meine Halswirbel knacken lasse. »Wenn du mich noch einmal so nennst, sage ich denen, dass du unter der Dusche Nickelback singst.«

Er richtet den Blick wieder auf die Vollbusigen. »Mit ein bisschen Glück wird die rechte Nymphe das bald wissen.«

»Da ist jemand heute ja gut drauf.«

»Und jemand lenkt vom Thema ab.« Gegen die spätnachmittägliche Sonne versucht er, mich mit seinem Blick festzunageln. »Jemand, der seine Stahlstange schon verdammt lange nicht mehr als Pfeifenputzer eingesetzt hat.«

Und damit meint er Jahre. Viele Jahre. Jahre, in denen ich zufrieden war. Mit mir im Reinen. Manchmal sogar … glücklich.

Aber immer ohne inneren Frieden. Den habe ich mir abgeschminkt. Die Erklärung, weshalb ich so … anders bin. Denn das bin ich. Ich halte mich an eine Welt aus Pergament, Papier und Vorhersehbarkeit, innerlich wie äußerlich, und das aus gutem Grund. Stabilität bedeutet Kontrolle. Und Kontrolle verhindert, dass ich tue, was ich diesem Gewichthebegerät gerade angetan habe.

Wäre diese Stange ein menschliches Körperteil gewesen … wie Jesses …

Ich unterdrücke einen Schauder. Wie zum Teufel konnte ich meine Kontrollsysteme so schnell, so grundlegend zusammenbrechen lassen?

Ich schiebe die Erinnerung beiseite, indem ich wieder auf die Zugstange schaue, die wie ein misslungenes Kunstobjekt aussieht. »Überbeanspruchte Ausstattung«, murmele ich und vermeide erfolgreich jegliche Erwähnung meiner mich ablenkenden Studentin. »Fünfzig Meter vom Pazifik entfernt – prima Voraussetzung für Korrosion. Kein Wunder, dass ich kein Brennen gespürt habe.«

»Du brennst nie.« Jesse gibt sich ein paar Sekunden seinem Missmut hin, dann verzieht sich sein Mund zu einem Grinsen – gerade als sich die heutige Version seines Traumrotschopfs mit wiegenden Hüften nähert.

»Sieht aus, als kämen wir gerade zum richtigen Zeitpunkt«, sagt sie. Die kurvige Sexbombe und ihre Freundin scheinen genauso begeistert von sich selbst wie von uns. In luftigen Kleidern und mit ihren Designersonnenbrillen sind sie sonst vermutlich eher die Gejagten, nicht die Jäger. Aber ihnen scheint der Rollentausch zu gefallen. Sehr.

Ich ignoriere ihr Flirten. Noch einmal darf ich die Selbstbeherrschung auf keinen Fall verlieren. Wenn das passiert, geschieht Schlimmes, und vor mir stehen zwei unübersehbare Mahnmale. Das Hufeisen am Zuggerät und der Rollstuhl unter meinem besten Freund.

Jesse grinst die Mädchen einladend an, die an der hellblauen Stange lehnen, die den Gewichtheberbereich umgibt.

»Ich würde sagen, für euch ist jede Zeit die richtige.«

Sein Spruch, süß wie Schlagsahne, hat die Rothaarige sichtlich beeindruckt.

Sie leckt sich die Lippen, als wäre dort irgendetwas von dem Spruch kleben geblieben. »Oh, wie nett. Du musst entweder ein Agent oder ein Dichter sein.«

»Nein, Wissenschaftler. Statt etwas über Yeats oder Hughes kann ich dir alles über die Beteigeuze-Supernova erzählen, die Cascadia-Subduktionszone und alles, was du über den Zentralbereich der Spiralgalaxien wissen möchtest.«

Er fängt sich einen skeptischen Blick ein. »Das ist mal ganz was Neues.«

Jesse und ich schauen uns an. »Verdammt, das gibt es wirklich.«

Die Rothaarige schiebt ihre Sonnenbrille mit dem glitzerverzierten Gestell auf den Kopf hoch. »Du hattest mich schon bei Beteigeuze überzeugt, Hübscher. Sagt mal … was habt ihr Jungs hinterher noch so vor?«

»Und hättet ihr dabei gern Gesellschaft?«, fügt die andere hinzu.

Mein Rücken versteift sich, aber ich kaschiere es, indem ich so tue, als würde ich mir nicht vorhandenen Schweiß vom Hals wischen. Jesses neue Errungenschaft mag durchaus nett sein – und ihre Freundin sicher auch –, aber keinesfalls tue ich mir stundenlanges gezwungenes Miteinander an, um mich dann irgendwie aus der Einladung herauszuwinden, mit zu ihr nach Hause zu kommen.

Ich habe nichts gegen Jesses unbekümmerten Umgang mit Sex, aber für mich ist das nichts. Seltsamerweise war das nicht einmal ein großes Opfer. Das Paarungskarussell ist einfach nicht mein Ding. Eine Frau zu umwerben reizt mich viel mehr. Ihre Geheimnisse kennenzulernen. Ihre Schatzkiste zu erobern.

Verdammt, vielleicht hat Jesse recht. Vielleicht gehöre ich auf einen anderen Planeten. Oder zumindest in eine andere Zeit.

»Oh«, sage ich abwehrend, aber lächelnd, und hoffe, es wirkt zerknirscht, und nicht verquer. »Tut mir leid. Wir haben tatsächlich schon etwas anderes vor, und da müssen wir in zwei Stunden sein. Eine private Veranstaltung. In der Innenstadt.«

All das bringe ich ohne zu stottern heraus, weil es der Wahrheit entspricht. Heute ist ein großer Abend für Sarah und Reg, die so etwas wie Familie sind. Wir werden ihn nicht verpassen. Ich warte darauf, dass sich Jesse enttäuscht zeigt, aber das betrübte Gesicht bleibt aus.

»O ja.« Er setzt eine noch breitere Version seines Megawattlächelns auf. »Die Feier der Verfilmung von Melora Halls Buch im Recto Verso.«

Ich möchte ihn auf der Stelle umbringen, während ihn beide Frauen ansehen, als wollten sie ihn gleich bespringen.

»Ihr geht zu der Party von Melora Hall?«, fragt Jesses Bewunderin.

»Ernsthaft?«, kreischt ihre kleine Freundin.

»Und dann auch noch im Recto Verso! Ich liebe diesen Laden!«

»Nicht wahr? Er ist so herzig!«

Während die Frauen sich mit Ausrufen übertreffen, haben Jesse und ich unseren eigenen Austausch, lautlos aber effektiv.

Herzig?, formt er mit den Lippen.

Was zum Teufel soll das?, antworte ich und schaue ihn böse an.

Zumindest in diesem Punkt sind wir uns einig: Wir sind gleichermaßen stolz auf alles, was unsere Freundinnen, denen die Buchhandlung gehört, an der Ecke Spring und Fifth geschaffen haben, wie auf die Lobeshymnen, die man ihnen seit dreißig Jahren singt – auch wenn »herzig« nicht ganz der passende Ausdruck ist. Das Studio hat Recto Verso für diesen Event ausgesucht, um mittels der angesagten und doch intellektuellen Atmosphäre des Ladens bei den Literatur- und Filmsnobs Eindruck zu schinden.

»Also … wir hätten eine Bitte an die Damen.« Jesse lässt sie ein paar Sekunden lang zappeln. »Vermutlich werden sie Venus und Aphrodite nicht als angemessene Namen auf der Gästeliste akzeptieren …«

»Ich bin Misty!«, ruft die eine aus.

»Und ich Kristy!«, sagt die zweite.

»Natürlich«, murmele ich so leise, dass es nur Jesse hören kann.

»Perfekt«, erwidert er ohne zu zögern. Inzwischen hat er sein Handy aus der Tasche seiner Trainingshose gezogen und hält es Misty hin. »Tragt euch doch vorsichtshalber mal als Kontakte ein. Und vergesst nicht eure Nachnamen und Telefonnummer. Nur falls ich euch wegen irgendeiner Änderung oder sonst irgendwas benachrichtigen muss.«

»Oder sonst irgendwas«, wiederhole ich laut und hänge ein Kichern an.

»Übrigens«, sagt er, während die Mädchen ihre Nummern in sein Gerät eingeben, »ich bin Jesse, und das ist Maximus.«

»Oh, ich kenne Maximus.« Kristy sieht mich an und klimpert mit den Wimpern. »Ich habe vor drei Jahren meinen Abschluss an der Alameda gemacht. Morgens für deine Vorlesung über französische Literatur früh aufzustehen, war es absolut wert.«

Ich räuspere mich. Bemühe mich um ein weiteres angestrengtes Lächeln. »Nun … freut mich, dass dir deine Zeit an der Alameda etwas gebracht hat.«

»So wie uns bestimmt allen der Spaß heute Abend etwas bringen wird«, wirft Jesse lässig ein.

Ich lächele ihn dankbar an. Ich bin zu einem Halbeinsiedler geworden, weil ich musste. Aus demselben Grund hat er sich zu einem halbwegs brauchbaren Salonlöwen entwickelt.

»Sagen wir halb acht?«, fügt er hinzu. »Die Feier beginnt um sieben, aber wer will schon pünktlich sein?«

»Halb acht, okay.« Misty strahlt über das ganze Gesicht. »Wir müssen jetzt nach Hause und uns schön machen.«

»O ja!« Kristy nickt wie ein Wackeldackel auf der Hutablage. »Da ist Schönmachen angesagt.« Sie blinzelt mir zu. »Bis aufs letzte I-Tüpfelchen.«

Drei Stunden später ist Kristys Grinsen noch breiter, ihre Kleidung dafür umso dürftiger. Misty und sie bahnen sich ihren Weg durch die Menge im Recto Verso. Jesse und ich haben bereits eine der hinteren Ecken in Besitz genommen, den Bereich, den Sarah und Reg als L. A.-beeinflusste Ode an ihr Heimatland gestaltet haben. Vor einem Kamin aus Marmor, der nie benutzt wird, stehen zwei nicht zusammenpassende Zweiersofas und eine hohe Vitrine voller britischem Nippes gemischt mit funkelnden Hollywood-Kuriositäten.

Wir sind froh, einen Platz vor den steinernen Säulen des Kamins ergattert zu haben, und betrachten die menschliche Parade, die sich auf die andere Seite des Ladens zubewegt. Weitere Gäste verteilen sich zwischen kleinen Lesenischen und Skulpturen zum Thema Buch sowie Tunneln aus »Bücherziegeln«, die zu dem Bereich führen, wo Melora Hall für die Fotografen posiert. Die Ledereinbände der Abteilung für Sonderausgaben stellen einen anspruchsvollen Hintergrund für die Autorin dar, eine reizende Frau mit großen grünen Augen und mokkafarbener Haut, die jeden mit demselben Charme und derselben Zuneigung begrüßt.

»Hi«, macht sich Misty atemlos bemerkbar – was nur gut ist, denn sie sollte heute Abend lieber nicht tief einatmen. Genau wie Kristy scheint sie in ihr schwarzes Cocktailkleid hineingegossen zu sein.

»Ebenfalls hallo.« Jesse klingt überrascht, was vermutlich an dem herzhaften Kuss liegt, den Misty ihm gerade auf den Mund gepresst hat. »Du siehst großartig aus.«

»Oh, danke schön, Sir.« Misty kichert, aber als ein paar Blitzlichter aufleuchten und ihre Aufmerksamkeit auf die Berühmtheit auf der gegenüberliegenden Seite des Raums lenken, wird ihr Gesicht ausdruckslos. Sie packt Jesses Hand und verdreht sie in tausend Richtungen. »Melora Hall ist tatsächlich hier!«

Jesse lacht. Ich stimme mit ein. Obwohl ich die Sekunden zähle, die ich anstandshalber hier sitzen muss, bis ich mich für den Rest des Abends in Sarahs Büro verkriechen kann, ist die Aufregung, die in der Luft liegt, ein wenig ansteckend.

Als hätten meine Gedanken sie heraufbeschworen, scheint sich die willkommene Gestalt einer Frau aus der Mitte des Gedränges zu materialisieren. Heute Abend trägt Sarah – die Frau, die, solange ich zurückdenken kann, meinen Lieblingsbuchladen leitet – einen Pullover in rosa Pastellton, eine graue Leggings und in allen Farben des Regenbogens schimmernde Doc Martens. In ihrem ansonsten grauen Haar ist vorne eine einzige dunkelrosa Strähne. Sie ist die einzige Frau auf dem Planeten, die gleichzeitig wie eine Englischlehrerin und eine Ex-Punkrockerin wirkt.

»Misty und Kristy, es ist mir ein Vergnügen, euch Miss Sarah Reitz-Nikian vorzustellen«, sagt Jesse. »Sie ist eine Hälfte des erfolgreichen Paars, das diese Buchhandlung leitet.«

Kristy lächelt. »Nett, Sie kennenzulernen, Ma’am.«

»Ganz meinerseits, meine Liebe«, erwidert Sarah.

Aber von Misty kommt keine entsprechende Begrüßung. Gebannt sehen wir zu, wie ihr die Kinnlade beinahe bis zum Boden hinunterfällt. »T… tut mir leid«, platzt es schließlich aus ihr heraus. »Wirklich … sehr leid. Aber verdammt, ihr hattet echt recht mit den Gästen!«

»Was?« Kristy beugt sich zu ihr hinüber und nutzt die Bewegung als Vorwand, um die Hand über meinen Bauch gleiten zu lassen. »Was ist, Süße?«

»Nicht was«, korrigiert Misty. »Wer. Oh, verdammt. Ich glaube, sie ist es wirklich.«

»Wer?« Kristy stützt sich auf meinen Rippen ab, offenbar braucht sie mich, um das Gleichgewicht zu halten, als sie sich in ihren Pfennigabsatzschuhen auf die Zehenspitzen stellt. »Wo?«

»Gleich dort!«

»Wo? Oh, Moment. Jetzt sehe ich sie. Oh, Wahnsinn!«

Aus reiner Neugier folge ich ihren Blicken zur Klassikabteilung, mit der ich so vertraut bin.

Ich erkenne sie sofort, weil ich ihre Erscheinung die letzten vierundzwanzig Stunden ununterbrochen vor meinem geistigen Auge hatte. Ihr liebliches Gesicht. Ihren kleinen Körper, den ich nicht so hätte beäugen dürfen, wie ich das getan habe, kaum dass wir allein im Hörsaal waren.

»Ich kann es nicht glauben.« Kristy schnappt nach Luft. »Das ist Kara Valari. Ich kann mich nicht erinnern, wann sie zuletzt in der Öffentlichkeit zu sehen war.«

Ich atme kräftig durch die Nase ein und überlege verzweifelt, wie ich die beiden Frauen ablenken könnte, die sich auf die Hauptperson der Feier konzentrieren sollten und nicht auf die scheue Schönheit aus einer von Hollywoods berüchtigten Dynastien. Denn wenn ich aus ihrem unauffälligen Äußeren irgendeinen Schluss ziehen darf, dann ist Miss Valari nicht für ein Fotoshooting hier.

»Was, glaubst du, tut sie hier?«, fragt Misty völlig verzückt.

Sarah verschränkt die Arme vor der Brust und wirft einen Blick über die Schulter. »Ihre Schwester Kell ist mit vielen der Gäste hier heute Abend recht gut befreundet, vor allem mit Miss Hall. Sie ist ebenfalls irgendwo hier.«

Ich glaube, bei diesen Neuigkeiten könnte Kristy gleich der Schlag treffen. Sie macht sich von mir los und hängt sich wieder an Misty. Gemeinsam verdrehen sie die Hälse und versuchen, die andere Valari im Raum zu entdecken.

Nun … verdammt.

Diese neue Wendung bietet mir die beste Gelegenheit, mich zu verdrücken – nur dass sich mein Plan beim Anblick von Kara Valari radikal geändert hat.

Nachdem ich Sarah freundschaftlich umarmt und ihr meine von Herzen kommenden Glückwünsche für den gelungenen Abend ausgesprochen habe, signalisiere ich Jesse, dass ich gleich wieder da bin. Was zu diesem Zeitpunkt die Wahrheit sein mag oder auch nicht.

Meine Größe ausnutzend, bahne ich mir einen Weg durch die Menge, bis nur noch wenige Leute zwischen Kara und mir stehen. Die Lippe zwischen die Zähne gezogen und die Brauen vor Konzentration zusammengekniffen starrt sie auf das oberste Regal vor ihr.

Offenbar ohne die Menschen um sie herum wahrzunehmen, stellt sie sich auf die Zehenspitzen, doch ihre Finger reichen kaum bis zum Rücken des Buchs, das sie interessiert.

Ich schiebe mich weiter, bis ich nur noch Zentimeter von ihr entfernt stehe. Den Ernst dessen, was ich tue, begreife ich erst, als es bereits zu spät ist.

Kapitel 3

Kara

Ich reiße die Hand zurück, als er meine Haut berührt. Dieses unerwartet heiße, intensive Gefühl löst zunächst nur einen blitzartigen Anflug von Besorgtheit aus, die sich rasch steigert, als ich merke, dass Professor Kane – okay, Maximus – neben mir steht.

Seine höfliche Geste wird nicht von einem freundlichen Lächeln begleitet. Wüsste ich es nicht besser, würde ich behaupten, dass er dieses Energiefeuerwerk zwischen uns ebenfalls gespürt hat. Aber das ist unmöglich. Normale Menschen spüren nicht, was ich spüre … nur dass er aussieht, wie ich mich fühle – verblüfft und fasziniert.

Er starrt auf das Buch hinunter, als hätte es ihn beleidigt, bevor er es mir reicht. Ich nehme es, wobei ich darauf achte, ihn nicht zu berühren.

»Danke.«

Einen Moment lang sagt er nichts, nur der Blick seiner himmelblauen Augen bohrt sich in meine, als wäre ich ein Problem, das er nicht lösen kann. Dass der Laden überfüllt ist und uns eine Nähe aufzwingt, die sich zu intim anfühlt, macht die Sache nicht besser. Vor allem als ich anfange, Einzelheiten an ihm wahrzunehmen, die ich vorher noch nicht bewundern konnte. Der dunkelblaue Ring um die Iriden seiner Augen. Seine muskulösen Unterarme, die jetzt sichtbar sind, weil er die Ärmel sorgfältig hochgekrempelt hat. Am auffälligsten ist sein zerzaustes, kupfergoldenes Haar, das ihm in Wellen über die Schultern fließt und ihm ein wildes und ungebundenes Aussehen verleiht, völlig anders als der reservierte Professor, den ich gestern kennengelernt habe.

Das Kreischen eines aufgeregten Piper-Blue-Fans auf der anderen Seite des Ladens zerreißt den Lärm der Menge. Maximus schaut kurz hinüber und richtet die Aufmerksamkeit dann wieder auf mich und das Buch in meiner Hand.

»Vorgeschriebene Lektüre?«

Verblüfft blinzele ich ein paarmal, bevor ich begreife, was er meint. Ich klemme mir das schwere Buch unter den Arm. »Eigentlich nicht. Ich fand einfach, es sah interessant aus.«

Seine Mundwinkel wandern nach oben. »Griechische Rituale sind interessant?«

»Ich studiere Altphi…«

»Ja, ich weiß. Altphilologie. Das haben Sie mir bereits erzählt.« Er stützt den Ellbogen auf den Rand des Regals mit Büchern über das römische Reich. »Es ist nur so, dass alle hier sind, um sich über die Stars und Sternchen auszulassen, nur Sie sind hier in Ihrer eigenen kleinen Welt.«

»Und das finden Sie interessant?«

Diese Kobaltringe scheinen intensiver zu werden. »Durchaus.«

Ich fummle am Relief des Buchcovers herum und fürchte sogleich, er könnte es merken. »Sind Sie deshalb hier? Um sich über Stars und Sternchen auszulassen?«

Sein Lächeln wird breiter. »Nein. Ich bin mit den Besitzerinnen befreundet. Ich bin in dieser Straße aufgewachsen. Sie sind quasi wie Familie für mich.«

»Genau wie Piper für meine Schwester. Sie sind seit Jahren unzertrennlich.«

»Nett von Ihnen, mitzukommen und sie zu unterstützen.«

Ich kann nicht anders, ich verdrehe die Augen.

Er lacht. »Was ist?«

»Piper hat genügend Mädchen, die sie anhimmeln. Sie braucht keine moralische Unterstützung. Meine Schwester will mich unbedingt so oft wie möglich ins Scheinwerferlicht verfrachten. Mir wurde versprochen, ich würde nach der Uni nach Hause gebracht, und jetzt bin ich hier.«

»Kleiner Umweg.«

Ich rümpfe die Nase. »Ganz kleiner.«

»Sie könnten doch einfach gehen.«

Ich zucke mit den Schultern. »Ich mag Bücher.«

»Das sehe ich. Wie kommen Sie mit Dante zurecht?«

Ich spüre, wie meine Wangen rot anlaufen, obwohl es keinen Grund dafür gibt. Seine Frage ist einfach genug. »Ich lese ihn sehr gern«, bringe ich schließlich heraus.

»Sie müssen das nicht sagen, nur weil ich Ihr Professor bin«, erwidert er, leiser jetzt. Es hat fast schon … etwas Intimes.

»Ich würde das nicht einfach behaupten.«

Sein Blick wandert von meinen Augen zum Buch und dann offenbar weiter über mich hinweg. Mein Atem wird unregelmäßig, denn das fühlt sich gefährlich nach Flirten an. Mit meinem Professor. Nicht dass ich deswegen moralische Bedenken hätte, aber ich bin nicht in der Lage, mich mit irgendjemandem einzulassen. Schon gar nicht mit Maximus mit den schönen Augen, der elektrisierenden Berührung und dem weich aussehenden Mund …

O Mann.

Plötzlich stößt jemand von hinten gegen mich, und ich lande an seiner breiten Brust. Schnell wie der Blitz schlingt er den Arm um mich, um zu verhindern, dass ich zwischen die Leute falle, die in unserer Nähe stehen.

»Oh, Himmel, das tut mir so leid«, höre ich jemanden sagen.

Die Stimme könnte meilenweit weg sein, denn ich höre nur noch Maximus’ heftiges Ausatmen, während er uns fest aneinanderpresst. Seine große warme Hand an meiner Taille. Sein Geruch, der wie Sommerregen meine Sinne überflutet. Dann seine Stimme, rauchig und leise an meinem Ohr.

»Fuck.«

Es ist gerade noch ein Wispern. Ein Wort, das ich mehr spüre als höre, während ich noch versuche, die Sinnesexplosion dieses intensiven Kontakts zu verarbeiten. Mein Herz schlägt aufgeregt, als würde es auf eine neue Spaßdroge reagieren, die dazu dient, mich die ganze Nacht auf Hochtouren laufen zu lassen. Ich stemme die Handfläche gegen seine breite Brust und zwinge mich, Haltung zu bewahren. Beruhige dich. Konzentrier dich.

Nur dass es mehr ist als bloß Schmetterlinge. Es ist ein Phönix im Flug. Nackte Anziehungskraft, die nicht länger als irgendetwas anderes abgetan werden kann. Wie ein vibrierender Draht, den ich nicht mehr loslassen möchte, aber dringend loslassen muss, bevor sich Maximus falsche Hoffnungen macht.

Ich finde mein Gleichgewicht wieder und trete langsam einen Schritt zurück. Er lässt mich los, und ich bin fast schon traurig, zwinge mich aber, ihn anzuschauen. Ich will mich für seine schnelle Reaktion bedanken, doch die Worte bleiben mir im Hals stecken. Auf einmal brennt meine Haut genauso lichterloh wie das Feuer in seinen Augen. Auf einmal wird mir bewusst, dass sein Fluch nicht dem ungeschickten Trottel galt, der in mich hineingelaufen ist. Ich glaube eher nicht, dass er überhaupt etwas von sich geben wollte.

»Alles in Ordnung?«, fragt er mit rauer Stimme, die ich über meine Haut kratzen spüre. Und über andere Stellen.

»Mir geht es gut.«

Zu gut. So gut, dass ich vor Euphorie vibriere. So gut, dass ich ihm die Kleidung vom Leib reißen könnte.

Ich sollte mich bedanken, dass er mich vor dem Sturz bewahrt hat. Dann sollte ich mich umdrehen und gehen und alles daran setzen, dass ich ihm nie wieder so nah komme.

»Kara. Da bist du ja. Also echt.«

Der dramatische Tonfall meiner Schwester lässt den Zauber erlöschen. Maximus streicht sich mit zitternder Hand durch das Haar, als sie, von Kopf bis Fuß in Gucci, neben uns auftaucht.

»Es ist ein Wunder, wenn die Paparazzi überhaupt ein Foto von dir schießen können. Du versteckst dich an den unmöglichsten Orten. Du bist nicht mal ansatzweise dort, wo was los ist«, plappert sie weiter.

Bevor ich sie einander vorstellen kann, murmelt Maximus etwas, das ich nicht verstehe, und verschwindet in der Menge. Die Distanz, die er zwischen uns schafft, löst in mir widersprüchliche Gefühle aus. Dann fällt mir ein, dass ich ihn morgen im Seminar sehen werde, eine Aussicht, die keine derartige Begeisterung in mir auslösen sollte. Nicht nachdem mich beinahe von ein paar Sekunden Körperkontakt der Schlag getroffen hätte.

Vergeblich versuche ich, ihm nicht mit dem Blick zu folgen, als er sich auf der anderen Seite des Ladens einen Platz sucht. So weit wie möglich von mir entfernt. Weise. Das muss ich mir noch mindestens tausendmal vorbeten.

Lautlos schwöre ich mir, im Hörsaal in Zukunft auf meinem Platz in der hintersten Reihe zu bleiben. Das darf nicht noch einmal passieren. Er ist eine zu große Gefahr für meine Mauer aus Selbstbeherrschung.

»Komm schon. Lassen wir sie ein Foto schie…« Kell reißt die dunkelbraunen Augen auf. »Wow. Riechst du das?«

Ich richte die Aufmerksamkeit wieder auf sie. »Was?«

Mit bebenden Nasenflügeln atmet sie ein paarmal ein. »Lust und …« Sie runzelt die Stirn. »… Unruhe?«

Ich fahre mir nervös mit der Zunge über die Lippen. »Das bin ich. Ich bin unruhig.«

»Ich weiß, wie du riechst, K-Dämonin. Das kommt nicht von dir.«

»Nenn mich nicht so.«

Anmutig wirft sie ihr dichtes schwarzes Haar über die Schulter nach hinten. »Kara, du bist die Einzige von uns, die man daran erinnern muss.«

»Okay, aber wir sind in der Öffentlichkeit.« Ich kann kaum eine ausholende Geste machen, ohne jemanden zu schlagen.

»Hat uns die Öffentlichkeit nicht schon Schlimmeres genannt?«

Ich verdrehe die Augen und seufze. »Wie du meinst.«

»Also …« Sie lässt den Blick über die Menge schweifen. »Wer war der geile Hengst? Das sieht dir gar nicht ähnlich, jemanden derart in Aufruhr zu versetzen.«

»Niemand. Er ist mein Professor. So ist das nicht.«

Als sie Maximus entdeckt, formen ihre hübschen roten Lippen schockiert ein O. »Du machst Witze. Der ist dein Professor?«

»Ja.« Ich stoße einen leisen Zischlaut aus und drehe ihm den Rücken zu. Hoffentlich merkt er nicht, dass die Erträglichste meiner Familie hemmungslos wie ein unbefangenes Kleinkind auf ihn zeigt und ihn anstarrt.

»Moment mal, verdammt«, sagt sie fast schon atemlos. »Das ist der superheiße Literaturprofessor, stimmt’s? Mist. Ich habe auch versucht, in eins seiner Seminare zu kommen. Stattdessen bin ich bei einer alten Hexe gelandet, die sich nur für Whitman interessiert.«

»Kell, Professor Ferguson ist die Poeta laureata.«

Sie macht eine abschätzige Handbewegung. »Mir echt egal. Auf zu wichtigeren Dingen.« Sie betrachtet mich gründlich, als müsste sie irgendwelche Beweise an mir entdecken. »Hast du vor, ihn anzumachen? Ich hätte nie gedacht, dass du flirtest, um bessere Noten zu bekommen. Das sieht dir so gar nicht ähnlich.«

Das Knurren tief drinnen in meiner Brust wird von der Menge übertönt, anders als ihre flapsigen Sprüche, die so ziemlich jeder, den es interessiert, hören kann. Und heute Abend, wo die Medienvertreter wie Bienen im Bienenstock umherschwirren, sind genügend Leute da, die nach skandalösen Neuigkeiten von den Valaris gieren.

»Da ich bisher erst einmal in seinem Seminar war, nein. Ganz abgesehen von … du weißt schon.« Ich forme mit den Fingern winzige Kreise und starre auf das Regal neben mir. Einen kurzen Moment lang wünsche ich mir, es täte sich mir die Möglichkeit auf, mich zwischen den Bänden zu verstecken. Oder ich fände vielleicht eine Geheimtür in dieser entzückenden kleinen Buchhandlung, die mich wegführt von L. A. in eine andere Realitätsebene, wo mein Leben nicht bereits vorgezeichnet ist.

»Wovon zum Teufel redest du?« Kells makelloses Gesicht hat vor Verwirrung auf einmal Falten.

»Ich bin versprochen. Genau wie du übrigens. Hast du dieses winzige Detail vergessen?«

Als sie die Arme vor der Brust verschränkt und den Blick abwendet, weiß ich, dass sie es nicht vergessen hat. Wenn jemand den Schwur zu würdigen weiß, der uns seit unserer Geburt bindet, dann sie.

»Bis dahin kannst du doch was anderes machen«, murmelt sie wenig überzeugend.

Ende der Leseprobe