Klare Charaktere - Lutz Kreutzer - E-Book

Klare Charaktere E-Book

Lutz Kreutzer

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Beschreibung

Lutz Kreutzer, 1959 geboren, stammt zwar aus dem Rheinland, doch als Bergsportler hegt er eine große Liebe zum Alpenraum. Am Forschungsministerium in Wien hat der promovierte Naturwissenschaftler ein Büro für Öffentlichkeitsarbeit gegründet, weshalb im Hörfunk und TV zahlreiche Beiträge über seine Arbeit gesendet worden sind. Seine beruflichen Reisen und die damit verbundenen Abenteuer verwandelt er gern in spannende Romane und Geschichten. Er berät eines der größen deutschen Medienhäuser, gibt Bände mit spannenden Kurzgeschichten bei einem Publikumsverlag heraus und veranstaltet den größten deutschen Kongress für unabhängige Autoren. Er lebt und arbeitet in München.

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Einleitung

Charaktere tragen jede Geschichte. Sie hauchen einem Roman Leben ein. Ohne klare Charaktere kommen Sie nicht weit, wenn Sie das Handwerk des Schreibens erlernen wollen.

Ich habe im Rahmen des 3. Self-Publishing-Day (www.self-publishing-day.com/) in München am 9. April 2016 einen Workshop gehalten, der mit dem Titel dieses Booklets überschrieben war:

„Eine gute Geschichte braucht klare Charaktere“

Im Nachgang gab es viele positive, ja lobende Rückmeldungen der Teilnehmer, was mich bestärkte, diesen Workshop in Schriftform herauszubringen. Daher stelle ich hier ein eBook zu diesem Thema vor, das vor allem jungen und noch unerfahrenen Autoren helfen möge.

Aber auch erfahrene Autoren werden hier hoffentlich Anregungen finden, mit denen sie spielen und arbeiten können. Ich nutze jedenfalls die Gelegenheit, dieses Thema mit diesem eBook weit über die Möglichkeiten eines Workshops hinaus aufzugreifen und ausführlich abzuhandeln.

Was ich nicht mache: Ich ergehe mich nicht in Schreibtheorien. Sondern: Ich gebe Ihnen, liebe Leser, bewährte aber auch manche überraschende Tipps aus der Praxis an die Hand, wobei ich mich nicht auf meine eigenen Erfahrungen beschränke. Ich zeige Ihnen zusätzlich hilfreiche Methoden auf, die von erfahrenen Autoren und Lektoren erarbeitet wurden. Was ich Ihnen über die Entwicklung von Charakteren auf den folgenden Seiten erzählen und schildern werde, stammt also nicht ausschließlich von mir. Vielmehr bereite ich Ihnen einen Weg auf, der eine Art Conclusio bildet, eine Art Zusammenschau ergibt, die aus den einzelnen Herangehensweisen meiner eigenen aber auch der Erfahrungen anderer Autoren entsteht. Selbstverständlich werde ich die jeweilige Quelle nennen, damit Sie diese Erfahrungen anhand anderer Bücher nachvollziehen können.

Trotz meiner Methode ‚weniger Theorie, mehr Praxis‘ müssen wir uns zu Beginn mit gewissen Grundlagen beschäftigen, die uns helfen, den Schreibprozess als Ganzes zu gliedern, damit eine Systematik entsteht, die für unser Vorhaben hilfreich, ja unabdinglich scheint.

Am Ende aber, liebe Leser, steht Ihr Ziel: das Handwerk des Schreibens von der ersten Zeile an nicht nur mit Herz, sondern auch mit kühlem Verstand, heißer Leidenschaft und viel Akribie anzugehen.

Zögern Sie nicht! Tun Sie es!

Das Handwerk des Schreibens

Schreiben kann jeder, denken viele. Genauso, wie jeder angeblich kochen oder malen kann. Ich kann mich in eine Küche stellen und aus einem Berg von besten Zutaten ein so grauenhaftes Essen anrichten, dass sich die Gäste freuen, wenn Sie das Esszimmer wieder verlassen dürfen. Aber ich habe gekocht. Ich kann mich vor eine Leinwand setzen und aus einer Palette der edelsten Farben ein so mieses Bild gestalten, dass jeder sich voller Abscheu abwenden wird. Aber ich habe gemalt. Was für ein Unterschied ist es doch da, wenn ich ein Menü von einem begnadeten Koch vorgesetzt bekomme oder das Bild eines meisterhaften Malers bewundern darf?

Genauso verhält es sich mit dem Schreiben. Schreiben ist - wie auch Kochen und Malen - ein Handwerk, abgesehen davon, dass sich vieles, was das Schreiben angeht, im Kopf abspielt. Aber wie man lernen kann, ein schmackhaftes Menü zu erstellen oder ein erhellendes Bild zu malen, kann man auch lernen, wie man eine gute Geschichte zu Papier bringt. Natürlich spielt hier eine gewisse Begabung und Neigung sowie der Spaß an der Sache eine gewichtige Rolle. Aber das ist beim Kochen und Malen auch so. Wer nicht gerne isst, sollte nicht versuchen zu kochen. Wen Kunst nicht interessiert, der sollte nicht malen wollen. Und wen Geschichten nicht verzaubern, der sollte die Hand von der Tastatur lassen.

In diesem Workshop geht es um die erste Phase beim Schreiben eines belletristischen Buchs. Grundsätzlich kann man diesen Schreibprozess als Ganzes zeitlich in folgende drei Hauptphasen untergliedern:

Die Entwicklung von CharakterenDie Entwicklung einer Geschichte („Plotten“)Der eigentliche Schreibprozess

Mit diesem Booklet nehmen wir uns den ersten Punkt vor. Und Sie werden sehen, wie weit Sie schon gekommen sind, wenn Sie das gelesen haben.

Was Charaktere ausmacht

Seit das klassische griechische Drama erdacht wurde, gibt es den Helden, der in dem Strudel der aufgeschriebenen Geschichte des Autors unterzugehen droht und wieder auftaucht, um die Geschichte zu einem guten Ende zu bringen. Es gibt den Schurken, der dem Helden jeden nur erdenklichen Stein in den Weg legt, um ihn darüber stolpern zu lassen. Und es gibt die Liebende, die den Helden aus seiner Verzweiflung rettet, ihn zu neuem Mut verhilft und ihn auf seinem richtigen Weg zu bestärken weiß.

Und immer, immer leiden, lachen und fühlen die Menschen mit den Figuren mit. Sie begleiten den Helden auf seinen Wegen durch Hölle, Einsamkeit und Gefahr, sie lieben mit ihm, wenn er seine Angebetete küsst, und sie zittern mit ihm, wenn er durch finstere Bedrohung zu versagen droht. Ja sie leiden Schmerzen mit ihm, wenn er zerschmettert am Boden liegt, um nachher wieder aufzustehen und das Böse zu besiegen. Kurzum: Ohne tragende Figuren wäre eine Geschichte nichts wert. Sie wäre gefühllos und steril. Sie wäre blutleer und fad. Und genau das ist der Grund, warum Sie sich als Schriftsteller mit Ihren Figuren identifizieren müssen. Sie erschaffen nämlich die Charaktere, die den Lesern so zu Herzen gehen. Spielen Sie Gott!1 Wetteifern Sie also mit ihm, wie Sol Stein es ausgedrückt hat.

Betrachten wir einmal die Menschen, die wir aus dem Alltag kennen, die uns also täglich in unserem Leben begegnen: angenehme, unangenehme, liebenswerte und lästige. Dabei ist es durchaus so, dass diese Attribute von Gegenüber zu Gegenüber unterschiedlich vergeben werden. Der eine findet einen Menschen sehr heiter und locker, dem anderen erscheint derselbe Mensch äußerst schwierig. Der eine findet einen bestimmten Menschen widerlich und schleimig, den der andere wiederum als freundlich und zugänglich beschreiben würde. Dann gibt es noch die, die Jedermanns Darling sind, die jeder mag und liebt. Und es gibt diejenigen Menschen, die jedem ein Schrecken sind, denen der Ekel anlastet und die von niemandem gemocht werden, die uns allen einen Schauer über den Rücken laufen lassen. Schon ihr Anblick genügt, um uns den kalten Schweiß auf die Stirn zu treiben. Das kann zum einen an ihrem widerwärtigen Äußeren liegen, aber vielmehr ist es oft ihre Ausstrahlung, die uns zum Abwenden bewegt. Das Alltägliche hält oft Überraschungen bereit.

Wie ist es da erst mit den Figuren, die Sie erschaffen müssen? Geliebte, herzliche und schöne Figuren zu entwickeln ist bereits eine Herausforderung, sie so darzustellen, dass der Leser sie in sein Herz schließt, ihn nicht perfekt erscheinen zu lassen, sondern einen „von uns“ zu kreieren. All das ist nicht etwa einfach, sondern erfordert vielschichtiges Denken und Entwickeln.

Aber wenden wir uns zuerst den abscheulichen, den widerwärtigen und abstoßenden Figuren zu. Denn sie stellen uns als Autor vor die noch größere Herausforderung, wenn es um die Verankerung einer Figur in der Phantasie des Lesers geht. Denn hier kann man viele Fehler machen. Haltloses Übertreiben, Voyeurismus und Zurschaustellung sind teuflische und wiederkehrende handwerkliche Schnitzer. Jeder erfahrene Schriftsteller kennt diese Tücken, sie sind wie Kletten, sie sind lästig, sie sind kontraproduktiv. Rein faktische Beschreibungen hingegen wirken eher steril. Was ist aber das Geheimnis einer einprägsamen Figur, die uns schaudern lässt? Von welcher sich der Leser zuerst voller Schrecken distanziert, aber dann insgeheim wieder zuwendet, scheu und verstohlen, um zu verfolgen, was die Figur umtreibt, was sie bewegt, warum sie so ist wie sie ist? Es ist die leise dahinfließende, sich langsam einnistende und in jede Ritze kriechende Abscheu, die unsere Leser erreicht. Das Unheimliche, das Unerklärbare und das Unnahbare. Gerade diese Empfindungen lassen sich nur schwer in Worte fassen, aber sie können wahre Gräuel entfalten. Und gerade deshalb ist es jedes Mal ein großer Wurf, wenn es uns gelingt, genau das schriftlich zu erfassen und beim Leser genau dieses diffuse Grauen auszulösen. Deshalb wollen wir daran arbeiten, solche Charaktere zu entwickeln.

Sol Stein: Über das Schreiben.- Zweistausendeins Verlag, Frankfurt a.M. 1997

Leben Sie mit Ihren Figuren

Wenn Sie einen Roman schreiben, dann sind die Figuren Ihr wichtigstes Kapital. Sie sind das Mobiliar in Ihrem Erzählgebäude, das einem Hochseedampfer gleicht (wir kommen später noch einmal darauf zurück). Sie leben unabhängig voneinander in unterschiedlichen Schiffsdecks. Ganz oben wohnt der Protagonist, der Held Ihrer Geschichte. Er träumt und liebt und ist dem Himmel ganz nah. Ungefährdet steuert er sein Leben von seiner Schiffsbrücke aus, das aus Wirklichkeit, aus Träumen und Erfahrungen besteht. Er glaubt felsenfest daran, das Steuer in der Hand zu halten. Ahnungslos und gutgläubig blickt er aufs Meer hinaus, dass seiner großen Lebensfahrt die endlose Weite schenkt. Was für ein Dasein!