Fate of Storms - Meredith Wild - E-Book
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Meredith Wild

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Beschreibung

Für ihre Liebe geht er durch die Hölle Kara und Maximus hätten sich nie ineinander verlieben dürfen, denn Karas Familie hat einen Pakt mit der Hölle und Maximus ist ein Kind des Olymp. Doch gegen alle Widerstände hat sich Kara ihrem vorherbestimmten Schicksal an der Seite eines Dämons entzogen. Durch ihre Rebellion wurde Hades selbst auf sie aufmerksam und hat Kara in sein Reich entführt. Maximus lässt jedoch nichts unversucht, um die Liebe seines Lebens aus der Hölle zu befreien.

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Katrin Mrugalla

© Meredith Wild & Angel Payne 2020

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Fate of Storms«, Waterhouse Press LLC 2021

© Piper Verlag GmbH, München 2022

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: zero-media.net, München

Coverabbildung: FinePic®, München

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Zitat

Widmung

Kapitel 1

Kara

Kapitel 2

Maximus

Kapitel 3

Kara

Kapitel 4

Maximus

Kapitel 5

Maximus

Kapitel 6

Kara

Kapitel 7

Maximus

Kapitel 8

Kara

Kapitel 9

Maximus

Kapitel 10

Kara

Kapitel 11

Maximus

Kapitel 12

Kara

Kapitel 13

Maximus

Kapitel 14

Kara

Kapitel 15

Maximus

Kapitel 16

Kara

Kapitel 17

Maximus

Kapitel 18

Kara

Kapitel 19

Maximus

Kapitel 20

Kara

Kapitel 21

Maximus

Kapitel 22

Kara

Kapitel 23

Maximus

Kapitel 24

Kara

Kapitel 25

Maximus

Kapitel 26

Kara

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

»Mut«, sprach der Herre, der mich hergebracht,

»Nichts hemmt den Schritt, den jetzt wir mit Verlaube

Des Höchsten tun: zu groß ist Seine Macht.

Hier harre mein; dir speis und stärke Glaube

Und gute Hoffnung den verzagten Sinn:

Nicht laß ich dich der Unterwelt zum Raube.«

– Dante Alighieri, Hölle, Achter Gesang

Für Angel … Danke für alles

Meredith

Für Thomas …

weil du in mein Universum geschrieben bist.

Angel

Kapitel 1

Kara

»Toller Ausblick, nicht wahr?«

Hades murmelt das mit unerträglich samtiger Stimme, und ich bohre meine Fingernägel noch tiefer in meine nackten Arme. Ich weigere mich, ihn anzuschauen, und starre stattdessen ausdruckslos aus dem Fenster.

Ich bin mehr als nur gefühllos. Ich glaube, ich bin tot. Alles, was ich empfinde, ist eisiger Schmerz. Wie ein Dolch durchbohrt die Verzweiflung mein Inneres, bis weit hinunter in meine unsichtbaren Tiefen. Falls ich noch ein Inneres habe, war noch nie klarer, wem es gehört – dem Teufel, dessen Schritte ich gemächlich über den blutroten Marmor auf mich zukommen höre. Dem Gott, dessen Stimme verführerisch von den massiven Steinwänden und den gotischen Bogen des Zimmers widerhallt.

Schon als er mich nur leicht berührt, zittere ich heftig. Es ist die Hand des Teufels persönlich, die warm und sanft über meine nackte Schulter gleitet.

»Oh, Kara, meine Liebe, du frierst.«

»Mir geht es gut.«

Es ist nicht so, dass ich erfrieren könnte, aber ich würde mich eher dafür entscheiden, als dass ich mich von ihm trösten lasse.

Dennoch flackert das Feuer in dem großen Kamin des Raums auf. Ich beiße weiter fest die Zähne aufeinander, aber die plötzliche Hitze lässt ein wenig von meiner wütenden Entschlossenheit dahinschmelzen. Bis jetzt habe ich mich an ihr festgehalten, als ginge es um mein Leben, während die Stunden ohne Veränderung, ohne Hoffnung vergingen.

Hier existiert keine … Zeit. Kein Sonnenauf- oder -untergang. Nur eine endlose Landschaft aus Elend. Die unwirtliche, formlose Stadt liegt unter einem aufgewühlten Himmel, und beide scheinen sie sich bis in die Ewigkeit zu erstrecken.

»Da.« Zärtlich drückt er die Lippen auf die Stelle, wo vorher seine Hand lag.

Als ich mich anspanne, packt er so fest zu, dass ich spüre, wie sich seine Ringe und seine Fingernägel in meine Haut bohren.

»Aber, aber. Stell dich nicht so an. Wir haben nicht viel Zeit. Lass sie uns nicht verschwenden.«

Ich wirble herum und starre in seine erbarmungslosen schwarzen Augen. »Wovon reden Sie? Zeit haben wir im Überfluss.«

Er lässt mich los und geht die paar Schritte zum Ofen. Der bernsteinfarbene Schein des Feuers wird intensiver. Seine Flammen züngeln aus der Feuerstelle heraus, als würden sie sich nach ihrem Meister strecken.

»Nicht unbedingt«, murmelt er. »Nur zwei Wochen. Danach wirst du nicht länger die Dame meines Hauses sein.«

Rasch reime ich mir zusammen, was er damit meint. Hier mag es keine Zeit geben, aber in L. A. hatte sich der Herbst bereits angekündigt. »Persephone.«

»Die meiste Zeit sehne ich mich nach ihr.« Seine Stimme schwankt kaum hörbar. »Sobald sie zurückkehrt, habe ich vor, ihr all meine Aufmerksamkeit zu schenken.«

In meiner Kehle bildet sich ein Kloß. »Und was geschieht dann mit mir?«

Er zuckt mit den Schultern, und das Licht bricht sich in seinem teuren purpurroten Jackett. »Dann kommst du dahin, wo du von Anfang an hättest hinkommen sollen. Bevor mich Maximus’ Erinnerungen an dich so sehr begeistert haben, hätte ich keinen weiteren Gedanken an das Ganze verschwendet.«

Ich nehme die Kanäle in Augenschein, die sich unten um das herumziehen, was vermutlich die Burg dieses schrecklichen Königreichs darstellt. Unter uns hat sich nichts verändert. Das ferne Wimmern von leidgeplagten Seelen – der nicht unterscheidbare, dennoch unverwechselbare Klang reiner Qual – wird nur unterbrochen, wenn die Boote dumpf auf das Ödland auftreffen und ihre ausgemergelten Kapitäne sich gegenseitig in jeder nur erdenklichen Sprache anbrüllen.

Wieder kommt Hades näher und folgt meinem Blick nach unten, dann weiter nach oben.

»Den Blick von hier oben genieße ich wirklich«, sagt er leichthin.

Ich will nicht mit ihm reden, nicht einmal eine Sekunde in seiner Gegenwart verbringen, aber meine Neugier gewinnt die Oberhand.

»Wo sind wir?«

»Natürlich in der Hauptstadt. Jedes Königreich hat eine.«

»Dis«, ergänze ich.

Wieder zuckt er mit den Schultern. »Judecca. Dis. Dieser Ort hat viele Namen. Ich nenne ihn Zuhause. Vorläufig tust du das ebenfalls.«

Vorläufig …

»Und danach?«

»Oh, da kommt noch viel mehr.« Mit dem Finger zeichnet er die sichtbaren Ränder der Stadt nach, dort, wo die meilenlangen Kanäle und Bauten von einem breiten Fluss begrenzt werden. Dahinter erstreckt sich endlos unfruchtbares Land in verschiedenen Ausprägungen von Leere. Bäume ragen aus verkohlten Feldern heraus wie rauchende Grabstätten. Ein anderes Gelände voll schwarzem Schlamm wirkt lebendig, weil in ihm Hades’ dreckstarrende Untertanen erschöpft herumkriechen. Weit hinten ragt ein Gebirge aus zerklüfteten Felsen in den düsteren Himmel, und auch ohne die Bergkämme aus der Nähe sehen zu können, weiß ich doch bereits, dass auch dort irgendeine Art von Folter angewandt wird.

Mein Wissensdurst ist jetzt unstillbar. Ich kann dem ekelhaften, aber dringenden Bedürfnis, diesen Ort zu begreifen, nicht entkommen. »Gibt es hier Kreise?«

Hades verschränkt die Arme vor der Brust, lehnt sich an das Fensterbrett und verstellt mir die Aussicht. »Eher so etwas wie Distrikte – jeder für die Strafe konzipiert, die dem Verbrechen des Verdammten entspricht.«

»In welchen komme ich?«

Wieder summt er leise, was selbst für den Teufel zu nachdenklich klingt. »Nun, deine Vorfahren helfen, den dritten Distrikt zu beaufsichtigen. Aber da deine eigentliche Sünde darin besteht, dass du deinem Schicksal entkommen und deinem lüsternen Appetit frönen wolltest, passt Distrikt zwei vielleicht besser. Wie ich höre, bist allerdings du die Expertin auf diesem Gebiet, also solltest du es mir vielleicht sagen.«

Er betrachtet mich lange. Ich beschließe, den Köder nicht zu schlucken oder ihn mit meinen akademischen Theorien zu unterhalten, die nur genau das sind – Theorien. Vage Konzepte und Nacherzählungen eines seltsamen Traums von der Hölle. Nichts im Vergleich zur Realität, was er mit erschreckender Intimität weiß.

Mit derselben merkwürdigen Sicherheit sieht er mich mit schief gelegtem Kopf an. »Du musst doch noch mehr wissen wollen. Komm, Kara. Frag mich. Zeig mir, was dir durch den Kopf geht. Lass mich an deinen Gedanken teilhaben.«

An einem anderen Ort und zu einem anderen Zeitpunkt würde ich tatsächlich das Gleiche wollen. Aber ich mag nicht einmal eine seiner Fingerkuppen an mir spüren, geschweige denn seine ganze Existenz. Allerdings sagt mir irgendein Instinkt, der sich aus meinem tiefsten Inneren meldet, dass das vielleicht genau das ist, was er will.

Ich verkrampfe mich noch mehr und schlinge mir verzweifelt die Arme um den Körper. Als könnte ich ihn auf diese Weise von mir fernhalten. Aber sofort wird mir klar, dass das unsinnig ist. Machtlos stehe ich ihm und seinem Willen, den er mir rücksichtslos aufzwingt, gegenüber.

Ich bin hier allein. Ich habe keine Verbündeten. Keine Freunde. Keine Hoffnung.

Aber ich habe Familie. Das könnte von Bedeutung sein, vielleicht aber auch nicht.

»Sie sagten, meine Vorfahren beaufsichtigen den dritten Distrikt.«

Er schweigt lange. Es ist wie Folter, und ich hasse es, dass er das offenbar irgendwie weiß. Falls es so ist, lässt er sich seine Schadenfreude äußerlich nicht anmerken. Voller Konzentration schaut er auf sein riesiges Hoheitsgebiet hinaus.

»Es mag hier alles chaotisch wirken, aber wir sind ziemlich gut organisiert. Ich kann die Ordnung nicht eigenhändig aufrechterhalten, deshalb verlasse ich mich auf die, die sich in den einzelnen Distrikten als würdige Führer erwiesen haben. Natürlich können hier nur die gewieftesten und gnadenlosesten Kreaturen aufsteigen.« Er grinst ein wenig. »Hierarchien haben es so an sich, das Schlimmste in jedem hervorzukitzeln. Nichts ist so befriedigend, wie einem Mob aus Schurken zuzusehen, wie sie sich für einen derart winzigen Vorteil gegenseitig fertigmachen.« Nach einiger Zeit richtet er den Blick wieder auf mich. »Du siehst ihr tatsächlich ziemlich ähnlich.«

Ich runzele die Stirn. »Wem?«

»Charlena. Deiner Großmutter. Sie war lange Zeit sehr wertvoll für mich.«

Ich habe den Namen meiner Großmutter immer gekannt und wusste, dass meine Mutter, meine Geschwister und ich in diese Welt kamen, weil sie – Dämonin hin oder her – meinen Großvater hintergangen hatte. Als ich meine Erinnerungen an ein paar alte Fotos von ihr mit dieser neuen Information in Einklang zu bringen versuche, löst das weitere seltsame und beunruhigende Gefühle aus und weckt große Zweifel, dass sie jemand sein könnte, dem ich vielleicht wichtig genug bin, um mir aus diesem Schicksal herauszuhelfen. Nachdem schon meine Mutter immer so kalt gewesen ist, fürchte ich, dass Charlena noch deutlich schlimmer sein könnte. Falls sie so herzlos ist, wie Hades behauptet, könnte ich sie niemals zu meiner Verbündeten machen.

»Wenn sie hier so wertvoll ist, wieso wurde sie dann ausgewählt, um meinen Großvater auszutricksen und zu betrügen?«

Er zuckt mit den Schultern. »Sie hat mir gut gedient. Dieses Reich zu verlassen, egal für wie lange, ist ein bisschen wie Urlaub.«

»Ein langer Urlaub.« Lang genug, um meine Mutter und ihre Geschwister zu produzieren.

»Das stimmt.« Er stößt sich von der Wand ab und kommt auf mich zu. »Aber sie wollte unbedingt zurückkommen, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatte. Nach einer Weile kann sich die Zeit auf der Erde wie Hölle anfühlen. Glaub mir.«

Als er die Hand nach mir ausstreckt, drehe ich mich um und presse die Augen fest zusammen. Aber dass er warm mein Kinn berührt, kann ich nicht verhindern. »Ich betrachte dich als meine Untertanin, aber ich weiß es zu schätzen, wie sich durch deinen menschlichen Anteil deine irdische Schönheit hier erhält. Du bist ebenso hübsch wie faszinierend.«

Mühsam lasse ich den Atem entweichen. Ob es an seiner Berührung liegt oder an der Kälte, die aus meinen Knochen weicht, könnte ich nicht sagen.

»Was haben Sie mit mir vor?«

Langsam, geduldig lässt er die Finger in immer kleineren Kreisen über meine Schulter gleiten. »Du bist eine Sünde, die ich noch zu begehen habe … Ich kann es kaum erwarten.«

Ich entziehe mich ihm, trete einen Schritt zurück und durchbohre ihn mit meinem Blick. »Das wollen Sie also? Mich benutzen und dann wegwerfen?« Wütend deute ich auf das riesige Himmelbett mit den Vorhängen aus Samt und Seide, deren warme Farben in scharfem Kontrast zu dem ansonsten weitgehend leeren Raum stehen. Ich habe noch nicht geschlafen, weil ich die ganze Zeit freudlos in die Ewigkeit hinausgestarrt habe. Wenn ich mir vorstelle, dieses opulente Prunkstück mit dem König der Hölle zu teilen, lockt es mich gleich noch weniger.

Wieder entsteht eine lange, grausame Pause, dann fängt er an zu lachen. Es klingt wie lauter, verächtlicher Donner, und sogleich komme ich mir in seiner Gegenwart noch unbedeutender vor.

»Oh, Kara. Ich versichere dir, ich bin ganz anders als mein lüsterner Bruder. Den Versuchungen des Fleisches nachzugeben ist eine ermüdende Sünde. Sie hat mich schon vor Jahrhunderten gelangweilt. Du bist ein hübsches Geschöpf, aber was mich wirklich zu dir hinzieht, ist das, was du sonst noch in Maximus geweckt hast.«

Seltsamerweise verdoppelt seine Erklärung meine Ängste. Ihm meinen Körper zu überlassen wäre viel einfacher gewesen, da bin ich mir sicher.

»Die Gefühle, die du auslösen kannst …« Er schüttelt den Kopf wie ein Kind beim Anblick seines ersten Feuerwerks. »So viele. Und sie sind so reich und außergewöhnlich und lebendig. Kein Wunder, dass er süchtig nach dir ist. Und jetzt will ich das auch alles erleben.«

Ich hole mühsam Luft. »Aber Sie werden es nie bekommen. Verstehen Sie das nicht? Was zwischen uns existiert, existiert zwischen uns; Maximus und mir. Es ist noch nie mit jemand anderem entstanden.«

Fasziniert starrt er mich mit weit aufgerissenen Augen an. »Ich liebe Herausforderungen. Vielleicht kann meine Berührung allein nicht diese Anomalität entfachen, wie das mit ihm geschieht, aber wir finden bestimmt einen Weg, sie neu zu erschaffen. Und sobald das geschieht … sobald ich in dein Gehirn hineinlange, werden wir etwas haben, das ich noch nie erlebt habe.«

Ich schüttele heftig den Kopf. »Was? Was sollte ich Ihnen bieten können, was Sie nicht bereits durch ihn gesehen haben?«

Er leckt sich die Lippen. Die Flammen spiegeln sich in ihrer Feuchtigkeit und in seinen kohlrabenschwarzen Augen.

»Diese unendliche Schleife … dieser Kreislauf der Verbindung. Ich möchte die Farben selbst sehen, durch deine Erfahrung. Was für ein faszinierendes Spiegelbild! Es durch Hingabe zu erleben, wäre göttlich, aber wenn du mir das nicht zugestehen willst, kann ich so viel mehr in dir auslösen. Angst … Traurigkeit … Wut. So viele unangenehme Möglichkeiten.«

Ich trete noch einen Schritt zurück, auch wenn mir klar ist, wie nutzlos das ist. Alles ist nutzlos. Ich kann gegen ihn nicht gewinnen. Ich kann mich nicht vor ihm verstecken. Ich kann nur hoffen, dass ich ihn enttäusche und er mich in Ruhe lässt. Mich meinem wie auch immer gearteten schrecklichen, unendlichen Schicksal überlässt. Ich werde mich innerlich wappnen müssen. So gut und so schnell ich kann. Wieder schließe ich fest die Augen und hoffe, ich kann sofort damit beginnen.

»Vielleicht denkst du darüber nach«, fügt er freundlich hinzu. »Ein bisschen Zeit haben wir noch. Es wäre eine großartige Überraschung, falls du dich dafür entscheiden würdest. Wo immer ich kann, fördere ich ein wenig den freien Willen.« Dann streckt er den Arm aus und hält mir die Hand mit der Handfläche nach oben hin. »Komm, Kara, ich führe dich rum.«

Kapitel 2

Maximus

Zum dritten Mal in nicht mal einer Stunde quietschen Reifen auf der regennassen Straße unter dem Fenster meiner Wohnung. Diesmal folgen dem Chaos wütendes Hupen und lautes Krachen. Fast zeitgleich hört man Türen knallen, und schon brüllen sich die Fahrer gegenseitig an.

Ich greife nach der Fernbedienung und stelle den Fernseher lauter, um das Getöse zu übertönen. Jesse hat den Kasten schon den ganzen Tag an. Er behauptet, das weiße Rauschen würde ihn beruhigen, besteht aber darauf, die Lautstärke auf Null zu belassen. Ich habe bereitwillig nachgegeben, denn im Moment brauche ich ihn. Mehr denn je.

Mein bester Freund sitzt in meiner Essecke und sieht mich mit gerunzelter Stirn an. »Könntest du die himmlischen Wassergeräusche mal eine Zeit lang abstellen, damit ich mich konzentrieren kann?«

Zweifelnd betrachte ich den stürmischen Himmel und zucke zusammen, als es ohrenbetäubend donnert. »Da gibt es keinen Schalter, okay?«

Glücklicherweise scheint es sich unten bei dem Unfall nur um einen Blechschaden zu handeln. Die Fahrer haben ihre Lautstärke auf eine halbwegs zivilisierte Höhe hinuntergeschraubt. Ich stelle den Fernseher wieder auf stumm und versuche zu ignorieren, wie eiskalt mein Blut ist, wie mein Magen vor Angst brennt und wie sich meine Gedanken gegenseitig abstoßen wie Magnete.

Jesse scheint all das bereits zu spüren. »Verdammt, Mann. Zu blöd, dass ich jetzt von diesem Weltuntergangsregen weiß. Sonst würde mir dieses ganze wilde, verrückte Wetter vielleicht sogar Spaß machen.«

Ich werfe ihm über die Schulter einen genervten Blick zu. Jesse bleibt diplomatisch gelassen und schaut weiter konzentriert auf den Bildschirm seines Laptops. Sein Computer und er haben seit gestern Abend kaum einen Moment Ruhe gehabt – alles, um seinem Freund zu helfen, der einen Rieseneimer Tee über ihm ausgeschüttet und ihn dann um Hilfe angefleht hat.

Allerdings hat er recht. Die Ablenkung durch diesen Monstersturm, den ich ausgelöst habe und über den jedes Nachrichtenteam in der Stadt fanatisch berichtet, fördert bei uns beiden nicht die Konzentration. Und ich brauche alle Gehirnzellen, die Jesse gerade entbehren kann.

Und glücklicherweise ist meine Tür noch nicht von einer Halbdämonin in Prada aus den Angeln gehoben worden.

»Du hast recht«, murmele ich. »Was ich jetzt am wenigsten brauche, ist eine Konfrontation mit Veronica.«

Er kichert. »Glaubst du wirklich, sie hat es noch nicht herausgefunden? Du weißt doch, dass Z es ihr vermutlich gesteckt hat. Hades ist schließlich sein Bruder. Mehr noch, Zeus ist der Übervater. Vermutlich hat er überall in der Hölle kleine Speichellecker, die für ihn spionieren und ihm alle wichtigen Neuigkeiten stecken.«

»Wieso glaubst du, dass das für meinen Vater eine wichtige Neuigkeit sein könnte?«

»Was?« Jesse fährt hoch, schiebt den Laptop zur Seite und konzentriert sich ganz auf mich.

Ich fühle mich ein wenig schuldig. Ich hatte wirklich gehofft, Jesse weit von diesem wilden Wirrwarr entfernt halten zu können, zu dem mein Leben geworden ist. Jetzt ist er mittendrin, wie ein Holzscheit in einem Lagerfeuer. Ich könnte ihn nicht loseisen, selbst wenn ich es versuchen würde.

»Auch wenn Z Bescheid wissen sollte, wird er nicht einfach einspringen und den gütigen Retter spielen. Nicht mal für mich. Nicht mehr jedenfalls.«

Jesse legt die Stirn in Falten. »Dude. Er ist dein Vater.«

»Und ich glaube ernsthaft, dass er ausgebrannt ist.«

»Wie kann das sein? Ich meine, bei einem Gott?«

»Er lebt schon sehr lange, Jesse. Es gibt nicht viel, was er noch nicht gesehen oder getan hat, einschließlich der Taten, deren Zweck es war, etwas Gutes zu tun. Ganz davon zu schweigen, dass die Menschheit ihn als Mythos betrachtet. Seine Frau ist eifersüchtig, bitter und fordernd. Seine Brüder sind genauso sture Böcke. Die Untertanen seines Königreichs sind alle Wesen mit eigenen besonderen Kräften und vermutlich den dazugehörigen Egos. Jetzt stell dir vor, du musst das alles managen, Tag für Tag, und kein Ende in Sicht.«

»Ja. Verdammt.« Jesse nickt. »Bei den Göttern gibt es vermutlich kein Ende einer Amtszeit.«

»Ich glaube kaum, dass es das im Olymp gibt oder jemals geben wird.«

Einer seiner Mundwinkel zuckt nach oben. »Na so was, Maximus Kane. Du verteidigst deinen Dad?«

»Ich sage nur, dass in der Welt des Olymps das Gras nicht unbedingt grüner und der Nektar nicht unbedingt süßer ist«, widerspreche ich. »Aber das entschuldigt ihn nicht. Es ist eine Erklärung für mich.«

Eine unangenehme. Selbst wenn ich mir keine größere Krise als diese vorstellen kann, wird seine Familie für Z nie Priorität haben.

Zugegebenermaßen hat er bis letzte Woche in meiner Welt nicht die geringste Rolle gespielt, und ich war völlig glücklich. Habe hart gearbeitet, hatte gute Freunde und Familie um mich und habe mich verliebt, wie ich mir das nie hätte vorstellen können. Mein Vater wurde in meiner Welt nicht benötigt. Nicht einmal ansatzweise.

Aber ohne Kara existiert meine Welt nicht mehr.

Kein Feuer für meine Düsternis. Keine Fackel, die mir den Weg durch ein Leben leuchtet, das nie wieder normal sein wird.

Mit Jesses Hilfe werde ich den Weg zu ihr finden. Und sobald wir diesen Weg gefunden haben, werde ich direkt in die Hölle marschieren. Anders als Dante geht es mir nicht darum, sie zu erforschen. Sobald ich dort bin, werde ich, falls nötig, jeden Stein zerschmettern. Jede Wand herunterreißen. Jede einzelne verdammte Seele bekämpfen, die mich aufhalten will.

Während ein weiterer Donnerschlag die Stadt erbeben lässt, stehe ich auf und tigere mit geballten Fäusten im Zimmer auf und ab. »Dann kaufst du mir also wirklich alles ab?«

Mein Freund runzelt die Stirn. »Dass du ein Halbgott bist?«

Unglücklicherweise glaube ich schon lange nicht mehr, dass dieser Wahnsinn vielleicht nicht real ist. Zwei Ausflüge ins Labyrinth und eine gewaltvolle Gehirnokkupation durch Hades haben mir diese Hoffnung ein für alle Mal geraubt. Diese Erfahrung würde ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind wünschen, geschweige denn dem besten Freund, der vornübergebeugt am Tisch vor mir sitzt. Diese neue Realität durch seine Augen zu sehen, weckt neue Ängste, mit denen ich gerade kaum fertig werde.

Vor der Küchennische drehe ich mich um. »Genau. Und den Rest?«

Wieder starrt er auf den Bildschirm seines Laptops, dann kritzelt er ein paar Zeilen in eins der Spiralnotizbücher, ohne die er selten unterwegs ist. »Die Wissenschaft sammelt Fakten, damit die Fiktion glaubhaft wird – selbst deine. Allerdings gibt es Teile, die leichter zu schlucken sind, zum Beispiel dass Kara ein unglaubliches Mitgefühl entwickelt, um dich sturen Bock zu besänftigen.«

Seine Worte entlocken mir fast ein Lächeln. Der Schmerz hat meine gesamte Brust und auch meine Mundwinkel erfasst, doch jetzt zerquetscht er mir auch noch das Herz. »Verständlich«, gebe ich zu. »Sie hat ein gutes Herz, sie kann aber auch sehr hartnäckig sein.«

»Das und die Tatsache, dass sie eine Dämonin ist, wird eure Beziehung entweder den Kosmos durcheinanderwirbeln lassen, oder es wird die wahnsinnigste Realityshow aller Zeiten.«

Als ich ihn von unserer Beziehung im Futur reden höre, gestatte ich mir schließlich doch ein Lächeln. Aber es erlischt rasch unter dem Ansturm einer neuen Welle aus Wut, als mich die Hoffnungslosigkeit der Situation erneut mit aller Wucht trifft.

Ich muss sie finden. Koste es, was es wolle. Auch wenn es noch so unmöglich scheint.

Jesse spürt das mit Sicherheit, als ich mit den Fingern auf den Tisch trommle.

Ich deute mit dem Kopf auf seinen Notizblock. »Was hast du rausgefunden? Sag mir, dass du was hast. Egal was.« Jetzt trommle ich so fest, dass die Tischoberfläche ein paar Dellen bekommt.

»Es ist nicht so, dass ich nichts habe. Ich habe durchaus was.« Die Falten auf seiner Stirn vertiefen sich. »Aber es ist mehr wie … alles.«

»Soll heißen?«

»Das heißt, den Eingang zur Hölle zu finden bedeutet nicht, nach einem Licht im Dunkeln Ausschau zu halten. Eher … nach einem Nadelloch in einer Korkpinnwand.«

Während Jesse das sagt, schiebt er mir den Notizblock herüber. Eifrig sehe ich mir die Theorien durch, die er auf der Seite detailliert skizziert hat wie auch auf den zwölf oder mehr folgenden Seiten.

»Wo fange ich hier an?«, murmele ich.

»Ich fürchte, darauf gibt es keine einfache Antwort. Für jeden biblischen oder literarischen Hinweis, den du ausgegraben hast, habe ich wissenschaftliche Gegenstücke im zweistelligen Bereich«, erklärt er.

»Aber einige sind doch längst abgehakt«, entgegne ich. »Nicht wahr? Die können wir doch gleich ausschließen.«

»Die offensichtlichen, ja. Area 51, Stonehenge, Roswell, Auge der Sahara, Loch Ness, die Blood Falls …«

Ich runzele die Stirn. »Irgendjemand glaubt tatsächlich, Loch Ness sei ein Höllenschlund?«

Er zuckt mit den Schultern. »Ach, du kennst doch Nessie und ihre Geheimnisse.«

Ich klappe die Seite nach hinten und betrachte das nächste Durcheinander an Notizen. »Ich fürchte, wenn es um Hades geht, springt einem nichts sofort ins Auge. Gestern Abend dachten wir, wir wären einfach bei einer ultracoolen Strandparty.« Das Stechen in meiner Brust drückt sich erneut in einem kehligen Knurren aus. »Bis wir das nicht mehr waren.«

»Und jetzt ist Schluss mit dem Selbstmitleid.« Er legt die Hand zurück auf seine Maus wie ein Löwenbändiger, der die Peitsche knallen lässt. Methodisch klickt er sich durch die Seiten. »Im Arbeitslager ist keine Zeit zum Grübeln, Dude. Ich brauche dein Gehirn voll und ganz, wenn wir für all das eine Lösung finden wollen.«

»Du hast recht.« Mein Nicken ist so etwas wie ein mentaler Testlauf. Ich wiederhole es und gebe mir Mühe, so viele schlimme Erinnerungen wie möglich abzuschütteln, um mit meiner ungeteilten Aufmerksamkeit zur Verfügung zu stehen. »Erklär mir das hier. Wie lautet deine Theorie?«

»Theorien«, verbessert mich Jesse. »Dude, wir sind noch nicht einmal ansatzweise bei nur einer.«

»Und wie schnell können wir sie eingrenzen?« Inzwischen muss er wissen, Dauerregen hin oder her, dass meine Hoffnung nur noch an einem seidenen Faden hängt.

»Meine Kristallkugel habe ich in der anderen Villa vergessen«, erwidert er trocken. »Aber vielleicht stoßen wir bald auf was.« Behutsam richtet er den Blick wieder auf mich. »Aber zuerst … du bist dir hundertprozentig sicher, dass es in Rerek Hornes Wohnzimmer keinen möglichen Ausgang gab? Keine weiteren Skulpturen, die aufbrechen und sich als Tür in eine andere Dimension entpuppen könnten?«

Ich zwinge mich, tief durchzuatmen. »Wenn es da etwas gäbe, wäre ich jetzt nicht hier.«

Wieder beginnt er zu kichern. »Nicht auszuschließen, dass es ein Portal nur für Könige war. Selbst Paläste in unserer Dimension haben so etwas. Oder Hades ist so verdammt speziell, dass er keine Tür braucht. Er ist mächtig genug, sich eine zu schaffen, wo immer er hin will.«

»Es muss einen anderen Weg dorthin geben.« Ich trommle ein paar weitere Dellen in die Tischoberfläche. »Irgendetwas Substanzielleres. Etwas Physisches. Oder notfalls auch Metaphysisches.« Was das angeht, werde ich nicht wählerisch sein. Ich brauche kein Neonschild und keine goldene Leiter. Ich muss nur wissen, in welcher Richtung ich suchen muss.

»Vor vierundzwanzig Stunden hätte mich die Vorstellung noch amüsiert«, sagt Jesse. »Aber gestern habe ich ja auch noch nicht an Dämonen und Halbgötter geglaubt.«

»Und, was meinst du? Wo fangen wir an mit der Suche nach diesem Eingangstor?«

Karas Schicksal hängt von seiner Antwort ab.

»Nun.« Jesse lehnt sich wieder zurück, zieht eines seiner klebrigen Lieblings-Stretchspielzeuge heraus und lässt es Richtung Hoffenster schnellen, wo sich die kleine Hand am Ende festsaugt, bevor er es zurückzieht. »Ich habe deine mythologischen und soziologischen Referenzen zum Thema genommen und sie mit dem verglichen, was die heutige Wissenschaft und Geografie halbwegs bestätigen können. Dein erster Vorschlag, dass Hades über eine einfache, aber trostlose Unterwelt am äußersten Rand des Ozeans herrscht, passt zu einer gesunden Handvoll Inseln überall auf dem Globus.«

Er lässt mich die diesbezügliche Liste sehen, indem er mit Hilfe der Gummihand die obere Seite des Notizblocks hochhebt. Beim Blick auf die Liste quellen mir die Augen aus dem Kopf.

»Gesunde Handvoll?«, stammle ich.

»Schon gut, schon gut.« Er verdreht die Augen. »Wohl eher ein robuster Arbeitsplan?«

»Wohl eher etwas, auf das wir später zurückkommen werden?« Nachdem ich die ellenlange Liste kurz zu überfliegen versucht habe, blättere ich rasch weiter. »Was noch?«

»Das ist, was ich zum Elysium finden konnte«, erklärt er, »was im Grunde eine Abteilung der Unterwelt ist, die aber vermutlich nicht unter Hades’ direkter Herrschaft steht. Dein geschätzter Dante war einer der wenigen, die etwas anderes geglaubt haben. Es wird auch die Weiße Insel genannt und gemeinhin als Paradies für Kriegshelden und rechtschaffene Soldaten betrachtet.«

»Dann können wir das vermutlich auch außer Acht lassen.«

»Dachte ich mir, dass du das sagst.« Während ich weiterblättere, seufzt er. »Au revoir, Bora Bora. Aloha, Kapalua Bay.«

»Wir heben es auf, wir werfen es nicht weg«, verteidige ich mich. »Ich habe es gerade der Löffelliste hinzugefügt.«

Ich stelle mir vor, wie ich mich mit Kara auf einem dieser exotischen Sandstrände aale, während unsere Kleidung passenderweise woanders aufbewahrt ist. Das ist die Motivation, die ich brauche, um die nächste Seite anzuschauen, ein einziger Wirrwarr, genau wie die erste.

»Als Nächstes: Tartarus«, fährt Jesse fort. »Das allerunterste Ödland der Hölle. Alias das große kosmische Loch. Es gibt kein Licht, und es ist tief, vermutlich tiefer als das Höllenloch selbst. Es hat entweder Eisentore oder eiserne Armierungen, und als Wächter dienen Schlangen. Wissenschaftlich ausgedrückt heißt das, es ist eine …«

»Höhle«, sagen wir gleichzeitig.

Ebenso wie Jesse runzele auch ich die Stirn. Ich greife nach dem Blatt und stöhne, als ich die zweite Seite seiner Liste überfliege.

Er nickt ein paarmal kurz. »Auf diesen Seiten sind nur die Höhlen oberhalb des Meeresspiegels aufgelistet, obwohl ich diese Unterscheidung getroffen habe. Die tiefsten, die sich natürlich gebildet haben, machen den Löwenanteil aus. Aber das mit dem Eisen hat mir keine Ruhe gelassen. Wenn wir nach Gold schauen würden, wäre natürlich Australien der Spitzenreiter. Außerdem gibt es ergiebige Vorkommen in Brasilien, China, Russland …«

»Und was umfasst diese zweite Liste auf den anderen beiden Seiten?« Ihn weiterzudrängen ist meine einzige Chance, mich vor dieser Lawine aus Forschungsergebnissen zu retten. »Die, die nicht infrage kommen?«

Jesse schüttelte den Kopf. »Das sind die Unterwasserhöhlen.«

Ich stoße einen tiefen Seufzer aus. Trotz all meiner Anstrengungen bekommt mein Gehirn bereits Risse wie Schlamm in der Sonne, und dabei ist das noch längst nicht alles.

Ich rufe mir in Erinnerung und mich zur Ordnung, dass ich es schließlich war, der Jesse hinzugezogen hat. Ich wollte dies, in dem Wissen, dass sich mein Freund unaufhaltbar in diese Untersuchung verbeißen würde. Ich werde für all das dankbar sein … irgendwann.

»Und was steht auf den restlichen Seiten?«

»Unterschiedlichste Theorien. Verschiedene Orte und ein paar Phänomene, die nicht in die anderen Kategorien passen, vielleicht aber tatsächlich das sind, was wir suchen. Zum Beispiel die Maracaibo-Blitzmuster, der Darvaza-Gaskrater und die Kamchatka-Vulkane. Bemerkenswert, aber zu auffällig, oder?«

»Oh, ja«, sage ich ironisch-nachsichtig, weiß aber, dass es ihm egal ist und er es auch nicht bemerken wird. Und so ist es auch.

»Aber die anderen sollte man in Betracht ziehen. Die Danakil-Senke … das ist eine ganz besondere Umweltsünde. Und Snake Island, Madidi Nationalpark, die Gomantong-Inseln? Interessant, aber vermutlich ebenfalls in der Spalte ›zu offensichtlich‹.«

»Und du dachtest, Vulkane wären zu auffällig?«

Wieder lässt er die Gummihand zum Fenster flitschen. Einer der Finger leuchtet eine Sekunde lang auf, als ein Sonnenstrahl darauf fällt. Ich kann nicht versprechen, dass die Wolkendecke bereits richtig aufbricht, aber beim Reden über all diese Möglichkeiten ist mein Kopf tatsächlich etwas klarer geworden.

»Das ist alles faszinierend, Mann.« Das meine ich aus tiefsten Herzen. »Ehrlich.«

Erschreckend dünne Worte für meine Dankbarkeit. Erstens ist dieser Mann nicht davongestürmt, als ich ihm die Wahrheit über Kara und mich um die Ohren gehauen habe. Zweitens hat er seitdem ununterbrochen geforscht. Wir haben buchstäblich den ganzen Tag hiermit verbracht. Auch wenn sich die Sonne jetzt zögerlich zeigt, wird sie in weniger als einer Stunde untergehen.

»Pfft.« Sarkastisch tut er meine Worte ab, indem er seine müden Arme streckt. »Revanchier dich einfach. Bestell mir eine Pizza und Chicken Wings, Zuckermaus.«

»Wird gemacht, Trüffelkaninchen.« Ich öffne die Liefer-App auf meinem Handy.

Während wir auf das Essen warten, dreht Jesse den Notizblock um. »Was denkst du, wie gehen wir das Ganze an?«

»Du glaubst, ich wüsste das?«

»Einer von uns wird die Entscheidung treffen müssen. Jedes einzelne von all dem hier zu untersuchen würde Jahre dauern.«

»Und wir haben nicht mal Tage.« Wut und Ungeduld sitzen mir erneut im Nacken. Was sollen wir tun? Wo fangen wir auf der Suche nach einer Lösung an? Wie lässt sich Realität von Mythologie unterscheiden?

Wohin, verdammt noch mal, hat Hades die Hälfte meines Herzens und meiner Seele verschleppt?

Jesse verzieht das Gesicht, als hätte er meinen inneren Tobsuchtsanfall gehört. Er fährt mit seinem Rollstuhl langsam durch das Wohnzimmer und starrt einige Sekunden lang den leeren Fernsehbildschirm an. »Gerade als ich dachte, dass es für alles ein Tutorial oder eine Reisebeschreibung gibt …« Er stößt einen tiefen Seufzer aus. »Musstest du ausgerechnet nach einer unmöglichen Straßenkarte mit dem Weg zur Hölle suchen.« Er dreht sich wieder um.

Kaum habe ich begriffen, was er da sagt, reiße ich den Kopf hoch. Meine Kehle ist wie zugeschnürt. Mein Herz trommelt auf meine Lunge ein. Genau wie vorher spürt Jesse genau, was los ist. »Was ist?«, fragt er. »Ist denen schon wieder das gute Geflügelgewürz ausgegangen?«

Ich schüttele den Kopf. »Verdammt, nein. Eine Reisebeschreibung zur Hölle …«

»Weißt du, wo wir eine bekommen können?« Er kichert, fragt aber nur halb im Spaß.

Ich starre ihn an, ohne zu blinzeln, denn ich mache keinen Spaß. »Vielleicht.«

»In Ordnung«, erwidert es langsam. »Müssen wir dafür nach Bora Bora oder Hawaii? Falls ja, bin ich dabei.«

»Weder noch.«

»Na gut«, sagt er enttäuscht. »Wohin dann?«

»Nach Beverly Hills.«

Kapitel 3

Kara

»Jetzt nicht«, weise ich ihn so freundlich wie möglich ab.

Ich kann nicht verhehlen, dass ein Teil von mir nach mehr Informationen über Hades’ ausgedehntes Herrschaftsgebiet dürstet, und sei es nur, weil ich hoffe, eventuelle Fluchtrouten zu entdecken. Aber eine Tour durch die Hauptstadt ist das Letzte, was ich gerade möchte. Und vielleicht das Letzte, was ich ertragen könnte.

Hades sieht mich verblüfft an. »Aber es gibt viel zu sehen.«

»Das glaube ich gern, aber ich bin sehr müde. Bitte …«

Seine Stimme wird ein wenig weicher. »Wieso hast du dich nicht ausgeruht, Kara?«

Meinen angespannten emotionalen Zustand dem Gott erklären zu wollen, der ihn ausgelöst hat, scheint sinnlos, aber die plötzliche Sorge, die er zeigt, spricht mein ausgeprägtes Bedürfnis an, gehört und verstanden zu werden, sei es auch nur von meinem Feind. Als ich ihm in die dunklen, warmen Augen schaue, frage ich mich, ob er tief im Inneren wohl zu Mitgefühl fähig sein mag. Ob wir trotz meines Verrats einen Moment ähnlichen Verständnisses teilen könnten. Besser noch, wenn der Blick in den Spiegel seiner eigenen Liebenswürdigkeit exotisch genug wäre, um seine Faszination für meine Fähigkeiten ausreichend zu bedienen? Aber seit man mich hierhergebracht hat, sind mir alle anderen Hoffnungsschimmer durch die Finger geglitten. Wieso sollte es dieser verrückten Idee besser ergehen?

Die düstere Frage dröhnt durch meinen Kopf, und ihr Missklang lässt meinen unsinnigen Optimismus dahinwelken. Sie zwingt mich, den panischen Griff, in dem ich mich halte, zu lockern. »Sie haben mich aus dem einzigen Leben herausgerissen, das ich je kannte, und haben mich an diesen seltsamen neuen Ort gebracht. Ich bin … überwältigt. Und bis eben kannte ich mein Schicksal nicht. Überflüssig zu erwähnen, dass ich an kaum etwas anderes denken konnte. Schlafen war mir nicht möglich.«

Er verzieht den Mund zu einem Grinsen, das königlich, aber auch raubtierhaft ist. »Deine Sorge war zu erwarten«, erwidert er herablassend. »Aber du musst doch auch aufgeregt sein? Zumindest ein bisschen? Dieser Ort war so lange das Objekt deiner Fantasien.«

Ich schürze die Lippen, erleichtert, dass er nicht in der Lage ist, mich völlig zu durchschauen. Zumindest im Moment.

»Nun, jetzt bist du endlich hier«, fährt er fort. »Und ich werde deine Neugier umfassend befriedigen. Das verspreche ich dir.«

Das macht mir die meiste Angst. Rasch schiebe ich den Gedanken beiseite und konzentriere mich darauf, ihn stattdessen anzulächeln. Es ist mein armselig verkrampfter Versuch, seinen Enthusiasmus zu teilen, und im Moment habe ich das Gefühl, ich kann ihn täuschen.

Er nimmt meine Hand, führt sie an seine lächelnden Lippen und küsst sie ausgiebig. »Fürs Erste lassen wir dich jetzt einmal ruhen.«

Diesmal ist mein Lächeln ehrlicher. »Danke.«

»Und ich weiß genau den richtigen Ort, um deine ramponierten Nerven zu beruhigen.«

Das habe ich nun von meiner voreiligen Aufrichtigkeit. »Aber …«

Er schnalzt laut mit der Zunge und zieht mich gleichzeitig hinter sich her, ohne auf meinen Widerspruch gegen unseren neuerlichen Ausflug zu achten. Zum ersten Mal, seit ich hier angekommen bin – durch welches Portal, weiß ich noch immer nicht –, verlasse ich das Gefängnis meines Zimmers. Als wir uns einem Bogenportal nähern, schwingt es mühelos auf und enthüllt einen schmalen, gemauerten Flur. Der kalte Boden ist ein Schock für meine nackten Füße. Mein leichtes Kleid bietet trotz der langen Schleppe kaum Schutz vor der Kälte. Während mein Entführer den Schritt beschleunigt, gebe ich mir alle Mühe, mein Kleidungsstück zu raffen.

Mehr als nur ein paarmal stolpere ich, als ich ihm durch endlose Flure und über Treppen folge, die sich durch die Burg winden. Rasch weichen die Geräusche der belebten Moore dem schrillen Geschwätz der Wesen, die eindeutig für Hades’ Angebote hier zuständig sind. Jetzt bin ich wirklich neugierig, aber wir bewegen uns so schnell, dass ich im Vorbeieilen nur kurze Blicke auf die Szenen erhasche.

Da ist ein grell erleuchteter Raum voller Dämonensoldaten, die sich gegenseitig herumstoßen und aus fleckigen Mäulern mit verrotteten Zähnen anbrüllen. In einem Raum, aus dem mich ein willkommener Hitzeschwall trifft, schimpft ein abscheulicher Dämon mit wilden Augen einen kleinen, sich duckenden Diener aus. Zwischen ihnen steht ein Tisch voller dekadenter Speisen.

Und dann ist da noch die Bibliothek. Zumindest halte ich den Raum dafür. Er sieht aus, als wäre ein Hurrikan hindurchgefegt, überall liegen lose Blätter verstreut, und Bücher stehen in unordentlichen Stapeln überall auf dem Boden.

Hades führt mich durch einen mit Torbögen gesäumten überdachten Durchgang nach draußen in die Kälte. Weit unter uns ist ein breiter, komplett zugefrorener Kanal. Obwohl ich so weit entfernt bin, versuche ich neugierig genauer zu erkennen, wieso er eine derart seltsame Oberfläche hat.

Plötzlich sehe ich es. Ich sehe sie. Die missgebildeten Umrisse menschlicher Körper, die in der dicken Eisschicht feststecken und deren stummen, hervorquellenden Augen in alle Ewigkeit den Himmel anflehen.

Ich schlage mir die Hand vor den Mund, aber nicht schnell genug, um meinen entsetzten Schrei unterdrücken zu können.

Hades bleibt so plötzlich stehen, dass ich gegen seinen steifen Körper laufe. Wieder schreie ich auf, diesmal mehr aus Angst vor ihm. Vor unserer verstörenden Nähe. Verblüfft starrt er auf mich hinunter, vor allem weil ich meine eigene Verwirrung nicht verbergen kann. Seine Körpertemperatur ist weder warm noch sonderlich kalt. Seine Haltung ist weder wohlwollend, noch drückt sich darin das pure Böse in ihm aus. Alles an seiner Erscheinung seit dem Moment, als er vor ein paar Tagen so lässig auf Rereks Party auftauchte, ist mir seltsam menschlich vorgekommen, was ihm etwas Entwaffnendes verleiht, das mich umso mehr verstört, je mehr Zeit ich in seiner Gegenwart verbringe.

Ich darf auf gar keinen Fall auf diese Täuschung hereinfallen. Ich muss ständig auf der Hut bleiben. Rerek zu trauen, einem seiner ergebenen Untertanen, war der Anfang dieses Albtraums. Ich mag mir gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn ich Hades solch ein Vertrauen schenken würde.

»Was ist los, Kara?«

Ich atme ein paarmal mühsam ein und lasse den Blick dann zu dem gefrorenen Wasser unter uns wandern.

»Ah.« Dass wir gerade so nah beieinanderstehen, nutzt er aus, um mir etwas Wärme in die Arme zu reiben. »Du musst dich fragen, was dieses Ungeziefer getan hat, um solch ein Schicksal zu verdienen.«

Tatsächlich brauche ich ihn nicht zu fragen, denn zwischen meiner verstörenden Entdeckung und diesem Moment hat mir mein Wissen die Antwort geliefert. Der Horror unter mir erklärt sich aus den Cantos und aus der Vision, die meine Fantasie über jene geschaffen hat, die in den trostlosen Grenzen Judeccas bestraft werden.

Schon war ich da, wo ganz – ich reims mit Schrecken –Durchschimmernd, Splittern gleich im Glas zu sehen,Mit Haut und Haar im Eis die Schatten stecken.

»Die, die ihren Meister verraten haben.« Schmerzhaft entweicht mir der Atem.

Hades lächelt befriedigt, als wäre er stolz. »Genau richtig.« Er betrachtet mich einen Moment länger, mit einem Blick, der durchbohrender ist als jede Kameralinse, die mich je abgelichtet hat. »Ich kann es gar nicht erwarten, in deinen Kopf zu schauen, Kara. Wirklich.«

Ich spanne mich in seinem behutsamen Griff an: mein stummer, verzweifelter Protest gegen seinen Vorschlag. Er reagiert darauf, indem er mich nach und nach loslässt, woraufhin mir von dem unablässig durch die Loggia pfeifenden Wind gleich wieder kalt wird.

»Und falls du es mich nicht sehen lässt …«, fährt er warnend fort, »… falls du es wagst, mich noch einmal zu betrügen, findest du dich vielleicht in alle Ewigkeit mit ihnen zusammen eingesperrt, was mir persönlich nicht das Geringste ausmachen würde. Ich nutze diese Überführung häufig und würde es als Geschenk betrachten, deine Schönheit direkt unter der Oberfläche zu sehen, den Blick für immer auf mich gerichtet.«

Jede Zelle meines Körpers wird noch kälter als zuvor. Das Monströse seiner Drohung geht mir unter die Haut und bohrt sich in meine Knochen wie tausend Eissplitter. Ein schlimmeres Schicksal als die Folter, die er mir gerade lebhaft beschrieben hat, kann ich mir gar nicht ausmalen, aber bestimmt ist seine Liste schrecklicher Möglichkeiten endlos.

Werde ich zu irgendeinem Zeitpunkt all diesen Qualen unterworfen werden?

Wird das mein Leben für den Rest aller Zeiten sein?

Er tritt ein wenig weiter zurück, was meine Angst allerdings nicht kleiner werden lässt. »Komm«, sagt er. »Wir sind fast da.«

Ich folge ihm und bemühe mich, mit seinem raschen Schritt mitzuhalten, denn ich bin froh, dass er mich nicht mehr zu unserem Ziel mitzerrt. Ich sollte mich freuen, dass mir bei dem zügigen Tempo ein wenig wärmer wird. Allerdings bin ich mir sicher, dass mir ein Teil dieser Kälte jetzt tief in den Knochen sitzt und dauerhaft dort bleiben wird.

Schließlich halten wir vor einem hohen Bogenportal, das sich von den vielen, durch die wir bereits gekommen sind, nicht sonderlich unterscheidet. Aber in dem Raum befindet sich weder ein Haufen Dämonensoldaten, noch tummeln sich dort Aufseher. Stattdessen ist es merkwürdig still.

Wir treten ein. Vor mir bewegt sich etwas, und ich bleibe abrupt stehen, weil ich fürchte, dass wir doch nicht allein sind. Aber da sind nur wir beide, gespiegelt in der Handvoll hoher Spiegel an der gegenüberliegenden Wand. Jeder von ihnen ist mindestens zweieinhalb Meter hoch, ebenso breit und mit goldenen Blättern verziert. In dem mittleren spiegelt sich zudem eine goldene Badewanne, die davorsteht.

»Wow«, flüstere ich.

Der Raum unterscheidet sich auffällig von allem, was ich in der Burg gesehen habe. Er ist richtig schön. Von der gewölbten Decke hängt ein massiver Kronleuchter, dessen Prismen von den beiden flachen Becken reflektiert werden, die in den Marmorboden eingelassen sind. Aus goldenen Wasserhähnen an den glänzenden Steinwänden ergießen sich ununterbrochen zwei Wasserfälle hinein. Die Matten vor der Wanne haben die gleiche verschwenderische Farbe.

»Was ist das alles?«, frage ich.

»Ein Ort, um nachzudenken. Um sich von dem reinzuwaschen, was einen plagt.«

Ich glaube ihm nicht. So verlockend diese neue Umgebung auch ist, schreit die vorherrschende Energie der Burg doch noch immer Tod und Verrat. Allein die Wände, auch wenn sie hier sauber sind, sind Äonen alt und getränkt mit Schmerz. Sie sprechen meine Sinne intensiver an, als das je ein Mensch getan hat.

Hades umkreist mich, und in den Spiegeln vor uns sehe ich deutlich, wie ungeniert er mich betrachtet. »Außerdem ist es ein Ort, um zu feiern und in der eigenen Schönheit zu schwelgen. In deinem Fall in deinem weltlichen Glanz.« Mit einer ausladenden Handbewegung deutet er auf die Spiegel. »Das musst du doch genießen, oder? Eitelkeit ist schließlich ein typisches Merkmal der Valaris.«

Ich unterdrücke den Impuls, die Augen zu verdrehen. Dass der Raum derart ausgestattet ist, ergibt jetzt einen grauenhaften Sinn. Welche von Hades geschaffene Kreation würde auch nicht auf eine Kardinalsünde abzielen?

»Ich bin nicht wie der Rest meiner Familie.« Davon bin ich nach all den Jahren, in denen ich das schon glaube, so überzeugt, dass mir das auch anzuhören ist.

Er sieht mich skeptisch an. »Nicht?«

»Nein.«

Ende der Leseprobe