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Woo-kyoung Ahn

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Beschreibung

Die Psychologie-Professorin Woo-kyoung Ahn ist ein Phänomen: Ihre Vorlesung an der Yale University über das Denken ist eine der meistbesuchten, inzwischen müssen sie in den größten Hörsälen der Universität stattfinden. Warum? Weil ihre Ansätze und Thesen, wie gutes Denken funktioniert und sinnvolle Entscheidungen getroffen werden können, den Studierenden ganz konkret weiterhelfen, weil sie sich auf den Alltag jedes Einzelnen beziehen und in ihrer Klarheit überzeugen. Ahn erklärt zum Beispiel das aus der Kognitionspsychologie bekannte Phänomen des «Bestätigungsfehler» (confirmation bias): die Neigung, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen bestätigen. Durch Testbeispiele erläutert sie, wie wir systematische Fehler beim Denken machen. Acht ihrer grundlegenden Thesen über das Denken hat Ahn nun für dieses Buch zusammengefasst − konzis, fundiert und humorvoll: ein bahnbrechendes Buch über das Denken.

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Seitenzahl: 327

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Woo-kyoung Ahn

Klar denken

Eine Anleitung

 

 

Aus dem Englischen von Elisabeth Liebl

 

Über dieses Buch

Die Psychologie-Professorin Woo-kyoung Ahn ist ein Phänomen: Ihre Vorlesung an der Yale University über das Denken ist eine der meistbesuchten, inzwischen muss sie im größten Hörsaal der Universität stattfinden. Warum? Weil ihre Ansätze und Thesen, wie gutes Denken funktioniert und sinnvolle Entscheidungen getroffen werden können, den Studierenden ganz konkret weiterhelfen, weil sie sich auf den Alltag jedes Einzelnen beziehen und in ihrer Klarheit überzeugen. Ahn erklärt zum Beispiel das aus der Kognitionspsychologie bekannte Phänomen des «Bestätigungsfehlers» (confirmation bias): die Neigung, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen bestätigen. Durch Testbeispiele erläutert sie, wie wir systematische Fehler beim Denken machen.

Acht ihrer grundlegenden Thesen über das Denken hat Ahn nun für dieses Buch zusammengefasst − konzis, fundiert und humorvoll: ein bahnbrechendes Buch über das Denken.

Vita

Woo-kyoung Ahn ist Professorin für Psychologie an der Yale University und Leiterin des dortigen Thinking Lab. Zuvor promovierte sie an der University of Illinois, Urbana-Champaign, arbeitete als Assistant Professor an der Yale University und als Associate Professor an der Vanderbilt University. 2022 erhielt sie den Lex-Hixon-Preis der Yale University für ihre exzellente Lehre. Ihre Forschung über Denkmuster wurde von den National Institutes of Health gefördert. Woo-kyoung Ahn ist Mitglied der American Psychological Association und der Association for Psychological Science.

Impressum

Die englische Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel «Thinking 101»  bei Flatiron Books, New York.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, November 2022

Copyright der deutschen Erstausgabe © 2022 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Thinking 101» Copyright © 2022 by Woo-kyoung Ahn

Lektorat Ulrich Wank

Abbildung Seite 221 aus Shali Wu und Boaz Keysar: The Effect of Culture on Perspective Taking. In: Psychological Science Bd. 18/Nr. 7, S. 600–606, Copyright © 2007 by Shali Wu und Boaz Keysar. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von SAGE Publications.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung Anzinger und Rasp, München

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01063-5

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Inhaltsübersicht

Für Marvin, Allison ...

Einführung

1 Der Fluency-Effekt: Warum manche Dinge so leicht aussehen

Der Fluency-Effekt

Die adaptive Natur des Fluency-Effekts

Probieren geht über Studieren

Wenn Sie nichts ausprobieren können: der Planungsfehlschluss

Optimismus und Fluency-Effekte

Kurz zusammengefasst: Wie ich mein Haus renovierte

2 Der Bestätigungsfehler: Wie wir in die Irre gehen, wenn wir es richtig machen wollen

Wasons 2-4-6-Aufgabe

Der Bestätigungsfehler

Warum ist der Bestätigungsfehler schlecht für Sie?

Warum gibt es den Bestätigungsfehler?

Was Sie gegen den Bestätigungsfehler tun können

3 Die Fallstricke der kausalen Attribution: Warum wir nicht so sicher sein sollten, wenn wir loben oder tadeln

Strategien, die wir bei der Zuschreibung von Kausalität anwenden

Das Gedankenkarussell

4 Die Gefahren des Beispiels: Was uns entgeht, wenn wir uns auf Anekdoten verlassen

Data Science – Grundkurs

Wie wir konkrete Beispiele am besten gebrauchen

5 Die Negativitätsverzerrung: Wie unsere Verlustängste uns in die Irre führen

Beispiele für die Negativitätsverzerrung

Woher die Negativitätsverzerrung kommt

Die Kosten der Negativitätsverzerrung und wie wir sie vermeiden können

6 Die tendenziöse Interpretation: Warum wir die Dinge selten so sehen, wie sie sind

Tendenziöse Interpretation allenthalben

Kluge Menschen haben mehr Vorurteile

Warum wir Fakten tendenziös interpretieren

Was können wir tun?

7 Die Gefahren des Perspektivwechsels: Warum andere nicht sehen, was für uns auf der Hand liegt

Wie gut sind wir in puncto Kommunikation?

Der Fluch des Wissens

Den Blickwinkel der anderen vergessen

Was funktioniert

Was nicht funktioniert

Was sicher funktioniert

8 Das Problem der späten Belohnung: Wie unser gegenwärtiges Selbst unser künftiges missversteht

Wie man Verzögerungen «diskontiert»

Warum wir nicht warten können und wie wir das lernen

Dranbleiben oder nicht dranbleiben

Nachwort

Danksagung

Für Marvin, Allison und Nathan

Einführung

Als ich meinen Graduierten-Studiengang an der University of Illinois in Urbana-Champaign absolvierte und auf dem Gebiet der Kognitionspsychologie forschte, ging unser Labor-Team hin und wieder gemeinsam aus, auf ein Bier und ein paar Nachos. Das war eine tolle Gelegenheit, um auch mal Dinge zu besprechen, für die im formellen Kontext der Universität kein Platz war. Bei einer dieser Gelegenheiten nahm ich all meinen Mut zusammen, um unserem Tutor eine Frage zu stellen, die mich schon eine ganze Weile beschäftigte: «Glauben Sie, dass die Kognitionspsychologie die Welt ein klein bisschen besser machen kann?»

Die Frage mutete vielleicht ein wenig merkwürdig an, denn sie kam doch ein klein bisschen spät für jemanden, der sich bereits für dieses Fach entschieden hatte. Aber obwohl ich meine Forschungsergebnisse weltweit auf Konferenzen zum Thema präsentierte und in renommierten Fachzeitschriften veröffentlichte, fiel es mir immer schwer, meinen Freunden aus der Highschool-Zeit zu erklären, welchen Nutzen meine Arbeit für das Leben der normalen Menschen hatte. An jenem Tag hatte ich mich durch einen wissenschaftlichen Aufsatz gequält, dessen Autoren wohl nur ein Ziel verfolgt hatten: zu zeigen, wie unglaublich schlau sie waren, indem sie ein höchst kompliziertes Problem erklärten, das in der realen Welt gar nicht existierte. Und so hatte ich Mut genug, diese Frage aufzuwerfen – vermutlich tat das Bier das Seinige dazu.

Unser Tutor war bekannt dafür, dass er sich gerne kryptisch äußerte. Wenn ich ihn fragte: «Soll ich für das nächste Experiment A oder B machen?», dann kam unweigerlich die Antwort: «Ja.» Oder er drehte den Spieß um und fragte: «Was denken Sie denn?» Dieses Mal hatte ich ihm eine einfache Ja-Nein-Frage gestellt, also gab er eine einfache Antwort: «Ja.» Meine Kollegen aus dem Labor und ich saßen rund fünf Minuten schweigend da und harrten einer Erklärung, aber die blieb aus.

Also versuchte ich in den folgenden etwa dreißig Jahren, selbst eine Antwort auf diese Frage zu finden, indem ich mich Problemen zuwandte, die – so hoffte ich zumindest – mit der wirklichen Welt zu tun hatten. Bei meinen Forschungsarbeiten an der Universität Yale, wo ich seit 2003 Professorin für Psychologie bin, konzentriere ich mich auf einige der bekanntesten Wahrnehmungsfehler, die uns regelmäßig in die Irre führen. In diesem Zusammenhang habe ich dann auch Strategien entwickelt, wie man sie in alltäglichen Situationen vermeidet.

Neben den Wahrnehmungsverzerrungen, an denen ich wissenschaftlich arbeite, bin ich in der wirklichen Welt auch auf andere Denkfehler gestoßen, die sich für mich und meine Umwelt – Studenten, Freunde, Angehörige – zum Problem auswachsen können. Ich beobachte zum Beispiel immer wieder, wie meine Studenten in Aufschieberitis verfallen, weil sie unterschätzen, wie viel mehr Energie sie später in die Lösung einer Aufgabe investieren müssen, die sie auch gleich hätten erledigen können. Ein anderes Beispiel: Eine Studentin erzählte mir, dass ihr Arzt ihr eine Fehldiagnose gestellt hatte, weil er sie nur Dinge fragte, die seine ursprüngliche Meinung bestätigten. Mir fiel auf, dass viele Menschen unglücklich sind, weil sie für alles, was ihnen widerfährt, sich grundsätzlich selbst die Schuld geben. Und auf der anderen Seite gibt es die, die immer wieder Ärger verursachen, weil sie nie für irgendetwas die Verantwortung übernehmen. Mehr als einmal habe ich die Frustration von Paaren miterlebt, bei denen beide Partner glaubten, sie würden glasklar kommunizieren, obwohl sie völlig aneinander vorbeiredeten.

Und ich sah, wie bestimmte «Denkfehler» Probleme verursachen, die über den Bereich des Individuellen weit hinausgingen. Diese grundlegenden Wahrnehmungsverzerrungen sind für eine ganze Reihe gesellschaftlicher Schieflagen verantwortlich: die Spaltung in politische Lager, unsere Mitschuld beim Klimawandel, ethnisches Profiling, Polizeigewalt und fast jedes andere Problem, das auf Vorurteile und stereotype Wahrnehmung zurückgeht.

Daher habe ich ein Seminar zum Thema «Denken» konzipiert, um meinen Studenten zu zeigen, wie die Psychologie ihnen helfen kann, einige dieser ganz realen Probleme anzugehen und bessere Entscheidungen für ihr Leben zu treffen. Offensichtlich bin ich damit auf ein echtes Bedürfnis gestoßen, denn allein im Jahr 2019 haben sich mehr als 450 Studenten für diesen Kurs angemeldet. Es bestand wohl Bedarf an der Hilfe, welche die Psychologie hier bieten kann, und die Studenten gaben sich gegenseitig den Tipp, den Kurs zu belegen. Bald machte ich eine kuriose Beobachtung: Wenn ich zufällig einem meiner Studenten begegnete, der Eltern oder Verwandte an der Uni herumführte und mich vorstellte, erzählten mir diese häufig, meine Studenten würden ihnen voller Begeisterung von dem Seminar berichten, weil sie lernen würden, wie sie ihre Alltagsprobleme lösen könnten. Manche erzählten sogar, meine Studenten würden ihren Verwandten, selbst ihren Eltern, gute Ratschläge geben. Kollegen trugen mir zu, dass meine Studenten in der Mensa leidenschaftlich darüber debattierten, wie die Experimente, die in diesem Kurs vorgestellt wurden, zu interpretieren seien. Wenn ich Leuten, die mit Psychologie nichts am Hut haben, die Probleme beschrieb, die das Seminar behandelte, wollten sie regelmäßig wissen, wo sie mehr darüber finden könnten. All das sagte mir, dass die Menschen diese Instrumente wollen und brauchen. Also beschloss ich, darüber ein Buch zu schreiben und die entsprechenden Lektionen für alle verfügbar zu machen.

Ich habe acht Themenbereiche ausgewählt, die aus meiner Sicht für den Alltag meiner Studenten und anderer Menschen (mich eingeschlossen!) relevant sind. Jedem dieser Themen ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Ich beziehe mich zwar immer wieder auf alle Themenbereiche, doch ist jedes Kapitel so geschrieben, dass es eigenständig gelesen werden kann.

Obwohl in diesem Buch ständig die Rede von Denkfehlern und Wahrnehmungsverzerrungen ist, geht es nicht darum, was die Menschen angeblich falsch machen. «Denkfehler» passieren, weil wir auf eine ganz bestimmte Weise verdrahtet sind. Dafür gibt es meist triftige Gründe. Fehlerhafte Schlussfolgerungen sind Nebenwirkungen unserer hoch entwickelten Kognition, die uns als Spezies sehr weit gebracht hat und die beeinflusst, wie wir in dieser Welt überleben und gedeihen. Daher sind die sich daraus ergebenden Probleme nicht immer einfach zu lösen. Tatsächlich ist die Überwindung solcher Verzerrungen eine echte Herausforderung.

Denn um sie zu vermeiden, reicht es nicht, dass wir wissen, welche Denkfehler es gibt, und uns im Kopf eine Notiz machen, um sie zu vermeiden. Das ist wie mit der Schlaflosigkeit: Wenn Sie sich im Bett wälzen, wissen Sie, wo das Problem liegt: Sie können nicht schlafen. Aber wenn Sie einem Menschen, der unter Schlaflosigkeit leidet, raten, er solle doch einfach länger schlafen, löst das sein Problem keineswegs. Einige der hier vorgestellten Wahrnehmungsverzerrungen kennen Sie vermutlich bereits. Aber um sie zu vermeiden, braucht es mehr als nur ein simples: «Lass das doch!» Glücklicherweise zeigen immer mehr Studien, dass es durchaus praxistaugliche Techniken gibt, um unser Denken zu verbessern. Diese Methoden machen uns deutlich, welche Dinge wir nicht kontrollieren können. Und sie werden uns zeigen, wie Lösungen, die auf den ersten Blick vielversprechend wirken, letztendlich fatale Folgen haben können.

Die Grundlage dieses Buches bilden wissenschaftliche Forschungen, die sowohl von meinen Kollegen als auch von mir durchgeführt wurden. Viele der von mir zitierten Untersuchungen sind bereits Klassiker, denen der Zahn der Zeit nichts anhaben konnte. Andere sind brandneue und aktuelle Studien. Wie in meinen Seminaren präsentiere ich auch hier eine Reihe von Beispielen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen, um die einzelnen Punkte zu veranschaulichen. Dafür gibt es einen guten Grund, den Sie bald erfahren werden.

Also zurück zu der Frage, die ich damals meinem Tutor stellte: «Glauben Sie, dass die Kognitionspsychologie die Welt ein klein bisschen besser machen kann?» All die Jahre, seit ich sie zum ersten Mal gestellt habe, haben mir gezeigt, dass die Antwort tatsächlich ein Ja ist, wie mein Betreuer damals lakonisch meinte. Absolut und ganz eindeutig: Ja.

1Der Fluency-Effekt: Warum manche Dinge so leicht aussehen

Mit 450 Sitzplätzen ist das Levinson-Auditorium einer der größten Hörsäle der Universität Yale. Am Montag und am Mittwoch zwischen 11.35 Uhr und 12.50 Uhr, wenn ich dort meine Vorlesung mit dem Titel «Denken» halte, ist fast jeder Platz besetzt. Die Vorlesung über Selbstüberschätzung ist besonders unterhaltsam, weil ich da einige meiner Studenten bitte, doch nach vorne zu kommen und zu einem K-Pop-Video zu tanzen.

Ich fange an mit einer Beschreibung des «Above-Average»-Effekts. Als man eine Million Highschool-Studenten bat, ihre eigenen Führungsqualitäten einzuschätzen, gaben 70 Prozent an, sie lägen über dem Durchschnitt. 60 Prozent verorteten sich im obersten Zehntel, als man sie fragte, wie sie denn im Allgemeinen mit anderen Menschen auskämen. Als man College-Professoren im Hinblick auf ihr Geschick in der Lehre befragte, sahen sich zwei Drittel in den obersten 25 Prozent. Nachdem ich meinen Studenten diese und ähnliche Beispiele von Selbstüberschätzung vorgestellt habe, stelle ich eine Frage: «Wie viel Amerikaner glauben Ihrer Ansicht nach, bessere Fahrer zu sein als der Durchschnitt?» Die Studenten rufen mir Zahlen zu, die weit über dem liegen, die wir gerade eben gehört haben: 80 oder 85 Prozent. Sie kichern dabei, weil das Ganze so unglaublich wirkt. Dann aber stellt sich heraus, dass sie mit ihren Schätzungen immer noch zu tief gegriffen haben. Die richtige Antwort ist tatsächlich: 93 Prozent.

Wenn Sie Studenten etwas über die Verzerrungen in unserem Denken beibringen wollen, reicht es nicht, ihnen nur die Resultate einzelner Studien zu präsentieren. Ich versuche immer, sie diese Erfahrung persönlich machen zu lassen, um zu verhindern, dass sie in den klassischen «Ich doch nicht»-Fehler verfallen – die Vorstellung, dass andere vielleicht einer Wahrnehmungsverzerrung unterliegen, wir selbst aber dagegen immun sind. So könnte ein Student beispielsweise glauben, nicht anfällig zu sein für Selbstüberschätzung, weil er gelegentlich Gefühle der Unsicherheit empfindet. Eine Studentin denkt vielleicht, dass sie die Dinge im Allgemeinen realistisch sieht, weil sie ja auch ihre Prüfungsergebnisse immer fast richtig schätzt. Daher könne sie doch gar nicht so weit danebenliegen, wenn sie ihre Führungsqualitäten, ihr Talent für zwischenmenschliche Beziehungen oder ihr Geschick als Fahrerin im Vergleich zu ihren Altersgenossen bewerten solle.

Ich zeige den Studenten sechs Sekunden aus einem Video von BTS: «Boy with Luv», das auf YouTube mehr als 1,4 Milliarden Mal angeklickt wurde. Ich habe ganz bewusst einen Ausschnitt ausgewählt, bei dem die Choreografie nicht zu schwierig ist. (Wenn Sie das Musikvideo gefunden haben: Der Ausschnitt umfasst den Zeitraum zwischen 1.18 und 1.24 Minuten.)

Danach sage ich den Studenten, dass es einen Preis für all jene gibt, die diesen Ausschnitt erfolgreich nachtanzen können. Wir sehen uns die sechs Sekunden noch zehnmal an. Wir studieren eine Zeitlupenaufnahme, die extra gemacht wurde, damit die Leute die Moves nachtanzen können. Dann frage ich, ob es Freiwillige gibt. Zehn tapfere Studenten kommen nach vorne auf der spontanen Suche nach Ruhm. Der Rest feuert sie an. Vermutlich denken Hunderte von ihnen, dass sie das auch könnten. Nachdem ich den Clip so oft gesehen habe, glaube sogar ich, dass ich die Schritte beherrsche. Schließlich sind es ja nur sechs Sekunden. Wie schwer kann das schon sein?

Das Publikum verlangt, dass die Tänzer mit dem Gesicht zu ihm stehen. Der Song fängt an. Die Freiwilligen rudern mit den Armen, springen in die Höhe, treten mit den Füßen. Alle zu ganz unterschiedlichen Zeiten. Einer erfindet ganz neue Schritte. Einige geben nach drei Sekunden auf. Und alle brechen in schallendes Gelächter aus.

Der Fluency-Effekt

Alles, was unser Geist für leicht befindet, kann zu Selbstüberschätzung führen. Dieser Fluency-Effekt betrifft uns auf ganz unterschiedliche Weise.

Die Illusion, etwas zu können

Die Idee mit dem BTS-Video entspringt einer Studie über den Verfügbarkeits-Effekt beim Erlernen neuer Fähigkeiten.[1] In dieser Studie sahen die Probanden ein sechs Sekunden langes Video von Michael Jackson, der den «Moonwalk» macht. Dabei scheint er rückwärtszugehen, ohne seine Füße vom Boden zu heben. Die Schritte sehen nicht weiter kompliziert aus, und er führt sie so spielerisch aus, dass er darüber nicht mal nachzudenken scheint.

Einige Versuchspersonen sahen den Clip einmal, andere zwanzigmal. Dann sollten die Probanden einschätzen, wie gut sie den «Moonwalk» wohl selbst hinbekommen würden. Wer das Video zwanzigmal gesehen hatte, legte ein höheres Maß an Selbstvertrauen an den Tag als die Gruppe, der es nur einmal vorgespielt wurde. Da diese Personen das Video so oft gesehen hatten, glaubten sie, sie hätten jede einzelne Bewegung abgespeichert und könnten sie wieder abrufen. Aber als der Moment der Wahrheit kam und man die Versuchsteilnehmer bat, selbst zu «moonwalken», gab es zwischen der Performance beider Gruppen keinen Unterschied. Michael Jacksons Moonwalk zwanzigmal nur gesehen zu haben, ohne Gelegenheit, ihn zu üben, machte die Probanden nicht zu besseren «Moonwalkern» als die Teilnehmer der Kontrollgruppe, die den Sänger nur einmal hatten beobachten können.

Menschen sitzen häufig der Illusion auf, sie könnten eine schwierige Aufgabe lösen, nur weil sie gesehen haben, wie jemand anderer dies mühelos hinbekommen hat. Wie oft haben wir uns Whitney Houstons «A-I-A-I-O-A-I-A-I-A will always love you» in unserem Kopf geträllert und gedacht, es könne ja nicht so schwer sein, diesen hohen Ton zu treffen? Oder versucht, nach einer Anleitung auf YouTube ein Soufflé zu backen? Oder eine Diät angefangen, nur weil man uns diese Vorher-und-Nachher-Bilder präsentiert hat?

Wenn wir ein Endergebnis vor Augen haben, das flüssig rüberkommt, das meisterlich oder einfach nur vollkommen normal wirkt wie ein fluffiges Soufflé oder ein Mensch mit guter Figur, begehen wir den Fehler zu glauben, dass der Weg, an dessen Ende das Resultat steht, ebenso geradlinig, locker und einfach war. Wenn Sie ein Buch lesen, das leicht verständlich ist, glauben Sie vielleicht, es zu schreiben sei ebenso simpel gewesen. Wenn jemand noch nie auf Schlittschuhen auf dem Eis gestanden hat, fragt er sich vermutlich, wieso Eiskunstläufer stürzen, wenn sie einen doppelten Axel springen, wenn doch so viele andere das offenbar mühelos hinbekommen. Man vergisst dabei leicht, wie oft das Buch überarbeitet wurde oder wie viel Übung der doppelte Axel voraussetzt. Oder wie Dolly Parton so treffend sagte: «Es kostet ganz schön viel Geld, so billig auszusehen.»

Die TED-Talks sind ein weiteres Beispiel für die Illusion der Geläufigkeit. Diese Vorträge dauern gewöhnlich 18 Minuten, was bedeutet, dass das Skript dazu zwischen sechs und acht Seiten umfasst. Da die Sprecher gewöhnlich ausgewiesene Experten auf ihrem Gebiet sind, stellen wir uns vor, so ein Vortrag müsse doch für so jemanden ein Klacks sein. Es wirkt so, als würden manche Vortragende schlicht improvisieren. Doch die TED-Richtlinien sprechen eine klare Sprache: Man erwartet von den Vortragenden, dass sie sich Wochen oder besser noch Monate auf den Talk vorbereiten. Sprechtrainer machen klare Vorgaben für TED-ähnliche Vorträge: für jede Minute Sprechzeit mindestens eine Stunde Übung. Anders gesagt: Sie müssen Ihren TED-Talk 60-mal proben. Und diese etwa 20 Stunden sind nur für die Probe gedacht – nicht eingerechnet die Stunden, Tage und Wochen, in denen Sie überlegen, was Sie in dieses sechs- bis achtseitige Skript packen oder – noch wichtiger – was Sie weglassen.

Kurze Präsentationen sind noch schwerer vorzubereiten als längere, weil Sie da einfach keine Zeit haben, über den nächsten Satz nachzudenken oder die perfekte Überleitung zum nächsten Abschnitt zu finden. Ich habe mal einen meiner ehemaligen Studenten, der mittlerweile für ein renommiertes Consulting-Unternehmen arbeitet, gefragt, ob Yale ihn adäquat auf seinen Job vorbereitet hätte. Seine Antwort lautete: Er hätte sich gewünscht zu lernen, wie man einen Kunden in drei Minuten von etwas überzeugt. Das ist eine der härtesten Präsentationen überhaupt, weil dabei jedes einzelne Wort zählt. Und es sieht so unglaublich leicht aus, wenn es richtig gemacht wird.

Die Illusion des Wissens

Diese Verfügbarkeits-Illusion beschränkt sich nicht auf Fähigkeiten wie Tanzen, Singen oder Vortragen. Im Bereich des Wissens kommt ein weiterer Typus zum Tragen. Wir glauben nämlich neue Erkenntnisse eher, wenn wir verstehen, wie sie zustande gekommen sind.

Nehmen wir nur mal das Klebeband. Wir reparieren damit fast alles: ein Loch im Sneaker, ja sogar einen unvorhergesehenen Riss in der Hose. Studien haben ergeben, dass Isolierband Warzen ebenso gut oder manchmal besser bekämpft als die übliche Behandlung mit flüssigem Stickstoff. Das wirkt eher unwahrscheinlich, bis Sie die Erklärung hören: Warzen werden von einem Virus verursacht, das abstirbt, wenn man ihm Luft und Licht entzieht. Und genau das passiert, wenn Sie die Warze mit Isolierband abkleben. Sobald Sie wissen, wie das funktioniert, erscheint die therapeutische Wirkung des Isolierbands gleich viel glaubwürdiger.

Einige meiner frühen Experimente drehten sich genau um diese Art von Phänomenen: dass die Menschen eher bereit sind, eine zufällige Korrelation als kausalen Zusammenhang zu betrachten, wenn sie sich den zugrunde liegenden Mechanismus vorstellen können.[2] Obwohl die Fakten dieselben sind, sind wir eher bereit, eine Ursache-Wirkungs-Beziehung anzunehmen, wenn wir uns den Prozess, der zu dem Ergebnis führt, leicht vorstellen können. Und das ist eigentlich kein Problem – außer natürlich, der Mechanismus ist falsch. Wenn wir fälschlicherweise überzeugt sind, dass wir einen Prozess gut verstehen, kommen wir eher auf falsche Schlussfolgerungen.

Ein Beispiel: Während dieser Forschungsarbeiten stieß ich auf ein Buch mit dem Titel «Die Uhren des Kosmos gehen anders». Es wurde in den 1960ern veröffentlicht und stammt von einem selbst ernannten «Neo-Astrologen» namens Michel Gauquelin. Gleich auf den ersten Seiten präsentierte er einige statistische Daten. (Die teils auf fragwürdiger Basis entstanden sind, aber nehmen wir für unser Beispiel kurz an, sie seien korrekt gesammelt worden.) So meinte Gauquelin zum Beispiel, dass Menschen, die unmittelbar nach dem Aufstieg des Mars am Horizont geboren wurden (was immer das heißen mag), eher zu berühmten Ärzten, Wissenschaftlern oder Sportlern werden. Gauquelin hatte Hunderte, mitunter auch Tausende Horoskopdaten ausgewertet und gelangte mit komplexen statistischen Mitteln zu seinen Schlussfolgerungen. Er lehnte die wenig wissenschaftliche Hypothese ab, dass die Planeten Babys zum Zeitpunkt ihrer Geburt mit bestimmten Talenten ausstatten. Stattdessen bot er eine leichter nachvollziehbare Erklärung an. Bis zu einem gewissen Grad, so Gauquelin, seien unsere Persönlichkeit, unsere Charakterzüge und Intelligenz angeboren. Das heißt, dass wir sie schon in uns tragen, wenn wir noch im Mutterleib planschen. Die Föten würden chemische Signale senden, sobald sie zur Geburt bereit seien, woraufhin die Wehen einsetzten. Föten mit einer bestimmten Persönlichkeit senden diese Signale aufgrund von feinstofflichen Schwankungen in der Schwerkraft, die wiederum von Ereignissen im Weltall gesteuert werden. Auf solch eine komplexe Erklärung könnte sogar ein absoluter Skeptiker hereinfallen, sodass er nicht mehr sagt: «Nie im Leben!» Sondern vielmehr: «Hm, vielleicht ist doch was dran.»

Die Wissensillusion erklärt auch, warum sich manche Verschwörungstheorien so lange halten. Die Theorie, dass Lee Harvey Oswald John F. Kennedy ermordet hat, weil er ein CIA-Agent war, mag weit hergeholt erscheinen. Fügt man aber eine zweite Erklärung hinzu – nämlich, dass die CIA Bedenken hatte angesichts der Art, wie der Präsident mit dem Kommunismus umging –, dann wirkt sie gleich plausibler. Die Theorie von QAnon, dass Präsident Trump gegen die Intrigen satanischer Pädophiler und Kannibalen kämpfte, die einen Staat im Staat errichtet hatten, soll von einer Quelle mit dem Signum «Q» stammen, die die höchste Sicherheitsfreigabe besaß und daher die inneren Zirkel der Regierung bestens kannte. Natürlich ist nichts davon wahr, aber die Illusion des besonderen Wissens von «Q», die entstand, weil diese Quelle ihre Meldungen stets mit Fachjargon garnierte, überzeugte viele von ihrer Richtigkeit.

Illusionen, die aus etwas vollkommen Belanglosem entstehen

Die dritte Form des Fluency-Effekts ist die tückischste und irrationalste überhaupt. Was ich bisher beschrieben habe, passiert, wenn wir eine Leichtigkeit beziehungsweise Mühelosigkeit bei Dingen sehen, die wir direkt vor der Nase haben. Die wahrgenommene «Flüssigkeit» bei der Ausführung einer bestimmten Aufgabe verleitet uns dazu, deren Komplexität zu unterschätzen, wenn wir sie selbst ausführen sollen. Beschreibungen der Mechanismen, die hinter einer Behauptung stehen, machen ansonsten unannehmbare faktische Behauptungen annehmbarer, auch wenn die «Fakten» sich dadurch nicht verändert haben. Aber auch unser Urteil kann verzerrt werden, wenn wir Faktoren, die für das Urteil, das wir zu treffen haben, durch und durch belanglos sind, als «leicht verfügbar» auffassen.

So hat sich eine Studie mit der Frage beschäftigt, ob der Name bestimmter Aktien unsere Erwartung beeinflusst, wie diese sich in Zukunft entwickeln werden.[3] Oh ja, Namen lösen Fluency-Effekte aus. Zuerst dachten die Wissenschaftler sich Firmennamen aus, die einfach nur leicht auszusprechen waren (wie «Flinks» oder «Tanley»). Diesen stellte man schwer auszusprechende Namen gegenüber (wie «Ulymnius» oder «Queown»). Obwohl die Probanden keinerlei Informationen über die Aktienwerte erhielten, schätzten sie die Performance der leicht (d.h. flüssig) auszusprechenden Firmennamen höher ein als die der Werte mit den schwierigen (d.h. nicht flüssigen) Namen.

Dann untersuchte man wirkliche Aktien im Vergleich (beispielsweise «Southern Pacific Rail Corp.» versus «Guangshen Railway Co.») und deren reale Entwicklung an der New Yorker Börse NYSE. Auch hier entwickelten sich die Werte der Aktien besser, deren Name leichter über die Zunge ging. Hätte ein Anleger in die Aktien von zehn leicht auszusprechenden Unternehmen investiert und ein anderer in zehn schwer auszusprechende, hätte Ersterer mit den leicht auszusprechenden Titeln nach einem Tag, einer Woche, sechs Monaten und einem Jahr jeweils 113 Dollar, 119 Dollar, 277 Dollar und 333 Dollar mehr verdient.

Nun mögen manche Leser einwenden, dass der Grund einfach nur der war, dass die Anleger auf dem amerikanischen Markt keine Aktien kaufen würden, die sich fremdländisch anhören. Also wurde noch eine Studie durchgeführt, bei der man die Drei-Buchstaben-Kürzel untersuchte, die im Börsenticker verwendet werden. Da steht beispielsweise KAR für «KAR Global», was leicht auszusprechen ist. HPQ steht für «Hewlett Packard» und ist nicht leicht auszusprechen. Überraschenderweise entwickelten sich die Aktien mit den leicht auszusprechenden Kürzeln sowohl an der NYSE als auch an der American Stock Exchange (NYSE American) deutlich besser als Werte mit schlecht auszusprechenden Abkürzungen.

Wenn Sie sich nicht für den Aktienmarkt interessieren, werfen wir doch mal einen Blick auf die Fluency-Effekte bei Internetrecherchen. Heute kann man ja schließlich alles googeln. Der Nachteil daran, dass man Zugang zu allerlei Expertenwissen hat, ist die Tatsache, dass dies meist zu Selbstüberschätzung führt. Die Leute halten sich dann für deutlich sachverständiger, selbst bei Themen, die sie nicht gegoogelt haben.[4]

So stellte man bei einer Studie den Versuchspersonen Fragen wie: «Warum gibt es Schaltjahre?» Oder: «Wie kommt es zu den verschiedenen Mondphasen?» Die Hälfte der Teilnehmer durfte sich im Internet informieren, die andere Hälfte nicht. In der zweiten Phase der Studie stellte man den Probanden dann neue Fragen wie: «Wodurch wurde der Amerikanische Bürgerkrieg verursacht?» Oder: «Warum hat ein Schweizer Käse Löcher?» Diese Fragen hatten mit denen, die im ersten Teil gestellt wurden, nichts zu tun. Die Teilnehmer, die sich im Internet hatten informieren können, hatten den anderen also gar nichts voraus. Man möchte meinen, dass beide Teilnehmergruppen ähnlich sicher oder unsicher auf die Fragen antworteten. Wer jedoch zu Anfang das Internet genutzt hatte, hielt sich für sachkundiger als die Teilnehmer der Kontrollgruppe, obwohl sie diese speziellen Fragen nicht gegoogelt hatten. Die Tatsache, dass die erste Gruppe Zugang zu Informationen hatte, die für die später gestellten Fragen nicht von Belang waren, hatte ihr intellektuelles Selbstvertrauen gestärkt.

Die adaptive Natur des Fluency-Effekts

Obwohl mir der Fluency-Effekt bekannt ist, falle ich doch immer wieder selbst darauf herein. Einmal sah ich mir ein 40-minütiges YouTube-Video darüber an, wie man die Fellpflege bei einem langhaarigen Hund am besten anpackt. Dann verbrachte ich weitere sinnlose 40 Minuten damit, meinen wunderschönen Havaneser zu striegeln. Ich widerlegte damit eine Behauptung des American Kennel Club zu dieser Hunderasse: «Havaneser sind niedlich, ganz egal, welche Haartracht Sie ihnen verpassen.»

Ich bin auch süchtig nach Gartenkatalogen. Wann immer ich diese Bilder von tadellos gepflegten Gärten sehe, vor allem wenn es Gemüsegärten sind, kaufe ich regelmäßig Saatgut in Mengen, die locker ausreichen würden, um einen Morgen Land zu bestellen – den ich nicht habe. Dann lasse ich die Aussaat im Hausinnern sprießen, natürlich unter der richtigen Beleuchtung. Nur um am Ende festzustellen, dass ich, trotz all der investierten Zeit und Dollars, nur geringe Erträge vorzuweisen habe. Letztes Jahr habe ich gerade mal vier Paprikaschoten geerntet und habe drei Mal Grünkohlsalat gegessen. Dabei sah es im Katalog so einfach aus!

Ich forsche und lehre nun seit mehr als 30 Jahren zum Thema «Wahrnehmungsverzerrungen». Und doch lasse ich mich von der flüssigen Bürstleistung des Hundefriseurs überzeugen und von den Hochglanzbildchen im Gartenkatalog. Aber geht es bei den Wahrnehmungsverzerrungen nicht eben darum, dass wir lernen, sie zu erkennen und zu vermeiden? Sollte ich auf diesem Gebiet wirklich eine Expertin sein, warum bin ich dann nicht immun dagegen?

Die Antwort lautet: Wir sind für kognitive Verzerrungen selbst dann anfällig, wenn wir sie kennen, weil die meisten (vielleicht sogar alle) aus jenen Anpassungsvorgängen entstanden sind, die sich über Jahrtausende entwickelt haben, um uns als Art das Überleben zu erleichtern. Wir können sie also nicht so einfach abstellen.

Der Fluency-Effekt hat seine Wurzeln in einer simplen Gesetzmäßigkeit, die wirksam wird bei einem Prozess, den Kognitionspsychologen «Metakognition» nennen. Dieser Begriff bezeichnet das Wissen, dass wir etwas wissen, zum Beispiel wie man schwimmt oder was eine Festzinshypothek ist. Die Metakognition ist ein wichtiger Baustein unseres Wissens. Wenn Sie wissen, dass Sie nicht schwimmen können, dann wissen Sie auch, dass Sie nicht in ein tiefes Schwimmbecken hüpfen dürfen, auch wenn Sie an einem heißen Tag sehnlichst eine Abkühlung herbeiwünschen. Wenn der Begriff «Festzinshypothek» für Sie ein Fremdwort ist, wissen Sie, dass Sie sich tunlichst darüber informieren sollten, bevor Sie einen solchen Vertrag unterschreiben. Die Metakognition steuert unser ganzes Handeln: Zu wissen, was wir wissen (und was nicht), macht uns klar, was wir vermeiden beziehungsweise anstreben sollten, wo wir reinhüpfen dürfen und wo nicht. Ohne sie können wir nicht leben.

Eines der aussagekräftigsten Signale für die Auswertung durch Metakognition ist das Gefühl der Vertrautheit, Leichtigkeit oder eben «Flüssigkeit». Wir sind vertraut mit Dingen, die wir wissen und können. Wenn ich Sie frage, ob Sie Mr. John Robertson kennen, sagen Sie «ja», «nein» oder «vielleicht», je nachdem wie vertraut der Name in Ihren Ohren klingt. Wenn Sie im Ausland einen Leihwagen mieten möchten und man sagt Ihnen, dass es keinen mit Automatikgetriebe gibt, dann sollten Sie sich überlegen, ob Sie noch wissen, wie man so ein Fahrzeug bedient, genauer gesagt, wie vertraut es sich anfühlt, mit dem linken Fuß die Kupplung zu betätigen, während Sie mit der rechten Hand den Gang einlegen.

Aber Vertrautheit ist nichts weiter als eine Heuristik, eine Faustregel: was heißt, dass Sie nach einer einigermaßen passenden Antwort suchen, für die Sie sich nicht allzu sehr anstrengen müssen. Wenn Sie beispielsweise herausfinden wollen, ob sich jemand ein Haus leisten kann, gibt es da eine Pi-mal-Daumen-Lösung, die man die 28-Prozent-Hypotheken-Regel nennt: Ihre Monatsrate sollte nicht mehr betragen als 28 Prozent Ihres monatlichen Einkommens vor Steuern. Heuristiken liefern keine perfekten Antworten. Die 28-Prozent-Regel ist eben nur ein ungefährer Richtwert. Ob Sie sich ein bestimmtes (oder überhaupt ein) Haus leisten können, hängt von vielen anderen Faktoren ab. Dementsprechend ist Vertrautheit oder «Verfügbarkeit» bei metakognitiven Urteilen eine Abkürzung, die wir für Situationen benutzen, in denen wir unser Wissen nicht systematisch abschätzen können. Wir können nicht jedes Mal eine Schwimmprüfung machen, um herauszufinden, ob wir noch schwimmen können. Also verlassen wir uns auf das Gefühl der Vertrautheit.

Das Problem ist nur, dass eine Heuristik, die meist zu unserem Vorteil funktioniert, auch Chaos stiften kann, wie wir bereits gesehen haben. Eine Person wird durch zwanzigfaches Ansehen eines Videos vertraut mit dem «Moonwalk». Dieses Gefühl der Vertrautheit verleitet sie dann zu der Vorstellung, sie beherrsche den «Moonwalk». Gleichermaßen leicht verfällt man in den Glauben, dass man nach dem Setzen, Düngen und Wässern von Gemüsesamen köstliches, reifes Gemüse ernten könnte. Wir verfallen der Grüne-Daumen-Illusion, auch wenn wir Professorinnen sind, die über kognitive Verzerrungen forschen.

Obwohl die Fluency- oder Vertrautheits-Heuristik uns manchmal auf den Holzweg führt, ist sie ein sehr nützliches Instrument, das uns in Erinnerung ruft, was wir tatsächlich wissen. Vermutlich verlässt sich die Menschheit aus diesem Grund darauf – weil die Vorzüge der Metakognition die Nachteile der Illusionen überwiegen, die sie mitunter verursacht. Okay, das war jetzt sehr viel abstrakte Information, also lassen Sie uns ein bisschen konkreter werden und uns das Ganze noch einmal ansehen. Dazu nehmen wir eine bekannte visuelle Illusion zum Vergleich, die Daniel Kahneman, der Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, in seinem berühmten Buch «Schnelles Denken, langsames Denken» vorstellt.

Die Bilder der Welt, die wir mit unseren Augen wahrnehmen, werden auf einen Bildschirm projiziert, den wir die Netzhaut nennen. Diese ist eine lichtempfindliche Schicht an der Rückwand unseres Augapfels. Da die Netzhaut eine Fläche ist, kommt das Bild im Gehirn zweidimensional an. Das Problem? Nun, die Welt ist bekanntlich dreidimensional. Um die Welt trotzdem in drei Dimensionen wahrzunehmen, nutzt unser Gehirn verschiedene Tricks. Einer nennt sich die lineare Perspektive. Sie lässt es so aussehen, als würden parallele Linien in der Ferne in einem Punkt zusammenlaufen, wie wir das in der Abbildung unten sehen. Unser visuelles System im Gehirn nimmt automatisch an, dass – wann immer wir zwei Linien sehen, die sich in einem Fluchtpunkt schneiden – jedes Objekt, das näher am Fluchtpunkt liegt (Linie A in der Abbildung), weiter von uns entfernt ist als ein Objekt im Vordergrund (Linie B in der Abbildung). Da wir wissen, dass Objekte, die weiter von uns entfernt sind, kleiner erscheinen, nimmt unser visuelles System automatisch an, dass die Linie, die dem Fluchtpunkt näher ist, länger ist. Aber Linie A und B in der Abbildung sind tatsächlich gleich lang, nur eben in linearer Perspektive angeordnet. Daher «denkt» unser visuelles System, dass A länger ist. Man nennt dies die «Ponzo-Illusion», benannt nach dem italienischen Psychologen Mario Ponzo, der auf diesen Effekt hingewiesen hat. Sie können mit einem Lineal oder mit Ihrem Finger nachprüfen, dass die beiden Linien tatsächlich gleich lang sind. Aber Sie werden die Linie immer noch als länger wahrnehmen. Auf ähnliche Weise bleiben auch kognitive Verzerrungen wie der Fluency-Effekt wirksam, auch wenn Sie die dahinterstehende Illusion verstanden haben.

Zu sagen, dass wir unser Gefühl der «Verfügbarkeit» ignorieren sollten, um nicht in Selbstüberschätzung zu verfallen, wäre genauso absurd, als würde man uns predigen, wir sollten der Linearperspektive misstrauen und die Welt als flach ansehen, damit wir der «Ponzo-Illusion» nicht auf den Leim gehen. Illusionen sind das Resultat der verschiedenen Mittel, die unser kognitives System herausgebildet hat, um uns zu ermöglichen, uns in einer unsicheren Welt mit unbegrenzten Möglichkeiten zu bewegen. Offensichtlich ist es besser, mit der «Ponzo-Illusion» zu leben, weil uns der dahinterstehende Mechanismus erlaubt, die dreidimensionale Struktur der Welt wahrzunehmen. Genauso ist es vorzuziehen, mithilfe des Gefühls der Geläufigkeit einzuschätzen, was wir wissen oder nicht wissen, auch wenn uns dieses mitunter in die Irre führt.

Damit ist aber auch schon Schluss mit Analogien zu visuellen Täuschungen und deren Vorteil und Nutzen. Denn visuelle Täuschungen sind nur selten schädlich. Doch Selbstüberschätzung vor dem Hintergrund fehlender Daten kann im wirklichen Leben Folgen haben, die sehr viel gravierender sind als ein schlechter Haarschnitt, mit dem Ihr Havaneser eine Zeit lang rumlaufen muss. Oder die Tatsache, dass man für vier Paprika ungefähr das Fünfzigfache dessen bezahlt hat, was sie im Laden gekostet hätten. Sie können mit einer Präsentation Ihre Karriere ins Aus schießen oder Ihre gesamten Ersparnisse verlieren, weil Sie sich fälschlich von einem schönen Namen zu einem katastrophalen Investment am Aktienmarkt haben verleiten lassen. Oder Sie stürmen das Kapitol in Washington, weil Sie an die Geschichten glauben, die QAnon in Umlauf bringt.

Doch es reicht nicht aus, nur zu wissen, dass es den Fluency-Effekt gibt und dass er schädlich sein kann. Das ist ein bisschen so, als wollten Sie abnehmen: Unser Körper ist – mit gutem Grund – darauf ausgelegt, dass es uns nach Essen gelüstet. Wenn wir nur denken, dass wir abspecken sollten, genügt das nicht. Wir müssen uns schon konkrete Strategien überlegen, wie wir diesen Gelüsten gegensteuern. Gibt es also Möglichkeiten, den Fluency-Effekt auszumanövrieren? Die Antwort ist ein klares Ja.